Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 04.04.2022 – Au 7 K 21.1406
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines Fahreignungsgutachtens (erhebliche Straftat) - Anfechtungsklage

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
StVG § 2 Abs. 4, Abs. 8, § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 4
FeV § 11 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 1, Abs. 8 S. 1, § 46 Abs. 1, Abs. 3
Leitsätze:
1. Trotz der Verwendung des Wortes „darf“ eröffnet § 11 Abs. 8 S.  1 FeV keinen Ermessensspielraum, sondern enthält einen Grundsatz der Beweiswürdigung, der auf der Überlegung beruht, dass eine grundlose Verweigerung einer Begutachtung die Vermutung berechtigt, der Fahrerlaubnisinhaber wolle einen ihm bekannten Eignungsmangel verbergen, sodass ein Eignungsmangel durch die Weigerung zur Vorlage des angeforderten Gutachtens als nachgewiesen gilt (vgl. VGH München BeckRS 2021, 9441 Rn. 17 mwN). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein bei der Teilnahme am Straßenverkehr begangener Nötigungsversuch, der durch Hartnäckigkeit und konkret gefährliches Handeln gekennzeichnet war, lässt tragfähige Rückschlüsse darauf zu, dass der Fahrer gerade für die Verkehrssicherheit gefährlich ist, und stand somit in einem spezifischen Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit und damit auch in dem vom Verordnungsgeber geforderten Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Fahrerlaubnisbehörde hat in Ausübung des ihr in § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV eröffneten Ermessens ihr Vorgehen außerhalb des Fahreignungs-Bewertungssystems ausreichend und zutreffend zu begründen und über die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen hinaus darzulegen, aus welchen besonderen Gründen die Verkehrssicherheit und die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer die Ermittlungsmaßnahme ausnahmsweise gebieten. Dies kann nach den Umständen des Einzelfalls sogar bei Vorliegen nur eines erheblichen Verkehrsverstoßes der Fall sein (vgl. VGH München BeckRS 2021, 2800 Rn. 19). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Fahrerlaubnisbehörde ist an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen zu demselben Sachverhalt beruht. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde den schriftlichen Entscheidungsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
kein Ermessensspielraum, Grundsatz der Beweiswürdigung, grundlose Verweigerung einer Begutachtung, Nachweis eines Eignungsmangels, Nötigungsversuch im Straßenverkehr, Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit, Ermessensausübung, Fahreignungs-Bewertungssystem, besondere Gründe für die Ermittlungsmaßnahme, Bindung an strafrichterliche Eignungsbeurteilung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 12.08.2022 – 11 ZB 22.1266
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22202

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
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1. Dem am … geborenen Kläger wurde am 7. Januar 1997 erstmalig die Fahrerlaubnis der damaligen Klasse 3 erteilt. Der aktuelle Ersatzführerschein wurde dem Kläger am 25. März 2020 durch das Landratsamt … (Landratsamt) ausgehändigt (Klassen: A79, A179, AM, B, BE, L, T, C, CE, C1 und C1E).
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Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 24. Juni 2016 (Az. A; rechtskräftig seit 2.8.2016) wurde der Kläger wegen Beleidigung (§§ 185, 194 Abs. 1 StGB) zu einer Geldstrafe i.H.v. insgesamt EUR 900,- verurteilt. Hinsichtlich des Vorwurfs der Nötigung und Körperverletzung wurde seitens der Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO abgesehen.
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Dem Strafbefehl lag folgender Sachverhalt zugrunde:
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„Am 12. März 2016 gegen 14:45 Uhr liefen Sie nach einem Fußballspiel Ihres Sohnes (BJugend) auf dem Sportplatz in … dem Schiedsrichter … auf dessen Weg zur Kabine hinterher und bezeichneten diesen als ‚Fettsack, Vollidiot und Drecksack‘, um Ihre Missachtung auszudrücken. Vor der Kabine äußerten Sie gegenüber [dem Schiedsrichter], was die ‚Scheiße‘ solle und forderten ihn auf ‚komm mit ins Gebäude, dann klären wir das‘.“
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Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 10. März 2020 (Az. B; rechtskräftig bzgl. des Schuldspruchs seit 24.8.2020) wurde der Kläger wegen versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung (§§ 240, 22, 23, 185, 194 StGB) verurteilt.
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Dem Strafbefehl lag folgender Sachverhalt zugrunde:
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„Sie fuhren am 19. Dezember 2019 gegen 17.00 Uhr mit dem Pkw … auf der B17 … Hierbei fuhren Sie auf das Fahrzeug der Zivilstreife der PI Ergänzungsdienste … unter mehrfacher Betätigung der Lichthupe und Hupe für ca. 550 m so dicht auf, dass [die Polizisten] im Rückspiegel das Kennzeichen Ihres Fahrzeugs nicht mehr ablesen und den Kühlergrill nicht mehr erkennen konnten. Sie handelten dabei in der rechtswidrigen Absicht, die Geschädigten dazu zu bewegen, die Fahrspur zu wechseln oder zumindest schneller zu fahren. … Entgegen Ihrer Vorstellung hat[te] dies nicht zur Folge, dass die Geschädigten gezwungenermaßen schneller fuhren und die Fahrspur wechselten. Bei der anschließenden Kontrolle duzten Sie den Geschädigten PHM …, um Ihre Missachtung auszudrücken.“
9
Auf einen auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch des Klägers gegen den Strafbefehl hin wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts … vom 24. August 2020 (Az. B) eine Gesamtgeldstrafe i.H.v. EUR 3.000,- verhängt. Zudem wurde dem Kläger für einen Monat verboten, Kraftfahrzeuge aller Art auf öffentlichen Straßen zu führen.
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Mit Schreiben vom 9. November 2020 - zugestellt am 13. November 2020 - forderte das Landratsamt den Kläger unter Bezugnahme auf die genannten strafrechtlichen Verurteilungen auf, ein medizinischpsychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung bis spätestens 9. Februar 2021 vorzulegen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV). Aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht … wegen Nötigung im Straßenverkehr mit Beleidigung seien Fahreignungszweifel entstanden, die durch die Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens zu klären seien. Gerade eine solche Straftat wie die Nötigung im Straßenverkehr unter Nutzung eines Kraftfahrzeugs könne auf einen Mangel hindeuten, der im Straßenverkehr zu einer Gefährdung werden könne. Mit der Nötigung im Straßenverkehr habe der Kläger sich selbst und weitere Verkehrsteilnehmer in Gefahr gebracht. An Fahrer der Gruppe 2 und Berufskraftfahrer wie den Kläger seien wegen der besonderen Anforderungen an die Fahrer und wegen der zusätzlichen Risiken im Straßenverkehr strenge Maßstäbe anzulegen. Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts und im Hinblick auf die Schwere würden sich die Fahreignungszweifel so erheblich verstärken, dass das eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Gutachtensanforderung auf nahezu Null reduziert sei. Das Gutachten sollte folgende Frage beantworten:
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„Ist trotz der aktenkundigen erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, zu erwarten, dass [der Kläger] künftig nicht wiederholt gegen straf- und verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“
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Mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 ließ der Kläger ausführen, dass er seit mittlerweile 1999 tagtäglich mindestens zwölf Stunden im Lkw-Nahverkehr fahre und wisse, sich im Straßenverkehr ordnungsgemäß zu verhalten. Er habe sich bis zu dem Vorfall am 19. Dezember 2019 im Straßenverkehr nichts zu Schulden kommen lassen. Auch sein Arbeitgeber sowie die, für die er seit vielen Jahren im Einsatz sei, würden ihn als sehr umsichtigen, immer hilfsbereiten Mitarbeiter und Fahrer schätzen.
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Auf Antrag des Klägers wurde die Frist zur Vorlage des angeforderten Gutachtens schließlich bis zum 25. April 2021 verlängert.
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Der Kläger beauftragte die … mit der Erstellung des medizinischpsychologischen Gutachtens. Das Landratsamt übersandte die Fahreignungsunterlagen am 23. Februar 2021 an die Begutachtungsstelle. Diese bestätigte unter dem 25. März 2021, dass der Kläger am selben Tag den Untersuchungstermin wahrgenommen habe.
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Mit anwaltlichem Schreiben vom 23. April 2021 teilte der Kläger dem Landratsamt mit, dass das angeforderte Gutachten nicht vorgelegt werde. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines etwaigen Entzugs der Fahrerlaubnis. Die angeführte Straftat der Beleidigung aus dem Jahr 2016 rechtfertige diese gerade nicht, zumal diese Straftat nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehe. Ferner sei die aus dem Jahr 2019 stammende Beleidigung nicht geeignet, seine Fahreignung anzuzweifeln. Er verwechsele als ausländischer Mitbürger „Du“ und „Sie“. Es sei mitnichten seine Intention gewesen, eine Missachtung gegenüber dem Polizeibeamten auszudrücken. Auch sei zu berücksichtigen, dass bei dem Vorfall der versuchten Nötigung seitens des Strafgerichts gerade nicht der Entzug der Fahrerlaubnis angeordnet worden sei. Es sei lediglich ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden.
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Mit Schreiben vom 4. Mai 2021 hörte das Landratsamt den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Ihm wurde Gelegenheit gegeben, sich bis spätestens 19. Mai 2021 zu äußern.
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2. Mit Bescheid des Landratsamts … vom 25. Mai 2021 - zugestellt am 28. Mai 2021 - wurde dem Kläger daraufhin die Fahrerlaubnis in vollem Umfang entzogen (Nr. 1). Der Kläger wurde verpflichtet, seinen Führerschein unverzüglich beim Landratsamt abzugeben (Nr. 2). Für den Fall, dass der Führerschein nicht innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids abgegeben werde, wurde ein Zwangsgeld i.H.v. EUR 250,- angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und Nr. 2 wurde angeordnet (Nr. 4).
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Zur Begründung wurde angeführt, dass das angeforderte medizinischpsychologische Gutachten nicht vorgelegt worden sei. Es sei daher auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).
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Der Führerschein wurde beim Landratsamt fristgerecht abgegeben.
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3. Am 24. Juni 2021 hat der Kläger Klage erhoben.
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Er beantragt, den Bescheid des Landratsamts … vom 25. Mai 2021 aufzuheben.
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Die Gutachtensanordnung vom 9. November 2020 sei bereits formell rechtswidrig. Das Landratsamt sei in der Beibringungsanordnung (dort S. 3, erster Absatz) offensichtlich in unzutreffender Weise von einer Nötigung und nicht von einer in rechtlicher Hinsicht weniger schwerwiegenden versuchten Nötigung ausgegangen. Die Fragestellung sei zudem zu weit gefasst und unverhältnismäßig. Es bestehe die Möglichkeit einer unzulässigen Vermischung von straßenverkehrsrechtlich relevanten Umständen mit unbeachtlichen Faktoren, wie den verkehrsrechtlich nicht relevanten Beleidigungen. Die Aufgabe des Gutachters bestehe nicht darin einzuschätzen, ob der Fahrerlaubnisinhaber generell rechtstreu sei. Die Gutachtensfrage müsse sich darauf beziehen, ob er trotz der aktenkundigen erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehe, weiter gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoße. Die Frage, ob er Straftaten begehe, die nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stünden, sei jedoch explizit nicht ausgenommen worden. Diese spiele allerdings für die Fahreignung keine Rolle. In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die verkehrsfremde Beleidigung hinzuweisen, die das Landratsamt auch zum Anlass genommen habe, die medizinischpsychologische Untersuchung anzuordnen. Auch sei der erforderliche Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV nicht formell ordnungsgemäß erteilt worden. Es sei die Rede von „werden“, wonach der Entzug der Fahrerlaubnis sicher feststehe, obwohl § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV von „dürfen“ spreche. Es könne dahingestellt bleiben, ob dem Landratsamt kein Ermessen eingeräumt werde, denn jedenfalls werde einem Rechtsunkundigen ein anderes Ermessen vorgegaukelt, als es der Wortlaut des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV vorgebe. Hier werde ihm ein enormer Druck aufgebürdet, den er beim Wortlaut „dürfen“ nicht habe. Hier könne er sich frei entscheiden, ob er das Risiko eingehe. Bei „werden“ wäre er hingegen gezwungen, ein Gutachten vorzulegen, was seine freie Entscheidungsmöglichkeit unterbinde. Eine Beibringungsfrist von drei Monaten sei überdies nicht angemessen und ausreichend. Zum betreffenden Zeitpunkt habe sich Deutschland überwiegend im Corona-Lockdown befunden, was keine Berücksichtigung gefunden habe. Die Gutachtensanordnung sei auch materiell rechtswidrig. Es liege keine erhebliche Straftat i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV vor. Die Umstände des Vorfalls vom 19. Dezember 2019 seien richtigerweise nicht derart gravierend gewesen, wie im Strafbefehl vom 10. März 2020 wiedergegeben, insbesondere habe er von einem vorschriftswidrigen Rechtsüberholen des vor ihm fahrenden Fahrzeugs abgesehen. Die Beleidigung stehe überdies gerade nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Ein „Duzen“ eines Polizeibeamten sei nicht geeignet, Zweifel an der Fahreignung zu hegen und dies mit einer erheblichen Straftat gleichzusetzen. Zudem habe er schlicht mangels hinreichender Deutsch-Kenntnisse das „Du“ mit dem „Sie“ verwechselt, dies sei nicht als Missachtung gemeint gewesen. Auch sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 7.8.2014 - 11 CS 14.352 - juris Rn. 26-28) das behördliche Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Die Behörde müsse anhand aller Umstände des konkreten Falls prüfen, ob die sich aus der begangenen Anlassstraftat sowie ggf. weiteren Umständen ergebenden Eignungszweifel hinreichend gewichtig seien, und ihre diesbezüglichen Erwägungen offenlegen. Zudem müsse sie Wertungswidersprüche zu anderen die Fahreignung bzw. die Möglichkeiten einer Begutachtung betreffenden Vorschriften vermeiden. So dürfe sie nicht außer Acht lassen, dass nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem mit Punkten bewertete Verkehrsverstöße grundsätzlich noch keine Eignungsüberprüfung auslösten. Die vorliegende Beibringungsanordnung lasse jedoch einzelfallbezogene Ermessenserwägungen und eine Auseinandersetzung damit, dass die Nötigung bereits mit Punkten bewertet worden sei, vermissen. Es liege daher ein Ermessensausfall vor. Es werde lediglich pauschal eine Ermessensreduktion auf nahezu Null behauptet. Das Landratsamt würdige das dichte Auffahren dahingehend, dass er bewusst eine Konfliktsituation herbeigeführt habe und es sich nicht um eine Augenblicksversagen handele. Diese Würdigung sei jedoch bereits im Begriff der Nötigung - eines Vorsatzdelikts - enthalten. Die konkrete behördliche Formulierung lasse darauf schließen, dass nicht erkannt worden sei, dass eher ein Ausnahmefall, denn ein Regelfall für die Anordnung eines Gutachtens vorliege, zumal sich die Beschreibung der „Verhaltensmuster“ auf die tatbestandliche Aufzählung der Nötigungssituation beschränke. Es werde nicht ausgeführt, welche Besonderheiten den vorliegenden Einzelfall vom Regelfall im Sinne einer deutlich erhöhten Gefährlichkeit für den öffentlichen Straßenverkehr abhöben. Hierzu genüge die Wiedergabe des Nötigungstatbestands nicht. Letztlich seien die Gutachtensanordnung sowie die Entziehung der Fahrerlaubnis unverhältnismäßig, er habe keinerlei Voreintragungen im Fahreignungsregister. Auch sei zu bedenken, dass das Strafgericht davon abgesehen habe, ihm wegen der Tat vom 19. Dezember 2019 die Fahrerlaubnis zu entziehen; es sei insoweit lediglich ein Fahrverbot von einem Monat ausgesprochen worden.
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4. Das Landratsamt beantragt für den Beklagten,
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die Klage abzuweisen.
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Hinsichtlich der Fragestellung in der Gutachtensanordnung sei auf Anlage 4a Nr. 1 Buchst. g FeV zu verweisen. Mit der Anordnung einer rein psychologischen Untersuchung würde eine Rechtsfolge erzeugt, die das Gesetz in § 11 Abs. 3 FeV nicht kenne. Weiterhin handele es sich beim Kläger um einen Berufskraftfahrer, der auch im Besitz der Fahrerlaubnis der Gruppe 2 sei. Hier seien die Anforderungen an die Fahrer nochmals erhöht. Dies stütze sich vor allem auch auf die Vielzahl an Kilometern, die diese Personengruppe zurücklege und die damit einhergehende Steigerung der Wahrscheinlichkeit, dass die Fahrer in Konfliktsituationen im Straßenverkehr gelangen würden. Hinzu komme ein erhöhtes Gefährdungspotential ausgehend von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2, welche vom Kläger gefahren würden. Ebenfalls trete hinzu, dass sich gerade Berufskraftfahrer im Rahmen der regelmäßigen Verlängerungen auch im Hinblick auf das Verhalten im Straßenverkehr im Rahmen der Modulschulungen weiterbilden müssten. Auch diese Schulungen hätten das Fehlverhalten des Klägers nicht verhindern können. Daher liege der Schluss nahe, dass es sich um eine generalisierte Fehleinstellung handeln könnte. Dass der Kläger mit diesem Sachverhalt erstmalig im Straßenverkehr aufgefallen sei, sei unerheblich. In einer medizinischpsychologischen Begutachtung gehe es grundsätzlich darum, aus vergangenem Verhalten und der Person des Betroffenen eine Prognose für das zukünftige Verhalten zu erstellen. Hier genüge in einer Vielzahl der Fälle bereits eine einzelne Tat, um daraus aufklärungswürdige Eignungszweifel herzuleiten, ohne dass es darauf ankomme, ob bereits zuvor Auffälligkeiten vorgelegen hätten.
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5. Mit Beschluss des Gerichts vom 23. Juli 2021 (Az. Au 7 S 21.1407) wurde ein Antrag des Klägers nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abgelehnt. Eine Beschwerde hiergegen wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Oktober 2021 (Az. 11 CS 21.2148 - juris) zurückgewiesen.
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6. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 4. April 2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Der Bescheid des Landratsamts … vom 25. Mai 2021 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses (vgl. etwa BVerwG, U.v. 23.10.2014 - 3 C 3.13 - DAR 2014, 711 - juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO; siehe zum Nachfolgenden: BayVGH, B.v. 28.10.2021 - 11 CS 21.2148 - juris Rn. 13-19).
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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV kann die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinischpsychologisches Gutachten) zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach § 11 Abs. 1 und 2 FeV angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - BVerwGE 156, 293 - juris Rn. 19).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
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a) Die Beibringungsanordnung vom 9. November 2020 (Blatt 105-112 der Verwaltungsakte) war formell rechtmäßig.
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Der Kläger konnte der Beibringungsanordnung entnehmen, was konkret ihr Anlass war, und prüfen, ob das dort Mitgeteilte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - BVerwGE 156, 293 - juris Rn. 21). Dabei handelte es sich zweifelsohne um den am 10. März 2020 bzw. 24. August 2020 abgeurteilten Nötigungsversuch vom 19. Dezember 2019, auch wenn im Text der Beibringungsanordnung (dort S. 3) zweimal von einer Verurteilung wegen „Nötigung“ die Rede war. Auf Seite 2 der Anordnung hat das Landratsamt unter der Überschrift „Versuchte Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung“ und unter Nennung des Aktenzeichens den Sachverhalt geschildert, der Gegenstand dieses Strafverfahrens war, und dabei deutlich gemacht, dass das nötigende Verhalten des Klägers nicht ein schnelleres Fahren oder einen Fahrstreifenwechsel der Zivilstreife zur Folge gehabt habe. Auf Seite 3 hat es durch die Bezugnahme auf die am 19. Dezember 2019 begangenen Delikte und die Bezeichnung der Geldstrafe und des Fahrverbots einen klar erkennbaren und eindeutigen Zusammenhang zu der vorangegangenen Sachverhaltsdarstellung hergestellt. Eine(n) weitere(n) Nötigung(sversuch), die bzw. der zu einer Irreführung hätte Anlass geben können, gab es nicht.
34
Der Hinweis auf die Folgen der nicht fristgemäßen Beibringung des geforderten medizinischpsychologischen Gutachtens (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) genügt den rechtlichen Anforderungen. Insoweit ist entscheidend, dass der Schluss gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde liegt (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 - 11 ZB 21.591 - juris Rn. 17 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 26.2.2021 - 6 B 431/20 - juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 9.1.2020 - 3 M 216/19 - juris Rn. 11; HessVGH, B.v. 22.1.2019 - 2 B 1641/18 - juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 23.4.2015 - 16 B 259/15 - juris Rn. 7 f. jeweils m.w.N.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 51). Trotz der Verwendung des Wortes „darf“ eröffnet § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV keinen Ermessensspielraum, sondern enthält einen Grundsatz der Beweiswürdigung, der auf der Überlegung beruht, dass eine grundlose Verweigerung einer Begutachtung die Vermutung berechtigt, der Fahrerlaubnisinhaber wolle einen ihm bekannten Eignungsmangel verbergen, sodass ein Eignungsmangel durch die Weigerung zur Vorlage des angeforderten Gutachtens als nachgewiesen gilt (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 - 11 ZB 21.591 - juris Rn. 17; SächsOVG, B.v. 26.2.2021 - 6 B 431/20 - juris Rn. 8; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 51). Das Landratsamt hat dem Kläger somit zutreffend mitgeteilt, dass es im Falle der Nichtbeibringung des Gutachtens von einem Fehlen seiner Fahreignung ausgehen „werde“. Diese Formulierung ist für den juristischen Laien nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verständlicher als der Wortlaut der Verordnung (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV) selbst.
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Ebenso wenig ist die Fragestellung zu beanstanden. § 2 Abs. 4 StVG definiert die Kraftfahreignung dahingehend, dass der Betroffene die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die Regelung differenziert dabei nicht zwischen verschiedenen Straftaten und Verkehrsverstößen, die gemäß § 11 Abs. 3 FeV im Einzelfall einen hinreichenden Anlass für eine medizinischpsychologische Begutachtung begründen (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2019 - 11 ZB 19.1783 - juris Rn. 15; zu möglichen Fragestellungen: Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung - Beurteilungskriterien, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, mit Schreiben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur v. 27.1.2014 [VkBl 2014, 132] als aktueller Stand der Wissenschaft eingeführt, S. 61; vgl. auch die Fragestellung in dem von BayVGH, B.v. 10.2.2021 - 11 ZB 20.2642 - juris entschiedenen Fall).
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Weiter war auch die Länge der Beibringungsfrist von etwa drei Monaten ausreichend (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2020 - 11 CS 20.1782 - ZfSch 2021, 56 - juris Rn. 3, 18: 2 Monate; OVG Bremen, B.v. 7.5.2021 - 1 B 136/21 - juris Rn. 9: etwas mehr als 2 Monate). Es erschließt sich nicht, weshalb dem Kläger die Frist nicht ausgereicht haben sollte, zumal das Landratsamt die Frist erheblich (bis zum 25.4.2021; Blatt 158 der Verwaltungsakte) verlängert hat und ein medizinischpsychologisches Gutachten erstellt worden ist, das der Kläger nicht vorgelegt hat.
37
b) Die Beibringungsanordnung erfolgte auch materiell zu Recht.
38
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV sind vorliegend erfüllt. Die durch den Kläger begangene versuchte Nötigung vom 19. Dezember 2019, die Gegenstand des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts … vom 10. März 2020 (Az. B; Blatt 48-50 der Verwaltungsakte) bzw. des entsprechenden rechtskräftigen Urteils vom 24. August 2020 (Blatt 71 f. der Verwaltungsakte) war, stellt eine erhebliche Straftat dar, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht.
39
Der bei Teilnahme am Straßenverkehr begangene Nötigungsversuch war durch Hartnäckigkeit und konkret gefährliches Handeln gekennzeichnet. Ein derartiges Fehlverhalten lässt tragfähige Rückschlüsse darauf zu, dass der Fahrer gerade für die Verkehrssicherheit gefährlich ist. Es stand somit in einem spezifischen Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit und damit auch in dem vom Verordnungsgeber geforderten Zusammenhang mit dem Straßenverkehr (vgl. BR-Drs. 302/08 v. 30.4.2008, S. 61; Siegmund in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 18.6.2021, § 11 FeV Rn. 67). Dass die im Anschluss bei der Verkehrskontrolle begangene Beleidigung des die Kontrolle ausführenden Polizeibeamten nicht in einem spezifischen Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit stand, auch wenn sich in ihr die auch beim Fahren gezeigte emotionale Unbeherrschtheit des Klägers widerspiegelt, spielt keine Rolle. Nach den Ausführungen in der Beibringungsanordnung (dort S. 3 f.) war für das Landratsamt die Nötigungshandlung entscheidend und nicht die dazu in Tatmehrheit stehende Beleidigung. Soweit der Kläger darauf verweist, dass er keine Voreintragungen im Fahreignungsregister gehabt habe, ist klarzustellen, dass § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV lediglich eine erhebliche Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr voraussetzt.
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Soweit der Kläger den in den rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidungen festgestellten Tathergang am 19. Dezember 2019 nunmehr zu relativieren versucht, so führt dies nicht weiter. Behörden und Verwaltungsgerichte dürfen die in einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung getroffenen Feststellungen regelmäßig im Fahrerlaubnis-Entziehungsverfahren zu Grunde legen, ohne diese selbst auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Anderes gilt nur, soweit sich gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen ergeben, insbesondere Wiederaufnahmegründe nach § 359 der Strafprozessordnung (StPO) gegeben sind, oder die Behörden und Verwaltungsgerichte den Sachverhalt ausnahmsweise besser aufklären können als die Strafverfolgungsorgane. Insoweit obliegt es dem Betroffenen, substantiierte, stimmige und nachprüfbare Umstände darzulegen, die die Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen ernsthaft in Zweifel ziehen. Diese Grundsätze gelten auch für rechtskräftige Verurteilungen im Strafbefehlsverfahren (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 15.3.2021 - 11 CS 20.2867 - juris Rn. 17). Hiervon ausgehend ergeben sich vorliegend keine gewichtigen Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen. Ohnehin hat der Kläger den im Kern maßgeblichen Tathergang der versuchten Nötigung nicht in Frage gestellt.
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c) Auch werden die Ermessenserwägungen des Landratsamts den rechtlichen Anfor derungen noch gerecht, auch wenn sie sich nicht ausdrücklich mit dem Verhältnis von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV zum Fahreignungs-Bewertungssystem auseinandersetzen. Die Fahrerlaubnisbehörde hat das in § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 FeV eröffnete Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes - BayVwVfG), mithin ihr Vorgehen außerhalb des Punktsystems ausreichend und zutreffend zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2021 - 11 ZB 20.2642 - juris Rn. 20; B.v. 7.8.2014 - 11 CS 14.352 - NJW 2014, 3802 - juris Rn. 20; B.v. 7.11.2013 - 11 CS 13.1779 - juris Rn. 13). Daher genügt es nicht aufzuzeigen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigung erfüllt sind (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - BVerwGE 156, 293 - juris Rn. 38), sondern es ist darüber hinaus darzulegen, aus welchen besonderen Gründen die Verkehrssicherheit und die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer die Ermittlungsmaßnahme ausnahmsweise gebieten (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2021 - 11 ZB 20.2642 - juris Rn. 20; B.v. 7.8.2014 - 11 CS 14.352 - NJW 2014, 3802 - juris Rn. 26; B.v. 7.11.2013 - 11 CS 13.1779 - juris Rn. 13). Dies kann nach den Umständen des Einzelfalls sogar bei Vorliegen nur eines erheblichen Verkehrsverstoßes der Fall sein. So liegt es hier. Das Landratsamt hat die Erforderlichkeit der medizinischpsychologischen Begutachtung mit der konkreten Gefährdung der Verkehrsteilnehmer durch die Nötigungshandlung des Klägers und deren Schwere, den hierdurch ausgelösten starken Zweifeln an seiner Fahreignung sowie den aufgrund erhöhter Risiken strengeren Anforderungen an Fahrer von Fahrzeugen der Gruppe 2 sowie Berufskraftfahrer begründet. Die Schwere der Nötigungshandlung ergibt sich ohne weiteres aus den in der Beibringungsanordnung wiedergegebenen strafgerichtlichen Feststellungen, wonach der Kläger dem vorausfahrenden Fahrzeug mehr als einen halben Kilometer so dicht aufgefahren ist, dass sein Kühlergrill nicht mehr zu sehen war, und wonach er dieses Verhalten erst nach Zeigen der polizeilichen Anhaltekelle geändert hat. Zu Recht war das Landratsamt der Meinung, dass er aufgrund eines erhöhten Aggressionspotentials oder nicht beherrschter Affekte hiermit rücksichtslos seine eigenen Interessen durchgesetzt bzw. durchzusetzen versucht hat. Die konkreten Tatumstände durften bei der Ermessensausübung durchaus gewürdigt werden. Dass der Kläger nicht noch zusätzlich zu einem vorschriftswidrigen Rechtsüberholen angesetzt hat, kann ihm nicht zum Vorteil gereichen, da das Landratsamt - wie dargelegt - bereits im Lichte der Schwere des konkreten Nötigungsversuchs ermessensfehlerfrei und ohne Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens anordnen konnte.
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d) Soweit der Kläger gegen die behördliche Entziehung der Fahrerlaubnis noch einwendet, dass das Strafgericht von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen habe, führt auch dies nicht zum Erfolg. Denn die Fahrerlaubnisbehörde ist gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 StVG an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen zu demselben Sachverhalt beruht. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde den schriftlichen Entscheidungsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat. Andere Erkenntnisquellen kommen aus Gründen der Rechtsklarheit nicht in Betracht. Deshalb besteht keine Bindungswirkung, wenn die strafrechtlichen Entscheidungen - wie hier der Strafbefehl vom 10. März 2020 sowie das Urteil vom 24. August 2020 - überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthalten. Diese Grundsätze gelten auch, wenn das Strafgericht - wie vorliegend - ein nach § 267 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 StPO in den Gründen abgekürztes Urteil erlässt (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 15.3.2021 - 11 CS 20.2867 - juris Rn. 24 f.).
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e) Auch die klägerseitig formulierte Kritik an der Verhältnismäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis greift nicht durch. Da das Landratsamt - wie ausgeführt - vorliegend nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV davon ausgehen durfte und musste, dass dem Kläger die Fahreignung fehlt, ist die daran anknüpfende Entziehung der Fahrerlaubnis zum Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer zwingend und verhältnismäßig. Im Hinblick auf den hohen Rang dieser Rechtsgüter haben das Mobilitätsbedürfnis des Klägers und die Bedeutung der Fahrerlaubnis für seine Lebensführung dahinter zurückzustehen (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2020 - 11 CS 20.1814 - juris Rn. 25).
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f) Ausgehend von der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch die Abgabeverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins aus Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids rechtlich nicht zu beanstanden. Diese ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV. Die Zwangsgeldandrohung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids hat sich durch die fristgerechte Ablieferung des Führerscheins beim Landratsamt erledigt.
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2. Nach alledem ist die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).