Titel:
Verwirkung eines Widerrufs- oder Rücktrittsrecht trotz fehlerhafter Belehrung
Normenkette:
VVG § 5a, § 8 aF
Leitsätze:
1. Trotz fehlerhafter Belehrung zu einem Widerrufs- oder Rücktrittsrecht können Einflussnahmen des Versicherungsnehmers auf den Vertrag, die über eine bloße Beitragszahlung hinausgehen, in ihrer Gesamtheit für eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf das Fortbestehen eines Lösungsrechts sprechen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Werbung des Versicherers mit einer "Flexibilität des Vertrags" steht der auf dem aktiven Vertragsmanagement des Versicherungsnehmers beruhenden Wertung einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf ein Widerrufs- oder Rücktrittsrecht nicht entgegen. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
fondsgebundene Lebensversicherung, fehlerhafte Belehrung, Widerrufsrecht, Rücktrittsrecht, rechtsmissbräuchlich, Vertragsmanagement, Flexibilität, Werbung
Vorinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 23.08.2021 – 1 U 122/21
LG Coburg, Endurteil vom 09.03.2021 – 22 O 403/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 18.12.2024 – IV ZR 368/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 68434
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 09.03.2021, Aktenzeichen 22 O 403/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Coburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 32.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Coburg vom 09.03.2021 sowie den Hinweis des Senats vom 15.06.2021 Bezug genommen.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Coburg vom 09.03.2021, Az.: 22 O 403/20, wie folgt abzuändern:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, wann und in welcher Höhe Zahlungen des Klägers als Sparprämie dem Fondsvermögen der Verträge -005, -006, -007 und -009 zugeflossen sind.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, welche Rückkaufwerte (gemäß § 176 Abs. 1 und Abs. 3 VVG a.F.) die Verträge -005, -006, -007 und -009 zum Zeitpunkt des Zugangs des Kündigungsschreibens hatten, dies ohne Durchführung eines „Abzugs“ gemäß § 176 Abs. 4 bzw. § 174 Abs. 4 VVG a.F.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen nach den Auskünften gemäß 1. und 2. durch den Kläger zu beziffernden Betrag, mindestens aber einen Betrag in Höhe von 32.000,- EUR, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.04.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
4
Zur Darstellung der Angriffe des Klägers im Berufungsverfahren wird im Übrigen vollumfänglich Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 10.05.2021 und die Gegenerklärung vom 12.10.2021.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 09.03.2021, Aktenzeichen 22 O 403/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 23.08.2021 Bezug genommen.
7
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 12.10.2021 geben zu einer Änderung keinen Anlass. Der Kläger wiederholt hier trotz des Umfangs der Gegenerklärung letztlich größtenteils seine schon in der Berufungsbegründung vorgetragenen Standpunkte, zu deren Erfolglosigkeit der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 23.08.2021 ausführlich Stellung bezogen hat.
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Ergänzend hierzu ist Folgendes auszuführen:
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1. Entgegen den Ausführungen der Gegenerklärung hält der Senat im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung an seiner Auffassung fest, dass die im Hinweis genannten Umstände nicht lediglich Ausdruck eines vertragsgemäßen Verhaltens waren, wie z. B. die reine Beitragszahlung, sondern bei der Beklagten in einer Gesamtschau ein schutzwürdiges Vertrauen darauf hervorrufen konnten, dass der Kläger von einem etwaigen Widerspruchsrecht nicht (mehr) Gebrauch macht, sondern die Verträge unbedingt fortsetzen wollte. Die im Hinweis vom 23.08.2021 genannten Einzelumstände lassen hier die Geltendmachung des Widerspruchsrechts bzw. eines Bereicherungsanspruchs nach so langer Zeit als rechtmissbräuchlich erscheinen, so dass dem Klageanspruch der Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen steht. Dies gilt auch dann, wenn der (bestrittene) Vortrag der Klägerseite und damit ein nicht unerheblicher Verstoß gegen die Belehrungs- und Informationspflichten vollständig als zutreffend unterstellt würde.
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a) Zunächst ist der weitere Tatsachenvortrag zur Beitragsflexibilität verbunden mit den angebotenen Beweismitteln zum einen bereits verspätet erfolgt und daher nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO bzw. § 530 ZPO i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO).
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Die Vernehmung des angebotenen Zeugen sowie auch des Klägers würde die Erledigung des Rechtsstreits zum einen verzögern. Zudem ist die Verspätung auch nicht ausreichend entschuldigt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger hierzu nicht bereits in erster Instanz hätte vortragen können. Der Vortrag mit Beweisangeboten hätte jedenfalls spätestens mit der Berufungsbegründung erfolgen müssen. Soweit der Kläger darzulegen versucht, dass dieser mangels Entscheidungserheblichkeit bislang nicht näher vertieft wurde (vgl. S. 2 der Gegenerklärung), ist dies unbehelflich, da bereits das Landgericht die Klage letztlich aus den gleichen Erwägungen wie der Senat als unbegründet angesehen hat.
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Selbst wenn der nicht zugestandene Sachvortrag nicht als verspätet behandelt würde, würde dies am Ergebnis der vorgenommenen Gesamtabwägung nichts ändern. Es kann damit sogar unterstellt werden, dass die Beklagte mit der Flexibilität ihrer Verträge geworben hat, wie es der Kläger behauptet. Entscheidend ist jedoch aus Sicht des Senats, dass und in welchem Umfang der Kläger von diesen Möglichkeiten tatsächlich Gebrauch gemacht hat.
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b) Soweit der Kläger hierin lediglich jeweils ein „neutrales vertragsgestaltendes Verhalten“ (vgl. S. 3 der Gegenerklärung) sieht, folgt dem der Senat ebenfalls nicht unter Bezugnahme auf die bisherigen Ausführungen sowohl des Landgerichts als auch im Hinweisbeschluss.
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c) Der Vorwurf, die Beklagte habe den Kläger nicht von sich aus informiert bzw. nachbelehrt ist schon deshalb nicht stichhaltig, da die Beklagte jeweils von einer wirksamen Belehrung ausgegangen ist (siehe erstinstanzlicher Vortrag), daher aus ihrer Sicht jedenfalls vorliegend keine entsprechende Veranlassung bestand.
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d) Soweit der Kläger darlegt, er habe zunächst keine positive Kenntnis von seinem Widerspruchsrecht gehabt, verkennt er, dass es, wie ausgeführt, für das bei der Beklagten hervorgerufene Vertrauen hierauf letztlich nicht ankommt, insbesondere als dies für die Beklagte vorliegend überhaupt nicht erkennbar gewesen wäre. Auch die klägerischen Ausführungen zur Darlegungs- und Beweislast gehen hierbei an der Sache vorbei, da der Senat für seine Gesamtabwägung auf den unstreitigen Sachverhalt im Tatbestand des Ersturteils abgestellt hat.
16
e) Die Ausführungen zur Rechtsprechung des EuGH waren auch schon Teil der Berufungsbegründung. Nachdem die Überlegungen des Senats hierzu für die Gesamtabwägung, wie ausgeführt, nicht tragend waren, erübrigen sich weitere Ausführungen.
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f) Im Übrigen hält der Senat auch unter Einbeziehung des Vorbringens in der Gegenerklärung nach nochmaliger Würdigung des Sachverhalts an seiner bisherigen Auffassung fest, insbesondere zu den Dispositionen bei der Beklagten und zu den subjektiven Aspekten der Rechtsmissbräuchlichkeit.
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2. Insofern der Kläger darauf abstellt, dass der Gesetzgeber als „Sanktion“ gerade ein zeitlich unbegrenztes Widerspruchsrecht habe regeln wollen, ist dies unzutreffend, wie (der aufgrund Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht nicht anzuwendende) § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. belegt. Der Gesetzgeber hat es lediglich unterlassen, auf die entsprechende Unionswidrigkeit der gesetzlichen Regelung zu reagieren.
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3. Soweit der Kläger im Übrigen zur Berufungserwiderung Stellung nimmt, sind die einzelnen Punkte teils nicht entscheidungserheblich, wurden im Übrigen schon anderweitig vorgetragen und vom Senat in seine Überlegungen mit einbezogen.
20
4. Nachdem damit aus Sicht des Senats Zahlungsansprüche des Klägers im Hinblick auf den Widerspruch nicht gegeben sind, besteht entgegen dem Vorbringen in der Gegenerklärung (vgl. dort insb. S. 43) auch kein entsprechendes Recht für die vom Kläger begehrten Auskünfte. Der Kläger begehrt die Auskünfte nach eigenem Vorbringen nur deshalb, um ggf. (höhere) Zahlungen infolge des Widerspruchs geltend machen zu können. Wenn sich der Kläger aber wegen Rechtsmissbräuchlichkeit nicht auf den Widerspruch berufen kann, entfällt auch die Notwendigkeit entsprechender Auskünfte. Ein Berufen auf ein entsprechendes Recht wäre daher jedenfalls wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen. Etwas anderes macht auch die Gegenerklärung nicht ausreichend geltend. Insbesondere ist hierbei zu beachten, dass die Verträge bereits im Jahr 2018 gekündigt wurden.
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5. Entgegen der Auffassung in der Gegenerklärung besteht keine Veranlassung zur Vorlage an den EuGH. Der Anwendung des aus § 242 BGB folgenden Verwirkungseinwandes stehen entgegen dem Vorbringen des Klägers europäische Vorgaben bzw. die Rechtsprechung des EuGH nicht entgegen, da die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des EuGH geklärt sind und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens in Einklang mit dieser Rechtsprechung stehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2016 – IV ZR 130/15 –, r+s 2016, 231, Rnrn. 2-4; Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 1. April 2019 – 3 U 16/18).
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6. Der Senat hält abschießend daran fest, dass die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nicht vorliegen. Ob der Ausübung des Widerspruchsrechts besonders gravierende Umstände entgegenstehen, ist stets im Einzelfall aufgrund einer Würdigung der Gesamtumstände durch den Tatrichter festzustellen. Mit Blick auf die insoweit erforderliche Einzelfallbetrachtung stellen sich vorliegend keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Dass andere Gerichte in den ihnen zur Beurteilung vorgelegten (Einzel-)Fällen einzelne Aspekte im Rahmen der Gesamtwürdigung anders beurteilt bzw. gewichtet haben mögen, rechtfertigt die Revisionszulassung nicht (vgl. hierzu insgesamt BGH, Beschluss vom 08. September 2021 – IV ZR 133/20).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.