Titel:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Mehrfamilienhaus
Normenketten:
BauGB § 30 Abs. 3, § 31 Abs. 2, § 34
BayBauO Art. 6 (idF bis 31.1.2021)
VwGO § 44, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, beinhalten grundsätzlich keinen Drittschutz. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Einfügensgebot dient – mit Ausnahme des Zulassungskriteriums der Art der baulichen Nutzung, soweit die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BauGB vorliegen – im Grundsatz nur allgemein der städtebaulichen Ordnung und nicht auch dem Schutz der Nachbarn; Nachbarrechte werden durch einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB aber dann verletzt, wenn das Vorhaben unabhängig davon, ob es den Rahmen einhält oder nicht, sich nicht einfügt, weil mit ihm unzumutbare Auswirkungen auf ein Nachbargrundstück verbunden sind und es daher gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Während das Rücksichtnahmegebot bezweckt, den Nachbarn vor unzumutbaren Belästigungen oder Benachteiligungen zu schützen, sind bodenrechtliche Spannungen dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Bauleitplanung zu schaffen. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Verkürzung einer Abstandsflächentiefe kann nur den Nachbarn in seinen Rechten verletzen, dessen Grundstück der betreffenden Außenwand gegenüberliegt. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Baugenehmigungen für den Neubau zweier Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage, geltend gemacht: Beeinträchtigung bisheriger Ruhezonen, Rücksichtnahmegebot, Abstandsflächen, Baugenehmigung, Drittschutz, Einfügensgebot, Maß der baulichen Nutzung, Ruhezonen, bodenrechtliche Spannungen, Außenwand
Fundstelle:
BeckRS 2022, 28375
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist für die Beklagte ohne, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich als Nachbarin gegen zwei Baugenehmigungen für den Neubau jeweils eines Mehrfamilienhauses, die die Beklagte der Beigeladenen erteilt hat.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks … straße 9 FlNr. …, Gemarkung … (im Folgenden Nachbargrundstück), welches an seiner Westseite ca. 38 m und an seiner Ostseite ca. 47 m tief sowie ca. 23 m breit ist. Das oberste Geschoss des straßennah situierten Wohngebäudes (II+D) ist als Terrassengeschoss ausgestaltet. Die Bebauungstiefe beträgt maximal ca. 17,5 m. Der rückwärtige Grundstücksbereich ist von Bebauung freigehalten und wird gärtnerisch genutzt.
3
Unmittelbar östlich grenzen die Baugrundstücke FlNrn. … und …, Gemarkung …, … straße 7 an, die durch Teilung des ehemals einheitlichen Grundstücks FlNr. … entstanden sind. Dieses ca. 48 m tiefe und ca. 23 m breite Grundstück war ausweislich der Einzeichnungen im amtlichen Lageplan und der über „Google Maps“ allgemein zugänglichen Luftbilder - die Bestandsbebauung war im Zeitpunkt des gerichtlichen Augenscheins bereits beseitigt - lediglich im vorderen, straßenseitigen Bereich bis zu einer Tiefe von etwa max. 11 m mit einem Wohngebäude mit Garage bebaut. Der gesamte rückwärtige Grundstücksbereich der ehemaligen FlNr. … war von Bebauung freigehalten.
4
Ein qualifizierter Bebauungsplan existiert nicht. Durch einfachen, übergeleiteten Baulinienplan ist u.a. für das Bau- und für das Nachbargrundstück zur … straße hin eine vordere Baugrenze festgesetzt. Weiter östlich, entlang der östlichen Grenzen der Grundstücke FlNr. … und …, verläuft die Gemeindegrenze der Beklagten.
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Mit Bauanträgen jeweils vom 30. Juli 2020, eingegangen bei der Beklagten am 4. August 2020, beantragte die Beigeladene zum einen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgaragenanteil - Haus Nord (Plan-Nr. …*) auf dem Grundstück FlNr. …, zum anderen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgaragenanteil - Haus Süd (Plan-Nr. …*) auf dem Grundstück FlNr. … In beiden Gebäuden sollen jeweils drei Wohneinheiten entstehen. Der Baukörper des Hauses Nord weist eine Grundfläche von 160,11 m², eine Wandhöhe 6,40 m und zwei Geschosse zuzüglich ausgebautem Dachgeschoss auf. Das Dach des Hauses Nord hat eine Neigung von 45 Grad. Die Dachaußenkanten laufen jedoch nicht in einem First zusammen, sondern werden, 3 m über der Verbindungslinie zwischen den oberen Wandenden, durch einen Dachabschluss mit 14,5 Grad Dachneigung in Form eines Walmdaches begrenzt. Der waagrechte Abschluss zwischen der Dachneigung mit 45 Grad und mit 14,5 Grad, weist eine Breite von ca. 5,405 m auf.
6
Haus Süd soll als zweigeschossiger Baukörper zuzüglich ausgebautem Dachgeschoss mit einer Grundfläche von 169,54 m² und einer Wandhöhe von 6,40 m errichtet werden. Auf der Nordseite befindet sich ein überdachter erdgeschossiger Vorbau mit einer Tiefe von 1 m und einer Breite von 3,875 m. Der Giebel bzw. das Dach ist wie bei Haus Nord ausgestaltet. Die Neigung beträgt zunächst ebenfalls 45 Grad, das darüber liegende Walmdach (3,21 m über der Verbindungslinie zwischen den oberen Wandenden) weist eine Neigung von 12,5 Grad auf. Der waagrechte Abschluss zwischen den beiden Dachneigungen beträgt 5,9 m.
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Vergleiche folgenden Auszug aus dem, der Genehmigung für Haus Nord zugrunde liegenden Plan (Lageplan), Maßstab 1 : 1000, der eine Darstellung der Vorhaben (Haus Süd ist abgestrichen) und der benachbarten Bebauung enthält:
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(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
9
Die Klägerin erhob im Baugenehmigungsverfahren über ihren Bevollmächtigten Einwendungen gegen die geplanten Bauvorhaben.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24. November 2020 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die baurechtliche Genehmigung für den Neubau des Hauses Nord auf dem Grundstück FlNrn. … der Gemarkung … nach Plan-Nr. … mit Handeintragungen vom 21. September 2020 und 2. November 2020. Der Bescheid enthält neben verschiedenen Auflagen, u.a. zu Kfz- und Fahrradabstellplätzen sowie zum Naturschutz, zur Schnurgerüstabnahme, zur Vorlage eines Nachweises über die Einhaltung der Gebäudeaußenmaße und des Nachweises über den grundbuchamtlichen Vollzug notarieller Beantragungen folgende auflösende Bedingungen a) und b), denen nachstehender Einleitungssatz vorangestellt ist:
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„Das Antragsgrundstück steht in Sachzusammenhang mit dem gleichzeitig eingereichten Bauantrag AZ … - Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgaragen-Anteil - Haus Süd - auf dem südlich benachbarten Grundstück FlNr. … Es dient gemäß der Beantragung vom 22.10.2020 der Erschließung dieses südlichen Nachbargrundstücks, generiert aus der dort genehmigten Bebauung eine Abstandsflächenübernahme und nutzt die geplante Tiefgarage mit diesem gemeinsam.
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Aufschiebende Bedingung a):
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Vor Baubeginn ist der Fortschreibungsnachweis über die neu einzumessende Grenze zwischen den Grundstücken FlNr. … und … entsprechend der Beantragung vom 22.10.2020 vorzulegen.
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Aufschiebende Bedingung b):
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Das Antragsgrundstück steht in Sachzusammenhang mit dem Bauantrag AZ … - Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgaragen-Anteil - Haus Süd - auf dem südlich benachbarten Grundstück FlNr. …, das gemäß der Beantragung vom 22.10.2020 über das Antragsgrundstück erschlossen wird, bauordnungsrechtlich aus der dort genehmigten Bebauung eine Abstandsflächenübernahmefläche generiert und die geplante Tiefgarage mit diesem gemeinsam nutzt. Vor Baubeginn ist die notarielle Bestätigung über die unwiderrufliche Beantragung der Eintragung aller diesbezüglich erforderlichen Grunddienstbarkeiten zugunsten des Eigentümers des Baugrundstücks und der beschränkt-persönlichen Dienstbarkeit zugunsten der … … im Grundbuch vorzulegen.
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Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit vorbereitenden Geländearbeiten und mit der Ausführung des Vorhabens erst begonnen werden darf, wenn die unter a) und b) aufgeführten Unterlagen der Lokalbaukommission vorliegen.“
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Ferner wurden eine Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB wegen Überschreitung der Baugrenze durch drei Lichtschächte und einen Mülltonnenstandort sowie eine Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 BayBO i.V.m. § 3 Abs. 1 GaStellV wegen Überschreitung der maximal zulässigen Rampenneigung erteilt.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26. November 2020 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die baurechtliche Genehmigung für den vorbezeichneten Neubau des Hauses Süd auf dem Grundstück FlNrn. … der Gemarkung … nach Plan-Nr. … mit Handeintragungen vom 21. September 2020 und 2. November 2020. Neben einer baumschutzrechtlichen Gestattung enthält auch dieser Bescheid verschiedene Auflagen zu Kfz- und Fahrradabstellplätzen, zum Naturschutz, zur Schnurgerüstabnahme, zur Vorlage eines Nachweises über die Einhaltung der Gebäudeaußenmaße und des Nachweises über den grundbuchamtlichen Vollzug notarieller Beantragungen. Die verfügten aufschiebenden Bedingungen a) und b) einschließlich dazugehörigem Einleitungssatz entsprechen denjenigen des Hauses Nord.
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Mit Schreiben vom 25. November 2020 bzw. vom 27. November 2020 wurde der Klägerin persönlich jeweils eine Ausfertigung der Baugenehmigung zugeleitet. Bezüglich der Baugenehmigung für Haus Nord findet sich kein Zustellungsnachweis in Behördenakten, bezüglich der Baugenehmigung für Haus Süd ein Zustellungsnachweis an den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin (datiert auf 3. Dezember 2020).
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Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2020, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am 9. Dezember 2020, erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage gegen die beiden vorgenannten Baugenehmigungen und beantragt,
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1. Die Baugenehmigung vom 24.11.2020, Az: …, für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgaragenanteil - Haus Nord, H.str. 7, FlNr. …, Gemarkung …, wird aufgehoben.
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2. Die Baugenehmigung vom 26.11.2020, Az: …, für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgaragenanteil - Haus Süd, H.str., FlNr. …, Gemarkung …, wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen geltend gemacht, die nähere Umgebung sei geprägt durch die Bebauung entlang der … straße, die eine homogene Struktur mit annähernd gleichen Wohngebäuden und rückwärtigen Gärten aufweise. Die Grundflächen betrügen maximal 12 m x 13 m bzw. 13 m x 15 m, die Bebauungstiefe entlang der … straße liege bei maximal 19 m (gemessen ab der Grundstücksgrenze): Die darüberhinausgehenden Flächen seien gärtnerisch angelegt und frei von baulicher Nutzung. Das streitgegenständliche Vorhaben Haus Süd solle nunmehr mit einer Bebauungstiefe von nahezu 40 m im bisher, auch bei sämtlichen Nachbargrundstücken, freigehaltenen rückwärtigen Grundstücksbereich realisiert werden. Die streitgegenständlichen Vorhaben fügten sich (auch) zu Lasten der Klägerin nicht in die nähere prägende Umgebung ein, da sie hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der Grundstücksfläche, die überbaut werden dürfe, den durch die nähere Umgebung gesetzten Rahmen überschritten und hierdurch städtebauliche Spannungen hervorgerufen würden. Zum einen werde das Verhältnis der beiden Baukörper - die aufgrund der gemeinsamen Tiefgarage auch nur gemeinsam betrachtet werden könnten - zur Freifläche, die gem. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei offener Bebauung eine maßgebliche Bezugsgröße zur Ermittlung des Nutzungsmaßes darstelle, im Vergleich zum in der Umgebung realisierten Maß ganz erheblich überschritten. Das Baugrundstück solle im Gegensatz zu den Grundstücken in der näheren Umgebung nun in einem nahezu doppelt so großen Umfang bebaut werden. Zum anderen werde die in der näheren Umgebung vorhandene, von der … straße aus zu bemessende Bebauungstiefe durch den rückwärtigen Baukörper erheblich überschritten, so dass städtebauliche Spannungen vorgegeben seien. Im Vergleich zum klägerischen Grundstück werde die Bebauungstiefe sogar nahezu verdoppelt. Durch die Kombination aus Vorder- und Rückgebäude entstehe eine neue Struktur, die zu einer gesteigerten Dichte und Beanspruchung der rückwärtigen Grundstücksbereiche führen werde. Das rückwärtige Gebäude in zweiter Reihe werde zu einem ungewollten Bezugsfall führen und zu einer städtebaulichen Entwicklung beitragen, die eine dauerhafte und unerwünschte Veränderung des Gevierts mit sich bringe. Durch die in Bezug zur Erschließungsstraße erstmalige Zulassung der jetzt genehmigten rückwärtigen Bebauung werde erhebliche Unruhe in die rückwärtigen Bereiche getragen und die bisher bestehende Zäsur zwischen Wohnbebauung und Grünbereich zerstört. Das Vorhaben verletze in Bezug auf die Kriterien des Maßes der baulichen Nutzung und der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, das Gebot der Rücksichtnahme. Durch die nahezu vollständige Überbauung des bisher als Ruhezone geprägten rückwärtigen Gartenbereichs des Vorhabengrundstücks entstehe eine mit dem klägerischen und auch den weiteren Nachbargrundstücken unverträgliche Grundstücksnutzung. Die bisher dort vorhandenen Ruhezonen würden so nachhaltig beeinträchtigt und entwertet. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass namentlich im Falle einer Hinterlandbebauung, durch die eine vorhandene Ruhelage gestört werde, bodenrechtlich beachtliche Spannungen ausgelöst würden. Dies sei vorliegend der Fall, was zunächst die objektivrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens zur Folge habe (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1999 - 4 B 15/99). Die streitgegenständliche Bebauung werde in Bezug auf die Nutzung des klägerischen Grundstücks zu Unzuträglichkeiten führen, die der Klägerin billigerweise nicht mehr zumutbar seien. Die genehmigte rückwärtige Bebauung leite aufgrund einer Vielzahl möglicher Bezugsfälle eine Entwicklung hin zu einer Bebauung der rückwärtigen Bereiche des Gevierts in zweiter Reihe ein, womit ein städtebaulich relevanter Belang betroffen werde, der auch das nachbarliche Interesse am Erhalt einer ruhigen Wohnlage miterfasse. Diese Veränderung sei der Klägerin nicht zumutbar, da es nicht um eine „bloße Verschlechterung“ bei benachbarten, hinsichtlich des Nutzungsmaßes vergleichbaren Wohnnutzungen gehe, sondern um zu erwartende Auswirkungen der hinzukommenden Nutzung, die die Wohnruhe nachhaltig und gravierend stören würden. Bei sämtlichen rückwärtigen Bereichen der hier maßgeblichen Grundstücke handle es sich um gewachsene, schützenswerte Ruhe- und Erholungsbereiche, eine Vorbelastung sei bisher nicht vorhanden. Das Vorhaben der Beigeladenen würde in diese Situation erstmalig einbrechen und vermehrte Einsichtmöglichkeiten und auch Immissionen in die Nachbargrundstücke tragen, die durch die Klägerin schlechterdings nicht hinzunehmen seien. Die Interessen der Klägerin an der Erhaltung der begrünten Ruhezone seien offensichtlich in keinster Weise in die Erwägungen der Beklagten über die Zulassung einer den Rahmen der Umgebungsbebauung insbesondere im Hinblick auf die Bebauungstiefe sprengenden Bebauung miteinbezogen worden. Wohnhäuser seien grundsätzlich an der Straße zu errichten; der im Gebiet der offenen Bauweise in der Regel begrünte Blockinnenraum solle als Ruhezone erhalten bleiben (OVG Berlin, U.v. 18.5.1984 - 2 B 151.83). Der im Rahmen des Rücksichtnahmegebots notwendige Interessenausgleich zwischen hinzutretender und vorhandener Bebauung werde durch das Vorhaben gerade nicht gewahrt, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, dass sowohl die Klägerin als auch die weiteren Nachbarn eine Störung der rückwärtigen Ruhebereiche vollständig vermieden hätten. Das mache das rückwärtige Bauvorhaben der Beigeladenen umso rücksichtsloser und für die Klägerin unzumutbar.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beigeladene beantragt
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Klagepartei berufe sich und könne sich ausschließlich auf das Rücksichtnahmegebot berufen. Dazu habe die Kammer mehrfach judiziert. All die dort genannten Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Im Übrigen seien weder § 34 Abs. 1 BauGB aus sich heraus noch § 23 BauNVO selbst nachbarschützend. Selbst wenn sich das genehmigte Vorhaben - wie nicht - nicht einfügen würde, würde daraus kein Abwehrrecht für die Nachbargebäude folgen. Im Übrigen sei das Gebiet erkennbar äußerst dicht bebaut, die Bebauung des rückwärtigen Grundstücks FlNr. … geprägt durch die dichte Bebauung auf den südlichen Nachbargrundstücken FlNr. …, … u.a.m..
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Mit Schreiben vom 21. April 2021 übersandte die Beigeladene der Beklagten einen Fortführungsnachweis des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung … über die Änderungen an den FlNrn. … und …
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Das Gericht hat am 30. Mai 2022 Beweis durch Augenscheinseinnahme erhoben. Auf das Protokoll dieses Augenscheins wird ebenso Bezug genommen wie auf die Niederschrift der am selben Tag durchgeführten mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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I. Die beiden Klagebegehren (Ziffer 1 und 2 des Klageantrags) können zusammen im vorliegenden Verfahren verfolgt werden, da die Voraussetzungen einer objektiven Klagehäufung (§ 44 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO) vorliegen.
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II. Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die streitgegenständlichen Baugenehmigungen vom 24. November 2020 (Haus Nord, Plan-Nr. …*) und vom 26. November 2020 (Haus Süd, Plan-Nr. …*) verstoßen nicht gegen im vorliegend einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. Art. 59 Satz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) zu prüfende, (auch) die Klägerin schützende öffentlich-rechtliche Vorschriften (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bei den streitgegenständlichen Vorhaben handelt es sich nicht um Sonderbauten im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO, so dass sich der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde aus Art. 59 BayBO ergibt.
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zudem zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, also die gerügte Rechtsverletzung Gegenstand des Prüfprogramms im einschlägigen Baugenehmigungsverfahren war (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20; B.v. 8.8.2016 - 9 ZB 14.2808 - juris Rn. 9; B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 23). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 - 4 B 244/96 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 - 2 CS 08.2132 - juris Rn. 3).
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1. Die streitgegenständlichen Vorhaben verletzen keine (auch) die Klägerin schützende Vorschriften des Bauplanungsrechts, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO zu prüfen sind.
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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Vorhaben richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 34 BauGB, da kein Bebauungsplan für die Baugrundstücke besteht, sondern nur ein gemäß § 173 Abs. 3 Bundesbaugesetz (BBauG) und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitetes und fortgeltendes Bauliniengefüge, welches entlang der … straße eine vordere Baugrenze vorsieht, und die Baugrundstücke im Übrigen im unbeplanten Innenbereich liegen.
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a) Eine Verletzung von Nachbarrechten hinsichtlich des Einfügensmerkmals der Art der baulichen Nutzung, namentlich eines etwaigen Gebietserhaltungsanspruchs, ist nicht ersichtlich.
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Unabhängig von der konkreten Bestimmung der maßgeblichen Umgebung und ihrer Eigenart ist nach dem Eindruck des Augenscheins, nach Aktenlage sowie den über „Google Maps“ zugänglichen Luftbildern davon auszugehen, dass die dem Baugrundstück benachbarten Grundstücke - wie bislang auch das Baugrundstück selbst - zu Wohnzwecken genutzt werden, so dass eine Verletzung eines etwaigen Gebietserhaltungsanspruchs (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 - 4 C 28.91 - juris Rn. 13) durch die streitgegenständlichen Baugenehmigungen für ebenfalls Wohnzwecken dienende Gebäude nicht ersichtlich ist. Die BauNVO regelt lediglich das Wohnen als Nutzungsart und differenziert nicht zwischen Wohnen in Einfamilien-, Doppel- oder Mehrfamilienhäusern (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 20.9.2017 - 1 ME 111/17 - juris Rn. 12; B.v. 28.5.2014 - 1 ME 47/14 - juris Rn. 9 ff.; B.v. 18.7.2014 - 1 LA 168/13 - juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 4.7.2014 - 7 B 363/14 - juris Rn. 3; B.v. 4.11.2015 - 7 B 74415 - juris Rn. 6). Die Anzahl der Wohnungen in einem Gebäude ist kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung betrifft (BVerwG, B.v. 24.4.1989 - 4 B 72/89 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 6; B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2482 - juris Rn. 16; NdsOVG, B.v. 28.5.2014 - 1 ME 47/14 - juris Rn. 10). Die Errichtung eines Mehrfamilienhauses kann mithin von einem Nachbarn nicht unter Berufung auf den Gebietserhaltungsanspruch mit dem Argument abgewehrt werden, ein solches passe nicht in das (reine oder allgemeine) Wohngebiet, in dem auch sein Grundstück liegt (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 6; VG München, U.v. 18.4.2016 - M 8 K 15.159 - juris Rn. 31).
40
b) Eine Verletzung von Nachbarrechten kommt auch unter dem Aspekt des sog. „Gebietsprägungs(erhaltungs) anspruchs“ (vgl. dazu BVerwG, B.v. 13.5.2002 - 4 B 86/01 - juris; U.v. 16.3.1995 - 4 C 3/94 - juris Rn. 17), dass also „Quantität in Qualität“ umschlagen würde, nicht in Betracht.
41
Insoweit ist zum einen bereits umstritten, ob ein solcher Gebietsprägungs(erhaltungs) anspruch überhaupt anzuerkennen ist (BayVGH, B.v. 9.10.2012 - 2 ZB 11.2653 - juris Rn. 9; B.v. 3.2.2014 - 9 CS 13.1916 - juris Rn. 13; B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2482 - juris Rn. 16; B.v. 5.11.2019 - 9 CS 19.1767 - juris Rn. 15; B.v. 22.6.2021 - 9 ZB 21.466 - juris Rn. 8; U.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10; B.v. 4.3.2021 - 15 ZB 20.3151 - juris Rn. 16). Zum anderen wäre ein solcher Anspruch vorliegend auch nicht verletzt. Hierfür müsste ein Umschlagen von Quantität in Qualität die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10; B.v. 4.3.2021 - 15 ZB 20.3151 - juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 5.11.2019 - 9 CS 1767 - juris Rn. 15; B.v. 22.6.2021 - 9 ZB 21.466 - juris Rn. 8). Dies ist jedoch nur unter strengen Voraussetzungen der Fall (BayVGH, B.v. 15.2.2022 - 15 CS 22.43 - juris Rn. 15; B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10). Der Widerspruch der hinzukommenden baulichen Anlage oder deren Nutzung muss sich bei objektiver Betrachtungsweise offensichtlich aufdrängen; dass das Neubauvorhaben oder die neue Nutzung nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung im Einklang steht, genügt dafür nicht (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 10; Kremer, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 5; am Beispiel eines Asylbewerberheims vgl. auch OVG Rh-Pf, B.v. 08.12.2016 - 8 A 10680/16 - juris Rn. 11 f.). Vorliegend ist nicht ersichtlich, wie die zulässige Wohnnutzung aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise bei einer typisierenden Betrachtungsweise störend wirken könnte (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2022 - 15 CS 22.43 - juris Rn. 15 für zwei Mehrfamilienhäuser mit insgesamt neun Wohnungen; B.v. 8.1.2019 - 9 CS 17.2482 - juris Rn. 16 für ein Fünf-Familienhaus; VG-München, B.v. 13.7.2017 - M 8 SN 16.5335 - n.v. - Beschlussumdruck S. 13 für ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen).
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c) Soweit die Klägerin rügt, dass sich die Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und das Haus Süd auch hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügten, ist darauf hinzuweisen, dass die Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, grundsätzlich keinen Drittschutz beinhalten (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 11.3.1994 - 4 B 53/94 - juris Rn. 4; B.v. 23.6.1995 - 4 B 52.95 - juris Rn. 3; B.v. 19.10.1995 - 4 B 215/95 - juris Rn. 3; U.v. 5.12.2013 - 4 C 5/12 - juris Rn. 19f.; BayVGH, B.v. 29.9.2008 - 1 CS 08.2201 - juris Rn. 1; B.v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2327 - juris Rn. 9; B.v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2327 - juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 3; B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 - 2 ZB 13.2276 - juris Rn. 4; B.v. 2.11.2020 - 1 CS 20.1955 - juris Rn. 3).
43
Das Einfügensgebot dient (mit Ausnahme des Zulassungskriteriums der Art der baulichen Nutzung, soweit die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BauGB vorliegen) im Grundsatz nur allgemein der städtebaulichen Ordnung und nicht auch dem Schutz der Nachbarn. Nachbarrechte werden durch einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aber dann verletzt, wenn das Vorhaben unabhängig davon, ob es den Rahmen einhält oder nicht, sich nicht einfügt, weil mit ihm unzumutbare Auswirkungen auf ein Nachbargrundstück verbunden sind und es daher gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 - 4 C 34/85 - BauR 1986, 542, B.v. 20.1.1992 - 4 B 229/91- juris und B.v. 11.1.1999 - 4 B 129/98 - BauR 1999, 615). Aus diesem Grund bedarf es keiner weitergehenden Prüfung, ob sich die Vorhaben insoweit innerhalb des durch die maßgebliche nähere Umgebung vorgegebenen Rahmens halten oder nicht.
44
d) Das Vorhaben erweist sich gegenüber dem Grundstück der Klägerin auch nicht als rücksichtslos.
45
Das Gebot der Rücksichtnahme richtet sich vorliegend hinsichtlich der erteilten Befreiung nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots, § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Dahinstehen kann, ob es sich im Übrigen aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 4).
46
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - 4 C 22.75 - juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 - 4 C 5.93 - juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 - 4 C 6.98 - juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 - 4 C 1/04 - juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 - 4 C 8/11 - juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 4). Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich - umgekehrt - um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 - 4 B 215/96 - juris Rn. 9 m.w.N.). Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 - IV C 22.75 - juris Rn. 22).
47
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass auch aus dem Rücksichtnahmegebot kein Recht des Nachbarn abzuleiten ist, dass in seiner Nachbarschaft nur objektiv rechtmäßige Bauvorhaben entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 - 15 ZB 13.1017 - juris Rn. 11; B.v. 13.3.2014 - 15 ZB 13.1017 - juris Rn. 11; B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 26). Das Rücksichtnahmegebot legt dem Bauherrn zudem auch keine Pflicht auf, generell die für den Nachbarn am wenigsten beeinträchtigende Alternative für seine Bauabsicht zu wählen (BVerwG, B.v. 26.6.1997 - 4 B 97/97 - juris Rn. 6).
48
aa) Auf die Frage, ob das Vorhaben hinsichtlich des Nutzungsmaßes vollumfänglich den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt - was von der Klagepartei bestritten wird -, kommt es mithin nicht entscheidend an, weil, wie ausgeführt, selbst ein Überschreiten des Rahmens nicht bereits die Annahme auch einer Rücksichtslosigkeit indizieren würde und in Bezug auf die Dimensionierung eines Gebäudes die Schwelle zur Rücksichtslosigkeit regelmäßig erst dann überschritten ist, wenn ein Vorhaben „abriegelnde“, „einmauernde“ oder „erdrückende“ Wirkung hat. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 9; B.v. 17.7.2013 - 14 ZB 12.1153 - juris Rn. 14; B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 30; B.v. 10.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 27). Eine solche Wirkung kommt daher vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 - 1 CS 08.2770 - juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 - 14 CS 11.814 - juris Rn. 21; B.v. 13.3.2014 - 15 ZB 13.1017 - juris Rn. 9; B.v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 12; B.v. 19.3.2015 - 9 CS 14.2441 - juris Rn. 31; B.v. 30.9.2015 - 9 CS 15.1115 - juris Rn. 13; B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 28; B.v. 10.3.2018 - 15 CS 17.2523 - juris Rn. 27). Ein Vorhaben übt grundsätzlich dann „erdrückende“ bzw. „einmauernde“ Wirkung gegenüber dem Nachbarn aus, wenn es in Höhe und Volumen ein Übermaß besitzt und auch nicht annähernd den vorhandenen Gebäuden gleichartig (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 - 2 CS 13.1351 - juris Rn. 5 m.w.N.) ist. Für die Annahme einer solchen Wirkung besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn der Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 - 2 CS 10.454 - Rn. 5; B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 9; B.v. 17.7.2013 - 14 ZB 12.1153 - juris Rn. 14; B.v. 5.9.2016 - 15 CS 16.1536 - juris Rn. 30). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gebäude im dicht bebauten städtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, v. 20.4.2010 - 2 ZB 07.3200 - juris Rn. 3; B.v. 11.5.2010 - 2 CS 10.454 - juris Rn. 5; U.v. 7.10.2010 - 2 B 09.328 - juris Rn. 22; B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 9).
49
Eine einmauernde, erdrückende oder abriegelnde Wirkung liegt hier aber nicht vor.
50
Die dreigeschossigen Baukörper und das ebenfalls dreigeschossige Gebäude der Klägerin sind von der Höhenentwicklung her vergleichbar. Auch angesichts des Abstands zwischen den geplanten Vorhaben und dem Anwesen der Klägerin sowie zueinander ist nicht ersichtlich, inwiefern die engen Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung eine gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßende „abriegelnde“ bzw. „erdrückende“ Wirkung anzunehmen ist, vorliegen könnten, v.a. wenn man die Fälle in Blick nimmt, in denen die Rechtsprechung das Vorliegen einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ bejaht bzw. ebenfalls verneint hat (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1.78 - juris Rn. 32 ff.: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalbgeschossigem Wohnhaus; U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 - juris Rn. 15: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange, wie eine „riesenhafte metallische Mauer“ wirkende Siloanlage bei einem sieben Meter breiten Nachbargrundstück; BayVGH, B.v. 5.2.2015 - 2 CS 14.2456 - juris Rn. 33: keine erdrückende Wirkung eines ca. 160 m langen Baukörpers mit einer Höhe von 6,36 m bis 10,50 m und einem Abstand von 13 - 16 m zum Gebäude des Nachbarn; B.v. 4.7.2016 - 15 ZB 14.891 - juris Rn. 9: keine erdrückende Wirkung eines 33,3 m langen Baukörpers mit einer maximalen Höhe von 11 m und einem Abstand von mindestens 15 m zur Baugrenze auf dem Nachbargrundstück). Hinzu kommt, dass die genehmigten Vorhaben die (nachbarschützenden) Vorgaben des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts zum Grundstück der Klägerin hin wahren (vgl. hierzu noch nachfolgend unter 2.). Die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften indiziert für das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot in tatsächlicher Hinsicht, dass auch das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 - 4 B 128.98 - juris Rn. 4; B.v. 15.6.2016 - 4 B 52.15 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2326 - juris Rn. 10; B.v. 15.3.2011 - 15 CS 11.9 - juris Rn. 30; B.v. 8.3.2013 - NE 12.2637 - juris Rn. 21; B.v. 9.2.2015 - 1 CS 14.2763 - juris Rn. 3; B.v. 3.6.2016 - 1 CS 16.747 - juris Rn.7; B.v. 8.5.2019 - 15 NE 19.551 u.a. - juris Rn. 31; B.v. 9.2.2015 - 1 CS 14.2763 - juris Rn. 3; B.v. 6.11.2008 - 14 ZB 08.2326 - juris Rn. 10). Dass hier eine Ausnahmesituation vorläge, ist nicht ersichtlich.
51
bb) Das Gebot der Rücksichtnahme wird auch im Hinblick auf die mit der Baugenehmigung für Haus Süd zugelassene, rückwärtige Bebauung und den damit nach Auffassung der Klägerin einhergehenden Eingriff in eine bisher bestehende Ruhezone nicht verletzt.
52
Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass namentlich im Falle einer Hinterlandbebauung, durch die eine vorhandene Ruhelage gestört würde, bodenrechtlich beachtliche Spannungen ausgelöst werden können, die ggf. die objektivrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens zur Folge haben werden (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1999 - 4 B 15/99 - juris). Für die Bejahung eines nachbarrechtlichen Abwehranspruchs unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme reicht dies allerdings noch nicht aus, da auch für den Fall, wenn man bejahen wollte, dass insoweit auch rechtlich geschützte Belange des Nachbarn betroffen wären, hinzukommen müsste, dass die Veränderung der Grundstückssituation zu Verhältnissen führen würde, die dem Nachbarn billigerweise nicht mehr zumutbar wären. Für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot reicht es, wie dargetan, nicht aus, dass sich ein Vorhaben nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 - IV C 9.77 - juris). Hinzukommen muss vielmehr objektiv-rechtlich, dass es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen, und subjektiv-rechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme speziell in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen lässt (BVerwG, B.v. 13.11.1997 - 4 B 195/97 - juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 8.2.2010 - 2 AS 09.2907 - juris Rn. 19; HessVGH, B.v. 17.11.2021 - 3 B 233/21 - juris Rn. 10).
53
Das Gebot der Rücksichtnahme ist mit dem Verbot der Begründung oder Erhöhung bodenrechtlich beachtlicher Spannungen nicht gleichzusetzen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.2010 - 4 C 7/10 - juris Rn. 23). Während das Rücksichtnahmegebot bezweckt, den Nachbarn vor unzumutbaren Belästigungen oder Benachteiligungen zu schützen, sind bodenrechtliche Spannungen dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Bauleitplanung zu schaffen. Zwar wird ein Vorhaben, das gegenüber der Nachbarschaft rücksichtslos ist, auch städtebaulich relevante Spannungen hervorrufen. Umgekehrt ist aber nicht jedes Vorhaben, das bodenrechtlich beachtliche Spannungen begründet oder erhöht und deshalb ein Planungsbedürfnis auslöst, notwendig gleichzeitig als rücksichtslos zu werten (BVerwG, U.v. 16.9.2010 - 4 C 7/10 - juris Rn. 23; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Februar 2022, § 34 Rn. 31).
54
Im vorliegenden Fall ist nicht erkennbar, dass die vorgesehene Bebauung, insbesondere Haus Süd, in Bezug auf die Nutzung des Grundstücks der Klägerin zu Unzuträglichkeiten führen könnte, die dieser nicht zumutbar wären. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass das rückwärtige Gebäude einen Abstand zur Grundstücksgrenze von 6,40 m wahrt und das klägerische Grundstück selbst über relativ große Freiflächen im rückwärtigen Bereich verfügt. Die Vorhaben entfalten - wie umseitig dargelegt - auch keine einmauernde oder erdrückende Wirkung zu Lasten des klägerischen Grundstücks.
55
cc) Soweit die Klagepartei darauf hinweist, dass durch die Zulassung von Haus Süd erstmalig in die gewachsenen und schützenswerten Ruhe- und Erholungsbereiche eingebrochen würde und Immissionen in die Nachbargrundstücke getragen würden, die durch die Klägerin schlechterdings nicht hinzunehmen seien, ist ferner darauf hinzuweisen, dass die Beachtung der Anforderungen des Gebots der Rücksichtnahme über das Einfügensgebot jeweils in Bezug auf die einzelnen bauplanungsrechtlichen Zulassungskriterien zu prüfen ist. Die Frage nach der Zulässigkeit einer Hinterland- oder sonstigen rückwärtigen Bebauung betrifft das Kriterium der überbaubaren Grundstücksfläche. Dagegen geht es bei der Frage der Wahrung wohngebietsverträglicher Verhältnisse mit Blick auf eine Nutzungsintensivierung primär um das Kriterium der Nutzungsart. Insoweit ist in der Rechtsprechung aber anerkannt, dass, so eine Wohnnutzung auf eine vorhandene Wohnnutzung trifft, unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2005 - 1 ZB 05.42 - und U.v. 7.10.2010 - 2 B 09.328 - jeweils juris). Solche Umstände liegen hier nicht vor. Die von den künftigen Bewohnern des Bauvorhabens verursachten Geräusche sind von der Klägerin als sozialadäquat hinzunehmen. Bei den diesbezüglichen Geräuschimmissionen handelt es sich in der vorliegenden bauplanungsrechtlichen Situation um grundsätzlich hinzunehmende Wohngeräusche (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1996 - 4 C 13/94 - juris Rn. 70, 72; BayVGH, U.v. 13.9.2012 - 2 B 12.109 - juris Rn. 38; B.v. 5.1.2012 - 2 CS 12.2290 - juris Rn. 7; B.v. 14.04.2014 - 15 ZB 13.205 - juris Rn. 6). (Lärm- und Geräusch-) Immissionen, die aus den Lebensäußerungen resultieren, die mit dem im Wohngebiet vorgesehenen Wohnen einhergehen, sind daher nicht geeignet, eine Rücksichtlosigkeit der Wohnnutzung zu begründen.
56
dd) Der Umstand, dass mit den Vorhaben jeweils ein Mehrfamilienhaus mit jeweils drei Wohneinheiten verwirklicht werden soll, vermag ebenfalls keine Rücksichtslosigkeit zu begründen. Die Zahl der Wohneinheiten in einem Wohngebiet stellt ohne eine planerische Festsetzung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB) kein im Rahmen des „Einfügens“ beachtliches Kriterium dar (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1980 - IV C 98.77 - juris Rn. 18 f.; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 29.6.1993 - 1 B 11353/93 - juris Rn. 3 m.w.N.). Es besteht auch kein Anspruch, dass die streitgegenständlichen Grundstücke wie das eigene Grundstück genutzt oder bebaut werden (vgl. VG München, B.v. 31.7.2014 - M 8 SN 14.2877 - juris Rn. 65; VG Augsburg, U.v. 14.11.2012 - Au 4 K 11.1678 - juris Rn. 36).
57
ee) Auch mit Blick auf etwaige, von der Klägerin befürchtete Einblickmöglichkeiten ergibt sich keine Rücksichtslosigkeit zu Lasten der angrenzenden Nachbarbebauung.
58
Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 - 4 B 72.89 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 18.10.2010 - 2 ZB 10.1800 - juris Rn. 11; B.v. 15.2.2017 - 1 CS 16.2396 - juris Rn. 9; B.v. 13.4.2018 - 15 ZB 17.342 - juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 5.4.2019 - 15 ZB 18.1525 - BeckRS 2019, 7160 Rn. 12; B.v. 8.5.2019 - 15 NE 19.551 u.a. - juris Rn. 38; B.v. 15.12.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 19). In bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann (BayVGH, B.v. 15.11.2010 - 2 ZB 09.2191 - juris Rn. 7; OVG LSA, B.v. 24.1.2012 - 2 M 157/11 - juris Rn. 23 m.w.N.). Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt. Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind im dicht bebauten innerstädtischen Bereich unvermeidlich (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2010 - 2 B 09.328 - juris Rn. 30). Ein Ausnahmefall liegt hier angesichts der vorliegenden Abstände zwischen den Bauvorhaben und der Nachbarbebauung erkennbar nicht vor. Allein der Umstand, dass durch die ermöglichte Bebauung - etwa vom oberen Stockwerk oder Balkonen aus - der Einblick in die Gärten der umliegenden Grundstücke ermöglicht oder verschärft wird, genügt für die Annahme eines Ausnahmefalles ebenfalls nicht (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2019 - 15 NE 19.551 u.a. - juris Rn. 38; B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 19).
59
ff) Unzumutbare Beeinträchtigungen des klägerischen Grundstücks gehen auch nicht mit der - zudem auf der östlichen und damit von der Klägerin abgewandten Seite des Baugrundstücks gelegenen - Tiefgaragenzufahrt einher. Nach § 12 Abs. 2 BauNVO sind Stellplätze und Garagen in Wohngebieten für den durch die zugelassene Nutzung notwendigen Bedarf zulässig. Die Vorschrift begründet für den Regelfall auch hinsichtlich der durch die Nutzung verursachten Lärmimmissionen eine Vermutung der Nachbarverträglichkeit. Der Grundstücksnachbar hat deshalb die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Bauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 - 4 B 59/02 -juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 9.12.2016 - 15 CS16.1417 - juris Rn. 17; B.v. 4.7.2016 - 15 ZB 14.891 - juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 29.1.2016 - 15 ZB 13.1759 - juris Rn. 23 m.w.N.; B.v. 12.7.2007 - 15 ZB 06.3088 - juris Rn. 7; B.v. 10.1.2005 - 2 CS 04.3304 - juris Rn. 2). Ein Sonderfall, der eine Ausnahme von diesem Grundsatz erforderte, ist vorliegend nicht gegeben.
60
2. Auch ein Verstoß gegen im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfende drittschützende Normen des Bauordnungsrechts ist nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das Abstandsflächenrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) BayBO).
61
Die Bayerische Bauordnung wurde insbesondere hinsichtlich des Abstandsflächenrechts zum 1. Februar 2021 geändert. Bei der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn ist grundsätzlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen. Änderungen zu Lasten des Bauherrn werden nicht berücksichtigt, selbst wenn sie während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens eintreten. Hat sich dagegen die Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn geändert, ist materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BayVGH, B.v. 18.1.2010 - 1 ZB 07.3187 - juris Rn. 12 m.w.N.). Vorliegend hat das Abstandsflächenrecht jedoch in den hier maßgeblichen Bereichen für das Gebiet der Beklagten keine inhaltliche Änderung erfahren (vgl. insbesondere zum sog. „16-m-Privileg“: Gesetzesbegründung, LT-Drs. 18/8547, S. 14; Kraus/Hahn in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: September 2021, Art. 6 Rn. 336 ff., 343), so dass hier auf das zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung geltende Abstandsflächenrecht (Art. 6 BayBO in der Fassung vom 10. Juli 2018, im Folgenden: „a.F.“) abzustellen ist.
62
Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass eine Verkürzung einer Abstandsflächentiefe nur den Nachbarn in seinen Rechten verletzen kann, dessen Grundstück der betreffenden Außenwand gegenüberliegt (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 17.4.2000 - Gr. S. 1/1999 - 14 B 97.2901 - juris; U.v. 29.10.2015 - 2 B 15.1431 - juris Rn. 36; B.v. 6.5.2019 - 2 CE 19.515 - juris Rn. 5; vgl. zu der - im Falle der Klägerin … straße 9 nicht vorliegenden - Ausnahme bei der Inanspruchnahme des sog. 16-m-Privilegs: BayVGH, Gr. S., B.v. 17.4.2000 - Gr. S. 1/1999 - 14 B 97.2901 - juris). Insofern ist in Bezug auf die Klägerin lediglich die jeweils westliche Außenwand der Gebäude Nord und Süd von Belang. Sowohl Haus Nord als auch Haus Süd halten nach Westen jeweils die Abstandsflächen in der erforderlichen Tiefe von 1 H (Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 bis 3, Abs. 8 Nr. 3 BayBO a.F.) auf dem Baugrundstück selbst ein (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO a.F.), so dass eine Rechtsverletzung der Klägerin ausscheidet.
63
3. Schließlich verletzt auch die erteilte Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) wegen Überschreitung der maximal zulässigen Rampenneigung nach § 3 Abs. 1 der Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Stellplätze (Garagen- und Stellplatzverordnung - GaStellV) die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Vorgaben des § 3 GaStellV zu Rampen dienen nicht (auch) dem Schutz von Rechten der Grundstücksnachbarn, sondern allein dem öffentlichen Interesse bzw. dem Interesse ihrer Nutzer an einer sicheren und zuverlässigen Nutzbarkeit der Garagenzufahrten (vgl. Dirnberger in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Stand: September 2021, Art. 66 Rn. 284 m.w.N.). Eine Verletzung von Nachbarrechten durch die erteilte Abweichung scheidet daher aus.
64
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
65
Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese Sachanträge gestellt und sich dadurch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
66
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.