Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 20.05.2022 – AN 17 K 21.00536
Titel:

Erfolglose Nachbarklage wegen Nutzungsänderung

Normenketten:
BauGB § 34
BauNVO § 4, § 6, § 15 Abs. 1
BayBO Art. 6, Art. 68 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Gebietsversorgungsklausel konkretisiert die allgemeine Zweckbestimmung des (faktischen) allgemeinen Wohngebietes,  indem durch die Beschränkung der Versorgungsangebote der gebietstypische Schutz der Wohnruhe gewährleistet wird, womit sie ausschließlich städtebaulichen Charakter hat und keine Wirtschaftslenkung bezweckt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Voraussetzung für diese funktionale Zuordnung der Anlage zum Gebiet ist, dass die Bewohner der Umgebung in einem ins Gewicht fallenden Umfang zu ihrer Auslastung beizutragen vermögen, wobei nicht erforderlich ist, dass sie nur von den Bewohnern des umliegenden Gebiets besucht wird , wobei von einem Funktionszusammenhang regelmäßig dann auszugehen ist, wenn die Anlage aus dem Wohngebiet heraus im Wesentlichen fußläufig erreicht werden kann und der Betrieb nicht realistischer Weise auf Besucher ausgerichtet ist, die ein Kraftfahrzeug nutzen müssen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage des Nachbarn gegen eine Baugenehmigung für den Anbau eines kleinen Cafés/einer Bar an ein Bestandsgebäude im unbeplanten Innenbereich (abgewiesen), faktisches allgemeines Wohngebiet oder faktisches Mischgebiet (offengelassen, da Vorhaben in beiden planungsrechtlich zulässig), Gebietsversorgungsklausel in § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO (erfüllt); keine konkrete Bedürfnisprüfung; Funktionszusammenhang zwischen Anlage und Gebiet zu bejahen, wenn Bewohner der Umgebung in einem ins Gewicht fallenden Umfang zu ihrer Auslastung beizutragen vermögen; Umsatzanteil von 60-70% aus dem Gebiet reicht jedenfalls aus, kritische Untergrenze bei einem Drittel, Gebot der Rücksichtnahme, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO (Verletzung verneint), Genehmigungswidrige Nutzung der genehmigten Anlage ist Bauherr nur zurechenbar, wenn sie zu Störungen „einlädt“ und wenn derartigen Anreizen nicht mit zumutbaren angemessenen Mitteln entgegenwirkt wird (Anschluss an BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 22 B 12.269 – juris Rn. 61), Klageverfahren, Baurecht, Nachbarklage, unbeplanter Innenbereich, Anbau, faktisches allgemeines Wohngebiet, faktisches Mischgebiet, Funktionszusammenhang, Cafe, Gaststätte, Gebietsbezug, Gebietsversorgungsklausel, Rücksichtnahmegebot, Lärm
Fundstelle:
BeckRS 2022, 18255

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Anbau eines Cafés sowie eines Balkons an ein Bestandsgebäude.
2
Der Kläger ist Eigentümer des mit zwei aneinandergrenzenden Wohnhäusern bebauten Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … (Anschrift: …, …). Östlich des Grundstücks verläuft unmittelbar, getrennt durch einen Gehweg, die F. … Straße. Die Beigeladene, eine Gesellschaft Bürgerlichen Rechts (GbR), ist (Mit-)Eigentümerin des nördlich an den Kläger angrenzenden Grundstücks FlNr. … (Anschrift: ….), welches östlich ebenfalls von der F. … Straße und nördlich von der in diese mündende Straße I. … eingefasst ist. Es ist mit einem Mehrfamilienhaus bebaut, in dessen Erdgeschoss ein Blumenladen betrieben wird („…“). Im weiteren Verlauf der F. … Straße nach Norden ist an deren Westseite ausweislich der verfügbaren Luftbilder Wohnbebauung in mehreren Reihen zu sehen. Im Wohnhaus FlNr. … (. ….) befindet sich darüber hinaus ein Optikergeschäft („…“) und im rückwärtigen Bereich der FlNr. … (. ….) eine Glaserei („…“). Noch weiter nördlich, am Übergang zum Ortskern, folgt noch ein Kfz-Betrieb. Auch auf der dem klägerischen und dem Vorhabengrundstück gegenüberliegenden Seite, östlich der F. … Straße, erstreckt sich Wohnbebauung bis zur S. … Straße im Osten. Im weiteren nördlichen Verlauf der F. … Straße, vorbei an der Straße i. …, setzt sich auf der Ostseite zunächst bis zur FlNr. … die Wohnbebauung in erster Reihe fort. An diese schließt sich östlich die weitläufige, bis zur S. … Straße reichende FlNr. … an, die die … Kirche … sowie Gemeindegebäude und zwei Kindergarten- oder Schulgebäude beherbergt. Nördlich des Kirchengeländes sowie der FlNr. … (Wohnbebauung) folgt ein Grundstück der Sparkasse … mit einer Geschäftsstelle, FlNrn. … und … Daran angrenzend, an dem Zusammenlauf von F. … Straße und S. … Straße und auf der FlNr. … liegend, findet sich ein … Restaurant.
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Die Lage stellt sich wie folgt dar:
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Die Beigeladene beabsichtigt, an das Bestandsgebäude auf dem Vorhabengrundstück ein Café sowie einen Balkon anzubauen. Hierzu reichte sie über die Gemeinde … zunächst einen Antrag auf Baugenehmigung vom 15. Dezember 2020 ein, der beim Landratsamt … am 22. Dezember 2020 einging. Nach Aufforderung durch das Landratsamt weitere Bauvorlagen vorzulegen, wurde der Antrag auf Baugenehmigung vom 15. Dezember 2020 nochmals eingereicht und ging beim Landratsamt … am 10. Februar 2021 ein. In der Baubeschreibung ist das Vorhaben im Einzelnen mit „Anbau eines Cafés/Bar am Bestandsgebäude mit neuen Stellplätzen und Anbau eines Balkons am Bestandsgebäude“ bezeichnet. Hinsichtlich des geplanten Gastraumes sind eine Fläche von 12,9 m² bei einer Anzahl von Gastplätzen im Gastraum von 13 und hinsichtlich der geplanten Freischankfläche 11 m² bei 16 Gastplätzen angegeben. In der beigefügten Betriebsbeschreibung sind als Betriebszeiten Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag von 13 bis 22 Uhr angegeben, das Personal ist mit einem Mitarbeiter beziffert, die Sitzplätze innen mit 13 und im Außenbereich mit 16. Veranstaltungen, Musik, Außenanlagen und Raucherbereiche gebe es nicht. Die Bartüre bleibe weitestgehend möglich geschlossen und der Außenbereich werde zu den normalen Betriebszeiten mitgenutzt. Eine Anlieferung erfolge ein bis zwei Mal pro Woche per Pkw. An Waren würden angeboten Kaffee, alkoholfreie und alkoholische Getränke, aber keine Fass- oder Zapfgetränke und keine Speisen. Im Inneren des Gastraumes sind als Gerätschaften und Möblierung eine Kaffeemaschine, ein Kühlschrank, ein Spülbecken und eine Spülmaschine beschrieben, weiterhin eine Damen- und eine Herrentoilette.
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Gemäß der eingereichten Planzeichnung sollen sich Gastraum und Freischankfläche unmittelbar an die Nordseite des Bestandsgebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen anschließen und den dort befindlichen geringfügigen Versatz in der Gebäudeaußenwand umschließen. Die Freischankfläche liegt dabei entlang des Gehweges vor der F. … Straße und macht sodann mit der Grenze des Vorhabengrundstückes einen Bogen in die Straße I. … hinein, wo sie kurz danach endet. Direkt hinter der Freischankfläche beginnt der geplante Gastraum, dessen südliche Abschlusswand gleichzeitig die Gebäudeabschlusswand des Bestandsgebäudes darstellt. Im Kellergeschoss ist ein Lagerraum nebst Personal-WC vorgesehen. Der geplante Balkon soll an der westlichen Traufseite des Bestandsgebäudes im ersten Obergeschoss angebracht werden und ist 4 m lang, 1,50 m breit und hat eine umlaufende Brüstung in Höhe von 90 cm. Ein Zusammenhang des Balkons mit dem Café- bzw. Barbetrieb ist aus den Bauvorlagen nicht ersichtlich. Schließlich ist eine Stützmauer beginnend an der westlichen Seitenwand des Gastraumes und weiter westlich, etwa parallel zur Straße I. … verlaufend eingezeichnet. Sie beginnt auf einer Höhe von 1,40 m und sinkt dann im Verlauf auf einer Länge von 3,66 m [in einer Schnittzeichnung sind es 5 m] bis zur natürlichen Geländehöhe ab. An neuen Stellplätzen ist einer unmittelbar im westlichen Anschluss an den Gastraum vorgesehen, der andere am südwestlichen Grundstücksrand an der Grenze zum klägerischen Grundstück.
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Ausschnitt aus der Planzeichnung:
Quelle: Behördenakte LRA … …, Schnellhefter, S. 38.
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Der Markt … erklärte am 21. Dezember 2020 das gemeindliche Einvernehmen als Angelegenheit der laufenden Verwaltung.
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Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens nahm das Sachgebiet Immissionsschutz des Landratsamtes … am 17. Februar 2021 Stellung und führte aus, dass aus fachtechnischer Sicht gegen das Bauvorhaben keine Bedenken bestünden. Schädliche Umwelteinwirkungen seien im dargelegten Nutzungsumfang nicht zu befürchten. Es würden folgende Auflagen vorgeschlagen:
- Die Bestimmungen der TA Lärm sind einzuhalten.
- Die Beurteilungspegel der vom Gesamtbetrieb ausgehenden Geräusche dürfen an den nachfolgend aufgeführten Immissionsorten nach Nr. A.1.3 des Anhangs zur TA Lärm die zugehörigen aufgrund der Summenwirkung mit anderen Betrieben reduzierten Immissionsrichtwerte nicht überschreiten:
- Wohnhaus FlNr. …: 52 dB(A) tags von 6-22 Uhr
- Wohnhaus FlNr. …: 52 dB(A) tags von 6-22 Uhr
- Wohnhaus FlNr. …: 52 dB(A) tags von 6-22 Uhr Ein Betrieb zur Nachtzeit wird antragsgemäß ausgeschlossen
- Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 der TA Lärm am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) überschreiten.
- Lärmerzeugende Anlagen, Aggregate und Einrichtungen müssen dem Stand der Lärmschutztechnik entsprechend errichtet, gewartet und betrieben werden.
- Die Bestuhlung des Bereiches der Außenbewirtschaftung ist entsprechend des Bestuhlungsplanes, welcher dem Antrag beiliegt, auszuführen.
- Der Betrieb ist bis spätestens 22 Uhr einzustellen. Durch organisatorische Maßnahmen ist sicherzustellen, dass der zurechenbare Fahrverkehr bis spätestens 22 Uhr abgewickelt ist.
- Musikdarbietungen und Musikübertragungen im Inneren des Cafés sind nur als Hintergrundmusik zulässig und dürfen zum Lärmbild nicht wesentlich beitragen. Ins Freie führende Öffnungen wie Fenster und Türen sind ggf. geschlossen zu halten. Musikdarbietungen und Musikübertragungen sind im Bereich der Außenbewirtschaftung nicht zulässig.
- Anlieferungen sind nur im Zeitraum von 8 bis 20 Uhr zulässig.
- Der Betreiber hat sicherzustellen, dass dem Betrieb zurechenbarer, verhaltensbezogener Lärm im Umfeld des Betriebes vermieden wird.
- Vom Betreiber ist nach Aufforderung durch das Landratsamt … ein qualifizierter Nachweis über die Einhaltung der lärmtechnischen Anforderungen beizubringen. Der Nachweis ist durch eine nach § 29b BImSchG bekannt gegebene Messstelle erstellen zu lassen.
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Mit Bescheid vom 23. Februar 2021 erteilte das Landratsamt … der Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung zum „Anbau eines Cafés/Bar am Bestandsgebäude mit neuen Stellplätzen und Anbau eines Balkons am Bestandsgebäude“ (Ziffer I). Unter Ziffer II - Auflagen und Bedingungen - war u.a. festgelegt, dass die mit Sichtvermerk vom 22. Februar 2021 versehene Betriebsbeschreibung Bestandteil dieser Baugenehmigung ist (Ziffer II. 1), weiter in Ziffer II. 6, dass für das Bauvorhaben antragsgemäß entsprechend der geprüften Bauvorlagen fünf Fahrradstellplätze und zwei Stellplätze für Kraftfahrzeuge zu errichten und zu unterhalten sind (erforderliche Anzahl nach der gemeindlichen Stellplatzsatzung: 1 KFZ). In Ziffern II. 10 bis 20 sind die in der Stellungnahme des Sachgebietes Immissionsschutz vom 17. Februar 2021 vorgeschlagenen „Auflagen“ übernommen. Der Bescheid wurde dem Kläger am 26. Februar 2021 zugestellt Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 25. März 2021 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach. Zur Begründung lässt er ausführen, dass sowohl der Markt … als auch das Sachgebiet Immissionsschutz im Landratsamt … die nähere Umgebung als allgemeines Wohngebiet eingestuft hätten, was auch zutreffend sei. Die Baugenehmigung verstoße gegen den in § 34 Abs. 2 BauGB, § 4 BauNVO verankerten Gebietsbewahrungsanspruch. Die nähere Umgebung des Bauvorhabens umfasse die FlNrn. …, …, …, …, …, …, …, …, …, …, … und das klägerische Grundstück. Innerhalb dieses Umgriffs befänden sich bis auf zwei Ausnahmen ausschließlich Wohngebäude. Bei dem Optikergeschäft handele es sich um einen nicht störenden Handwerksbetrieb im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO. Das Blumengeschäft im Vorhabengebäude diene zumindest auch der Versorgung des Baugebietes und der angrenzenden Wohngebiete. Das streitgegenständliche Vorhaben sei nicht nach § 4 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig, da es sich nicht um eine der Versorgung des Gebietes dienende Schankwirtschaft handele. Ein Bedarf für ein tagsüber und in den frühen Abendstunden geöffnetes Café sei für die Wohnbevölkerung in der näheren Umgebung nicht erkennbar. Der Außengastbereich liege direkt an der F. … Straße, einer Haupterschließungsstraße. Dass die Wohnbevölkerung aus der näheren Umgebung dort regelmäßig einen Kaffee trinken gehe, sei sehr unwahrscheinlich. Das Vorhaben sei jedoch auch nicht ausnahmsweise als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb gemäß § 4 Abs. 3 BauNVO zulässig, da es im allgemeinen Wohngebiet störend wirke. Die Gaststätte ziele offenkundig auf ein jüngeres Publikum ab, das in den Abendstunden die Bar besuchen solle. Aufgrund der heutigen gesellschaftlichen Gepflogenheiten sei mit einer spürbaren Frequentierung vor 22 Uhr jedoch nicht zu rechnen. Folglich seien, unabhängig von den Auflagen im Genehmigungsbescheid, von der Konzeption her typischerweise bei einer solchen Bar mit Außengastbereich erhebliche Lärmbelästigungen für die Wohnbevölkerung in der näheren Umgebung zu erwarten. Dass das Landratsamt selbst Bedenken habe, zeige sich daran, dass es einen Immissionsgrenzwert tagsüber von 52 dB(A) festsetze, obwohl der Immissionsrichtwert für allgemeine Wohngebiete 55 dB(A) betrage. Schließlich sei vorauszusehen, dass es nach Aufnahme des Gaststättenbetriebes zu Verstößen gegen baurechtliche Auflagen kommen werde. Es sei zu besorgen, dass die Beigeladene mit Verweis auf das übliche Ausgehverhalten der Bevölkerung versuchen werde, die Betriebszeiten für die Gaststätte in die Nachtzeit hinein verlängern zu lassen.
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Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes … vom 23. Februar 2021 aufzuheben.
11
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung führt er aus, dass die Eigenart der näheren Umgebung einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO, § 34 Abs. 2 BauGB entspreche. Zulässig seien im allgemeinen Wohngebiet u.a. Schank- und Speisewirtschaften, die der Versorgung des Gebietes dienten. Beim gegenständlichen Bauvorhaben handele es sich um eine kleine Cafébar mit ca. 15 m², in der laut Betriebsbeschreibung von 13 bis 22 Uhr Getränke angeboten werden sollen. Die geringe Größe mit 13 Sitzplätzen im Innenbereich und 16 Sitzplätzen im Außenbereich lasse erwarten, dass ihre Kapazität durchaus mit der Bewirtung von Gästen aus dem umliegenden Gebiet ausgelastet werden könne bzw. diese in einem ins Gewicht fallenden Umfang zur Auslastung beizutragen vermögen. Die F. … Straße diene als Haupterschließungsstraße des Altortes des Marktes … und führe bereits jetzt zu erheblichem Anfahrts- und Abfahrtsverkehr zu den dortigen Schank- und Speisewirtschaften und Geschäften. Das gegenständliche Café werde in Anbetracht dieses Verkehrs zu den geplanten Öffnungszeiten kaum ins Gewicht fallen. Dem besonderen schutzwürdigen Ruhebedürfnis der Bewohner nach 22 Uhr sei mit der Beschränkung der Betriebszeit Rechnung getragen worden. Der Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebietes werde somit gewahrt. Inwieweit das Café während der Öffnungszeit aufgrund der gesellschaftlichen Gepflogenheiten tatsächlich frequentiert werde, sei nicht Gegenstand des baurechtlichen Verfahrens. Verstöße gegen die Betriebszeiten könne der Kläger bei den Ordnungsbehörden anzeigen. Hinsichtlich möglicher schädlicher Umwelteinwirkungen durch das Bauvorhaben sei der technische Immissionsschutz beteiligt worden und entsprechende notwendige immissionsschutzrechtliche Auflagen vollumfänglich in den Genehmigungsbescheid aufgenommen worden. Die beantragte Nutzung als Café und Bar für maximal 29 Gäste mit zwei Stellplätzen lasse während der beantragten Betriebszeiten zur Tagzeit keine erheblichen Belästigungen durch Lärm vermuten. Zudem befinde sich das klägerische Grundstück in keiner Sichtbeziehung zum Bauvorhaben, eine direkte Einwirkung einer möglichen Beschallung sei daher auszuschließen. Zudem seien Veranstaltungen ausgeschlossen.
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Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt sie aus, dass unzutreffend sei, dass das Blumengeschäft in ein Café umgebaut werde. Vielmehr bleibe das Blumengeschäft bestehen und das Café komme hinzu. Der Einstufung der näheren Umgebung als allgemeines Wohngebiet werde auch seitens der Beigeladenen zugestimmt. Es sei jedoch anzumerken, dass unter der Adresse … ein Autohaus nebst Kfz-Werkstatt betriebe werde sowie unter der Hausnummer … eine Glaserei, was nicht zu einem allgemeinen Wohngebiet passe. Zudem befinde sich in der …, mit Zufahrt über die F. … Straße, zwischen den Hausnummern . und . ein großes Bürogebäude der Sparkasse nebst Geschäftsstelle. In der … residiere ein Restaurantbetrieb. Unter der Hausnummer … werde das vorübergehend geschlossene Möbelgeschäft „…“ betrieben. Das streitgegenständliche Bauvorhaben diene in gleicher Weise wie der Restaurantbetrieb, das Optikerfachgeschäft sowie das Blumengeschäft der Gebietsversorgung. Die Argumentation des Klägers sei daher bereits in sich widersprüchlich, da er es nicht zu begründen vermöge, weshalb in dem Gebiet ein Bedarf für eine Versorgung mit einem Blumenladen bestehe, jedoch nicht für ein tagsüber und in den frühen Abendstunden geöffnetes Café. Die subjektive Beurteilung der Klägerseite, dass es unwahrscheinlich sei, dass die Wohnbevölkerung aus dem Gebiet tagsüber dort einen Kaffee trinken werde, sei nicht maßgeblich. Eine derartige Beurteilung sei nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens, ebenso wenig wie die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Geschäftsbetriebes. Weiter werde im Baugenehmigungsverfahren nicht der Einwand des Klägers geprüft, dass diesem unklar sei, welches Publikum die Betreiber ansprechen wollten. Unzutreffend sei schließlich, dass sich in der näheren Umgebung keine größeren Büro- und Verwaltungsgebäude befänden. Im unmittelbar angrenzenden Bereich der S. … Straße an die F. … Straße befänden sich in erheblichem Umfang kirchliche Einrichtungen, ein Friedhof sowie ein Schulgebäude. Schließlich könne die abstrakt behauptete Lärmbelastung nicht gegen den Erlass der Baugenehmigung angeführt werden, da diese die öffentlich-rechtlichen Vorschriften hinsichtlich der Lärmimmissionen einhalte.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten und hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung mit Augenscheinseinnahme am 20. Mai 2022 auf das Sitzungsprotokoll sowie die gefertigten Lichtbilder verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch unbegründet.
17
1. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist unbegründet und damit abzuweisen, da der Baugenehmigungsbescheid des Beklagten vom 23. Februar 2021 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dafür genügt nicht die objektive Verletzung einer Rechtsnorm. Die Rechtsverletzung muss sich aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, s. BayVGH, B.v. 23.6.2017 - 15 ZB 16.920 - BayVBl 2019, 596 Rn. 8). Zudem müssen die als verletzt gerügten Normen Teil des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren sein, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 66 Rn. 537).
19
Eine Verletzung drittschützender Normen des Prüfprogramms der streitgegenständlichen Baugenehmigung scheidet aus. Das Prüfprogramm bemisst sich vorliegend nach Art. 59 BayBO (vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren), da der durch die Beigeladene geplante Anbau eines Cafés bzw. einer Bar an ein Bestandsgebäude kein Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO ist. Insbesondere ist nicht Art. 2 Abs. 4 Nr. 8 BayBO einschlägig, da es sich bei dem Café zwar um eine Gaststätte im Sinne der BayBO handelt (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 2 Rn. 429), diese jedoch nicht mehr als 40 Gastplätze im Gebäude oder mehr als 1000 Gastplätze im Freien aufweist.
20
Es sind weder Verstöße gegen das gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO zu prüfende Bauplanungsrecht nach den §§ 29 - 38 BauGB noch gegen das nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO zu prüfende bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO ersichtlich. Auch im Übrigen ist keine Verletzung der Kläger in einem nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden drittschützenden Belang gegeben.
21
a) Das der Beigeladenen genehmigte Vorhaben fügt sich seiner Art nach in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wobei es letztendlich dahinstehen kann, ob es sich - wie von den Beteiligten im vorbereitenden Verfahren übereinstimmend angenommen - um ein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO oder sogar ein faktisches Mischgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO handelt. Jedenfalls liegt kein faktisches reines Wohngebiet (§ 3 BauNVO) vor, in dem eine Schankwirtschaft unzulässig wäre, da sich in der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks, selbst wenn man sie eng fassen wollte, neben Wohnbebauung u.a. ein Blumengeschäft („…“), ein Optiker („…“) und eine Glaserei („…“) befinden. Zwar können nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO Läden und nicht störende Handwerksbetriebe ausnahmsweise auch in einem reinen Wohngebiet zugelassen werden, jedoch nur dann, wenn sie zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen. Mit dem Begriff des „täglichen Bedarfs“ wird ein Grundbedarf an Gütern und Dienstleistungen, die in mehr oder weniger kurzen, regelmäßigen Abständen immer wieder benötigt werden und deren Erreichbarkeit in zumutbarer Entfernung von der Wohnung gerade wegen des regelmäßigen Aufkommens des Bedarfs als wünschenswert empfunden und im Allgemeinen auch erwartet wird, beschrieben (Hornmann in Span-nowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 3 Rn. 165). Darunter fallen insbesondere etwa Lebensmittel, Backwaren und Genussmittel (Tabak, Spirituosen), Gemischtwaren, Drogerieartikel, Zeitschriften und Zeitungen und auch Getränke. Nicht zum Grundbedarf in diesem Sinne zählt jedoch der mittel- und langfristige Bedarf (Hornmann a.a.O., der beispielhaft Schuhe, Bekleidung und Haushaltsgeräte aufführt). Die drei genannten Handwerksbetriebe dienen nicht der täglichen Bedarfsdeckung, weswegen ein reines Wohngebiet ausscheiden muss.
22
aa) Wenn man die für den Kläger günstigere Betrachtung zugrunde legt und wie auch der Beklagte ein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO annimmt, so sind dort Schank- und Speisewirtschaften zulässig, sofern sie der Versorgung des Gebiets dienen, § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO. Diese Voraussetzung erfüllt das der Beigeladenen genehmigte Bauvorhaben.
23
Mit der sog. Gebietsversorgungsklausel soll die allgemeine Zweckbestimmung des (faktischen) allgemeinen Wohngebietes, nämlich dass es gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen dienen soll, konkretisiert werden, indem durch die Beschränkung der Versorgungsangebote der gebietstypische Schutz der Wohnruhe gewährleistet wird (BVerwG, B.v. 3.9.1998 - 4 B 85-98 - NJW 1998, 3792, 3793; Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 4 Rn. 43). Die Gebietsversorgungsklausel des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO hat jedoch ausschließlich städtebaulichen Charakter und bezweckt keine Wirtschaftslenkung, sprich es ist - anders als der Kläger meint - keine Bedürfnisprüfung anzustellen, ob in dem faktischen Baugebiet ein konkreter Bedarf für die Schank- oder Speisewirtschaft besteht (Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 143. EL August 2021, § 4 BauNVO Rn. 37).
24
In räumlicher Hinsicht ist das zu versorgende Gebiet im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO durch das Kriterium eines verbrauchernahen Einzugsbereichs abgesteckt, wobei das zu versorgende (faktische) allgemeine Wohngebiet dabei nicht zwingend mit der näheren Umgebung des Vorhabens im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB gleichzusetzen ist, sondern auch benachbarte Wohngebiete erfassen kann (BayVGH, B.v. 16.3.2022 - 9 ZB 21.3007 - juris Rn. 12). Der geplanten Nutzung sind nur solche Bereiche funktional zugeordnet, die so nahe liegen, dass der Funktionszusammenhang zwischen Anlage und Gebiet noch gewahrt ist (Hornmann a.a.O. Rn. 46). In diesem Zusammenhang sind maßgeblich auch Art, Umfang, Lage, Größe, Ausstattung und Typik des Betriebs zu berücksichtigen (VG Augsburg, U.v. 9.12.2021 - Au 5 K 21.41 - juris Rn. 47). Voraussetzung für diese funktionale Zuordnung der Anlage zum Gebiet ist, dass die Bewohner der Umgebung in einem ins Gewicht fallenden Umfang zu ihrer Auslastung beizutragen vermögen. Nicht erforderlich ist freilich, dass sie nur von den Bewohnern des umliegenden Gebiets besucht wird (BVerwG, B.v. 3.9.1998 - 4 B 85/98 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 16.3.2022 - 9 ZB 21.3007 - juris Rn. 12). Von einem Funktionszusammenhang ist regelmäßig auszugehen, wenn die Anlage aus dem Wohngebiet heraus im Wesentlichen fußläufig erreicht werden kann und der Betrieb nicht realistischer Weise auf Besucher ausgerichtet ist, die ein Kraftfahrzeug nutzen müssen (BVerwG, U.v. 20.3.2019 - 4 C 5/18 - NVwZ 2020, 404 Rn. 16; OVG NW, B.v. 16.3.2005 - 10 B 1350/04 - juris Rn. 9). Ein weiteres Indiz für den Gebietsbezug ist die Stellplatzsituation. Je mehr vorhanden sind bzw. sein müssen, desto eher ist von einer übergebietlichen Ausrichtung des Betriebs auszugehen (Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 4 Rn. 16a; s.a. OVG NW, B.v. 19.8.2003 - 7 B 1040/03 - NVwZ-RR 2004, 245, 246). In konkreten Zahlen gesprochen wird in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass jedenfalls ein Umsatzanteil von 60 - 70% aus dem Gebiet heraus ausreicht. Als kritische untere Grenze wird ein innergebietlicher Umsatzanteil von etwa einem Drittel angesehen. Jedenfalls bei einem 5%-Umsatzanteil aus dem Gebiet dient ein Laden bzw. eine Schank-/Speisewirtschaft nicht mehr der Gebietsversorgung (VGH BW, B.v. 19.10.1999 - 5 S 1824/99 - NVwZ-RR 2000, 413, 414; OVG Berlin-Bbg, B.v. 21.12.2011 - OVG 10 S 29.10 - juris Rn. 15; Stock a.a.O. Rn. 15). Hinsichtlich der Stellplätze wurde etwa davon ausgegangen, dass 98 Stellplätze eines Discountgeschäfts im allgemeinen Wohngebiet ein deutliches Zeichen für einen fehlenden Gebietsbezug seien (Stock a.a.O. Rn. 16a m.w.N.: andererseits Gebietsbezug noch möglich bei 70 Stellplätzen, wenn sie verkehrsgünstig am Rande des Wohngebiets an einer überörtlichen Straße liegen und dieses vom Verkehr entlasten).
25
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist das bzw. die den Beigeladenen genehmigte „Café/Bar“ nach Überzeugung der Kammer (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) der Gebietsversorgung des hier zugunsten des Klägers angenommenen faktischen allgemeinen Wohngebietes zuzurechnen. Dafür spricht schon der laut Betriebsbeschreibung, welche Bestandteil der Baugenehmigung vom 23. Februar 2021 ist, äußerst überschaubare Betriebsumfang mit insgesamt 29 Sitzplätzen (13 innen auf 12,9m², 16 außen auf 11m²) und die Betriebszeiten Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag von 13 - 22 Uhr sowie einem Personal von nur einer Person. Hinzu tritt, dass es lediglich Getränke, aber keinerlei Speisen geben soll. Insofern erscheint es fernliegend, dass das Vorhaben der Beigeladenen in nennenswertem Umfang, sprich einem Umsatzanteil von deutlich über 50%, gebietsfremde Besucher anzieht, die mit dem Kfz anreisen würden. Dies auch deshalb, weil sich nach unwidersprochener Angabe des Beklagten und der Beigeladenen im Altort …, der sich im nördlichen Verlauf der F. … Straße anschließt, Schank- und Speisewirtschaften sowie Geschäfte befinden. Ebenfalls spricht gegen einen über die Gebietsversorgung hinausgreifenden Charakter des streitgegenständlichen Vorhabens, dass lediglich zwei Kfz-Stellplätze zu errichten sind. Dass dennoch eine untergeordnete Nachfrage von außerhalb stattfinden könnte, mag zwar sein, ist aber unschädlich für die so vorgenommene Einordnung (Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 4 Rn. 43). Nach alldem ist es auch unschädlich, dass der Beklagte keine weitergehenden Berechnungen angestellt oder statistische Daten zur Bevölkerung im Einzugsgebiet des Vorhabens der Beigeladenen eingeholt hat; dies musste sich ihm angesichts der Sachlage nicht aufdrängen und damit ebenso wenig dem Verwaltungsgericht. Schließlich wird der Befund der Gebietsversorgung durch die Klägerseite auch nicht substantiiert in Frage gestellt, sondern lediglich - rechtlich unzulässig, da § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO keine konkrete Bedürfnisprüfung zulässt (s.o.). - damit argumentiert, dass ein Bedarf für das Café der Beigeladenen nicht erkennbar sei.
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bb) Setzte man hingegen ein faktisches Mischgebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO an, wäre das den Beigeladenen genehmigte Vorhaben ohne weiteres gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO allgemein zulässig. Für eine Einordnung als faktisches Mischgebiet ließe sich, ohne dass es im Ergebnis noch darauf ankommt, da bereits die strengeren Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO erfüllt sind, anführen, dass man die Gebietsgrenze nach Norden hin bis zum Übergang der F. … Straße in die H. … straße und damit bis zur Einfahrt in den Altort … ziehen kann, da zuvor kein trennendes Element ersichtlich ist. Damit ließe sich auch der östlich der keine trennende Wirkung aufweisende F. … Straße liegende und bis zur S. … Straße reichende dreiecksförmige Block in die Betrachtung einbeziehen. Das so skizzierte Gebiet würde neben den bereits genannten Handwerksbetrieben (Blumengeschäft, Glaserei, Optiker) u.a. noch eine Niederlassung der Sparkasse, einen Kfz-Betrieb sowie ein … Restaurant umfassen, die sich nicht mehr unter § 4 Abs. 2 BauNVO subsumieren ließen, sondern typisch für ein Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO sind.
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b) Der Kläger ist auch nicht im bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme verletzt, welches hier in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankert ist. Demnach können die in §§ 2 - 14 BauNVO aufgeführten baulichen Anlagen auch unzulässig sein, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebietes dort selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Das in den Begriff der Unzumutbarkeit hineingelesene Rücksichtnahmegebot wird aktiviert, „wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5/12 - NVwZ 2014, 370 Rn. 21). Die Anforderungen, die das Rücksichtnahmegebot an die Zulässigkeit des Vorhabens stellt, hängen wesentlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des durch das Vorhaben Betroffenen ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er sich in Rücksichtnahme üben. Es ist also darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 15; B.v. 5.4.2019 - 15 ZB 18.1525 - BeckRS 2019, 7160 Rn. 9; s.a. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. EL Oktober 2021, § 34 Rn. 141).
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Zur Konkretisierung dessen, was (un) zumutbar ist, ist für die vom Kläger gerügten Lärmbelästigungen grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen und materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen (BayVGH, B.v. 4.8.2008 - 1 CS 07.2770 - juris Rn. 21; Wolf in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 59 Rn. 54 f.) und somit im Falle von immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftigen Gaststätten auf die Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm). Zwar ist es so, dass Freiluftgaststätten wegen Nr. 1 Buchst. b TA Lärm keine Anwendung findet und im Falle einer sowohl innerhalb geschlossener Räume als auch unter freiem Himmel betriebenen Gaststätte je nach Bereich zu differenzieren wäre (Hansmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. EL Dezember 2021, Nr. 1 TA Lärm Anwendungsbereich Rn. 13), jedoch die TA Lärm zur Orientierung auch für den Freiluftbereich herangezogen werden darf (Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 29. Ed. 15.4.2022, § 4 Rn. 60). Die Heranziehung der Bayerischen Biergartenverordnung, die für den Kläger zudem ungünstiger wäre, scheidet vorliegend aus, da wohl kein Biergarten in diesem Sinne vorliegt.
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Für ein (faktisches) allgemeines Wohngebiet beträgt der Immissionsrichtwert für den Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden nach Nr. 6.6, Nr. 6.1 Buchst. e) TA Lärm tags 55 dB(A), wobei die Tagzeit gemäß Nr. 6.4. TA Lärm von 6 bis 22 Uhr reicht. Für den Innen-, nicht den Außenbereich (hierzu Hornmann a.a.O. Rn. 60) des von den Beigeladenen geplanten Cafés ist zusätzlich für die Zeit von 20 bis 22 Uhr ein Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit von 6 dB nach Nr. 6.5 TA Lärm anzusetzen.
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Angesichts der durch den Kläger inhaltlich nicht angegriffenen Stellungnahme des Technischen Immissionsschutzes des Beklagten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens und der Lage des klägerischen Gebäudes südlich, auf der dem Vorhaben der Beigeladenen abgewandten Seite - zwischen dem Café und dem Kläger liegt das Wohn- und Geschäftsgebäude … (FlNr. ….), an dessen Nordseite die Beigeladenen anbauen wollen - erscheint eine Überschreitung der geschilderten Immissionsrichtwerte schon auf Basis der TA Lärm ausgeschlossen. Der Technische Immissionsschutz des Beklagten hatte im Baugenehmigungsverfahren mitgeteilt, dass aus fachtechnischer Sicht gegen das Bauvorhaben keine Bedenken bestünden und schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG nicht zu vermuten seien. Für die Wohnhäuser FlNrn. …, … und … wurden sodann noch um 3 dB(A) verringerte Immissionsrichtwerte vorgeschlagen und im Bescheid festgesetzt. Dass dies für das klägerische Grundstück nicht geschehen ist, ist angesichts dessen Lage für die Kammer nachvollziehbar. Zudem hat sich der Mitarbeiter des Technischen Immissionsschutzes des Beklagten in der mündlichen Verhandlung plausibel dahingehend geäußert, dass das klägerische Anwesen deshalb nicht berücksichtigt worden sei, weil Hauptimmissionsort die Freischankfläche des Cafés sei und damit die Immissionspunkte in die andere Richtung zu setzen gewesen seien. Wenn an den gesetzten Immissionspunkten die Werte eingehalten würden, gelte dies auch für das klägerische Anwesen. Der Abzug von 3 dB(A) von den Werten der TA Lärm schließlich sei erfolgt, um das bestehende Blumengeschäft zu berücksichtigen. Selbst für den Fall, dass durch den Beklagten nicht berücksichtigt worden sein sollte, dass nach Nr. 6.5 für den Innenraum des Cafés/der Bar der Beigeladenen ein Zuschlag von 6 dB(A) für die Zeit von 20 bis 22 Uhr anzusetzen ist, würde dies im Ergebnis den Pegel über den gesamten Werktag verteilt maximal um 1,9 dB(A) erhöhen (Hansmann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. EL Dezember 2021, Nr. 6 TA Lärm Rn. 32 anders als hier für sämtliche Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit) und wäre nicht damit zu rechnen, dass am Wohnhaus des Klägers der Immissionsrichtwert von 55 dB(A) tags überschritten würde. Hinsichtlich der beiden an der südwestlichen Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstücks zum Kläger hin situierten Kfz-Stellplätze, von denen jedoch lediglich einer neu errichtet wird, ist mit dem Technischen Immissionsschutz davon auszugehen, dass diese immissionsschutzfachlich angesichts der Betriebszeiten nur zur Tagzeit nicht ins Gewicht fallen. Die fachtechnische Würdigung hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auch nicht substantiiert angegriffen, sondern vielmehr geäußert, dass den Kläger mehr der verhaltensbezogene Lärm störe, der rund um die Gastwirtschaft entstehe, „mit Autofahrten und Ähnlichem“, der eventuell bis in die Nachtzeit reiche.
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Auf Basis dessen ist das Vorgehen des Beklagten, den Lärmschutz durch zielorientierte Festlegungen und betriebliche Beschränkungen (etwa: kein Betrieb zur Nachtzeit, Ende des Betriebs inkl. Fahrverkehr bis 22:00 Uhr, keine Musikdarbietungen im Außenbereich, im Innenbereich nur Hintergrundmusik, Fenster und Türen geschlossen halten) in Ziffer II. Nrn. 10 - 20 im Bescheid vom 23. Februar 2021 nicht zu beanstanden, weil gewährleistet ist, dass die Immissions(richt) werte im regelmäßigen Betrieb auch zugunsten des nicht als Immissionsort aufgeführten Klägers eingehalten werden können (BayVGH, B.v. 18.10.2017 - 9 CS 16.883 - juris Rn. 26).
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Soweit schließlich der Kläger darauf verweist, dass junge Leute, auf die das Café bzw. die Bar ausgerichtet sei, diese heutzutage nicht vor 22 Uhr besuchen würden und unabhängig von den Auflagen von der Konzeption der Bar her erhebliche Belästigungen für die Wohnbevölkerung in der näheren Umgebung zu erwarten seien, ist er darauf zu verweisen, dass sowohl die Betriebsbeschreibung als auch Ziffer II. 12 des streitgegenständlichen Bescheides einen Betrieb nach 22 Uhr ausschließen. Streitgegenstand ist das Vorhaben so, wie es durch den Bescheid vom 23. Februar 2021 genehmigt ist. Etwaige zukünftige Verstöße gegen die Baugenehmigung, die hier zudem als wenig fundierte Mutmaßungen der Klägerseite geäußert werden, führen nicht zu deren Rechtswidrigkeit, vielmehr müsste der Beklagte gegebenenfalls baufaufsichtlich einschreiten, sobald der Genehmigungsrahmen durch die Beigeladenen verlassen wird bzw. der Kläger außerhalb der Dienstzeiten des Landratsamtes die Polizei bemühen. Für mögliche Störungen durch eine Nutzung außerhalb des Genehmigungsrahmens - die hier sowieso nur ins Blaue hinein behauptet wird - wäre die Bauherrin und Beigeladene nämlich nur dann von vornherein verantwortlich, wenn sie besondere Anreize geschaffen hat, die zu einer regelwidrigen Nutzung „einladen“ (BayVGH, U.v. 6.2.2015 - 22 B 12.269 - juris Rn. 61; VG Ansbach, U.v. 28.10.2021 - AN 17 K 20.00907 - juris Rn. 136). Dafür spricht hier nichts.
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c) Eine Verletzung des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO scheidet offensichtlich aus. Auch weitere im Rahmen des Art. 59 Satz 1 BayBO zu prüfende drittschützende Belange, die verletzt sein könnten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen
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2. Die Kostenentscheidung basiert auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Beigeladenen ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten, da sie sich durch ihre Antragstellung auch dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt und sachdienlich am Verfahren beteiligt hat.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.