Titel:
Desinfektionskosten bei Fahrzeugreparatur nach Unfall
Normenkette:
BGB § 249 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine noch nicht beglichene Rechnung entfaltet keine Indizwirkung für den Umfang der erforderlichen Reparaturkosten. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kein Ersatz Corona-bedingter Desinfektionskosten. (Rn. 13 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona, Rechnung, Desinfektionskosten
Fundstelle:
BeckRS 2022, 29192
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 41,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.08.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 104,13 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Die ordnungsgemäß erhobene Klage ist zulässig. Das Amtsgericht Landsberg am Lech ist sachlich gemäß §§ 23, 71 GVG und örtlich gemäß § 20 StVG zuständig.
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Die Klägerin macht restliche Reparaturkosten geltend. Im Streit stehen die Kosten für Polierarbeiten in Höhe von 35,00 € netto sowie Kosten für Covid-19 Schutzmaßnahmen in Höhe von 52,50 € netto, gesamt 104,13 € brutto.
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Die Klage ist in Höhe von 41,65 € begründet, da der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für Polierarbeiten zusteht, im Übrigen unbegründet. Die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen kann die Klägerin nicht erstattet verlangen.
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1. Grundsätzlich kann ein Geschädigter den Betrag als Schadensersatz verlangen, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der beschädigten Sache erforderlich ist.
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Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (BGH NWJ 2015, 1298). Wenn der Geschädigte die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann, so ist er nach dem Begriff des Schadens und dem Zweck des Schadensersatzes wie auch nach dem letztlich auf § 242 BGB zurückgehenden Rechtsgedanken des § 254 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch vom Geschädigten nicht, zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Denn in letzterem Fall wird der Geschädigte nicht selten Verzichte üben oder Anstrengungen machen, die sich im Verhältnis zum Schädiger als überobligationsmäßig darstellen und die dieser daher vom Geschädigten nicht verlangen kann (OLG München, Beschluss vom 12.03.2015, 10 U 579/15). Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs ist im Rahmen von Abs. 2 Satz 1 des § 249 BGB zu beachten, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll. Deshalb ist bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (OLG München a.a.O.).
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2. Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrags im Sinne von § 249 BGB, schlagen sich in ihr doch die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles einschließlich der - vor dem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten - beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder (OLG München a.a.O.).
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Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Rechnung jedoch nicht bezahlt, sodass sie sich nicht auf die Indizwirkung der Rechnung berufen kann.
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3. a) Die Erforderlichkeit des zur Wiederherstellung aufzuwendenden Betrages kann nach Auffassung des Gerichts auch nachgewiesen werden, wenn ein zuvor eingeholtes Sachverständigengutachten die streitigen Kosten vorsieht und der Geschädigte R. auf Gutachtenbasis erteilt. Ergibt sich dann der bereits im Gutachten vorgesehene Rechnungsbetrag ohne erhebliche Abweichungen, ist nach dan Grundsätzen der subjektiven Schadensbetrachtung ein Anspruch auch denn denkbar, wenn die Rechnung noch nicht ausgeglichen ist.
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Die Klägerin hat zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass sie Reparaturauftrag gemäß Gutachten erteilt hat.
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aa) Im Gutachten sind Kosten für Polierarbeiten in Höhe von 35,00 € netto vorgesehen. Unter Anwendung der Grundsätze der subjektiven Schadensbetrachtung ist es für die Klägerin nicht erkennbar, dass diese Arbeiten nicht erforderlich sein sollen. Zum einen steht das Gutachten diese Arbeiten in der später in der Rechnung tatsächlich berechneten Höhe vor, zu dem kann ein technischer Laie - wie es die Klägerin war - nicht beurteilen, ob das Polieren angrenzender Bauteile erforderlich ist oder nicht.
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Der Klägerin steht daher ein Anspruch auf Ersatz dieser Kosten in Höhe von 41,65 € brutto zu.
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bb) Anders verhält es sich bei den Kosten für Covid-19 Schutzmaßnahmen.
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Im vorliegenden Fall sind im Gutachten zwar Kosten für Covid-19 - Schutzmaterial sowie Covid-19 - Schutzmaßnahmen vorgesehen.
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Auf die Erstattung dieser Kosten hat die Klägerin im vorliegenden Fall auch unter Zugrundelegung der Grundsätze der subjektiven Schadensbetrachtung keinen Anspruch.
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Aus der Sicht eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Geschädigten ist bei derartige Angaben im Sachverständigengutachten vor Auftragserteilung eine weitere Nachfrage angezeigt. Auch der unverschuldet Geschädigte ist gehalten, nur den zur Schadensbeseitigung erforderlichen Betrag aufzuwenden.
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Es handelt sich um Kosten von immerhin 52,50 € netto für einen Arbeitsaufwand, der innerhalb weniger Minuten mit geringen finanziellen Mitteln zu erledigen ist. Zur Beurteilung der Erforderlichkeit dieser Arbeiten bedarf es keiner besonderen Sachkunde, vielmehr kann jeder technische Laie nachvollziehen, ob diese Arbeiten und die Kosten für den zu erwartenden Aufwand angemessen und erforderlich sind.
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Schon in Zeiten vor Pandemie waren Maßnahmen zum Schutz des Fahrzeuginnenraums, zum Beispiel durch Plastiküberzüge auf Sitzen und Lenkrad üblich. Zudem ist dem Gericht kein Fall bekannt, bei dem bei regulärer Auftragserteilung außerhalb einer Schadensregulierung, zum Beispiel Reifenwechsel oder Inspektion, vergleichbare Kosten oder überhaupt Kosten für Desinfektion berechnet werden.
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Der geltend gemachte Kostenaufwand kann auch auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin nicht nachvollzogen werden. Soweit die Klägerin behauptet, bei Hereinnahme das Fahrzeugs müssten die Kontaktflächen desinfiziert werden, handelt es sich um Arbeitsschutzmaßnahmen, für die die Reparaturwerkstatt als Arbeitgeber ohnehin Sorge zu tragen hat und die nicht auf den Kunden abgewälzt werden können, ebenso wenig wie zum Beispiel Aufwand für Schutzkleidung oder sonstige Schutzvorrichtungen.
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Das Abwischen der Kontaktflächen vor Übergabe an den Kunden ist innerhalb kürzester Zeit zu bewerkstelligen.
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Die Klägerin hat im Ergebnis nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass die Kosten für Desinfektion in der streitgegenständlichen Höhe erforderlich waren.
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Die Klägerin hat auch gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen, als sie den Reparaturauftrag nach Sachverständigengutachten erteilt hat, ohne auf die hohen Kosten für die Desinfektionsmaßnahmen einzugehen.
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Die Verurteilung zur Zahlung dar Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.