Inhalt

VG München, Urteil v. 26.07.2022 – M 1 K 19.5645
Titel:

Erfolglose Klage auf  bauaufsichtliches Einschreiten hinsichtlich eines an der Grundstücksgrenze errichteten Garten- bzw. Gerätehauses

Normenketten:
VwGO §113 Abs. 5 S. 1
BayBO Art. 2 Abs. 5, Art. 6, Art. 76 S. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen gem. § 23 BauNVO haben grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung . Ob eine solche Festsetzung auch darauf gerichtet ist, dem Schutz eines Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab. Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen nach dem Willen des Satzungsgebers ausnahmsweise auch zum Schutz der Nachbarn erfolgt sind, liegen hier nicht vor. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein vollständiges Außerbetrachtlassen einer Grenzgarage, die nach planungsrechtlichen Vorschriften innerhalb eines Baufensters an die Grenze gebaut werden muss bzw. darf,  im Zusammenhang mit den einzuhaltenden Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 7 BayBO dem Willen des Plangebers – und des Gesetzgebers – entspricht, erscheint zweifelhaft. Zwar tritt im Falle des Art. 6 Abs. 1 S. 3 BayBO das Bauordnungs- gegenüber gegenüber dem Bauplanungsrecht zurück, es gilt der sog. Vorrang des Bauplanungs- vor dem Abstandsflächenrecht. Gleichwohl dürfte es der Gemeinde bei der Festsetzung von Baufenstern in der Regel vorrangig lediglich darum gehen, aus städtebaulichen Gründen einheitliche Vorgaben für die Situierung von Garagen zu schaffen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abstandsflächen, Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (verneint), Ermessensreduzierung auf Null (verneint), Gartenhaus, Grenzbebauung, Nachbarklage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 29.01.2024 – 1 ZB 22.2090
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21984

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber den Beigeladenen hinsichtlich eines an der Grundstücksgrenze errichteten Garten- bzw. Gerätehauses.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1...6/7 Gem. …, die Beigeladenen sind Miteigentümer des Grundstücks FlNr. 1...6/8 Gem. …, das unmittelbar östlich an das Grundstück des Klägers anschließt. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Am …feld“ von 1994. Der Bebauungsplan setzt für das Grundstück der Beigeladenen eine maximal zulässige Gesamtfläche von 120 m² für Nebenanlagen fest. Ferner setzt er für dessen westliche Seite zum Grundstück des Klägers hin eine Fläche für Garagen fest. Schließlicht enthält der Bebauungsplan die Festsetzung einer „Umgrenzung von Flächen für Stellplätze und Nebenanlagen, z.B. Zufahrten u.ä.“. Eine derartige Fläche ist für die Grundstücke der Beigeladenen und des Klägers nicht vorgesehen.
3
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2008 erteilte die Gemeinde R. der Beigeladenen zu 2) eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der maximal zulässigen Gesamtfläche für Nebenanlagen. Mit Bescheid vom 26. Juli 2018 erteilte die Gemeinde R. den Beigeladenen erneut eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, nachdem diese die Errichtung eines Carports mit 8,0 m Länge an der südöstlichen Grenze des Grundstücks FlNr. 1...6/8 beabsichtigten und der Bebauungsplan für die vorgesehene Stelle keine Fläche für Nebenanlagen vorsieht. Unter dem 13. November 2018 erteilte der Beklagte den Beigeladenen zudem eine Abweichung von der Einhaltung der an der östlichen Grundstücksgrenze zu Grundstück FlNr. 1...6/10 erforderlichen Abstandsfläche für den Carport.
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Unter dem 23. April 2019 beantragte der Kläger beim Beklagten bauaufsichtlich gegenüber den Beigeladenen einzuschreiten, da die Grenzbebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen die maximal zulässige Länge von 9 m zum Grundstück des Klägers überschreite.
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Im Rahmen einer Ortseinsicht am 21. Juni 2019 stellte der Beklagte fest, dass sich auf dem Grundstück der Beigeladenen an dessen nordwestlicher Grenze zum Grundstück des Klägers eine Grenzgarage mit einer grenzanliegenden Seitenlänge von 6,50 m und an der südwestlichen Grenze ein Gartenhaus mit einer Länge von ca. 5,10 m befindet, sodass die Grenzbebauung auf der westlichen Grundstücksseite eine Gesamtlänge von 11,60 m hat. Das Gartenhaus hat eine Grundfläche von ca. 10,3 m² (2,0 m x 5,15 m), eine Firsthöhe von 2,70 m und eine mittlere Wandhöhe von 2,25 m. Von der südlichen Grundstücksgrenze ist es 1,40 m, von der westlichen Grundstücksgrenze ca. 0,90 m entfernt. Ferner wurde auf dem Grundstück des Klägers an der südöstlichen Grundstücksgrenze auf gleicher Höhe zum Gartenhaus der Beigeladenen ein Gartenhaus mit einer Länge von ca. 3,0 m festgestellt.
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Mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 lehnte der Beklagte den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten ab. Ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften führe nicht stets zu einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, derartige Maßnahmen lägen im Ermessen der Behörde. Eine Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Nach ständiger Praxis der Bauaufsichtsbehörde würden sich gegenüberliegende Grenzbebauungen gegenseitig aufheben. Demnach müsse die Grenzbebauung der Beigeladenen - das Gartenhaus mit einer Länge von 5,10 m - mit der Grenzbebauung des Klägers - dem Gartenhaus mit einer Länge von 3,0 m - verrechnet werden. Damit ergebe sich eine Grenzbebauung von lediglich 8,60 m (6,50 m Garage + (5,10 m Gartenhaus Beigeladene - 3,0 m Gartenhaus Kläger)). Die maximal zulässige Länge von 9,0 m werde folglich eingehalten. Die Verrechnung entspreche dem Sinn und Zweck des Abstandsflächenrechts. Die Aspekte der Belichtung und Belüftung seien nicht beeinträchtigt und eine abriegelnde Wirkung nicht feststellbar, weil auch auf dem Grundstück des Klägers eine Grenzbebauung bestehe. Dafür spreche auch, dass das Abstandsflächenrecht besonderes Sicherheitsrecht darstelle. Für den Bereich der Grenzbebauung auf dem Grundstück des Klägers bestehe keine Gefahr, die von der Grenzbebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen ausgehe. Ferner sei die Errichtung des Gartenhauses durch den Kläger als konkludente Abstandsflächenübernahme anzusehen.
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Mit am 14. November 2019 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten beantragt der Kläger,
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1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts … vom 10.10.2019, zugestellt am 14.10.2019, Az. … zu verpflichten, gegen die zum Kläger belegene Grenzbebauung an Grundstück FlNr. 1...6/8 bauaufsichtlich einzuschreiten,
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2. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, den Antrag des Klägers vom 23.04.2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts sei rechtswidrig und verletzte den Kläger in eigenen Rechten. Es sei keine Voraussetzung für einen Abwehranspruch, dass der Nachbar durch das genehmigte Bauvorhaben tatsächlich und spürbar beeinträchtigt werde. Eine Verrechnung der sich gegenüberliegenden Abstandsflächenbebauung widerspreche dem teleologischen Konzept des Abstandsflächenrechts. Bereits eine geringfügige Überschreitung der 9 m - Grenze führe zu einem Abwehranspruch. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 9 BayBO (nunmehr Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO) sei restriktiv auszulegen, da es sich um eine Ausnahme zu dem Grundsatz aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BayBO handle. Die Erweiterung der Grenze von 9 m widerspreche sowohl Art. 6 Abs. 1 BayBO als auch Art. 6 Abs. 9 BayBO. Eine derartige Verwaltungspraxis sei nicht von der Norm abgedeckt. Es liege auch keine konkludente Abstandsflächenübernahme vor. Das Ermessen sei auf Null reduziert. Dabei genüge ein spürbarer, mehr als nur geringfügiger Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften.
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Mit Schriftsatz vom 15. April 2020 beantragt der Beklagte,
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die Klage abzuweisen.
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Die Grenzgarage der Beigeladenen sei im September 1995 im Genehmigungsfreistellungsverfahren zusammen mit dem Wohnhaus errichtet worden. Sie sei nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zu bewerten. Sie müsse daher keine Abstandsflächen einhalten. Die verbleibende zulässige Grenzbebauung betrage 9 m, wovon durch das Gartenhaus lediglich 5,10 m beansprucht würden. Ferner könne aufgrund des auf dem Grundstück des Klägers errichteten Gartenhauses auf die Aspekte Belichtung, Belüftung und abriegelnde Wirkung nicht abgestellt werden.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 17. September 2020 beantragen die Beigeladenen,
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die Klage abzuweisen.
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Es liege bereits keine Verletzung des Abstandsflächenrechts vor. Die Grenzgarage stelle keine Anlage im Sinne des Art. 6 Abs. 9 BayBO (nunmehr Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO) dar, da sie den Festsetzungen des Bebauungsplans entspreche, der die Errichtung einer grenznahen Garage vorsehe und diese ohne Einhaltung einer Abstandsfläche zulässig sei. Das Ermessen sei auch nicht auf Null reduziert. Der Kläger habe im selben Bereich ein grenznahes Gartenhaus. Er halte das Abstandsflächenrecht nicht ein, sodass er nach Treu und Glauben daran gehindert sei, die Unterschreitung der erforderlichen Abstandsfläche zu rügen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis erklärt haben.
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I. Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten, etwa durch Erlass einer Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO, erfordert zum einen, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie über Art und Weise des Einschreitens (BayVGH, B.v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11; B.v. 07.09.2018 - 9 ZB 16.1890 - juris Rn. 6). Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (BayVGH, U.v. 4.12.2014 - 15 B 12.1450 - juris Rn. 21).
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Die streitgegenständliche Grenzbebauung verstößt nicht gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme (1.). Eine etwaige fehlende Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans im Hinblick auf die durch das Gartenhaus beanspruchte Fläche für Nebenanlagen verletzt den Kläger ebenfalls nicht in seinen Rechten (2.) Ob das Gartenhaus das Abstandsflächenrecht verletzt, ist zweifelhaft (3.), kann jedoch dahinstehen, da selbst ein unterstellter Abstandsflächenverstoß nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null führt (4.). Den damit nur bestehenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat der Beklagte im Ergebnis ermessensfehlerfrei abgelehnt (5.).
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1. Die streitgegenständliche Grenzbebauung verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO.
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Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann etwa in Betracht kommen, wenn das Grundstück des Klägers „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab. Eine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris Rn. 38).
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Danach verletzt die Grenzbebauung nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Von dem Gartenhaus gehen keine unzumutbaren Beeinträchtigungen in Form einer erdrückenden oder einmauernden Wirkung, insbesondere hinsichtlich der Höhe oder Bauweise des Gartenhauses aus. Es ist mit einer Länge von 5,10 m und einer Firsthöhe von 3,0 m nicht übergroß, sondern hält sich noch im Rahmen der für Gartenhäuser typischen Maße. Ferner hat der Kläger selbst ein Gartenhaus mit einer Länge von 3,0 m errichtet, sodass eine erdrückende Wirkung allenfalls für den diese Maße übersteigenden Teil in Betracht käme. Schließlich ist die gesetzgeberische Wertung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu berücksichtigen, wonach Gebäude mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m in den Abstandsflächen bzw. ohne eigene Abstandsflächen zulässig sind, sodass die Aspekte der ausreichenden Belichtung, Belüftung und der abriegelnden Wirkung ausreichend berücksichtigt sind. Die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme wegen unzumutbarer Beeinträchtigungen durch die Kubatur des Gartenhauses unterliefe dies.
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2. Die Problematik hinsichtlich einer etwaigen fehlenden Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans im Hinblick auf die durch das Gartenhaus beanspruchte Fläche für Nebenanlagen bedarf keiner abschließenden Erörterung. Zwar liegt insoweit nahe, dass eine derartige Befreiung fehlt, obwohl der Bebauungsplan in Nr. 15 eine zeichnerische Umgrenzung von Flächen für Stellplätze und Nebenanlagen, z.B. Zufahrten u.ä. festsetzt, die für das Grundstück der Beigeladenen am Standort des Gartenhauses nicht vorgesehen ist. Dies kann jedoch deshalb dahinstehen, da Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen gemäß § 23 BauNVO grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung haben. Ob eine solche Festsetzung auch darauf gerichtet ist, dem Schutz eines Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab (BayVGH, B.v. 5.8.2019 - 9 ZB 16.1276 - juris Rn. 5). Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen nach dem Willen des Satzungsgebers ausnahmsweise auch zum Schutz der Nachbarn erfolgt sind, lassen sich den vorgelegten Akten nicht entnehmen.
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3. Es ist zweifelhaft, ob das Gartenhaus der Beigeladenen nachbarschützende Vorschriften des Abstandsflächenrechts gegenüber dem Kläger verletzt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage im Rahmen der streitgegenständlichen Verpflichtungsklage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 57), sodass Art. 6 BayBO in der Fassung durch Gesetz vom 23. Dezember 2020 mit Wirkung vom 1. Februar 2021 maßgeblich ist.
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Gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO sind Gebäude ohne Aufenthaltsraum mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m in den zum Grundstück des Klägers hin einzuhaltenden Abstandsflächen zulässig.
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a) Das Gartenhaus stellt zwar ein derartiges Gebäude ohne Aufenthaltsraum dar.
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Aufenthaltsräume sind nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 5 BayBO Räume, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind. Bei dem Gartenhaus handelt es sich nach den in den Behördenakten befindlichen Fotos (Bl. 5 ff. der Behördenakte Az. …*) um ein typisches im Garten befindliches Häuschen, das angesichts seiner Kubatur nicht zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt geeignet ist, sondern vorrangig als Lager dienen soll. Derartige Räume zur Lagerung und Aufbewahrung von Gegenständen sind keine Aufenthaltsräume (Jäde/Schmid in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue Bayerische Bauordnung, 77. EL Oktober 2021, Art. 2 Rn. 163). Dass das Gartenhaus zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt bestimmt ist, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
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b) Das Gartenhaus weist zudem eine mittlere Wandhöhe von 2,25 m und damit unter 3 m auf. Dies hat eine Vermessung des Beklagten am 4. Mai 2022 ergeben und wurde auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen.
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c) Es bestehen jedoch Zweifel daran, ob die Gesamtlänge der Bebauung an der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks der Beigeladenen die maximal zulässigen 9 m einhält, Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO.
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aa) Der Bebauungsplan sieht für die auf dem nordwestlichen Teil des Grundstücks der Beigeladenen befindliche Garage ein Baufenster vor, vgl. Nr. 15 der zeichnerischen Festsetzungen. Demnach muss bzw. darf dort nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden; dies macht eine Abstandsfläche gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht erforderlich. Im Rahmen des Längenmaßes aus Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO ist indes nur der Teil der Außenwand relevant, der die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhält (Schönfeld in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 21. Edition 2022, Art. 6 Rn. 215), sodass die errichtete Garage - wie der Beklagte in der Klageerwiderung ausführt - für die Grenze von 9 m unberücksichtigt bleiben könnte.
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Ob ein solches vollständiges Außerbetrachtlassen der Grenzgarage im Zusammenhang mit den einzuhaltenden Abstandsflächen dem Willen des Plangebers - und des Gesetzgebers - entspricht, erscheint indes zweifelhaft. Zwar tritt im Falle des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO das Bauordnungsgegenüber dem Bauplanungsrecht zurück, es gilt der sog. Vorrang des Bauplanungsvor dem Abstandsflächenrecht. Gleichwohl dürfte es der Gemeinde bei der Festsetzung von Baufenstern in der Regel vorrangig lediglich darum gehen, aus städtebaulichen Gründen einheitliche Vorgaben für die Situierung von Garagen zu schaffen. Dafür, dass die Gemeinde derartig in das geltende Abstandsflächenrecht einzugreifen beabsichtigte, dass die von der im Baufenster gelegenen Bebauung ausgelöste Abstandsfläche vollständig unberücksichtigt bleibt, ist nichts ersichtlich.
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bb) Soweit der Beklagte die Einhaltung der zulässigen Grenzbebauung von 9 m damit begründet, dass es gängige Verwaltungspraxis sei, dass gegenüberliegende Grenzbebauungen miteinander verrechnet würden, hat das Gericht ebenfalls Bedenken.
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Der Beklagte führt diesbezüglich im Bescheid vom 23. April 2019 aus, dass die Grenzbebauung der Beigeladenen von 5,10 m mit der Grenzbebauung des Klägers von 3,0 m verrechnet würde, sodass sich für die westliche Grundstücksgrenze des Grundstücks der Beigeladenen eine berücksichtigungsfähige Grenzbebauung von lediglich 8,60 m (6,50 m Garage + (5,10 m - 3,0 m)) ergebe.
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Eine derartige Verrechnung könnte im Einzelfall jedoch zu unbilligen Ergebnissen führen. So könnte ein Grundstückseigentümer bei Vorliegen zweier gegenüberliegenden Grenzbebauungen von jeweils 9 m im Falle der Verrechnung erneut volle 9 m in Anspruch nehmen. Demnach wäre eine Grenzbebauung von 18 m zulässig, da auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 7 Satz 2 BayBO konsequenterweise eine Verrechnung stattfinden müsste. Eine derart massive Grenzbebauung wäre schon städtebaulich kein wünschenswertes Ergebnis. Ferner lässt eine etwaige Verrechnung unberücksichtigt, dass die Grenzbebauungen unterschiedliche Höhen aufweisen und damit zu unterschiedlich starken Beeinträchtigungen führen können. Schließlich ginge damit eine Beeinträchtigung des Schutzzwecks des Abstandsflächenrechts, neben der ausreichenden Belichtung und Belüftung einen ausreichenden Gebäudeabstand zu sichern, einher. Im Ergebnis wäre bei Grundstücken mit einer Grundstücksgrenze von bis zu 18 m eine vollständige Bebauung an einer Grundstücksgrenze zulässig.
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4. Letztlich kommt es auf diese beiden Fragen für das vorliegende Verfahren jedoch nicht entscheidungserheblich an. Denn selbst bei einem zu Gunsten des Klägers unterstellten Verstoß gegen die Vorschrift des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO hat der Kläger keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, da das behördliche Ermessen nicht auf Null reduziert ist.
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Bei der Entscheidung, ob die Behörde bauaufsichtlich tätig wird, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Grundsätzlich hat der Nachbar keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, sondern nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein solches Einschreiten und über die Art und Weise des Einschreitens. Eine Ausnahme kann nur gelten, wenn jede andere Entscheidung als der Erlass bauaufsichtlicher Maßnahmen mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen des Nachbarn ermessensfehlerhaft wäre, d.h. wenn das Ermessen der Behörde aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles auf Null reduziert wäre. Insoweit ist in der Rechtsprechung geklärt, dass allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO oder einer sonstigen nachbarschützenden Vorschrift durch den benachbarten Bauherrn nicht genügt, um eine Reduzierung des von Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens auf eine strikte Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zum Einschreiten zu begründen. Eine solche Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (BayVGH, B.v. 15.01.19 - 15 ZB 17.317 - juris Rn. 4 m.w.N.). Voraussetzung ist demnach, dass eine besonders qualifizierte Beeinträchtigung der nachbarlichen Rechtsstellung in Betracht kommt, namentlich, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (BayVGH, B.v. 18.6.08 - 9 ZB 07.497 - juris Rn. 4).
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Gemessen an diesen strengen Voraussetzungen liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor. Selbst bei unterstelltem Verstoß gegen Abstandsflächenrecht ist eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für wesentliche Rechtsgüter des Klägers nicht ersichtlich.
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Insoweit ist das vom Kläger auf dessen Grundstück errichtete Gartenhaus in die Betrachtung einzubeziehen. Dieses steht auf gleicher Höhe zum Gartenhaus der Beigeladenen und nimmt mit einer Länge von 3,0 m einen ebenfalls nicht unerheblichen Teil an Grenzbebauung auf dem südöstlichen Teil des klägerischen Grundstücks ein. Das Gartenhaus der Beigeladenen ist damit vom Grundstück des Klägers nur auf einer Länge von ca. 2,10 m sichtbar. Der Kläger hat durch die Errichtung seines Gartenhauses die Einschränkung der Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts, die Sicherstellung ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung selbst in Kauf genommen. Ferner sind auch die konkreten örtlichen Begebenheiten zu berücksichtigen. So befindet sich das Gartenhaus des Klägers auf dem südöstlichen Teil seines Grundstücks und das Gartenhaus der Beigeladenen auf dem südwestlichen Teil ihres Grundstücks. Damit nehmen beide Gartenhäuser einen nur untergeordneten Bereich am Rande der jeweiligen Grundstücke in Anspruch. Der das Gartenhaus des Klägers überlappende Teil befindet sich am südöstlichsten Ende des Grundstücks der Beigeladenen. Dieser Bereich ist aufgrund des Gartenhauses des Klägers ohnehin weniger zur Aufenthalts- oder sonstigen Nutzung geeignet als andere Bereiche des Grundstücks. Die Sicherung der Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts, ausreichende Belichtung und Belüftung zu sichern, fällt dort weniger stark ins Gewicht; dies bereits aufgrund der Entscheidung des Klägers, an dortiger Stelle selbst ein Gebäude in Form des Gartenhauses zu errichten. Eine besonders intensive Störung durch die Grenzbebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen, die kein anderes Ergebnis als ein Einschreiten der Behörde rechtfertigt, kann daher in diesem Fall nicht angenommen werden.
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Nach alledem liegt hier eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, sodass kein Anspruch des Klägers auf Verpflichtung zu bauaufsichtlichem Einschreiten besteht.
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5. Dem damit nur bestehenden Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ermessensausübung ist der Beklagte nachgekommen, indem er den Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 im Ergebnis ermessensfehlerfrei abschlägig verbeschieden hat. Der unter 2. gestellte Hilfsantrag ist damit ebenfalls unbegründet.
43
Soweit der Beklagte die Ablehnung bauaufsichtlichen Einschreitens damit begründet, dass sich auch auf dem Grundstück des Klägers ein Gartenhaus befinde und eine Verrechnung stattfinde, hat das Gericht Bedenken (s.o.). Gleichwohl hat der Beklagte das Gartenhaus auf dem Grundstück des Klägers insoweit ermessensfehlerfrei zur Begründung der Ablehnung bauaufsichtlichen Einschreitens herangezogen, als er im Bescheid darlegte, dass die Aspekte Belichtung, Belüftung und abriegelnde Wirkung für das klägerische Grundstück geringer zu gewichten seien, weil sich dort seinerseits eine Grenzbebauung befinde. Unter Zugrundelegung dieses Aspekts hat der Beklagte den Antrag im Ergebnis ermessensfehlerfrei abschlägig verbescheiden können.
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Ein Anlass zum Ausspruch der Verpflichtung gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, besteht demnach nicht.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dass der Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, da diese einen Antrag stellten und sich somit einem Prozessrisiko aussetzten.
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III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.