Titel:
OLG Nürnberg, Abschalteinrichtung, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Zug-um-Zug, Streitwert, Richtlinienkonforme Auslegung, Sittenwidrige Schädigung, Sittenverstoß, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Gerichtshof der Europäischen Union, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Unzulässigkeit, Übereignung, EG-FGV, Ausnahmebestimmungen
Schlagworte:
Vertragliche Ansprüche, Schadensersatz, § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB, EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007, Schutzgesetz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.04.2022 – 1 U 2689/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.03.2024 – VIa ZR 692/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 65476
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 37.413,32 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte, einen Automobilhersteller, Rückabwicklungsansprüche wegen einer behaupteten Manipulationssoftware im Bereich der Abgaseinrichtung geltend.
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Die Klagepartei erwarb mit Vertrag vom 19.03.2014 bei dem Autohaus... den im Klageantrag bezeichneten PKW Typs BMW 520d (Hubraum 1995 ccm, Leistung 135 kW), erstmals zugelassen am 20.03.2014 mit der FIN: WBA5J31000D713196 als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 48.715,26 € brutto mit einem Kilometerstand von 0 km. Das Fahrzeug unterliegt der Abgasnorm Euro 5 und ist mit einem Motor des Typs N47 ausgestattet. Herstellerin dieses Fahrzeugs ist die Beklagte.
3
Das Kraftfahrtbundesamt ordnete für das gegenständliche Fahrzeug nicht den verpflichtenden Rückruf an. Die durch die Staatsanwaltschaft München I gegen die BMW AG geführten Ermittlungen, betreffend den Vorwurf des Betruges hinsichtlich bestimmter Fahrzeugtypen, wurden eingestellt.
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Der Kilometerstand des gegenständlichen Fahrzeugs betrug am 22.06.2021 unstrittig 132.726 Kilometer.
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Die Klagepartei behauptet, die Beklagte habe in dem von ihr erworbenen Fahrzeug mehrere Mechanismen zu illegalen Abgasreinigung verbaut. Die Werte des streitgegenständlichen Fahrzeugs würden sich außerhalb des europäischen Fahrzyklus (= NEFZ) im Realbetrieb deutlich über den zulässigen Grenzwerten befinden. Dies hätten die Messungen verschiedene Institutionen, unter anderem auch des Kraftfahrzeugbundesamtes, ergeben. Der maßgebliche Grenzwert für den Stickstoffoxidausstoß werde erheblich überschritten. Der Grund dafür, dass die Werte im Realbetrieb und dem Betrieb im neuen europäischen Fahrzyklus erheblich differieren, liege darin, dass die Beklagte in dem streitgegenständlichen Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut habe. Bei einer Abschalteinrichtung handele sich um das sogenannte „Thermofenster“. Bei einer Temperatur zwischen etwa 20–30 °C, welche den genannten Temperaturen für die NEFZ-Prüfung entspricht, funktioniere die Abgasreinigung optimal und der Stickstoffoxidausstoß werde minimiert. Unter anderen Temperaturbedingungen funktioniere die Abgasreinigung dagegen nicht, da die Beklagte insoweit andere Aspekte, wie etwa schnelleres Ansprechverhalten des Motors, in den Vordergrund gestellt und die Schadstoffwerte bewusst außer Acht gelassen habe.
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Daneben seien weitere Abschalteinrichtungen in Form des sogenannten „hard cycle beating“ in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaut. Dies habe zur Folge, dass die Funktionsweise des Fahrzeugs im NEFZ so optimiert werde, dass sie nur unter ganz bestimmten Umständen funktioniere. Die von der Beklagten eingebauten Abschalteinrichtungen würden auch nicht, wie von dieser behauptet, dem Motorschutz dienen. Vielmehr hätten die Verantwortlichen der Beklagten bewusst eine unternehmerische Entscheidung zur Einführung illegaler Abschalteinrichtungen getroffen. Diese Entscheidung sei keineswegs nur für einzelne Fahrzeuge, sondern für die gesamte Flotte der Beklagten getroffen worden. Dabei hätte die Beklagte bewusst mögliche Alternativlösungen außer Acht gelassen, da diese zu teuer gewesen wären, Hinzu komme, dass die Beklagte auch das OnBoard-Diagnose-System (OBD) manipuliert habe.
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Die Klagepartei meint, die Beklagte sei verpflichtet, die Einhaltung der einschlägigen Grenzwerte sicherzustellen. Aufgrund dessen stehen ihr gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche aus mehreren Anspruchsgrundlagen zu.
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Die Klagepartei beantragt:
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 37.413,32 nebst Zinsen aus Euro 37.413,32 hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.12.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW 520d, FIN: WBA5J31000D713196.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 13.037,00 Deliktszinsen zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs BMW 520d, FIN: WBA5J31000D713196.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 23.11.2020 in Verzug befindet.
- 4.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.785,82 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor in dem Fahrzeug weder eine prüfstandsbezogene noch eine sonstige unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Das Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs sei bei normalen Betriebsbedingungen nicht unzulässig in seiner Wirksamkeit verringert. Insoweit verweist die Beklagte auf in anderen Verfahren erholte amtliche Auskünfte des Kraftfahrtbundesamtes.
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Für die Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mühdlichen Verhandlung vom 02.06.2021 Bezug genommen.
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Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.
Entscheidungsgründe
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Die Klagepartei hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Zahlung der Klageforderung Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
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Vertragliche Ansprüche sind nicht ersichtlich. Unstreitig wurde der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht zwischen der Klagepartei und der Beklagten, sondern zwischen der Klagepartei und einem Autohaus, das nicht am hiesigen Rechtsstreit beteiligt ist, geschlossen.
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Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 826, 249 BGB.
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§ 826 BGB ist als übergeordnete allgemeine Norm des Schadensrechts grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des BGB anwendbar und ergänzt insoweit die konkreten Tatbestände des § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Teichmann in Jauernig, BGB, 17. Aufl., § 826 Rn. 2). Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen gemäß § 826 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
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Die Klagepartei hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass die Beklagte im Sinne von § 826 BGB mit Schädigungsvorsatz handelte, also durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges einen Schaden der Klagepartei in Kauf nahm. Auf die Frage einer Zurechnung gemäß § 31 BGB bzw. § 831 BGB kommt es daher nicht an.
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Die Klagepartei hat nämlich bereits nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass die Beklagte wusste oder zumindest in Kauf nahm, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gleich welcher Art, deren Einbau unterstellt, versehen war. Die Klagepartei hat den Vortrag der Beklagtenpartei zum Stand der in der Sache geführten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I nicht bestritten. Diese hat mit Pressemitteilung vom 25.02.2019 ausgeführt, dass umfangreiche Ermittlungen in Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrtbundesamt ergeben haben, dass es weder Hinweise für prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen gebe noch darauf, dass Mitarbeiter der Beklagten vorsätzlich gehandelt hätten, so dass sich der dort gegenständliche Betrugsvorwurf nicht bestätigt habe. Zudem ist gerichtsbekannt, dass die Bedingungen des NEFZ den realen Fahrbetrieb nicht abbilden, mithin die im NEFZ erzielten Abgaswerte notwendig vom Abgasausstoß „auf der Straße“ abweichen. Daher kann aus der bloßen Differenz der gemessenen Abgaswerte nicht auf einen Vorsatz der Beklagten hinsichtlich des Verbauens einer unzulässigen Abschalteinrichtung gleich welcher Art – deren Vorhandensein weiter unterstellt – geschlossen werden. Gleiches gilt für Vorteile, die die tatsächlich verwandte Motorkonstruktion hinsichtlich der Langlebigkeit und Leistungsfähigkeit des Getriebes gehabt haben könnte. Dies unterliegt, im Rahmen der geltenden Vorschriften, der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten, die hierbei nicht gehindert ist, auch ökonomische Erwägungen anzustellen. Zudem werden zur Zulässigkeit bestimmter, die Funktionsweise der Abgasreinigung partiell einschränkender Motorkomponenten höchst unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Dies ist bereits aus den durch beide Parteien im vorliegenden Rechtsstreit zitierten Entscheidungen ersichtlich. Mithin kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte eine unterstellte Unzulässigkeit kannte oder auch nur für möglich hielt. Vielmehr bleibt bereits nach dem Vortrag der Klagepartei die Möglichkeit offen, dass die Beklagte von einer Zulässigkeit ausging, so, wie sie es im hiesigen Rechtsstreit weiterhin behauptet. Die von der Klägerseite zitierte Leitlinie der Europäischen Kommission hierzu kann an diesem Ergebnis bereits deshalb nichts ändern, da sie erst nach Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, namentlich im Jahr 2017, erlassen wurde.
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Die Beklagte traf hierzu auch keine sekundäre Darlegungslast. Vielmehr obliegt es der Klagepartel, substantiiert darzulegen, aus welchen Indizien sie auf einen Vorsatz der Beklagten schließt. Erst, soweit sie hierzu hinreichend vorträgt, ist es an der Beklagten, diesen Vortrag zu widerlegen. Es kommt daher auch nicht darauf an, welche Gremien bzw. Funktionsebenen innerhalb der Beklagten in die Entwicklung des Motors und der für die Abschaltung maßgeblichen Software eingebunden waren. Es bleibt nämlich, wie bereits dargelegt, bereits nach dem Vortrag der Klagepartei die Möglichkeit offen, dass die entscheidenden Personen von einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung in der tatsächlich verwendeten Form ausgingen.
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Insoweit ist zudem in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Haftung nach § 826 BGB ausscheidet, wenn der Handelnde der redlichen Überzeugung war, er dürfe in Verfolgung eines erlaubten Interesses handeln. Dies schließt die Annahme eines vorsätzlichen Sittenverstoßes aus (BGH, Urt. v. 15.09.1999 – I ZR 98/97). Vor dem Hintergrund der Auslegungsbedürftigkeit der VO 715/2007/EG und der Vertretbarkeit der Auffassung, die temperaturabhängige Abgasregelung falle jedenfalls unter die Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG, scheidet die Annahme einer sittenwidrigen Schädigungsabsicht auf Grundlage des klägerischen Vortrags ohne weitere Beweisaufnahme zur genauen Funktionalität der Abgasreduzierung aus. Zudem müsste die Beklagte zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung – eine solche unterstellt – gehandelt haben, und zwar zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs (OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.10.2019 – 5 U 1783/19; OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19). Der heutige Meinungsstand – und insbesondere die heutige Auffassung eines Zivilgerichts – ist dagegen nicht maßgeblich (OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19), ebenso wenig die Auffassung der Generalstaatsanwältin in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-693/18 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union am 30.04.2020, wonach die Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eng auszulegen sei.
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Daher steht der Annahme des Vorsatzes vorliegend bereits entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, nämlich Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10, keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urt. v. 19.07.2019 – 5 U 1670/18; OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.10.2019 – 5 U 1783/19; OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Daraus folgt, dass die etwaige Verwendung einer Abgasrückführungssteuerung durch die Beklagte als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig einzustufen Wäre, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – vorsätzlich täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 19.07.2019 – 5 U 1670/18; OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.10.2019 – 5 U 1783/19; OLG Nürnberg, Besohl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19). Die unpräzise Fassung der Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 räumt daher den Motorherstellern im Ergebnis möglicherweise einen weiten Ermessensspielraum ein (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19), welcher der Annahme von Vorsatz entgegenstünde.
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Zuletzt hat auch der Bundesgerichtshof weiter festgestellt, dass die Verwendung eines Thermofenster per se keine sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB darstellt (BGH, Beschl. v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19). Soweit die Klagepartei auf ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 05.03.2021 (Aktenzeichen 1 U 94/20) verweist, so vermag das Gericht den dortigen Ausführungen nicht zu folgen.
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Nach Auffassung des Gerichts kann der Vorsatz einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung lediglich dann gegeben sein, wenn eine Abschalt-Einrichtung bewusst so durch die Beklagte konzipiert ist, dass sie nur speziell auf dem Prüfstand funktioniere.
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Dies ist nach Auffassung des Gerichts bei der hiesigen Beklagten nicht der Fall, konkrete Anknüpfungstatsachen dafür ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Klagepartei.
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Die Klagepartei kann weiter nicht Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB verlangen.
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Der Vortrag der Klagepartei ergibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte selbst von einer Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ausging oder diese auch nur ernsthaft für möglich hielt. Denn die Beklagte müsste zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung – eine solche unterstellt – gehandelt haben, und zwar zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs (OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.10.2019 – 5 U 1783/19; OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19). Der heutige Meinungsstand – und insbesondere die heutige Auffassung eines Zivilgerichts – ist dagegen nicht maßgeblich (OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19 mit weiteren Nachweisen), ebenso wenig die Auffassung der Generalstaatsanwältin in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-693/18 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union am 30.04.2020, wonach die Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eng auszulegen sei.
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Dies vorangestellt würde der Annahme des Vorsatzes vorliegend bereits entgegenstehen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, nämlich Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10, keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urt. v. 19.07.2019 – 5 U 1670/18; OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.10.2019 – 5 U 1783/19; OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19). Daraus folgt, dass die etwaige Verwendung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung durch die Beklagte als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig einzustufen wäre, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – vorsätzlich täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 19.07.2019 – 5 U 1670/18; OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.10.2019 – 5 U 1783/19; OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19). Die unpräzise Fassung der Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 räumt daher den Motorherstellern im Ergebnis möglicherweise einen weiten Ermessensspielraum ein (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.02.2020 – 5 U 3382/19), welcher der Annahme von Vorsatz entgegenstünde. Ergänzend wird auf die Ausführungen unter 2. verwiesen. Mithin fehlt es an einem hinreichenden Vortrag zu einem Betrugsvorsatz der Beklagten.
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Der Klagepartei steht auch kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus den §§ 823 Abs. 2 BGB, 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
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Die Vorschriften der EG-FGV sind bereits keine Rechtsnormen, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen sollen, den jeweiligen Erwerber eines Kfz vor jedweden Schäden zu schützen. Die Vorschriften §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV stellen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar (OLG München, Beschl. v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19; OLG München, Beschl. v. 23.03.2020 – 32 U 204/20). Diese Vorschriften der EG-FGV, welche die Richtlinie 2007/46/EG in nationales Recht umsetzen, berücksichtigen nicht den Schutz individueller Interessen, sondern stellen eine (nur) die Allgemeinheit schützende Norm dar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Individualschutz – hier der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs – im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften liegt oder aber aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Richtlinie 2007/46/EG folgt.
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Eindeutig folgt aus den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) der Richtlinie 2007/46/EG, dass das Ziel der Richtlinie in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist. Überdies sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbem, finden darin keine Erwähnung. Auch sonstige Erwägungsgründe der Richtlinie, insbesondere die unter Nm. 14 und 17 genannten, betreffen neben den bereits genannten Erwägungsgründen ausschließlich weitere Allgemeingüter, nämlich ein hohes Umweltschutzniveau, den Schutz der Gesundheit und den Schutz der Verbraucher, ohne dass der Vermögensschutz des Einzelnen darin angesprochen wäre.
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Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier die EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an. Den Erwägungsgründen 2, 4 und 23 zufolge bezweckt die Richtlinie 2007/46/EG die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen (Erwägungsgrund 2 der Richtlinie). Weder an diesen Stellen noch unter den anderen Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich demgegenüber ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (Seite 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zweck der Art. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG selbst, deren Umsetzung die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen. Soweit nach Art. 26 Abs. 1 die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen gestatten, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind, zielt dies auf die Erleichterung des Binnenmarktes; Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie auf den Schutz des Vermögens des Autokäufers abstellt, ergeben sich nicht.
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Hinsichtlich eines Anspruchs der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 gilt das oben zu 2. und 4. ausgeführte. Art. 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 ist zudem kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Zwar können EU-Verordnungen im Einzelfall grundsätzlich Schutzgesetze gemäß § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Im vorliegenden Fall kommt Art. 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 jedoch bereits keine individualschützende, das heißt insbesondere das Vermögen Privater schützende Funktion zu. Ausweislich der Erwägungsgründe zu der vorzitierten Verordnung dient diese der Verwirklichung des Binnenmarktes (vgl. Ziffer 1 der Erwägungsgründe) sowie der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere zur Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vgl. Ziffern 5 und 6 der Erwägungsgründe).
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Aufgrund der vorstehenden Ausführungen erweist sich die Klage auch betreffend die weiteren Klageziffern als unbegründet und war daher vollumfänglich abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO.