Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 22.02.2021 – AN 9 K 19.00494
Titel:

Wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot

Normenketten:
WHG § 78, § 78a
BayWG Art. 63 Abs. 3
Leitsätze:
1. § 78 Abs. 5 S. 2 WHG und § 78a Abs. 2 S. 3 WHG haben drittschützende Wirkung. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verletzung des sich aus § 78 Abs. 5 S. 2 WHG und § 78a Abs. 2 S. 3 WHG ergebenden wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots ist dann anzunehmen, wenn dem Betroffenen ein qualifizierter, somit ein nicht nur unerheblicher Nachteil in Form einer mehr als nur geringfügigen Beeinträchtigung droht bzw. wenn durch das entsprechende Vorhaben eine unzumutbare Verschärfung der Hochwassergefahr entstehen würde. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Den Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes als amtlichem Sachverständigen iSd Art. 63 Abs. 3 BayWG kommt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren besondere Bedeutung zu, da diese Stellungnahmen auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen. Aufgrund dessen bedarf es zur ernsthaften Erschütterung der Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes eines qualifizierten Vortrags, der sich nicht nur in ausreichendem Maß mit dem behördlichen Vorbringen auseinandersetzt, sondern zudem auch schlüssig darlegt, warum das dort gefundene Ergebnis nicht als vertretbar anzusehen ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Tatsachengericht kann sich ohne einen Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht grds. auf gutachtliche Stellungnahmen anderer Behörden stützen, und zwar auch dann, wenn sie von der federführenden Behörde bereits im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
keine Beeinträchtigung der Hochwasserrückhaltung, wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot, Beeinträchtigung, Hochwasserrückhaltung, Rücksichtnahmegebot, Drittschutz, Stellungnahme, Wasserwirtschaftsamt, Aufklärungspflicht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 10.08.2021 – 8 ZB 21.1330
Fundstelle:
BeckRS 2021, 6140

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Errichtung einer Zufahrtstraße sowie für Geländeveränderungen.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung …, und betreibt auf diesem Grundstück eine denkmalgeschützte Mühle. Zudem ist er Eigentümer des östlich des Grundstückes FlNr. … gelegenen Wegegrundstückes FlNr. … Das klägerische Grundstück sowie die streitgegenständlichen Grundstücke FlNrn. …, …, …, …, …, … und …, jeweils Gemarkung …, befinden sich im Überschwemmungsgebiet der … In der Vergangenheit wurde bereits ein Retentionsbecken durch Abgrabung auf dem Grundstück FlNr. … genehmigt und errichtet. Dieses umfasst ein Retentionsvolumen von ca. 850 m³; es wurde eine Dienstbarkeit für eine Abgrabung von 756 m³ eingetragen.
3
Anlässlich einer Ortsansicht am 22. März 2018 durch die Beklagte wurde festgestellt, dass eine Anliegerstraße mit einer Höhe über der natürlichen Geländehöhe fast fertiggestellt worden war und dass beabsichtigt sei, die Baugrundstücke im Baugebiet des Vorhabensträgers der …GbR aufzufüllen.
4
Mit Antrag vom 20. Juli 2018 wurde beantragt, Auffüllungen während des Straßenbaus sowie in Zukunft durch die Erstellung der Wohnbebauungen mit den erforderlichen Zufahrten und Zugangswegen zu genehmigen. Für den Verlust des ursprünglich vorhandenen Retentionsraums sei bereits im Bereich des Grundstücks FlNr. … ein Retentionsausgleich geschaffen worden. Ein zusätzlicher Retentionsausgleich werde durch eine geringe Vertiefung des vorhandenen Geländeniveaus sowie vornehmlich dadurch geschaffen, dass einzelne Teilbereiche im Zuge der noch auszuführenden Baumaßnahmen nicht aufgefüllt würden.
5
Mit Gutachten vom 16. November 2018 nahm das Wasserwirtschaftsamt als amtlicher Sachverständiger zu dem Vorhaben „Errichtung einer Zufahrtstraße im Bereich …und Veränderungen der Geländehöhen im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet der Gründlach auf den Grundstücken FlNrn. …, …, … …, …, …, …und …, Gemarkung …“ Stellung und kam zu dem Ergebnis, dass Genehmigungen nach § 78 und 78a WHG ausgesprochen werden könnten. Die Hochwasserrückhaltung sei nicht beeinträchtigt, der Retensionraumausgleich sei umfangs, funktions- und zeitgleich geplant. Die geplanten Abgrabungen seien plausibel, wobei ein Ablauf der Retentionsbereiche nicht erfolge, sondern das aufgefangene Hochwasser versickere. Der Wasserstand und der Abfluss würden bei Hochwasser nicht verändert, der Hochwasserschutz werde nicht beeinträchtigt. Die Ausführung der Zufahrtstraße habe über der HW 100-Kote von 287,90 müNN zu erfolgen. Belange des Allgemeinwohls stünden nicht entgegen. Der Hochwasserabfluss und die Hochwasserrückhaltung würden nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Nachteilige Auswirkungen auf die Nachbarschaft seien nicht zu erwarten. Die FlNr. …, Gemarkung … stehe nach Abschluss der Bauarbeiten mit 850 m³ Retentionsraum zur Verfügung.
6
Mit Bescheid vom 4. Februar 2019 wurden der Beigeladenen Ausnahmegenehmigungen nach §§ 78 Abs. 5 und 78a Abs. 2 WHG für die Errichtung einer Zufahrtstraße auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … und Geländeveränderungen auf den Grundstücken FlNr. …, …, …, …, …, … und …, Gemarkung …erteilt. In Ziffer 3 des Bescheides wurde angegeben, dass die Genehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG und 78a Abs. 2 WHG die Genehmigung nach § 36 WHG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 BayWG zur Errichtung einer Anlage im Abstand von weniger als 60 m einem Gewässer 2. Ordnung ersetzen.
7
Mit Schriftsatz vom 7. März 2019 ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte Klage erheben.
8
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, der Bescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil die Zufahrtstraße zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses schon fertiggestellt gewesen sei. Zudem enthalte der Bescheid unter Punkt 2.3 die Auflage, dass die Ablagerung des Aushubmaterials auf dem Grundstück FlNr. … spätestens mit Beginn der Bautätigkeit zu entfernen sei. Hierbei handle es sich um ein ebenfalls im Überschwemmungsgebiet gelegenes Grundstück, auf welchem das Aushubmaterial geländeerhöhend aufgebracht worden sei, und welches nunmehr als Reitplatz genutzt werde. Hierdurch fehle jedoch dringend erforderlicher Überschwemmungsbereich. Da die Zufahrtstraße schon vor Bescheidserlass errichtet worden sei und auch weitere erhebliche Geländeerhöhungen vorgenommen worden seien, könne die Auflage gar nicht mehr erfüllt werden, da eine Entfernung des Aushubmaterials vor Beginn der Bautätigkeit gar nicht mehr umgesetzt werden könne. Der Bescheid sei daher bereits aus formalen Gründen rechtswidrig und aufzuheben.
9
Durch die Beigeladene würden weitere Bautätigkeiten ausgeführt, insbesondere auch der Beginn der Errichtung der Einfamilienhäuser und weitere Geländebewegungen, ohne zuvor Aushubmaterial zu beseitigen.
10
Auf der FlNr. …, Gemarkung …, lagerten ca. 615 m³ Oberboden, mit welchem man die verbliebene Freifläche von ca. 1.830 m² um ca. 34 cm auffüllen könne. Da die Verfüllung nach den Ausführungen des Wasserwirtschaftsamtes nicht höher als das anstehende Gelände erfolgen dürfe (Punkt 3.3.2.1 des Bescheides) widerspreche das den obigen Berechnungen. Auch die Ausführungen des Ingenieurbüros* …unter Nr. 5 letzter Absatz stünden diesbezüglich im Widerspruch, da nach diesen ein zusätzlicher Retentionsausgleich durch eine geringe Vertiefung des vorhandenen Geländeniveaus sowie vornehmlich dadurch geschaffen werde, dass einzelne Teilbereiche nicht aufgefüllt würden.
11
Auch die Ausführungen zum Hochwasser sowohl seitens des Wasserwirtschaftsamtes als auch Seitens des Ingenieurbüros …seien widersprüchlich. Das Wasserwirtschaftsamt führe aus, dass das über den … fließende Hochwasser lediglich die Retentionsbecken V1 und eventuell V4 erreiche. Die Becken V2 und V3 würden jedoch durch den … und den erhöhten RW als Kanal für die Einleitung von Regenwasser in die …abgeschnitten. Das Ingenieurbüro … führe hingegen aus, dass das im Wohngebiet anfallende Regenwasser gesammelt und in die … eingeleitet werde. Eine Versickerung sei nicht möglich, da der Grundwasserspiegel nur wenige dm unter dem derzeitigen Geländeniveau liege. Das Wasserwirtschaftsamt führe hingegen in seinem Gutachten vom 16. November 2018 aus, dass die geplanten Ausgrabungen plausibel seien, wobei ein Ablaufen der Retentionsbereiche nicht erfolge, sondern das aufgefangene Hochwasser versickere.
12
Den Ausführungen des Wasserwirtschaftsamtes, dass Hochwasser selten sei, könne nicht gefolgt werden. So zeigten die Wasserflusstabellen Hochwasser in den Jahren 2010 bis 2013, was keinesfalls selten sei.
13
Das Wasserwirtschaftsamt räume ein, dass es zu Geruchsbelästigungen und zu einem verstärkten Aufkommen von Insekten durch stehendes Wasser in den Sickermulden kommen könne; hiervon wäre der Kläger als direkter Anwohner unmittelbar betroffen.
14
Bereits im Rahmenplan der Stadt … zur Bebauung des Grundstückes FlNr. …, Gemarkung …, aus dem Jahr 2011 ergebe sich, dass dort Vorgaben zum technischen Umweltschutz getroffen worden seien. Es habe sich schon immer um Feuchtwiesen gehandelt, was auch seitens der Beklagten dahingehend erkannt worden sei, dass insgesamt 1.380,90 m³ Ausgleich für verlorengehenden Retentionsraum gefordert worden seien. Dies sei unabhängig von der vorläufigen Sicherung des Überschwemmungsgebietes im Jahre 2014 erfolgt. Dieser Wert von 1.380,90 m³ liege weit über dem seitens des Ingenieurbüros …im Gutachten ausgewiesenen 850 m³ Retentionsraum, der dann im neuen Antrag als nicht ausreichend festgestellt worden sei, weshalb zusätzlich noch 271 m³ auf den Baugrundstücken erstellt worden seien. Diese insgesamt 1.121 m³ lägen jedoch immer noch mehr als 200 m³ unterhalb der im Jahre 2011 im Rahmenplan ausgewiesenen 1.380,90 m³. Im wasserrechtlichen Verfahren zur Einleitung des Niederschlagswassers sei angegeben worden, dass der Ausgleich für den Verlust des Überflutungsbereiches bereits vollständig auf FlNr. … geschaffen worden sei. Im wasserrechtlichen Antrag für die Geländeauffüllung und die Errichtung der Zufahrtstraße sei hingegen ausgeführt worden, dass der gesamte erforderliche Retentionsraum auf FlNr. … nicht zur Verfügung stehe und daher der restliche Ausgleich innerhalb des Baugebietes zu schaffen sei.
15
Das Ingenieurbüro … weise immer wieder darauf hin, dass kein Bodengutachten bestehe. Es bedürfe aber eines Bodengutachten, um überhaupt die Versickerungsfähigkeit des Wassers auf den betreffenden Gebieten feststellen zu können.
16
Das Wasserwirtschaftsamt habe in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass das Ingenieurbüro … in seiner hydraulischen Berechnung unberechtigterweise von einer Versickerung ausgehe. Die hydraulische Berechnung sei damit unzureichend.
17
Das Überschwemmungsgebiet auf der FlNr. … stehe nicht vollständig als Überschwemmungsgebiet zur Verfügung. So sei bereits eine geschotterte erhöhte Einfahrt sowie ein ebenfalls erhöhter Reitplatz erstellt worden. Beim Retentionsausgleich auf der FlNr. … sei mit dem abgenommenen Oberboden ein erheblicher Teil im nördlichen Bereich der Wiese aufgefüllt worden. Damit stehe erheblich weniger an Retentionsraum auf der FlNr. … zur Verfügung. Die Ausweisung der Ausgleichsflächen V2 und V3 sei nicht praktikabel, da es sich um Baugrundstücke handele, kein Bodengutachten vorliege und damit die Versickerungsfähigkeit nicht gesichert sei. Der neu geplante Retentionsausgleich funktioniere auch vor dem Hintergrund nicht, dass sich der … auf 288,18 müNN befinde und der Uferbereich der …aufgrund der Staustufe ebenfalls in dieser Höhe bis zum Mühlengebäude verlaufe. Ausweislich des hydraulischen Nachweises solle das Gelände um die Gebäude im Baugebiet bei 288,50 müNN liegen. Ein Hochwasser mit HQ 100, welches mit 287,90 müNN definiert sei, erreiche die Flächen V2 und V3 damit gar nicht.
18
Die Berechnung des Ingenieurbüros …halte eine Überprüfung auch vor dem Hintergrund nicht statt, dass in dem hydraulischen Nachweis bei der Berechnung stets die HQ 100 mit 297,90 müNN angegeben werde, anstatt mit 287,90 müNN.
19
Eine der Flutmulden (V3) sei von den Bauherren innerhalb ihres Grundstückes vollumfänglich aufgefüllt worden, so dass damit die wasserrechtlichen Vorkehrungen, die seitens des Sachverständigen vorgeschlagen worden seien und von der Beklagten mit zum Gegenstand der Bescheide gemacht worden seien, obsolet seien. Das in sich geschlossene System sei nunmehr nicht mehr umsetzbar, da die Flutmulden miteinander verbunden seien und bei Verfüllung auch nur einer Flutmulde das gesamte System nicht aktiviert werden könne.
20
Der Kläger beantragt,
die der Beigeladenen mit Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2019 erteilten Ausnahmegenehmigungen zur Errichtung einer Zufahrtstraße auf dem Grundstück FlNr. … sowie Geländeveränderungen auf den Grundstücken FlNr. … …, …, …, …, … und …, Gemarkung … im Bereich des vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiets der …werden aufgehoben.
21
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
22
Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, dass die Auflagen in Ziffer 2.3 des angefochtenen Bescheids hinsichtlich der Entfernung von Aushubmaterial vom Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, erfüllt worden seien. Soweit die Klagebegründung ausführe, dass das WWA dargelegt habe, dass die Becken V2 und V3 nicht erreicht werden könnten, so sei eine solche Aussage im Gutachten des Wasserwirtschaftsamtes vom 16. November 2018 nicht zu finden. Das Wasserwirtschaftsamt stelle vielmehr fest, dass bei plangemäßer Ausführung davon auszugehen sei, dass das über den … fließende Hochwasser in die Retentionsbecken gelangen könne und somit deren Wirksamkeit gegeben sei. Zudem werde der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Mulden unter Ziffer 3.3.2.2 - Unterhalt - Rechnung getragen, wonach die Retentionsmulden so zu unterhalten seien, dass ihre Funktionsfähigkeit jederzeit gegeben sei, Auflandungen wieder zu entfernen seien und der Zufluss zu den Mulden zu gewährleisten sei.
23
Die Errichtung sei ohne Genehmigung erfolgt, weshalb aber die nunmehr formell und materiell rechtmäßig erteilte Ausnahmegenehmigung deshalb rechtswidrig sein solle, bleibe unklar. Die nachträgliche formelle „Legalisierung“ sei im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung sowohl möglich als auch geboten. Auch die mittlerweile erfolgte Erfüllung der Auflagen in Ziffer 2.3 des angefochtenen Bescheids tangiere weder die Rechtmäßigkeit des Bescheides generell, noch die hier in Rede stehenden Nebenbestimmung.
24
Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakten. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
25
Streitgegenstand sind die mit Bescheid vom 4. Februar 2019 erteilten Ausnahmegenehmigungen nach § 78 Abs. 5 und § 78a Abs. 2 WHG für die Errichtung einer Zufahrtsstraße und für Geländeveränderungen.
B.
26
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1.
27
Ein Rechtsanspruch eines Nachbarn auf Aufhebung einer erteilten Ausnahmegenehmigung besteht nicht schon dann, wenn die erteilte Genehmigung objektiv rechtswidrig ist. Der Anspruch auf Aufhebung setzt vielmehr voraus, dass der Nachbar durch die Genehmigung zugleich in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, mithin also drittschützende Wirkung hat.
28
§ 78 Abs. 5 Satz 2 WHG und § 78a Abs. 2 Satz 3 WHG kommt eine derartige drittschützende Funktion zu (vgl. BT-Drs. 18/10879, S. 27 f.). Der Gesetzgeber wollte durch die 2018 erfolgte Neufassung dieser Regelungen die drittschützende Wirkung, die bis zu diesem Zeitpunkt in der Rechtsprechung uneinheitlich gesehen wurde (vgl. Czychowski/Reinhardt in Czychowski/Reinhardt WHG, 12. Auflage 2019, § 78 Rn. 25), gesetzlich verankern, da die Gewährleistung eines schadlosen Wasserabflusses als Teilelement des Hochwasserschutzes auch dem Schutz der Individualinteressen - Leben, Gesundheit und Eigentum - der jeweils betroffenen Menschen dient (vgl. VG Trier, U.v. 20.11.2018 - 9 K 2623/18.TR - juris Rn. 29). § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG und § 78a Abs. 2 Satz 3 WHG stellen sich somit als Ausprägungen des drittschützenden wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebotes dar, auf das sich Dritte grundsätzlich berufen können.
29
Eine Verletzung diese Rücksichtnahmegebotes ist dann anzunehmen, wenn dem Betroffenen ein qualifizierter, somit ein nicht nur unerheblicher Nachteil in Form einer mehr als nur geringfügigen Beeinträchtigung droht (vgl. zur alten Rechtslage VHG München, B.v. 7.5.2018 - 8 CS 18.455 - juris Rn. 10; siehe auch BT-Drs. 18/10879, S. 28), bzw. wenn durch das entsprechende Vorhaben eine unzumutbare Verschärfung der Hochwassergefahr entstehen würde (vgl. Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp WHG, Stand August 2019, § 78 Rn. 74; Hünnekens in Landmann/Rohmer Umweltrecht, Stand August 2020, § 78 Rn. 52).
2.
30
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer insbesondere unter Würdigung der fachlichen Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes als amtlichem Sachverständigen zu der Überzeugung gelangt, dass für den Kläger keine erheblichen, qualifizierten Nachteile durch das streitgegenständliche Vorhaben zu erwarten sind. Auch sind keine Anhaltspunkte für eine unzumutbare Verschärfung der Hochwassergefahr anzunehmen.
2.1
31
Den Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes als amtlichem Sachverständigen i.S.d. Art. 63 Abs. 3 BayWG kommt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren besondere Bedeutung zu, da diese Stellungnahmen auf jahrelanger Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen. Aufgrund dessen bedarf es zur ernsthaften Erschütterung der Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes eines qualifizierten Vortrags, der sich nicht nur in ausreichendem Maß mit dem behördlichen Vorbringen auseinandersetzt, sondern zudem auch schlüssig darlegt, warum das dort gefundene Ergebnis nicht als vertretbar anzusehen ist (vgl. dazu: BayVGH, B.v. 17.12.2014 - 8 ZB 14.661 - juris Rn. 6; B.v. 17.7.2012 - 8 ZB 11.1285 - juris Rn. 13; B.v. 31.8.2011 - 8 ZB 10.1961 - juris Rn. 17; B.v. 2.5.2011 - 8 ZB 10.2312 - juris Rn. 11; VG Bayreuth, U.v. 13.10.2014 - B 2 K 14.313 - juris Rn. 37, VG Augsburg, B.v. 11.12.2015 - Au 3 S 15.1633 - juris Rn. 53).
32
In der Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, dass sich ein Tatsachengericht ohne einen Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht grundsätzlich auf gutachtliche Stellungnahmen anderer Behörden stützen kann, und zwar auch dann, wenn sie von der federführenden Behörde bereits im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2011 - 8 ZB 10.2312 - juris Rn. 11; B.v. 26.2.2007 - 8 ZB 06.879 - juris). Die Notwendigkeit einer Abweichung und einer eventuellen Einholung weiterer Gutachten zur Aufhellung des Sachverhalts ist lediglich dann geboten, wenn sich dem Gericht der Eindruck aufdrängen muss, dass das Gutachten des Wasserwirtschaftsamtes unvollständig, widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht überzeugend ist, wenn es auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht, wenn Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Sachverständigen bestehen, wenn ein anderer Gutachter über neuere oder überlegene Forschungsmittel verfügt oder wenn die Erkenntnisse, die in dem Gutachten ihren Niederschlag gefunden haben, durch substantiierte Einwände der Beteiligten ernsthaft in Frage gestellt erscheinen (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2011, a.a.O.).
2.2
33
Gemessen hieran sind die gutachterlichen Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamtes plausibel, nachvollziehbar und überzeugend. Eine Abweichung und Einholung weiterer Gutachten war nicht erforderlich. Der klägerische Vortrag hat auch gerade nicht aufgezeigt, warum die Ergebnisse des Wasserwirtschaftsamtes als nicht vertretbar anzusehen sein sollten.
2.2.1
34
Das Wasserwirtschaftsamt stellt in seinem Gutachten vom 16. November 2018 fest, dass die Hochwasserrückhaltung nur unwesentlich beeinträchtigt werde und der Retentionsraumausgleich umfangs-, funktions- und zeitgleich geplant sei.
35
Das Gericht sieht keinen Anlass, diese Feststellungen anzuzweifeln, insbesondere erscheinen die Berechnungen zum Retentionsausgleich im Rahmen des hydraulischen Nachweises nachvollziehbar. Wie durch den Vertreter des Wasserwirtschaftsamtes in der mündlichen Verhandlung bestätigt, findet sich im hydraulischen Nachweis (Blatt 107 f. der Behördenakte) bezüglich der Oberkannte der Retentionsraumes ein Schreibversehen, da diese mit 297,90 müNN angegeben wird, anstelle von 287,90 müNN. Dieses Schreibversehen hat aber nicht in die Berechnungen des Retentionsvolumens Eingang gefunden, dort wurde ersichtlich jeweils nur der Differenzwert zu einer Oberkante von 287,90 müNN zugrunde gelegt. Der Nachweis von 271 m³ zusätzlichem Retentionsraum, der zu den bereits nachgewiesenen 850 m³ hinzutritt, ist damit geführt.
36
Soweit die Klägerbevollmächtigte darauf hinweist, dass der auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …, lagernde Oberboden dazu verwendet werden könnte, das fragliche Gebiet um 34 cm aufzufüllen, ist auf die Auflage 2.20 des streitgegenständlichen Bescheides zu verweisen, wonach anfallendes Aushubmaterial, das nicht im Rahmen der planmäßigen Geländeveränderungen verwendet wird, außerhalb des Überschwemmungsgebietes zu lagern oder zu entsorgen ist. Der Bescheid geht gerade nicht von einer vollständigen Nutzung des gelagerten Materials zu Auffüllungszwecken aus.
37
Auch eventuelle Veränderungen des Wasserstandes durch die sich im Überschwemmungsgebiet befindlichen Biberbauten führen zu keiner anderen Beurteilung. Im Rahmen des Retentionsausgleiches ist es hier allein entscheidend, dass das verloren gegangene Volumen im gleichen Umfang ausgeglichen wird. Hiervon ist vorliegend auszugehen.
2.2.2
38
Nach den nachvollziehbaren und plausiblen Aussagen des Wasserwirtschaftsamtes ist auch ein ausreichender Hochwasserabfluss gegeben, insbesondere werden entgegen den Ausführungen der Klägerbevollmächtigten auch sämtliche Retentionsbecken erreicht, so dass deren Wirksamkeit gegeben ist (vgl. Bl. 178 der Behördenakte).
39
Hinsichtlich der Frage der Versickerung bejaht das Wasserwirtschaftsamt die Geeignetheit der Versickerung. Das Wasserwirtschaftsamt hat mit Stellungnahme vom 9. April 2018 in dem die Einleitung von Niederschlagswasser betreffenden Verfahren (AN 9 K 18.00596) lediglich eine dezentrale Versickerung sämtlicher Niederschlagswasser ausgeschlossen. Eine solche ist indes aber nicht beabsichtigt, da ja gerade ein Teil der Niederschlagswasser eingeleitet wird und nur der verbleibende Rest versickert wird. Zweifel an der grundsätzlichen Versickerungsfähigkeit des Bodens bestehen aufgrund des beklagtenseits dargelegten Übergangs von Talsediment zu wasseraufnahmefähiger Braunerde gerade nicht.
40
Zudem gilt es das vorhandene Hochwasserschütz zu berücksichtigen. Die Überschwemmungegebietsberechnung geht von einem „Worst-Case-Szenario“ in Form des vollständig geschlossenen Schützes aus (vgl. Bl. 380 der Behördenakte). Der Kläger hat aber die Möglichkeit, mittels des gezogenen Schützes im Hochwasserfall das an der Mühle vorbeifließende Gewässer zu entlasten. Wenn aber sogar bei einem vollständig geschlossenen Schütz der Hochwasserabfluss und die Hochwasserrückhaltung durch das streitgegen-ständliche Vorhaben nur unwesentlich beeinträchtigt werden und keine nachteiligen Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu erwarten sind, so muss dies erst recht gelten, wenn die Hochwassergefahr für das klägerische Grundstück mittels des Schützes noch weiter verringert werden kann.
2.2.3
41
Hinsichtlich des geänderten Verlaufs der Straße …nahm das Wasserwirtschaftsamt mit Schreiben vom 20. August 2020 (Bl. 390 der Behördenakte) dahingehend Stellung, dass durch den Straßenneubau keine signifkanten Abweichungen bezüglich der hydraulichen Berechnungeen zu erwarten seien.
2.2.4
42
Es sind auch keine Anhaltspunkte für einen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigenden, unzumutbaren Abfluss von Niederschlagswasser vom Anwesen …auf das klägerische Grundstück gegeben; die Becken V2 und V3 geben nach dem Gutachten … vom 20. Juli 2018 und der Einschätzung der Beklagten das Wasser in westliche Richtung weiter. Die Bildung von neuen, zum klägerischen Grundstück laufenden Abflussrinnen ist daher nicht zu erwarten.
2.2.5
43
Hinsichtlich der vorgetragenen Geruchsbelästigungen und Insektenentwicklung in den Retentionsmulden ist angesichts der Entfernung der Mulden zum klägerischen Anwesen nicht von einer relevanten Beeinträchtigung auszugehen. Dies entspricht auch der Einschätzung des Wasserwirtschaftsamtes, das mit Gutachten vom 16. November 2018 ausführt, dass Beeinträchtigungen durch Geruchsbelästigungen und Insekten, wenn überhaupt, nur in unmittelbarer Nähe der Sickermulden zu erwarten seien. Eine Verschlechterung zur bisherigen Situation ist für den Kläger damit gerade nicht zu erwarten.
2.3
44
Eine den Nachbarn betreffende Rechtsverletzung ergibt sich auch nicht aufgrund der Tatsache, dass die Genehmigung erst nach Errichtung der Zufahrtsstraße erteilt wurde. Die nachträgliche Legalisierung eines formell rechtswidrigen, aber materiell rechtmäßigen Vorhabens stellt sich als milderes Mittel im Vergleich zu Rückbau oder Beseitigung dar, so dass die Genehmigung bei der vorliegenden materiellen Rechtmäßigkeit sogar geboten war.
45
Ebenso wenig vermag die Tatsache, dass die Auflage, die Ablagerungen auf FlNr. …, Gemarkung … seien spätestens mit Beginn der Bautätigkeit zu entfernen, aufgrund der bereits erfolgten Aufnahme der Bautätigkeit nicht mehr erfüllt werden kann, die Rechtswidrigkeit des Bescheides zu begründen. Die Nichterfüllung bzw. Nichterfüllbarkeit einer Auflage vermag die Wirksamkeit des Bescheides nicht zu berühren; anders kann dies im Falle einer Bedingung sein, eine solche wurde jedoch gerade nicht formuliert. 2.4 Soweit klägerseits eine abweichende Ausführung gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass streitgegenständlich allein die Genehmigung mit ihrem jeweiligen Regelungsinhalt ist. Eine von der Genehmigung abweichende Ausführung berührt die Rechtmäßigkeit der Genemigung gerade nicht. Sofern eine abweichenden Ausführung erfolgt ist, kann diese im Wege von aufsichtlichen Maßnahmen überprüft werden und gegebenenfalls eine Anpassung an den genehmigten Stand gefordert werden.
C.
46
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
47
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene durch Antragstellung am Prozessrisiko beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten ebenfalls dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
48
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.