Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.10.2022 – 19 ZB 22.1499
Titel:

Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen mit ARB-Status

Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 2, § 53 Abs. 1, Abs. 3
Daueraufenthalts-RL Art. 12
Rückführungs-RL Art. 11 Abs. 2 S. 1
VwVfG § 3 Abs. 1 Nr. 3a
SGB I § 30 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Während die örtliche Zuständigkeit die Frage betrifft, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden desselben Verwaltungsträgers ein Verfahren durchzuführen hat, dient die Verbandskompetenz der Zuweisung von Aufgaben an einen bestimmten Verwaltungsträger sowie der Aufgabenabgrenzung zwischen verschiedenen selbstständigen Verwaltungsträgern und damit der Sicherung der Verwaltungshoheit des Bundes, der Länder, der Kommunen sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ entbindet nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen; darüber hinaus besteht auch für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen mit ARB-Status, Zuständigkeit der Ausländerbehörde, Vermögens- und Insolvenzdelikte, Offener Vollzug, Nicht unmittelbar bevorstehende Eheschließung mit deutscher Staatsangehörigen, Antrag auf Zulassung der Berufung, Ausweisung eine türkischen Staatsangehörigen, örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde, Verbandskompetenz, gewöhnlicher Aufenthalt, gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr, Wiederholungsgefahr, spezialpräventive Gründe, Grundinteresse der Gesellschaft, faktischer Inländer, Freigänger, Assoziationsabkommen EWG/Türkei, Beschluss Nr. 1/80, ARB 1/80, Insolvenzverschleppung, Bankrott, Veruntreuen von Arbeitsentgelt, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Ermessen, Ablehnung eines Beweisantrags, Beweisermittlungsantrag, RL 2003/109/EG, RL 2008/115/EG
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 11.05.2022 – AN 5 K 18.1007
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29794

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
2
Der am ... 1974 im Bundesgebiet geborene, sich seitdem im Bundesgebiet aufhaltende und seit dem 25. September 1990 einen unbefristeten Aufenthaltstitel besitzende Kläger, türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. Mai 2022, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2018 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nrn. I und II des Bescheids), das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 6Jahren ab erfolgter Ausreise/Abschiebung befristet (Nr. III des Bescheids), die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus angeordnet (Nr. IV des Bescheids) und die Abschiebung (sollte sie während der Haft nicht möglich sein und der Kläger daher entlassen werden) insbesondere in die Türkei angedroht (Nr. V des Bescheids).
3
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 - 10 ZB 15.1804 - juris Rn. 7), liegen nicht vor oder sind nicht hinreichend dargelegt.
4
1. Die Berufung des Klägers ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
5
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4/03 - juris Rn. 9).
6
Zur Begründung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel lässt der Kläger vortragen, die Beklagte sei für den Erlass der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung im Mai 2018 nicht (mehr) örtlich zuständig gewesen. Der Kläger habe bereits seit 2017 seinen gewöhnlichen tatsächlichen Aufenthalt in Nordrhein-Westfalen gehabt, nicht nur während der Haftdauer (5.1.2018 bis 9.9.2020), sondern auch vor Haftantritt (ab dem 1.7.2017 in G., in einer Wohngemeinschaft bei einem Freund, ohne offizielle Anmeldung) und auch nach der Entlassung (in O., mit behördlicher Anmeldung). Auch das Strafurteil sei dem Kläger an diese Adresse zugestellt worden. Nur aus Gründen des gewöhnlichen Aufenthaltes in Nordrhein-Westfalen habe der Kläger folgerichtig dort auch seine Haftstrafe antreten und verbüßen können. Zu Unrecht gingen die Beklagte und das Erstgericht in materieller Hinsicht davon aus, dass die Voraussetzungen der verfügten Ausweisung im Sinne des §53 Abs. 1 und 3 AufenthG gegeben seien. Dies obwohl die entsprechende Privilegierung des Klägers zu Recht angenommen worden sei. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Das Merkmal einer „gegenwärtigen und schwerwiegenden Gefahr“, die vom Kläger ausgehen müsste, liege nicht vor. Der Kläger sei bereits als Freigänger und auch derzeit als angestellter Bauleiter in einem Bauunternehmen tätig, folglich in einem Bereich, der ihm bereits aus diesem Grunde tatsächlich nicht mehr ermögliche, Schaden an Schutzgütern der Gesellschaft zu verüben, die er im Rahmen der abgeurteilten und verbüßten Straftaten in der Vergangenheit als Selbständiger verwirklicht habe. Auch das Amtsgericht D.-C.-R. habe Mitte April 2022 entschieden, dass für den Kläger aufgrund seines Verhaltens, eigener Wohnung und Arbeitsstelle etc. kein Bewährungshelfer mehr erforderlich sei. Sowohl die angefochtene Entscheidung als auch das erstinstanzliche Urteil verstießen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Hinblick auf Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK. Zwar werde nicht verkannt, dass weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK einen unmittelbaren Anspruch auf einen Aufenthalt im Bundesgebiet gewährten. Der Kläger sei mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt. Nach Eheschließung würden die Eheleute in der Wohnung der Verlobten in H. wohnen. Das Eheschließungsverfahren sei per Mail des Klägers vor dem Standesamt eingeleitet worden. Dem Kläger und seiner Verlobten werde eine Liste der erforderlichen Unterlagen zugesandt. Der Kläger habe bereits die Eheringe (Weißgold mit eingravierten Vornamen) besorgt. Gerade unter Berücksichtigung der oben gemachten Ausführungen zum Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Ausweisung seien die getroffene Entscheidung und das Urteil nicht verhältnismäßig. Ein Ausgleich der gegenläufigen Interessen sei nicht gemacht worden. Auch sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger ausschließlich im Bundesgebiet aufgewachsen und nur in Deutschland verwurzelt und integriert sei und er zum Herkunftsland seiner Eltern/Armenien und Türkei, außer weniger Besuche, keinerlei Kontakte habe. Dort habe der Kläger weder eine Wohnung, geschweige denn eine Arbeitsstelle. Die Mitausreise seiner Verlobten und zukünftigen Ehefrau sei weder dem Kläger, aber auch nicht dieser, mangels Kontakte, Wohnung, Arbeitsstelle, Sprache etc. in der Türkei zuzumuten, erst recht nicht eine 6jährige Trennung vom Kläger. Die Familie des Klägers und auch diejenige seiner Verlobten und zukünftigen Ehefrau lebten ebenfalls im Bundesgebiet. Selbst wenn - wie nicht - die Ausweisungs- und erstinstanzliche Gerichtsentscheidung dem Grunde nach rechtmäßig sein würden, verstoße die Ausweisungsdauer von 6Jahren gegen Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/ EG, wonach grundsätzlich eine Dauer von 5Jahren nicht überschritten werden dürfe. Eine rechtmäßige Abwägung, warum in dem hier vorliegenden Fall hiervon abgewichen werden könne, sei weder von der Beklagten noch vom Erstgericht erfolgt.
7
Die Rügen zeigen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf.
8
1.1 Die verwaltungsgerichtliche Auffassung, die Beklagte sei für den Erlass der angegriffenen Ausweisungsverfügung zuständig, weil der Kläger bis zu seiner Inhaftierung am 5. Januar 2018 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in N. gehabt habe und die Beklagte mit der Inhaftierung die Zuständigkeit nicht verloren habe, ist (im Ergebnis) nicht zu beanstanden.
9
Die Zuständigkeit der Beklagten beurteilt sich - abweichend vom insoweit maßgeblichen Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung - nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung (BVerwG, B.v. 19.7.1985 - 1 B 68/85 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 5.9.2002 - 10 ZB 02.1830 - juris Rn. 2; NdsOVG, U.v. 24.8.1995 - 11 L 1047/95 - juris Rn. 25; Hailbronner in Hailbronner, AuslR, Juni 2022, §71 Rn. 16 zur örtlichen Zuständigkeit), vorliegend im Mai 2018.
10
Die insoweit zuständige Behörde ist in zwei Schritten zu bestimmen. In einem ersten Schritt ist festzustellen, welches Bundesland die Verbandskompetenz zur Sachentscheidung besitzt. Diese Frage ist - wenn keine speziellen koordinierten landesrechtlichen Kompetenzregelungen vorliegen - durch entsprechende Anwendung der mit §3 VwVfG übereinstimmenden Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder zu beantworten. In einem zweiten Schritt ist auf der Grundlage des Landesrechts des zur Sachentscheidung befugten Bundeslandes zu ermitteln, welche Behörde innerhalb des Landes örtlich zuständig ist (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 5/11 - juris Rn. 17 zur Frage der für die Entscheidung über ein Befristungsbegehren zuständigen Behörde). Während die örtliche Zuständigkeit die Frage betrifft, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden desselben Verwaltungsträgers ein Verfahren durchzuführen hat, dient die Verbandskompetenz der Zuweisung von Aufgaben an einen bestimmten Verwaltungsträger sowie der Aufgabenabgrenzung zwischen verschiedenen selbstständigen Verwaltungsträgern und damit der Sicherung der Verwaltungshoheit des Bundes, der Länder, der Kommunen sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 5/11 - juris Rn. 18).
11
Fehlen - wie hier - spezielle koordinierte landesrechtliche Zuweisungsregelungen zur (hier allein <sinngemäß> angegriffenen) Verwaltungskompetenz, ergibt sich ein auf-einander abgestimmtes System im Wege der entsprechenden Anwendung der zur örtlichen Zuständigkeit getroffenen Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder, die insoweit inhaltsgleich sind und - vorliegend durch gleichlautende Formulierungen jeweils in §3 VwVfG NW und Art. 3 BayVwVfG - mit § 3 VwVfG übereinstimmen. Diese Regelungen finden daher entsprechende Anwendung, wenn das für die Ausführung einer bundesrechtlich begründeten Aufgabe zuständige Land auf andere Weise nicht zu ermitteln ist. Nicht maßgeblich für die Bestimmung der Verbandskompetenz sind hingegen landesrechtliche Vorschriften, die der koordinierten Regelung aller Länder in Gestalt der genannten übereinstimmenden Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit nicht entsprechen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 5/11 - juris Rn. 19).
12
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist im Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes nicht näher umschrieben. Daher ist zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG auf die Legaldefinition des §30 Abs. 3 Satz 2 SGB I zurückzugreifen (BVerwG, U.v. 4.6.1997 - 1 C 25/96 - juris Rn. 16). Demgemäß hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt sich nicht nach dem inneren Willen des Betroffenen, sondern setzt eine aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse zu treffende Prognose voraus (BVerwG, U.v. 4.6.1997 - 1 C 25/96 - juris Rn. 16 m.w.N.). Daher können auch ein Zwangsaufenthalt und ein Aufenthalt in einer Haftanstalt einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, da es grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob dieser freiwillig genommen worden ist. Es ist insoweit eine Einzelfrage, ob bei der Verbüßung einer Freiheitsstrafe der Haftort den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts darstellt. Der tatsächliche Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt stellt zwar ein gewichtiges Indiz für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts dar, zu berücksichtigen ist jedoch auch, ob die Inhaftierung zwangsläufig mit der Aufgabe des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsorts verbunden ist (OVG NRW‚ U.v. 15.12.2015 - 12 A 2645/14 - juris Rn. 50 m.w.N.; sowohl die nordrhein-westfälische als auch die bayerische Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht enthalten Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit bei Haftaufenthalten, vgl. die erst nach der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung in Kraft getretenen §7 Abs. 3 Nr. 1 ZustVAuslR und §14 Abs. 4 ZustAVO NW bzw. die früheren Fassungen in §5 Abs. 3 Nr. 1 ZustVAuslR a.F. und § 12 Abs. 3 ZustAVO a.F.).
13
Aus der entsprechenden Anwendung der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG des Bundes übereinstimmenden Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder ergibt sich, dass die Ausländerbehörden des Freistaats Bayern für eine Ausweisungsentscheidung des Klägers zuständig waren.
14
Der ab dem 5. Januar 2018 in Nordrhein-Westfalen inhaftierte Kläger war bis zum 20. September 2017 im Stadtgebiet der Beklagten gemeldet. Anschließend erfolgte eine Abmeldung von Amts wegen nach unbekannt, da eine Kontrolle durch die Polizei ergeben hatte, dass der Kläger unter der Meldeadresse nicht mehr wohnhaft war.
15
Der Bruder des Klägers hat - ausweislich des in der Behördenakte befindlichen Gesprächsvermerks vom 11. Januar 2018 - am 10. Januar 2018 (und damit kurz nach dem Haftantritt des Klägers am 5.1.2018) gegenüber der Beklagten telefonisch mitgeteilt, der Kläger habe nun erfahren, dass er aus der H.straße im Stadtgebiet der Beklagten abgemeldet worden sei und sich nun Sorgen mache, dass er deshalb Probleme bekommen könne. Der Bruder erklärte, es habe Ärger mit der Vermieterin gegeben und die Parteien befänden sich derzeit in einem Rechtsstreit. Jedoch bestehe weiterhin ein Mietvertrag für diese Wohnung. Der Bruder des Klägers gehe davon aus, dass die Vermieterin den Kläger abgemeldet habe. Auf Nachfrage der Mitarbeiterin der Beklagten erklärte der Bruder, der Kläger habe zuletzt im Stadtgebiet der Beklagten gelebt. Die Adresse im nordrhein-westfälischen G. habe er vor Gericht nur angegeben, weil er dort einen Job in Aussicht gehabt habe und dorthin habe ziehen wollen. Jedoch sei er nie in G. angemeldet gewesen. Der Kläger wolle nun innerhalb der JVA in einen anderen Bereich verlegt werden. Hier sei ihm aber mitgeteilt worden, dass dies nur möglich sei, wenn er eine Meldeadresse habe. Der Bruder des Klägers überlege deshalb ihn im Stadtgebiet der Beklagten in der T.straße anzumelden, dort wohne der Vater.
16
Soweit der Kläger im Rahmen seines Zulassungsvorbringens vorträgt, er habe bereits ab dem 1. Juli 2017 in einer Wohngemeinschaft bei einem Freund im nordrhein-westfälischen G. gelebt, widerspricht dieser Vortrag der Aussage des Bruders des Klägers (an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat, obwohl der Kläger diese erstinstanzlich bestritten hat). Unabhängig davon, dass im Rahmen des behördlichen Anhörungsverfahrens noch vorgetragen worden ist, er sei „bereits im August 2017“ nach G. umgezogen, legt der Kläger insoweit auch im Zulassungsverfahren keinerlei substantiierte Unterlagen vor, die die Behauptung von einer Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts ins nordrhein-westfälische G. unter vollständiger Aufhebung des gewöhnlichen Aufenthalts im Stadtgebiet N. bestätigen würden (auch die Begründung gewöhnlicher Aufenthalte an mehreren Orten ist grundsätzlich möglich, vgl. Schuler-Harms in Schoch/Schneider, VerwR, April 2022, §3 VwVfG Rn. 32; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, §3 Rn. 24), zumal der Kläger bis zum Haftantritt keiner Beschäftigung nachgegangen ist. Der Aussage des Bruders des Klägers ist zu entnehmen, dass der Mietvertrag für die klägerische Wohnung im Januar 2018 noch bestanden hat. Eine Kündigung durch den Kläger (die nahegelegen hätte, wenn ein dauerhafter Wohnsitzwechsel <schon seit 1.7.2017> angestrebt worden wäre) wurde nicht vorgetragen. In G. hat sich der Kläger unstreitig nicht angemeldet (nachdem die Stabsstelle Ausländerangelegenheiten der Stadt G. im behördlichen Verfahren gegenüber der Beklagten mitgeteilt hat, der Kläger sei in G. nicht zur Anmeldung gelangt und ein tatsächlicher Aufenthalt könne nicht nachvollzogen werden, sodass die Zuständigkeit in G. nicht gegeben sei, kann auch nicht davon die Rede sein, dass es sich bei der Stadt G. um die sachnähere Ausländerbehörde gehandelt hat). Die Vorlage eines Mietvertrags oder einer Nebenkostenabrechnung betreffend die Unterkunft in G.- wie vom Verwaltungsgericht ins Spiel gebracht - ist auch im Zulassungsverfahren nicht erfolgt. Die Vorlage entsprechender Unterlagen wird auch nicht dadurch obsolet, dass der Kläger im Zulassungsvorbringen anführt, er habe „in einer Wohngemeinschaft bei einem Freund, ohne offizielle Anmeldung“ gewohnt. Der vermeintliche Freund wird weder benannt noch als Zeuge angeboten. Es deutet somit alles darauf hin, dass die telefonische Aussage des Bruders des Klägers gegenüber der Beklagten zutreffend ist und der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt bis zum Haftantritt (jedenfalls auch) im Stadtgebiet der Beklagten hatte. Daran hat sich auch bis zur Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung nichts geändert, weil sich der Kläger nach seinen Angaben in der Klageschrift im offenen Vollzug (bereits ab dem 12.1.2018) über die Wochenenden bei seiner Familie im Stadtgebiet der Beklagten aufgehalten hat (jedenfalls bis ihm der Urlaub <vermutlich vorübergehend> ab dem 11.7.2018 wegen des mit Urteil vom 24.1.2019 abgeschlossenen Strafverfahrens gestrichen worden ist) und er damit als Wochenendpendler in N. jedenfalls einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat (vgl. Schuler-Harms in Schoch/Schneider, VerwR, April 2022, §3 VwVfG Rn. 32; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, §3 Rn. 24). Zudem sind keine Anhaltspunkte ersichtlich oder substantiiert vorgetragen worden, dass (jedenfalls) zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung ein dauerhafter Aufenthalt in G. beabsichtigt war. Die Wochenendheimfahrten verdeutlichen vielmehr, dass eine Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts unter vollständiger Aufhebung des gewöhnlichen Aufenthalts in N. nicht angedacht war (noch im Klageschriftsatz vom 29.5.2018 <folglich unmittelbar nach der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung> hat der Kläger ausführen lassen, dass er sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch im Stadtgebiet der Beklagten „sofort nach Haftentlassung unbefristet arbeiten könnte“). Dass der Kläger nach Haftentlassung in Nordrhein-Westfalen geblieben ist, liegt wohl (zumindest auch) daran, dass er die zuletzt während des offenen Vollzugs innegehabte Arbeitsstelle bei einem Bauunternehmen (nach eigenen Angaben) behalten konnte. Diese Arbeitsstelle hat der Kläger aber zeitlich frühestens im Jahr 2019 (und damit nach der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung) angetreten, da im strafgerichtlichen Urteil vom 24. Januar 2019 festgestellt wurde, dass der Kläger im offenen Vollzug bei der Stadt M. im Bereich Stadtreinigung als LKW-Fahrer beschäftigt sei.
17
Folglich waren die Ausländerbehörden im Freistaat Bayern (und örtlich die Beklagte) im Mai 2018 für eine Ausweisungsentscheidung des Klägers zuständig.
18
1.2 Mit seinem Zulassungsvorbringen, eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr gehe vom Kläger nicht mehr aus, da er bereits als Freigänger und auch derzeit als angestellter Bauleiter in einem Bauunternehmen tätig sei, folglich in einem Bereich, der ihm bereits aus diesem Grunde tatsächlich nicht mehr ermögliche, Schaden an Schutzgütern der Gesellschaft zu verüben, die er im Rahmen der abgeurteilten und verbüßten Straftaten in der Vergangenheit als Selbständiger verwirklicht habe, hat der Kläger die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich im Sinn des §124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
19
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 22.02.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 18; U.v. 30.7.2013 - 1 C 9.12 - juris Rn. 8 m.w.N.).
20
Da der Kläger (zwischen den Beteiligten unstreitig) als insoweit privilegierter Ausländer gemäß §53 Abs. 3 AufenthG anzusehen ist, darf er nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine gegenwärtig schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Die Neufassung von §53 Abs. 3 AufenthG gibt damit den aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleiteten Maßstab wieder, den der EuGH auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, B.v. 8.12.2011 - Ziebell, C-371/80 - juris Rn. 80, BayVGH, U.v. 5.3.2013 - 10 B 12.2219 - juris Rn. 32). Die einem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 zustehenden Rechte können ihm nur dann im Wege einer Ausweisung abgesprochen werden, wenn diese dadurch gerechtfertigt ist, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen auf die konkrete Gefahr von weiteren schweren Störungen der öffentlichen Ordnung hindeutet (EuGH, U.v. 4.10.2007 - Polat, C-349/06 - juris Rn. 35). Es muss insoweit eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne des deutschen Polizeirechts, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und fast mit Gewissheit zu erwarten ist (BVerwG, U.v. 26.2.1974 - I C 31.72 - juris Rn. 32), nicht vorliegen (BVerwG, U.v. 27.10.1978 - I C 91.76 - juris Rn. 13 zur Ausweisung von Angehörigen der EG-Staaten). Es ist aber eine nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beurteilende und deswegen nach dem Ausmaß des möglichen Schadens zu differenzierende, hinreichende Wahrscheinlichkeit zu verlangen, dass der Ausländer künftig die öffentliche Sicherheit oder Ordnung stören wird (BVerwG, U.v. 27.10.1978 - I C 91.76 - juris Rn. 13 zur Ausweisung von Angehörigen der EG-Staaten)
21
Auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens ist nach dem persönlichen Verhalten des Klägers weiter von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auszugehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und davon, dass die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
22
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18).
23
Der im Bundesgebiet geborene Kläger ist im Bundesgebiet wiederholt und erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Während am 2. Juni 1989 ein Verfahren wegen Erschleichens von Leistungen noch mit einer Wiedergutmachungspflicht nach § 47 JGG eingestellt worden ist, wurde gegenüber dem Kläger schon mit Urteil vom 25. Juni 1991 eine Woche Dauerarrest wegen fortgesetzten gemeinschaftlichen Diebstahls eine Geldbuße verhängt. Mit Urteil vom 11. Januar 1994 wurde der Kläger wegen versuchter Nötigung und vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Nötigung zu einem Jugendarrest von einer Woche verurteilt. Am 28. Juni 1996 wurde gegenüber dem Kläger wegen Beihilfe zur Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Auflage nach dem Ausländergesetz (Gewerbezusammenhang) eine Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen verhängt. Es schloss sich wenig später die Verurteilung vom 6. März 1997 wegen Betrugs in zwei Fällen (Gewerbezusammenhang) zu einer Freiheitsstrafe von 4Monaten an (3 Jahre Bewährungszeit). Wegen gemeinschaftlichen Betrugs in zehn Fällen sowie Betrugs in drei Fällen (Gewerbezusammenhang) wurde der Kläger am 21. Juli 1998 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt (3 Jahre Bewährungszeit). Mit Beschluss vom 25. Februar 1999 wurden unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 21. Juli 1998 und 6. März 1997 nachträglich aus dem Urteil vom 6. März 1997 und aus zehn Einzelstrafen aus dem Urteil vom 21. Juli 1998 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten gebildet sowie die restlichen drei Einzelstrafen aus der Entscheidung vom 21. Juli 1998 auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten zurückgeführt. Am 31. Juli 2001 folgte die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 6. März 1997 und 21. Juli 1998 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten (2 Jahre Bewährungszeit; Strafe erlassen mit Wirkung vom 30.9.2003), woraufhin der Kläger mit Schreiben vom 29. November 2001 ausländerrechtlich verwarnt worden ist. Ein Verfahren wegen Bedrohung wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 16. Oktober 2009 mangels öffentlichen Interesses eingestellt. Wegen Körperverletzung wurde der Kläger am 28. Januar 2010 zu einer Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätze verurteilt. Am 12. Juni 2015 erging ein weiteres Urteil wegen Betrugs (drei Monate Freiheitsstrafe; 3Jahre Bewährungszeit). Zugrunde lag der Kauf von Fliesen am 31. Oktober 2014 bei der Einzelfirma F.Z. unter Vortäuschung seiner Zahlungsfähigkeit und -willigkeit und die Beauftragung der vorbezeichneten Firma mit deren Verlegung zum Preis von 2.700,00 Euro laut Angebot vom selben Tage. Hierbei nahm der Kläger zumindest billigend in Kauf, die ihm im Vertrauen auf seine Zahlungsfähigkeit und -willigkeit überlassene Ware und durchgeführten Arbeiten nicht zu bezahlen. Hierdurch ersparte der Angeklagte Aufwendungen in Höhe von 2.700,00 Euro und es entstand ein entsprechender Schaden. Bereits am 15. September 2015 wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und Bankrotts sowie Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in zwei Fällen und Betrugs in 13 Fällen (Gewerbezusammenhang) unter Einbeziehung der Entscheidung vom 12. Juni 2015 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt (Bewährungszeit 4Jahre). Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Mitangeklagte W. formell alleiniger Geschäftsführer der w. UG war. Die Gesellschaft wurde am 3. Februar 2011 durch drei Gesellschafter (den Kläger, W. und Z.) mit einer Einlage von insgesamt 300,00 Euro gegründet und am 1. März 2011 in das Handelsregister eingetragen. Die Gewerbeanmeldung datiert vom 21. März 2011, die Gewerbeabmeldung vom 9. September 2011. In dieser Zeit hatte die UG ihren Sitz in der H.gasse in N. Tatsächlich wurde die Gesellschaft jedoch durch den Kläger geführt. Unter dem 15. Dezember 2011, eingegangen am 10. Januar 2012, stellte W. in seiner Funktion als Geschäftsführer beim Insolvenzgericht Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der von ihm geführten UG. Mit Beschluss vom 10. April 2012 wurde das Insolvenzverfahren mangels Masse abgewiesen. Zur Pflichtverletzung bei Zahlungsunfähigkeit: Obwohl - wie W. und der Kläger wussten - die von ihnen geführte Gesellschaft spätestens seit Ende Juli 2011 nicht mehr in der Lage war, ihre fälligen Verbindlichkeiten im Wesentlichen zu befriedigen, unterließen sie es entgegen der ihnen bekannten Verpflichtung als (faktischer) Geschäftsführer gem. 15 a Abs. 1 InsO, spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der von ihnen geführten Gesellschaft zu stellen. Das Geschäftskonto befand sich - wie beide wussten - bereits von Anfang an am Limit, sodass von Anfang an regelmäßig Rücklastschriften eingingen. Spätestens umfangreiche Barabhebungen, zuletzt in Höhe von 10.200,00 Euro am 29. Juli 2011 führten jedoch die Zahlungsunfähigkeit der UG herbei. Zudem blieb die UG ab Juni 2011 Sozialversicherungsbeiträge und ab Juli 2011 auch Lohn für den Arbeitnehmer P. schuldig. Zum Bankrott (Buchführung): Obwohl, wie W. und der Kläger wussten, die von ihnen geführte UG nicht mehr in der Lage war, ihre ernstlich eingeforderten Verbindlichkeiten zu bedienen, unterließen sie es, entgegen der ihnen bekannten diesbezüglichen Verpflichtung als (faktischer) Geschäftsführer eine dem §238 HGB entsprechende Buchführung zu erstellen. Eine Übersicht über den Vermögensstand der UG wurde hierdurch erheblich erschwert. Zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt: In der UG beschäftigten W. und der Kläger Arbeitnehmer, die keine sogenannten Geringverdiener waren. Wie sie wussten, war die UG als Arbeitgeber verpflichtet, jeden versicherungspflichtigen Arbeitnehmer der Einzugsstelle anzumelden (§ 28a Abs. 1 SGB IV) und die Gesamtsozialversicherungsbeiträge abzuführen (§ 28e Abs. 1 SGB IV). Seit dem 1. Januar 2006 sind die Sozialversicherungsbeiträge, wie beide wussten, bis zum drittletzten Bankarbeitstag des jeweiligen Beitragsmonats abzuführen. Ungeachtet dessen unterließen es W. als Geschäftsführer der UG sowie der Kläger als faktischer Geschäftsführer, die nachfolgenden Beiträge der von der UG beschäftigten Arbeitnehmer an die zur Einziehung berechtigte AOK Bayern abzuführen. Insgesamt wurden Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 791,59 Euro (Juni 2011: 245,55 Euro; Juli 2011: 546,04 Euro) nicht oder nicht rechtzeitig an die zuständige Einzugsstelle abgeführt. Die rückständigen Beiträge zahlte W. am 14. September 2015 bei der AOK Bayern ein. Zum Betrug: Im Zeitraum Mai bis September 2011 veranlasste der Kläger, dass im Namen der UG Aufträge zur Beseitigung des Abbruchschutts an verschiedene Entsorgungsunternehmen erteilt wurden, obwohl er - in Kenntnis der schwierigen finanziellen Lage der Gesellschaft - jedenfalls billigend in Kauf nahm, die eingegangenen Verbindlichkeiten aus dem Gesellschaftsvermögen nicht begleichen zu können. Dabei täuschte er die Vertragspartner konkludent über Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit der UG. So getäuscht gingen die Entsorgungsunternehmen in Vorleistung und erbrachten die vertragsgegenständlichen Entsorgungsleistungen. Wie von Anfang an vom Kläger jedenfalls billigend in Kauf genommen, erfolgte auf die hierfür gestellten Rechnungen jedoch nie eine Zahlung der UG. Der Kläger handelte, um sich durch die wiederholte Begehung von Betrugstaten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Gewicht zu verschaffen. Insgesamt verursachte der Kläger hierdurch einen Schaden von 18.689,44 Euro. Beim Kläger wurden im Rahmen der Strafzumessung das umfassende Geständnis, die teilweise (freilich durch W. erfolgte) Schadenswiedergutmachung (AOK) und die länger zurückliegenden Tatzeiten berücksichtigt. Zulasten des Klägers wurden die beträchtliche Höhe der entstandenen Schäden und die zahlreichen, teils einschlägigen, meist aber lange zurückliegenden Vorstrafen gewürdigt. Zu sehen sei zudem die Stellung des Klägers gewesen, sodass die Verhängung von Geldstrafen nicht mehr in Betracht gekommen sei. Zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich sei vielmehr die Verhängung teils kurzer Freiheitsstrafen. Tat- und schuldangemessen seien Einzelstrafen Insolvenzverschleppung (2 Monate), Bankrott (4 Monate), Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (jeweils 2 Monate (2 x)), Betrug (Fall 2; 1 Jahr)), Betrug (sonstige Fälle; jeweils 6 Monate <12x>). Insgesamt habe das Gericht unter nochmaliger Abwägung all dieser Umstände sowie unter zusammenfassender Würdigung der Taten und der Person des Klägers angesichts des Gesamttatbilds unter Einbeziehung der Strafe von 3 Monaten aus dem Urteil vom 12. Juni 2015 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren als schuld- und tatangemessen erachtet. Diese Freiheitsstrafe habe zur Bewährung ausgesetzt werden können, da - auch angesichts des zwischenzeitlich durch die zweiwöchige Untersuchungshaft gewonnenen Hafteindrucks und des nunmehrigen Arbeitsplatzes - zu erwarten sei, dass der Kläger sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde. Aufgrund seines Geständnisses lägen auch besondere Umstände vor, die trotz der Strafhöhe die Aussetzung zur Bewährung ermöglichten. Zwei weitere Verfahren wegen Betruges wurden durch die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth nach §154 StPO am 27. Januar 2015 und 26. Juli 2017 eingestellt. Am 20. September 2017 folgte die der Ausweisung zugrundeliegende Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und Bankrotts in 19 tatmehrheitlichen Fällen und falscher Versicherung an Eides statt und Betrug (Gewerbezusammenhang) unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 15. September 2015 und 12. Juni 2015 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten. Der Verurteilung vom 20. September 2017 lag zu Grunde, dass der Kläger im Februar 2014 sämtliche Geschäftsanteile an einem Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH gekauft hat, bei dem er vorher angestellt war, und sich zum Geschäftsführer bestellte (den als Gegenleistung für die Gesellschaftsanteilsabtretung vereinbarten, zum 30. Dezember 2014 fälligen Betrag von 25.000,00 Euro zahlte der Kläger bis zum Tag der strafgerichtlichen Verhandlung nicht). Spätestens seit Ende September 2014 war das Unternehmen nicht mehr in der Lage, einen wesentlichen Teil seiner Verbindlichkeiten zu begleichen. Gleichwohl stellte der Kläger erst am 25. März 2015 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nachdem zuvor drei Krankenkassen wegen ausbleibender Sozialversicherungsbeiträge eigene Anträge gestellt hatten. Das Insolvenzverfahren wurde mangels Masse nicht eröffnet. Weiterhin stellte der Kläger, entgegen seiner Pflicht als Geschäftsführer, ab August 2014 die Buchführung ein. Er gab ab Anfang Oktober das Privatkonto einer Angestellten der GmbH als vermeintlich neues Geschäftskonto an. Der Angestellten erzählte er, das Konto der GmbH sei gepfändet, die Baustellen müssten aber weiterlaufen, weshalb er Zahlungen leisten und Zugriff auf eingehende Zahlungen haben müsse. Die Angestellte hob das Geld jeweils in Bar ab und übergab es dem Kläger. Tatsächlich wollte er eingehende Gelder vor dem späteren Zugriff durch Insolvenzverwalter oder Gläubiger der GmbH verbergen und verwendete sie teils für das Unternehmen, teils für eigene Zwecke. Es handelte sich dabei im Zeitraum vom 10. Oktober 2014 bis 22. Mai 2015 um 18 Beträge zwischen 737,07 Euro und 17.314,50 Euro, insgesamt 111.657,98 Euro. Obwohl der Kläger das Privatkonto der Angestellten und ein Geschäftskonto bei einer anderen Bank nutzte, gab er am 25. März 2015 beim Insolvenzgericht auf dem entsprechenden Formular an, dass zu keinem Kreditinstitut eine Geschäftsbeziehung bestehe. Er versicherte an Eides Statt die Richtigkeit seiner Auskünfte. Außerdem beauftragte er einen Nachunternehmer mit Sägearbeiten für insgesamt 9.044 Euro, um die Summe seinem Auftraggeber in Rechnung stellen zu können. Da er die Rechnung des Nachunternehmers nicht begleichen konnte, entstand diesem ein entsprechender Schaden. Zu Gunsten des Klägers wertete das Gericht sein vollumfängliches Geständnis, dass er sich schuldeinsichtig und reuig gezeigt hatte, die Taten zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung lange zurücklagen, er den Schaden teilweise wiedergutgemacht hatte und weitere Wiedergutmachung beabsichtigte. Zu seinen Lasten sprach aus Sicht des Strafgerichts - auch unter Berücksichtigung einer straffreien Führung zwischen 2000 und 2010 -, dass er bereits mehrfach und auch einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten war, die Tatsache, dass er bereits seit 2011 zahlreiche Delikte im Zusammenhang mit der Insolvenz von Unternehmen beging sowie die Höhe des verursachten Schadens.
24
Die Entwicklung des Klägers, gegen den - vor der der Ausweisung zugrundeliegenden Verurteilung - zudem Bußgelder nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 SGB II (keine/unrichtige Bescheinigung für Leistungsempfänger) in Höhe von 750 Euro (Bescheid vom 28. April 2010) und in Höhe von 1.125 Euro (Bescheid vom 4.2.2011), nach § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III (unerlaubte Beschäftigung eines Ausländers) in Höhe von 5.000 Euro (Bescheid vom 8.11.2011) und wegen Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes während einer Autofahrt (Bescheid vom 20.7.2017) im Bundesgebiet verhängt worden sind, in der Folgezeit lässt nicht darauf schließen, dass die durch diese Delinquenz indizierte Gefährlichkeit des Klägers abgenommen hat oder gar beseitigt ist. Nach dem persönlichen Verhalten des Klägers muss weiterhin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
25
Der Senat geht beim Kläger weiterhin davon aus, dass das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Die strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers zeigen, dass der Kläger in der Vergangenheit wiederholt und in sich steigernder Form insbesondere Vermögensstraftaten begangen hat. Der Senat vermag zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht zu erkennen, dass der Kläger dauerhaft von der Begehung vergleichbarer Straftaten Abstand nehmen wird. Dies ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass er derzeit als „angestellter Bauleiter“ tätig ist. Wie die Beklagte in ihrer Zulassungserwiderung zurecht anführt, ist der Kläger in der Vergangenheit auch bereits als faktischer Geschäftsführer aufgetreten und hat in dieser Rolle erhebliche Straftraten begangen. Auch aus dem Umstand, dass nach der Verurteilung vom 20. September 2017 (soweit ersichtlich) - trotz der Unterbringung im offenen Vollzug bis 9. September 2020 und auch danach - keine weiteren Verurteilungen wegen Vermögensstraftaten erfolgt sind, lässt sich dies nicht ableiten. Dies umso mehr, weil der Kläger während des offenen Vollzugs (und sogar nach der Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung) wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. So wurde der Kläger am 24. Januar 2019 wegen Bedrohung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger während seiner Unterbringung im offenen Vollzug zwischen dem 1. und 3. Juni 2018 während seines Freigangs den Geschädigten M. in N. aufsuchte und ihn mit „Hurensohn“ betitelte und gegenüber diesem äußerte, dass er ihn „abstechen“ werde. Zudem rief der Kläger zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt am 21. Juli 2018 erneut bei M. an und drohte ihm, dass er ihn „umbringen“ werde. Außerdem würde er „vorbei kommen“ und M.s Frau „vor seinen Augen ficken“. M. stellte aus Angst vor Repressalien durch den Kläger keinen Strafantrag wegen der Beleidigung. Die Bedrohungen nahm M. jeweils ernst. Ein Verfahren wegen Verstößen gegen das AufenthG (Az. 80 Js 89/20) wurde durch die Staatsanwaltschaft Mü. mit Verfügung vom 23. März 2020 gemäß §154 StPO eingestellt. Zudem wurden gegenüber dem Kläger zeitlich nach der Verurteilung vom 20. September 2017 Bußgeldbescheide wegen verschiedener Verkehrsordnungswidrigkeiten erlassen (Bescheide vom 28.12.2020, 12.1.2021 und 12.4.2021). Darüber hinaus verstößt der Kläger gegen die Aufenthaltsbeschränkung aus §61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (strafbar nach §95 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG). Der Kläger hat durch diese Verhalten dokumentiert, dass er nicht bereit ist, sich an die geltende Rechtsordnung zu halten (obwohl er in - soweit ersichtlich - allen Strafverfahren geständig und reuig war und in der Folge doch wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist). In seiner im Zulassungsverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 24. Juni 2022 führt der Kläger zwar aus, dass er seine bisherigen Straftaten bereue und zukünftig ein straffreies Leben führen wollte und werde. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel daran, ob er tatsächlich ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein besitzt und ihm die Erheblichkeit seiner Straffälligkeit überhaupt bewusst ist. In der von ihm ebenfalls im Zulassungsverfahren vorgelegten Stellungnahme (ohne Datum) führt er nämlich aus, dass die Beklagte ihn „wegen 12 alte[n] und kleine[n] Einträge[n]“ abschieben wolle (in die gleiche Richtung geht die Aussage des Bruders des Klägers im Telefonat mit der Beklagten am 10.1.2018, in dem er die im strafgerichtlichen Urteil vom 20. September 2017 abgeurteilten Taten als „keine schwere Straftat“ bezeichnet hat). Die Gefährlichkeit des Klägers hat weder abgenommen noch ist sie gar beseitigt. Ein Nachweis dafür, dass das Amtsgericht D.-C.-R. Mitte April 2022 entschieden habe, für den Kläger sei aufgrund seines Verhaltens, eigener Wohnung und Arbeitsstelle etc. kein Bewährungshelfer mehr erforderlich, ist nicht vorgelegt worden.
26
1.3 Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht ernstlich im Sinne des §124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
27
Die Ausweisung erweist sich für die Wahrung des Grundinteresses der Gesellschaft als unerlässlich (§ 53 Abs. 3 AufenthG). Im Rahmen der Prüfung der Unerlässlichkeit der Ausweisung nach § 53 Abs. 3 AufenthG ist zu beachten, dass die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein müssen, wobei sämtliche konkreten Umstände, die für die Situation des Betroffenen kennzeichnend sind, zu berücksichtigen sind (vgl. BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 BV 13.421 - juris Rn. 77 m.w.N.). Unerlässlichkeit ist dabei nicht im Sinne einer „ultima ratio“ zu verstehen, sondern bringt den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass das nationale Gericht eine sorgfältige und umfassende Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen hat (BayVGH, B.v. 27.9.2017 - 10 ZB 16.823 - juris Rn. 20). Auch im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG ist unter Berücksichtigung des besonderen Gefährdungsmaßstabs für die darin bezeichneten Gruppen von Ausländern eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG durchzuführen.
28
Ein Ausländer kann - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in §54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49); durch diese Begriffe wird die Abwägung strukturiert.
29
Das Verwaltungsgericht hat sowohl die Umstände ermittelt und in die Abwägung eingestellt, die zugunsten des Klägers sprechen und zu einem Bleibeinteresse führen, als auch solche, die ein Ausweisungsinteresse begründen. Es ist in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt. Zugunsten des Klägers ist der zu der Annahme eines besonders schwerwiegenden Bleibeinteresses gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG führende Umstand zu berücksichtigen, dass er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit seiner Geburt im Bundesgebiet aufhält. Er ist jedoch im Bundesgebiet strafrechtlich in Erscheinung getreten und dafür erheblich belangt worden (vgl. insoweit die Ausführungen zu Nr. 1.1). Die der Ausweisung zugrundeliegende Verurteilung vom 20. September 2017 zu drei Jahren und 2Monaten begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß §54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
30
Die besonders schwerwiegenden Interessen stehen sich grundsätzlich gleichrangig gegenüber. Welches Interesse überwiegt, ist immer im Rahmen einer Interessenabwägung (die das Verwaltungsgericht entgegen der klägerischen Auffassung unzweifelhaft durchgeführt hat) zu klären, schon allein deshalb, weil nach der Vorstellung des Gesetzgebers neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen auch noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar sind (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Selbst das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses, bei dessen Vorliegen ein besonderes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht und häufig von einem Übergewicht des öffentlichen Interesses an der Ausweisung auszugehen sein wird, entbindet nicht von der Notwendigkeit der in §53 Abs. 1 AufenthG vorgeschriebenen umfassenden Interessenabwägung mit eventuellen Bleibeinteressen des Betroffenen (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 - juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Bei Vorliegen besonderer Umstände können die Ausweisungsinteressen auch weniger schwer zu gewichten sein (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 50). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse kann daher das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedürfen, als dies für die Erfüllung des gesetzlich vertypten Ausweisungsinteresses erforderlich ist (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Es verbietet sich zudem aber auch eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (BayVGH, U.v. 21.11.2017 - 10 B 17.818 - juris Rn. 41; VGH BW, U.v. 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris Rn. 142).
31
Auch wenn vorliegend die gesetzlichen Typisierungen einen Gleichrang von Ausweisungsinteresse und Bleibeinteresse ergeben, ist die verwaltungsgerichtliche Auffassung, dass bei der gebotenen Einbeziehung der Umstände des Einzelfalls das Ausweisungsinteresse deutlich überwiegt, nicht zu beanstanden.
32
Soweit der Kläger geltend macht, die Ausweisung sei unverhältnismäßig im Hinblick auf Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK, zu Unrecht sei nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger ausschließlich im Bundesgebiet aufgewachsen und nur in Deutschland verwurzelt und integriert sei, zum Herkunftsland seiner Eltern/Armenien und Türkei, außer weniger Besuche, keinerlei Kontakte habe und dort weder eine Wohnung, geschweige denn eine Arbeitsstelle habe, greift diese Auffassung nicht durch. Die Ausweisung ist vielmehr auch unter Berücksichtigung der Familienverhältnisse des Klägers weder ein Verstoß gegen Art. 6 GG/Art. 8 EMRK noch unverhältnismäßig. Offenbleiben kann, ob es sich bei dem im Bundesgebiet geborenen Kläger um einen sog. „faktischen Inländer“ handelt (wofür allerdings einiges spricht). Die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ entbindet nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen; darüber hinaus besteht auch für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 19). Trotz seines langen Aufenthalts im Bundesgebiet ist dem Kläger ein Leben im Einklang mit der Rechtsordnung nicht gelungen. Eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist nur bedingt zu verzeichnen (nach der Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses seitens seines Arbeitgebers war er zunächst arbeitslos; danach führte er überwiegend Aushilfstätigkeiten aus, wobei die Arbeitsverhältnisse nicht von langer Dauer waren; seine dazwischen immer wieder ausgeübte selbständige Tätigkeit nutzte der Kläger zur Begehung von Straftaten; ab Mitte Mai 2016 bis zu seiner Inhaftierung lebte der Kläger von der Unterstützung seiner Familie; erst im offenen Vollzug ging er wieder einer abhängigen Beschäftigung nach, zunächst als Kraftfahrer, dann bei einem Bauunternehmen). Der Kläger ist in den letzten 30 Jahren durch verschiedene - auch schwerwiegende - Delikte strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger fast sein gesamtes Leben in der Bundesrepublik verbracht hat, überwiegt das Ausweisungsinteresse im Hinblick auf die vom Kläger verübten massiven Straftaten und die daraus resultierenden schwerwiegenden Gefahren. Es wird nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der langen Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Grundrechtseingriff darstellt. In Anbetracht der Schwere der die Ausweisung veranlassenden Vermögens- bzw. Insolvenzdelikte und der zahlreichen Vorstrafen des Klägers kann jedoch nur schwerlich von einer gelungenen Integration in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden. Dem Kläger ist es zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit wieder Fuß zu fassen und die familiären Kontakte von dort aus aufrecht zu erhalten. Ausgehend von der Sozialisation in einer türkischen Familie und der beabsichtigten Eheschließung bzw. Familiengründung mit einer deutschen Staatsangehörigen türkischer Volkszugehörigkeit bestehen keinerlei Anhaltspunkte (was auch nicht vorgetragen ist), dass der Kläger die türkische Sprache beherrscht und ihm die heimatstaatlichen Lebensverhältnisse vertraut sind. Selbst ohne familiäre Unterstützung vor Ort (eine Unterstützung durch seine Familie von Deutschland erscheint jedenfalls nicht als unmöglich) ist dem Kläger eine Integration in der Türkei möglich und zumutbar. Diese Ausführungen gelten auch in Anbetracht des nunmehr eingeleiteten Eheschließungsverfahrens mit einer deutschen Staatsangehörigen türkischer Volkszugehörigkeit (in der Klage- und Antragsschrift vom 29.5.2018 war noch von der geplanten Hochzeit mit einer französischen Staatsangehörigen die Rede; das Verwaltungsgericht hat entgegen der Auffassung des Klägers den Umstand des beabsichtigten Eheschlusses mit einer deutschen Staatsangehörigen berücksichtigt und sich mit dem klägerischen Vortrag auseinandergesetzt). Insoweit sind bereits keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Letzteres ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist (BayVGH, B.v. 27.2.2008 - 19 CS 08.216 - juris Rn. 13), etwa weil das zuständige Standesamt den Eheschließungstermin als unmittelbar bevorstehend bezeichnet hat (NdsOVG, B.v. 1.8.2017 - 13 ME 189.17 - juris Rn. 7 m.w.N.). Da in der mit Schriftsatz vom 12. September 2022 vorgelegten „Mitteilung“ des Standesamtes H. vom Kläger insbesondere die Vorlage eines Ehefähigkeitszeugnisses der türkischen Behörden verlangt wird, kann sich das Verfahren durchaus noch in die Länge ziehen. Im Übrigen wäre die Ehe mit seiner deutschen Verlobten in Kenntnis der Ausweisung und des insoweit unsicheren Aufenthaltsstatus des Klägers geschlossen worden. Der Verlobten musste und muss klar sein, dass sie eine Beziehung mit einem vielfach delinquenten Ausländer führt, dessen weiterer rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet ferne liegt. Daher ist eine auf Besuchsreisen und fernmündlichen Kontakt beschränkte eheliche Beziehung ebenso zumutbar. Ersichtlich zu Recht weist die Beklagte vorsorglich auch darauf hin, dass die zu treffende Interessenabwägung insoweit auch nicht durch eine Eheschließung mit der Verlobten in Frage gestellt würde.
33
1.4 Soweit der Kläger geltend macht, die Ausweisungsdauer von 6Jahren verstoße gegen Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der RL 2008/115/ EG, wonach grundsätzlich eine Dauer von 5Jahren nicht überschritten werden dürfe, weil eine rechtmäßige Abwägung, warum in dem hier vorliegenden Fall hiervon abgewichen werden könne, weder von der Beklagten noch vom Erstgericht erfolgt sei, greift diese Rüge nicht durch.
34
Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Bewertung der Befristungsentscheidung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Senats (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18.14, BVerwGE 151, 361 Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, U.v. 12.7.2016 - 10 BV 14.1818 - juris Rn. 61).
35
Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F.), wobei in der behördlichen Befristungsentscheidung - wie hier - der konstitutive Erlass eines befristeten Einreiseverbots zu sehen ist (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28.16 - juris Rn. 42 und v. 21.8.2018 - 1 C 21/17 - juris Rn. 25). Wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, darf die Frist fünf Jahre übersteigen und soll zehn Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 AufenthG n.F.). Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG n.F.). Dies hat zur Folge, dass das Gericht die Länge der Frist grundsätzlich nur in dem durch §114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfen darf. Eine Fristverkürzung durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde erneut Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 47; BayVGH, U.v. 12.7.2016 - 10 BV 14.1818 - juris Rn. 59 m.w.N.).
36
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen; dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 14.12 - juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 25.8.2015 - 10 B 13.715 - juris Rn. 56; BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 50; BayVGH, U.v. 12.7.2016 - 10 BV 14.1818 - juris Rn. 67).
37
Dem Kläger steht im Rahmen der behördlichen Fristbestimmung grundsätzlich ein Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens zu. Die Beklagte hat diesen Anspruch aber durch eine fehlerfreie Ermessensausübung im Bescheid vom 18. Mai 2018 erfüllt. Es ist insoweit nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auch unter Berücksichtigung der in der Folgezeit eingetretenen Ereignisse (Haftentlassung, erneute Straffälligkeit, beabsichtigte Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen) an ihrer ursprünglichen Fristbestimmung festhält, weil sie - in zulässiger Weise (vgl. die Ausführungen zu Nr. 1.1) - weiterhin von einer Wiederholungsgefahr beim Kläger ausgeht. Die wesentlichen Umstände haben sich nicht maßgeblich verändert (vgl. die obigen Ausführungen zur beabsichtigten Eheschließung). Die festgesetzte Höhe der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist angesichts der beim Kläger weiterhin bestehenden Wiederholungsgefahr und der nicht unmittelbar bevorstehenden Eheschließung nicht unverhältnismäßig (eine Frist über 5Jahre ist insbesondere möglich, wenn - wie hier - von dem Ausländer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, § 11 Abs. 5 Satz 2 AufenthG n.F., §11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG a.F., Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RL 2008/115/EG). Daher ist vorliegend nicht zu beanstanden, dass aus dem Bescheid nicht ersichtlich ist, ob (und ggf. in welcher Höhe) die Beklagte im Rahmen der Fristermittlung eine Verkürzung vorgenommen hat. Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, neu unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, da Ermessensfehler nicht ersichtlich sind.
38
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht gesondert begründet worden und daher schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt. Insoweit hätte es einer substanziellen Auseinandersetzung mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil und einer Darlegung im Einzelnen bedurft, hinsichtlich welcher aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung auftretenden Fragen sich besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten ergeben sollen (BayVGH, B.v. 2.5.2011 - 8 ZB 10.2312 - juris Rn. 21 m.w.N.).
39
3. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht den Anforderungen des §124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt.
40
Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, warum der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.12.2015 - 10 ZB 15.1394 - juris Rn. 16 m.w.N.). Der Kläger hat vorliegend bereits keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert.
41
4. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht abgelehnten Beweisantrags liegt ebenfalls nicht vor.
42
Der Beweisantrag war auf die Beiziehung der JVA-Akte des Klägers zum Beweis der Tatsache gerichtet, dass vom Kläger keine Gefahr mehr ausgehe, erneut Straftaten zu begehen, und dass somit von einer positiven Sozialprognose auszugehen sei, hilfsweise, sollte dies nach Auffassung des Gerichts nach Einsicht in die JVA-Akte noch erforderlich sein, wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu obigen Beweisthema beantragt. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es handle sich bei der Frage der Beurteilung einer Wiederholungsgefahr um eine Rechtsfrage, die von dem Gericht selbst zu beurteilen sei. Bei der Prognoseentscheidung der Wiederholungsgefahr bewege sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich seien. Im Übrigen habe der Klägerbevollmächtigte keinerlei konkrete Beweistatsachen benannt, so dass auch von einem unzulässigen Beweisermittlungsantrag auszugehen sei.
43
Zur Begründung dieses Zulassungsgrundes lässt der Kläger insoweit vortragen, durch die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages zur Frage der Gefahrprognose habe das Verwaltungsgericht das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Hätte es diesem stattgegeben, hätte sich aus der Justizvollzugsakte des Klägers ergeben, dass für ihn eine Wiederholung von vergleichbaren Straftaten, die dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde gelegt worden seien, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht drohe. Auch die zulässigerweise beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens - bei Zweifeln des Erstgerichtes nach Würdigung der Strafvollzugsakte des Klägers - sei zu Unrecht abgelehnt worden. Die genannten Gründe der Ablehnung trügen die Ablehnungsentscheidung des Gerichtes nicht. Dies zumal das Gericht zu Recht darauf hingewiesen habe, dass nach der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen sei. Zu Recht werde dort zwar darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden seien und dass bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohe, sämtliche besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen seien, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. Das Gericht habe somit zwar zutreffende Rechtssätze aufgestellt, diese jedoch rechtswidrig nicht angewandt.
44
Diese Rügen greifen nicht durch.
45
Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich nicht, dass die Ablehnung des Beweisantrags verfahrensfehlerhaft erfolgt ist. Die Ablehnung eines förmlichen (unbedingt gestellten) Beweisantrags verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör nur dann, wenn sie im maßgeblichen Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (BVerfG, B.v. 22.9.2009 - 1 BvR 3501/08; B.v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60/61; BVerwG, B.v. 14.8.2017 - 9 B 4.17 - juris Rn. 6; B.v. 10.8.2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 10; B.v. 11.6.2014 - 5 B 19/14 - juris Rn. 18; B.v. 4.12.2013 - 5 B 42/13 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 16.1.2013 - 13a ZB 12.30425 - juris Rn. 8). Das Verwaltungsgericht hat den Antrag in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und begründet beschieden (vgl. §86 Abs. 2 VwGO).
46
Auch die Begründung ist nicht zu beanstanden. Ein Beweisantrag ist unter anderem dann unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Auch Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden (BVerwG, B.v. 30.5.2014 - 10 B 34.14 - juris Rn. 9 m.w.N.)
47
Die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gestellten Beweisantrags (Einsichtnahme in die JVA-Akte) stellt keinen Gehörsverstoß dar. Der Kläger benennt kein konkretes Dokument in der JVA-Akte, das eine Hilfestellung für die eigene Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichts hätte bieten können. Der Beweisantrag ist daher zu unbestimmt, weil im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann. Daher hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag sinngemäß zurecht als unsubstantiiert abgelehnt. Die JVA-Akte an sich stellt kein geeignetes Beweismittel zur Unterstützung der letztlich maßgeblichen richterlichen Überzeugungsbildung über das Bestehen einer Wiederholungsgefahr dar.
48
Soweit das Zulassungsvorbringen auch auf den hilfsweise gestellten Antrag abstellt, greift dieses schon deshalb nicht durch, weil der Hilfsantrag unter der Bedingung gestellt worden ist, dass „dies nach Auffassung des Gerichts nach Einsicht in die JVA-Akte noch erforderlich sein“ sollte, und es zur Einsicht in die JVA-Akte nach Ablehnung des Hauptantrags nicht gekommen ist.
49
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
50
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).