Titel:
Prozeßvollmacht, Aussetzung des Verfahrens, Mißbrauch der Vertretungsmacht, Sicherheitsleistung, für Rechtsanwalt, Vollmachtsurkunde, Vermögenslosigkeit, Bevollmächtigter, Rechtsstreit, Generalvollmacht, Prozeßführung, Vollstreckungsversuch, Wirksame Vollmacht, Vollmachtgeber, Fotokopie, Anwaltsprozess, Rechtskraftdurchbrechung, Schriftsätze, Stellvertretung, Beglaubigte Abschrift
Schlagworte:
Prozessvollmacht, Berufung, Vollmachtsurkunde, Vertretung gegenüber Gerichten, Missbrauch der Vertretungsmacht, Sicherheitsleistung, Genehmigung durch neuen Geschäftsführer
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 03.03.2020 – 5 O 13932/17
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 07.06.2021 – 1 U 2144/20
OLG München, Beschluss vom 30.06.2021 – 1 U 2144/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 23.01.2024 – VI ZB 88/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 67102
Tenor
1. Die Rechtsanwälte Dr. M.W. sowie H. L. werden gegen Sicherheitsleistung für Kosten und Schäden in Höhe von 11.000,- € einstweilen zur Prozessführung zugelassen.
2. Für die Beibringung der Genehmigung(en) der Prozessführung wird Frist bis zum 01.03.2021 gesetzt.
2. Der Antrag der Rechtsanwälte H. L. auf Aussetzung des Verfahrens vom 21.12.2020 wird zurückgewiesen.
Gründe
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1. Die Rechtsanwälte H. L. legten mit Schriftsatz vom 08.04.2020 gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.03.2020, zugestellt am 09.03.2020, Berufung ein. Die Berufungsbegründungsfrist wurde auf Antrag der Rechtsanwälte H. L. mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 14.05.2020 bis zum 09.06.2020 verlängert. Mit Schriftsatz des Rechtsanwalts Dr. M.W. vom 09.06.2020, eingegangen am selben Tag, wurde die Berufung begründet. Der Senat gab auf Antrag der Beklagten zu 1) und 3) mit Beschluss vom 10.09.2020 den Rechtsanwälten H. L. sowie Rechtsanwalt Dr. M.W. auf, ihre Prozessvollmachten bis zum 30.09.2020 vorzulegen. Die Rechtsanwälte H. L. legten mit Schriftsatz vom 30.09.2020 folgende Unterlagen vor:
(1) Fotokopie einer Vollmachtsurkunde vom 14.12.2012, mit der Klägerin sowie deren damaligem Geschäftsführer L. R. V. als Vollmachtgebern und den Herrn Dr. M.W. und F. G. W. als – einzeln – Bevollmächtigten, die unter anderem die Vertretung gegenüber Behörden, einschließlich Finanzbehörden und Gerichten, beinhaltet (Anlage K38), sowie
(2) Fotokopie einer Vollmachtsurkunde vom 30.09.2020, ausgestellt von Dr. M.W. als Vertreter der Klägerin, mit der die Rechtsanwälte H. L. unter anderem zur Prozessführung in diesem Rechtsstreit bevollmächtigt werden (Anlage K39).
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Die Rechtsanwälte H. L. erklären hierzu, sie seien von der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit in erster Instanz mündlich bevollmächtigt worden.
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2. Die Klägerin konnte die Erteilung wirksamer Prozessvollmachten im Sinn von § 80 ZPO mit den vorgelegten Schriftstücken nicht nachweisen.
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2.1. In der Prozessvollmacht muss ein konkreter Rechtsstreit bezeichnet sein (vgl. Hüßtege, in Thomas/Putzo, ZPO 41. Aufl. § 80 Rn. 6); das ergibt sich bereits aus den Bestimmungen der §§ 81, 82 ZPO. Entsprechend wird auch in den gängigen Prozessvollmachtsformularen für Rechtsanwälte stets eine bestimmte Angelegenheit (oder mehrere Angelegenheiten) eingetragen. In der – fotokopierten – Urkunde vom 14.12.2012 werden die dort genannten Herrn W. sen. und Dr. W. jun. jedoch nicht in Bezug auf einen bestimmten Rechtsstreit bevollmächtigt, sondern nur ganz allgemein für die Vertretung gegenüber Gerichten. Dass die vorgelegte Vollmacht die Führung eines Anwaltsprozesses (§ 78 ZPO) nicht umfasst, zeigt sich auch daran, dass Dr. M.W. und Friedrich W. dort einzeln und in demselben Umfang bevollmächtigt werden, ohne als Rechtsanwälte benannt zu sein (Herr W. sen. war wohl auch kein Anwalt).
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2.2. Die Erteilung der Prozessvollmacht für die Rechtsanwälte H. L. durch Dr. M.W. aufgrund der Generalvollmacht vom 14.12.2012 war unwirksam. Die §§ 78 ff ZPO bilden für die Prozessvollmacht ein Sonderrecht, materiell-rechtliche Regelungen über die Vollmacht können aber Geltung erlangen, wenn in ihnen allgemeine Rechtsgedanken der Stellvertretung zum Ausdruck kommen (vgl. BGH, Urt. v. 14.05.2009 – IX ZR 60/08, juris-Rn. 13 mwN). So wird nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen der Vertretene nicht berechtigt und verpflichtet, wenn dem anderen Teil bei Abschluss des Geschäfts der Missbrauch der Vertretungsmacht bekannt war oder sich aufgrund der Umstände aufdrängen musste (vgl. BGH, Urt. v. 27.03.1985 – VIII ZR 57/84, juris-Rn. 46; v. 31.01.1991 – VII ZR 291/88, juris-Rn. 21 mwN; Palandt/Ellenberger, BGB 79. Aufl. § 164 Rn. 14). Vorliegend musste zur Überzeugung des Senats den Rechtsanwälten H. L. im Zeitpunkt der mündlichen, wie auch der nachfolgenden schriftlichen Bevollmächtigung bewusst sein, dass Dr. M.W. die ihm erteilte Vollmacht missbrauchte, um einen weiteren, von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit gegen die Beklagten auf Kosten der offensichtlich vermögenslosen Klägerin und damit letztendlich auch der Prozessgegner zu führen. Sämtliche bisherigen Vollstreckungsversuche der Fa. E. gegen die Klägerin verliefen unstreitig erfolglos.
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Das LG München I erachtete bereits im Rechtsstreit 26 O 25732/14, in dem Dr. M.W. Schadensersatz aus § 826 BGB wegen desselben Sachverhalts unter anderem von den hier Beklagten verlangte, die Klage nicht nur als unzulässig, sondern die Ansprüche zutreffend auch als vollumfänglich unbegründet (vgl. Urt. v. 03.02.2016, S. 13 ff unter Bezugnahme auf LG München I, Az. 2 O 1564/11, Urt. v. 08.08.2014). Im Verfahren 2 O 1564/11 hatte die hiesige Klägerin wegen desselben Sachverhalts erfolglos widerklagend unter anderem Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB gegen die Fa. E. verfolgt. Die gegen das landgerichtliche Urteil vom 08.08.2014 in diesem Verfahren gerichtete Berufung der Klägerin wurde mit Beschluss des OLG München vom 18.09.2015, Az. 28 U 3883/14 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, nachdem am 23.02.2015 ein entsprechender Hinweis ergangen war. Auf S. 6-8 des Beschlusses vom 23.02.215 sowie S. 7-9 des Beschlusses vom 18.09.2015 ist wiederum jeweils ausführlich dargelegt, warum die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rechtskraftdurchbrechung, gestützt auf den Vorwurf der arglistigen Titelerschleichung, nicht vorliegen. Eine weitere Auseinandersetzung mit demselben Sachverhalt erfolgte im Verfahren LG München I, Az. 24 O 20660/13 bzw. OLG München, 28 U 4934/16, in dem die Fa. E. Herrn Dr. M.W. als Bürgen in Anspruch nahm. Auch hier vermochte Dr. M.W. mit seinen Einwendungen gegen die Abrechnung der Bauleistungen der Fa. E. letztendlich nicht durchzudringen. Wesentlichen neuen Sachvortrag beinhaltet auch das Klagevorbringen im vorliegenden Verfahren nicht, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat. Den Rechtsanwälten H. L. musste sich deshalb in Anbetracht der Vorprozesse, an denen der Vollmachtgeber Dr. M.W. maßgeblich beteiligt war, die Aussichtslosigkeit auch dieses Rechtsstreits und der Missbrauch der von der Klägerin erteilten Vollmacht förmlich aufdrängen.
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3. Handelt jemand für eine Partei als Bevollmächtigter ohne Beibringung einer (wirksamen) Vollmacht, so kann er gegen oder ohne Sicherheitsleistung für Kosten und Schäden zur Prozessführung einstweilen zugelassen werden (§ 89 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Vorliegend war vor dem Hintergrund der offenbaren Vermögenslosigkeit der Kläger für die Kosten der gegnerischen Rechtsanwälte in 2. Instanz aus einem Streitwert von 492.280,- € in Höhe von 10.729,52 € sowie für mögliche weitere Schäden eine angemessene Sicherheitsleistung in Höhe von 11.000,- € festzusetzen, bis zu deren Beibringung der Rechtsstreit vertagt wird (vgl. Zöller/Althammer, ZPO 33. Aufl. § 89 Rn. 4).
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4. Für die Beibringung der Genehmigung durch einen noch zu bestellenden neuen Geschäftsführer der Klägerin war eine, in Anbetracht der Umstände großzügig bemessene Frist zu setzen (§ 89 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Auf die Rechtsfolgen des § 89 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO im Fall der Nichtbeibringung der Genehmigung wird hingewiesen. Die (neuen) Prozessvollmachten für Dr. M.W. bzw. die Rechtsanwälte H. L. sind in der erforderlichen Form (Originalurkunde oder öffentlich beglaubigte Abschrift, vgl. BGHZ 126, 266; BT-Drucks. 16/3655, S. 90; Zöller/Althammer aaO § 80 Rn. 8) vorzulegen, einfache Fotokopien sind nicht ausreichend.
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5. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach §§ 246, 241 ZPO liegen weiterhin nicht vor. Ein allgemeines Einreisehindernis nach Madeira aus der Bundesrepublik Deutschland besteht aktuell nicht. Madeira wurde vom Auswärtigen Amt zwar am 07.01.2021 mit Wirkung zum 09.01.2021 zum Covid 19-Risikogebiet erklärt, wobei sich die sog. Inzidenzzahlen dort noch immer deutlich unter den durchschnittlichen Werten im Inland bewegen. Reiserückkehrern obliegt somit lediglich eine 10-tägige Quarantänepflicht, die durch Vorlage eines negativen PCR-Tests nach dem 5. Tag vorzeitig beendet werden kann. Warum es Frau M. W. unter diesen Voraussetzungen unmöglich oder unzumutbar sein soll, sich zur Regelung der Angelegenheiten der Klägerin nach Madeira zu begeben, ist weder konkret vorgetragen noch ersichtlich.