Titel:
Unzulässige echte Rückwirkung einer Entwässerungssatzung, Zulässigkeit des Verweises auf DIN-Normen in einer Entwässerungssatzung (offen gelassen), Dichtheitsnachweis, Ermessen
Schlagworte:
Unzulässige echte Rückwirkung einer Entwässerungssatzung, Zulässigkeit des Verweises auf DIN-Normen in einer Entwässerungssatzung (offen gelassen), Dichtheitsnachweis, Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 10514
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Verpflichtung, für sein Grundstück einen Dichtigkeitsnachweis zu erbringen.
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Der Beklagte, ein gemeinsames Kommunalunternehmen mehrerer Gemeinden am …, betreibt nach § 1 Abs. 1 seiner Satzung für die öffentliche Entwässerungsanlage vom 3. April 2012 (Entwässerungssatzung - EWS 2012) eine Entwässerungsanlage als öffentliche Einrichtung zur Abwasserbeseitigung unter anderem für das Gebiet der Gemeinde … … … Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 EWS 2012 ist der Grundstückseigentümer verpflichtet, die von ihm zu unterhaltenden Grundstücksentwässerungsanlagen in Abständen von 10 Jahren durch einen fachlich geeigneten Unternehmer auf Bauzustand, insbesondere Dichtigkeit und Funktionsfähigkeit, untersuchen und festgestellte Mängel beseitigen zu lassen. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 EWS 2012 sind die Dichtheit der Leitungen und der übrigen Teile der Grundstücksentwässerungsanlagen durch Druckprüfungen gemäß DIN 1986 - Teil 30 in der jeweils gültigen Fassung bzw. diese ändernden oder ergänzenden Fassungen nachzuweisen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 6 EWS 2012 ist dem Beklagten über die durchgeführten Untersuchungen eine Bestätigung des damit beauftragten Unternehmens vorzulegen.
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Die neue Satzung des Beklagten für die öffentliche Entwässerungseinrichtung vom 2. Dezember 2020 (EWS 2020) wurde im Amtsblatt des Landkreises ... am 15. Dezember 2020 bekannt gemacht und trat gemäß § 23 Abs. 1 EWS 2020 rückwirkend zum 1. Januar 2020 in Kraft.
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Der Kläger ist Eigentümer des Anwesens … straße 31 in … … … (Fl.Nr. …, Gemarkung …).
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Mit Schreiben des Beklagten vom 10. November 2016 wurde der Kläger informiert, dass der Beklagte in den Jahren 2015 und 2016 erhebliche Sanierungen im Kanalnetz der … straße vorgenommen habe. Es seien alle Schäden im öffentlichen Kanalnetz behoben worden; nunmehr sei die Dichtheit der (öffentlichen) Kanäle sichergestellt. Die öffentlichen Kanäle des Beklagten sowie die privaten Kanäle der Grundstückseigentümer stellten aber eine untrennbare technische Funktionseinheit dar. Der Kläger werde daher gebeten, bis 15. Februar 2017 eine Dichtheitsprüfung der Entwässerungsanlage auf seinem Grundstück durchführen zu lassen.
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Mit weiterem Schreiben vom 14. Februar 2018 erinnerte der Beklagte den Kläger an die Durchführung der Dichtigkeitsprüfung und setzte eine weitere Nachfrist. Da diese erfolglos verstrich, wurde der Kläger mit Bescheid des Beklagten vom 7. Juni 2018 zum Nachweis der Dichtheit der Grundstücksentwässerungsanlage auf seinem Grundstück verpflichtet. Dieser Bescheid wurde im dagegen angestrengten gerichtlichen Verfahren bei dem Verwaltungsgericht München M 10 K 18.3355 wegen Ermessensausfalls vom Beklagten aufgehoben und das Klageverfahren eingestellt. Ein weiterer inhaltsgleicher Bescheid des Beklagten vom 9. August 2018 wurde im dagegen gerichteten gerichtlichen Verfahren bei dem Verwaltungsgericht München M 10 K 18.4543 wegen fehlender Berücksichtigung privater Interessen im Rahmen des Ermessens durch den Beklagten aufgehoben und das Klageverfahren mit Beschluss vom 1. April 2020 eingestellt.
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Mit Bescheid des Beklagten vom 31. März 2020, zugestellt ausweislich der Postzustellungsurkunde am 8. April 2020, wurde der Kläger verpflichtet, bis 4 Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids für die Grundstücksentwässerungsanlage auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … einen Dichtigkeitsnachweis entsprechend § 12 Abs. 2 EWS (Anm.: EWS 2012) zu erbringen. Diese Dichtigkeit sei in Form einer Druckprobe gemäß DIN 1986 - Teil 30 nachzuweisen und die entsprechenden Prüfunterlagen bei dem Beklagten vorzulegen (Nr. 1 des Bescheids). Falls der Grundstückseigentümer diese Verpflichtungen nicht fristgerecht erfülle, würden nach Nummer 2 des Bescheids Zwangsgelder zur Zahlung fällig, und zwar ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR bei Nichtprüfung der Grundstücksentwässerungsanlage auf Dichtigkeit durch eine Druckprobe und ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 EUR bei Nichtvorlage der Prüfungsunterlagen.
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Der Bescheid werde auf § 12 Abs. 2 EWS (Anm.: EWS 2012) gestützt. Nach dieser Vorschrift müssten Grundstückseigentümer die Dichtheit der Grundstücksentwässerungsanlage durch Druckprüfung gemäß DIN 1986 - Teil 30 in der jeweils gültigen Fassung nachweisen. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sei vorliegend ein Einschreiten im öffentlichen Interesse notwendig. Durch undichte Grundstücksentwässerungsanlagen dringe Grundwasser in die Entwässerungsanlage, was Kanalnetz und Kläranlage zusätzlich belaste. Die dadurch verursachte Verdünnung des Abwassers führe dazu, dass übergroße Mengen von Abwasser durch die Kanäle abgeleitet werden müssten, was ein erhebliches hydraulisches Problem darstelle. Zudem liefen Regenrückhaltebecken schneller über und die Kläranlage arbeite mit einem schlechteren Wirkungsgrad, wodurch höhere Betriebskosten anfielen. Es sei nicht ausreichend, dass nur die öffentliche Entwässerungsanlage überprüft werde, da öffentliche und private Anlagen eine untrennbare technische Funktionseinheit darstellten. Der Beklagte verkenne nicht die Kosten für den Grundstückseigentümer. Das Interesse der Allgemeinheit an einem ordnungsgemäßen, den wasserwirtschaftlichen Vorgaben entsprechenden Betrieb der Grundstücksentwässerungsanlage sei jedoch höher zu bewerten als diese Kosten. Der Beklagte habe in gleich gelagerten Fällen bisher ebenfalls immer eine Dichtigkeitsprüfung gefordert.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 8. Mai 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage erhoben und beantragt,
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Der Bescheid des Beklagten vom 31. März 2020 wird aufgehoben.
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Zur Begründung der Klage wird vorgetragen, das Anwesen des Klägers befinde sich im Ortsteil … Die dort befindlichen Häuser zeichneten sich durch ein hohes Alter aus. Das Gebäude auf dem Grundstück des Klägers sei wohl 500 Jahre alt. Seit dem letzten Umbau in den 1990er Jahren handle es sich um ein Haus mit zwei getrennten Wohneinheiten. Der in den 1990er Jahren gebaute Teil werde vom Kläger als Ferien- und Wochenendhaus genutzt. Der alte Teil werde von der vormaligen Eigentümerin des Hauses bewohnt, die 91 Jahre alt sei und ein Alterswohnrecht besitze. Die Dame sei gehbehindert und pflegebedürftig. Die Druckproben, die auch von anderen Eigentümern älterer Häuser im Ortsteil … verlangt worden seien, seien nicht bestanden worden. Die vom Beklagten geforderten Maßnahmen könnten aufgrund des Alters des in der … vorhandenen Bautenbestands nicht erreicht werden. Der Beklagte habe bei Eigentümern, bei denen Druckproben nicht bestanden worden seien, zunächst Nachbesserungen und Sanierungen verlangt, die Anliegen jedoch dann nicht weiter verfolgt. Die vom Beklagten verlangte Druckprobe berge die Gefahr, dass ein vorhandenes und funktionsfähiges Leitungsnetz beschädigt werde. Im Übrigen würde die Bewohnerin des alten Hausteils massiv beeinträchtigt. Sie müsste für die Dauer der Sanierungsarbeiten das Anwesen verlassen. Im Rahmen der Interessenabwägung müsse der Gesundheitszustand der Bewohnerin Vorrang haben. Im streitgegenständlichen Bescheid sei im Übrigen bei der Ermessensabwägung wiederum nur auf öffentliche Interessen abgestellt worden.
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Der Beklagte beantragt,
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Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wird vorgetragen, dass der Beklagte bei allen Bestandsentwässerungsanlagen eine Dichtigkeitsprüfung in Form einer sogenannten „Scheitelfüllung“ mit Wasser verlange. Dabei werde die Leitung bis zum tiefsten Entwässerungspunkt im Haus mit Wasser gefüllt und der Stand des Wassers beobachtet. Es werde insoweit bei Bestandsanlagen keine klassische Druckprobe mit Luft durchgeführt, so dass der geringstmögliche Eingriff gewählt werde. Dieses Verfahren habe der Kläger auch anhand der ihm übersandten Informationsbroschüre nachvollziehen können. Im fraglichen Bereich der … straße seien 35 Grundstücke an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen; hiervon hätten 24 Grundstücke die Dichtigkeitsprüfung bereits ausgeführt und in 18 Fällen sei bereits saniert worden. Bei weiteren Grundstücken sei die Dichtigkeitsprüfung bereits in Auftrag gegeben; die Verzögerung der Ausführung sei der Auftragslage bei den Baufirmen geschuldet. Durch die Dichtigkeitsprüfung mit Wasserfüllung werde dem Alter der Kanäle Rechnung getragen, so dass es hier nicht zu Beschädigungen kommen könne. Im Übrigen sei das Alter der Entwässerungsanlage nicht von Bedeutung, da auch alte Entwässerungsanlagen dicht sein müssten. Auch die Argumentation hinsichtlich der Belastung der Bewohnerin könne nicht durchgreifen, da die Arbeiten für die Dichtigkeitsprüfung keine Baumaßnahmen beinhalteten. Auch anschließend eventuell notwendige Sanierungsarbeiten könnten zu 90% in geschlossener Bauweise durchgeführt werden. Ein Auszug der Bewohnerin sei nicht notwendig. Im angefochtenen Bescheid seien auch die privaten Belange des Klägers berücksichtigt worden.
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Mit Schriftsatz vom 1. Februar 2021 hat der Kläger hierauf repliziert, dass die im Bescheid in Bezug genommene DIN 1986 - Teil 30 dem Hauseigentümer drei Möglichkeiten des Nachweises der Dichtigkeit bei bestehenden Anlagen biete, nämlich die Wasserverlustmessung, die Druckprüfung mit Luft sowie eine Kamerainspektion. Technisch sei bereits die optische Prüfung durch Kamerainspektion ausreichend. Im Bescheid fehlten Ausführungen, warum im vorliegenden Fall darüber hinaus eine Druckprüfung gefordert werde. Es sei aus dem Bescheid zudem nicht ersichtlich, dass eine „Scheitelfüllung“ ausreichend sei. Im Bescheid sei nicht erkennbar, welche Form der Druckprüfung vom Kläger verlangt werde. Insoweit sei der Bescheid zu unbestimmt. Im Übrigen sei die gesetzte Frist von 4 Wochen unrealistisch.
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Der Beklagte führt in seiner Stellungnahme vom 24. August 2021 hierzu aus, dass im vorliegenden Fall eine einfache Dichtigkeitsprüfung (DR2) nach § 12 Abs. 2 b) EWS 2020 durchzuführen sei. Die Dichtigkeitsprüfung DR2 sei in der DIN 1986 - Teil 30 beschrieben, wobei hier eine Scheitelfüllung gefordert werde. Die Fristsetzung im Bescheid bewege sich im Rahmen der üblichen Ausführungszeiten von einschlägigen Unternehmen. Im Übrigen habe der Kläger seit dem Jahr 2016 Zeit gehabt, eine Dichtigkeitsprüfung zu veranlassen.
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Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 19. Januar und 1. Februar 2021 mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 31. März 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Rechtsgrundlage für die Anordnung in Nummer 1 des angefochtenen Bescheids vom 31. März 2020, einen Dichtigkeitsnachweis zu erbringen, ist nicht die zum 1. Januar 2020 rückwirkend in Kraft getretene Entwässerungssatzung des Beklagten vom 2. Dezember 2020, sondern diejenige vom 3. April 2012.
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a) Hierbei kann dahinstehen, ob das ausdifferenzierte System der Verweisung auf DIN-Normen in § 12 Abs. 2 EWS 2020 wirksam ist (zur Problematik des Verweises auf DIN-Normen in gemeindlichen Satzungen vgl. insbesondere: BayVGH, B.v. 26.6.2015 - 4 ZB 15.150 - juris Rn. 11 ff.; B.v. 4.6.2018 - 4 ZB 17.2066 - juris Rn. 12; OVG NRW, U.v. 9.5.2006 - 15 A 4247/03 - juris Rn. 22 ff.; U.v. 20.3.2007 - 15 A 69/05 - juris Rn. 35 ff.; U.v. 4.2.2020 - 15 A 3136/18 - juris Rn. 52 ff.). Denn die Entwässerungssatzung von 2020 ist vorliegend schon deswegen nicht anwendbar, weil sie aufgrund ihrer Teilnichtigkeit hinsichtlich der Rückwirkungsanordnung zum 1. Januar 2020 in § 23 Abs. 1 EWS 2020 erst ab ihrer Bekanntmachung im Dezember 2020 Anwendung findet. Da im hier einschlägigen Fall der Anfechtungsklage maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ist, hier der Bescheidserlass am 31. März 2020, ist auf den angegriffenen Bescheid die vorher gültige Entwässerungssatzung von 2012 anzuwenden.
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aa) Die Rückwirkungsanordnung in § 23 Abs. 1 EWS 2020 ist nichtig.
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(1) Zwar dürfte vorliegend der Rückwirkung nicht entgegenstehen, dass grundsätzlich eine öffentliche Einrichtung nicht rückwirkend gewidmet werden kann. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine echte rückwirkende Widmung, da bereits vorher eine gewidmete öffentliche Einrichtung des Beklagten existierte (vgl. Entwässerungssatzung des Beklagten vom 3.4.2012), die in den maßgeblichen Benutzungsregelungen auch nicht zu beanstanden war (vgl. VG München, U.v. 14.11.2019 - M 10 K 18.4550, M 10 K 18.5996 - juris Rn. 27). Insoweit kann nicht von einer erstmaligen rückwirkenden Widmung einer öffentlichen Einrichtung ausgegangen werden, so dass damit auch nicht erstmals eine Belastung für die Normunterworfenen verbunden ist.
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(2) Aber aufgrund der übrigen Anforderungen, die durch die Entwässerungssatzung von 2020 gestellt werden, ergibt sich eine unzulässige echte Rückwirkung.
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(aa) Es liegt hier eine echte Rückwirkung vor, da durch die Entwässerungssatzung von 2020 nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen wird. Es werden in dieser Satzung teilweise neue und teilweise strengere Anforderungen im Vergleich zur Entwässerungssatzung von 2012 geschaffen. Insbesondere wird in § 11 Abs. 2 EWS 2020 erstmals eine Kostentragungspflicht für den Eigentümer vorgesehen. Die Überwachungsregelung in § 12 EWS 2020 ist deutlich kleinteiliger und ausdifferenzierter gestaltet. Zudem werden in § 21 EWS 2020 neue Ordnungswidrigkeitentatbestände eingeführt.
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(bb) Diese echte Rückwirkung ist unzulässig.
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Eine echte Rückwirkung ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz), insbesondere dem Vertrauensschutz der Bürger, grundsätzlich unzulässig. Sie ist nur zulässig in Fällen, in denen das Vertrauen der Bürger als nicht hinreichend schutzwürdig angesehen wird. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die Neuregelung für den Bürger absehbar war. Der Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes steht einer echten Rückwirkung dann nicht im Weg, wenn die betroffenen Kreise mit ihr rechnen mussten, wenn z.B. eine Änderung des Rechts angekündigt wurde und die zeitlich vor dem Beschluss der Neuregelung beginnende (Aus-)Wirkung der Rechtsänderung zur Vermeidung von Ankündigungseffekten als zwingender Grund des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Ferner kommt eine echte Rückwirkung ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sie der Bereinigung einer unklaren oder verworrenen Rechtslage oder der Ersetzung von ungültigem Recht bzw. Recht, dessen Gültigkeit zweifelhaft war, dient. Schließlich greift das Verbot echter Rückwirkung nicht, wenn der Betroffene nicht schutzwürdig ist, weil ihm entweder nur ein ganz unerheblicher Nachteil entsteht, die Beeinträchtigung also nur eine Bagatelle ist oder nur verfahrensrechtliche Vorschriften ohne größere Bedeutung betroffen sind (vgl. zum Ganzen: Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Stand: 95. EL Juli 2021, Art. 20 GG Rn. 80 ff.).
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Diese Ausnahmen einer ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Unabhängig davon, ob hier eine rechtzeitige Ankündigung der Neuregelung erfolgt ist, ist jedenfalls nicht erkennbar, dass eine rückwirkende Änderung der Rechtslage aus einem zwingenden Grund des Gemeinwohls erforderlich war. Es existierte gerade eine wirksame Entwässerungssatzung, nämlich die vom 3. April 2012 (vgl. hierzu sogleich). Damit liegt auch nicht die Fallgruppe der unklaren bzw. verworrenen Rechtslage oder der Nichtigkeit der Vorgängersatzung vor. Im Übrigen sind mit der Neuregelung nicht nur verfahrensrechtliche Vorschriften ohne größere Bedeutung verbunden, da insbesondere neue Ordnungswidrigkeitentatbestände eingeführt werden.
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bb) Die Unzulässigkeit der echten Rückwirkung führt zur Nichtigkeit der Rückwirkungsanordnung in § 23 Abs. 1 EWS 2020. Es handelt sich insoweit jedoch lediglich um eine Teilnichtigkeit der Satzung, die nicht die Gesamtnichtigkeit der Entwässerungssatzung von 2020 zur Folge hat. Denn es ist anzunehmen, dass der Satzungsgeber, hätte er die Nichtigkeit der Rückwirkungsanordnung gekannt, gewollt hätte, dass die Entwässerungssatzung von 2020 im Übrigen in Kraft bleibt. Aufgrund dieser Teilnichtigkeit ist die Entwässerungssatzung von 2020 nicht rückwirkend, sondern erst ab ihrer Bekanntmachung im Dezember 2020 anwendbar. Sie greift damit für den hier streitgegenständlichen Bescheid vom 31. März 2020 nicht.
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b) Rechtsgrundlage für die Anordnung des Dichtigkeitsnachweises im angegriffenen Bescheid ist deswegen die Entwässerungssatzung von 2012. Diese ist wirksam.
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aa) Im Hinblick auf die formelle Rechtmäßigkeit der Entwässerungssatzung von 2012 sind Rechtsfehler weder vorgetragen noch erkennbar. Insbesondere war der Beklagte, ein gemeinsames Kommunalunternehmen mehrerer Gemeinden, das mit der Abwasserbeseitigung betraut ist, nach seiner Unternehmenssatzung dazu berechtigt, anstelle der Gemeinden Satzungen zu erlassen (vgl. hierzu bereits: VG München, U.v. 14.11.2019, a.a.O., Rn. 24).
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bb) Die Entwässerungssatzung von 2012 ist auch materiell rechtmäßig.
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Zwar trifft auch diese, am 3. April 2012 ausgefertigte Satzung eine Rückwirkungsanordnung, da sie gemäß § 22 EWS 2012 ab 1. April 2012 gilt. Unabhängig davon, ob dies zulässig ist, kann diese dann jedenfalls ab ihrer Bekanntmachung geltende Satzung aber die Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 31. März 2020 bilden.
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Die Entwässerungssatzung von 2012 findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 24 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 Gemeindeordnung. Sie ist in den maßgeblichen Benutzungsregelungen rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. VG München, U.v. 14.11.2019, a.a.O., Rn. 27). Auch die hier einschlägigen Rechtsgrundlagen für die Anordnung eines Dichtigkeitsnachweises in §§ 12, 21 EWS 2012 unterliegen im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Die Regelung in § 12 EWS 2012 entspricht in den hier maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen der Mustersatzung von 2012 (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 6.3.2012, Az.: IB1-1405.12-5, AllMBl 3/2012, S. 182 ff.). Lediglich der Verweis in § 12 Abs. 2 Satz 3 EWS 2012, die Dichtheit der Leitungen durch Druckprüfungen gemäß DIN 1986 - Teil 30 nachweisen zu müssen, weicht von der Mustersatzung ab. Insoweit ist problematisch, dass auf eine DIN-Norm und damit ein privates Regelwerk verwiesen wird, das der Satzung nicht als Anlage beigefügt war. Denn DIN-Normen werden nicht in gleicher Weise publiziert wie staatliche Normen. Im Übrigen sind DIN-Normen nicht allgemein zugänglich. Sie müssen grundsätzlich gekauft werden und sind im Internet allenfalls in Auszügen einsehbar. Hinzu kommt, dass es sich um einen dynamischen Verweis handelt (vgl. zu dieser Problematik die bereits oben zitierte Rechtsprechung).
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Ob die Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 3 EWS 2012 vor diesem Hintergrund wirksam ist, kann an dieser Stelle jedoch offenbleiben, da eine Nichtigkeit dieser Regelung nur zur Teilnichtigkeit der Satzung führen würde und bei unterstellter Teilnichtigkeit die Vorschrift in § 12 Abs. 2 Satz 1 EWS 2012 als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ausreicht. Denn § 12 Abs. 2 Satz 1 EWS 2012 verpflichtet den Grundstückseigentümer ganz allgemein, die von ihm zu unterhaltenden Grundstücksentwässerungsanlagen auf Bauzustand, insbesondere Dichtigkeit und Funktionsfähigkeit, untersuchen zu lassen, was auch der Mustersatzung entspricht.
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Im Übrigen kann der Kläger mit seiner Rüge, es fehle den Regelungen zum Dichtigkeitsnachweis in der Entwässerungssatzung von 2012 an einer Härtefallklausel, nicht durchdringen. Einer Härtefallklausel, nach der etwa wegen einer Unzumutbarkeit im Einzelfall von der Anordnung eines Dichtigkeitsnachweises abgesehen werden muss, bedarf es nicht, da die Anordnung eines Dichtigkeitsnachweises gemäß § 21 Abs. 1 EWS 2012 eine Ermessensentscheidung ist, über die Härtefällen gerade Rechnung getragen werden kann.
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2. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere war der Beklagte für den Erlass des Bescheids nach der Unternehmenssatzung zuständig (vgl. hierzu bereits: VG München, U.v. 14.11.2019, a.a.O., Rn. 24). Die wegen der Zwangsgeldandrohungen erforderliche Zustellung des Bescheids ist auch in nicht zu beanstandender Weise mittels Postzustellungsurkunde erfolgt (Art. 36 Abs. 7 Satz 1, Art. 1 Abs. 5, Art. 3 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG).
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3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
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a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Satz 1 EWS 2012 sind erfüllt. Der Kläger ist als Grundstückseigentümer richtiger Adressat des Bescheids. Der Bescheid verlangt im Einklang mit der Rechtsgrundlage in § 12 Abs. 2 Satz 1 EWS 2012 einen Dichtigkeitsnachweis. Dem steht unter Bestimmtheitsgesichtspunkten nicht entgegen, dass die Erbringung des Nachweises durch eine „Druckprobe gemäß DIN 1986 - Teil 30“ angeordnet wird (Nr. 1 Satz 2 des angefochtenen Bescheids). Denn die Grundstückseigentümer können den von ihnen verlangten Dichtigkeitsnachweis nur durch Einschaltung sachkundiger Personen erbringen, da ihnen die eigene Sachkunde fehlt. Diesem Personenkreis ist aber klar, welche Untersuchungsmethode mit der genannten DIN-Norm gemeint ist (vgl. hierzu: OVG NRW, U.v. 20.3.2007 - 15 A 69/05 - juris Rn. 40).
41
Der Bescheid ist auch nicht deswegen zu unbestimmt, weil aus ihm nicht explizit erkennbar ist, dass - wie vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgetragen - eine einfache Dichtigkeitsprüfung im Sinne der DIN 1986 - Teil 30 ausreichend ist. Zwar differenziert die DIN-Norm nach „normaler“ Dichtheitsprüfung DR1 (wohl vorzugsweise mit Wasser, aber auch mit Luft), einfacher Dichtheitsprüfung DR2 und optischer Prüfung. Aus dem Wortlaut des Bescheids ist allerdings nur klar, dass eine optische Prüfung nicht ausreicht. Dies beeinträchtigt den Kläger aber nicht in seinen Rechten. Denn da der Bescheid keine Vorgaben zum nach der DIN-Norm möglichen Prüfverfahren macht, kann sich der Kläger für das aus seiner Sicht schonendste Verfahren entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 26.6.2015, a.a.O., Rn. 15).
42
Schließlich begegnet die im Bescheid gesetzte Umsetzungsfrist von 4 Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids keinen rechtlichen Bedenken, da dieser Zeitraum nicht unangemessen kurz ist und der Kläger letztlich seit dem Jahr 2016 von der anstehenden Verpflichtung Bescheid weiß.
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b) Fehler der nach § 21 Abs. 1 EWS 2012 erforderlichen Ermessensausübung sind nicht erkennbar.
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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO hinsichtlich des Verwaltungsakts auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
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Im vorliegenden Fall sind im angegriffenen Bescheid das öffentliche Interesse an der Vornahme der Dichtigkeitsprüfung sowie das private Interesse des Grundstückseigentümers, insbesondere die Kostentragung, berücksichtigt und in nicht zu beanstandender Weise abgewogen worden. Soweit der Kläger im gerichtlichen Verfahren weitere private Aspekte geltend gemacht hat, hat sich der Beklagte in seinen gerichtlichen Schriftsätzen damit auseinandergesetzt und insoweit sein Ermessen im Sinne von § 114 Satz 2 VwGO ergänzt.
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Die vom Kläger im gerichtlichen Verfahren angeführte reine Kamerainspektion ist zwar ein milderes, aber nicht ein ebenso wirksames Mittel, da sie nur den sichtbaren baulichen Zustand der Anlage aufzeigt, nicht aber deren Dichtheit nachweist. Überdies wird hier lediglich eine einfache Dichtigkeitsprüfung gefordert, die den geringstmöglichen Eingriff durch eine Druckprobe darstellt. Hierdurch kommt es laut dem Beklagten nicht zu Beschädigungen an der Entwässerungsanlage des Klägers. Zudem ist der Vortrag des Klägers, dass viele alte Häuser im Ortsteil … die Druckproben nicht bestanden hätten und der Beklagte das Anliegen dann nicht weiterverfolgt habe, durch nichts belegt. Der Beklagte ist diesem Sachvortrag in überzeugender Weise entgegengetreten. Nach den vom Kläger nicht bestrittenen Ausführungen des Beklagten ist in gleichmäßiger Weise gegen alle Eigentümer des Ortsteils … vorgegangen worden. Von den 35 an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossenen Grundstücken sind bei 24 Grundstücken die Dichtigkeitsprüfungen bereits ausgeführt und in 18 Fällen ist bereits saniert worden. Bei weiteren Grundstücken ist die Dichtigkeitsprüfung in Auftrag gegeben. Das vom Kläger darüber hinaus angeführte Alter des Gebäudes ist per se kein Argument für die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung eines Dichtigkeitsnachweises; auch alte Anlagen müssen dicht sein. Im Übrigen ist nach dem nachvollziehbaren Vortrag des Beklagten die angeordnete Druckprüfung nicht mit dem Auszug der betagten Bewohnerin des Anwesens verbunden. Dies könnte allenfalls bei einer Sanierung der Fall sein, um die es hier aber gerade nicht geht.
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c) Die in Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordneten Zwangsgelder finden ihre Rechtsgrundlage in § 21 Abs. 2 EWS 2012 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, 31, 36 Abs. 1 Satz 1 VwZVG. Bei der Androhung wird im Hinblick auf die zwei verschiedenen Verpflichtungen in Nummer 1 des angefochtenen Bescheids differenziert. Die Höhe der angeordneten Zwangsgelder hat der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise nach pflichtgemäßem Ermessen entsprechend dem wirtschaftlichen Interesse des Pflichtigen bestimmt (vgl. Art. 31 Abs. 2 VwZVG).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung fußt auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.