Titel:
Nachbarklage gegen Anbau an Doppelhaus
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 22 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Doppelhaus erfordert nicht, dass sämtliche parallel zur gemeinsamen Grundstücksgrenze verlaufenden Gebäudeaußenwände an der dem Doppelhausnachbarn zugewandten Seite eines Hauses an der Grenze errichtet werden. Namentlich verliert eine bauliche Anlage nicht den Charakter eines Doppelhauses, wenn der Anbau nicht grenznah errichtet wird und die Freiflächen auf dem Grundstück der anderen Doppelhaushälfte nicht abriegelt. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Umstand, dass der Gebäudehöhe für das Maß der Übereinstimmung eine besondere Bedeutung zukommt, kann nicht gefolgert werden, die Annahme eines Doppelhauses erfordere stets die Beibehaltung einer einheitlichen Firsthöhe. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Doppelhauscharakter, Nachbar, Baugenehmigung, Anbau, Gebot der Rücksichtnahme, offene Bauweise, Grenze, Firsthöhe, Hanglage
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.09.2021 – M 9 K 20.1677
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22257
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Kläger als Nachbar kann eine Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen. Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass der Kläger durch die Baugenehmigung vom 19. März 2020 nicht in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht zu Lasten des Klägers verletzt ist. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich das Vorhaben nach der Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB einfügt. Insbesondere hält es sich im Rahmen der in der Umgebung vorhandenen offenen Bauweise nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO, bei der die Gebäude als Einzelhäuer, Doppelhäuser oder Hausgruppen mit seitlichem Grenzabstand errichtet werden. Bei dem Gebäude des Antragstellers und der Beigeladenen handelt es sich um ein Doppelhaus im Sinn dieser Vorschrift. Daran wird auch der geplante Anbau nichts ändern. Ein Doppelhaus ist dadurch gekennzeichnet, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken zu einer Einheit derart zusammengefügt werden, dass sie einen Gesamtbaukörper bilden. Eine solche Einheit kann jedoch nur entstehen, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. Insoweit enthält das Erfordernis der baulichen Einheit nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Element. Nicht erforderlich ist jedoch, dass die beiden Haushälften vollständig deckungsgleich aneinandergebaut sind. Sie können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 - 4 C 12/14 - juris; B.v. 10.4.2012 - 4 B 42/11 - juris; B.v. 17.8.2011 - 4 B 25/11 - juris). Darüber hinaus erfordert ein Doppelhaus nicht, dass sämtliche parallel zur gemeinsamen Grundstücksgrenze verlaufenden Gebäudeaußenwände an der dem Doppelhausnachbarn zugewandten Seite eines Hauses an der Grenze errichtet werden. Namentlich verliert eine bauliche Anlage nicht den Charakter eines Doppelhauses, wenn der Anbau nicht grenznah errichtet wird und die Freiflächen auf dem Grundstück der anderen Doppelhaushälfte nicht abriegelt.
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Der Kläger nennt eine Vielzahl von Gesichtspunkten, die aus seiner Sicht das Verwaltungsgericht falsch bewertet hat, und die im Ergebnis dazu führen sollen, dass durch den Anbau der Doppelhauscharakter verloren geht. Das Verwaltungsgericht ist unter dem Eindruck des Augenscheins zu dem Ergebnis gekommen, dass die quantitativen Maße aufgrund der Topografie eine geringe Auswirkung auf die Kubatur des Doppelhauses haben. Dies ist für den Senat anhand der vorliegenden Unterlagen nachvollziehbar. Der Senat gesteht zwar zu, dass der Anbau durchaus massiv ist. Wesentlich ist jedoch, dass im Vergleich zum streitigen Anbau mehr als das doppelte Bauvolumen deckungsgleich grenzständig aneinander gebaut bleibt. Die Länge der grenzständig deckungsgleich errichteten Gebäude beträgt ca. 14 m (gegriffen aus Planinhalt, Grundrisse zu Bauantragsnr. 3/2019 - 1425 - B). Die Tiefe des Anbaus bleibt mit 9,775 m deutlich hinter der Länge der grenzständig deckungsgleich errichteten Gebäude zurück, wobei die Wirkung durch die Abtreppung im 1. Untergeschoss (dort lediglich 5,655 m) nochmals deutlich gemildert wird. Im Verhältnis zum Haupthaus stellt sich der Anbau nach wie vor als untergeordnet dar. Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass bereits Terrassen vorhanden sind. Insgesamt bilden die beiden Doppelhaushälften noch eine harmonische Einheit. Beide erstrecken sich abgetreppt durch einen Anbau sowie Terrassen den Hang hinab. Soweit der Kläger die Ausführungen des Erstgerichts zur Firsthöhe kritisiert, ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geklärt, dass aus dem Umstand, dass der Gebäudehöhe für das Maß der Übereinstimmung eine besondere Bedeutung zukommt, nicht gefolgert werden kann, die Annahme eines Doppelhauses erfordere stets die Beibehaltung einer einheitlichen Firsthöhe (BayVGH, B.v. 25.7.2019 - 1 CS 19.821 - juris). So verhält es sich hier. Insofern ist es nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht darauf abgestellt hat, dass der Giebel der Erweiterung in absoluter Höhe n.N. 1,87 m unterhalb des bestehenden Giebels des Doppelhauses liegt und einen Vergleich zu einem Zwerchhaus zieht.
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2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Denn sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigenden Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlich oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird. Der Kläger trägt lediglich vor, seiner Meinung nach habe das Verwaltungsgericht die von ihm angeführten Gesichtspunkte unzutreffend oder unvollständig behandelt. Damit werden keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufgezeigt.
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3. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), die ihr der Kläger beimisst. Er wirft die Frage auf,
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inwieweit die Hanglage eines Doppelhauses zu einer Veränderung in der Betrachtung der üblichen quantitativen wie qualitativen Gesichtspunkte führt, insbesondere, ob - wie in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts allerdings judiziert - und unter welchen Voraussetzungen topografisch weiter unterliegende bauliche Anlagen (wie die Terrasse auf dem Untergeschoss als Podest) oder die sich nach unten anschließende Dachformation des Erweiterungsbaus als eigentlich hinsichtlich der Höhe markantester Ausgangspunkt oder sogar die gesamten topografisch weiter unten liegenden Baumaßnahmen (wenn die Straßenführung zufällig hangaufwärts liegt) ausgeblendet werden dürften.
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Die Rechtssache hat keine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende grundsätzliche Bedeutung. Denn soweit es auf die Frage des Doppelhauscharakters ankommt, sind die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen in einer abwägenden Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte zu klären.
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4. Die vom Kläger geltend gemachte Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegt ebenfalls nicht vor. Die Rüge der Divergenz erfordert die Darstellung eines Widerspruchs zwischen zwei abstrakt formulierten Rechtssätzen. Der eine Rechtssatz muss der angegriffenen Entscheidung entnommen werden und dort tragend sein, der andere - von dem abgewichen worden sein soll - muss einem Judikat eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte entnommen werden und dort ebenfalls tragend gewesen sein. Der Kläger meint lediglich, dass das Erstgericht die von ihm angeführte Gesamtwürdigung nicht vorgenommen hätte. Damit behauptet der Kläger eine aus seiner Sicht fehlerhafte Rechtsanwendung, jedoch keine Divergenz.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2001 - 8 ZB 01.1789 - BayVBl 2002, 378). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.