Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 10.10.2022 – 2 U 1038/22
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: Opel Zafira Tourer)

Normenketten:
BGB § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; BeckRS 2022, 29314; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; BeckRS 2022, 22852; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 29316; BeckRS 2022, 29310; LG Kempten BeckRS 2022, 29315. (redaktioneller Leitsatz)
2. Den Täter trifft der haftungsbegründende Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung nur dann, wenn der Geschädigte die ihn schädigende Handlung gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu sittenwidrig veranlasst worden ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Herstellerin ist zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch wenn das Medienecho auf die Ankündigungen von Opel deutlich geringer ausgefallen ist, als es bei der Adhoc-Mitteilung oder sonstigen an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärungen von Volkswagen der Fall war, ist eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis einer Abschalteinrichtung sicher verhindert, zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Nachkauf, KBA, (kein) Rückruf, (kein) bewusstes Ausnutzen einer Arglosigkeit von Käufern, tadelloses Verhalten, Medienecho
Vorinstanz:
LG Ansbach, Urteil vom 18.03.2022 – 3 O 1233/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29322

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Ansbach vom 18.03.2022, Aktenzeichen 3 O 1233/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ansbach ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 12.462,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
1
Der Kläger nimmt die Beklagte in Bezug auf ein am 13.10.2016 bei einem Autohaus als Gebrauchtwagen erworbenes und von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Opel Zafira Tourer auf Schadensersatz in Anspruch. Er stützt sich auf die Behauptung, die Beklagte habe eine unzulässige Abschaltvorrichtung verbaut.
2
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil vom 18.03.2022 (Bl. 180 ff. d. A.) und die dortige Darstellung des Sach- und Streitstands sowie ergänzend auf den Hinweis des Senats vom 15.09.2022 Bezug genommen.
3
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 18.03.2022 verkündeten Urteil des Landgerichts Amberg, Az. 3 O 1233/21,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei 18.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel Zafira Tourer mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
hilfsweise: das Urteil des Landgerichts Ansbach, Az. 3 O 1233/21, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Ansbach zurückzuverweisen.
4
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
B.
5
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Amberg vom 18.03.2022, Az. 3 O 1233/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Es mag sein, dass die Sache Rechtsfragen aufwirft, die sich - schon angesichts der Menge der anhängigen Klagen gegen die Beklagte, denen vergleichbare Sachverhalte zugrunde liegen - in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen. Diese Rechtsfragen sind allerdings nicht klärungsbedürftig, weil die anzuwendenden Grundsätze inhaltlich hinreichend höchstrichterlich geklärt sind.
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Zur Begründung der Zurückweisung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 15.09.2022 Bezug genommen. Die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 04.10.2022 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Macht der Geschädigte geltend, er sei durch die sittenwidrige Handlung des Täters zu schädlichen Vermögensdispositionen veranlasst worden, dann genügt es nicht, dass der Täter die Möglichkeit eines solchen Kausalverlaufs erkannt und gebilligt hat. Es kommt darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 07.05.2019 - VI ZR 512/17, juris, Rdnr. 8; Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris, Rdnr. 29). Den Täter trifft der haftungsbegründende Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung nur dann, wenn der Geschädigte die ihn schädigende Handlung gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu sittenwidrig veranlasst worden ist (BGH, Urteil vom 20.02.1979 - VI ZR 189/78, juris, Rdnr. 18; ebenso: OLG Stuttgart, Urteil vom 26.11.2019 - 10 U 199/19, juris, Rdnr. 44).
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2. Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis der Parteien im Streitfall indes nicht gegeben. Denn der Beklagten kann nicht vorgeworfen werden, dass sie auch im Zeitpunkt des Erwerbs des Klägers am 13.10.2016 noch sittenwidrig, mithin nicht nur pflichtwidrig gehandelt hätte, sondern eine besondere Verwerflichkeit ihres Verhaltens hinzugetreten wäre. Es fehlt an einer sittenwidrigen Veranlassung des Kaufs durch die Beklagte.
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a) Richtig ist, dass die Beklagte in den im Hinweis vom 15.09.2022 angeführten Pressemitteilungen (etwaige) Abschalteinrichtungen nicht selbst als illegal gebrandmarkt hat, sondern im Gegenteil dieser (möglicherweise zutreffenden) Bewertung sogar entgegengetreten ist. So wird insbesondere in der Pressemitteilung vom 15.12.2015 ausgeführt: „Unsere Untersuchungen in den vergangenen Monaten zeigen, dass wir keine Einrichtungen haben, die erkennen, ob ein Fahrzeug gerade einem Prüfstandtest unterzogen wird.“ Eine bewusste Manipulation wird - soweit es eine solche gab - damit im Ergebnis geleugnet. Das reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber dem Kläger jedoch nicht aus. Insbesondere ist ein aus moralischer Sicht tadelloses Verhalten der Beklagten zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris, Rdnr. 38; Urteil vom 08.12.2020 - VI ZR 244/20, juris, Rdnr. 16).
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b) Entscheidend ist, ob die Beklagte als Herstellerin auf die (vermeintlichen) Missstände reagiert hat. Das ist hier der Fall. Die Beklagte hat vor dem Hintergrund des „Abgasskandals“ eine Verhaltensänderung publik gemacht, indem sie die Öffentlichkeit über ihren Entschluss informierte, die technischen Bedingungen des Abgassystems der mit Euro-6-Dieselmotoren ausgestatteten Fahrzeuge zu verändern. Sie machte deutlich, am Bisherigen nicht festzuhalten, wobei ausdrücklich auch bereits ausgelieferte Fahrzeuge miteinbezogen werden sollten. Dass den Ankündigungen der Beklagten nicht entsprechende Taten folgten, trägt der Kläger nicht vor.
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Schon in der Pressemitteilung vom 15.12.2015 erklärte die Beklagte unter Bezugnahme auf „[d]ie Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate“, die „gezeigt [hätten], wie sehr die Automobilindustrie derzeit im Blickpunkt steh[e]“, also unter Verweis auf nichts anderes als den „Abgasskandal“, „bei den NOx-Emissionen [zu] handel[n]“ und „an verbesserten Lösungen zur Wirksamkeit des Abgasreinigungssystems bei Euro-6-Dieselmotoren mit SCR-Technologie (…) zu arbeiten“, um „Fortschritte hinsichtlich künftiger Vorgaben der RDE-Richtlinien zu erzielen“. Diese „Aktivität“ sollte dabei „eine freiwillige Serviceaktion für Kunden“ umfassen, „die 43.000 Fahrzeuge betrifft, welche in Europa bereits auf der Straße sind (Zafira Tourer, Insignia und Cascada)“. Sie sollten „eine neue Software-Kalibrierung erhalten, sobald diese verfügbar ist“.
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Nach der Feststellung in der Pressemitteilung vom 15.12.2015, dass „die Transparenz zwischen den Herstellern und Behörden verbessert werden muss“, bekundete die Beklagte in der Folge darüber hinaus ausdrücklich ihre Bereitschaft zur Offenheit, mithin zum genauen Gegenteil, einer bewussten Täuschung, aus der sich eine Verwerflichkeit ergeben kann. So heißt es in der Pressemeldung vom 29.03.2016, die Beklagte „bietet den Zulassungsbehörden an, Kalibrierungs-Strategien der Motoren als Grundlage für einen vorausschauenden Dialog zur Verfügung zu stellen“.
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Das Umdenken der Beklagten manifestierte sich schließlich in der Erklärung vom 25.04.2016, mit der die Beklagte die Öffentlichkeit und die ihrem Servicenetz angeschlossenen Opel-Partner über ein freiwilliges Software-Update, das dem Kraftfahrtbundesamt zur Freigabe vorgestellt worden war, für das hier streitgegenständliche Modell informierte. Sie kündigte an, die „Aktion (…) im Juni 2016 [zu] starten“.
14
c) Das Medienecho auf die Ankündigungen der Beklagten mag deutlich geringer ausgefallen sein, als es bei der Adhoc-Mitteilung vom 15.09.2015 oder sonstigen an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärungen der V. AG der Fall gewesen war. Eine Aufklärung, die tatsächlich jeden potenziellen Käufer erreicht und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis einer Abschalteinrichtung sicher verhindert, ist zum Ausschluss objektiver Sittenwidrigkeit aber nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris, Rdnr. 38; Urteil vom 08.12.2020 - VI ZR 244/20, juris, Rdnr. 16). Maßgeblich ist, dass die Mitteilungen der Beklagten in den Jahren 2015 und 2016 an die Öffentlichkeit gerichtet waren. Sie hatte damit ihr Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert (zu dieser Anforderung: BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, juris, Rdnr. 30; Urteil vom 08.12.2020 - VI ZR 244/20, juris, Rdnr. 12). Der Wille, eine (etwaige) bewusste Täuschung des Kraftfahrtbundesamts oder von Käufern fortzusetzen, lässt sich mit dem Inhalt der Pressemitteilungen bzw. Ankündigungen der Beklagten nicht in Übereinstimmung bringen. Die Bereitstellung eines Online-Tools zur Überprüfung der Betroffenheit von sich im Verkehr befindlichen Fahrzeugen bedurfte es dafür nicht zwingend.
C.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
16
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO. Dabei war § 713 ZPO im Hinblick auf § 544 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu berücksichtigen. (zur Beschwer: BGH, Beschluss vom 18.09.2018 ‒ VI ZB 26/17, juris, Rdnr. 7).
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Die Vollstreckbarkeit dieses Zurückweisungsbeschlusses ergibt sich unmittelbar aus § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und bedarf keines besonderen Ausspruchs (Ulrici, in: BeckOK, ZPO, 44. Edition, § 708 Rn. 24.3; Götz in: Münchener Kommentar, ZPO, 6. Aufl., § 708 Rn. 18).
18
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Einen seit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht veränderten Kilometerstand hat der Kläger nicht mitgeteilt. Er hat das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 38.000 erworben, so dass die Restnutzungsdauer bei der von ihm angegebenen Gesamtnutzungsdauer von 350.000 km noch 312.000 km betrug. Davon ist er bis zum Schluss des erstinstanzlichen Verfahrens 102.045 km gefahren, was 33% der beim Erwerb bestehenden Restnutzungsdauer entspricht.