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VGH München, Beschluss v. 05.09.2022 – 16a DS 22.1703
Titel:

Beschwerde gegen die Einbehaltung von Dienstbezügen wegen unentschuldigtem Fernbleiben vom Dienst während der Coronapandemie

Normenketten:
BayDG Art. 61, Art. 65 Abs. 3
BayBG Art. 81, Art. 82 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
Leitsätze:
1. Es ist unerheblich für die Frage der (begrenzten) Dienstfähigkeit, welche Gründe ein Antragsteller für seine Verweigerung der Dienstleistung als triftig ansieht, wenn ihm bewusst ist, dass sein Dienstherr keinesfalls auf seine Dienste verzichtet hat. Ob der Antragsteller andere als die vom Dienstherrn geforderten Dienstleistungen angeboten hat, ist irrelevant. In einem solchen Fall begeht ein Antragsteller mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit das Dienstvergehen des Fernbleibens vom Dienst. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es kann nicht mildernd berücksichtigt werden, wenn sich eine neurotische Fehlhaltung oder hypochondrische Grundhaltung als Ursache für ein länger andauerndes Fernbleiben vom Dienst herausstellt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einbehaltung von Bezügen, Dienstvergehen, begrenzte Dienstfähigkeit, Coronavirus, Alter, gesundheitliche Beeinträchtigung, Schule, Lehrer, Beamter, Dienstherr, unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst, Homeoffice, Corona, Pandemie, amtsärztliches Gutachten, Gesundheitszeugnis, ärztliches Attest, psychische Gesundheit, Nebentätigkeit, Schmuckhandel, Depression, Fürsorgepflicht, Weisungsrecht, Ruhegehalt, Einbehaltung, Dienstbezüge, Aberkennung, Kürzung, Ruhegehaltsbezüge
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 20.06.2022 – AN 13b DS 22.598
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23718

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht, auf dessen Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Beschluss verwiesen wird, hat den Antrag, die mit Verfügung der Landesanwaltschaft Bayern vom 2. Februar 2022 ausgesprochene Einbehaltung von 30 v.H. der Dienstbezüge auszusetzen, zu Recht abgelehnt. Die vom Antragsteller vorgetragenen Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (Art. 65 Abs. 3 BayDG i.V.m. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
2
Der Antragsteller ist der Auffassung, es bestünden im Ergebnis ernstliche Zweifel, dass er die ihm zur Last gelegten Dienstvergehen begangen habe. Sein Verhalten sei zu jedem Zeitpunkt aufgrund seiner mangelnden Dienstfähigkeit gerechtfertigt gewesen. Aufgrund des Umstands, dass es sich bei ihm wegen seines Alters und seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Fall einer Infektion mit dem Corona-Virus um einen Risikopatienten zu einem Zeitpunkt gehandelt hätte, an dem noch keine Impfungen gegen das neuartige Virus zur Verfügung gestanden hätten, habe für ihn ein triftiger Grund bestanden, nicht zum Dienst auf dem Schulgelände zu erscheinen. Darüber hinaus habe er seine Dienste in zumutbarem Umfang dergestalt angeboten, dass er darum gebeten habe, ihm zunächst Korrekturtätigkeiten im Home-Office zuzuweisen.
3
Mit diesem Sachvortrag beharrt der Antragsteller gegenüber der ausführlich begründeten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts lediglich auf seiner abweichenden Ansicht, ohne sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen begründet (BA S. 28), dass der Antragsteller nach dem 22. März 2020 stets in der Lage gewesen sei, überhaupt Dienst zu leisten, wenn auch ggf. in geringem Umfang und auf das Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens vom 13. Februar 2020 verwiesen. Wenn die Bevollmächtigten des Antragstellers ihren Vortrag erster Instanz wiederholen, es sei insoweit nicht notwendig gewesen, ein ärztliches Attest beizubringen, weil der Dienstherr über die gesundheitliche Situation zu jedem Zeitpunkt vollumfassend informiert gewesen sei, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die Bevollmächtigten selbst schon im Schriftsatz vom 8. April 2022 (Bl. 59 VG-Akte) und in der Beschwerde eingeräumt haben, dass dieses Gesundheitszeugnis die zum damaligen Zeitpunkt bereits heranrückende Corona-Pandemie nicht berücksichtigen konnte. In Bezug auf die behauptete mit der Corona-Pandemie in Verbindung stehende Verschlechterung der psychischen Gesundheit des Antragstellers fehlt es an ausreichender Glaubhaftmachung. Es ist auch unerheblich für die Frage der (begrenzten) Dienstfähigkeit, welche Gründe der Antragsteller für seine Verweigerung der Dienstleistung als triftig ansieht, denn wie schon das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, war dem Antragsteller jedenfalls ab dem 17. September 2020 bewusst, dass sein Dienstherr keinesfalls auf seine Dienste verzichtet. Ob der Antragsteller andere als die vom Dienstherrn geforderten Dienstleistungen angeboten hat, ist irrelevant. Nach alldem hat der Antragsteller mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit das Dienstvergehen des Fernbleibens vom Dienst begangen.
4
Der Einwand, das Führen des Schmuckhandels auf der Plattform Etsy stelle mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine Verletzung von Dienstpflichten dar, weil es sich dabei nicht um eine Nebentätigkeit im Sinn des Art. 81 BayBG gehandelt habe, hilfsweise eine solche Nebentätigkeit nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayBG als wissenschaftliche Tätigkeit nicht genehmigungspflichtig sei, bedarf schon deshalb keiner Erörterung, da das Verwaltungsgericht darauf ohnehin nicht abgestellt hat. Vielmehr hat es die Aberkennung des Ruhegehalts für überwiegend wahrscheinlich gehalten, „ohne dass es auf den Vorwurf betreffend einen etwaigen Schmuckhandel ohne Beantragung einer Nebentätigkeitsgenehmigung ankäme“ (BA S. 33). Damit verfehlt der Antragsteller erneut die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, denn er setzt sich nicht mit der angefochtenen Entscheidung auseinander, sondern wiederholt nur seinen Vortrag erster Instanz.
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Schließlich ist der Antragsteller der Meinung, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass ihm im Hauptsacheverfahren das Ruhegehalt aberkannt werde, weil das Verwaltungsgericht und der Antragsgegner insoweit verkannt hätten, dass die beim Antragsteller vorliegende depressive Episode aufgrund seiner panischen Angst vor einer Infektion mit dem Corona-Virus und einem damit einhergehenden eventuellen schweren Verlauf deutlich verschlimmert worden sei, sodass die letzten zwei Jahre für ihn eine sehr negative Lebensphase dargestellt hätten. Da der Dienstherr zu keinem Zeitpunkt auf die gesundheitlichen Belange des Antragstellers eingegangen sei, liege eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vor.
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Damit kann der Antragsteller nicht durchdringen. Abgesehen davon, dass die geltend gemachte gesundheitliche Einschränkung nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden ist, greifen die soeben behaupteten Milderungsgründe bei summarischer Prüfung voraussichtlich nicht durch. Es ist weder ersichtlich, dass die behauptete negative Lebensphase vor dem Eintritt in den Ruhestand überwunden worden wäre, noch kann es mildernd berücksichtigt werden, wenn sich eine neurotische Fehlhaltung oder hypochondrische Grundhaltung als Ursache für ein länger andauerndes Fernbleiben vom Dienst herausstellt (Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, MatR I, Rn. 89; der Verweis auf die Rspr. des BVerwG bezieht sich wohl auf BVerwG, U.v. 18.10.1977 - I D 111.76 - juris Rn. 57). Mit den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (BA S. 33) setzt sich der Antragsteller wiederum nicht auseinander. Dass der Dienstherr sein Weisungsrecht bezüglich der Gestaltung der durchzuführenden Arbeiten nicht so ausübt, wie es der Beamte wünscht, führt nicht auf eine Fürsorgepflichtverletzung. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass dem Antragsteller voraussichtlich das Ruhegehalt aberkannt werden wird, ist nicht zu beanstanden.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (Art. 3 BayDG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO).