Titel:
Vertragliches Widerrufsrecht, Vereinbartes Widerrufsrecht, Ausübung des Widerrufsrechts, Widerrufsbelehrung, Richtlinienkonforme Auslegung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kraftfahrzeugvermietung, Widerrufsfolgen, Widerrufsinformation, Unzulässige Rechtsausübung, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Klageabweisung, Finanzdienstleistung, Streitwert, Willenserklärungen, Feststellungsinteresse, Kostenentscheidung, Örtliche Unzuständigkeit, Anderweitige Erledigung
Schlagworte:
Widerrufsrecht, Leasingvertrag, Fernabsatzvertrag, Verbraucherrecht, Vertragsauslegung, Belehrungspflichten, Gerichtszuständigkeit
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 21.09.2021 – 32 U 3981/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 03.12.2024 – VIII ZR 310/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67881
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs eines Leasingvertrages und dessen Rechtsfolgen.
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Die Klägerin schloss als Verbraucherin am … mit der Beklagten einen Kilometer-Leasingvertrag über ein Fahrzeug der Marke … (Anlage K1). Nach dem Vertrag waren … monatliche Brutto-Gesamtraten zu zahlen von jeweils … €. Dabei betrug der effektive Jahreszins – 0,52 %. Der Leasingvertrag betrifft einen Gesamtbetrag in Höhe von … €. Die Klägerin verpflichtete sich, die Gesamtlaufleistung von 50.000 km nicht zu überschreiten und das ihr zur Nutzung überlassene Fahrzeug in einem dem Alter und der vertragsgemäßen Fahrleistung entsprechenden Erhaltungszustand an die Beklagte zurückzugeben.
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Der Leasingvertrag enthält auf S. 6 eine Widerrufsinformation. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Leasingvertrages sowie der in diesem Zusammenhang übersandten Unterlagen wird auf die Anlagen K1 und B26 Bezug genommen.
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Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom … der Beklagten gegenüber den Widerruf ihrer auf Abschluss des Leasingvertrags gerichteten Willenserklärung (Anlage K2). Die Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom … ab (Anlage K3). Sie zieht trotz des von der Klägerin erklärten Widerrufs weiterhin Leasingraten vom Konto der Klägerin ein.
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Die Klägerin hält das Gericht für örtlich zuständig. Sie trägt vor, bei dem streitgegenständlichen Leasingvertrag handele es sich um einen Vertrag, der unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen sei. Die Beklagte verfüge auch seit Januar … über ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem. Da die Klägerin bei Vertragsabschluss nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht nach §§ 506, 495, 355 BGB belehrt worden sei, stehe ihr ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht zu. Die Angaben zu den Widerrufsfolgen seien unzutreffend. Ihr seien nicht sämtliche Pflichtangaben erteilt worden.
festzustellen, dass die Klägerin wegen des Widerrufs vom … nicht mehr aus dem mit der Beklagten geschlossenen Leasingvertrag vom … (Vertrags-Nr.: …) verpflichtet ist, die vertraglich vorgesehenen Zahlungspflichten zu erfüllen.
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Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts und beantragt
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Die Beklagte hält das Gericht für örtlich unzuständig. Sie ist der Rechtsansicht, es liege keine entgeltliche Finanzierungshilfe vor, da das Restwertrisiko bei Vertragsende von der Beklagten getragen werde. Eine analoge Anwendung des § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB scheide aufgrund des Wortlauts und aufgrund des negativen Sollzinssatzes von – 0,52 % aus. Der Klägerin stehe daher kein Widerrufsrecht zu. Hilfsweise ist die Beklagte der Auffassung, der Widerruf sei nicht fristgerecht erklärt worden. Die Widerrufsbelehrung sei in gebotener Gestaltung erfolgt. Die Beklagte meint, dass sich die Klägerin nicht auf ein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht berufen könne. Ein etwaiges Widerrufsrecht sei gemäß § 356 Abs. 3 S. 2 BGB erloschen; die Vorschrift des § 356 Abs. 3 S. 3 BGB sei nicht einschlägig, da der Kilometerleasingvertrag mangels Finanzierungsfunktion keine Finanzdienstleistung in diesem Sinne darstelle. Ein Widerrufsrecht sei weiter nach § 312 g Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 9 BGB ausgeschlossen. Die Berufung auf ein derartiges Widerrufsrecht stelle im Übrigen eine unzulässige Rechtsausübung dar. Ein vertragliches Widerrufsrecht sei der Klägerin nicht eingeräumt worden.
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Das Gericht hat mit Verfügung vom …, von der Geschäftsstelle am … versandt, einen Hinweis erteilt (Bl. 48 d. A.).
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Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom … sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist ohne Erfolg.
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Die Klage ist zulässig. Das Landgericht München I ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig (KG NJW-RR 2020, 696; OLG München BeckRS 2017, 114163). Das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO liegt vor (BGH NJW 2017, 2340).
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Der Klägerin steht weder ein gesetzliches noch ein vertragliches Widerrufsrecht zu, weshalb die Klage keinen Erfolg haben kann.
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I.1. Der Klägerin steht kein verbraucherkreditrechtliches Widerrufsrecht nach §§ 506 Abs. 1, 2, 495, 355 BGB (alle auch in der Folge zitierte Normen beziehen sich auf den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Gesetzesstand) zu. Das Gericht schließt sich vollumfänglich den überzeugenden Ausführungen des BGH in dessen Urteil vom 24.02.2021, VIII ZR 36/20 (BeckRS 2021, 3466) an.
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2. Der Klägerin steht kein unbefristetes Widerrufsrecht nach den Regeln des Fernabsatzvertrages zu (§§ 312 c, 312 g Abs. 1, 355 BGB). Dabei kann dahinstehen, ob der streitgegenständliche Leasingvertrag überhaupt im Wege des Fernabsatzes zustande gekommen ist. Eine Beweisaufnahme hierzu war nicht erforderlich, weil der Klägerin bereits von Rechts wegen kein Widerrufsrecht gemäß §§ 312 c, 312 g Abs. 1, 355 BGB zusteht.
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Der Einzelrichter schließt sich insoweit nicht der vom OLG München in dessen Endurteil vom 18.06.2020, 32 U 7119/19 (BeckRS 2020, 13248, Rz. 33 ff) geäußerten Rechtsansicht an, sondern vielmehr der überzeugenden Gegenauffassung in der Rechtsprechung (statt vieler: Endurteile des Landgerichts München I vom 24.09.2020, Az. 11 O 10309/20 und vom 24.08.2020, Az. 34 O 3796/20) und in der Literatur (Herresthal, ZVertriebsR 2020, 355).
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Das Widerrufsrecht ist nach überzeugender Ansicht bereits nach § 312 g Abs. 2 Nr. 9 BGB ausgeschlossen (Herresthal, ZVertriebsR 2020, 355, 362 ff). Art. 16 lit. I Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechterichtlinie) erfasst Kilometerleasingverträge als Dienstleistungsverträge im Bereich Beförderung. Daher ist § 312 g Abs. 2 Nr. 9 BGB entsprechend richtlinienkonform auszulegen, wobei es aus der Perspektive des maßgebenden Unionsrechts gleichgültig ist, ob entsprechende Verträge dem Tatbestandsmerkmal „Kraftfahrzeugvermietung“ oder den „Verträge(n) zur Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen (…) Beförderung von Waren“ zugeordnet werden. Aufgrund des vollharmonisierenden Charakters der Richtlinie 2011/83/EU (vgl. Art. 4) darf das Schutzniveau im nationalen Recht nicht über die Richtlinienvorgaben hinausgehen. Dies wäre indes der Fall, wenn das deutsche Recht bei entsprechenden Verträgen ein Widerrufsrecht nach §§ 312 g Abs. 1, 355 Abs. 1 BGB bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sowie bei Fernabsatzverträgen einräumt (Herresthal, a.a.O.).
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Sofern man entgegen dem Vorstehenden gleichwohl ein Widerrufsrecht nach §§ 312 g Abs. 1, 355 BGB bejaht, wäre es jedenfalls nach § 356 Abs. 3 S. 2 BGB erloschen. Die Entfristung in §§ 356 Abs. 3 S. 3, 312 Abs. 5 S. 1 BGB ist in richtlinienkonformer Auslegung von Art. 2 lit. b Richtlinie 2002/65/EG (Finanzdienstleistungs-Fernabsatzrichtlinie) und Art. 2 Nr. 12 Richtlinie 2011/83/EU nicht anwendbar. Nachdem Art. 2 lit. b Richtlinie 2002/65/EG das Kilometerleasing nicht unter die Finanzdienstleistungen fasst, ist der wortgleiche Begriff in § 356 Abs. 3 S. 3 BGB übereinstimmend auszulegen. Andernfalls würde nach dem BGB das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei diesen Verträgen über den zeitlichen Erlöschenstatbestand des § 356 Abs. 3 S. 2 BGB hinaus bestehen, obwohl nach der Richtlinie 2011/83/EU kein Widerrufsrecht mehr besteht. Der Verbraucherschutz im nationalen Recht ginge im Anwendungsbereich der Richtlinie 2011/83/EU über deren Schutzniveau unzulässig hinaus. Die Materialien zum BGB lassen nicht erkennen, dass der deutsche Gesetzgeber sich über das von der Richtlinie vorgezeichnete Verständnis bewusst hinwegsetzen wollte. Dem entspricht eine systematisch-kohärente Auslegung des BGB. Denn das Kilometerleasing ist – wie gezeigt – konsequent nicht als Finanzierungshilfe im Sinn von § 506 BGB bzw. § 506 BGB analog zu qualifizieren und zudem keine Finanzdienstleistung im Sinn von § 356 Abs. 3 S. 3 BGB. Die fehlende Finanzierungsfunktion dieser Verträge spricht gegen eine Subsumtion unter § 506 BGB bzw. dessen analoge Anwendung wie auch gegen die Qualifikation als Finanzdienstleistung, macht sie doch das Wesen beider Tatbestandsmerkmale aus (Herresthal, a.a.O.).
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Die Klägerin kann auch aus dem vertraglich vereinbarten Widerrufsrecht (Seite 6 des Leasingvertrages) keine Rechte herleiten. Insoweit schließt sich das Gericht vollumfänglich nachfolgenden überzeugenden Ausführungen des OLG München in dessen Endurteil vom 18.06.2020, 32 U 7119/19 an (BeckRS 2020, 13248, Rz. 32; im Ergebnis ebenso BGH, Urteil vom 24.02.2021, VIII ZR 36/20, BeckRS 2021, 3466, Rz. 68 ff.):
„Die Beklagte hat sich bei der Ausgestaltung der Widerrufsbelehrung ersichtlich an den Vorgaben eines verbraucherkreditrechtlichen Widerrufsrechts orientiert. Es bestand insoweit ein vertraglich vereinbartes Widerrufsrecht. Dieses konnte wegen Fristablaufs aber nicht mehr ausgeübt werden. Denn der Kläger kann, wenn von der Einräumung eines Widerrufsrechts mit der in der Widerrufsbelehrung beschriebenen Ausgestaltung auszugehen sein sollte, den von ihm abgeschlossenen Leasingvertrag nach Fristablauf nur dann noch widerrufen, wenn sich die Beklagte ihm gegenüber auch verpflichtet hat, alle im Falle eines gesetzlichen Widerrufsrechts einzuhaltenden gesetzlichen Belehrungspflichten erfüllen zu wollen und ihm bei deren Nichteinhaltung ein unbefristetes Widerrufsrecht einzuräumen. Wenn ein Unternehmer einem Verbraucher, ohne dazu gesetzlich verpflichtet zu sein, ein Widerrufsrecht eingeräumt hat, bedarf es konkreter Anhaltspunkte in der getroffenen Vereinbarung dafür, dass zwar das Widerrufsrecht als solches von den gesetzlichen Voraussetzungen unabhängig sein, die für die Ausübung des Widerrufsrechts vereinbarte Frist gleichwohl nur dann in Gang gesetzt werden soll, wenn der Unternehmer dem Verbraucher zusätzlich eine Belehrung erteilt hat, die den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht (vgl. BGH NJW 2013, 155 Rn. 36; BGH Urt. v. 6.11.2012 – II ZR 176/12, juris Rn. 18; Urt v. 12.11.2015 – I ZR 168/14 Rn. 37). Solche Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte bei den Formulierungen in der Widerrufsbelehrung an den Vorgaben des gesetzlichen Widerrufsrechts orientiert hat, genügt nicht für die Annahme, dass die Beklagte nicht bestehende Belehrungspflichten übernehmen und erfüllen wollte (vgl. BGH NJW 2013, 155 Rn. 38; BGH Urt. v. 6.11.2012 – II ZR 176/12 Rn. 20).“
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Nach alledem war die Klage abzuweisen.
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Die in der mündlichen Verhandlung vom … von der Klägervertreterin beantragte Schriftsatzfrist auf den Schriftsatz der Beklagten vom … war mangels der von § 283 ZPO vorausgesetzten (Saenger, Zivilprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 283 ZPO Rn. 3, beck-online) Entscheidungserheblichkeit des dortigen rechtlichen wie tatsächlichen Vorbringens nicht zu gewähren.
22
Der gerichtliche Hinweis von …, von der Geschäftsstelle am … versandt, war auch hinreichend konkret, indem das Gericht dort auf den Aufsatz von Herresthal, ZVertriebsR 2020, 355 verwies. Vom Klägervertreter kann in seiner Eigenschaft als zugelassener Rechtsanwalt ohne Weiteres verlangt werden, dass er diesen vom Einzelrichter insgesamt für zutreffend gehaltenen Aufsatz selbst durchliest.
23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.