Titel:
Hinterbliebenenversorgung - Mindestehedauer
Normenketten:
BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1
AGG § 1, § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 7 Abs. 2
BGB § 139
Leitsätze:
1. Versorgungszusagen können rechtswirksam vorsehen, dass betriebliche Hinterbliebenenleistungen an Ehegatten nur dann gewährt werden, wenn die Ehe vor Eintritt des Versorgungsfalles eine bestimmte Mindestdauer bestanden hat. Mindestfristen von einem bis zu zwei Jahren sind ohne weiteres zulässig. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer Betriebsvereinbarung ist entsprechend § 139 BGB ist regelmäßig davon auszugehen, dass diese bei Teilunwirksamkeit im Übrigen grundsätzlich wirksam bleibt, sofern der verbleibende Teil noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Einschränkung, dass die Mindestehedauer als Tatbestandsvoraussetzung wegfallen könnte, wenn die Witwe das Nichtvorliegen einer Versorgungsehe nachweist, wie dies etwa in § 46 Abs. 2a SGB VI vorgesehen ist, muss eine Versorgungsordnung nicht enthalten. Die Betriebsparteien bzw. der eine Gesamtzusage erteilende Arbeitgeber ist nicht gehalten, sich an den gesetzlichen Vorgaben der gesetzlichen Rentenversicherung zu orientieren. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
betriebliche Altersversorgung, Hinterbliebenenversorgung, Versorgungsehe, Witwenrente, Versorgungsordnung, Bezugnahmeklausel, Mindestehedauer, Altersdiskriminierung, Teilunwirksamkeit
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 22.12.2022 – 2 Sa 564/21
BAG Erfurt, Urteil vom 21.11.2023 – 3 AZR 44/23
Fundstelle:
BeckRS 2021, 63270
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits
3. Der Streitwert wird auf EURO 173.793,96 festgesetzt.
4. Soweit die Berufung nicht kraft Gesetzes statthaft ist, wird sie nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine betriebliche Hinterbliebenenrente zu gewähren.
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Die am 1965 geborene Klägerin ist die Witwe des am 1954 geborenen und am 2018 verstorbenen ehemaligen Arbeitnehmers der Beklagten. Die Ehe wurde am 2018 geschlossen.
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Der Ehemann der Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.01.1993 als Exportleiter im Rang eines Abteilungsleiters durchgehend bis zu seinem Tode beschäftigt. Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 10.12.1992 enthält, soweit für diesen Rechtsstreit von Bedeutung, folgende Regelung:
Der Mitarbeiter hat Anspruch auf die betriebliche Altersversorgung nach der in der Versorgungsordnung der Hipp-Betriebe gültigen Regelung.“
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Im Übrigen wird hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Regelungen auf die zur Akte gereichte Kopie des Anstellungsvertrages vom 10.12.1992 (Bl. 82 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses galt bei der Beklagten die im Wege einer arbeitgeberseitigen Gesamtzusage für die damaligen Firmen H. und die H. KG erlassene Versorgungsordnung 1983. Diese sieht neben einer Alters- und Invalidenrente auch eine Hinterbliebenenrente vor und enthält, soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung, folgende Regelung:
„VII. Anspruchsvoraussetzungen für Hinterbliebenenrenten
1.a) Den Anspruch auf Witwenrente erwirbt die hinterlassene Ehefrau eines Mitarbeiters (Anwärter) mit dessen Tode.
Zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen sind, dass der Mitarbeiter (Anwärter) die Ehe vor der Vollendung seines 60. Lebensjahres geschlossen hat und dass am 1. Dezember vor seinem Tode sowohl die Wartezeit (III) abgelaufen ist, als auch die Ehe mindestens ein Jahr bestanden hat.
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Hinsichtlich der Einzelheiten und des genauen Wortlauts der Versorgungsordnung 1983 (im Folgenden: VO 1983) wird auf die zur Akte gereichte Kopie (Bl. 85 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Aufgrund von Umstrukturierungen entstanden nachfolgend die H. OHG, die H. GmbH & Co. Produktion KG sowie die H. GmbH & Co. Vertrieb KG für die jedenfalls seit 1998 unter dem Gesichtspunkt eines Gemeinschaftsbetriebes ein einheitlicher Betriebsrat gebildet wurde. Mit Wirkung zum 01.07.2002 schlossen der Betriebsrat und die den Gemeinschaftsbetrieb bildenden Arbeitgeber, so auch die Beklagte, eine Rahmenbetriebsvereinbarung zur Grundversorgung, der in der Anlage 2 die Versorgungsordnung II beigefügt war. Diese enthielt hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen für Hinterbliebenenrenten eine identische Regelung zur VO 1983. Hinsichtlich des genauen Wortlauts der Rahmenbetriebsvereinbarung und der Versorgungsordnung II (im Folgenden: VO II) wird auf die zur Akte gereichte Kopie (Bl. 100 ff. d. A.) Bezug genommen. Zuletzt maßgeblich war bei der Beklagten die VO II zur Rahmenbetriebsvereinbarung vom 01.01.2015 (Bl. 23 ff. d. A.), die im Hinblick auf Hinterbliebenenrenten ebenfalls identische Anspruchsvoraussetzungen aufstellte.
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Mit ihrer am 16.03.2021 beim Arbeitsgericht München, Kammer Ingolstadt, eingegangenen Klage macht die Klägerin gegenüber der Beklagten die Zahlung einer Hinterbliebenenrente in Höhe von monatlich 4.827,61 € geltend. Ausweislich eines Kontoauszugs (Bl. 35 d.A.) habe ihrem verstorbenen Ehemann zum 31.12.2017 eine monatliche Rentenanwartschaft von 9.655,21 € zugestanden. Die Hinterbliebenenrente betrage hiervon 50%.
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Die Klägerin hält die in der Versorgungsordnung vorgesehenen zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen im Hinblick auf die Hinterbliebenenrente für unwirksam. Die Späteheklausel, die als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung die Eheschließung vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Mitarbeiters verlange, sei altersdiskriminierend und deshalb unwirksam. Die Klägerin beruft sich insoweit auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.02.2019, 3 AZR 215/18. Auch die Regelung zur Mindestehedauer von einem Jahr sei unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam. Die Versorgungsordnung 1983 sei individualvertraglich in Bezug genommen worden. Hierbei handele es sich um eine statische Bezugnahme. Diese sei deshalb nicht durch die nachfolgenden Betriebsvereinbarungen abgelöst worden und weiterhin einer Kontrolle nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen zu unterziehen. Die in Ziffer 7 der Versorgungsordnung enthaltenen einschränkenden Anspruchsvoraussetzungen seien überraschend. In der der Versorgungsordnung vorangestellten Zusammenfassung „Grundzüge der Versorgung“ sei die Berechnung der Witwenrente dargestellt worden ohne auf die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuweisen. Die Klägerin hält die Regelung zudem für unangemessen benachteiligend. Diese enthalte eine Abweichung von § 46 Abs. 2a SGB VI, wonach dem Rentenempfänger die Möglichkeit zum Ausschluss einer Versorgungehe verbleiben müsse. Dies sei in der Versorgungordnung gerade nicht vorgesehen. Vorliegend habe sich jedoch gerade nicht um eine Versorgungsehe gehandelt. Der Ehemann sei durch einen tragischen Unfall zu Tode gekommen. Die Eheleute hätten bereits 9 Jahre eine Lebensgemeinschaft geführt. Wegen unterschiedlicher Nationalitäten habe es jedoch der Ausstellung eines Ehefähigkeitszeugnisses bedurft. Aufgrund der formalen Erfordernisse und Fehler der Behörden sei jedoch erst am 05.01.2018 die Eheschließung möglich gewesen. Auch der in der Regelung der VO 1983 vorgesehene Stichtag sei unwirksam, da er ohne sachlichen Grund aufgestellt worden sei.
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Die Klägerin hat beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 144.828,30 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
€ 4.827,61 seit dem 01.11.2018
€ 4.827,61 seit dem 01.12.2018
€ 4.827,61 seit dem 01.01.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.02.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.03.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.04.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.05.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.06.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.07.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.08.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.09.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.10.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.11.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.12.2019
€ 4.827,61 seit dem 01.01.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.02.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.03.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.04.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.05.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.06.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.07.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.08.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.09.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.10.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.11.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.12.2020
€ 4.827,61 seit dem 01.01.2021
€ 4.827,61 seit dem 01.02.2021
€ 4.827,61 seit dem 01.03.2021
2. Die Beklagte wird verurteilt, beginnend ab dem 01.04.2021 an die Klägerin eine monatliche Witwenrente in Höhe von € 4.827,61 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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Die Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin stehe die begehrte Hinterbliebenenrente nicht zu, da die Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere die Mindestehedauer, nicht vorlägen. Bei der Bezugnahme in § 5 des Arbeitsvertrages auf die gültige Versorgungsordnung handle es sich um eine dynamische Bezugnahmeklausel. Die VO 1983, die im Wege einer Gesamtzusage erfolgte, sei durch die Rahmenbetriebsvereinbarung aus dem Jahre 2002 und durch die späteren Betriebsvereinbarungen abgelöst worden. Diese unterfielen keiner AGB-Kontrolle. Im Übrigen handle es sich nicht um AGB, da der verstorbene Ehegatte der Klägerin zum 01.01.1983 als leitender Angestellter eingetreten sei und die Regelung in § 5 des Vertrages auf der Basis einer individuell ausgehandelten Absprache erfolgt sei. Die Regelung sei mithin nicht mehrfach eingesetzt oder für einen mehrfachen Einsatz vorgesehen gewesen.
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Im Übrigen hält die Beklagte die Regelung zur Mindestehedauer von einem Jahr für zulässig und angemessen. Selbst wenn die Regelung zur Späteheklausel und die Aufstellung einer Altersgrenze unwirksam seien, so verblieben aufgrund der Anwendung des Blue-Pencil-Tests die weiteren Anspruchsvoraussetzungen. Es handele sich um eine rein arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung. Der Arbeitgeber habe aber ein berechtigtes Interesse an einer Begrenzung von Leistungen der Hinterbliebenenversorgung, das weitergehe als die Grenzen der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Risiko einer Hinterbliebenenversorgung sei nicht abschätzbar und könne erhebliche Kosten verursachen.
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Eine Begrenzung durch eine Mindestehedauer von zwölf Monaten sei wirksam. Die Aufstellung zusätzlicher Anspruchsvoraussetzungen sei auch nicht überraschend. Bei den in der Versorgungsordnung enthaltenen „Grundzügen“ handele es sich nur um einen Vorspann im Sinne einer Zusammenfassung. Dies sei bereits aus dem Inhaltsverzeichnis erkennbar. Zudem sei am Ende der „Grundzüge“ und der Beispielsberechnung explizit darauf hingewiesen worden, dass verbindlich für die Rechtsbeziehungen allein die im Folgenden abgedruckte Versorgungsordnung sei. Schließlich bestreitet die Beklagte auch die Höhe der geltend gemachten Witwenrente, da diese um einen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich zugunsten der geschiedenen Ehegattin des Verstorbenen zu reduzieren wäre.
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Im Hinblick auf den Einwand der Kürzung der geltend gemachten Rente durch einen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich weist die Klägerin darauf hin, dass dieser Versorgungsausgleich nicht die hier streitgegenständliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung umfasse.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 13.07.2021 und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zum zuständigen Arbeitsgericht München, Kammer Ingolstadt, erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Die Anspruchsvoraussetzungen der von der Klägerin herangezogenen Versorgungsordnungen sind nicht gegeben.
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Der Klägerin steht kein Anspruch auf Witwenrente gemäß Ziffer VII Nr. 1 a der maßgeblichen Versorgungsordnung zu. Die Klägerin erfüllt unstreitig nicht die Anspruchsvoraussetzung der Mindestehedauer von einem Jahr bis zum Eintritt des Versorgungsfalles. Diese in der Versorgungsordnung aufgestellte Anspruchsvoraussetzung ist wirksam.
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1. Auf den Versorgungsanspruch des verstorbenen Ehemanns der Klägerin findet die VO II in der Fassung der Rahmenbetriebsvereinbarung vom 01.01.2015 Anwendung. Auf diese wurde in § 5 des Arbeitsvertrages des verstorbenen Ehemannes der Klägerin dynamisch Bezug genommen. Dies ergibt die Auslegung des Arbeitsvertrages.
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a) Bei der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag handelt es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB, jedenfalls aber um Einmalbedingungen im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB.
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Die Regelungen des Arbeitsvertrages sind schon dem äußeren Anschein nach ersichtlich durch die Beklagte einseitig vorformuliert worden. Dass und wie diese im Einzelnen ausgehandelt wurden im Sinne von § 305 Abs. 5 Satz 3 BGB hat die Beklagte nicht im Einzelnen konkret und substantiiert dargelegt. Erforderlich wäre insoweit nach der Rechtsprechung, dass die Regelungen des Arbeitsvertrages ernsthaft zur Disposition des Arbeitnehmers gestellt wurden. Hierzu liegt kein Sachvortrag vor. Vielmehr entsprich die Bezugnahme der allgemein im Betrieb der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin geltenden Versorgungsordnung dem nachvollziehbaren Interesse der Beklagten alle Arbeitnehmer – unabhängig von ihrem Status als ggfs. leitender Angestellter – einheitlich nach Maßgabe einer Versorgungsordnung zu behandeln. Selbst wenn diese Bezugnahmeklausel nur zur einmaligen Verwendung vorgesehen gewesen sein sollte, wären die Vorschriften über die Inhaltskontrolle nach AGB gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB anwendbar, da der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG Verbraucher ist.
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Der Inhalt allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach einem objektiv generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Sie sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut (vgl. etwa BAG vom 17.07.2012, 1 AZR 476/11, NZA 2013, 338).
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b) Unter Beachtung dieser rechtlichen Vorgaben ergibt die Auslegung der Bezugnahmeklausel in § 5 des Anstellungsvertrages nach Auffassung der Kammer, dass die jeweils gültige Versorgungsordnung bei der Beklagten im Sinne einer dynamischen Verweisung in Bezug genommen wurde. Dem Wortlaut nach wird auf „die betriebliche Altersversorgung nach der in der Versorgungsordnung der H.-Betriebe gültigen Regelung“ verwiesen. Der Wortlaut lässt die Auslegung im Sinne der „jeweils“ gültigen Regelung zu. Besondere Umstände, die eine Auslegung im Sinne der „derzeit“ gültigen Regelung nahelegen würden, sind nicht ersichtlich. Der Sinn und Zweck und die Funktion einer Verweisungsklausel auf eine kollektive Regelung sprechen vielmehr für die Annahme einer dynamischen Verweisung.
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Die Arbeitsvertragsparteien können ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Das kann ausdrücklich oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen und ist namentlich bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich. Eine solche konkludente Vereinbarung ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Vertragsgegenstand in allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist und – wie stets bei Gesamtzusagen – einen kollektiven Bezug hat. Mit deren Verwendung macht der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar deutlich, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollen. Eine betriebsvereinbarungsfeste Gestaltung der Arbeitsbedingungen stünde dem entgegen. Da allgemeine Geschäftsbedingungen ebenso wie Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet sind, kann aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handelt, die einer, möglicherweise auch verschlechternden, Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbaren, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollen (vgl. BAG vom 24.10.2017, 1 AZR 846/15, zitiert nach Juris mit weiteren Nachweisen).
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Vorliegend existierte unstreitig im Zeitpunkt des Vertragsschlusses des verstorbenen Ehemanns der Klägerin mit der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin die VO 1983, die im Wege einer Gesamtzusage erlassen wurde. Unbestritten hatte die Beklagte zudem vorgetragen, dass dies zwar einseitig durch den Arbeitgeber, aber doch nach Abstimmung mit dem Betriebsrat erfolgte. Für den Vertragspartner des Verwenders war deshalb im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erkennbar, dass hier auf eine Versorgungsordnung verwiesen wurde, die kollektiven Bezug hat und einheitlich im Betrieb gelten sollte. Sinn und Zweck der Verweisungsklausel war gerade, auch dem verstorbenen Ehemann der Klägerin eine betriebliche Altersversorgung nach der geltenden Versorgungsordnung zukommen zu lassen, die aufgrund seines Status als leitender Angestellter bei einer Regelung in Form einer Betriebsvereinbarung nicht unmittelbar auf ihn Anwendung finden würde. Für einen verständigen Arbeitnehmer ersichtlich war die Regelung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet, die nach der zitierten Rechtsprechung des BAG regelmäßig als betriebsvereinbarungsoffen zu verstehen ist.
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2. Die Klägerin erfüllt jedenfalls die wirksam aufgestellte dritte Voraussetzung der Mindestehedauer für den Bezug der Witwenrente nicht.
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a) Die Voraussetzung einer Mindestehedauer verstößt nicht gegen §§ 1, 7 AGG. Die Mindesteheklausel in der Versorgungsordnung der Beklagten enthält keine unzulässige Altersdiskriminierung. Versorgungszusagen können rechtswirksam vorsehen, dass betriebliche Hinterbliebenenleistungen an Ehegatten nur dann gewährt werden, wenn die Ehe vor Eintritt des Versorgungsfalles eine bestimmte Mindestdauer bestanden hat. Mindestfristen von einem bis zu zwei Jahren sind von der Rechtsprechung ohne weiteres gebilligt worden (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 10.09.2019, 1 Sa 86/19, zitiert nach Juris; BAG vom 28.07.2005, 3 AZR 457/04, zitiert nach Juris).
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Die Versorgungsordnung knüpft insoweit hinsichtlich der Mindestehedauerklausel nicht unmittelbar an das Alter an. Eine nur kurze Ehedauer schließt den Anspruch der Witwe auf Witwenrente sowohl bei älteren als auch bei jüngeren Arbeitnehmern unterschiedslos aus. Auch eine mittelbare Benachteiligung im Sinne von
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§ 3 Abs. 2 AGG liegt nicht vor. Eine solche wäre jedenfalls durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und auch zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich. Die Rechtsprechung hat insoweit sowohl den Schutz vor Versorgungsehen als auch den Grundsatz, dass nur Ehen begünstigt werden sollen, die eine bestimmte Dauer bestanden haben, anerkannt, weil beides dem legitimen Ziel des Arbeitgebers dient, seine Versorgungsschulden zu begrenzen und eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen. Zur Erreichung dieses Ziels ist die Mindestehedauerklausel angemessen und erforderlich (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 10.09.2020, a.a.O.). Dies gilt umso mehr, als es sich – unstreitig – um eine rein arbeitgeberfinanzierte Altersversorgung handelt und der Arbeitgeber in diesem Fall über deren Einführung sowie Ausgestaltung frei entscheidet. Er kann insbesondere auch den Kreis der anspruchsberechtigten Hinterbliebenen durch zusätzliche Anspruchsgründe oder besondere anspruchsausschließende Merkmale begrenzen. Dies liegt gerade im Bereich der Hinterbliebenenversorgung nahe, weil ein dahingehendes Leistungsversprechen zusätzliche Unwägbarkeiten und Risiken in sich birgt. Sie betreffen insbesondere den Zeitpunkt des Leistungsfalles und die Dauer der Leistungserbringung. Der Arbeitgeber hat insoweit ein berechtigtes Interesse, diese Risiken zu begrenzen und besser kalkulierbar zu machen (vgl. BAG vom 28.07.2005, a.a.O.). Deshalb wird eine Mindestehedauerklausel nicht unangemessen, wenn sie sich nicht an den gesetzlichen Vorgaben, insbesondere an § 46 Abs. 2a SGB VI orientiert, wonach der Nachweis einer Versorgungsehe durch den Rentenberechtigten ausgeschlossen werden kann. Maßgeblich für den Umfang des von der Beklagten zur Verfügung gestellten Kapitals sind ihre wirtschaftlichen Daten, nicht die der Rentenkasse. Dementsprechend kann eine Versorgungsordnung auch zur dauerhaften Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Altersversorgung längere Mindestehedauern unabhängig vom Motiv der Eheschließung vorsehen (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 10.09.2019, a.a.O.).
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b) Aus den genannten Gründen verstößt die VO II in der Fassung der Rahmenbetriebsvereinbarung aus dem Jahre 2015 auch nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG. Die Betriebsparteien durften eine Differenzierung zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen aufgrund bestehender tatsächlicher und für die jeweilige Regelung erheblicher Gesichtspunkte vereinbaren. Insoweit genügt ein ausreichender Zusammenhang mit einleuchtenden Risikoerwägungen. Das genannte anerkannte Interesse an einer Risikobegrenzung und Sicherung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der betrieblichen Altersversorgung rechtfertigt insoweit den Anspruchsausschluss im Wege einer Mindestehedauerklausel (vgl. BAG vom 28.07.2005, a.a.O.).
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c) Die Regelung einer Mindestehedauer in der in Bezug genommenen Versorgungsordnung ist im Übrigen auch nicht nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam.
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Eine Inhaltskontrolle der Regelung findet schon aufgrund der Bereichsausnahme in § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht statt, da diese in einer Betriebsvereinbarung enthalten ist. Dies gilt auch, soweit die Regelung lediglich im Wege der vertraglichen Inbezugnahme Anwendung findet (vgl. Erfurter Kommentar/Preis, 20. Auflage, §§ 305 ff. BGB, Rn. 13).
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Unabhängig von der Frage, ob § 305c Abs. 1 BGB bei Einmalbedingungen wegen der fehlenden Verweisung in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB überhaupt Anwendung findet, wären zudem die in Ziffer VII der jeweiligen Versorgungsordnungen enthaltenen Anspruchsvoraussetzungen nicht überraschend, wie die Klägerin meint. Die Beklagte weist zurecht darauf hin, dass die Zusammenstellung der „Grundzüge der Versorgung“ am Anfang der VO 1983 den expliziten Hinweis darauf enthält, dass rechtsverbindlich allein die im Folgenden abgedruckte Versorgungsordnung ist und es sich bei den Grundzügen nur um einen Überblick handelt. Ein verständiger und aufmerksamer Arbeitnehmer konnte und musste dies so verstehen, dass sich die maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen allein aus den Regelungen der Versorgungsordnung selbst ergeben sollten. Ein Überrumpelungseffekt, der daraus resultieren könnte, dass Unerwartetes an unerwarteter Stelle geregelt wurde, ergibt sich deshalb nicht.
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Schließlich weist die Kammer darauf hin, dass nach ihrer Auffassung die Regelung in Ziffer VII Nr. 1 a, die eine Mindestehedauer vorsieht, nicht unangemessen benachteiligt sein dürfte. Insoweit ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB das Interesse des Arbeitnehmers an einer vollumfänglichen Hinterbliebenenversorgung seiner Ehefrau dem Interesse des Arbeitgebers an einer Begrenzung seiner Versorgungsschulden und der Schaffung einer verlässlichen und überschaubaren Kalkulationsgrundlage gegenüberzustellen. Insoweit ist insbesondere mit in den Blick zu nehmen, dass es sich um eine einseitig arbeitgeberfinanzierte Altersversorgung handelt. Der Arbeitgeber ist deshalb in größerem Maße berechtigt, die Anspruchsvoraussetzungen und Anspruchsbegrenzungen festzulegen. In Abwägung der beiderseitigen Interessen erscheint die Festsetzung einer Mindestehedauer deshalb nicht unangemessen benachteiligend. Das Arbeitnehmerinteresse überwiegt die Arbeitgeberinteressen hier nicht. Auch deshalb wäre die Klausel, unabhängig von der Frage, ob der Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung aus einer Betriebsvereinbarung oder aus der ursprünglichen Gesamtzusage folgt, wirksam.
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3. Das Ausschlusskriterium einer Mindestehedauer bleibt auch dann wirksam bestehen, wenn die weiteren Anspruchsausschlusskriterien eines Mindestalters (sog. Spätehenklausel) und der Stichtagsregelung (01. Dezember) mangels rechtfertigender Gründe unwirksam sein sollten. Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 139 BGB ist bei einer Betriebsvereinbarung nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts regelmäßig davon auszugehen, dass diese bei Teilunwirksamkeit im Übrigen grundsätzlich wirksam bleibt, sofern der verbleibende Teil noch eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 10.09.2019, a.a.O.; BAG vom 19.02.2019, 3 AZR 215/18, NZA 2019, 997).
36
Die ggf. unwirksamen Regelungen des Mindestalters und des Stichtages lassen sich in der vorliegenden Versorgungsordnung gedanklich streichen, ohne dass die Regelung der Hinterbliebenenversorgung im Übrigen ihren Sinn und Durchführbarkeit verlöre. Gleiches gilt im Übrigen auch, sofern man die Regelung einer Inhaltskontrolle nach dem Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen unterziehen wollte. In Anwendung des vom BAG regelmäßig durchgeführten Blue-Pencil-Tests handelte es sich vorliegend um teilbare Regelungsgegenstände, die gestrichen werden könnten, ohne dass für die verbliebene Regelung eine unverständliche Regelung verbliebe (vgl. etwa BAG vom 21.04.2016, 8 AZR 447/14).
37
4. Nach alledem war die Klage abzuweisen, denn die Klägerin erfüllt unstreitig jedenfalls die wirksam aufgestellte Mindestvoraussetzung einer Mindestehedauer von einem Jahr im Zeitpunkt des Versorgungsfalles nicht.
38
Die Ehe bestand im Zeitpunkt des tragischen Todes des verstorbenen Ehemanns der Klägerin erst neun Monate. Eine Einschränkung, dass die Mindestehedauer als Tatbestandsvoraussetzung wegfallen könnte, wenn die Klägerin das Nichtvorliegen einer Versorgungsehe nachweist, wie dies etwa in § 46 Abs. 2a SGB VI vorgesehen ist, enthält die hier maßgebliche Versorgungsordnung nicht. Eine solche ist auch nach dem oben Gesagten nicht in die Versorgungsordnung von Rechts wegen hineinzulesen. Die Betriebsparteien bzw. der eine Gesamtzusage erteilende Arbeitgeber ist nicht gehalten, sich an den gesetzlichen Vorgaben der gesetzlichen Rentenversicherung zu orientieren (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 10.09.2019, a.a.O.).
39
Deshalb kam es auch nicht mehr darauf an, ob die Klage der Höhe nach schlüssig begründet war, was die Beklagte im Hinblick auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich in Zweifel gezogen hatte.
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1. Als unterliegende Partei hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, §§ 46, 91 ZPO.
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2. Die Streitwertfestsetzung erfolgte gemäß §§ 61, 46 Abs. 2 ArbGG, 42 Abs. 1 GKG in Höhe des 36-fachen Monatsbezuges der begehrten Rente. Die in Ziffer 1 der Anträge eingeklagten bei Einreichung der Klage fälligen Beträge wurden dem Streitwert gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 GKG nicht hinzugerechnet.
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3. Gegen dieses Urteil ist für die Klägerin das Rechtsmittel der Berufung statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 € übersteigt, § 64 Abs. 2 b ArbGG. Die Voraussetzungen für die gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG lagen nicht vor. Auf die anliegende Rechtsmittelbelehrungwird weiter Bezug genommen.