Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen eine (Änderungs-)Baugenehmigung zum Einbau einer zweiten Wohnung in ein ehemaliges Lagerhaus
Normenketten:
VwGO § 88, § 101 Abs. 2, § 103 Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 2 Abs. 4, Art. 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, Abs. 5 S. 1, Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, Abs. 8 S. 1, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2, Art. 46 Abs. 5, Art. 47 Abs. 1 S. 2, Art. 59 S. 1, Art. 63 Abs. 1 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BGB § 242
Leitsätze:
1. Von einer Tekturgenehmigung kann nicht eigenständig, sondern nur in Verbindung mit der ursprünglichen Genehmigung Gebrauch gemacht werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bauaufsichtsbehörde muss iRd Ermessensentscheidung nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 BayBO hinsichtlich einer Abweichung von den Erfordernissen des Abstandsflächenrechts nicht zusätzlich die Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften prüfen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da die feststellende Wirkung der Baugenehmigung gem. Art. 68 Abs. 1 S. 1 BayBO auf „die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren“ zu prüfenden Vorschriften beschränkt ist, scheidet eine Verletzung außerhalb dieses Prüfprogrammes liegender drittschützender Normen zulasten eines klagenden Nachbarn von vornherein aus. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage des Nachbarn gegen Baugenehmigung zur Umnutzung eines ehemaligen Lagerhauses zu Wohnzwecken, Erfordernis der sog. Atypik bei Abweichungsentscheidung nach Art. 63 BayBO vom Erfordernis der Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO (offengelassen); Atypik kann sich u.a. aus deutlich atypischem Grenzverlauf und besonderer (städte-)baulicher Situation, insbesondere bei gewachsener, dichter Bestandsbebauung ergeben, Keine Berücksichtigung brandschutzrechtlicher Vorschriften im Rahmen der Prüfung einer Abweichung vom Abstandsflächenrecht; ansonsten drohende und vom Zufall abhängige Ausweitung des Prüfprogrammes im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO., Kein Drittschutz der brandschutzrechtlichen Vorschriften der Art. 29, 32, 33 BayBO, Kein Drittschutz des Art. 47 BayBO zu den Stellplätzen, aber Betroffenheit im Gebot der Rücksichtnahme denkbar, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze erfolgt und dies zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Nachbarn durch Parksuch- und Parkverkehr führt oder wenn eine bestimmungsgemäße Nutzbarkeit seines Grundstückes nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich ist (verneint), Missbräuchliches Berufen auf Abstandsflächenrecht bei eigener Verletzung desselben (§ 242 BGB analog), Änderungsgenehmigung, Tekturgenehmigung, Nutzungsänderung, Abstandsflächenrecht, Abweichung, Prüfungsmaßstab, atypischer Fall, atypischer Grenzverlauf, Ermessen, Brandschutz, Treu und Glauben, Gebot der Rücksichtnahme, Stellplätze
Fundstelle:
BeckRS 2022, 12018
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zum Einbau einer zweiten Wohnung in ein ehemaliges, aber nunmehr als Wohngebäude genutztes Lagerhaus.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks mit der Flurnummer (FlNr.) … der Gemarkung … mit der Anschrift R … straße …, … … Es ist mit landwirtschaftlichen Nutzgebäuden sowie einem Wohnhaus bebaut, die allesamt aneinander grenzen und optisch in etwa ein „T“ bilden. Im nördlichen Grundstücksteil befindet sich ein an die R … straße (FlNr. …) angrenzender Gebäuderiegel, der jedoch nicht grenzständig zur Straße errichtet ist, sondern eine sich nach Osten verbreiternde Flucht aufweist, in der ein Gebäudeteil deutlich zurücktritt. In einem rechten Winkel an das zweite Gebäude von Westen aus gesehen ist ein weiteres Gebäude mit seiner Giebelseite angebaut, welches sich in südlicher Richtung erstreckt. Den Beigeladenen, nunmehr Herr … und Frau … V , vormals die … GmbH mit dem Geschäftsführer … V , gehört u.a. das Vorhabengrundstück mit der FlNr. … mit der Anschrift R … straße …, … … Es hat mit dem klägerischen Grundstück insoweit einen gemeinsamen Grenzverlauf, als es sich um den rechten Winkel, welches dieses Richtung Osten durch seine Grenzlinien bildet, legt und sodann noch einen kleinen Teil der nach Westen verlaufenden hinteren Grundstücksgrenze des Klägers - dort endet das beschriebene, sich nach Süden erstreckende Gebäude - umfasst. Das Grundstück der Beigeladenen erstreckt sich sodann in südlicher Richtung bis zur dort ebenfalls liegenden R … straße (FlNr. … ), von welcher es straßenmäßig erschlossen wird. Das Vorhabengrundstück ist derzeit in seiner Mitte mit einem etwa 15 m langen und 8,60 m breiten, ehemals als Lagerhaus genutzten Wohngebäude bebaut, welches mit einem Satteldach bedeckt ist. Die Traufseiten befinden sich nach Norden und Süden ausgerichtet. Unmittelbar nördlich an das Lagerhaus anschließend und bis zur Südgrenze des Klägergrundstücks reichend lag vormals ein eingeschossiger, 6,70 m langer und 3,10 m breiter Holzschuppen, der mittlerweile abgerissen wurde. Das Vorhabengrundstück sowie das des Klägers bilden mit den weiteren Grundstücken FlNrn. … (ebenfalls im Eigentum der Beigeladenen), … und … eine ungefähr rechteckige Gesamtfläche die von Norden, Westen und Süden jeweils von der R … straße (FlNrn. …, …, … ) und im Osten von einer schmaleren unbenannten Straße umgeben ist. Ein Bebauungsplan existiert für dieses Gebiet nicht.
3
Die Lage stellt sich wie folgt dar:
Quelle: Darstellung BayernAtlas. Rot markiertes Grundstück: Beigeladene, gelb markiertes Grundstück: Kläger
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Bereits mit Bescheid des Beklagten vom 8. April 2014 wurde der … GmbH eine bauaufsichtliche Genehmigung zur Nutzungsänderung des bestehenden Lagerhauses zu einem Wohngebäude erteilt und für das Bauvorhaben Abweichungen von den Abstandsflächenbestimmungen und von den Brandschutzvorschriften nach Maßgabe der genehmigten Bauvorlagen zugelassen (Ziffer I.). Unter Ziffer II. - Auflagen - war u.a. enthalten, dass im Dachgeschoss keine Aufenthalts-, sondern nur Abstellräume entstehen dürften (Ziffer II. Nr. 6). Mit Ziffer II. Nr. 11 wurde festgelegt, dass für das Bauvorhaben insgesamt mindestens zwei Stellplätze bzw. Garagen für Kraftfahrzeuge bis zur beabsichtigten Aufnahme der Nutzung der baulichen Anlage zu errichten seien. Laut der zur Genehmigung eingereichten Bauvorlagen war für die zukünftige Nutzung als eine Wohnung vorgesehen. Im Erdgeschoss des Lagerhauses war eine Küche, ein WC sowie ein Ess- und Wohnbereich und drei Fensteröffnungen sowie eine Türöffnung in die nördliche Außenwand vorgesehen. Der sich nördlich an das Lagerhaus anschließende Holzschuppen war zum Abbruch vorgesehen. Im ersten Obergeschoss waren neben einem Wohn- und Schlafraum ein Bad sowie ein Lesezimmer geplant. In der nördlich Außenwand des Lagerhauses sollten vier Fensteröffnungen geschaffen werden. Das zweite Obergeschoss war mit einem Wohn- und Schlafraum mit Dusche und WC eingezeichnet und ebenfalls mit vier Öffnungen in der Nordwand versehen. Das Dachgeschoß verblieb unausgebaut. Schließlich war noch ein Kellergeschoss vorgesehen mit einem Heizungs- sowie weiteren Kellerräumen. Insgesamt ergab sich eine Firsthöhe des Gebäudes, von der Nordseite her gemessen, von 14,12 m und eine Höhe im Schnittpunkt der Außenwand mit der Dachhaut von 10,79 m bei einer Dachneigung von 38 Grad. Der Abstand von der nördlichen Gebäudeaußenwand bis zur Grundstücksgrenze zum klägerischen Grundstück ist mit 3,10 m eingezeichnet. Auf dem Vorhabengrundstück sind an dessen südlichem Ende zwei Stellplätze vorgesehen.
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Die gegen den Bescheid vom 8. April 2014 zunächst erhobene Klage (AN 17 K 20.00271) hat der Kläger zu Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2021 zurückgenommen, woraufhin das Verfahren durch Beschluss eingestellt wurde.
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Am 3. Juli 2017 wurde durch den Beklagten eine Bauabnahme hinsichtlich dieses Vorhabens durchgeführt und dabei u.a. festgestellt, dass im Bauantrag der Einbau einer Wohnung beantragt worden sei, nunmehr aber zwei Wohnungen eingebaut worden seien. Auch die in der Planung dargestellten Wände stimmten nicht mit der Bauausführung überein. Um die Änderungen bewerten zu können, solle eine Tekturplanung vorgelegt werden. Dieser Sachverhalt wurde der … GmbH mit Schreiben des Beklagten vom 19. September 2017 mitgeteilt und sie wurde aufgefordert, bis spätestens 1. Dezember 2017 einen ordnungsgemäßen Tekturbauantrag einzureichen. Zuvor dürfe die zweite, nicht genehmigte Wohnung nicht genutzt werden.
7
Daraufhin reichten Frau … und Herr … V als Bauherren einen Antrag auf Baugenehmigung für das Vorhaben „Nutzungsänderung ehem. Lagerhaus zum Wohngebäude“ über die Gemeinde … beim Landratsamt … mit Eingang dort am 5. März 2018 ein. Ausweislich der mit dem Bauantrag eingereichten Bauvorlagen bleibt der äußere Zuschnitt des Gebäudes unverändert. Im Inneren des Gebäudes werden im Erdgeschoss unter Einbau von Ständerwänden eine Dusche mit WC eingebaut. Weiter sind ein Wohnbereich, ein Küchen- und Essbereich sowie zwei Schlafzimmer vorgesehen. In der nördlichen Außenwand sind vier Öffnungen vorgesehen. Im ersten Obergeschoss findet sich ein WC sowie ein Wohn- und Essbereich mit Küche und ebenfalls vier Öffnungen in der nördlichen Außenwand. Im zweiten Obergeschoss sind ein Bad mit WC sowie ein Arbeits- und Schlafzimmer geplant. Zur Nordseite sind wiederum vier Öffnungen in der Außenwand vorgesehen. Das Dachgeschoss wird nicht ausgebaut. Auf dem Vorhabengrundstück sind an dessen südlichem Ende zwei Stellplätze eingezeichnet. Weiter war dem Bauantrag die für die Baugenehmigung aus 2014 eingereichte Schnittzeichnung als Kopie beigefügt, die vom neuen Architekten der Bauherren unterschrieben wurde sowie mit einem Stempel des Landratsamtes … vom 11. Dezember 2018 mit der Aufschrift „Geprüft im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO“ versehen war. Auf dieser Kopie sind die Beschreibungen der Geschossdecken mit rotem Stift durchgestrichen. Weiter war anders als in den eingereichten Unterlagen für die Baugenehmigung aus 2014 die Gebäudeklasse 4 statt der Gebäudeklasse 2 angegeben. Und schließlich war zusätzlich eine Abweichung von den Anforderungen des Art. 29 BayBO beantragt.
8
Die Gemeinde … als Teil der Verwaltungsgemeinschaft … erteilte am 26. Februar 2018 das gemeindliche Einvernehmen zum beantragten Vorhaben.
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Mit Bescheid vom 11. Januar 2019 erteilte der Beklagte den Beigeladenen die bauaufsichtliche Genehmigung für das Vorhaben „Einbau einer zweiten Wohnung und Änderung Raumaufteilung“ mitsamt einer antragsgemäßen Abweichung von den Brandschutzvorschriften des Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 BayBO (Ziffer I.). Als Auflage war unter anderem festgesetzt, dass für die Baumaßnahme insgesamt mindestens zwei Stellplätze zu errichten, zu unterhalten und auch zukünftig zu unterhalten seien (Ziffer II. 2.). Weiterhin wurde die Nutzung des Dachgeschosses untersagt (Ziffer II. 3.). Dieser Bescheid wurde dem Kläger gegen Postzustellungsurkunde am 19. Januar 2019 zugestellt.
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Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 11. Januar 2019 am 18. Februar 2019 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach (AN 17 K 19.00303). In der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2021 erklärte der Beklagte, dass die Genehmigung aus dem Jahr 2019 als Genehmigung des Gesamtvorhabens anzusehen sei, auch sei der Brandschutz nochmal insgesamt geprüft worden.
11
Auf Vorschlag des Gerichts wurde dem Landratsamt … anheimgestellt, zunächst über eine Ergänzung der streitgegenständlichen Baugenehmigung im Hinblick auf eine Abweichung von den Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück hin zu entscheiden. Sodann könne das Gericht im schriftlichen Verfahren über die geänderte Baugenehmigung entscheiden. Hiermit erklärten sich die Beteiligten einverstanden und erklärten ihren Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung.
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Mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 ergänzte das Landratsamt den Baubescheid vom 11. Januar 2019 mit Einschub vor dem Tenorpunkt II., Auflagen, um folgende Formulierung: „Für das Bauvorhaben wird eine Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO erteilt“ (Ziffer 1.). Weiter wurde die Begründung des Bescheides vom 11. Januar 2019 dahingehend ergänzt (Ziffer 2.), dass bereits mit dem ursprünglichen Baugenehmigungsbescheid vom 8. April 2014 die Genehmigung zur Nutzungsänderung des Lagerhauses zum Wohngebäude erteilt worden sei. Darin sei die Entscheidung über die Abweichung von den Abstandsflächen gegenüber dem Kläger erteilt worden. Nachdem im hiesigen Verfahren nachträglich der Einbau einer zweiten Wohneinheit habe genehmigt werden können, dieses Verfahren jedoch aus diversen Gründen nicht als Änderungsverfahren zum Baubescheid vom 8. April 2014, sondern als eigenständiges Nutzungsänderungsverfahren behandelt worden sei, habe inhaltlich erneut über die Abstandsflächen entschieden werden müssen. Nachdem sich keine Verschlechterung des Effekts der Besonnung, Belichtung oder Belüftung des Grundstücks des Klägers ergebe und auch keine rücksichtslose erhöhte Einsehbarkeit durch die Nutzungsänderung zu Wohnraum ersichtlich sei, erscheine auch der Sozialabstand hinreichend gewahrt. Die Erteilung einer Abweichung sei im Zuge der Nachverdichtung vertretbar. Im Übrigen bleibe der zu ergänzende Bescheid unverändert gültig.
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Zur Begründung seiner Klage führte der Kläger zunächst aus, dass die neuen Nachbarn im Frühjahr 2014 das streitgegenständliche Anwesen käuflich erworben hätten. Bei seiner Unterzeichnung der Baupläne im Frühjahr 2014 seien verschiedene mündliche Vereinbarungen mit den Beigeladenen getroffen worden, unter anderem die Verkehrssicherungspflichten und die permanent freie Zufahrt zur Hofstelle des Klägers betreffend. Auf dieser Basis habe er den ersten Bauplan zum Einbau einer Wohnung mit Ausweis von zwei Pkw-Stellplätzen unterschrieben. Im Nachgang zu der Baugenehmigung aus 2014 sei eine zweite Wohnung eingebaut worden und kein weiterer Ausweis zusätzlicher Stellplätze erfolgt, obwohl sich die Anzahl der parkenden Pkws seit Durchführung der Baumaßnahme massiv erhöht habe. Auch sei durch die Teilung des Beigeladenen-Anwesens in zwei getrennte Flurnummern [vormals FlNr. …, nunmehr FlNrn. … und …] und eine Abtrennung des Hofraums durch eine Holzstellwand die Zufahrt zur Straße und zu den Stellplätzen aus der ursprünglichen Baugenehmigung vom 8. April 2014 komplett verändert worden. Die Parksituation verschärfe sich durch die eigene Nutzung der Beigeladenen der Garagen-Stellplätze auf dem Anwesen Nr., die nach dem Bauantrag Nr. … den Mietern zur Verfügung gestellt werden müssten; diese blockierten nun die umliegenden Straßen mit parkenden Pkws. Es komme daher zu einer massiven Einschränkung der Straßenzufahrt zur Hofstelle des Klägers aufgrund einer Vielzahl von parkenden Pkws nach Realisierung der letzten Baumaßnahmen. Er könne auch nicht über die R … straße im Norden zufahren, da dies wegen seiner langen Fahrzeuge und der Zufahrtssituation des Hofes nicht funktioniere. Diesbezüglich legt der Kläger eine Reihe von Lichtbildaufnahmen vor. Er, der Kläger, und das Landratsamt seien vorsätzlich durch die Beigeladenen getäuscht worden. Weiter gehe es nicht an, dass die Behörde nachträglich illegale Bauausführungen ohne Rücksprache mit den tangierten Nachbarn genehmige. Auch müsse die Behörde im Rahmen der Genehmigung auch die bereits erteilten Baugenehmigungen, die in ihrer Gesamtheit zu den beschriebenen untragbaren Zuständen führten, berücksichtigen. Im Übrigen hätten die Beigeladenen an der kompletten Nordseite und teilweise auch an der Ostseite einen sehr hohen Sichtschutz angebracht; auch diesbezüglich werden Lichtbilder übersandt. Schließlich sei er im Baugenehmigungsverfahren durch die Beigeladenen nicht beteiligt worden. Zusammen mit der Klagebegründung reichte der Kläger mehrseitige Schreiben seinerseits an die Beigeladenen, an den ersten Bürgermeister der Gemeinde … und an das Landratsamt … sowie zahlreiche Lichtbilder der örtlichen Verhältnisse zu den Akten. Im Schreiben an den ersten Bürgermeister … vom 9. Juni 2021 monierte der Kläger im Wesentlichen die Missachtung der Verkehrssicherungspflichten bezüglich der nicht mehr akzeptablen Verkehrsbehinderung in der R … straße durch die Gemeinde … Im Schreiben an das Landratsamt … vom 10. Juni 2021 zeigte der Kläger Verstöße gegen die geforderten Bedingungen und Auflagen aus den streitgegenständlichen Baugenehmigungen an und zusätzlich weitere Verstöße betreffend nicht verfahrensgegenständliche Baugenehmigungen. Hinsichtlich des Inhalts der Schreiben im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2021 trug der Kläger erneut umfangreich vor. Er habe der Erteilung der Abweichung von den Abstandsflächen nicht zugestimmt, zudem mangele es am Brandschutz hinsichtlich der Giebelwand seiner Scheune. Sein Versicherungsvertreter bestehe aber auf dem rechtlich zwingend notwendigen Brandschutz, wenn Abstandsflächen nicht eingehalten seien und Wohnungen in dem ehemaligen Lagergebäude genehmigt würden. Überdies hätten die Beigeladenen Lüftungsöffnungen in der Giebelseite der Scheune illegal zugemauert, was eine Straftat gemäß § 303 StGB darstelle. Hinsichtlich des Brandschutzes seien weiter die Auflagen aus dem Brandschutznachweis vom 18. März 2014 nicht umgesetzt [es folgt eine Auflistung einzelner Monita]. Insgesamt sei ihm unter Berücksichtigung des defizitären Brandschutzes eine Abweichung von den Abstandsflächen nicht mehr zumutbar. Weiter werde durch das genehmigte Vorhaben eine umfassende Einsichtnahme auf das Grundstück des Klägers gewährt. Es komme zu einer kompletten Beschattung sowie fehlenden Belichtung und Belüftung des bestehenden Carports und der bestehenden Fensterfassade an der Nordseite des angrenzenden Gebäudes. Ferner handele es sich bei dem ehemaligen Lagerhaus um eines mit ehemals komplett geschlossener Fensterfassade im Norden und einer Gesamthöhe von 13,91 m, womit aus den oberen Etagen eine vollständige Einsichtnahme auf das klägerische Grundstück möglich sei. Durch die Ausweitung der Wohnnutzung auf dem Vorhabengrundstück werde der gesetzlich garantierte Bestandsschutz der Gebäude auf dem klägerischen Grundstück verletzt. Schließlich komme es zu einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung der Hofstelle des Klägers durch das bestehende Parkchaos und die fehlende Nutzbarkeit ausgewiesener Stellplätze. Die Mieter der Beigeladenen würden auf der angrenzenden südlichen und westlichen R … straße parken und die vollumfängliche Nutzung der Hofstelle beeinträchtigen. Mit den neu gekauften und größeren Maschinen sei keine uneingeschränkte Befahrbarkeit mehr gegeben. Wegen mehrerer Sachbeschädigungen an Gebäuden und Fahrzeugen weigere sich die Betriebshaftpflichtversicherung des Klägers bei weiter auftretenden Schadensfällen Versicherungsschutz zu gewährleisten.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 25. Januar 2022 wiederholte der Kläger seine Kritik an der Stellplatzsituation, trug erneut die Begehung einer Sachbeschädigung nach § 303 StGB und die Erfüllung des zivilrechtlichen Deliktstatbestandes des § 823 BGB durch die Beigeladenen vor und monierte eine rechtswidrige Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften. Schließlich wies er nochmals auf die drohende Existenzgefährdung seines landwirtschaftlichen Betriebes durch die eingeschränkte Zufahrt zur Hofstelle sowie permanente Sachbeschädigungen an parkenden Fahrzeugen, wegen derer seine Betriebshaftpflichtversicherung künftig den Versicherungsschutz verweigere, hin. Weiter rügte er die Untauglichkeit eines Brandschutznachweises vom 3. Oktober 2018. Dieser gehe fälschlicherweise von einer Brandwandeigenschaft der Giebelseite seiner Scheune aus, obwohl diese tatsächlich Lüftungsöffnungen aufweise, die die Beigeladenen rechtswidrig zugemauert hätten. Auch seien die Fensteröffnungen an der Nordseite des angefochtenen Baubescheides brandschutzrechtlich unzulässig. Abschließend führte der Kläger aus, dass die Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften eine unabdingbare Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung sei. Dies wirke sich auch auf die notwendigen Abstandsflächen aus, weil in diesem Fall die Nichteinhaltung des Brandschutzes besonders zu werten sei.
16
In der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2021 und mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022 beantragte er zuletzt sinngemäß,
den Baugenehmigungsbescheid vom 11. Januar 2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 18. Oktober 2021 aufzuheben.
17
Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führt er aus, dass es sich hinsichtlich der Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 um eine nachträglich genehmigte Nutzungserweiterung der einen Wohneinheit zu zwei Wohneinheiten handele. Allerdings spiele sich die geänderte Ausführung auf denselben drei Geschossen ab, eine flächenmäßige Intensivierung sei also nicht vorgesehen. Dies sei bei Erteilung der Abweichung von den Abstandsflächen berücksichtigt worden. Was die Stellplätze anbelange, seien die nun erforderlichen zwei Stellplätze bereits bei der vom Kläger unterschriebenen Erstgenehmigung nachgewiesen gewesen. Schließlich sei das Bauvorhaben der Beigeladenen auch nicht rücksichtslos. Wildes Parken stelle eher ein Umsetzungs- als ein Zulässigkeitsproblem dar. Sofern der Kläger die Situation des ruhenden Verkehrs beklage, betreffe dies straßenverkehrsrechtliche Normen, die von der Gemeinde und der Straßenverkehrsbehörde vollzogen würden.
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Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten verwiesen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2021 wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
22
Der Kläger begehrt ausweislich seines in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2021 gestellten und mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022 angepassten Klageantrages die Aufhebung des Baugenehmigungsbescheides vom 11. Januar 2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 18. Oktober 2021 (§ 88 VwGO). Die ursprünglich weiter gefasste Antragstellung des anwaltlich nicht vertretenen Klägers im Schriftsatz vom 21. Januar 2020 mit zusätzlichen Verpflichtungsanträgen wird zu seinen Gunsten - andernfalls wäre von einer teilweisen Klagerücknahme auszugehen - als nicht maßgeblich erachtet, sondern gemäß § 103 Abs. 3 VwGO auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten und nach dem Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung schriftsätzlich ergänzten Antrag abgestellt (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 103 Rn. 8; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 101 Rn. 11).
23
Klagegegenstand ist der Baugenehmigungsbescheid vom 11. Januar 2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 18. Oktober 2021 in dem ihm durch Auslegung zu entnehmenden Regelungsumfang. Dieser umfasst zum einen die Nutzungsänderung des vormals als Lagerhaus fungierenden Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück der Beigeladenen (FlNr. … ) hin zu Wohnzwecken und zum anderen den Einbau zweier Wohnungen nach Maßgabe der Bauvorlagen. Insbesondere stellt die Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 keine bloße Tekturgenehmigung im Verhältnis zur Baugenehmigung vom 8. April 2014 dar, mit welcher der damals als Bauherrin auftretenden … GmbH die Nutzungsänderung des bestehenden Lagerhauses zum Wohngebäude und der Einbau einer Wohnung genehmigt worden war. Die damalige Bauherrin hat, legt man die Baukontrolle des Landratsamtes … vom 3. Juli 2017 zu Grunde, von Anfang an planabweichend gebaut und zwei statt einer Wohnung sowie diese mit vollends veränderter Raumaufteilung eingebaut. Dabei handelt es sich nicht mehr um lediglich geringfügige oder kleinere Änderungen des Vorhabens, wie sie für eine Tekturgenehmigung charakteristisch sind (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 68 Rn. 71). Insofern entspricht das Verhältnis der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 zu der Genehmigung vom 8. April 2014 nicht demjenigen einer Tekturgenehmigung zur ursprünglichen Genehmigung: Von der Tekturgenehmigung kann nämlich nicht eigenständig, sondern nur in Verbindung mit der ursprünglichen Genehmigung Gebrauch gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2016 - 15 ZB 15.2442 - juris Rn. 9; Decker a.a.O. Rn. 73). Eine erheblich planabweichende Ausführung des Bauvorhabens lässt sich somit nicht mehr im Wege einer Tekturgenehmigung legalisieren, vielmehr ist eine eigenständige, neue Baugenehmigung nötig - die den Beigeladenen mit Bescheid vom 11. Januar 2019 auch erteilt wurde. Schließlich spricht gegen die Einordnung der Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 als bloße Tekturgenehmigung zur Baugenehmigung vom 8. April 2014, dass das Bauvorhaben zum Zeitpunkt der Baukontrolle am 3. Juli 2017 schon vollständig, wenn auch planabweichend, abgeschlossen war (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2007 - 1 CS 07.801 - NJOZ 2009, 433, 435 f.; Decker in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 69 Rn. 28). Davon abgesehen dürfte die Genehmigung vom 8. April 2014, der … GmbH am Folgetag zugegangen, gemäß Art. 69 Abs. 1 BayBO nach Ablauf von vier Jahren, also mit Ablauf des 9. April 2018 erloschen sein, da von ihr so nie Gebrauch gemacht worden ist (hierzu Decker in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 69 Rn. 45), was weiter dafür spricht, in der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 18. Oktober 2021 eine umfassende Genehmigung des Bauvorhabens der Beigeladenen zu sehen. Zu guter Letzt hat auch der Beklagte zu Protokoll der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2021 erklärt, dass die Genehmigung aus dem Jahr 2019 als Genehmigung des Gesamtvorhabens anzusehen und der Brandschutz noch einmal insgesamt geprüft worden sei. Eine ähnliche Ausführung findet sich in der Begründung zum Ergänzungsbescheid vom 18. Oktober 2021: Der Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 liege kein Änderungsverfahren zur Baugenehmigung aus dem Jahr 2014 zugrunde, sondern ein eigenständiges Nutzungsänderungsverfahren, innerhalb dessen erneut über die Abstandsflächen zu entscheiden gewesen sei. Die so erfolgte nachträgliche Präzisierung eines Verwaltungsaktes ist zulässig (BVerwG, B.v. 21.6.2006 - 4 B 32/06 - NVwZ-RR 2006, 589: „versteht sich von selbst“).
24
Allenfalls ließe sich vertreten, dass die reine Nutzungsänderung von einem Lager- in ein Wohngebäude ohne die bauliche Konkretisierung als abtrennbarer Bestandteil bereits durch die Baugenehmigung aus dem Jahr 2014 erfasst wird, insofern fortwirkt und nicht mehr in den Regelungsgehalt der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 aufgenommen wurde (vgl. OVG NW, B.v. 13.12.2012 - 2 B 1250/12 - juris Rn. 13; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 66 Rn. 612: Nutzung eines Bauvorhabens ist von seiner Substanz grds. abtrennbar). Jedoch kann dies im Ergebnis dahinstehen, da, wenn man dies annähme, zuungunsten des Klägers bestandskräftig feststünde, dass die durch die Beigeladenen angestrebte Nutzungsänderung zu einer Wohnnutzung bauplanungsrechtlich zulässig ist. Geht man hingegen wie hier von einer vollständigen Neugenehmigung durch den Baugenehmigungsbescheid vom 11. Januar 2019 aus, ist auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen, die jedoch keine rechtlichen Probleme aufwirft (s.u.).
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Die so auszulegende Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Die Klage ist unbegründet und damit abzuweisen, weil der den Beigeladenen erteilte Baugenehmigungsbescheid vom 11. Januar 2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 18. Oktober 2021 den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nämlich nur dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dafür genügt nicht die objektive Verletzung einer Rechtsnorm. Die Rechtsverletzung muss sich aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, s. BayVGH, B.v. 23.6.2017 - 15 ZB 16.920 - BayVBl 2019, 596 Rn. 8). Zudem müssen die als verletzt gerügten Normen Teil des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren sein, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 66 Rn. 537).
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Eine Verletzung drittschützender Normen des Prüfprogramms durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung scheidet aus. Das Prüfprogramm bemisst sich vorliegend nach Art. 59 BayBO (vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren), da das durch die Beigeladenen nunmehr zu Wohnzwecken genutzte und entsprechend umgebaute vormalige Lagerhaus kein Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO ist.
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2. Es liegt in bauordnungsrechtlicher Hinsicht kein Verstoß gegen das gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO zu prüfende Abstandsflächenrecht und auch kein Verstoß durch die gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO zum Prüfprogramm gehörenden, durch die Beigeladenen beantragten und vom Beklagten genehmigten Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO vor. Brandschutzrechtliche Vorschriften sind, von beantragten Abweichungen abgesehen, nicht Gegenstand des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens.
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a) Ein Teil der nördlichen Außenwand des Vorhabengebäudes der Beigeladenen, nämlich soweit sie gegenüber der südlichen Giebelseite der grenzständig stehenden Scheune des Klägers bis zum Abknicken der gemeinsamen Grundstücksgrenze in einem Winkel von etwa 90 Grad Richtung Norden liegt, kann die gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4, Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderliche Abstandsfläche im Ausgangspunkt nicht einhalten. Zwischen dieser und der Grundstücksgrenze des Klägers liegen gemäß der für die streitgegenständliche Baugenehmigung eingereichten Planzeichnungen 3,10 m. Die abstandsflächenrelevante Höhe des Wohngebäudes der Beigeladenen beträgt auf der Nordseite von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut bereits 10,79 m, womit bei einer erforderlichen Tiefe der Abstandsfläche von 0,4 H gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO bereits ohne Berücksichtigung der Traufseite des Daches 3,10 m überschritten wären.
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Jedoch wurde den Beigeladenen diesbezüglich durch den Ergänzungsbescheid vom 18. Oktober 2021 eine Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO (Ziffer 1.) rechtmäßig erteilt. Einen entsprechenden Antrag enthält das Formblatt zum Baugenehmigungsantrag der Beigeladenen vom 21. Februar 2018 (Blatt 34 der Behördenakte 18/0183). Auch in materieller Hinsicht entspricht die erteilte Abweichung den Vorgaben des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO, wonach die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zulassen kann, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar sind. Die umstrittene Frage, ob eine Abweichung vom Abstandsflächenrecht weiterhin eine sog. Atypik voraussetzt, kann hier dahinstehen, da eine solche gegeben wäre (zur Problematik Kraus in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 6 Rn. 74 ff.). Die Zulassung einer Abweichung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, Art. 40 BayVwVfG, das bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO im Falle einer Atypik, so man sie fordert, als intendiertes Ermessen, vergleichbar mit einem „Sollen“, anzusehen ist (BayVGH, B.v. 8.12.2011 - 15 ZB 11.1882 - juris Rn. 15; Dhom/Simon in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 63 Rn. 39 m.w.N.).
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Zu berücksichtigender Zweck der Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO ist die Belichtung und Belüftung von Gebäuden sowie die Wahrung des sozialen Wohnfriedens (BayVGH, B.v. 6.4.2018 - 15 ZB 17.36 - juris Rn. 23; BayVGH, U.v. 3.12.2014 - 1 B 14.819 - NVwZ-RR 2015, 365 Rn. 17). Berücksichtigen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO meint dabei kein strenges Beachten, sondern unter Lockerung der strengen normativen Bindung vielmehr, dass die Bauaufsichtsbehörde den mit der Norm verfolgten Zwecken so weit wie möglich Rechnung tragen soll. Ein Zurückbleiben hinter dem vom Abstandsflächenrecht angestrebten Schutzniveau ist vertretbar, wenn dessen Einhaltung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht geboten ist (BayVGH, B.v. 17.7.2002 - 15 ZB 99.1625 - juris Rn. 16). Solche liegen hier vor, da der oben beschriebene Abschnitt der nördlichen Außenmauer des Vorhabengebäudes zwar jeweils zwei Fensteröffnungen in Erdgeschoss, erstem Obergeschoss und zweitem Obergeschoss in Blickrichtung zur gemeinsamen Grundstücksgrenze enthält, es sich jedoch bei dem unmittelbar angrenzenden klägerischen Gebäude um die Giebelseite einer (landwirtschaftlichen) Scheune handelt, deren Firsthöhe ausweislich der zur nicht mehr streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 8. April 2014 eingereichten Planzeichnungen über die Fenster im zweites Obergeschoss hinausragt. Insofern ist eine etwa mögliche Einsichtnahme unter dem Belang der Wahrung des sozialen Wohnfriedens von untergeordneter Bedeutung, da der Kläger in der Scheune nicht wohnt. Auch soweit man auf die Einsehbarkeit hinsichtlich des übrigen Grundstücks des Klägers, insbesondere dessen Wohnhaus von den im benannten Wandabschnitt des Gebäudes der Beigeladenen eingebrachten Fenstern abstellt, ist zunächst zu bemerken, dass angesichts der Höhe der klägerischen Scheune allenfalls von einem der Fenster im zweiten Obergeschoss ein Einblick möglich sein dürfte. Zudem befindet sich das Wohnhaus des Klägers Luftlinie gut 20 m (Garten) bzw. 25 m (Außenwand Wohnhaus) entfernt von dem besagten Fenster, was eine Gefährdung des sozialen Wohnfriedens fernliegend erscheinen lässt. Soweit die Einsehbarkeit des landwirtschaftlich genutzten Teils des klägerischen Grundstücks betroffen ist, handelt es sich nicht um einen Belang des sozialen Wohnfriedens. Was schließlich die Belange der Belichtung und Belüftung von klägerischen Gebäuden angeht, so ergibt sich durch die Umnutzung des ehemaligen Lagergebäudes zu einem Wohngebäude und den entsprechenden Umbau keine Erhöhung der Belastung für den Kläger, da das Gebäude auch schon vor Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung an seiner jetzigen Position stand und in seiner äußeren Gestalt bis auf die Einbringung von Fenstern auf der Nordseite unverändert bleibt.
33
Im Übrigen handelt es sich bei den klägerischen Gebäuden und demjenigen der Beigeladenen um eine historisch gewachsene Bestandsbebauung, die wechselseitig die Abstandsflächen nicht einhält (Scheune des Klägers, Vorhabengebäude), was schließlich auch durch den jeweils besonderen Grundstückszuschnitt - insbesondere durch den entlang des Scheunengebäudes nach Norden verlaufenden rechtwinkligen Knick im gemeinsamen Grenzverlauf - bedingt ist.
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Darin liegt - wenn man sie noch fordern will - auch die Atypik begründet (Schönfeld in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 21. Ed. 1.2.2022, Art. 6 BayBO Rn. 227 ff. m.w.N. zu den Fallgruppen der Atypik). Diese kann sich nämlich unter anderem auf einen deutlich atypischen Grenzverlauf und eine besondere (städte-)bauliche Situation insbesondere bei gewachsener, dichter Bestandsbebauung stützen (BayVGH, B.v. 21.12.2016 - 9 CS 16. 2278 - juris Rn. 14 f.; BayVGH, U.v. 3.12.2014 - 1 B 14.819 - NVwZ-RR 2015, 365 Rn. 15; BayVGH, B.v. 24.4.2012 - 2 ZB 10.2894 - juris Rn. 5). Dahinter steht der Gedanke, dass der Grundstückseigentümer vorhandene Bausubstanz noch erhalten und sinnvoll nutzen können soll (Dhom/Simon in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 63 Rn. 46), gerade wenn vormals anderweitig genutzte Gebäude in Wohnraum umgewandelt werden. Besonderes Gewicht erhalten diese (richterrechtlichen) Erwägungen durch die jüngst im Rahmen des Gesetzes zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus vom 23. Dezember 2020 (GVBl. 2020, S. 663) eingefügten Art. 46 Abs. 5 BayBO, nach dem u.a. Art. 6 BayBO auf bestehende Bauteile von Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen in bestandsgeschützten Gebäuden, die in Wohnraum umgewandelt werden sollen, keine Anwendung finden und nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO, nach dem von den Anforderungen des Art. 6 BayBO Abweichungen insbesondere zugelassen werden sollen (intendiertes Ermessen), wenn ein rechtmäßig errichtetes Gebäude durch ein Wohngebäude gleicher Abmessung und Gestalt ersetzt wird. Ohne dass es hierauf wegen der bereits bejahten Atypik noch ankommt, liegt hier nahe, dass die Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO erfüllt sind und auch deshalb das Ermessen in Richtung einer Erteilung der Abweichung intendiert war.
35
Vor diesem Hintergrund sind die nachbarlichen Belange des Klägers im Sinne des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO durch den Beklagten adäquat gewürdigt und entsprechend ihres Gewichts in die Abwägung eingestellt worden (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - NVwZ-RR 2008, 84, 85), wenn sie auch im Ergebnis zu Recht zurückgetreten sind. Der Abweichung entgegenstehende öffentliche Belange, insbesondere aus Art. 3 Satz 1 BayBO herrührend, die das Gewicht hätten, die oben bejahte Atypik und das mit ihr einhergehende intendierte Ermessen aufzuwiegen und eine Ablehnung der Abweichung zu tragen, sind nicht ersichtlich. Anders als der Kläger meint muss die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen der Ermessensentscheidung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO hinsichtlich einer Abweichung von den Erfordernissen des Abstandsflächenrechts auch nicht zusätzlich die Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften prüfen. Diese sind, soweit sie etwa bei beantragten Abweichungen gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO eigenständiger Prüfungsgegenstand im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sind, unabhängig von einer Abweichungsentscheidung hinsichtlich der Abstandsflächen (Art. 6 BayBO) zu prüfen. So lassen sich zum einen unnötige Doppelprüfungen vermeiden, zum anderen aber auch eine gesetzgeberisch nicht vorgesehene Ausweitung des Prüfprogrammes des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO. Würde man nämlich über das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Belange in Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO das gesamte Bau(-ordnungs-)recht einschließlich der brandschutzrechtlichen Vorschriften in eine abstandsflächenrechtliche Abweichungsentscheidung mit hinein prüfen und so eine Verknüpfung zwischen den Schutzgütern des Abstandsflächenrechts und (beliebigen) sonstigen öffentlichen Belangen schaffen, verwischte man im Ergebnis jegliche Differenzierung zwischen dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO und dem für Sonderbauten einschlägigen Baugenehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO (BayVGH, B.v. 9.2.2015 - 15 ZB 12.1152 - juris Rn. 17; s.a. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 63 Rn. 15). Überdies würde der Prüfungsumfang im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren andernfalls der Zufälligkeit, ob der Bauherr eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO beantragt hat, preisgegeben werden. Selbst wenn man aber mit der Gegenansicht eine Ausweitung des Prüfungsumfanges im Rahmen der Abweichungsentscheidung hinsichtlich des Abstandsflächenrechts befürworten würde (etwa BayVGH, U.v. 3.12.2014 - 1 B 14.819 - juris Rn. 21; Weinmann in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 21. Ed. 1.2.2022, Art. 63 24 f.) wäre hier kein Ermessensfehler zu Lasten des Klägers erkennbar. Denn zum einen konzediert selbst die Gegenansicht, dass der Nachbar keinen Anspruch darauf habe, dass das Vorhaben in jeder Hinsicht öffentlich-rechtlichen Anforderungen entspreche, sondern lediglich die Belange in die Abwägung einzustellen seien, die durch die die Abweichung auslösende konkrete Maßnahme erstmals oder stärker als bisher beeinträchtigt würden (BayVGH a.a.O.). Der zweite Senat des BayVGH geht sogar davon aus, dass nur eine zum Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde gehörende Norm auch zur Rechtswidrigkeit der Abweichungsentscheidung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO führen kann (BayVGH, B.v. 5.12.2011 - 2 CS 11.1902 - juris Rn. 7, was im Ergebnis wieder der hier vertretenen Ansicht entsprechen dürfte). Zum anderen ist keine drittschützende brandschutzrechtliche Norm ersichtlich, in der der Kläger durch das genehmigte Vorhaben der Beigeladenen verletzt sein könnte. Stellt man zunächst auf die im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zum streitgegenständlichen Bescheid vom 11. Januar 2019 explizit beantragten und mit Bescheid vom 11. Januar 2019 genehmigten Abweichungen von den Vorschriften der Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 BayBO (Decken) ab, die gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO Prüfungsgegenstand im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren sind, so fehlt ihnen mangels Außenwirkung der nachbarschützende Charakter (Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, 55. Update Oktober 2021, Art. 29 Rn. 17). Doch auch jenseits dessen kann keine Verletzung des Klägers in brandschutzrechtlichen Belangen festgestellt werden. Insbesondere muss die nördliche Außenwand des Wohngebäudes der Beigeladenen gegenüber dem Kläger nicht als öffnungslose Brandwand im Sinne des Art. 28 Abs. 8 Satz 1 BayBO ausgestaltet sein, da sie 3,10 m von dessen Grundstücksgrenze entfernt liegt und das Erfordernis einer Brandwand als Gebäudeabschlusswand gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayBO erst bei einem Abstand von weniger als 2,50 m ausgelöst wird. Es ist vielmehr umgekehrt so, dass die grenzständige Giebelseite des Scheunengebäudes des Klägers nach heutiger Rechtslage Brandwandqualität (oder eine Wandqualität, die gemäß Art. 28 Abs. 3 Satz 2 BayBO an die Stelle einer Brandwand treten darf) aufweisen und öffnungslos ausgestaltet sein müsste. Soweit im Brandschutznachweis des Dipl-Ing. (FH) … vom 10. März 2014, der erstmals im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zur nicht mehr streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 8. April 2014 eingereicht wurde, noch Abweichungen von Art. 32 BayBO (Treppen), Art. 33 BayBO (Notwendige Treppenräume, Ausgänge) beantragt wurden, kann dies hier dahinstehen, da beide Vorschriften nicht dem Nachbarschutz dienen (BayVGH, B.v. 4.7.2018 - 9 ZB 17.1984 - juris Rn. 16; Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, 55. Update Oktober 2021, Art. 32 Rn. 13 und Art. 33 Rn. 15).
36
Von alldem einmal abgesehen ist höchst fraglich, ob sich der Kläger im Ausgangspunkt überhaupt auf die Einhaltung des Abstandsflächenrechts gemäß Art. 6 BayBO berufen kann, wo er doch selbst mit seiner zu den Beigeladenen grenzständig stehenden Scheune keine Abstandsfläche einhält. Denn ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben (entsprechend § 242 BGB) bei der Anfechtung einer Baugenehmigung dann nicht mit Erfolg auf die Verletzung des nachbarschützenden Abstandsflächenrechts berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht den Vorgaben des Art. 6 BayBO in der jeweils aktuellen Fassung gegenüber dem Grundstück des Beigeladenen entspricht und die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und wenn der Ausschluss der Berufungsmöglichkeit auf Art. 6 BayBO nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führt (BayVGH, B.v. 19.4.2021 - 15 C 21.907 - juris Rn. 20).
37
Dies zugrunde gelegt ist kein Fehler des Beklagten im Sinne des § 114 VwGO bei der Ermessensausübung im Rahmen der Abweichungserteilung ersichtlich.
38
Im Übrigen, also soweit sie nicht dem Scheunengebäude des Klägers gegenüberliegt, ist die nördliche Außenwand des Vorhabengebäudes mit Bezug auf das klägerische Grundstück abstandsflächenrechtlich unproblematisch, da dessen Grenze wegen des nach dem oben beschriebenen Wandabschnitt rechtwinklig nach Norden abknickenden Grenzverlaufes etwa 20 m entfernt liegt.
39
b) Wie schon unter 2. a) ausgeführt, ist auch hinsichtlich der durch die Beigeladenen beantragten und durch den Beklagten gewährten Abweichung von den brandschutzrechtlichen Vorschriften der Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 BayBO, die gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO Prüfungsgegenstand auch des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens sind, keine Rechtsverletzung des Klägers zu erkennen, da Art. 29 BayBO, der die brandschutzrechtlichen Anforderungen an Decken regelt, schon mangels Außenwirkung nicht den Nachbarn schützt (Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, 55. Update Oktober 2021, Art. 29 Rn. 17).
40
Im Übrigen ist der Brandschutz anders als der Kläger meint nicht Gegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens. Da die feststellende Wirkung der Baugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO auf „die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren“ zu prüfenden Vorschriften - hier die in Art. 59 BayBO genannten - beschränkt ist, scheidet eine Verletzung außerhalb dieses Prüfprogrammes liegender drittschützender Normen zu Lasten des klagenden Nachbarn von vornherein aus (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 68 Rn. 27). Dieser Umstand mag für den Kläger schwer nachzuvollziehen sein, jedoch ist er insoweit nicht rechtsschutzlos gestellt. Ihm verbleibt die Möglichkeit die Bauaufsichtsbehörde hinsichtlich etwaiger, außerhalb des im vereinfachten Genehmigungsverfahren beschränkten Prüfprogrammes liegender Mängel, insbesondere des Brandschutzes, zum bauaufsichtlichen Einschreiten aufzufordern bzw. dieses, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür vorliegen und das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist, mit einer Verpflichtungsklage durchzusetzen. Sofern tatsächlich nur die Abstellung brandschutzrechtlicher Mängel gefordert wird, ist auch der Zivilrechtsweg denkbar.
41
c) Soweit der Kläger die unzureichende tatsächliche Herstellung der erforderlichen Stellplätze durch die Beigeladenen rügt, so ist dies schon keine Frage der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung, da es, wenn überhaupt, auf eine Diskrepanz zwischen den rechtlich erforderlichen und den genehmigten Stellplätzen ankommt. Die mangelnde tatsächliche Herstellung erforderlicher und genehmigter Stellplätze rechtfertigt allenfalls ein bauaufsichtliches Einschreiten. Im Übrigen sind auch die in Art. 47 BayBO geregelten Anforderungen an die Stellplätze als Bauordnungsrecht nicht Gegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO (s.o.) und entfalten davon abgesehen keine nachbarschützende Wirkung. Allenfalls erscheint eine Berücksichtigung bei der Prüfung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes denkbar, die aber im Ergebnis zu keiner Rechtsverletzung des Klägers führt (s.u. unter 3. und Hensel in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 21. Ed. 1.11.2019, Art. 47 BayBO Rn. 19 f.).
42
3. Auch ein Verstoß gegen die über Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO zu prüfenden Vorschriften der §§ 29-38 BauGB liegt nicht vor.
43
a) Hinsichtlich der durch die Beigeladenen angedachten Wohnnutzung gibt es weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag der Beteiligten Anhaltspunkte dafür, dass sie sich ihrer Art nach nicht nach § 34 Abs. 1 oder Abs. 2 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wobei am ehesten von einem faktischen Dorfgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO auszugehen sein dürfte.
44
b) Auch für eine Verletzung des in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und § 34 Abs. 1 BauGB („einfü-gen“) verankerten Rücksichtnahmegebots spricht hier nichts. Das drittschützende Rücksichtnahmegebot wird aktiviert, „wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (BVerwG, U.v. 5.12.2013 - 4 C 5/12 - NVwZ 2014, 370 Rn. 21). Die Anforderungen, die das Rücksichtnahmegebot an die Zulässigkeit des Vorhabens stellt, hängen wesentlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des durch das Vorhaben Betroffenen ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er sich in Rücksichtnahme üben. Es ist also darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 15.10.2019 - 15 ZB 19.1221 - juris Rn. 15; B.v. 5.4.2019 - 15 ZB 18.1525 - BeckRS 2019, 7160 Rn. 9; s.a. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (EZBK), BauGB, 143. EL August 2021, § 34 Rn. 141).
45
Eine etwa erdrückende oder abriegelnde Wirkung (BayVGH, B.v. 23.4.2014 - 9 CS 14.222 - juris Rn. 12) des Bauvorhabens der Beigeladenen scheidet schon deswegen aus, weil sich die Abmessungen des Gebäudes durch die genehmigte Nutzungsänderung und die vornehmlich im Inneren stattfindenden Bauarbeiten nicht ändern und insofern keine Eingriffsvertiefung durch die streitgegenständliche Baugenehmigung stattfindet.
46
Hinsichtlich der Stellplatzfrage ist eine Betroffenheit im Gebot der Rücksichtnahme zwar grundsätzlich denkbar, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze erfolgt und dies zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Nachbarn durch Parksuch- und Parkverkehr führt oder wenn eine bestimmungsgemäße Nutzbarkeit seines Grundstückes nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich ist (BayVGH, B.v. 9.5.2016 - 2 AS 16.420 - juris Rn. 7). Eine diesbezügliche Verletzung des Klägers ist jedoch aus mehreren Gründen abzulehnen:
47
Zunächst ist klarzustellen, dass Streitgegenstand dieses Verfahrens nur die Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheides vom 18. Oktober 2021 und das durch sie genehmigte Vorhaben auf der FlNr. … - Nutzungsänderung eines bestehenden Lagerhauses zum Wohngebäude - ist. Insofern kann der Kläger mit seinem Vortrag, dass die für ein weiteres Grundstück der Beigeladenen mit der FlNr. …, welches u.a. mit einem Wohngebäude für mehrere Mieter bebaut ist, durch bestandskräftigen Genehmigungsbescheid vom 15. Dezember 2015 geforderten sechs Stellplätze den Mietern tatsächlich nicht zur Verfügung stünden und diese daher in der umliegenden R … straße parkten, schon im Ansatz nicht durchdringen. Die Prüfung des Rücksichtnahmegebotes berechtigt das Gericht nicht dazu, den Streitgegenstand nach Belieben auszuweiten und gleichsam eine streitgegenstandsübergreifende Gesamtbetrachtung aller baurechtlichen Konflikte zwischen Kläger und Beigeladenen in der näheren räumlichen Umgebung vorzunehmen. Insofern bleibt dem Kläger nur, auf bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten hinsichtlich der Stellplatzsituation auf dem weiteren Grundstück der Beigeladenen (FlNr. … ) hinzuwirken.
48
Aus Perspektive des Rücksichtnahmegebotes rügefähig wäre in diesem Verfahren hingegen nur der Umstand, dass die im Bescheid vom 11. Januar 2019 für das Vorhaben der Beigeladenen geforderten zwei Stellplätze (Ziffer II. 2.) hinter den rechtlichen Anforderungen des Art. 47 BayBO zurückbleiben und es hierdurch zu unzumutbaren Beeinträchtigungen für den Kläger kommt. Jedoch hat der Beklagte gemäß Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO, Abs. 2 Satz 1 BayBO i.V.m. § 20 und Ziffer 1.1 der Anlage zur Garagen- und Stellplatzverordnung (GaStellV) zutreffend die Herstellung zweier Stellplätze gefordert und deren räumliche Verortung, wie auf den Bauantragsunterlagen eingezeichnet, genehmigt. Da genau so viele Stellplätze genehmigt wurden wie erforderlich sind, scheidet eine diesbezügliche Verletzung des Klägers im Gebot der Rücksichtnahme aus. Soweit nach dem klägerischen Vortrag zutreffen sollte, dass die Beigeladenen nur einen der zwei geforderten Stellplätze für das streitgegenständliche Vorhaben tatsächlich hergestellt haben, hat dies keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung - diese entspricht nämlich den stellplatzrechtlichen Vorgaben - sondern kann nur ein etwaiges bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten rechtfertigen. Darüber hinaus trägt der Kläger selbst vor, dass die Beeinträchtigung seiner Hofeinfahrt durch die in der R … straße parkenden Pkw der auf einem anderen als dem Vorhabengrundstück wohnenden Mieter (FlNr. … ) der Beigeladenen verursacht werde, weil die Beigeladenen auf diesem Grundstück (FlNr. … ) die vorzuhaltenden Stellplätze selbst nutzen würden, anstatt sie ihren Mietern zur Verfügung zu stellen. Damit räumt der Kläger ein, dass er nicht durch die angefochtene Baugenehmigung vom 11. Januar 2019 und die darin geregelten Stellplatzanforderungen belastet ist, sondern allenfalls durch eine andere, nicht streitgegenständliche Baugenehmigung für das Nachbargrundstück (FlNr. … ).
49
4. Nach alldem war auch den zahlreichen Beweisanregungen des Klägers mangels Entscheidungserheblichkeit nicht nachzugehen.
50
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen müssen, § 162 Abs. 3 VwGO.
51
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.