Titel:
Anforderungen an eine Anhörungsrüge
Normenkette:
VwGO § 152a
Leitsätze:
1. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Anhörungsrügenverfahren ist nicht dazu angetan, im Zulassungsverfahren nicht vorgetragene Darlegungen nachzuholen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Abhörungsrüge, rechtliches Gehör, Rückkehrentscheidung, Duldungsgründe, Entscheidungserheblichkeit
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 28.06.2022 – 10 ZB 22.30644
VG Regensburg, Urteil vom 13.04.2022 – RN 14 K 20.31927
Fundstelle:
BeckRS 2022, 27371
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.
Gründe
1
Mit ihrer Anhörungsrüge begehrt die Klägerin die Fortführung des Verfahrens über ihren Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. April 2022, den der Senat mit Beschluss vom 28. Juni 2022 abgelehnt hat. Mit dem Urteil hatte das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin im Asylverfahren abgewiesen.
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1. Die am 18. Juli 2022 erhobene Anhörungsrüge der Klägerin gegen den nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbaren Beschluss des Senats vom 28. Juni 2022, der ihr am 4. Juli 2022 zugestellt wurde, ist zulässig, aber unbegründet, weil diese Entscheidung sie nicht im Sinne von § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
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a) Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO darzulegen. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B. v. 1.4.2015 - 4 B 10.15 - juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 - 10 ZB 15.1197 - juris Rn. 3 m.w.N.).
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b) Die Klägerseite macht mit der Anhörungsrüge geltend, ihr Vortrag zu der Berücksichtigung von Duldungsgründen im Rahmen der Rückkehrentscheidung sei nicht zur Kenntnis genommen worden sei. Insbesondere habe das Gericht nicht beachtet, dass die Frage obergerichtlich nicht geklärt sei. Ob solche Duldungsgründe vor Erlass einer Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen seien, sei Gegenstand der Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2022 an den Gerichtshof der Europäischen Union in dem Verfahren 1 C 24.21 gewesen. Diese Vorlage habe die Klägerseite in der Zulassungsschrift angeführt, aber der Senat habe sie nicht gewürdigt. Auch sei die Frage entscheidungserheblich, weil die Abschiebungsandrohung grundsätzlich auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen sei, unabhängig davon, ob das erstinstanzliche Gericht dies als entscheidungserheblich ansehe oder nicht. Das Verwaltungsgericht habe die Frage der Rückkehrentscheidung anhand oberverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung beurteilt. Dass sich diese Rechtsauffassung möglicherweise nicht halten lasse, ergebe sich aus der Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts.
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c) Gemessen an den vorgenannten Maßstäben wird damit ein Gehörsverstoß nicht aufgezeigt. Dass der Senat in dem Beschluss vom 28. Juni 2022 entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin in dem Antrag auf Zulassung der Berufung übergangen hat, ergibt sich daraus nicht.
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Der Senat hat das Vorbringen der Klägerseite zu den familiären Beziehungen und Umständen zur Kenntnis genommen (vgl. BA S. 4: „das Asylverfahren ihres Vaters, der eine Aufenthaltsgestattung besitze, noch anhängig sei“ u. „die Mutter schwanger sei“), insofern aber tragend darauf abgestellt, dass das Verwaltungsgericht die Frage der Berücksichtigung der - von ihm im Ergebnis verneinten − Duldungsgründe als nicht entscheidungserheblich angesehen und die Klägerseite sich damit in der Zulassungsschrift nicht auseinandergesetzt hat (vgl. BA S. 5 f. i.V.m. UA S. 24 f.). Die Klägerseite legt auch in der Anhörungsrüge nicht dar, dass und inwieweit sie sich im Widerspruch dazu doch mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt hat, so dass der Senat im Zulassungsverfahren diesbezügliches Vorbringen übergangen haben könnte.
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Die Klägerseite setzt für die geltend gemachte Grundsatzrüge Klärungsbedürftigkeit mit Klärungsfähigkeit gleich. Bevor das Berufungs(zulassungs) gericht prüft, ob eine als grundsätzlich aufgeworfene Frage klärungsbedürftig ist, hat es sich zu vergewissern, dass sie klärungsfähig ist. Davon ist nicht auszugehen, wenn das Verwaltungsgericht die Frage als nicht entscheidungserheblich angesehen hat. Entscheidungserheblichkeit ist gegeben, wenn die angegriffene Begründung entscheidungstragender Bestandteil des verwaltungsgerichtlichen Urteils ist, mithin für die Vorinstanz entscheidungserheblich war (vgl. Schulz-Bredemeier in Huber/Mantel, AufenthG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 78 Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 37; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 125). Der erstmals im Anhörungsrügeverfahren erhobene Einwand der Klägerseite, die Frage sei entgegen dem Verwaltungsgericht entscheidungserheblich, weil eine Abschiebungsandrohung grundsätzlich auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen sei, geht in Anbetracht der voranstehenden Ausführungen an der Sache vorbei. Außerdem führt er nicht dazu, einen Gehörsverstoß des Senats nahezulegen, weil die Klägerseite ihm den Einwand zuvor nicht zu Gehör gebracht hat. Das Anhörungsrügenverfahren ist nicht dazu angetan, im Zulassungsverfahren nicht vorgetragene Darlegungen nachzuholen.
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Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht es nicht dabei belassen, die Unionsrechtskonformität der angewendeten nationalen Vorschriften mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung angeführten Argumenten zu bejahen. Vielmehr hat es die den Fragen zugrundeliegende Prämisse, das Vorliegen von Duldungsgründen, als nicht gegeben angesehen (vgl. UA S. 25: „Klägerin im Familienverband in ihr Heimatland zurückkehren“, „keinem Familienmitglied derzeit ein Aufenthaltsrecht zukommt“ u. „Duldungsgründe im Hinblick auf die Schwangerschaft der Mutter, die sich nach deren Angaben in der mündlichen Verhandlung in der 6. Schwangerschaftswoche befindet, sind rein spekulativ“), und damit deren Entscheidungserheblichkeit verneint. Dies blendet die Klägerseite − ebenso wie zuvor in der Zulassungsschrift − in der Anhörungsrüge aus.
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Angesichts der vorgenannten Umstände und Erwägungen zeigt die Anhörungsrüge auch nicht auf, dass und inwieweit noch ein weiteres Eingehen auf den Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts veranlasst gewesen wäre.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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102. Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
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4. Dieser Beschluss ist nach § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO unanfechtbar.