Titel:
Erfolgreiche Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Iran, kurdische Komalah-Partei)
Normenkette:
AsylG § 3
Leitsatz:
Aktivitäten für die kurdische Komalah-Partei können für iranische Staatsbürger bei einer Rückkehr in den Iran im konkreten Einzelfall auch bei einer abgeschwächten Form oppositioneller Aktivitäten eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründen. (Rn. 15 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, 64-jähriger Kurde, Mitglied der Partei, Revolutionäre Organisation der Werktätigen, Kurdistans, Komalah, Komala Party of Kurdistan, Komalay Zahmatkeschani, Kurdistan, Peschmerga, langjähriger Aufenthalt von 2006 bis 2019 im Irak, oppositionelle und exilpolitische Aktivitäten, langandauernde Aktivitäten für die Partei im Iran und Irak, ernsthafter und gefährlicher in den Iran hineinwirkender Regimegegner, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr, Kenntnis und Verfolgungsinteresse des iranischen Staates, glaubhaftes Vorbringen, nicht radikale Mitglieder, Regimegegner
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21426
Tenor
I. Die Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. November 2021 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Der 64-jährige Kläger, iranischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 28. August 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. Oktober 2020 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylantrages gab er im Wesentlichen an: Er habe Ende 2006 den Iran verlassen und sei in den Irak, weil Parteimitglieder verhaftet worden seien. Er habe von 2006 bis 2019 im Irak gelebt und sei bei der Partei Komalah (Komala). Er sei seit 1996 Mitglied der Partei. Er habe Parolen unter die Menschen gebracht, Familien von Gefangenen und Gefallenen besucht bzw. unterstützt und auch Demonstrationen organisiert. Im Jahr 2006 seien seine Personaldokumente bei seiner Ehefrau vom Ettelaat abgeholt worden. Seine Frau, seine fünf volljährigen Kinder sowie Geschwister und die Großfamilien seien noch im Iran.
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Mit Bescheid vom 26. November 2021 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Allein die Sympathie bzw. geringfügigste Aktivitäten für die Komalah-Partei (Revolutionäre Organisation der Werktätigen Kurdistan - Iran) reichten für eine positive Entscheidung nicht aus. Eine Ablehnung des herrschenden Systems sei nur dann asylrechtlich relevant, wenn durch das Verhalten des Klägers Verfolgungsmaßnahmen ausgelöst worden wären bzw. dies zu befürchten wäre. Sein Vorbringen stimme nur teilweise mit der vorgelegten Bescheinigung seiner Partei überein. Der Kläger habe auch nicht angeben können, wie die iranischen Behörden überhaupt auf ihn aufmerksam geworden sein sollten. Er sei bis zu seiner Ausreise seitens der Sicherheitsbehörden keiner Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen.
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Am 15. Dezember 2021 ließ der Kläger - entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung- beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben. Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach erklärte sich mit Beschluss vom 12. Januar 2022 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg.
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Die Beklagte beantragt im Schriftsatz vom 17. Dezember 2021,
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Die Kammer übertrug den Rechtstreit mit Beschluss vom 20. Januar 2022 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
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In der mündlichen Verhandlung am 3. Juni 2022 beantragte der Klägerbevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. November 2021 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Enkels des Klägers W 8 K 22. …*) und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. November 2021 ist in seinen Nrn. 1 und 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie zuletzt beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.
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Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
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Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe (vgl. dazu Art. 10 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG).
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Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377) liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 - BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.199 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 - 9 C 59/91 - Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
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Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 106.84 - BVerwGE 71, 180).
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Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Aktivitäten im Iran und Irak für die Komala- bzw. Komalah-Partei des iranischen Kurdistan, „Revolutionäre Organisation der Werktätigen Kurdistans“ (Komala Party of Kurdistan, Komalay Zahmatkeschani Kurdistan bzw. Komełey Şorrişgêrrî Zehmetkêşanî Kurdistanî Êran) - im Folgenden kurz: Komalah - eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.
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Dem Kläger ist es gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der glaubhaften Angaben des Klägers ist das Gericht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger davon überzeugt, dass seine von ihm geschilderten Aktivitäten im Zusammenhang mit der Komalah zutreffen, insbesondere auch was seine Tätigkeiten im Iran und Irak anbelangt. Gerade in Bezug auf den Kläger spricht nicht nur der Inhalt seiner Angaben, einschließlich der Erwähnung nebensächlicher Details, in der mündlichen Verhandlung, sondern vor allem auch die dabei gebrauchte Wortwahl sowie die gezeigte Mimik und Gestik, auch verbunden mit einem Einblick in seine Gefühlslage und Gedankenwelt für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Gerade diese Elemente bei der Aussage (Körpersprache, Gestik, Mimik usw.) sprechen gewichtig für die Ehrlichkeit des Klägers und für den wahren Inhalt seiner Angaben. Nach der vorliegenden Erkenntnislage und der darauf fußenden Rechtsprechung ist beim Kläger wegen der von ihm vorgebrachten oppositionellen und (exil) politischen Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Verfolgung aus politischen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran zu rechnen.
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Denn nach der Rechtsprechung ist allgemein mit politischer Verfolgung zu rechnen, wenn ein Kläger mit seinen oppositionellen und exilpolitischen Aktivitäten derart nach außen in Erscheinung getreten ist, dass er zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafter Regimegegner, welcher auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist, und dass zum anderen wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staats besteht (vgl. VG Würzburg, U.v. 31.1.2022 - W 8 K 21.31264 - juris Rn. 66 ff.; VG Würzburg, U.v. 16.10.2017 - W 8 K 17.31567 -juris Rn. 23 und 35; U.v. 15.2.2017 - W 6 K 16.32201 - juris Rn. 31 und 42; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).
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Diese Voraussetzungen sind im Ergebnis beim Kläger erfüllt, zumal wenn man zu seinen Gunsten - aufgrund der aktuellen Erkenntnislage - realistischer Weise davon ausgeht, dass bei Mitgliedern oder Anhängern der Komalah im Einzelfall eine womöglich größere Verfolgungsgefahr bestehen kann als bei anderen („nur“) sonst exilpolitisch aktiven Iranern.
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Zur Verfolgungsgefahr aufgrund der Anhängerschaft bzw. Mitgliedschaft in einer verbotenen politischen Gruppierung, wie z.B. in der Kurdenpartei Komalah, verbunden mit entsprechenden oppositionellen Aktivitäten wird zunächst auf die Darstellung der (älteren) Erkenntnisse in den früheren Urteilen des VG Würzburg verwiesen (vgl. VG Würzburg, U.v. 16.10.2017 - W 8 K 17.31567 - juris 25 bis 34; U.v. 15.2.2017 - W 6 K 16.32201 - juris Rn. 33 bis 41 sowie allgemein zur Verfolgung wegen regimekritischer politischer Aktivitäten U.v. 31.1.2022 - W 8 K 21.31264 - juris Rn. 48 bis 65).
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Anknüpfend an diese teilweise ältere Erkenntnislage stellt sich die neuere und aktuelle Erkenntnislage wie folgt dar:
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Im Lagebericht vom 5. Februar 2021 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand: Dezember 2020 S. 5, 10 und 19) führt das Auswärtige Amt an, dass jede Person, die öffentlich Kritik an Missständen übt oder sich für Menschenrechtsthemen engagiert, sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung im Iran aussetzt. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden würde oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solche richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge. Iranerinnen und Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußerten, sind von Repressionen bedroht, nicht nur, wenn sie in den Iran zurückkehren.
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In einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Oldenburg vom 29. November 2021 wird dazu erklärt, dass die iranischen Behörden auch im Ausland in der Überwachung ihrer Staatsangehörigen sehr aktiv sind. Die Änderung der Formulierung, wonach Iraner, die sich im Ausland regimekritisch äußerten und in den Iran zurückkehren, von Repressionen bedroht sind, ist im Vergleich zur Formulierung bedroht sein können im Vorjahresbericht, - laut Auswärtigem Amt - keine lediglich redaktionelle Änderung. Hintergrund der Änderung ist auch eine Zunahme von Repressionen gegen im Exil lebende Iraner. So sind Journalisten bzw. Blogger sogar im Ausland bedroht und in den Iran verschleppt worden. Außerdem sind vermehrt Festnahmen von Iranern, unter anderen auch Doppelstaatern, die nach ihrer Rückkehr verhaftet wurden, beobachtet worden. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass exilpolitische Aktivitäten von Iranern im Ausland im Internet überwacht werden. Ob flächendeckend alle Tätigkeiten überwacht werden, ist nicht bekannt. Die Behandlung von Iranern, die sich regimekritisch geäußert hatten, ist von Fall zu Fall verschieden. Das Auswärtige Amt kann nicht ausschließen, dass auch eine Person, die keine hohe Sichtbarkeit als Aktivist hat, bei ihrer Rückkehr für ihre politischen Aktivitäten verhaftet wird. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass sowohl exilpolitische Betätigungen im Internet als auch außerhalb des Internets Repressionen nach sich ziehen können. Die konkrete Behandlung durch die iranischen Behörden hängt vom konkreten Einzelfall ab. Zumindest mit einer Befragung durch die iranischen Behörden ist zu rechnen. Möglich sind auch Vorladung, Inhaftierung bis hin zur Verurteilung in Abhängigkeit von der Bewertung der exilpolitischen Tätigkeit durch die iranischen Behörden.
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Im neuen Lagebericht vom 28. Januar 2022 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, Stand: 23.12.2021) ist ausgeführt, dass Teile der iranischen Bevölkerung aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, politischer, künstlerischer oder intellektueller Betätigung oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung starken Repressionen ausgesetzt sind. Jede Person, die öffentlich Kritik an Missständen übt oder sich für die Menschenrechte organisiert, setzt sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus (S. 4). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden werden oder islamische Grundsätze in Frage stellen. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niederschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv. Inhaftierten droht insbesondere bei politischer Strafverfolgung eine Verletzung der körperlichen und mentalen Unversehrtheit. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (S. 7). Das Regime verfolgt (vermeintlich und tatsächlich) militante separatistische Gruppierungen (vor allem die kurdisch-marxistischen Komalah-Partei sowie die DPIK usw.) (S. 9). Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußerten, sind von Repressionen bedroht, nicht nur, wenn sie in den Iran zurückkehren (S. 15). Willkürliche Festnahmen, Haft und unverhältnismäßige Strafen sind in politischen Fällen üblich (S. 18). Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert werden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. Bisher ist kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden sind. Der neue iranische Justiz-Chef hat Exil-Iraner und Iranerinnen explizit ermutigt, nach Iran zurückzukehren, und ihnen eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt, sofern dies mit der iranischen Justiz koordiniert wird (S. 21).
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Hinsichtlich der Komalah-Partei liegen dem Auswärtigen Amt Erkenntnisse vor, dass bereits die einfache Mitgliedschaft in dieser als terroristisch eingestuften Partei zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen kann. Straftaten, deren Begehen einem Mitglied bzw. Unterstützer der Komalah-Partei vorgeworfen werden, finden sich in verschiedenen Artikeln des Strafgesetzbuchs. Das Strafmaß für Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit, unabhängig davon, ob sie im In- oder Ausland begangen worden sind, liegt zwischen zwei und zehn Jahren Haft. Haftstrafen drohen auch Personen, die innerhalb einer Gruppe oder als Einzelperson in der islamische Republik Propaganda betreibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 24.3.2022 und vom 17.1.2022).
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Die kurdische Komalah-Partei zählt zu den militanten separatistischen Gruppierungen im Iran und ist im Iran verboten. Bereits die Mitgliedschaft in der Komalah-Partei kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen führen und Sanktionen zur Folge haben. Die Strafverfolgung und Strafzumessung ist häufig durch Willkür gekennzeichnet. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist es möglich, dass den iranischen Geheimdiensten die Mitgliedschaft in der Komalah-Partei bekannt ist (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 8.11.2021; Auskunft an das VG Ansbach vom 12.11.2019, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 9.1.2019). Den iranischen Behörden bekannte Mitglieder müssen bei einer Rückkehr mit Festnahme und Einleitung eines Strafverfahrens rechnen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach vom 3.12.2018; Auskunft an das VG Düsseldorf vom 23.4.2018).
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Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes überwachen die Sicherheitsorgane und Nachrichtendienste exilpolitische Aktivitäten von im Ausland lebende Iraner*innen. Es ist davon auszugehen, dass ein Verfolgungsinteresse vor allem in den Fällen besteht, in denen die iranischen Sicherheitskräfte jemanden als ernsthaften Regierungsgegner identifiziert und qualifiziert haben. Es sind auch Fälle bekannt, in denen einfache Mitglieder oppositioneller Gruppierungen bei einer Rückkehr in den Iran verhaftet worden sind - vor allem, wenn sie bereits zuvor im Iran aufgrund ihrer politischen Aktivität inhaftiert waren. Es kann von einer gestiegenen Verfolgungswahrscheinlichkeit zum Teil auch für einfache Mitglieder ausgegangen werden. Vor allem in Fällen eines exponierten exilpolitischen Engagements ist eine wesentliche Verfolgungswahrscheinlichkeit anzunehmen (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 4.10.2021).
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Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 23.5.2022 m.w.N.) führt aus, dass die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen kann. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Zu den militanten separatistischen Gruppen im Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komalah-Partei sowie die KDPI und PJAK. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und -lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer der KDPI und Komalah werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Partei. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützer laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um dadurch Druck auf die Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie. Hinsichtlich des Risikos für politische Aktivitäten verhaftet zu werden, ist die Art der Aktivität entscheidend. Andauernd politische Aktivitäten werden eher in einer Anklage enden. Auch Personen, die mit politischem Material oder beim Anbringen politischer Slogans an Wänden erwischt werden, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Eine Person, die nur eine einzige politische Aktivität auf niedrigem Niveau setzt - z.B. Verteilung von Flugblättern - läuft kaum Gefahr, deswegen angeklagt zu werden (S. 9). Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die KDPI zu den militanten separatistischen Gruppen im Iran, die von den iranischen Behörden verfolgt werden. Die Mitgliedschaft in kurdischen Parteien ist illegal und wird streng bestraft. In kurdischen Gebieten gilt auch der zivilgesellschaftliche Aktivismus, der nichts mit der Partei zu tun hat, als verdächtig. Dies wird als politische Oppositionstätigkeit interpretiert und von den Behörden unterdrückt. Personen, die an Demonstrationen oder anderen Protesten teilnehmen, stehen in Verdacht, Mitglied einer Partei zu sein. Sie riskieren eine Verhaftung (S. 15). Die Komalah-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komalah basiert auf den sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte in einem demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komalah, im Iran ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Zivilpolitische Aktivitäten geschehen unter Geheimhaltung. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer Organisationen. Die Parteien führen Propagandaaktivitäten durch, um eine Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen, durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen mit Demonstrationen usw. gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten finden im öffentlichen Raum einschließlich Schulen statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen. Menschen in der kurdischen Region können über geheime Netzwerke Mitglieder werden oder durch Kontakt mit der autonomen kurdischen Region Irak. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung, um z.B. Spione der iranischen Regierung auszuschließen. Es kommt immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen. Es gibt ein Netzwerk von Informanten, die die Aktivitäten der iranisch-kurdischen Parteien verfolgen und darüber berichten. Die Geheimdienste haben wahrscheinlich einen gewissen Überblick über die Mitglieder und Aktivitäten der Parteien. Mitglieder der Parteien werden vom iranischen Geheimdienst kontaktiert und Drohungen und Druck ausgesetzt. Auch Familienmitglieder werden häufig kontaktiert. Auffällig sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen. Ab 2015 stationierten einige der kurdischen Parteien ihre Peschmerga wieder im Iran. Im September 2018 wurden drei angebliche Komalah-Mitglieder in unfairen Verfahren wegen Terrorismus hingerichtet (S. 15 ff.). Gegen Personen, die ihre Meinungen oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Der elektronische Medien- oder Internet-Verkehr steht unter staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten und viele Plattformen sind gesperrt. Regimefeindliche oder islamfeindliche Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in den elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken getätigt werden. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen (S. 35). Die kurdische Region Irans ist militarisiert und die iranische Regierung überwacht die kurdische Bevölkerung durch regelmäßige Checkpoints ebenso wie durch die Nutzung von Telekommunikation in sozialen Medien. Die iranische Regierung sieht jede Art von politischem oder zivilem Aktivismus als potentielle Bedrohung an, insofern könnten sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Aktivisten von Verfolgung bedroht sein. Mitglieder der lokalen Bevölkerung arbeiten als Informanten für die iranischen Behörden. Die militärische und geheimdienstliche Präsenz ist nicht immer sichtbar. Die Überwachung ist gezielt. Kurdischen Aktivisten werden in vielen Fällen von der Zentralregierung separatistische Tendenzen vorgeworfen und diese entsprechend geahndet. Unter politisch Verfolgten sind verhältnismäßig viele Kurden. Kurden machen den überproportionalen Anteil der zum Tode Verurteilten und Hingerichteten aus. Darüber hinaus häufen sich Berichte über Repressalien gegen Kurden aufgrund suspekter Aktivitäten ihrer Verwandten im Irak, mit denen die Verwandten zum Aufgeben oder zur Einreise in den Iran bewegt werden sollen. Anfang 2021 wurden ca. 100 Kurden willkürlich verhaftet. Mehr als 200 Kurden und Kurdinnen wurden während zweier Festnahmewellen im Januar sowie im Juli/August 2021 willkürlich inhaftiert (S. 62 f.). Iranische Rückkehrer, die nicht aktive kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komalah, unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen. Die Rückkehr aus einem der Camps im Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer kurdischen Oppositionspartei gedeutet werden und deshalb problematisch sein. Ob Nachkommen von politisch aktiven Personen Verfolgung befürchten müssen, hängt auch von den Profilen der Eltern ab und wie bekannt diese gewesen sind. Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit im Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems hängt für solche Personen aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus ab (S. 94 f.).
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Nach der Österreichischen Botschaft Teheran (Österreichische Botschaft Teheran, Asyl-Länderbericht - Islamische Republik Iran, November 2021, S. 5 und 25) ist der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht. Zu Rückkehrern und Rückkehrerinnen gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring. In einzelnen Fällen hätte im Fall von Rückkehrern und Rückkehrerinnen aus Deutschland festgestellt werden können, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise keine Repressalien zu erwarten gehabt haben.
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Nach ACCORD (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran: Lage von Faili-Kurd⋅innen im Grenzgebiet zum Irak, Diskriminierung und Behandlung seitens der Behörden im Hinblick auf angenommene Nähe zu kurdischen Parteien oder Organisationen vom 8.4.2022) ist jede Art von politischem oder zivilgesellschaftlichem Engagement, das nicht in den Zuständigkeitsbereich der Regierung fällt, mit Argwohn zu betrachten. Insbesondere in der kurdischen Region im Iran wird jede Aktivität unter einem Aspekt der Sicherheit betrachtet; selbst zivile und kulturelle Aktivitäten werden oft als politisch angesehen. Da kurdische Oppositionsparteien im Iran illegal sind, behandelt die iranische Regierung ihre Mitglieder und Unterstützer strenger als zivile Aktivisten in der kurdischen Region und sie werden vor Gericht auch schwerer Verstöße beschuldigt. Selbst eine einfache Aktivität, wie die Teilnahme an einer Versammlung oder einem Generalstreik, führt zur Beschuldigung der Unterstützung einer oppositionellen Partei. Die iranische Regierung unterscheidet nicht zwischen Parteimitgliedern und Unterstützern. Eine Person, die von iranischen Behörden als Parteimitglied enttarnt worden ist, wird härter bestraft als andere Aktivisten, insbesondere auch bei der Komalah-Partei. Die Verfolgung von Einzelpersonen ist willkürlich und variiert von Fall zu Fall. Die Regierung stuft die Aktivitäten der kurdischen politischen Parteien als gefährlich ein. Daher werden auch größere Anstrengungen zur Überwachung und Identifizierung unternommen. Das Risiko einer Überwachung erhöht sich in den kurdischen Gebieten bei jeglicher Form der Aktivitäten. Auch Telefongespräche werden überwacht. Zudem gibt es viele Spione, die für das Geheimdienstministerium arbeiten und als anonyme Soldaten bezeichnet werden. Auch vermeintliche Unterstützer und Mitglieder der Partei werden willkürlich verhaftet. Im Jahr 2020 sind mindestens 69 Angehörige der kurdischen Minderheit hingerichtet worden. Es findet eine exzessive Gewaltanwendung gegenüber Grenzkurieren statt. Weit verbreitet ist die Anwendung verschiedener Foltermethoden und Misshandlungsmethoden gegenüber inhaftierten kurdischen politischen Aktivisten. Zwischen Januar und Oktober 2021 sind fast 500 kurdische Einzelpersonen festgenommen oder inhaftiert worden.
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Nach ACCORD ist es des Weiteren den iranischen Behörden gelungen, die meisten oppositionellen Organisationen zu unterwandern. Den iranischen Behörden ist bewusst, dass iranische Auslandsstudenten und -studentinnen - in der Hoffnung, ein Asyl- oder Bleiberecht zu erhalten - sich Oppositionsgruppen anschließen oder zum Christentum konvertieren würden. Die Überwachung von Exil-Iranern ist bereits zur Zeit des Schahs Praxis gewesen. Sehr häufig kommt es vor, dass sich Exil-Iraner und Iranerinnen gegenseitig verraten und Personen auf diese Art in den Fokus iranischer Überwachsungstätigkeiten geraten würden. Es gibt regelmäßig Berichte über die Beobachtung exilpolitischer Aktivitäten durch Angehörige der Iranischen Botschaft oder iranischer Nachrichtendienste. Dies gilt beispielsweise auch für exilpolitische Demonstrationen (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran: Überwachung von Aktivitäten im Ausland, Exilpolitische Aktivitäten, Konversion vom 5.7.2019,).
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Nach der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH, Iran: Gefährdung politisch aktiver kurdischer Personen, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 27.9.2018) sind Geheimdienste und Polizei in kurdischen Gebieten im Iran präsent. Einzelne kurdische Personen und kurdische Gruppierungen befinden sich unter konstanter Überwachung. Kurdische Personen, welche verdächtigt werden, politisch aktiv zu sein oder die Unabhängigkeit zu unterstützen, werden zum Ziel der Behörde. Insbesondere werden Personen verfolgt, die Verbindung zu den traditionell separatistischen kurdischen Parteien, wie die Komalah, haben. Es gibt Berichte, wonach kurdische Personen aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit verfolgt, verhaftet und zum Tode verurteilt wurden. Ein faires Verfahren ist nicht gewährleistet. Die Bestrafung ist von Gericht zu Gericht und von Richter zu Richter unterschiedlich. Exilpolitische Aktivitäten können Auswirkungen auf die Bestrafung haben. Strafrelevant sind z.B. kritische Äußerungen zur politischen Freiheit im Iran in Online-Medien. Strafmaß usw. hängen aber vom Inhalt und Form der Aktivitäten ab und auch vom Grad des politischen Aktivismus.
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Nach Human Rights Watch (HRW, World Report 2022, Iran) scheint es, dass die Behörden im vergangenen Jahr (2021) das Vorgehen gegen kurdische politische Aktivisten verstärkt haben.
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Nach Amnesty International (AI, Report 2021/22, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte, Iran 2021) werden ethnische Minderheiten, darunter arabische, aserbaidschanische, kurdische usw. Bevölkerungsgruppen weiterhin diskriminiert. Angehörige ethnischer Minderheiten werden weiterhin aufgrund vager Anklagen unverhältnismäßig häufig von Todesurteilen betroffen. Die Behörden unternahmen nichts, um die zahlreichen Fälle von rechtswidrigen Tötungen unbewaffneter kurdischer Träger, die Lasten zwischen den kurdischen Regionen Irans und Iraks hin- und hertransportierten, zu stoppen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Mehr als 200 Kurden und Kurdinnen, darunter politisch Andersdenkende und zivilgesellschaftliche Aktivisten wurden während zweier Festnahmewellen im Januar und Juli/August 2021 willkürlich inhaftiert.
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Nach alledem ist - nicht zuletzt unter Berücksichtigung der neuesten Aussagen des Auswärtigen Amtes - festzuhalten, dass bei Mitgliedern, Anhängern oder Sympathisanten der kurdischen Oppositionsgruppen eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht in jedem Fall voraussetzt, dass diese in exponierter Stellung nachhaltig als Regimefeinde in die Öffentlichkeit getreten sind. Vielmehr ist auch bei einer abgeschwächten Form oppositioneller Aktivitäten - gerade auch schon im Iran selbst - die Begründung einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit denkbar. Ob eine solche vorliegt, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Bei einfachen Mitgliedern und untergeordneten Tätigkeiten für kurdische (exil) oppositionelle Gruppen ist es nach Ansicht des Gerichts erforderlich für die Annahme einer beachtlichen Verfolgungswahrscheinlichkeit, dass diese Mitglieder oder Personen erkennbar und identifizierbar derart in die Öffentlichkeit getreten sind, dass sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von den iranischen Behörden und Sicherheitskräften erkannt und identifiziert worden sind und dass zudem wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates besteht. Dafür genügt nicht allein die passive Mitgliedschaft oder die vereinzelte Teilnahme an Demonstrationen in Deutschland. Denn es ist nicht als realistisch anzusehen, dass jede Person, welche an Veranstaltungen der kurdischen Exilopposition in Europa teilnimmt, als möglicher Regimefeind erkannt und verfolgt wird. Anders ist dies jedoch bei exilpolitischen Aktivitäten von Personen für eine kurdische Partei wie die Komalah im Irak, die dort wegen ihrer unmittelbaren Rückwirkungen in den Iran besonders im Fokus des iranischen Regimes steht, daher genauestens geheimdienstlich überwacht wird und deren Anhänger regelmäßig Repressionen ausgesetzt sind. Entscheidend ist dabei, ob die Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden als ernsthaften (und gefährlichen) in den Iran hineinwirkender Regimegegner erscheinen lassen und eine Verfolgungsinteresse des iranischen Staates erwecken.
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Ausgehend von dieser Erkenntnislage kommt die Rechtsprechung zum Ergebnis, dass im Einzelfall auch nicht radikale Mitglieder kurdischer Oppositionsparteien im Iran flüchtlingsrelevant mir beachtlicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden. Gefährdet sind nicht ausschließlich Mitglieder der Partei, sondern auch einfache Anhänger. Auch solche Personen sind im Iran gezielter politischer Repression ausgesetzt, die sich (nur) als überzeugte und aktive Mitglieder der Oppositionspartei offenbart haben. Der Grad der Gefährdung wegen exilpolitischer Betätigung übersteigt damit für Mitglieder bzw. Anhänger der Komalah oder auch der PDKI denjenigen, der für Mitglieder und Anhänger anderer Exilorganisationen, wie etwa der Monarchisten, angenommen wird (vgl. VG Würzburg, U.v. 16.10.2017 - W 8 K 17.31567 - juris Rn 35 f.; U.v. 15.2.2017 - W 6 K 16.32201 - juris Rn 42 f. jeweils m.w.N.; sowie zuletzt insbesondere VG Potsdam, U.v. 11.3.2022 - VG 5 K 265/17.A - juris; U.v. 10.11.2020 - 14 K 5030/17.A - juris; VG Chemnitz, U.v. 4.2.2022 - 7 K 630/19.A - juris; VG Minden, U.v. 1.2.2022 - 6 K 2536/18.A, 7435686 - juris; VG Magdeburg, U.v. 26.1.2022 - 4 A 164/21 MD, 7682461 - juris; VG Osnabrück, U.v. 15.12.2021 - 2 A 110/20, 805823 - juris; VG Saarland, U.v. 13.12.2021 - 6 K 1983/19 - juris; VG Stuttgart, U.v. 8.12.2021 - A 11 K 405/19 - juris; VG Meiningen, U.v. 1.12.2021 - 5 K 588/19 Me, 7676314 - juris; VG Freiburg, U.v. 19.5.2021 - A 15 K 10213/17 6531310 - juris; VG Hamburg, U.v. 10.3.2021 - 10 A 949/18 - juris; VG Aachen, U.v. 13.7.2021 - 10 K 3430/18.A - juris; VG Hamburg, U.v. 14.8.2019 - 10 A 2041/17, 6293724 - juris; vgl. auch BayVGH, B.v. 13.12.2021 - 14 ZB 21.30040 - juris; B.v. 20.1.2020 - 14 ZB 19.30400 - juris; B.v. 9.1.2020 - 14 ZB 19.30108 - juris; B.v. 9.1.2020 - 14 ZB 19.30023 - juris; SächsOVG, U.v. 12.10.2021 - 2 A 88/20.A - juris; OVG SH, U.v. 24.3.2020 - 2 LB 18/19 - juris; OVG LSA, B.v. 22.1.2018 - 3 L 63/17 - juris).
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Das Bestehen einer beachtlichen wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr ist nach den konkret-individuellen Gesamtumständen des Einzelfalles zu beurteilen.
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Vor diesem Hintergrund besteht für den Kläger aufgrund des Gesamtbildes seiner oppositionellen und auch exilpolitischen Tätigkeiten - die den Tatbestand der gefahrträchtigen Aktivitäten entsprechend der skizzierten Erkenntnisse erfüllen - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran. Denn nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung hat das Gericht keine Zweifel, dass der Kläger über Jahre hinweg zunächst im Iran sowie insbesondere auch im Irak und auch noch in der Bundesrepublik Deutschland in einer Art und Weise aktiv gewesen ist und noch aktiv ist, dass das iranische Regime davon Kenntnis sowie Interesse an einer Verfolgung hat. Der Kläger hat glaubhaft und in sich stimmig - auch in Einklang mit den vorliegenden Erkenntnissen - unter Hinweis auf verschiedene Belege seine oppositionellen Aktivitäten für die Partei Komalah im Iran und dann weiter exilpolitisch im Irak und auch in der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. Für die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens spricht, dass sich die Aussagen des Klägers mit den Angaben seines Enkels, dem Kläger des Verfahrens W 8 K 22. …, decken (vgl. dazu VG Würzburg, U.v. 3.6.2022 - W 8 K 22. …*).
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Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er auch in Deutschland noch aktiv ist, insbesondere über Facebook. Auch, wenn er dabei nicht speziell Werbung für seine Partei macht. Unter Hinweis auf die finanziellen Möglichkeiten sowie die Corona-Situation hat der Kläger ehrlich eingeräumt, in Deutschland keine großen exilpolitischen Aktivitäten mehr an den Tag gelegt zu haben, auch, weil er Angst um seine Familie im Iran habe.
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Ausschlaggebend ist jedoch, dass der Kläger schon aufgrund seiner Aktivitäten im Iran und erst recht über seine langjährigen exilpolitischen Aktivitäten für die Komalah im Irak - fortwirkend bis heute - in den Fokus des iranischen Regimes geraten ist.
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Der Kläger legte in der mündlichen Verhandlung einen Peschmerga-Ausweis vor, der zusätzlich nicht nur seine langjährige Mitgliedschaft in der Komalah-Partei bestätigt und auch seinen Vortrag unterstreicht, bis 2006 im Untergrund im Iran gearbeitet zu haben und anschließend in den Irak gegangen zu sein.
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Der Kläger erklärte, dass er von 1996 bis 2006 im Iran im Untergrund gearbeitet hat. Der Kläger beschrieb in Einklang mit den vorliegenden Erkenntnissen konkret und detailliert das System, wie etwa Flugblätter aus dem irakischen Kurdistan in den Iran transportiert und dort auch unter seiner Vermittlung weitergegeben worden seien, aber nur an bestimmte Personen, um sich selbst gegenseitig zu schützen. Der Kläger beschrieb auch verschiedene Inhalte und Anlässe, zu denen die Flugblätter verteilt worden seien.
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Der Kläger betonte realitätsnah, in der Zeit im Iran bemüht gewesen zu sein, nicht aufzufallen. Die Situation habe sich geändert, als Personen aus seiner Gruppe verhaftet worden seien. Auf Geheiß seiner Partei habe er sich von seiner Frau verabschieden und seine Heimatstadt verlassen müssen. Er habe auch die SIM-Karte seines Handys wegwerfen müssen. Dies sei zu seiner eigenen Sicherheit gewesen, nachdem seine Freunde verhaftet worden seien. Er habe den Befehl der Partei ausführen müssen. Der Befehl sei zu seinem Schutz gewesen. Wäre er nicht gegangen, wäre er zu 100% verhaftet worden. In der Folgezeit seien Geheimdienstmitarbeiter vier- bis fünfmal bei seiner Familie gewesen. Sie hätten alles durchsucht und auch den Laptop mitgenommen. Sie seien immer nachts gekommen, um sie einzuschüchtern. Zudem sei auch sein Sohn verhaftet worden, um Druck auf ihn auszuüben.
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Ergänzend ist anzumerken, dass der Schwiegersohn des Klägers wegen seinen oppositionellen Aktivitäten lange Zeit im Iran inhaftiert gewesen war und schließlich hingerichtet wurde.
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Weiter beschrieb der Kläger glaubhaft seine Aktivitäten im Irak. Er habe sich im Camp, also im Hauptquartier seiner Partei, befunden und sei unter anderem für die Organisation bzw. das Komitee Zagros zuständig gewesen. Es sei darum gegangen, Personen zu unterstützen, die Angehörige von Gefallenen/Märtyrern gewesen seien. Er sei in dem Komitee der Ansprechpartner für die Personen gewesen, die aus seiner Heimatgegend gekommen seien. Es seien 200 Personen gewesen. Die Personen seien heimlich vom Iran in den Irak und hätten ihre Probleme geschildert, entweder finanzieller Art oder medizinischer Art oder anderer Art. Überwiegend seien es Kurden gewesen, die sie unterstützt hätten, aber nicht ausschließlich.
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Der Kläger legte weiter plausibel dar, dass er, um den Besuch seiner im Iran verbliebenen Frau finanzieren zu können, für drei Monate die Erlaubnis bekommen habe, zu arbeiten. Als weitere Tätigkeit im Camp schilderte der Kläger, dass er beteiligt gewesen sei, die im Camp verfassten Flugblätter über eine Vertrauensperson in den Iran bringen zu lassen. Die Betreffenden seien heimlich über die Grenze aus dem Iran gekommen und hätten bei ihm Flugblätter abgeholt. Außerdem habe er wiederholt an Demonstrationen gegen das iranische Regime im Irak teilgenommen, zuletzt bei einer Demonstration im Jahr 2019.
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Der Kläger betonte - ebenfalls im Einklang mit der zitierten Auskunftslage -, dass auch im Irak viele Spitzel des iranischen Staates gewesen seien. In dieses Bild passt, dass der Geheimdienst versucht habe, seinen Enkel - dem Kläger des Verfahrens W 8 K 22. … - als Spion anzuwerben. Ebenso sei versucht worden, seine Frau als Informantin zu gewinnen.
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Bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran müsste der Kläger unter Gesamtwürdigung aller Umstände mit Verfolgungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rechnen. Insgesamt hat das Gericht keine Zweifel, dass es schon im Iran zu Verfolgungsmaßnahmen gegen den Kläger gekommen ist, dass des Weiteren der iranische Staat Kenntnis von den langjährigen Aktivitäten des Klägers im Camp im Irak für die Komalah hat und dass deswegen seitens iranischen Staates ein Verfolgungsinteresse gegen ihn als in den Iran hineinwirkenden Regimegegner besteht. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran eine regimefeindliche politische Gesinnung unterstellt wird und flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungsmaßnahmen hieran anknüpfen, zumal - wie bereits ausgeführt - schon die einfache Mitgliedschaft bzw. Anhängerschaft der als terroristisch eingestuften Komalah-Partei zu starken Repressionen führen kann. Die repressiven Maßnahmen gegen seine Familienangehörigen, einschließlich seines Enkels, in seiner Abwesenheit unterstreichen die Kenntnis und das Verfolgungsinteresse des iranischen Staates.
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Insgesamt betrachtet ist das Gericht überzeugt, dass der Kläger sowohl qualitativ als auch quantitativ gerade durch seine Aktivitäten für die Komalah ein langjähriges oppositionelles Engagement an den Tag gelegt hat, das eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit begründet. Aufgrund der Infiltrierung der Komalah sowohl im Irak/Iran als auch in Deutschland ist davon auszugehen, dass der Kläger durch seine Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeiten von den iranischen Behörden und der Sicherheitskräfte erkannt und identifiziert worden ist, so dass er bei einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit staatlicher Verfolgung rechnen muss.
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Nach § 28 Abs. 1 AsylG kann sich der Kläger bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG schließlich auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen seines Herkunftslandes entstanden sind.
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Nach alledem ist dem Kläger unter Aufhebung der ihn betreffenden Antragsablehnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Nrn. 3 und 4 des Bescheides des Bundesamtes ebenfalls aufzuheben waren (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylG „oder“ und § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Über die hilfsweise gestellten Anträge, insbesondere zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG), war nicht zu entscheiden.
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Des Weiteren sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung und die Ausreisefristbestimmung (Nr. 5 des Bundesamtsbescheids) rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Flüchtlingszuerkennung eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren - wenn auch noch nicht rechtskräftig - festgestellt.
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Schließlich war auch die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG (Nr. 6 des Bundesamtsbescheids) aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für diese Entscheidung entfallen sind (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.