Inhalt

VG München, Gerichtsbescheid v. 21.02.2022 – M 24 K 21.2584
Titel:

Räumliche Beschränkung des Aufenthalts

Normenkette:
AufenthG § 48 Abs. 3, § 61 Abs. 1c S. 2, § 82 Abs. 2
Leitsatz:
Die Anordnung einer räumlichen Aufenthaltsbeschränkung ist nicht ermessensfehlerhaft im Hinblick auf den Umstand, dass ein Kind des Ausländers außerhalb des räumlichen Bereichs lebt, wenn am Leben des Kindes nur punktuell teilgenommen wird. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolglose Klage, Räumliche Beschränkung, Fehlende Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen, Aufenthaltsbeschränkung, Mitwirkungspflichten, Passbeschaffung, Ausreisehindernis, Ermessen, Kind, Personensorge, Umverteilungsantrag
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.09.2022 – 10 ZB 22.831
Fundstelle:
BeckRS 2022, 23701

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei darf die Vollstreckung durch Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen die räumliche Beschränkung seines Aufenthalts durch die Ausländerbehörde des Landratsamts Fürstenfeldbruck.
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1. Der Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger, geboren am ... . Er reiste erstmals am 21. Februar 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. März 2014 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). Dieser Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 8. März 2017 vollständig abgelehnt und festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen (Bl. 103ff. der vorgelegten Behördenakte - BA). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik zu verlassen und die Abschiebung nach Nigeria angedroht. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. November 2019 wurde die gegen den Ablehnungsbescheid des Bundesamtes erhobene Klage abgewiesen (Az. M 21 K 17.36263). Der hiergegen gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Februar 2020 rechtskräftig abgelehnt (Az. 3 ZB 20.30400). Der Kläger ist seither vollziehbar ausreisepflichtig.
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Der Kläger wurde von der Ausländerbehörde bereits am 27. September 2017 erstmals über seine Mitwirkungspflichten belehrt (Bl. 173 BA). Daraufhin legte er am 18. Dezember 2017 eine Geburtsurkunde vor (Bl. 188f BA), deren Authentizität jedoch nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte (Bl. 197 BA). Nachfolgend wurde er mit Schreiben vom 19. August 2020 von der Behörde zu seiner Passpflicht nach § 3 AufenthG und zur Mitwirkungspflicht nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG belehrt und zur Beantragung eines Passes oder Passersatzpapiers aufgefordert (Bl. 322ff. BA). Ihm wurde hierfür eine Frist bis zum 30. September 2020 gesetzt. Zugleich wurde er über seine Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung belehrt. Da der Kläger seiner Pflicht nicht nachkam, belehrte die Ausländerbehörde den Kläger erneut am 23. September 2020 (Bl. 329ff. BA), am 7. Oktober 2020 (Bl. 336ff. BA), am 20. November 2020 (Bl. 536ff. BA), am 9. Dezember 2020 (Bl. 467ff. BA), am 4. Februar 2021 (470ff. BA), am 12. Februar 2021 (Bl. 443f. BA) sowie am 5. März 2021 (Bl. 448ff. BA) über seine Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung und forderte ihn jeweils erneut zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapiers auf. Die Vorlage eines Heimreisedokuments ist trotz der zahlreichen Aufforderungen durch die Ausländerbehörde ebenso wenig aktenkundig, wie Nachweise über weitere Bemühungen des Klägers zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzdokuments. Daher wurde am 5. März 2021 durch die Ausländerbehörde Fürstenfeldbruck ein Verfahren zur Beschaffung eines Passersatzpapieres eingeleitet (Bl. 546 BA).
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Auf Nachfrage der Ausländerbehörde bei der Kindsmutter (nigerianische Staatsangehörigkeit) der zwei - in ... , Landkreis …, wohnhaften - Kinder des Klägers (nigerianische Staatsangehörige, geb. ... 2016 bzw. geb. ... 2019, jeweils bestehende Vaterschaftsanerkennung, aber keine Sorgerechtserklärung - Bl. 578 BA) teilte diese mit Schreiben vom 29. März 2021 mit, dass der Kläger, mit dem seit langem keine Partnerschaft mehr bestehe und ein gemeinsamer Haushalt nie geplant gewesen sei, die Kinder im Jahr 2020 coronabedingt und aus finanziellen Gründen nur zweimal für jeweils zwei Stunden am Nachmittag für einen Spaziergang besucht habe und im Jahr 2021 bisher lediglich am … März ein nachmittäglicher Besuch stattgefunden habe (Bl. 568 BA).
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Mit Schreiben vom 9. April 2021 (Bl. 489f. BA) hörte die Ausländerbehörde den Kläger zur beabsichtigten Anordnung einer räumlichen Beschränkung auf den Landkreis Fürstenfeldbruck an. Mit Schreiben vom … April 2021 (Bl. 491f. BA) äußerte sich der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, dahingehend, dass er Vater eines im Bundesgebiet lebenden Kindes sei, welches mit seiner Mutter in … im … wohnhaft sei. Da er sich regelmäßig im Wege von Umgangskontakten zwischenzeitlich um dieses Kind kümmern würde, stelle die geplante Abschiebung eine außergewöhnliche Härte dar.
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2. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 29. April 2021 (Bl. 497ff. BA) wurde der Aufenthalt des Klägers für den Zeitraum von 24 Monaten räumlich auf den Landkreis Fürstenfeldbruck beschränkt.
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Auf die Begründung des auf § 61 Abs. 1c Satz 2 und § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 3 AufenthG gestützten Bescheids wird Bezug genommen.
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3. Mit Schreiben vom … Mai 2021, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München erheben. Er beantragt,
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der Bescheid des Landratsamts Fürstenfeldbruck vom 29. April 2021 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass der Geltungsbereich der Duldung des Klägers nicht räumlich auf den Landkreis Fürstenfeldbruck beschränkt wird.
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Zugleich beantragte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die sofortige Voll ziehbarkeit des klagegegenständlichen Bescheids auszusetzen (bei Gericht geführt unter dem Aktenzeichen M 24 S 21.2590). Zur Begründung von Klage und Antrag wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Kind des Klägers (geb. ... 2016) müsse sich demnächst aufgrund einer akuten Erkrankung in eine Krankenhausbehandlung begeben, voraussichtlich in … im … Der Kläger unterhalte regen Kontakt zu seinem Kind, kümmere sich regelmäßig um das Kind und besuche es. Wenn die Regelung aufrechterhalten bleiben würde, sei der Kläger praktisch in grundgesetzwidriger Weise von der Ausübung seines Sorge- und Erziehungsrechts ausgeschlossen. Des Weiteren wurde Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten beantragt.
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Das Landratsamt Fürstenfeldbruck legte die Behördenakte vor und erwiderte für den Beklagten mit Schreiben vom 1. Juni 2021. Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Auf den Inhalt der Klageerwiderung wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 24. September 2021 wurden die Beteiligten zur Möglichkeit einer Entscheidung im Wege des Gerichtsbescheids (§ 84 VwGO) angehört. Mit Beschluss der Kammer vom selben Tag wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 VwGO).
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 24 K 21.2584 und M 24 S 21.2590, sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage bleibt ohne Erfolg.
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1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Zur Entscheidung ist nach dem Übertragungsbeschluss der Kammer vom 24. September 2021 der Einzelrichter zuständig (§ 6 Abs. 1 VwGO). 2. Die Klage ist zunächst zulässig. Sie ist als Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft und fristgerecht (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhoben worden.
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3. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 29. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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3.1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen. Insbesondere hat die gemäß § 1 Nr. 1, § 2 Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht (ZustVAuslR) vom 27. August 2018 (GVBl. S. 714, 738, BayRS 26-1-1-I), die zuletzt durch Verordnung vom 2. November 2020 (GVBl. S. 625) geändert worden ist, sachlich zuständige und gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 ZustVAuslR örtlich zuständige Ausländerbehörde des Landratsamts Fürstenfeldbruck den Kläger vor Erlass des Bescheids mit Schreiben vom 9. April 2021 ordnungsgemäß nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört.
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3.2. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
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3.2.1 Im vorliegenden Fall findet die vom Beklagten verfügte räumliche Beschränkung ihre Rechtsgrundlage bereits in § 61 Abs. 1c Satz 2 Variante 3 AufenthG, weshalb es auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht ankommt.
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Nach § 61 Abs. 1c Satz 2 Variante 3 AufenthG soll eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auf den Bezirk der Ausländerbehörde u.a. dann angeordnet werden, wenn der Ausländer zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vor. Der vollziehbar ausreisepflichtige Kläger hat zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen, vorliegend die Vorlage oder Beantragung eines Passes oder Passersatzpapiers, nicht erfüllt.
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Ein Ausländer, der keinen Pass oder Passersatz besitzt, ist er nach § 48 Abs. 3 Satz 1 Alternative 1 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht besteht ohne spezielle Aufforderung durch die Behörden. Deshalb hat ein ausreisepflichtiger Ausländer alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Klärung seiner Identität und zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten (vgl. BeckOK AuslR/Hörich/Hruschka, 25. Ed. 1.3.2020, AufenthG § 48 Rn. 36 m.w.N.). Der Ausländer soll aber gem. § 82 Abs. 3 AufenthG auf seine Pflichten nach § 48 Abs. 3 Satz 1 hingewiesen werden. Im Asylverfahren ergibt sich die entsprechende Mitwirkungspflicht auch aus § 15 Abs. 2 Nr. 4, Nr. 6 AsylG.
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Die dem Ausländer obliegende gesetzliche Pflicht zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung nach § 48 Abs. 3 AufenthG wird nicht dadurch erfüllt, dass er Aufklärungsversuche der Ausländerbehörde nicht behindert und gewissermaßen „über sich ergehen lässt“. Nicht ausreichend ist auch eine bloße Anfrage bei einer Behörde, welche Schritte zur Passbeschaffung bei den Heimatbehörden zu unternehmen seien. Aus § 48 Abs. 3 AufenthG ergibt sich i.V.m § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass der Ausländer vielmehr für den Vollzug des Ausländerrechts notwendige Unterlagen „beizubringen“ hat. Bei der Mitwirkung an der Beschaffung eines Rückreisedokuments handelt es sich nicht um separierbare Einzelpflichten, sondern um ein durch §§ 82 Abs. 4, 48 Abs. 3 u. 49 Abs. 2 AufenthG vorgegebenes Pflichtenbündel zur Erlangung von Rückreisedokumenten für einen ausreisepflichtigen Ausländer. Dabei kann der Ausländer sich nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten, die ihm konkret von der Ausländerbehörde vorgegeben werden, beschränken, sondern ist vielmehr angehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um das bestehende Ausreisehindernis nach seinen Möglichkeiten zu beseitigen (vgl. Bergmann/Dienelt/Winkelmann/Wunderle, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 48 Rn. 6). Gegenstand dieser Mitwirkungspflicht sind alle Rechts- und Tatsachenhandlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätsdokuments oder zur Verlängerung seiner Gültigkeit erforderlich sind und nur vom Betroffenen persönlich vorgenommen werden können (vgl. VG München, U.v. 14.05.2020 - M 24 K 19.6002 - BeckRS 2020, 12944, Rn. 40 m.w.N.).
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3.2.2. Dies zugrunde gelegt hat der nach negativem Ausgang des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtige Kläger die ihm zumutbaren Anforderungen zur Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen im Sinne des § 61 Abs. 1c Satz 2 Variante 3 AufenthG nicht erfüllt. Der vorgelegten Behördenakte lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger alles ihm Mögliche unternommen hätte, um die Ausstellung eines Passes oder sonstigen Heimreisepapiers zu erreichen, um das bestehende Ausreisehindernis der Passlosigkeit zu beseitigen. Trotz mehrfacher Belehrung und Aufforderung über die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen durch die Ausländerbehörde hat der Kläger keinen Passantrag gestellt oder sich nachweislich bemüht, ein gültiges Reisedokument zu beschaffen. Der Kläger hat weder dargelegt noch nachgewiesen, dass er diesen Pflichten in ausreichender und zumutbarer Weise nachzukommen versucht hat. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Erfüllung seiner Mitwirkungshandlungen und Obliegenheiten (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Dass und ggf. aufgrund welcher Umstände es für den Kläger unzumutbar sein sollte, seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen, um die Ausstellung eines Nationalpasses oder eines Passersatzpapiers voranzubringen, wurde weder vorgetragen noch ist dies für das Gericht sonst ersichtlich.
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Dem Kläger war es zudem auch bereits während des von ihm betriebenen Asylverfahrens zumutbar und möglich, der in § 15 Abs. 2 AsylG vorgesehenen Pflicht zur Beschaffung von Identitätspapieren nachzukommen, denn er hat im Asylverfahren keine staatliche Verfolgung vorgetragen, sondern seinen Asylantrag mit privaten/familiären Problemen begründet (vgl. Bl. 119f. BA). Damit war es auch bereits während des Asylverfahrens zumutbar, bei der Auslandsvertretung seines Heimatlandes vorzusprechen, um einen Pass oder ein sonstiges Identitätspapier zu beantragen. Der Behördenakte lassen sich keinerlei entsprechende Bemühungen entnehmen, obwohl der Kläger bereits im September 2017 erstmals auf diese Verpflichtung hingewiesen wurde (Bl. 173 BA).
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Insgesamt hat der Kläger seine Möglichkeiten zur Beschaffung von Heimreisedokumenten zur Überzeugung des Gerichts während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nicht im zumutbaren Umfang ausgeschöpft. Damit hat der Kläger seiner in § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG angesprochenen Mitwirkungspflicht nicht entsprochen.
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3.2.3. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 2 Variante 3 AufenthG somit vor, so soll nach dem Wortlaut der Vorschrift eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf den Bezirk der Ausländerbehörde angeordnet werden. Eine Aufenthaltsbeschränkung stellt sich nicht als Sanktionsmaßnahme vergangenen Fehlverhaltens dar. Ausländer, die den aufgezeigten Obliegenheiten und Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachkommen, haben die sich aus ihrem Verhalten ergebenden Nachteile grundsätzlich hinzunehmen; es ist ihre Sache, die Nachteile gering zu halten, indem sie sich frühzeitig und nachhaltig um die Beseitigung der Ausreisehindernisse bemühen. Vielmehr sollen gerade Ausländer, die über ihre Identität täuschen oder die bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht ausreichend mitwirken, enger an den Bezirk der Ausländerbehörde gebunden werden, um ggf. sicherzustellen, dass sie für etwaige erforderliche Mitwirkungshandlungen leichter erreichbar sind und um ein mögliches Untertauchen zu erschweren (BT-Drs. 18/11546, S.22). Darüber hinaus soll die Aufenthaltsbeschränkung auch eine intensivere ausländerrechtliche Betreuung des Ausländers ermöglichen.
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Die gesetzliche Formulierung als Sollvorschrift macht deutlich, dass die Ausländerbehörde zum Erlass einer räumlichen Beschränkung grundsätzlich verpflichtet ist, solange nicht ein besonderer Grund oder besondere atypische Umstände ein Abweichen von dem Regelermessen erfordern. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die Besonderheiten des Einzelfalls ein Abweichen nahelegen. Atypisch oder Ausnahmefälle sind insbesondere Sachverhalte, die zwar vom Rahmen des Gesetzes, nicht aber von seinem Zweck erfasst werden; die Abweichung muss so bedeutsam sein, dass das Gewicht der regelmäßig maßgeblichen Gründe beseitigt wird, die Besonderheiten des Einzelfalls müssen ein Abweichen nahelegen. Ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 40 Rn. 26 f.).
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Ein solcher atypischer Umstand oder ein besonderer Grund ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag zur Verhinderung der Ausübung eines Sorge- und Erziehungsrechts durch die räumliche Beschränkung nicht. Der vom Kläger vorgetragene „rege Kontakt zum Kind“ steht im Widerspruch zu den Angaben der Kindsmutter, die glaubhaft dargelegt hat, dass der Kläger seine beiden Kinder - zumindest in den Jahren 2020 und 2021 - lediglich sporadisch (zweimal im Jahr 2020 sowie einmal im Jahr 2021) und kurzzeitig (wenige Stunden am Nachmittag) besucht hat. Der Kläger hat zwar die Vaterschaft anerkannt; jedoch übt er weder die Personensorge aus, noch war jemals eine häusliche Gemeinschaft vorgesehen. Für ein Zusammenleben mit familiärer Bindung bzw. eine regelmäßige Erziehungsbereitschaft/Erziehungsverpflichtung seitens des Klägers ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich; auch ein Umverteilungsantrag wurde nach Aktenlage nicht gestellt. Bereits durch die singuläre klägerische Berufung auf einen anstehenden - jedoch nicht nachgewiesenen - Krankenhausaufenthalt „des Kindes“ im … (unter Außerachtlassung bzw. Nichterwähnung des anderen Kindes bzw. Nichtberufung auf den Umstand, dass beide Kinder dauerhaft örtlich außerhalb des Beschränkungsbereichs im … leben) steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger am Leben seiner Kinder lediglich punktuell Anteil nimmt. Im Übrigen spricht auch die nicht unerhebliche Entfernung zwischen dem Aufenthaltsort des Klägers und dem Wohnort der Kindsmutter und der beiden Kinder gegen die Rolle des Klägers als stetige Bezugsperson für seine Kinder.
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Sonstige im Gerichtsverfahren berücksichtigungsfähige Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) sind nicht ersichtlich. Die Maßnahme erweist sich auch vor dem Hintergrund des zum einen eher geringgewichtigen Eingriffs ins die Grundrechte des Klägers und zum anderen der Möglichkeit des Klägers, durch den Nachweis der erforderlichen Bemühungen zur Beschaffung eines Nationalpasses die angeordnete räumliche Beschränkung wieder zu beseitigen, als verhältnismäßig. Die Maßnahme ist nicht von vornherein ungeeignet, die bestehende Ausreisepflicht durchzusetzen, weil sie dafür sorgt, dass der Kläger sich, will er nicht gegen geltende Rechtsvorschriften verstoßen, laufend im Landkreisgebiet aufhält und damit auch für die zuständige Ausländerbehörde leichter greifbar ist. Die Anordnung ist auch erforderlich. Alle bisher ergriffenen milderen Mittel, zum Beispiel zahlreiche Belehrungen bzw. die Aufforderungen Dokumente zu beschaffen, waren erfolglos. Die Maßnahme ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Zwar greift das Verbot, das Gebiet des Landkreises und der Stadt Rosenheim ohne vorherige Erlaubnis des Beklagten zu verlassen, in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich geschützte körperliche Bewegungsfreiheit des Klägers ein. Der auf § 61 Abs. 1c Satz 2 Alt. 4 AufenthG gestützte Eingriff in die Bewegungsfreiheit ist jedoch insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger den Landkreis Fürstenfeldbruck auf Antrag in begründeten Fällen mit Erlaubnis der Ausländerbehörde für einen begrenzten Zeitraum, zum Beispiel für Besuche seiner Kinder etc., verlassen darf. Das öffentliche Interesse an einer Vorbereitung der Rückführung durch räumliche Beschränkung überwiegt das persönliche Interesse des Klägers, sich frei im Bundesgebiet bewegen zu dürfen.
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4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.