Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.10.2022 – 19 CS 22.1456
Titel:

rechtmäßige Ausweisung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln 

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 54 Abs. 1 Nr. 1
EMRK Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen.  (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Ausländer hat keinen Anspruch darauf, so lange in einer Therapieeinrichtung in der Bundesrepublik zu verbleiben, bis seine Suchterkrankung geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht.  (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anordnung der sofortigen Vollziehung, Ausweisung, Anordnung Einreise- und Aufenthaltsverbot, Betäubungsmitteldelikte und -abhängigkeit, Betäubungsmitteldelikt, Drogenkonsum, Beschaffungskriminalität, generalpräventives Ausweisungsinteresse, faktischer Inländer
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 31.05.2022 – AN 11 S 22.138
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29766

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Der Antragsteller, ein am ... 1993 im Bundesgebiet geborener serbisch-kosovarischer Staatsangehöriger, verfolgt mit seiner Beschwerde die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den am 26. Mai 2021 per Empfangsbekenntnis zugestellten Bescheid der Antragsgegnerin weiter. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Nr. I.), ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von sieben Jahren beginnend mit der Abschiebung bzw. Ausreise verfügt (Nr. II.), die sofortige Vollziehung der Maßnahmen unter I. und II. ausnahmsweise angeordnet (Nr. III.), die Abschiebung des Antragstellers unmittelbar aus der Haft bzw. der angeordneten Unterbringung heraus insbesondere in den Kosovo, frühestens eine Woche nach Zustellung der Entscheidung angeordnet (Nr. IV.) und den Antragsteller aufgefordert, sollte seine Abschiebung aus der Strafhaft bzw. der angeordneten Unterbringung heraus nicht möglich sein, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche nach Haftentlassung zu verlassen, andernfalls wurde ihm die Abschiebung insbesondere in den Kosovo angedroht (Nr. V.). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass aufgrund der Verurteilung vom 12. November 2020 des vordelinquenten und seit seiner Jugend betäubungsmittelabhängigen Antragstellers (mittelschwere Abhängigkeit von Cannabinoiden und ein schädlicher Gebrauch von Kokain) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren sechs Monaten unter Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Vorwegvollzug von neun Monaten) ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG vorliege, das das aus dem Besitz einer Niederlassungserlaubnis und des lebenslangen Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet resultierende besonders schwerwiegende Bleibeinteresse gemäß §55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG überwiege; Ausweisungszweck sei auch die Generalprävention.
2
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ausweisung mit der Begründung abgelehnt, die Anordnung des Sofortvollzugs erfülle in formaler Hinsicht die Voraussetzungen des §80 Abs. 3 VwGO und die Ausweisungsverfügung sei im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des §53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG seien erfüllt. Der Antragsteller habe schwerwiegende Straftaten begangen, deren konkrete Wiederholungsgefahr drohe, so dass sein Verhalten gegenwärtig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Der 29-jährige Antragsteller konsumiere schon seit seinem 14. Lebensjahr Drogen und sei seit dem Alter von 16 Jahren suchtmittelabhängig. Er habe bis zu seiner Verurteilung verschiedene Arten von Betäubungsmitteln konsumiert, wobei sich eine Steigerung bis hin zu der gefährlichen Droge Kokain entwickelt habe. Sein Alltag sei vom Drogenkonsum und -handel geprägt gewesen; er habe es trotz seines Hauptschulabschlusses nicht geschafft, eine Ausbildung zu absolvieren oder für längere Zeit erwerbstätig zu sein. Aufgrund dessen seien für die Kammer keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, wie der Antragsteller seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft auf legalem Wege bestreiten könne. Dem Antragsteller sei eine wirtschaftliche Integration trotz seiner Geburt und des Schulabschlusses im Bundesgebiet nicht gelungen. Zudem sei der Antragsteller schon vor der Anlasstat mehrfach, in den Jahren 2012, 2016 und 2018, wegen Betäubungsmitteldelikten mit zunehmendem Strafmaß verurteilt worden, was den Antragsteller dennoch nicht davon abgehalten habe, erneut einschlägige Delikte zu begehen. Eine Zäsur im Lebenslauf des Antragstellers, die die Wiederholungsgefahr entfallen lassen könnte, sei nicht ersichtlich. Insbesondere hätten seine Familie und seine Lebensgefährtin ihn nicht von der Begehung der Straftaten abhalten können. Die Kammer verkenne nicht, dass der Antragsteller derzeit im Bezirkskrankenhaus eine Drogentherapie absolviere und sich therapiebereit und -motiviert gezeigt habe. Jedoch ergebe sich daraus keine abweichende Bewertung, denn der Antragsteller habe seine Suchtmittelproblematik damit keinesfalls überwunden. Ein vollständiger Abschluss der Drogentherapie liege nicht vor; der Antragsteller habe sich noch nicht hinreichend in Freiheit bewährt. Die Antragsgegnerin habe wohl zudem die Ausweisung zu Recht auf generalpräventive Erwägungen gestützt. Das generalpräventive Ausweisungsinteresse sei vorliegend noch aktuell. Die Ausweisung sei wohl unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse nach § 54 AufenthG das Bleibeinteresse des Antragstellers nach §53 Abs. 2 i.V.m. § 55 AufenthG überwiege. Trotz des lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet sei es dem Antragsteller nicht gelungen, sich in die Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren, was anhand der aufgezeigten schweren Delinquenz, seines Drogenkonsums und einer fehlenden dauerhaften Beschäftigung erkennbar sei. Die Kammer gehe davon aus, dass es dem Antragsteller gelingen werde, sein Leben in seinem Heimatland fortzuführen. Es sei anzunehmen, dass der Antragsteller als Kind kosovarischer Einwanderer mit der Kultur des Heimatlands vertraut sei. Die Ausweisung erweise sich wohl auch unter Berücksichtigung von höherrangigem Recht, insbesondere von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig. Angesichts der Gefahr weiterer erheblicher Straftaten durch den mehrfach straffälligen und rückfälligen Antragsteller sei der Umstand, dass er in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen sei und hier sein bisheriges Leben verbracht habe, nicht so gewichtig, dass dies unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der angefochtenen Ausweisungsentscheidung entgegenstehe. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich. Die Wirkungen des Sofortvollzugs seien im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller weitgehend reparabel; dies gelte für die durch einen Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gefährdeten Rechtsgüter nicht. Das für die Dauer von sieben Jahren erlassene und für sofort vollziehbar erklärte Einreise- und Aufenthaltsverbot finde seine Rechtsgrundlage in §11 AufenthG. Die zu überprüfenden Annexentscheidungen seien nicht zu beanstanden.
3
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß §146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin wiederherzustellen.
4
Der Antragsteller führt zur Begründung seiner Beschwerde aus, die Frage, ob die Antragsgegnerin die Anordnungen ausreichend begründet habe, sei nicht alleine maßgeblich. Die vermeintlichen Sofortvollzugsgründe müssten nicht nur schriftlich begründet werden, sondern tatsächlich auch bestehen. Dies sei jedoch nicht der Fall, zumal die Antragsgegnerin gar keinen Sofortvollzugsgrund habe benennen können. Es liege bereits keine tragfähige schriftliche Begründung des Sofortvollzugs der Ausweisungsverfügung vor. Die Antragsgegnerin führe aus, dass der Sofortvollzugsgrund darin bestünde (Bescheid S. 11), dass das öffentliche Interesse über das Ausweisungsinteresse aus spezialpräventiven Gründen hinausgehe, da ansonsten der Zweck, zukünftige Straftaten konkret zu unterbinden, nicht erreicht werden könne. Diese Begründung zeige aber, dass die Antragsgegnerin die Ausnahme der Anordnung des Sofortvollzugs gerade nicht erkannt habe, die ein besonderes Sofortvollzugsinteresse verlange. Denn das von der Antragsgegnerin angeführte Sofortvollzugsinteresse entspreche vollständig dem Hauptsacheinteresse und gehe über dieses gerade nicht hinaus. Die Behauptung, das Ausnahmeverhältnis von Suspensiveffekt und Sofortvollzugsanordnung sei erkannt worden, erweise sich somit als Leerformel, die durch die Nichtbenennung eines über das Vollzugsinteresse hinausgehende Sofortvollzugsinteresse substanzlos sei. Die Anordnung des Sofortvollzugs könne nicht ihre Rechtfertigung darin finden, dass sie ja gerichtlich überprüft werden könne. Vielmehr müsse sie aus sich heraus selbst gerechtfertigt sein. Sie könne nur gerechtfertigt sein, wenn zulässige Gründe dafür dargelegt werden könnten. Es handele sich hierbei also nicht um eine ausreichende Begründung, sondern um einen Zirkelschluss. Die Antragsgegnerin vermöge im Kern nicht darzulegen, worin das Sofortvollzugsinteresse liegen könnte. Daher sei es auch falsch, wenn das Verwaltungsgericht meine, aus der Begründung sei zu erkennen, weshalb dem Sofortvollzugsinteresse Vorrang vor dem Suspensivinteresse eingeräumt worden sei. Dass sich die Wiederholungsgefahr während eines länger andauernden Hauptsacheverfahrens realisieren kann, sei nicht etwa mehr als die konkrete Polizeigefahr, die §53 Abs. 1 AufenthG für die Verfügung der Ausweisung als solche voraussetze, sondern weniger. Die Antragsgegnerin habe noch nicht einmal prognostiziert, dass sich die Wiederholungsgefahr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit realisieren werde, noch eine derartige Annahme auf eine tragfähige Grundlage gestützt. Es liege somit zweifelsfrei ein Begründungsdefizit vor. Eine individuelle Begründung, wie sie das Verwaltungsgericht erkennen wolle, liege ebenso wenig vor, da gleichlautende Begründungen sich in zahlreichen Bescheiden der Stadt Nürnberg fänden und nicht einmal im Ansatz dargelegt werde, weshalb die Realisierung der Wiederholungsgefahr „zu befürchten“ sei. Soweit angeführt werde, dass dies bereits „kurzfristig nach der Entlassung“ sein könne, werde nicht dargelegt, wann denn eine Entlassung überhaupt erfolgen könnte und weshalb diese während des Hauptsacheverfahrens anstehen solle. Ebenso wenig werde dargelegt, weshalb dies dann mit einer Gefahr verbunden wäre. Das Strafende sei auf den 25. August 2027 berechnet. Dass eine frühere Entlassung anstehe, habe weder das Verwaltungsgericht noch die Antragsgegnerin ausgeführt. Die Mindestanforderungen an die Begründung seien nicht erfüllt und es handele sich ausschließlich um in vielen Bescheiden verwendete Formulierungen ohne jeden individuellen Bezug; dieser Mangel sei nicht heilbar. Es sei auch nicht zutreffend, dass es sich bei §80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nur um eine formelle Rechtsmäßigkeitsvoraussetzung handele, so dass die Anordnung bereits aus diesem Grund aufzuheben gewesen wäre. Die gegenteilige Auffassung würde der „verfassungsrechtliche Bedeutung“ der Ausnahme von dem Regelfall des Suspensiveffekts nicht gerecht. Denn §80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO normiere eine Ausnahme von § 80 Abs. 1 VwGO. Es sei in materieller Hinsicht ein besonderes Sofortvollzugsinteresse erforderlich, das über das Ausweisungsinteresse hinausgehe. Sonst hätte der Gesetzgeber die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung eingeführt. Aufgrund der hohen Anforderungen an den Sofortvollzug könne bei fehlerhafter Begründung eine verbesserte Begründung seitens des Gerichts diesen nicht rechtfertigen oder die Anordnung allein wegen fehlender Erfolgsaussichten aufrecht erhalten bleiben. Denn es müsse die Behörde sein, die eine Entscheidung über die Anordnung des Sofortvollzugs aufgrund einer tragfähigen Begründung treffe. Demnach führe die formelhafte Begründung der Antragsgegnerin, wonach eine Wiederholungsgefahr „ggf.“ im Rahmen eines „evtl.“ längerfristigen Hauptsacheverfahrens „kurzfristig nach der Entlassung“ eintreten könnte, dazu, dass die Anordnung bereits wegen des Begründungsmangels aufzuheben sei. Darüber hinaus fehle es an einer entsprechenden Prognose. Erst recht sei es nicht zulässig, dass das Verwaltungsgericht hier eigene Erwägungen anstelle, weshalb der Sofortvollzug angeordnet werden könnte. Das Verwaltungsgericht meine, die Anordnung des Sofortvollzugs der Ausweisung sei als Präventivmaßnahme erforderlich. Das habe die Antragsgegnerin aber gar nicht als Begründung angefügt. Was das Verwaltungsgericht damit ausdrücken wolle, dass diese Erforderlichkeit „regelmäßig“ zu bejahen sei, wenn die schwerwiegenden Gründe der Ausweisung schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen könnten, bleibe ähnlich im Verborgenen wie die - tatsächlich relevante - Begründung der Antragsgegnerin. Eine derartige Regelmäßigkeit hebe gerade das vom Gesetzgeber normierte Regel-Ausnahmeverhältnis auf und verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Wenn das Verwaltungsgericht meine, dass die Erforderlichkeit der Anordnung regelmäßig zu bejahen sei, handele es sich dabei um nichts Anderes als um eine generelle Erwägung, die nicht im Ansatz auf den Einzelfall zu sprechen komme, was bereits durch die Bezeichnung als „regelmäßig“ augenfällig werde. Diese Erwägung sei rechtswidrig, da es schon der Behörde nicht zustehe, einen regelmäßigen also generellen Sofortvollzugsgrund anzunehmen, den der Gesetzgeber ausdrücklich nicht normiert habe. Erst recht stehe dies dem Verwaltungsgericht nicht zu, da dieses den Sofortvollzug überhaupt nicht anordnen dürfe. Im Kern versuche das Verwaltungsgericht eine Art Interessenabwägung vorzunehmen, obwohl es tatsächlich um die Frage des Bestehens eines legitimen Sofortvollzugsinteresses gehen müsste.
5
Weder das Verwaltungsgericht noch die Antragsgegnerin hätten eine konkrete Gefahr, die über das Hauptsache-Vollzugsinteresse hinausgehen würde, beschrieben, geschweige denn geprüft. Abgesehen davon habe das Verwaltungsgericht dieses Defizit auch nicht durch eigene Erwägungen ersetzen dürfen.
6
Überhaupt keine Prüfung finde statt, soweit es um die Frage des Sofortvollzugs des Einreise- und Aufenthaltsverbots gehe. Hier verweise das Verwaltungsgericht nur „nach oben“ auf die Anordnung des Sofortvollzugs der Ausweisungsverfügung. Es werde demnach noch nicht einmal mit einem Satz dargelegt, weshalb hier ein Sofortvollzugsinteresse bestehen sollte. Unbeschadet der Frage, ob es sich bei § 80 Abs. 3 VwGO um ein formales Begründungserfordernis handele, müsse das Sofortvollzugsinteresse natürlich tatsächlich vorliegen und bestehen. Das Verwaltungsgericht habe überhaupt keine Prüfung vorgenommen, was die Verweisung zeige. Ebenso wenig habe das Verwaltungsgericht geprüft, ob insoweit das Begründungserfordernis überhaupt vorliege. Es differenziere nicht zwischen der Anordnung des Sofortvollzugs der Ausweisungsentscheidung und der des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Für dieses habe die Antragsgegnerin aber ebenfalls nicht vermocht, ein Sofortvollzugsinteresse zu benennen. Vielmehr stütze sie sich darauf, dass ohne Fernhaltung der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden könne. Sie begründe also die Maßnahme (Fernhaltung) mit dem Zweck der Maßnahme, was keine Begründung dafür sei, weshalb der Sofortvollzug angeordnet werde. Zukünftig Straftaten „konkret zu unterbinden“ sei kein von dem Hauptsacheinteresse abweichendes Interesse und auch kein über dieses hinausgehendes. Die Identität der Interessen liege auf der Hand. Abgesehen davon handele es sich um eine formelhafte Begründung, wie sie die Antragsgegnerin in einer Vielzahl von Bescheiden verwende.
7
Es sei kein Sofortvollzugsgrund benannt und es liege auch keiner vor. Die Antragsgegnerin führe kein einziges Interesse an, das über die spezialpräventive Gründe hinausgehen würde. Vielmehr handele es sich bei der Behauptung, dass dies der Fall sei, um eine reine Leerformel. Der Zweck, zukünftige Straftaten konkret zu unterbinden, sei eine Umschreibung des Motivs einer spezialpräventiven Ausweisung und nicht etwa ein über die spezialpräventiven Gründe hinausgehender Sofortvollzugsgrund. Die Begründung des Sofortvollzugs sei deckungsgleich mit der Begründung der spezialpräventiv begründeten Ausweisung als solche. Doch auch bereits bei der Begründung der spezialpräventiven Notwendigkeit führe die Antragsgegnerin tatsächlich keine Umstände an, die eine Wiederholungsgefahr erwarten lassen würden. Es werde lediglich auf die „Gesamtpersönlichkeit“ abgestellt und noch nicht einmal im Ansatz angefügt, weshalb trotz des mittlerweile erfolgten Vollzugs von Freiheitsstrafe und der Durchführung des Maßregelvollzugs die Begehung von künftigen Straftaten zu erwarten sei. Nebulös bleibe, was mit der Formulierung, dass „im Hinblick auf die Häufigkeit der von Ihnen zu erwartenden weiteren Rechtsgutsverletzungen“ gemeint sein könnte. Das Verwaltungsgericht, das diese Begründung für ausreichend erachte, verkenne, dass die Wiederholungsgefahr die Tatbestandsvoraussetzung der Ausweisung selbst sei (§ 53 Abs. 1 AufenthG), mithin in Abwehr einer Gefahr das Hauptsacheinteresse liege und somit eine Deckungsgleichzeit zwischen dem von der Antragsgegnerin angeführten Hauptsache- und dem Sofortvollzugsinteresse bestehe und gerade kein besonderes Sofortvollzugsinteresse vorliege. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 AufenthG könne nicht die Anordnung des Sofortvollzugs begründen. Abgesehen davon sei bereits seitens der Antragsgegnerin nicht im Ansatz dargelegt worden, weshalb die Realisierung einer Gefahr aktuell drohe. Auch das Verwaltungsgericht unternehme dies nicht. Es halte eine Gefahrenrealisierung allenfalls für möglich („kann“) und nehme nicht etwa eine Prognoseentscheidung dahingehend vor, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Gefahrenrealisierung zu erwarten sei. Dies dürfte es auch nicht, da die Antragsgegnerin dazu gar nichts ausgeführt habe und die Begründung insoweit abschließend sei und nicht nachgebessert werden könne. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass der Antragsteller nicht nur Freiheitsstrafe verbüßt habe, weshalb davon auszugehen sei, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe seine Wirkung entfaltet habe (Spezialprävention), sondern er erfolgreich im Maßregelvollzug behandelt werde. Weder die Antragsgegnerin noch das Verwaltungsgericht hätten einen Therapiebericht angefordert, es sei keinerlei Sachverhaltsaufklärung betrieben worden. Dabei sei im Rahmen des Sofortvollzugs die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts besonders verdichtet, da neben dem schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG auch noch ein Eingriff in Art. 19 Abs. 4 GG und die gesetzlich normierte Suspensivwirkung vorliege. Sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht vermischten die Frage des Sofortvollzugsinteresses mit der Abwägung; die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht würden mit der vermeintlichen Interessenabwägung erst das Sofortvollzugsinteresse begründen, es damit dem Hauptsacheinteresse gleichsetzen. Das Sofortvollzugsinteresse könne nicht damit begründet werden, dass das Bleibeinteresse nicht höher zu bewerten sei als das Vollzugsinteresse. Vielmehr müsse ein eigenständiges Sofortvollzugsinteresse bestehen und im Anschluss eine Interesseabwägung stattfinden.
8
Es werde nicht dargelegt, weshalb im Rahmen eines etwaig längeren Hauptsachverfahrens eine Gefahrenrealisierung drohen solle. Weder werde dargelegt, wie lange das Hauptsacheverfahren dauern könnte, noch, dass eine Entlassung bevorstehen solle, und insbesondere werde auch keine kausale Verknüpfung aus beiden Umständen in die Richtung vorgenommen, dass und weshalb deshalb eine Gefahrenrealisierung hinreichend wahrscheinlich im Sinne einer ordnungsgemäßen Prognose sei. Formelhaft und inhaltsleer werde eine irgendwann erfolgende Entlassung mit der zu erwartenden Begehung von Straftaten gleichgesetzt; diese schematische Annahme beruhe nicht auf einer individuellen Prognose und sei von Verfassungswegen unzulässig. Das Bundesverfassungsgericht habe wiederholt betont, dass dann, wenn die gesetzliche Grundlage der Ausweisung verlange, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle, Anhaltspunkte dafür zu benennen seien, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft drohe und damit von ihm eine bedeutende Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe (unter Verweis auf BVerfG, B.v. 6.12.2021 - 2 BvR 806/21 - Rn. 18). Das gelte erst recht für die Anordnung des Sofortvollzugs. Soweit sich die Anordnung des Sofortvollzugs auf eine drohende Straftat beziehe, setze dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. Dabei reiche der allgemeine Verdacht nicht, vielmehr müsse die begründete Besorgnis bestehen, dass sich vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Gefahr realisiere, die durch Ausweisung abgewehrt werden solle. Es müssten zukunftsgerichtete Feststellungen aufgrund aktueller Erkenntnisse hinzukommen. Dies sei aber schon deshalb nicht der Fall, da weder die Antragsgegnerin in ihrer Verfügung noch das Verwaltungsgericht überhaupt eine eigenständige Prognoseentscheidung zur Grundlage der Sofortvollzugsentscheidung getroffen hätten. Es bedürfe besonderer Umstände, die den Sofortvollzug rechtfertigen würden, da die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage als adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie die Regel sei. Aufgrund des schwerwiegenden Eingriffs in die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die sofort vollziehbare Ausweisungsverfügung, komme Art. 19 Abs. 4 GG besondere Bedeutung zu. Die Antragsgegnerin führe aber nur allgemein an, dass bei einem langen Verfahren eine Gefahrrealisierung drohe. Abgesehen davon, dass dies im Falle des Antragstellers gerade nicht drohe, handele es sich dabei auch nur um allgemeine Erwägungen und das Gegenteil besonderer Umstände, wie sie die Anordnung verlangen würde. Es werde ohne jeden individuellen Bezug zum Antragsteller angenommen, dass dieser straffällig werden und diese Strafbarkeit Grundinteressen der Gesellschaft tangieren würden. Sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht unternähmen daher das Gegenteil einer individuellen Prognose unter Angabe der konkreten Anhaltspunkte der Gründe, sondern wendeten Schematismus an. Dies zeige sich schon daran, dass das Verwaltungsgericht nicht einmal einen Bericht über den Verlauf der Behandlung angefordert habe. Es habe im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vielmehr überhaupt keine Sachverhaltsaufklärung betrieben. Wenn die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht offenbar meinten, dass eine Entlassung stets eine Gefahr der Gefahrenrealisierung darstellen würde, sei das schon deshalb fehlerhaft, da es den Strafvollstreckungsbehörden unterstelle, sie würden die gesetzlichen Vorschriften nicht beachten. Dafür gebe es aber keinen Anhaltspunkt. Eine Entlassung aus dem derzeit vollstreckten Maßregelvollzug setze ein prozedural genau geregeltes Verfahren samt Gefährlichkeitsprognose voraus. Die vorzeitige Entlassung in Freiheit erfordere einen erfolgreichen Therapieabschluss und eine entsprechende Strafvollstreckungsentscheidung. Dabei werde eine fachliche Stellungnahme des Bezirksklinikums und ein kriminalprognostisches Sachverständigengutachten eingeholt. Eine Aussetzung der Unterbringung vor Ablauf der erforderlichen Behandlungsdauer erfolge nur, wenn erhebliche rechtswidrige Straftaten nicht zu erwarten seien, §67d Abs. 2 S. 1 StGB, bzw. trete im Übrigen die Erledigung ein, wenn die Voraussetzungen des §64 Abs. 2 StGB nicht mehr vorlägen. Jeweils trete Führungsaufsicht ein, so dass eine besondere Überwachung des Betroffenen erfolge, was weder die Antragsgegnerin noch das Verwaltungsgericht eingestellt hätten. Naturgemäß folge hieraus eine Reduzierung und nicht etwa die Erhöhung einer etwaigen Gefahr. Eine „Entlassung“ quasi ins Nichts, die die Antragsgegnerin als Sofortvollzugsgrund unterstelle, sei also überhaupt nicht möglich, sondern nur bei einer günstigen Prognose und unter zusätzlich intensiver Überwachung im Rahmen von Führungsaufsicht und Bewährungsweisungen möglich. Dafür, dass hierdurch die Gefahr einer kurzfristigen Begehung gewichtiger Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, spreche nichts und es sei insbesondere auch eine Annahme, die sich überdeutlich gegen die Grundrechtsauslegung durch das Bundesverfassungsgericht stelle. Es müssten somit strafrichterliche Entscheidungen nach umfassender sachverständig und therapeutischer Mitwirkung vorliegen, bevor die unterstellte Entlassung erfolgen würde. Eine bedingte Entlassung durch Strafvollstreckungsentscheidung setze zwingend eine günstige Prognose voraus, was zu einer Indizwirkung des Nichtbestehens einer Wiederholungsgefahr führe und demzufolge die schematische Bejahung von Sofortvollzugsgründen verbiete. Aus der unterstellten bedingten Entlassung wolle die Behörde die Berechtigung für eine Ausnahme vom gesetzlich normierten Suspensiveffekt entwickeln, was weder mit Art. 2 GG noch mit Art. 19 Abs. 4 GG in Einklang zu bringen sei. Tatsächlich drohe im Falle des Antragstellers gerade keine Realisierung einer Gefahr, da sich der Antragsteller im Maßregelvollzug befinde.
9
Nach seiner Aufnahme am 26. November 2020 habe sich der Antragsteller problemlos im Bezirksklinikum integrieren können, sei absprachefähig und zuverlässig und habe bereits am 21. Dezember 2020 auf die weiterführende und am 30. Juli 2021 auf die offen geführte Resozialisierungsstation verlegt werden können. Aufgrund des weiterhin guten Verlaufs der Behandlung und der Zuverlässigkeit des Antragstellers habe er ab 10. Februar 2022 zunächst ein Praktikum absolvieren und zwischenzeitlich ein Arbeitsverhältnis bei der Fa. N. ab dem 25. Februar 2022 aufnehmen können. Kontrolluntersuchungen hinsichtlich des Konsums von Suchtmitteln seien stets negativ verlaufen. Das Landgericht sei aufgrund der sachverständigen Beratung durch den Gutachter Dr. T. von den Erfolgssausichten der Behandlung überzeugt gewesen. Das Verwaltungsgericht habe keine hiergegen sprechenden Anhaltspunkte dargelegt und aufgeklärt. Insbesondere habe es auch kein eigenes Gutachten eingeholt. Es sei davon auszugehen, dass der Maßregelvollzug regulär beendet werde. Hinsichtlich der Anordnung des Sofortvollzugs des Einreise- und Aufenthaltsverbots werde keine substantielle Begründung vorgebracht. Da im Falle einer bedingten Entlassung bereits keine kurzfristige Wiederholungsgefahr vorliegen würde, liege auch kein Sofortvollzugsgrund in Richtung des Einreise- und Aufenthaltsverbots vor. Bewährungs- und Führungsaufsicht bestünden unabhängig vom Aufenthaltsort des Betroffenen fort, so dass dieser besonderer Führung, Aufsicht und Kontrolle unterliegen würde.
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Ausweislich der Begründung des Beschlusses habe das Verwaltungsgericht eine Interessenabwägung überhaupt nicht vorgenommen. Die Ausführung, dass keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestünden und deshalb die Abwägung zu Ungunsten des Klägers ausfalle, stelle keine Abwägung dar. Das Verwaltungsgericht lege nicht dar, welches Interesse überhaupt gegen das Vollzugsinteresse abgewogen worden sein könnte. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass auch bei fehlenden Erfolgsaussichten eine Abwägung stattzufinden habe. Die Annahme der Antragsgegnerin, dass der Antragsgegner in wirtschaftlicher Hinsicht nicht integriert sei und kein Verlust der wirtschaftlichen Existenz drohe, sei falsch. Der Antragsteller sei berufstätig und würde durch die Vollziehung des Bescheids seine Arbeitstätigkeit verlieren. Die Folgen des Sofortvollzugs seien auch nicht weitgehend reparabel. Der Antragsteller sei in Deutschland geboren und habe nie in einem anderen Land gelebt. Seine Eltern lebten ebenso in Deutschland wie seine Geschwister. Seine Lebensgefährtin sei deutsche Staatsangehörige und berufstätig. Wie das Verwaltungsgericht darauf komme, dass die Abwesenheit keine Auswirkung auf Dritte habe, erschließe sich nicht. Selbstverständlich würde seine Abwesenheit Auswirkung auf das Familienleben mit seinen Eltern und Geschwistern und seiner Lebensgefährtin haben. Das Verwaltungsgericht habe das Privat- und Familienleben des Antragstellers nicht ausreichend beachtet. Es werde verkannt, dass Art. 8 EMRK die Achtung des Privat- und Familienlebens verlange und hierzu nicht etwa nur minderjährige Abkömmlinge zählten. Wenngleich Schädigungen bei der Begehung von Straftaten oftmals nicht wiedergutzumachen seien, sei die Aussage in ihrer Allgemeingültigkeit dennoch falsch, da viele Straftaten zu überhaupt keinem Schadenseintritt führten. Es sei nur an die Strafbarkeit des Versuchs erinnert oder im Rahmen des Betäubungsmittelstrafrechts an überwachte Geschäfte oder den bloßen Verbalhandel.
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Die Ausweisung und das Fernhalten beeinträchtigten den Antragsteller massiv in seinem Privat- und Familienleben. Der Antragsteller habe nie im Land der Staatsangehörigkeit gelebt und sei dort nie verwurzelt gewesen. All dies sei weder in die Abwägung eingestellt noch berücksichtigt worden. Damit sei das Interesse des Antragstellers unzureichend berücksichtigt worden, das das - ohnehin nicht ausreichend begründete - Sofortvollzugsinteresse überwiege. Es liege ein eklatanter Rechtsfehler vor, da die Bedeutung von Art. 8 EMRK nicht erkannt worden sei, so dass dieser auch nicht in die Abwägung eingestellt worden sein könne. Den Vorrang der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen habe weder die Antragsgegnerin noch das Verwaltungsgericht gesehen und insbesondere auch im Rahmen der Interesseabwägung nicht beachtet. Die Erfolgsaussichten der Hauptsache seien zum Zeitpunkt der Beschwerdebegründungsfrist mindestens als offen zu bezeichnen, so dass die Abwägung zugunsten des Antragstellers ausfalle. Das Bleibe- und Suspensivinteresse sei von stärkster Intensität aufgrund der Geburt des Antragstellers im Inland, der Aufenthaltsdauer und dessen Stellung als faktischer Inländer sowie seiner privaten und familiären Bindungen sowie Berufstätigkeit. Unbeschadet dessen hätten die Erfolgsaussichten bei der Interessenabwägung keineswegs die Bedeutung, wie sie das Verwaltungsgericht beimessen wolle, da der Suspensiveffekt die gesetzliche Regel sei und es hierbei gar nicht auf die Erfolgsaussichten ankomme.
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Zutreffend führe das Verwaltungsgericht an, dass sich die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beurteile, ziehe hieraus die falsche Schlussfolgerung, indem es nicht erkenne, dass die Prognoseentscheidung zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht getroffen werden könne, da es tatsächlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankomme. Rechtsfehlerhaft sei die Annahme, dass von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei, weil der Antragsteller schwerwiegende Straftaten begangen habe. Diese Gefahrenindizierung sei mit dem Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG, der eine konkrete Polizeigefahr erfordere, ebenso wenig in Einklang zu bringen wie mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das eine individuelle Gefahrenprognose verlange. Wenn die Kammer - ohne mündliche Anhörung des Antragstellers - zu der Entscheidung gelangt sei, dass eine Wiederholungsgefahr für die Begehung künftiger Straftaten bestehe, verkenne sie bereits den maßgeblichen Zeitpunkt, zu dem diese Frage zu beurteilen sei. Es komme nicht darauf an, ob diese Gefahr zum jetzigen Zeitpunkt bestehe, sondern ob sie zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehen werde und dann von dem dafür zuständigen Spruchkörper (einschließlich der ehrenamtlichen Richter) bejaht werde.
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Es sei widersprüchlich, ausgehend von der Suchterkrankung des Antragstellers und deren erfolgreicher Behandlung keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft auf legalem Wege bestreiten können werde. In der erfolgreichen Behandlung im Rahmen des Maßregelvollzugs liege die von dem Verwaltungsgericht nicht erkannte Zäsur. Das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller erwerbstätig sei und aufgrund seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seinen Lebensunterhalt auch künftig legal bestreiten könne. Die „Meinung“ des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller seine Suchtmittelproblematik keinesfalls überwunden habe, sei falsch und beruhe nicht auf einer diese Aussage tragenden Sachverhaltsermittlung, zu der das Verwaltungsgericht für eine zu treffende Prognoseentscheidung verpflichtet wäre.
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Die Annahme, dass bei einer Suchterkrankung ein Entfallen der Wiederholungsgefahr nicht angenommen werden könne, solange eine entsprechende Behandlung nicht vollständig abgeschlossen sei und sich der Betreffende nach Therapieende in Freiheit bewährt habe, sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht in Einklang zu bringen. Das Verwaltungsgericht hätte einstellen müssen, dass mangels entgegenstehender Anhaltspunkte prognostisch von einem erfolgreichen Abschluss der Behandlung auszugehen sei, da dieser sonst längst abgebrochen worden wäre. Die Fortdauer des Maßregelvollzugs werde nur bei weiterbestehenden Erfolgsaussichten angeordnet. Es handele sich bei der Prognose des Verwaltungsgerichts um eine rein schematische Betrachtung. Abgesehen davon sei das Verwaltungsgericht auch nicht sachkundig, das Fortbestehen einer psychischen Erkrankung wie eine Suchterkrankung ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beurteilen. Mit der Formulierung einer „wohl“ ausgehenden „Wiederholungsgefahr“ werde keine Polizeigefahr umschrieben. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts spreche der Verlauf der Behandlung für eine Zäsur im Lebenslauf des Klägers und einer klaren Abstinenzentscheidung; ein erfolgreicher Therapieabschluss sei zu erwarten. Die Haftverbüßung des Antragstellers vor dem Maßregelvollzug und die damit verbundene spezialpräventive Einwirkung sei nicht berücksichtigt worden. Die unausgesprochene Grundannahme des Verwaltungsgerichts und der Antragsgegnerin, dass der Entzug der Freiheit keinen Effekt habe und ungeeignet sei, um spezialpräventiv auf den Betroffenen einzuwirken, sei nicht vertretbar, da dann der gesamte deutsche Strafvollzug gegen Art. 2 Abs. 2 GG verstoßen würde, da die spezialpräventiven Gründe ein wesentliches Kriterium für die Anordnung und Bemessung von Freiheitsstrafe seien (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB).
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Die Beweislast für ein Entfallen der Wiederholungsgefahr liege nicht bei dem Antragsteller und es sei hierfür auch nicht erforderlich, dass sich der Antragsteller nach einer Behandlung „hinreichend“ in Freiheit bewährt habe, was ohnehin keine greifbare Formel darstelle. Das Verwaltungsgericht setze sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, wonach es nicht ausreichend sei, wenn die Fachgerichte bei Betäubungsmittelstraftaten in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr schlössen und ein allgemeines Erfahrungswissen nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen dürfe, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblende. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es werde dem Antragsteller gelingen, sein Leben in seinem „Heimatland“ fortzuführen, sei widersprüchlich, wenn gleichzeitig eine negative Prognose für das Inland gestellt werde. Abgesehen davon, dass Deutschland das Heimatland des Antragstellers darstelle, da dieser nie in einem anderen Land gelebt habe, sei unverständlich, weshalb der Kläger, der, obwohl er in Deutschland erfolgreich eine Behandlung absolviere und über eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verfüge, im Inland eine negative Prognose aufweisen sollte, sich aber mühelos in Lebensverhältnisse einfügen können sollte, in denen er gerade nie verwurzelt war. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, dass die Kinder von „Einwanderern“ mit der Kultur des „Heimatlandes“ vertraut sein sollen, erschließe sich nicht. Die jüngeren Geschwister des Antragstellers seien bereits von Geburtswegen deutsche Staatsangehörige aufgrund der gesetzlichen Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts und es gebe auch keine Regel, wonach „Einwanderer“ eine bestimmte Kultur vorleben müssten. Richtig sei vielmehr, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für Migranten der zweiten oder höheren Generation zwar keinen absoluten Schutz vor Ausweisungen annehme, aber der Rechtsprechung eine Regelvermutung für die Rechtswidrigkeit von Ausweisungen zu entnehmen sei. Die Integrationsfähigkeit in das Land der Staatsangehörigkeit des Antragstellers wäre von dem Verwaltungsgericht konkret aufzuklären und nachzuweisen gewesen. In sich widersprüchlich sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, wonach der Antragsteller sich zwar im Kosovo wirtschaftlich integrieren könne, gleichzeitig für die Kammer aber keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich seien, wie der Antragsteller seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft auf legalem Wege bestreiten könne. Weder dem Vater und erst recht der Lebensgefährtin könne nicht zugemutet werden, die Beziehung für mehrere Jahre auf Fernkommunikationswege fortzuführen. Überlegungen dahingehend, ob Bindungen aufrecht erhalten bleiben sollten, weil es zu Differenzen im Hinblick auf den Betäubungsmittelkonsum gekommen sei, verböten sich bei fortbestehenden Bindungen. Es handle sich gerade um ein günstiges Prognosemerkmal, wenn mit Betäubungsmittelkonsum kein Einverständnis besteht.
16
Hinsichtlich der Prüfung des Art. 8 Abs. 2 EMRK verkenne das Verwaltungsgericht, dass eine Regelvermutung für die Rechtswidrigkeit der Ausweisung bestehe, und gerade nicht dargelegt worden sei, weshalb diese Vermutung widerlegt sein solle. Das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass der Antragsteller erfolgreich eine Suchtmittelbehandlung durchführe und über eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verfüge.
17
Rechtsfehlerhaft habe das Verwaltungsgericht die Ausweisung auch aus generalpräventiven Gründen als zulässig erachtet. Abgesehen davon, dass die Abwägungsentscheidung schon keinen Bestand haben könne, wenn die Ausweisung alleine generalpräventiv begründet werden würde, da die Ausweisung bei dem Antragsteller einen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff bewirke, und weiterhin nicht dargelegt sei, weshalb sich Straftaten, die auf einer psychischen Erkrankung beruhten, für eine Abschreckungswirkung geeignet sein sollten, sei die Annahme, dass der Tatbestand des §53 Abs. 1 AufenthG allein generalpräventiv aufgefüllt werden könne, unzutreffend. Vielmehr sei stets eine konkrete Polizeigefahr, die von dem Adressaten der Maßnahme ausgehe, erforderlich. Für die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach hinsichtlich der Aktualität eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses eine Untergrenze auf §78 Abs. 3 StGB abgeleitet werden könne, bestehe keine gesetzliche Grundlage. Das Aufenthaltsgesetz verweise an keiner Stelle auf diese Vorschrift und für eine Analogie sei kein Raum, da eine Regelungslücke nicht erkennbar sei. Im Hinblick auf die Schwere des Grundrechtseingriffs, der mit einer Ausweisung verbunden sei, und der Notwendigkeit der ausreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage für eine derartige Eingriffsmaßnahme, verstehe sich von selbst, dass derartige Analogien verfassungswidrig seien. Hätte der Gesetzgeber derartiges Regeln wollen, hätte er dies tun müssen. Der Gesetzgeber habe es allerdings wohlweislich nicht getan, da die Neufassung des §53 AufenthG gerade darauf beruht habe, dass ein System der Einzelfallgerechtigkeit geschaffen werden sollte aufgrund der konventions- und verfassungsrechtlichen Anforderungen an Ausweisungsvorschriften. Die Anwendung eines richterlich geschaffenen generellen Fristenrahmens sei das Gegenteil von Einzelfallgerechtigkeit und mit Art. 2 Abs. 1 GG und mit dem Bestimmtheitsgebot nicht in Einklang zu bringen. Auch wenn es für das Eilverfahren auf die Frage generalpräventiver Gründe nicht ankomme, da die Ausweisung nicht rechtmäßig wäre, wenn (alleine) generalpräventive Gründe diese rechtfertigen könnte, da dies eine neue Abwägungsentscheidung voraussetzen würde, die nicht in einem summarischen Zulassungsverfahren erfolgen könne (Art. 19 Abs. 4 GG), sei das Stützen auf generalpräventive Gründe auch rechtsfehlerhaft.
18
Das Verwaltungsgericht nehme an, dass dem Gedanken der Generalprävention zugrunde liege, dass - über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus - ein besonderes Bedürfnis bestehe, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Der Hinweis auf die strafrechtliche Sanktion zeige, dass es sich hier um einen Sanktionsgedanken handele, der schon deshalb verfassungswidrig sei, da eine weitere Sanktion neben der strafrechtlichen gegen das Übermaßverbot verstoße und der Abschreckungsgedanke bereits durch die strafrechtliche Sanktion verbraucht sei. Auch die Antragsgegnerin zeige dieses Motiv auf, da sie konsequent gegen „Straftäter“ vorgehen wolle, was aber die Aufgabe der Strafjustiz sei. Gefahrenabwehrrecht sei gerade kein Sanktionsrecht, so dass es sich nicht um einen legitimen Eingriff handele. Auch sei nichts dafür ersichtlich, dass vergleichbare Straftaten aufgrund von Suchtmittelabhängigkeit durch Abschreckung verhindert werden könnten. Dies sei empirisch nicht belegbar und fernliegend. Dem Gedanken der Generalprävention liege ein gleichförmiges, sanktionierendes Vorgehen durch die Ausländerbehörden zugrunde. Ein derartiges „gleichmäßiges“ Vorgehen widerspreche aber den Menschenrechtsgarantien aus der EMRK. Die Ausweisung sei im Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK überhaupt nur aufgrund besonderer Rechtfertigung und nur dann möglich, wenn sie auf einer individuellen Einzelfallentscheidung beruhe. Konventionsrechtlich sei eine Ausweisung nur dann zulässig, wenn sie Einzelfallgerechtigkeit schaffe. Die Antragsgegnerin beabsichtige mit ihrer generalpräventiven Ausweisung aber nicht Einzelfallgerechtigkeit, sondern ein „konsequentes“, also „gleichmäßiges“ Vorgehen. Da die Ausweisung stets eine Einzelfallabwägung voraussetze und dem Gesetzgeber aufgegeben gewesen sei, ein System der Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen, verbiete sich eine Gesetzesauslegung dahingehend, dass ein gleichförmiges generalpräventives Ausweisungsregime Anwendung finde. Die Antragsgegnerin könne sich zur Eingriffsermächtigung nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG berufen, da es sich hierbei um ein Abwehrgrundrecht handele und nicht um eine Eingriffsgrundlage. In der Historie des Streits um die generalpräventive Ausweisung hätten sich die Befürworter stets darauf gestützt, dass die Ausweisung dadurch Abschreckungswirkung entfalten könne, dass es sich um eine kontinuierliche Praxis handele (von der Antragsgegnerin als konsequente Ausübung der Ausweisungsermächtigung bezeichnet). Eine kontinuierliche Anwendungspraxis stelle jedoch das Gegenteil von Einzelfallentscheidung und -gerechtigkeit dar und verstoße daher gegen Verfassungs- und Konventionsrecht.
19
Gegen faktische Inländer könnten entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Antragsgegnerin keine generalpräventiven Gründe vorgebracht werden. Dies folge unmittelbar aus Art. 8 EMRK und dem Gebot der Achtung des Privat- und Familienlebens. Es könnten vielmehr nur Ausweisungsgründe geltend gemacht werden, die auf einem zukünftigen persönlichen Verhalten des Antragstellers beruhten und nicht auf dem von der Antragsgegnerin vorgebrachten Ziel der Abschreckung irgendwelcher anderer Personen, die in den Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 AufenthG, ohne Abs. 3 und §6 FreizügG/EU fielen. Es sei nicht zutreffend, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte generalpräventive Ausweisungen gebilligt habe. Im Falle des Antragstellers scheitere das Anbringen generalpräventiver Gründe an Art. 8 EMRK, so dass der Verweis des Verwaltungsgerichts auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fehlgehe. Der Europäische Gerichtshof habe Ausweisungen faktischer Inländer stets nur dann gebilligt, wenn die Gefahr der Wiederholung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorlag. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kenne den Begriff einer generalpräventiv begründeten Ausweisung überhaupt nicht, sondern es sei Aufgabe des Gerichtshofs, festzustellen, ob die Ausweisungsverfügung unter den Umständen des vorliegenden Falles einen gerechten Ausgleich zwischen den betroffenen Interessen schaffe, namentlich dem Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens einerseits und der öffentlichen Sicherheit sowie der Aufrechterhaltung der Ordnung oder der Verhütung von Straftaten andererseits (unter Verweis auf EGMR, U.v. 5.7.2005 - 46410/00 (Üner) - Abs. 39). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlange regelmäßig, dass von dem Betroffenen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zur Begehung neuer Straftaten ausgehe. Der Gerichtshof stelle darauf ab, ob die Ausweisungsentscheidung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Hierfür solle die persönliche Entwicklung im Zeitraum zwischen der letzten Verurteilung und der Ausweisungsentscheidung relevant sein, da dies für eine Prognose, ob der Täter erneut weitere schwere Straftaten begehen werde, Bedeutung haben könne. Dies stelle eine rein spezialpräventive Betrachtung dar. Es komme daher im Falle des Antragstellers eine generalpräventiv begründete Ausweisung wegen des Verstoßes gegen Art. 8 EMRK nicht in Betracht. Auch insoweit gehe das Verwaltungsgericht daher unzutreffend von fehlenden Erfolgsaussichten der Klage aus.
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Auch die Befristungsentscheidung sei rechtswidrig. Sie basiere bereits nicht auf einer Berücksichtigung der aktuellen Gegebenheiten. Insbesondere berücksichtige die Antragsgegnerin nicht die Durchführung der Behandlung, deren erfolgreicher Abschluss zu erwarten sei, und die Auswirkungen auf das Privat- und Familienleben des Antragstellers.
21
Mit Schriftsatz vom 27. September 2022 wird ergänzend und wiederholend vorgetragen, die Antragsgegnerin führe aus, dass die Anordnung des Sofortvollzugs „regelmäßig“ erforderlich sei, wenn die Ausweisung von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus Gründen der Spezialprävention verfügt werde. Damit werde nicht der Ausnahmecharakter der Anordnung des Sofortvollzugs erkannt, sondern im Gegenteil eine pauschalisierte Betrachtung vorgenommen. Individuelle Gründe, die dafür sprechen sollten, dass bereits vor Abschluss der Hauptsacheentscheidung die Gefahr der Begehung von Straftaten drohe, seien seitens der Antragsgegnerin im Bescheid gerade nicht vorgetragen worden. Der Versuch, dies nun im Beschwerdeverfahren nachzubessern, könne nicht gelingen, da es nur auf die Begründung ankomme, die im Rahmen der Anordnung des Sofortvollzugs vorgebracht worden sei. Von der Antragsgegnerin sei weder behauptet noch plausibel dargelegt worden, dass von dem Antragsteller zum Zeitpunkt der Entlassung eine Gefahr ausgehen werde. Das Gegenteil sei richtig, da der Maßregelvollzug fortgesetzt werde und deutliche Behandlungserfolge aufgezeigt würden. Der Antragsteller befinde sich seit 29. August 2022 im Probewohnen und habe zudem die Probezeit bei der Fa. N. erfolgreich absolviert. Gegenüber dem Klinikbericht vom 31. März 2022 seien daher wesentliche Veränderungen eingetreten.
22
Der unzulässige Schluss, dass auch nach Abschluss des Maßregelvollzugs ohne Weiteres von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei, die auch noch die Erforderlichkeit des Sofortvollzugs begründen solle, selbst wenn eine günstige Prognose im Rahmen der Strafvollstreckungsentscheidung ergehe, lasse sich systematisch nicht begründen. Soweit hier eine angeblich unterschiedliche aufenthalts- bzw. sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose und ein angeblich unterschiedlicher zeitlicher Horizont bestehen solle, vermöge dies die Anordnung des Sofortvollzugs nicht zu begründen. Wenn der Prognosezeitraum über den der strafvollstreckungsrechtlichen hinausgehen sollte, begründe dies nicht, weshalb Art. 19 Abs. 4 GG beschränkt werden könnte. Unbeschadet dessen treffe die Auffassung auch nicht zu. Der Prognosezeitraum sei nicht länger als der im Strafvollstreckungsrecht.
23
Die allgemeinen Erwägungen der Antragsgegnerin zeigten, dass im Falle einer spezialpräventiv begründeten Ausweisung regelmäßig der Sofortvollzug für erforderlich erachtet werde. Das Gegenteil sei jedoch gesetzlich normiert. Da die spezialpräventive Ausweisung der Regelfall sei und der Gesetzgeber den Sofortvollzug gerade nicht angeordnet habe, verletze es die Rechte des Klägers, wenn aufgrund einer derartigen Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses der Sofortvollzug angeordnet werde. Die Antragsgegnerin habe den Ausnahmecharakter nicht erkennt, sondern gehe von einer Regelmäßigkeit und nicht von einer Ausnahme aus. Die Antragsgegnerin unterscheide nicht zwischen dem vermeintlichen Vorliegen eines Sofortvollzugsgrundes und der Annahme, die Ausweisung werde in der Hauptsache Erfolg haben. Diesem Rechtsfehler sei auch das Verwaltungsgericht unterlegen. Soweit die Antragsgegnerin „meine“, dass die Grundlage einer aufenthaltsrechtlichen Gefahrenprognose naturgemäß nur das zu erwartende Verhalten einer Person außerhalb freiheitsbeschränkender und -entziehender Maßnahmen sein könne, folge daraus nicht das Bestehen einer Gefahr und die Entpflichtung, eine auf Tatsachen gestützte Prognose zu erstellen. Wenn schon entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsacheentscheidung ein derartiges Herangehen nicht zulässig sei, so sei dies erst recht im Wege des Sofortvollzugs nicht erlaubt, wenn bereits aufgrund der Anordnung und Vollstreckung des Maßregelvollzugs überhaupt kein Anhaltspunkt für eine Gefahrenrealisierung bestehe. Die Meinung der Antragsgegnerin, dass aber in Zukunft irgendwann eine Gefahrenrealisierung drohe, stelle keine methodisch begründete und ausreichende Prognosemethode dar, da sie beispielsweise den zu erwartenden erfolgreichen Abschluss der Therapie ausklammere bzw. meine, auf diesen komme es ohnehin nicht an. Soweit sie sich insoweit auf die Rechtsauffassung stützen möchte, dass nur nach einer nie konkret benannten Länge der Bewährung eine andere Prognose möglich wäre, handele es sich dabei weder um eine herrschende Rechtsauffassung, noch beinhalte dies eine Individualprognose und eine ausreichend begründete und nachgewiesene Ausnahme zur Anordnung des Sofortvollzugs. Dass die Frage der Gefährlichkeit außerhalb des Maßregelvollzugs beurteilt werden müsse, sei selbstverständlich. Darauf komme es aber überhaupt nicht an. Da bis zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der erfolgreiche Abschluss des Maßregelvollzugs zu erwarten sei, hätte dies bereits bei der Anordnung des Sofortvollzugs berücksichtigt werden müssen. Vielmehr meine die Antragsgegnerin, dass wegen des zu erwartenden erfolgreichen Abschlusses des Maßregelvollzugs der Sofortvollzug angeordnet werden dürfte, was gerade nicht zutreffend sei. Ein Interesse an dem Sofortvollzug könnte nur im Falle einer Bewährungsaussetzung bestehen. Die Bejahung einer günstigen Prognose durch das Strafvollstreckungsgericht sei demnach zwingende Voraussetzung für die Annahme der Antragsgegnerin, dass eine Entlassung anstehe und deshalb der Sofortvollzug „erforderlich“ sei. Die Antragsgegnerin widersetze sich somit bereits im Voraus einer Prognoseentscheidung, die noch gar nicht ergangen sei, ohne hierfür individuelle Gründe vorbringen zu können. Dies stelle eine eklatante Umgehung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung dar. Ebenso wenig sei es richtig, dass die mit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer einhergehenden Auflagen und Weisungen außer Betracht bleiben dürften. Dass diese Auswirkungen auf das „zu erwartende Verhalten der Person“ habe, habe der Gesetzgeber selbst normiert, indem er dem Strafvollstreckungsgericht die Befugnis zu ihrer Anordnung erteilt habe. Der Antragsgegnerin stehe es nicht zu, die gesetzgeberische Konzeption in Frage zu stellen. Aufgrund des positiven Verlaufs der Behandlung und der Tatsache, dass der Antragsteller einer Beschäftigung erfolgreich nachgehe und die durchgeführten Kontrollen negativ verlaufen seien, bestehe kein Zweifel am Erfolg der Behandlung und dem Einstellungswandel des Antragstellers, den dieser bereits unter Beweis gestellt habe.
24
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin folge daraus, dass sich die Erfolgsaussichten der Klage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beurteilten, gerade nicht, dass der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt nunmehr der der Beschwerdeentscheidung wäre. Der Versuch der Antragsgegnerin, den materiell-rechtlich bestimmten maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nach vorne ins Beschwerdeverfahren zu verlagern, könne nicht gelingen. Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO ändere sich nichts am Entscheidungszeitpunkt der Hauptsache. Wenn dieser in der Zukunft liege, führe dies dazu, die Erfolgsaussichten schon deshalb als offen zu bewerten, da gerade Umstände zu berücksichtigen seien, wie sie bis zum fraglichen Zeitpunkt vorliegen würden. Da der maßgebliche Entscheidungszeitpunkt der Hauptsacheentscheidung der der letzten mündlichen Verhandlung sein werde, sei es gerade nicht so, dass die Prognoseumstände quasi einzufrieren wären, da dann der maßgebliche Zeitpunkt auf den der Beschwerdeentscheidung vorverlagert würde. Dies verstoße gegen das materielle Recht, da die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt Folge der konventions- und verfassungsrechtlichen Vorgaben sei. Abgesehen davon habe die Antragsgegnerin keinerlei Umstände dargelegt, die erwarten ließen, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt die Behandlung nicht erfolgreich abgeschlossen wäre. Der Verlauf der Behandlung spreche für das Gegenteil. Vielmehr gehe die Antragsgegnerin selbst davon aus, dass der Maßregelvollzug erfolgreich abgeschlossen werde. Unter diesen Umständen die Erfolgsaussichten negativ zu beurteilen, stelle wiederum eine gravierende Missachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Verletzung des Verfassungsrechts dar. Da die individuelle Prognoseentscheidung erst noch zu treffen sei, könne sie im Hinblick auf den zu erwartenden Behandlungserfolg nicht negativ, sondern allenfalls offen sein.
25
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin gebe es auch keinen Zweifel daran, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 53 Abs. 1 AufenthG das Bestehen einer Polizeigefahr sei (unter Verweis auf BT-Drs. 18/4097, S. 49). Auch ergebe sich das Erfordernis der Polizeigefahr aus der Abgrenzung zu §58a AufenthG, der keine konkrete Polizeigefahr voraussetze.
26
Soweit die Antragsgegnerin meine, es stünde bereits heute fest, dass hinsichtlich des Antragstellers trotz der von ihr selbst geteilten Erwartung des erfolgreichen Abschlusses des Maßregelvollzugs nicht mit der „notwendigen Sicherheit“ auf einen dauerhaften Einstellungswandel zu schließen sei, zeige dies das fehlerhafte Verständnis der Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG und insbesondere die Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf. Eine individuelle Prognose wolle die Antragsgegnerin gar nicht vornehmen, sondern ziehe schematische Rückschlüsse und lege dar, dass es gar nicht möglich sei, die indizierte Wiederholungsgefahr zu entkräften. Dies sei rechtsfehlerhaft, da die Gefahr nicht indiziert sei, sondern von der Antragsgegnerin dargelegt und unter Beweis gestellt werden müsse. Es sei gerade nicht zulässig, eine quasi unwiderlegliche Wiederholungsgefahr im Falle von Betäubungsmitteldelikten anzunehmen. Es sei auch nicht zutreffend, dass selbst bei einem erfolgreichen Abschluss der Behandlung weiterhin von vornherein von einer Wiederholungsgefahr auszugehen wäre. Dabei komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer Bindungswirkung habe oder nicht und ein unterschiedlicher Prognosemaßstab vorliege. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass im Falle des Antragstellers nach erfolgreichem Abschluss des Maßregelvollzugs eine Wiederholungsgefahr ausgehen könnte. Dies folge bereits aus der Indizwirkung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, die schon deshalb nicht widerlegt sein könne, da hierzu eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen werden müsste.
27
Die Antragsgegnerin verkenne auch, dass die Verhältnismäßigkeit unter den Umständen des Einzelfalls zum Zeitpunkt der letztlichen mündlichen Verhandlung erfolgen müsste, so dass auch insoweit die Erfolgsaussichten offen seien. Denn selbst bei einem bestehenden Restrisiko wäre eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht entbehrlich, so dass die Prognose der Antragsgegnerin hinsichtlich des zu erwartenden Ausgangs der Hauptsache nicht zutreffe. Unbeschadet dessen sei das erforderliche Maß an Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung und für eine entsprechende Beendigung der Maßregel nicht „wesentlich kleiner“ als dasjenige für eine positive ausländerrechtliche Gefahrenprognose. Der Gesetzgeber habe bei der Frage der Reststrafenaussetzung festgelegt, dass das Strafvollstreckungsgericht als wesentliche Gesichtspunkte (§ 57 Abs. 1 S. 2 StGB) die Persönlichkeit des Verurteilten inklusive des Vorlebens, die Umstände der Tat und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts zu berücksichtigen habe; dies beinhalte keinen anderen Prognosemaßstab als im Gefahrenabwehrrecht. Neben der Einholung eines Sachverständigengutachtens seien für die strafvollstreckungsrechtliche Aussetzung auch fachliche Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt bzw. des Bezirkskrankenhauses einzuholen. Dabei handele es sich nicht um Gutachten aus einem besonderen Näheverhältnis. Das Gegenteil sei insoweit richtig, es handele sich um kritische Stellungnahmen öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger bzw. Kliniken, die aufgrund langer Beobachtungszeiträume ergingen. Auch liege kein kürzerer Prognosehorizont vor; die Prognose im Rahmen der Entscheidung nach §57 StGB sei zeitlich nicht limitiert. Soweit behauptet werde, die Prognosedauer sei mit der Bewährungsdauer gleichzusetzen, entbehre diese Auffassung einer Grundlage im Gesetz und einer logischen Begründung. Die Dauer der Bewährung werde danach bestimmt, wie lange nach Auffassung des Gerichts Auflagen und Weisungen festzulegen seien, und beinhalte gerade nicht die Erwartung, dass nach Ablauf der Bewährungszeit die günstige Prognose entfalle. Ebenso wenig treffe es zu, dass nach Ablauf der Bewährungszeit automatisch ein Straferlass erfolge. Vielmehr erfolge im Rahmen der Bewährungsdauer fortwährend eine Überwachung durch das bewährungsführende Gericht, ggf. unter Einholung von Berichten des Bewährungshelfers, Abstinenzkontrollen u.ä.. Soweit dies geboten sei, könne die Bewährungsdauer weiter verlängert werden. Da im Falle der Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB kraft Gesetzes Führungsaufsicht eintrete, sei die Überwachung des Betroffenen bereits deshalb obligatorisch und zudem mit strafbewehrten Weisungen verbunden. Es handle sich um eine unvollständige Prognose, wenn dieser von Gesetzes wegen eintretende Umstand nicht entsprechend berücksichtigt werde. Weder das Verwaltungsgericht noch die Antragsgegnerin hätten dies beachtet.
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Darüber hinaus macht der Antragsteller weitere wiederholende Ausführungen zur Generalprävention: Es könne nicht offenbleiben, ob eine generalpräventiv begründete Ausweisung gegen Migranten der zweiten oder höheren Generation zulässig sei, da sich die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung maßgeblich auf diese gestützt habe. Die Antragsgegnerin gehe auf die Frage der Verhältnismäßigkeit einer vermeintlich zulässigen generalpräventiven Ausweisung überhaupt nicht ein, was gerade aufzeige, dass es sich nicht um eine Entscheidung handle, die Einzelfallgerechtigkeit gewährleisten müsste. Bei hier geborenen und aufgewachsenen Ausländern sei eine generalpräventive Ausweisung ausgeschlossen, da diese keine auf den konkreten Einzelfall bezogene individuelle Gefahrenprognose erfordern würde. Eine generalpräventive Ausweisung gegen im Inland geborene Betroffene scheitere an der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung.
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Im Falle des Antragstellers gehe der Schutz noch über den des faktischen Inländers hinaus, da er in Deutschland geboren und aufgewachsen und daher ein Migrant der zweiten Generation sei. Aus Art. 8 EMRK folge insoweit ein Ausweisungsverbot. Dies zeige bereits der Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 EMRK („nur“). Das Widerlegen der Regelvermutung obliege der Behörde. Nur, wenn eine Ausnahme der Regel vorliege, könne eine Ausweisung gerechtfertigt sein. Dies sei im Falle des Antragstellers aber schon deshalb nicht der Fall, da er zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nach jetzigem Dafürhalten erfolgreich behandelt worden sein werde. Hinzu trete, dass der Antragsteller abhängig beschäftigt sei, es handele sich ab 1. Oktober 2022 nach erfolgreichem Ende der Probezeit um eine Festanstellung. Bereits im Rahmen der Beschäftigung in der Therapie überzeuge er durch gute Arbeitsleistung, wie aus dem Therapiebericht folge. Es gebe daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nicht wirtschaftlich integriert sei.
30
Dass die Befristungsentscheidung keinen Bestand haben könne, folge bereits daraus, dass der Antragsteller zum fraglichen Zeitpunkt erfolgreich die Behandlung abgeschlossen haben werde, eine klare Abstinenzentscheidung getroffen habe, einen stabilen sozialen Empfangsraum vorweise und arbeite. Die der Befristungsentscheidung zugrundeliegende Annahme der Fortdauer der Gefahr habe all diese Tatsachen nicht berücksichtigt und sei daher unvollständig und unzutreffend.
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Neben dem weiteren positiven Verlauf der Behandlung ergebe sich aus der Tatsache, dass der Antragsteller aufgrund der guten Arbeitsleistungen durch den Arbeitgeber in Festanstellung übernommen worden sei und der weiteren Tatsache, dass der Antragsteller sich aufgrund des Erreichens weiterer Lockerungsstufen im Probewohnen befinde, dass sich das Suspensivinteresse noch weiter verdichtet habe. Das private Interesse des Antragstellers am Verbleib überwiege daher ohne Zweifel.
32
Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2022 wiederholt und vertieft der Antragsteller erneut sein Vorbringen.
33
Dieses Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung.
34
Ist das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Ausweisung in einer den Formerfordernissen nach §80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise damit begründet worden, dass eine erneute Straffälligkeit des Antragstellers und damit verbundene Gefahren für die Allgemeinheit noch vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens verhindert werden sollen, erfordert die Verfahrensgewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG, B.v. 18.1.2017 - 2 BvR 2259/17 - juris Rn. 17; B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 946). Zudem setzt die gerichtliche Entscheidung nach §80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Da die Ausweisung eine schwerwiegende und mit schwer zu behebenden Folgen für den Ausländer verbundene Maßnahme darstellt, deren Gewicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung noch erheblich verschärft wird, setzt das Interesse an der sofortigen Vollziehung des Weiteren die aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu treffende Feststellung voraus, dass der Sofortvollzug schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren erforderlich ist (vgl. BVerfG, B.v. 13.6.2005 - 2 BvR 485/05 - NJW 2005, 3275; BayVGH, B.v. 14.3.2019 - 19 CS 17.1784 - juris Rn. 7, B.v. 19.2.2009 - 19 CS 08.1175 - juris Rn. 49 jeweils m.w.N.). Ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) materiell gerechtfertigt ist, ist anhand einer vom Gericht vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung zu beurteilen. Bei der vorzunehmenden Folgenabwägung sind die konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter bei einem Aufschub des Vollzugs, wenn sich die Ausweisung nachträglich als rechtmäßig erweist, den konkreten Folgen des Sofortvollzugs für den Ausländer, wenn sich die Ausweisungsverfügung nachträglich als rechtswidrig erweisen sollte, gegenüberzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 4.10.2006 - 1 BvR 2403/06 - juris). Bei der Entscheidung über einen Antrag nach §80 Abs. 5 VwGO hat im Rahmen der üblicherweise vorzunehmenden summarischen Prüfung gerade dann, wenn die (sofortige) Vollziehung einer Maßnahme mit einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff verbunden ist, eine - soweit dies unter den Bedingungen eines Eilverfahrens im konkreten Fall möglich ist - vertiefte Prüfung der maßgeblichen Sach- und Rechtsfragen zu erfolgen, um wirksamen Rechtsschutz im Sinn des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu gewährleisten (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2022 - 10 CS 21.1570 - juris Rn. 4 mit Verweis auf Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 2/2022, VwGO §80 Rn. 411 m.w.N.). Das Verfahren nach §80 Abs. 5 VwGO dient nicht dazu, nach Art eines strafvollstreckungsrechtlichen Bewährungsbeschlusses dem Betreffenden die Möglichkeit einer nachträglichen Verbesserung seiner rechtlichen Situation einzuräumen und ihm hierzu Handlungsempfehlungen aufzugeben, sondern hat zu prüfen, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt eine Vollziehung der streitgegenständlichen Maßnahme rechtmäßig ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2022, a.a.O., Rn. 4). Für das Vorliegen des besonderen Vollziehungsinteresses i.S.d. §80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - hier des Beschwerdegerichts - an (vgl. OVG NW, B.v. 5.8.2009 - 18 B 331/09 - juris); es hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen (vgl. BayVGH, B.v. 1.3.2021 - 10 CS 20.2828 - juris Rn. 21, juris; B.v. 22.11.2016 - 10 CS 16.2215 - juris Rn. 6; vgl. Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 2/2022, VwGO §80 Rn. 420). Da für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung einer aufenthaltsbeendigenden Behördenentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung abzustellen ist, um im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung die Umstände des Einzelfalles bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers aktuell zu würdigen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - juris), sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die für den Fortbestand des Ausweisungszweckes erheblich sind (vgl. BayVGH, U.v. 4.7.2011 - 19 B 10.1631 - juris Rn. 51).
35
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass nach diesen Maßstäben das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keinen Erfolg hat. Die Begründung der Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 3 VwGO ist entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht zu beanstanden (1.). Die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin mit der für sofort vollziehbar erklärten Annexentscheidung der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nach der sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage voraussichtlich rechtmäßig (2.). Die Anordnung des Sofortvollzugs ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich und die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter überwiegen die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung (3.).
36
1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Begründung der Antragsgegnerin den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt.
37
Gerade im Bereich der Gefahrenabwehr kann entgegen dem Beschwerdevorbringen eine (Teil-)Identität von Erlass- und Vollziehungsinteresse vorliegen. Gründe, die den Erlass eines Verwaltungsakts rechtfertigen, können so gewichtig sein, dass sie zugleich auch dessen Unaufschiebbarkeit bzw. die sofortige Vollziehung fordern. Ein besonderes Vollzugsinteresse ist anzunehmen, wenn die zum Zwecke der Gefahrenabwehr getroffene Verfügung einen zeitlichen Aufschub nicht verträgt (vgl. Gersdorf, in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 7/2021, VwGO § 80 Rn. 104 m.w.N.).
38
Ausgehend von dem Ansatz, dass § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nur die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung betrifft, es mithin nicht auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung ankommen kann, kann sich die Behörde bei Sachverhaltsgestaltungen, denen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, darauf beschränken, die für diese Fallgruppen typische Interessenlage zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass nach ihrer Auffassung diese Interessenlage auch im konkreten Fall vorliegt (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55 m.w.N.).
39
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde im streitgegenständlichen Ausweisungsbescheid in nicht zu beanstandender Weise damit begründet, dass die Anordnung im überwiegenden öffentlichen Interesse erfolgt, da das öffentliche Interesse am Sofortvollzug über jenes hinausgeht, welches die Ausweisung selbst begründet, sich die Wiederholungsgefahr von Straftaten im Rahmen eines länger andauernden Hauptsacheverfahrens (konkrete Feststellungen zur Dauer eines etwaigen Hauptsacheverfahrens lassen sich im Rahmen der Anordnung der sofortigen Vollziehung im streitgegenständlichen Bescheid nicht treffen und sind mithin auch nicht zu fordern) realisieren kann und die durch mögliche weitere Straftaten des Antragstellers eintretenden Schädigungen regelmäßig nicht wiedergutzumachen sind. Die Antragsgegnerin war sich somit des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung sowie des Erfordernisses eines besonderen Vollzugsinteresses bewusst und hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers mithin nicht nur formelhaft begründet.
40
Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat die Antragsgegnerin auch die ausnahmsweise Anordnung des Sofortvollzugs des Einreise- und Aufenthaltsverbotes den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend damit begründet, dass dies notwendig ist, da ansonsten im Falle eines länger andauernden Klageverfahrens der mit der Maßnahme beabsichtigte Zweck, nämlich die Fernhaltung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet, nicht mehr erreicht werden könnte.
41
Im Hinblick auf die vorliegend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechende Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt es auf die im Beschwerdevorbringen thematisierte Frage der Zulässigkeit einer Nachholung oder Heilung der Begründung der Behörde durch das Verwaltungsgericht nicht weiter an.
42
2. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich nach den im Eilentscheidungsverfahren anzuwendenden aktuellen gesetzlichen Bestimmungen die streitgegenständliche Entscheidung der Antragsgegnerin nach summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig erweist.
43
Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist - wie ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20). Entgegen dem Beschwerdevorbringen bedeutet dies nicht, für die gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung künftige, zum Zeitpunkt einer späteren mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren etwaig vorliegende, fiktive Umstände zugrunde zu legen, vielmehr ist in Akzessorietät der gerichtlichen Interessenabwägung maßgebend auf die Tatsachen- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen. Soweit der für die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nach dem materiellen Recht maßgebliche Beurteilungszeitpunkt noch aussteht, muss das Gericht auf seinen Entscheidungszeitpunkt abstellen (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, §80 Rn. 105 ff.). Nach den danach anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen und den derzeit zu gewinnenden Erkenntnissen erweist sich die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin voraussichtlich als rechtmäßig. Das Beschwerdevorbringen vermag die vom Verwaltungsgericht bestätigte Gefahrenprognose nicht in Frage zu stellen; es ist auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung weiterhin davon auszugehen, dass der Aufenthalt des Antragstellers die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet (§ 53 Abs. 1 AufenthG; vgl. 2.1.). Das gegen die Gesamtabwägung gemäß §53 Abs. 1 und 2 AufenthG des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (2.2.). Auch das mit der Ausweisung angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach §11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG wird sich voraussichtlich als rechtmäßig erweisen (2.3.).
44
2.1. Das Beschwerdevorbringen bezüglich der Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts rechtfertigt keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
45
Bei der von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eigenständig zu treffenden Prognose zur Wiederholungsgefahr sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris Rn. 11 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, B.v. 3.3.2016 a.a.O.; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Gemessen daran kommt der Senat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung zu der Bewertung, dass nach dem Verhalten des Antragstellers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut jedenfalls durch vergleichbar gravierende Delikte die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen wird.
46
Der vordelinquente und langjährig betäubungsmittelabhängige (laut forensischem Gutachten vom 28.7.2020 lag zur Vorfallszeit als überdauernde psychiatrische Erkrankung eine rund zehnjährige und mittelschwer verlaufende Abhängigkeitserkrankung von Cannabinoiden sowie ein schädlicher Gebrauch von Kokain vor; aufgrund des jahrelangen Drogenkonsums wurde die Wahrscheinlichkeit für vergleichbare zukünftige Taten als hoch eingestuft, eine Behandlungsdauer von 24 Monaten prognostiziert) musste mit Urteil vom 12. November 2020 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren 6 Monaten unter Anordnung der Unterbringung nach einem Vorwegvollzug von 9 Monaten verurteilt werden. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller jedenfalls im Februar 2020 einen gewinnbringenden Handel mit Betäubungsmitteln betrieb, in einer von ihm genutzten Wohnung insgesamt 1,663 kg Marihuana, 484,57 g Haschisch, 8,02 g Kokain und Ecstasy-Tabletten mit einem Gesamtgewicht von 632,69 g - abzüglich eines Eigenkonsumanteils an Marihuana von 5% sowie des Kokains - zum gewinnbringenden Weiterverkauf aufbewahrte. Der anderweitig verfolgte D. übergab dem Antragsteller an diesem Abend einen Bargeldbetrag in Höhe von 16.057 EUR - zumindest als Anzahlung für den Erwerb und folgende Auslieferung an Abnehmer von 2,942 kg Marihuana und Ecstasy Tabletten mit einem Gesamtgewicht von 986 g. Die Strafkammer wertete bei der Strafzumessung zugunsten des Antragstellers sein umfassendes Geständnis, sein Handeln aufgrund langjähriger Betäubungsmittelabhängigkeit, seine bekundete Therapiebereitschaft und Krankheitseinsicht und dass es sich bei dem gehandelten Marihuana und Haschisch um sogenannte „weiche“ Drogen handelte. Zu Lasten des Antragstellers wurde demgegenüber gewertet, dass der Antragsteller erhebliche Mengen an Betäubungsmitteln und mit Kokain eine gefährliche Droge in Besitz hatte. Die zweifach einschlägigen Vorstrafen wertete die Strafkammer aufgrund der langjährigen Betäubungsmittelabhängigkeit des Antragstellers mit minderem Gewicht. Die Unterbringung des Antragstellers in einer Entziehungsanstalt wurde in Annahme einer ausreichenden Behandlungsmotivation angeordnet.
47
Der Antragsteller ist damit wegen massiver Betäubungsmitteldelikte straffällig geworden, das verhängte Strafmaß beträgt nahezu das Dreifache des für die Annahme eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und mehr als das Fünffache des für die Erfüllung eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach §54 Abs. 1 Nr. 1b AufenthG erforderlichen Strafmaßes.
48
Betäubungsmitteldelikte gehören zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten. Dabei zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Die Folgen, insbesondere für junge Menschen, können äußerst gravierend sein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit“ (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 - Tsakouridis, C-149/09 - NVwZ 2011, 221 Rn. 47; U.v. 22.05.2012 -P.I., C-348/09 - juris Rn. 28). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach klargestellt, dass er bei Verurteilung eines Ausländers wegen eines Betäubungsmitteldeliktes - wie hier vorliegend - in Anbetracht der verheerenden Auswirkungen von Drogen auf die Bevölkerung Verständnis dafür hat, dass die Vertragsstaaten in Bezug auf diejenigen, die zur Verbreitung dieser Plage beitragen, entschlossen durchgreifen (EGMR, U.v. 30.11.1999 - Baghli/Frankreich Nr. 3437/97 - NVwZ 2000, 1401, U.v. 17.4.2013 - Yilmaz/Deutschland Nr. 52853/99 - NJW 2004, 2147). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Werteordnung einen hohen Rang einnehmen. Rauschgiftkonsum bedroht diese Schutzgüter der Abnehmer in hohem Maße und trägt dazu bei, dass deren soziale Beziehungen zerbrechen und ihre Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.10.2013 - 19 ZB 12.1877). Bei der Bewertung der Gefährlichkeit eines im Zusammenhang mit dem Handel mit Marihuana strafrechtlich verurteilten Ausländers sind überdies die neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den insbesondere Jugendlichen durch den Konsum drohenden gesundheitlichen Schäden in den Blick zu nehmen (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2022 - 19 ZB 22.129 - juris).
49
Ausgehend vom hohen Rang des gefährdeten Schutzgutes, der Schwere der Delinquenz des Antragstellers und seiner langjährigen, bislang nicht abgeschlossen therapierten Betäubungsmittelabhängigkeit kommt der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht zur Überzeugung, dass auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung des Antragstellers und seiner Lebensumstände eine konkrete Wiederholungsgefahr für die Begehung von zukünftigen Straftaten, insbesondere im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln, weiterhin besteht. Dabei ist von einer manifesten und jahrelangen Suchtgeschichte auszugehen. Der 29-jährige Antragsteller konsumiert schon, seit er 14 Jahre alt ist, Drogen und ist seit dem Alter von 16 Jahren suchtmittelabhängig, wobei sich eine Steigerung bis hin zu der gefährlichen Droge Kokain entwickelte. Sein Alltag war geprägt vom Drogenkonsum und -handel, das abgeurteilte Betäubungsmitteldelikt zeugt von Betäubungsmittelhandel in größerem Stil und Umfang. Der Antragsteller hat weder eine Ausbildung absolviert noch war er für längere Zeit legal erwerbstätig, sicherte sich vielmehr seinen Lebensunterhalt nach Einstellung der öffentlichen Transferleistungen durch den Betäubungsmittelhandel.
50
Die durch die Delinquenz (deren wesentlicher Hintergrund die Suchtmittelabhängigkeit war) indizierte Gefährlichkeit des Klägers ist bislang nicht beseitigt. Der Verlauf der Entziehungsbehandlung im Rahmen der strafvollstreckungsrechtlichen Unterbringung mag zwar als positives Prognoseindiz zu werten sein, die aktuelle Entwicklung vermag jedoch unter Berücksichtigung der langjährigen Betäubungsmittelabhängigkeit, der Schwere der Delinquenz und vor allem im Hinblick auf die noch nicht abgeschlossene Therapie die Wiederholungsgefahr nicht auszuräumen.
51
Ausweislich der Stellungnahme der Unterbringungseinrichtung vom 31. März 2022 sei dem Antragsteller nach der stationären Aufnahme zum 26. November 2020 eine problemlose Integration gelungen. Er habe sich von Beginn an, an Regeln und Absprachen gehalten und sei dem Personal gegenüber stets korrekt aufgetreten. Angesichts der gezeigten guten Formalanpassung und der glaubhaft gemachten Therapiebereitschaft, sowohl in den ärztlichen Gesprächen als auch in den Bezugspersonengesprächen, habe er am 21. Dezember 2020 auf die weiterführende Station verlegt werden können, wo der Antragsteller mit Engagement an den geforderten Programmanteilen einschließlich der Arbeitstherapie teilgenommen habe. Der Antragsteller zeige sich therapie- und abstinenzmotiviert. Aufgrund des positiven Behandlungsverlaufs sei am 30. Juli 2021 die Verlegung auf die offen geführte Resozialisierungsstation erfolgt. Aktuell sei er im arbeitstherapeutischen Bereich der Außenanlagenpflege mit positiven Rückmeldungen über die Arbeitsleistung integriert. Der Antragsteller lasse sich mehr auf die Einzeltherapie ein; Fragen, die in die Tiefe gingen, stellten häufig erst einmal eine Herausforderung für ihn dar. Nach einer kurzen Bedenkzeit könne er sich auch auf eine Bearbeitung emotionaler Fragestellungen einlassen. Der Antragsteller sei in relevanten Angelegenheiten „ausreichend“ offen und zugänglich, präsentiere sich „formal angepasst“. Seine Hauptanliegen seien zumeist lockerungsbezogen. Zu erproben sei, inwieweit der Patient seine Abstinenz und Therapiefortschritte unter zunehmend psycho-physischer Belastung und realitätsnahen Bedingungen weiter ausbauen und aufrechterhalten könne. Seit dem 10. Februar 2022 mache er ein Praktikum in Vollzeit bei einer Dienstleistungsfirma mit Tätigkeitsbereich Trocken-/lnnenausbau. Er hoffe auf eine dortige Festanstellung. Seine langfristigen Berufswünsche seien jedoch noch wenig konkret. Er wolle wieder zu seiner Freundin ziehen, in deren gemeinsame Wohnung. Die langjährige Partnerin sei ihm eine Stütze im Resozialisierungsprozess. In sämtlichen ihm bislang gewährten Lockerungen habe sich der formal tadellos angepasste Untergebrachte verantwortungsbewusst und zuverlässig verhalten. Im weiteren Verlauf sei eine schrittweise Erprobung in umfangreicheren Lockerungen bei weiter engmaschiger therapeutischer Begleitung geplant. Anhaltspunkte für Suchtmittelrückfälligkeit hätten sich in den in unregelmäßigen Abständen überwacht durchgeführten Urin- und Speichelanalysen für Drogeninhaltsstoffe und Alkoholabbauprodukte bis dato nicht gefunden. Aufgrund der noch erforderlichen Erprobung könne noch nicht erwartet werden, dass der Antragsteller außerhalb des Maßregelvollzugs keine erneuten Straftaten mehr begehen werde. In Anbetracht des bislang problemlosen Therapieverlaufs und einer „weitgehend“ glaubhaft gemachten Motivation zum dauerhaften Drogenverzicht werde jedoch weiterhin von einer hinreichend konkreten Aussicht auf Erfolg der Maßnahme ausgegangen.
52
Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16. Mai 2022 wurde die Fortdauer der Unterbringung angeordnet, da noch nicht zu erwarten sei, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde (§ 67d Abs. 2 StGB).
53
Hieraus und auch unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung (Beschäftigungsverhältnis seit dem 25.2.2022 und Probewohnen seit 8/2022) ergibt sich, dass sich der Antragsteller bei noch nicht abgeschlossener Therapie mit den erlangten Lockerungsstufen in einer Erprobungsphase befindet. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2018 - 10 ZB 17.1739 - juris Rn. 9; B.v. 16.2.2018 - 10 ZB 17.2063 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 - 10 ZB 17.1386 - juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 - 10 B 14.1613 - juris Rn. 32 m.w.N.). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 - 10 ZB 17.1469 - juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 11).
54
Vorliegend fehlt es an einer hinreichenden Bewährung und der Glaubhaftmachung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens; dies gilt auch im Hinblick auf das vom Antragsteller in Aussicht gestellte Therapieende.
55
Soweit der Antragsteller eine aktuelle Gefährlichkeit deshalb verneint, weil er sich im schützenden Rahmen einer Entziehungsanstalt befinde, der Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe schon seine Wirkung entfaltet habe, eine bedingte Entlassung nur bei günstiger Kriminalprognose erfolge und der Antragsteller in diesem Fall unter weiterer Bewährungs- und Führungsaufsicht stehen würde, trifft dies nicht zu. Unabhängig davon, dass sich die Gefährlichkeit des bislang im Hinblick auf seine Drogensucht nicht erfolgreich therapierten, langjährig betäubungsmittelabhängigen und wegen gravierender Betäubungsmitteldelikte verurteilten Antragstellers auch innerhalb des Maßregelvollzugs manifestieren kann, wird die von einer Person ausgehende Gefahr während der Dauer einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus/einer Entziehungsanstalt schon deshalb nicht ausgeschlossen, weil Grundlage einer aufenthalts- bzw. sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose naturgemäß nur das zu erwartende Verhalten der Person außerhalb freiheitsbeschränkender und freiheitsentziehender Maßnahmen sein kann (so der Senat in seinem Beschluss vom 21.1.2020, 19 ZB 19.1694, Rn. 15; vgl. auch zuletzt B.v. 23.11.2021 - 19 ZB 20.3041, Rn. 21). Dies bedeutet, dass insoweit die Frage der Gefährlichkeit des Antragstellers unabhängig von etwaigen schützenden Bedingungen aufgrund des Maßregelvollzugs zu beurteilen ist. Vom schützenden und kontrollierenden Rahmen des Maßregelvollzugs geht erfahrungsgemäß ein erheblicher Anreiz in Richtung Selbstdisziplin und Lebensordnung aus, welcher durch eine drohende bzw. erlassene Ausweisung nochmals verstärkt wird. Das Verhalten des Antragstellers während der Unterbringung ist daher zwar prognostisch heranzuziehen, aber nur bedingt aussagekräftig für die Frage eines späteren straffreien Lebens in Freiheit. Davon ausgehend stellt der Antragsteller mit seinem Beschwerdevortrag die von ihm (derzeit) ausgehende Gefahr der Wiederholung erheblicher Straftaten für überragend wichtige Güter (wie dargelegt) nicht erfolgreich infrage.
56
Soweit der Antragsteller durch seinen Vortrag, bis zum Abschluss der Maßregel gingen von ihm überhaupt keine Gefahren aus, zudem seien Lockerungsstufen erst dann vorgesehen, wenn aufgrund der therapeutischen Behandlung der Suchterkrankung eine entsprechende Lockerung erprobt werden könne, (auch) zum Ausdruck bringen will, es könne oder müsse der Erfolg einer Drogentherapie abgewartet werden, ist (zusätzlich) festzuhalten: Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, so lange in einer Therapieeinrichtung in der Bundesrepublik zu verbleiben, bis seine Suchterkrankung geheilt ist und keine negative Gefahrenprognose mehr besteht (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2020 - 10 ZB 20.536 - juris Rn. 9; B.v. 3.4.2019 - 19 ZB 18.1011 - juris Rn. 18; B.v. 27.10.2017 - 10 ZB 17.993 - juris Rn. 16; B.v. 27.9.2017 - 10 ZB 16.823 - juris; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 3.5.2019 - OVG 11 N 123.16 - juris Rn. 11). Selbst ein etwaig bestehender Anspruch auf die Durchführung einer Drogentherapie steht bei einem Ausländer der Erfüllung der Ausweisungsvoraussetzungen nicht entgegen (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 - 1 B 22/12 - juris). Künftige Entwicklungen, insbesondere Wirkungen einer zukünftigen therapeutischen Aufarbeitung der Straftaten sagen nichts über die aktuell vom Antragsteller ausgehenden Gefährdung aus, das Abwarten eines Therapie- oder Haftverlaufs ist insoweit nicht angezeigt (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2015 - 1 B 39/15 - juris Rn. 10).
57
Eine Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer liegt nicht vor (vgl. dazu BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris; BVerfG, B.v. 6.12.2021 - 2 BvR 860/21 - juris). Auf die umfangreichen Ausführungen des Antragstellerbevollmächtigten zu einer allenfalls künftig möglichen strafvollstreckungsrechtlichen Aussetzungsentscheidung und deren Bedeutung für das ausländerrechtliche Verfahren kommt es insoweit nicht an.
58
Soweit für sogenannte faktische Inländer (es bleibt offen, ob es sich beim Antragsteller um eine derartige Person handelt) bereits bei der Gefahrenprognose (und nicht erst bei der Gesamtabwägung) im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der besonderen Härte, die eine Ausweisung für diese Personengruppe darstellt, in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen ist (vgl. BVerfG, B.v. 25.8.2020 - 2 BvR 640/20 - juris), geht vom Antragsteller weiterhin unter Berücksichtigung aller aus seinem Aufenthalt abzuleitenden Umstände (tiefgreifende und langjährige Betäubungsmittelabhängigkeit, nicht geglückte berufliche bzw. wirtschaftliche Integration trotz erlangtem Schulabschluss, trotz familiärer Bindungen und im Strafmaß sich steigernder <z.T. einschlägiger> Vorverurteilungen in den Jahren 2012, 2016 und 2018 Begehung von massiven Betäubungsmitteldelikten in wirtschaftlich beträchtlichem Umfang, eine Zäsur in der Lebensführung - abgesehen von der für den Maßregelvollzug erforderlichen Abstinenzmotivation - nicht ersichtlich, bislang keine nachhaltige Überwindung der langjährigen Suchtmittelproblematik) eine bis heute andauernde Gefahr aus.
59
Schließlich sprechen beim Antragsteller nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts vor allem unter Berücksichtigung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten auch generalpräventive Erwägungen für die verfügte Ausweisung.
60
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 (1 C 16.17 - juris) entschieden, dass diese Intention des Gesetzgebers (Zulassung einer zum Zwecke der Abschreckung Anderer dienenden Ausweisung) im Wortlaut des § 53 Abs. 1 AufenthG eine hinreichende Verankerung gefunden hat und Generalprävention ein Ausweisungsinteresse begründen kann. § 53 Abs. 1 AufenthG verlange nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen müsse. Vielmehr müsse dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen habe, könne aber auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe, im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (vgl. auch z.B. BayVGH, B.v. 14.2.2019 - 10 ZB 18.1967 - juris sowie Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, §53 AufenthG Rn. 61 ff. m.w.N.). Mit Urteil vom 9. Mai 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden (1 C 21/18 - juris Rn. 17), dass eine Ausweisung auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann. Ein generalpräventives Ausweisungsinteresse müsse zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt noch aktuell (also noch vorhanden) sein (Rn. 18 ff.). Unabhängig davon, dass im vorliegenden Fall (wie ausgeführt) auch eine vom Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr zu bejahen ist, muss eine generalpräventiv begründete Ausweisung in jedem Einzelfall zusätzlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (vgl. schon BVerfG, B.v. 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 - juris Rn. 37). Sie ist insbesondere nur zur Bekämpfung schwerwiegender Verfehlungen zulässig (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, a.a.O. Rn. 63 m.w.N.) und nur dann geeignet, eine generalpräventive Wirkung zu erzielen, wenn eine kontinuierliche Ausweisungspraxis vorliegt, wenn die Anlasstat nicht derart singuläre Züge aufweist, dass die an sie anknüpfende Ausweisung keine abschreckende Wirkung entfalten könnte und wenn angesichts der Schwere der Straftat ein dringendes Bedürfnis auch für eine ordnungsrechtliche Prävention besteht (BVerwG, U.v. 14.2.2012 - 1 C 7/11 - juris Rn. 17).
61
Das Gewicht der Straftat ist nicht abstrakt, sondern konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu bestimmen (BVerfG, B.v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 - juris Rn. 28); die Anforderungen an eine generalpräventiv begründete Ausweisung können namentlich in Fällen des illegalen Rauschgifthandels erfüllt sein (vgl. BVerwG, U.v. 11.6.1996 - 1 C 24/94 - BVerwGE 101, 247-265, Rn. 28). Es bedarf mithin der Würdigung der konkreten Tat und Tatumstände zur der Feststellung der Geeignetheit und Erforderlichkeit im Sinne einer verhaltenssteuernden Wirkung. Das Maß der durch eine Ausweisung zu erreichenden Verhaltenssteuerung kann bei den einzelnen Straftaten unterschiedlich sein (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, § 53 AufenthG Rn. 64). Wenngleich bei Taten, die allein aus einer Abhängigkeit heraus begangen werden, die Erzielung einer abschreckenden Wirkung zweifelhaft sein kann (vgl.; Bauer in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 Rn. 65; weitgehend SächsOVG, B.v. 13.5.2022 - 3 A 844/20 - juris Rn. 20), ist in Anbetracht der Schwere und der mit dem illegalen Rauschgifthandel verbundenen Gefahren von Betäubungsmitteldelikten, die zu den schweren, Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten gehören (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 - Rs. C-149/09, „Tsakouridis“ -NVwZ 2011, 221 Rn. 47), nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Ausweisung eines wegen Drogenhandels strafgerichtlich verurteilten Ausländers dazu beitragen kann, andere Ausländer zur Vermeidung der ihnen sonst drohenden Ausweisung zu einem ordnungsgemäßen Verhalten bzw. dem Abstandnehmen von schwerwiegenden Betäubungsmitteldelikten im Bundesgebiet zu veranlassen (wie zur vormaligen Rechtslage in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt und vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, vgl. BVerwG, U.v. 6.4.1989 - 1 C 70/86 - NVwZ 1989, 768; BVerfG, B.v. 25.9.1986 - 2 BvR 744/86 - juris Rn. 4; vgl. auch BayVGH, B.v. 23.9.2021 - 19 ZB 20.323 - juris Rn. 31; B.v. 18.5.2021 - 19 ZB 20.65 -juris Rn. 42). Angesichts der mit schwerwiegender Drogenkriminalität verbundenen besonderen Gefahren für die Allgemeinheit und der Schwierigkeit ihrer Bekämpfung kommt den generalpräventiven Aspekten ein wesentliches Gewicht zu, um eine Verhaltenssteuerung und Abschreckung bei anderen Ausländern zu bewirken (vgl. OVG Nds, U.v. 22.4.2013 - 2 LB 365/12 - juris Rn. 40; BayVGH, B.v. 23.9.2021 - 19 ZB 20.323 - juris Rn. 29; B.v. 31.1.2011 - 10 ZB 10.2868 - juris Rn. 15).
62
Gemessen an diesen Grundsätzen spricht vieles dafür, dass die Ausweisung des Antragstellers (auch) aus generalpräventiven Gründen insbesondere in Anbetracht der Schwere der Anlasstat, der Umstände der Tatbegehung und der Lebensumstände des Ausländers nicht unverhältnismäßig ist.
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Die Auffassung des Antragstellers, generalpräventive Gründe könnten bei ihm nicht ausreichen, um eine Ausweisung zu begründen, da er ein sogenannter „faktischer Inländer“ sei, trifft nicht zu (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2021 - 19 ZB 20.323 - juris Rn. 31). Unabhängig von der Frage, ob der Antragsteller ein sogenannter faktischer Inländer ist (was in Anbetracht der weitestgehend nicht geglückten Integration des Antragstellers auch zweifelhaft erscheinen kann), ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller nicht dem Anwendungsbereich des §53 Abs. 3, 3a, 3b oder 4 AufenthG unterfällt. Mithin ist eine generalpräventiv begründete Ausweisung für den Kläger nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr in Anbetracht der Gesamtumstände voraussichtlich verhältnismäßig:
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Die genannten Voraussetzungen sind bei dem vordelinquenten Antragsteller, der wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (1,663 kg Marihuana, 484,57 g Haschisch, 8,02 g Kokain und Ecstasy-Tabletten mit einem Gesamtgewicht von 632,69 g) in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer erheblichen Freiheitsstrafe von 5Jahren 6Monaten verurteilt wurde, ersichtlich erfüllt. Die Delinquenz des Antragstellers ist als schwer zu beurteilen. Gegeben ist ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß §54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG. Auch bei suchtbedingter Delinquenz vermag ein entschiedenes Vorgehen gegen schwerwiegende Betäubungsmittelkriminalität eine abschreckende Wirkung zu entfalten. Es besteht kein Grund, davon abzurücken, dass eine kontinuierliche Verwaltungspraxis, die auf strafrechtliche Verurteilungen wegen schwerwiegender Betäubungsmitteldelikte aufenthaltsrechtlich mit der Ausweisung reagiert, grundsätzlich geeignet ist, andere Ausländer von vergleichbaren schweren Straftaten abzuhalten. In Anbetracht des großen Gefahrenpotentials der schwerwiegenden Betäubungsmitteldelinquenz (Drogenhandel) des Antragstellers erscheint selbst unter Berücksichtigung seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet seine Ausweisung (auch) aus generalpräventiven Gründen nicht unverhältnismäßig.
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2.2. Die vom Verwaltungsgericht bestätigte Gesamtabwägung der Antragsgegnerin gemäß § 53 Abs. 1, 2 AufenthG ist voraussichtlich nicht zu beanstanden.
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Ein Ausländer kann - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in §54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Die gesetzliche Unterscheidung in besonders schwerwiegende und schwerwiegende Ausweisungs- und Bleibeinteressen ist für die Güterabwägung zwar regelmäßig prägend (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39). Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkretem Gewicht, zuwiderlaufen würde, ist aber unzulässig (BVerfG, B.v. 10.5.2007 - 2 BvR 304/07 - juris Rn. 41 bereits zum früheren Ausweisungsrecht). Im Rahmen der Abwägung ist mithin nicht nur von Belang, wie der Gesetzgeber das Ausweisungsinteresse abstrakt einstuft. Vielmehr ist das dem Ausländer vorgeworfene Verhalten, das den Ausweisungsgrund bildet, im Einzelnen zu würdigen und weiter zu gewichten, da gerade bei prinzipiell gleichgewichtigem Ausweisungs- und Bleibeinteresse das gefahrbegründende Verhalten des Ausländers näherer Aufklärung und Feststellung bedarf (BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28/16 - juris Rn. 39).
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Auch wenn vorliegend die gesetzlichen Typisierungen einen Gleichrang von Ausweisungsinteresse (aufgrund der Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gemäß §54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1b AufenthG) und Bleibeinteresse (aufgrund des Besitzes einer Niederlassungserlaubnis nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) ergeben, ist die verwaltungsgerichtliche Auffassung, dass bei der gebotenen Einbeziehung der Umstände des Einzelfalls das Ausweisungsinteresse deutlich überwiegt, nicht zu beanstanden.
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Soweit der Antragsteller geltend macht, die Ausweisung sei unverhältnismäßig im Hinblick auf Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK, da er aufgrund seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet und seiner Stellung als „faktischer Inländer“ stärkste Bleibeinteressen habe, greift diese Auffassung nicht durch. Die Ausweisung ist vielmehr auch unter Berücksichtigung des lebenslangen Aufenthalts weder ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK noch unverhältnismäßig.
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Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, in das nur eingegriffen werden darf, soweit dies in einer demokratischen Gesellschaft für die öffentliche Sicherheit notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK). Aus Art. 8 EMRK ergibt sich gleichwohl kein absolutes Recht auf Einreise oder Aufenthalt. Der Schutz auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe aller sonstigen familiären, persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 21.02.2011 - 2 BvR 1392/10 -, InfAuslR 2011, 235, juris Rn. 19). Auch dem ökonomischen Erfolg der Erwerbstätigkeit kann Bedeutung für das Bestehen hinreichend fester Bindungen zum Aufnahmestaat und damit für die Bejahung eines Privatlebens im Bundesgebiet zukommen (berücksichtigt z.B. von EGMR, U.v. 28.6.2007 - Kaya/Deutschland, Nr. 31753/02 - BeckRS 2008, 06725, Rn. 64; vgl. auch Art. 8 Abs. 2 EMRK, der auf „das wirtschaftliche Wohl eines Landes“ als Abwägungsgesichtspunkt verweist). Eine danach den Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.1998 - 1 C 8.96 - NVwZ 1999, 303, VGH Baden-Württemberg, U.v. 13.12.2010 - 11 S 2359.10 - juris). Allerdings ist ein langfristiger Aufenthalt im Gastland allein grundsätzlich noch kein den Schutzbereich eröffnendes Kriterium.
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Eingriffe in dieses Recht sind zulässig, soweit sie zum Zwecke der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ sowie „des wirtschaftlichen Wohls des Landes“ in einer „demokratischen Gesellschaft notwendig“ sind, mithin wenn der Eingriff durch ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis gerechtfertigt ist und zu dem mit ihm verfolgten Zweck in einem angemessenen Verhältnis steht (EGMR, U.v. 22.7.2004 - 42703/98 Rn. 31 - Radovanovic; EGMR, U.v. 28.06.2007 - 31753/02 - Kaya, BeckRS 2008, 06725 Rn. 51). Nach der Rechtsprechung des EGMR bietet Art. 8 EMRK auch bei sog. „Zuwanderern der zweiten Generation“ keinen absoluten Schutz vor einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. EGMR <Große Kammer>, U.v. 18. 10. 2006 - 46410/99 Rn. 54 - Üner, NVwZ 2007, 1279). Das Ausmaß der „Verwurzelung“ bzw. die für den Ausländer mit einer „Entwurzelung“ verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen.
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Offenbleiben kann vorliegend, ob es sich bei dem im Bundesgebiet geborenen Kläger um einen sog. „faktischen Inländer“ handelt. Die Bezeichnung eines Ausländers als „faktischer Inländer“ entbindet nicht davon, die im jeweiligen Einzelfall gegebenen Merkmale der Verwurzelung zu prüfen; darüber hinaus besteht auch für faktische Inländer kein generelles Ausweisungsverbot (vgl. BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 19), ebenso wenig ist eine vom Antragstellerbevollmächtigten behauptete „Regelvermutung für die Rechtswidrigkeit der Ausweisung“ ersichtlich. Trotz seines lebenslangen Aufenthalts im Bundesgebiet ist dem Antragsteller ein Leben im Einklang mit der Rechtsordnung und eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt nicht gelungen, er hat seinen Lebensunterhalt durch die Begehung von Straftaten gesichert. Der Antragsteller verbrachte rund zehn Jahre vor seiner Inhaftierung mit (im Hinblick auf eine integrationsfördernde Beschäftigung) Nichtstun und bestritt seinen Lebensunterhalt überwiegend aus dem Drogenhandel, womit er auch seinen Eigenkonsum finanzierte. Das nunmehr im Rahmen der Lockerungsstufen im Maßregelvollzug erlangte Beschäftigungsverhältnis seit 25. Februar 2022 vermag demgegenüber eine nachhaltige wirtschaftliche Integration im Bundesgebiet nicht zu belegen. Auch unter Berücksichtigung des lebenslangen Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet überwiegt das Ausweisungsinteresse im Hinblick auf die vom Antragsteller verübten massiven Straftaten und die daraus resultierenden schwerwiegenden Gefahren. Es wird nicht verkannt, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung in Anbetracht der lebenslangen Aufenthaltsdauer des Antragstellers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären und sozialen Bindungen als gravierender Grundrechtseingriff darstellt. In Anbetracht der Schwere der die Ausweisung veranlassenden Betäubungsmitteldelikte des Antragstellers, seiner Vordelinquenz sowie seiner langjährigen Betäubungsmittelabhängigkeit kann jedoch nur schwerlich von einer gelungenen Integration in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden. Dem Antragsteller wird es zumutbar sein, im Land seiner Staatsangehörigkeit wieder Fuß zu fassen und die sozialen Bindungen von dort aus aufrecht zu erhalten. Ausgehend von der Sozialisation in einer kosovarischen Familie darf davon ausgegangen werden, dass ihm die heimatstaatlichen Lebensverhältnisse vertraut sind. Selbst bei Bestehen der geltend gemachten sprachlichen Schwierigkeiten erscheint dem Antragsteller eine Integration im Land seiner Staatsangehörigkeit möglich und zumutbar.
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2.3. Das mit der Ausweisung angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG wird sich voraussichtlich ebenfalls als rechtmäßig erweisen.
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Nach der seit dem 21. August 2019 geltenden Neufassung des § 11 AufenthG, die durch das Gesetz vom 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294) geschaffen worden ist, wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß §11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als selbständiger Verwaltungsakt, im Falle der Ausweisung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung erlassen. Damit ist die bisherige gesetzgeberische Konzeption, wonach das Einreise- und Aufenthaltsverbot unmittelbare und insofern unselbständige gesetzliche Rechtsfolge der Ausweisung war, abgelöst worden. Seitdem ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zwar noch immer zwingend; es tritt jedoch nicht mehr kraft Gesetzes ein, sondern bedarf einer behördlichen Anordnung (vgl. BT-Drs. 19/10047, S. 31).
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Nach der Konzeption des Gesetzes ist für den Erlass eines Einreise- und Aufenthaltsverbots weder die Bestandskraft der Ausweisung noch deren Vollziehbarkeit Voraussetzung. Die Wirksamkeit der Ausweisung bleibt des Weiteren gemäß §84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG davon unberührt, ob gegen sie eine Klage erhoben wird, die aufschiebende Wirkung entfaltet. Der Tatbestand des §11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist damit erfüllt, wenn das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit einer Ausweisung erlassen wird.
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Da vorliegend davon auszugehen ist, dass sich - wie ausgeführt - die streitgegenständliche Ausweisung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird, überwiegt auch das öffentliche Interesse an der Vollziehbarkeit des angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots die privaten Belange des Antragstellers (vgl. nachfolgend 3.). Ob sich das Einreise- und Aufenthaltsverbot auch insofern als rechtmäßig erweisen wird, als die Dauer seiner Befristung (§ 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG) betroffen ist, ist hinsichtlich der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht dagegen regelmäßig unerheblich. Selbst eine unverhältnismäßige und daher rechtswidrige Befristung würde nichts daran ändern, dass das Einreise- und Aufenthaltsverbot wegen der voraussichtlich rechtmäßigen Ausweisung dem Grunde nach angeordnet werden darf (vgl. VGH BW, B.v. 21.1.2020 - 11 S 3477/19 - juris Rn. 32). Auf das gegen die Bemessung der Frist gerichtete Beschwerdevorbringen kommt es mithin im vorliegenden Verfahren nicht an. Abgesehen davon erscheint die Bemessung der Frist nicht ermessensfehlerhaft; insbesondere sind keine maßgeblichen Veränderungen ersichtlich, die eine nachträgliche Anpassung der Frist erforderlich machen könnten.
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3. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich und die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter überwiegen die den Antragsteller treffenden Folgen der sofortigen Vollziehung.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Anordnung des Sofortvollzugs als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden, akuten Gefahren auch schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens erforderlich ist. Diese Erforderlichkeit ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn - wie hier - die Ausweisung von schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der Spezialprävention getragen wird, die nicht nur langfristig, sondern auch schon während des Klageverfahrens Geltung beanspruchen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.5.2021 - 19 CS 21.828 - juris Rn. 19; B.v.2.8.2016 - 19 CS 16.878; NdsOVG, B.v. 16.12.2011 - 8 ME 76/11 - juris Rn. 40; VGH BW, B.v. 25.6.1998 - 11 S 682/98 - juris Rn. 4f.; OVG NW, B.v. 24.2.1998 - 18 B 1466/96 - juris Rn. 30 f.). Entgegen dem Beschwerdevorbringen stellt es keine schematische Rechtsanwendung und keine Umkehrung des in §80 VwGO geregelten Regel-Ausnahme-Verhältnisses dar, wenn ausgehend von der individuellen, schwerwiegenden Delinquenz des Antragstellers und dem hohen Rang des gefährdeten Rechtsgutes eine Bekämpfung der Gefahr auch schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens für erforderlich erachtet wird. Im Übrigen kann trotz der Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe mit einer vorzeitigen, bedingten Entlassung des Antragstellers aus Maßregel- und Strafvollzug vor einem rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache gerechnet werden.
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Ebenso erweist sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots für erforderlich, da ansonsten im Fall eines länger andauernden Klageverfahrens der Zweck der Maßnahme, nämlich die Fernhaltung aus dem Bundesgebiet, nicht erreicht werden könnte. Die Gründe, die für die Erforderlichkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung als Präventivmaßnahme zur Abwehr der mit der Ausweisungsverfügung zu bekämpfenden Gefahren schon vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens sprechen, gelten für die Erforderlichkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung des angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbotes gleichermaßen.
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Schließlich überwiegen die bei einem Aufschub des Vollzugs eintretenden konkreten Nachteile für die gefährdeten Rechtsgüter die den Antragsteller betreffenden Folgen der sofortigen Vollziehung. Der Senat verkennt nicht, dass die sofortige Vollziehung der Ausweisung durch die Aufenthaltsbeendigung eine schwerwiegende Maßnahme darstellt, die erheblich in das Leben des Antragstellers eingreift. Er wird - jedenfalls bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens - gezwungen, das Bundesgebiet zu verlassen, hier etwaige bestehende Bindungen und gegenwärtig ausgeübte Erwerbstätigkeit zu unterbrechen und sein Leben im Heimatland zu bestreiten.
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Hinsichtlich des nunmehr bestehenden Beschäftigungsverhältnisses des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass gelegentliche frühere Erwerbstätigkeiten sein delinquentes Verhalten nicht verhindert haben. Auch sind die Wirkungen des Sofortvollzugs im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller, dem eine soziale Wiedereingliederung im Bundesgebiet für diesen Fall möglich und zumutbar ist, weitgehend reparabel. Ein Beschäftigungsverhältnis als ungelernte technische Hilfskraft dürfte sich auch im Falle des Erfolgs in der Hauptsache fortsetzen oder erneut finden lassen. Dies gilt für die von einem Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gefährdeten Rechtsgüter nicht. Realisiert sich die beschriebene konkrete Gefahr, dass der Antragsteller im Bundesgebiet erneut erhebliche Straftaten begeht, ggf. im Zusammenhang mit seiner nicht nachhaltig überwundenen Drogensucht, sind die dann eingetretenen Schädigungen regelmäßig nicht mehr wieder gut zu machen. Angesichts des hohen Rangs der Schutzgüter und der in Betracht zu ziehenden Irreparabilität ihrer Beeinträchtigung überwiegen diese im vorliegenden Einzelfall die den Antragsteller betreffenden Folgen der sofortigen Vollziehung.
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Da vorliegend davon auszugehen ist, dass sich die streitgegenständliche Ausweisung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird, überwiegt auch das öffentliche Interesse an der Vollziehbarkeit des angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbots die privaten Belange des Antragstellers.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).