Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 16.12.2021 – 1 U 79/20
Titel:

Besetzungsrüge, Geschäftsverteilungsplan, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Kostenentscheidung, Versicherungsfall im Ausland, Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Haftpflichtversicherungsvertrag, Zusätzlicher Versicherungsschutz, Versicherungsschein, Nachtragsvereinbarung, Erweiterung des Versicherungsschutzes, Berufungserwiderung, Versicherungsvertrag, Gelegenheit zur Stellungnahme, Rechtliches Gehör, Ansprüche auf Versicherungsleistungen, Klageantrag, Stellungnahmefrist, Zahlungsanspruch

Leitsätze:
1. Die in den einschlägigen Bedingungen verwendeten Definitionen des Begriffs „Rückruf“ stellen auf eine Aufforderung an die Kfz-Halter oder Händler, Vertrags- und sonstige Werkstätten ab, nicht jedoch auf die dem vorangehenden internen Entscheidungsprozesse und die interne Beschlussfassung im Herstellerbetrieb. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die innerbetriebliche Weisung als Versicherungsfall der sog. „Hofaustauschkosten“ im Rahmen der Kfz-Rückrufkostenversicherung gilt ausschließlich für den Fall, dass der Mangel des Produktes des Zulieferers nach Auslieferung an den Hersteller und vor der Auslieferung des Endprodukts (Kfz) an den Endkunden bemerkt wird. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Haftpflichtversicherung
Vorinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 07.02.2020 – 1 HK O 2058/18
Fundstellen:
BeckRS 2021, 60955
LSK 2021, 60955
r+s 2023, 310

Tenor

1. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 07.02.2020 (1 HK O 2058/18) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerinnen haben die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1) genannte Urteil des Landgerichts Würzburg sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerinnen machen als Versicherungsnehmerin (Klägerin zu 1) bzw. mitversichertes Unternehmen (Klägerin zu 2) gegen die Beklagten als Versicherer Ansprüche aus zwei miteinander verknüpften Haftpflichtversicherungsverträgen geltend. Die dem Streit zugrunde liegende zentrale Kernproblematik liegt dabei in der Frage, ob der Versicherungsfall innerhalb des bei den Beklagten versicherten Zeitraums (bis 01.01.2015, 12.00 Uhr) oder erst danach eingetreten ist.
2
1. Die Klägerinnen sind Automobilzulieferer. Die Klägerin zu 1) ist die Muttergesellschaft, die Klägerin zu 2) ist die Tochtergesellschaft der Klägerin zu 1). Die Klägerin zu 2) entwickelt, produziert und vertreibt Nockenwellenverstellsysteme zum Einsatz in PKW und beliefert in ständiger Geschäftsbeziehung die ... AG sowie die mit ihr verbundenen Konzernunternehmen A., B. sowie C. AG (nachstehend insgesamt als „...“ bezeichnet).
3
Die Klägerin zu 1) unterhielt als Versicherungsnehmerin bei den Beklagten zwei aufeinander aufbauende Versicherungsverträge:
- die Grundversicherung bei der Beklagten zu 1) mit Nachtrag (“Y. I-Vertrag“) und darauf aufbauend
- die Exzedentenhaftpflichtversicherung bei der Beklagten zu 2).
4
Die Klägerin zu 2) ist jeweils mitversichertes Unternehmen. Die Beklagte zu 1) ist Grundversicherer mit einer Deckungsstrecke von 10 Mio Euro. Da diese Versicherungssumme das Risiko im Falle eines Großschadens unter Umständen nicht voll abdeckt, bietet die Beklagte zu 2) als Exzedentenhaftpflichtversicherer der Klägerin zu 1) aufbauend auf der Grundversicherung zusätzlichen Versicherungsschutz und zwar mit einer weiteren Deckungsstrecke von 15 Mio Euro.
5
Die Klägerin zu 1) schloss über ihre Maklerin T. Versicherungsmakler GmbH, … (im Folgenden: T.), mit der Beklagten zu 1) eine Haftpflichtversicherung mit der Policen-Nr. 001 (Anlage K 1), nachstehend: „Grundversicherung“. Dabei schlossen sie die Allgemeinen und Besonderen Bedingungen zur T. Spezial Haftpflichtversicherung (SHV) Y. – Version Januar 2012“ (im Folgenden: „T.-SHV“) in den Versicherungsvertrag ein (Anlage K 1). Die Grundversicherung versichert unter anderem das KFZ-Rückrufkostenrisiko und bestand vom 01.09.2011, 6.00 Uhr, bis zum 01.01.2015, 12.00 Uhr.
6
Darüber hinaus schloss die Klägerin zu 2) als Versicherungsnehmerin mit der Beklagten zu 1) am 10.02.2016 eine Nachtragsvereinbarung zur vorgenannten Haftpflichtversicherung (Anlage K 17 = Anlage B 10). Dabei vereinbarten sie für die versicherte Zeit bis 01.01.2015 eine zusätzliche Deckungssumme für das KFZ-Rückrufkostenrisiko der Klägerin zu 2) in Höhe von 10 Mio Euro und eine Selbstbeteiligung von 1,5 Mio Euro je Versicherungsfall. Grund für den Abschluss der Nachtragsvereinbarung war, dass die Parteien bei deren Abschluss davon ausgingen, dass die Versicherungssumme der Grundversicherung durch einen anderen Schadensfall (W./S.) bereits ausgeschöpft ist, und im Schadensfall wieder die volle Versicherungssumme zur Verfügung stehen sollte.
7
Ergänzend zur Grundversicherung schloss die Klägerin zu 1) mit der Beklagten zu 2) einen Exzedentenhaftpflichtversicherungsvertrag unter der Versicherungsschein-Nr. 002 (Anlage K 2).
8
Die Exzedentenversicherung enthält die „Allgemeinen Vertragsdaten zur Exzedentenhaftpflichtversicherung („U. XS AVD“)“ sowie die „Bedingungen zur Exzedentenhaftpflichtversicherung („U. XS Bedingungen“)“.
9
Der Versicherungsschutz der Exzedentenversicherung baut auf dem Grundversicherungsschutz auf. Er bietet Deckung für dieselben Risiken wie die Grundversicherung zu denselben Bedingungen wie die Grundversicherung und stellt zusätzlich zur Versicherungssumme der Grundversicherung (10 Mio Euro) eine Versicherungssumme von weiteren 15 Mio Euro zur Verfügung. Die Exzedentenversicherung bestand vom 01.09.2011 bis zum 01.01.2015.
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Wegen des Inhalts der Versicherungsverträge und deren Bedingungen wird auf die genannten Anlagen Bezug genommen.
11
Die Klägerin zu 1) ist (infolge formwahrender Umwandlung) Rechtsnachfolgerin der L. GmbH & Co. KG, die in den jeweiligen Versicherungsscheinen noch als Versicherungsnehmerin genannt ist.
12
Die Klägerin zu 2) ist jeweils mitversichertes Unternehmen bei den Versicherungsverträgen mit den Beklagten zu 1) und zu 2).
13
2. Im Jahr 2014 lieferte die Klägerin zu 2) an ... Nockenwellenversteller, die ... in Motoren einbaute. Es kam zu Kundenbeschwerden, weil Fahrzeuge nicht starteten oder vereinzelt liegen blieben bzw. Geräusche, Ölaustritt und Aufleuchten der Warnlampe beanstandet wurden. Schadensbilder waren das Lösen von Verschraubungen im Nockenwellenversteller und Brüche der Schraublaschen. Das Lösen der Verschraubungen und die Brüche der Schraublaschen lagen an einem Konstruktionsfehler der Klägerin zu 2). Die in den Nockenwellenverstellern eingebaute Drehscheibe (Schaubild Seite 9 der Klageschrift) war nur einseitig plan gedreht.
14
Aufgrund der nur einseitigen Plandrehung führten dynamische Beanspruchungen und Vibrationen zu einem Bruch der Laschen im Schraubverbund (Technische Beanstandungen, Anlagen K 4 und K 5).
15
... ergriff Maßnahmen zur Mangeluntersuchung und Mangelbeseitigung. Anfang September 2014 informierten die Bauteilverantwortlichen bei .... den Ausschuss für Produktsicherheit von ... darüber, dass sie eine Häufung von Ausfällen der Januarproduktion bei L.-Nockenwellenverstellern festgestellt hätten.
16
Am 24.09.2014 beschloss der Ausschuss für Produktsicherheit von ... (im Folgenden: APS) den Austausch von Nockenwellenverstellern bei 21.405 Fahrzeugen (Bereich asiatische Länder, Seite 9 der Klage).
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Am 01.10.2014 entschied der APS, eine Lebensdaueruntersuchung an L.-Nockenwellenverstellern der Gesamtproduktion (Stufen 1-3, Klageschrift Seite 9) durchzuführen. Hierbei baute ... Nockenwellenversteller aus der Gesamtproduktion in Motorenprüfstände ein. Die Motorprüfstände simulierten im Zeitraffer Alterungsprozesse der Nockenwellenversteller und maßen, wann welches Teil aus welchem Grund kaputt geht.
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Im November 2014 lag das Ergebnis der Lebensdaueruntersuchung vor. Danach bestand Klarheit darüber, dass ein Konstruktionsfehler der Klägerin zu 2) und kein Fertigungs- bzw. Montagefehler (von ... oder Dritten) vorlag. Ursprünglich hatte der Verdacht bestanden, dass ein fehlerhaftes Teil des Zulieferers der Klägerin zu 2), der Fa. K., schadensursächlich war, was sich jedoch als nicht zutreffend herausstellte.
19
Im November 2014 teilte ... den Markenvertretern von A., B. sowie der C. mit, die erforderlichen Maßnahmen für den Austausch der fehlerhaften L. Nockenwellenversteller vorzubereiten.
20
Am 10.02.2015 wurde die Aktionierung der Stufen 2 und 3 beschlossen. Der Bericht des APS datiert vom 06.02.2015. Die Entscheidung für die Aktion Stufe 1 in Asien ist am 24.09.2014 gefallen (Bericht Anlage K 6).
21
Ab März 2015 begann ... mit dem weltweiten Austausch fehlerhafter Nockenwellenversteller. In sechs asiatischen Ländern wurden die Fahrzeuge zu diesem Zweck zurückgerufen. Ab Oktober 2015 fand der Austausch in Europa im Rahmen sog. Werkstattaktionen statt. ... entstanden hierdurch Aus- und Einbaukosten in Höhe von knapp 41 Mio Euro.
22
... nahm deswegen die Klägerin zu 2) für den durch die Belieferung mit fehlerhaften Nockenwellenverstellern entstandenen Schaden in Regress.
23
Am 08.12.2015 zeigte der damalige Makler der Klägerinnen den Schadensfall der Beklagten zu 1) an (Anlage K 11).
24
Am 10.06.2016 schlossen ... und die Klägerin zu 2) einen Haftungsvergleich (Anlage K 3). In diesem verpflichtete sich die Klägerin zu 2) zur Zahlung von 27.571.037,00 Euro an .... Der Klägerin zu 2) wurde nachgelassen, den Vergleichsbetrag in insgesamt 6 Tranchen zu bezahlen, fällig jeweils bis zum 15.11. eines Jahres, beginnend mit dem 15.11.2016, endend mit dem 15.11.2021 (Zahlungsplan, Ziffer 2. des Vergleichs und Seite 15 Klageschrift). Die Beklagten waren an dem Haftungsvergleich nicht beteiligt.
25
3. Die Klägerinnen haben in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass sie gegen die Beklagten einen Anspruch auf Versicherungsleistungen, d.h. auf Erstattung von Aus- und Einbaukosten wegen des Schadensfalles ... gemäß § 1 Satz 1 VVG i.V.m. Teil F Ziffer 7. T.-SHV hätten.
26
Der Versicherungsfall sei spätestens mit der Anordnung der Lebensdaueruntersuchung vom 01.10.2014 durch den APS von ..., mithin innerhalb des bei den Beklagten versicherten Zeitraums, in Form der „innerbetrieblichen Weisung“ eingetreten. Maßgebend sei der Zeitpunkt der Weisung zur Überprüfung von Erzeugnissen des Versicherungsnehmers, unabhängig davon, wann die Überprüfung erfolge. Unbeachtlich sei auch, wann etwaige versicherte Kosten entstanden seien.
27
Die Klägerin zu 2) sei ... für den entstandenen Schaden im Zusammenhang mit der Lieferung mangelhafter Nockenwellenversteller haftbar gemäß §§ 650, 433, 434 Abs. 1, 437 Nr. 3, 289 Abs. 1 sowie § 779 BGB.
28
Die von ... gegenüber der Klägerin zu 2) geltend gemachten Aus- und Einbaukosten im Zusammenhang mit dem Schadensfall XX001 seien vom Umfang des Versicherungsvertrages gedeckt. Der Deckungsanspruch sei auch fällig.
29
Die Klägerinnen haben in erster Instanz Versicherungsleistungen gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) aus dem Grund- und dem Exzedentenversicherungsvertrag beantragt (Klageanträge zu 1) und zu 2)). Des Weiteren haben die Klägerinnen die Feststellung begehrt, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Klägerinnen aus etwaigen weiteren Ansprüchen aus der Vergleichsvereinbarung zwischen der Klägerin zu 1) und ... freizustellen (Klageanträge zu 3) und zu 4)). Darüber hinaus haben die Klägerinnen erstinstanzlich beantragt, die Beklagten zu verurteilen, die Kosten des vorprozessualen Vorgehens der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen nebst Zinsen zu bezahlen (Klageanträge zu 5) und zu 6)). Schließlich haben die Klägerinnen beantragt, die Beklagte zu 1) zu verurteilen, 5 Mio Euro nebst Zinsen aus der Nachtragsvereinbarung (Anlage B 10) unter Berücksichtigung des internen Haftungsanteils von E. (50 Prozent) zu zahlen.
30
Die Beklagten haben erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
31
Entgegen der Ansicht der Klägerinnen stünden diesen wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts (Rückruf- und Werkstattaktionen der ... AG im Zusammenhang mit der Lieferung von mangelhaften Nockenwellenverstellern) keine Ansprüche aus den Versicherungsverträgen mit den Beklagten zu. Der Versicherungsfall sei entgegen dem Vortrag der Klägerinnen nicht im Jahr 2014, sondern vielmehr erst im Jahr 2015, also nach dem Ende des bei den Beklagten versicherten Zeitraums eingetreten. Zeitlich zuständig für den Versicherungsfall seien daher nicht die Beklagten zu 1) und zu 2) als Grund- und Exzedentenhaftpflichtversicherer für den Zeitraum bis 01.01.2015, 12.00 Uhr, sondern vielmehr der Anschlussversicherer der Klägerinnen für den nachfolgenden Zeitraum, die E. (im Folgenden: E.). Gegenüber dieser habe die Klägerin zu 1) aber eigenen Angaben zufolge im Nachhinein auf Ansprüche wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts bewusst verzichtet, um die weiteren Vertragsverhandlungen mit E. über eine anstehende Vertragsverlängerung nicht zu gefährden. Dieser Verzicht ändere aber nichts daran, dass die hiesigen Beklagten für den Versicherungsfall nicht eintrittspflichtig seien.
32
Zwar sei ein „Rückruf“ (Asien) bzw. die dem gleichstehenden Werkstattaktionen (Europa) im Sinne der Versicherungsbedingungen erfolgt, diese seien allerdings nicht innerhalb des bei den Beklagten versicherten Zeitraums erfolgt, sondern erst im Jahr 2015 nach Beendigung der mit den Beklagten zu 1) und zu 2) geschlossenen Versicherungsverträge.
33
Ein dem Rückruf im Jahre 2015, also dem nach dem Ende des Policenzeitraums bei den Beklagten fallender Versicherungsfall, zeitlich vorgelagerter Versicherungsfall der „innerbetrieblichen Weisung“ sei nicht anzunehmen. Es handele sich bei der Aufnahme dieses Versicherungsfalles in den Versicherungsschutz um eine Deckungserweiterung. Adressat sei – wie auch die Bezeichnung „innerbetrieblich“ verdeutliche – der Betrieb des Anweisenden selbst. Diese Deckungserweiterung betreffe den Fall, dass Mängel von Erzeugnissen des Versicherungsnehmers noch vor der Auslieferung der KFZ aus dem Herstellerbetrieb, z.B. im Rahmen innerbetrieblicher Qualitätskontrollen, festgestellt werden, also in einem Stadium, in dem die Fahrzeuge den Machtbereich des Herstellers noch nicht verlassen haben, so dass ein bedingungsgemäßer Rückruf, bei dem sich der Fahrzeughersteller letztlich an die Halter selbst bzw. sonstige Dritte wenden müsse, um etwaige Mängel beheben zu können, von vornherein ausscheide.
34
Um den Versicherungsnehmer in einer solchen Konstellation nicht deckungslos zu lassen – der Versicherungsfall „Rückruf“ könne in diesen Fällen praktisch nie eintreten, es sei denn der Hersteller würde trotz Kenntnis der Mängel die Fahrzeuge ausliefern – sei die Deckungserweiterung der sog. „innerbetrieblichen Weisung“ eingeführt worden. Damit werde Versicherungsschutz gewährt für den Fall, dass der Fahrzeughersteller die Mängelbeseitigung, die er nach Auslieferung der Fahrzeuge im Wege eines Rückrufs vornehmen würde, bereits in einem Stadium unternehme, in dem die Fahrzeuge seinen Betrieb noch nicht verlassen haben, also noch nicht an den Kunden ausgeliefert seien. Für diesen Fall solle der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz über den Tatbestand der innerbetrieblichen Weisung erhalten. Der Tatbestand der innerbetrieblichen Weisung impliziere, dass ein Rückruf nicht erfolge und entsprechende Maßnahmen, ob sicherheitsrelevant oder nicht, jedenfalls in einem Stadium getroffen werden, bevor die betroffenen Fahrzeuge ausgeliefert werden.
35
Die Beklagten haben darüber hinaus unter Vorlage eines Privatgutachtens vorgetragen, dass der Versicherungsschutz hier jedenfalls nach Teil F. Ziffer 5.1 der Versicherungsbedingungen ausgeschlossen sei, weil der streitgegenständliche Nockenwellenversteller nicht nach dem Stand der Technik oder in sonstiger Weise ausreichend erprobt worden sei.
36
Wegen der Einzelheiten des Sachvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
37
4. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, es liege kein Versicherungsfall in versicherter Zeit vor.
38
Bei den Maßnahmen der ... AG im Jahr 2014 handele es sich nicht um innerbetriebliche Weisungen im Sinne von Ziffer 7.2 T. SHV, weil sie nicht außerhalb einer Gefahrenabwehr erfolgt seien. Vielmehr hätten diese innerbetrieblichen Aktivitäten nur der Vorbereitung der Gefahrenabwehr im Rahmen der in 2015 tatsächlich durchgeführten Rückrufaktionen in Asien gedient. Die in 2014 erfolgten innerbetrieblichen Aktivitäten der ... AG seien allenfalls Vorbereitungshandlungen für den späteren Rückruf und keine innerbetrieblichen Weisungen, die außerhalb der Gefahrenabwehr eigenständige Bedeutung hätten. Versicherungsschutz bestehe somit nicht, weil in Ziffer 7.1 der Versicherungsbedingungen klargestellt werde, dass der Deckungstatbestand der Ein- und Ausbaukosten voraussetze, dass insoweit kein Rückruf erfolgt sein dürfe.
39
Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
40
5. Gegen diese Entscheidung wenden sich beide Klägerinnen mit ihrer Berufung, mit der sie ihre in erster Instanz zuletzt gestellten Anträge (mit Ausnahme des Klageantrages zu Ziffer 4. auf Feststellung von Versicherungsschutz für „etwaige weitere Ansprüche Dritter“) weiterverfolgen und neue Hilfsanträge stellen.
41
Die Berufung rügt zunächst Verfahrensfehler des Landgerichts Würzburg (Besetzungsrüge, tatbestandliche Mängel, Verstöße gegen Denkgesetze, Verstoß gegen § 293 ZPO, Verstoß gegen rechtliches Gehör nach Art. 103 GG).
42
In der Sache wenden sich die Berufungen der Klägerinnen gegen die Auslegung der Versicherungsbedingungen durch das Landgericht. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei ein Versicherungsfall in versicherter Zeit eingetreten, nämlich in Form der innerbetrieblichen Weisung gemäß Ziffer 7.2 der Versicherungsbedingungen. Der Beschluss des für Mängel- und Produktsicherheitsfragen zuständigen ...-Ausschusses (APS) vom 01.10.2014 erfülle sämtliche Tatbestandsmerkmale der Versicherungsfall-Definition gemäß Teil F. Ziffer 7.2 T.-SHV. Er ordne eine (Lebensdauer-)Untersuchung von Erzeugnissen der Klägerin zu 2) (Nockenwellenversteller) in 150 Fahrzeugen an. Mehr verlange die Versicherungsfall-Definition nicht. Der Versicherungsfall „innerbetriebliche Weisung“ sei somit am 01.10.2014 eingetreten, als das APS-Gremium die Lebensdaueruntersuchung der von der Klägerin zu 2) gelieferten Nockenwellenversteller bei den XX001 Motoren angeordnet habe (BB Seite 20-32).
43
Der innerhalb versicherter Zeit eingetretene Versicherungsfall „innerbetriebliche Weisung“ sei durch spätere, von ... initiierte Aktionen (Rückruf) nicht rückwirkend wieder entfallen. Ein Rückruf, der nach Ablauf des Versicherungsvertrages erfolge, entfalte keine rückwirkende Sperrwirkung mehr bezüglich eines bereits eingetretenen Versicherungsfalls „innerbetriebliche Weisung“.
44
Darüber hinaus handele es sich bei dem im Jahr 2015 erfolgten Rückruf nicht um einen Gefahrenrückruf im Sinne der Ziffer 2. T.-SHV. Eine gesetzliche Verpflichtung von ... zum Rückruf der mit mangelhaften Nockenwellenverstellern versehenen PKWs zur Vermeidung von Personenschäden habe nicht bestanden. Es habe sich vielmehr um eine reine Gewährleistungsmaßnahme gehandelt. Dies ergebe sich auch aus der als Anlage K 32 vorgelegten Werkstattanweisung. Danach sollten die Werkstätten die Halter nicht ansprechen, was als Beleg dafür anzusehen sei, dass von ... keine Maßnahme zur Gefahrenabwehr initiiert worden sei.
45
Die Klägerinnen beantragen im Berufungsverfahren (Schriftsatz vom 21.12.2020, Blatt 727 ff.):
1. Unter Abänderung des Urteils des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 2058/18) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) Euro 10 (zehn) Millionen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. Februar 2018 zu zahlen;
2. Unter Abänderung des Urteils des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 2058/18) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) Euro 5 (fünf) Millionen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16. Februar 2018 zu zahlen;
3. Unter Abänderung des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 2058/18) festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, nach Erbringung der mit den Anträgen zu 1) und zu 2) geltend gemachten Entschädigungsleistungen durch die Beklagte zu 1), und der korrespondierenden Entschädigungsleistung durch die E. gemäß Ziffer 6. des Nachtrags Nr. 1 zum Vertrag 2011 (Y. Vertragsnummer 0008, Anlage K 17), an die Klägerin zu 1) EUR 2.237.037,00 zu zahlen und die Klägerin zu 1) von den noch offenen Zahlungsverpflichtungen der Klägerin zu 2) aus dem zwischen ihr und der ... AG am 1. Mai/10. Juni 2016 abgeschlossenen und als Anlage K 3 in diesem Verfahren überreichten Vergleich, in Höhe von Euro 3.334.000,00 zum 15. November 2021 durch Zahlung dieses Betrages an die ... AG, … (zu Rechnungsnummer 003) freizustellen;
4. Unter Abänderung des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 2058/18) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) Euro 79.282,50 (vorprozessuale Anwaltskosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Februar 2018 zu zahlen;
5. Unter Abänderung des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 2058/18) die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) Euro 75.532,50 € (vorprozessuale Anwaltskosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Februar 2018 zu zahlen;
6. Hilfsweise, für den Fall der Zurückweisung des Antrags zu 1) wegen Erschöpfung der Versicherungssumme, unter Abänderung des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 2058/18) festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, nach Erbringung der mit dem Antrag zu 2) geltend gemachten Entschädigungsleistung durch die Beklagte zu 1) und der korrespondierenden Entschädigungsleistung durch die E. gemäß Ziffer 6. des Nachtrags Nr. 1 zum Vertrag 2011 (Y. Vertragsnummer 0008, Anlage K 17) an die Klägerin zu 1) Euro 12.737.037,00 zu zahlen, sowie die Klägerin zu 1) von den noch offenen Zahlungsverpflichtungen der Klägerin zu 2) aus dem zwischen ihr und der ... AG unter dem 1. Mai/10. Juni 2016 abgeschlossenen und als Anlage K 3 in diesem Verfahren überreichten Vergleich, in Höhe von Euro 2.262.963,00 zum 15. November 2021 durch Zahlung dieses Betrages an die ... AG, … (zu Rechnungsnummer 003) freizustellen,
7. Hilfsweise, für den Fall der Zurückweisung des Antrags zu 2), weil der Schadenfall ... (..., betreffend die Teilenummer P.) von den Bestimmungen des Nachtrags Nr. 1. zum Vertrag 2011 (Y. Vertragsnummer 0008) nicht erfasst wird, unter Abänderung des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 20158/18) festzustellen, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, nach Erbringung der mit dem Antrag zu 1) geltend gemachten Entschädigungsleistung durch die Beklagte zu 1), an die Klägerin zu 1) Euro 13.737.037,00 zu zahlen, sowie die Klägerin zu 1) von den noch offenen Zahlungsverpflichtungen der Klägerin zu 2) aus dem zwischen ihr und der ... AG unter dem 1. Mai/10. Juni 2016 abgeschlossenen und als Anlage K 3 in diesem Verfahren überreichten Vergleich, in Höhe von Euro 1.262.963,00 zum 15. November 2021 durch Zahlung dieses Betrages an die ... AG, … (zu Rechnungsnummer ...) freizustellen,
8. Äußerst hilfsweise: Für den Fall (i) der Zurückweisung des Antrags zu 1) wegen Erschöpfung der Versicherungssumme, und (ii) der Nichterfassung des Schadensfalls ..., betreffend die Teilenummer P durch Nachtrag Nr. 1 zum Vertrag 2011, unter Abänderung des Urteils des LG Würzburg vom 7. Februar 2020 (1 HK O 2058/18) die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) Euro 15 (fünfzehn) Millionen zu zahlen.
46
Die Beklagten beantragen im Berufungsverfahren,
die Berufungen der Klägerinnen zurückzuweisen.
47
Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Argumentation.
48
Die Beklagte zu 1) macht nochmals geltend, dass ein Versicherungsfall nicht im Versicherungszeitraum eingetreten sei. Insbesondere sei nicht die in 2014 erfolgte Anordnung bloßer Lebensdaueruntersuchungen als „innerbetriebliche Weisung“ im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen, sondern allenfalls der im Jahr 2015, also nach Ablauf des bei der Beklagten zu 1) bestehenden Versicherungsvertrags erfolgte Beschluss von ... zur Aktionierung der Stufen 2 und 3. Selbst bei Annahme eines in 2014 eingetretenen Versicherungsfalles wäre im Ergebnis kein Versicherungsschutz anzunehmen, da aufgrund des vorangegangenen Schadensfalles W. die zur Verfügung stehenden Deckungssummen bereits verbraucht gewesen seien.
49
Die Beklagte zu 2) macht insbesondere geltend, dass ein Versicherungsschutz daran scheitere, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Erprobungsausschlusses in den Versicherungsbedingungen greifen würden und es sich bei der Anordnung der Lebensdaueruntersuchung um eine, wie vom Erstgericht angenommen, bloße Vorbereitungsmaßnahme des dann im Jahr 2015 durchgeführten Rückrufs gehandelt habe.
50
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 11.05.2020 (Bl. 493 ff. d.A.), die Berufungserwiderungen vom 13.08.2020 (Bl. 610 ff. d.A.) und 26.08.2020 (Bl. 660 ff. d.A.) sowie die sonstigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
51
Die Berufungen der Klägerinnen zu 1) und zu 2) sind zulässig (§§ 511 ff. ZPO).
52
In der Sache sind die Berufungen jedoch nicht begründet.
53
1. Zunächst ist festzuhalten, dass auf den vorliegenden Sachverhalt deutsches Recht anzuwenden ist. Bei dem hier geführten Verfahren handelt es sich um den Deckungsprozess gegen die beteiligten Versicherer. Auf den Versicherungsvertrag ist gemäß Teil ... Besondere Vereinbarungen, Ziffer ...1 (Anlage K 1, Seite 9) in Verbindung mit SHV Teil A. Ziffer 17. deutsches Recht anzuwenden. Versichert sind nach dem Versicherungsschein auch Versicherungsfälle im Ausland (SHV Teil B, Ziffer 3.). Der Erholung von Gutachten zum ausländischen Recht bedurfte es daher nicht. Insbesondere bedurfte es keines Gutachtens zu der Frage, ob die Voraussetzungen für einen Rückruf nach dem jeweiligen nationalen Recht vorlagen. Die Haftpflichtfrage wurde durch den Vergleich zwischen ... und der Klägerin zu 2) (Anlage K 3) geregelt.
54
2. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen aus den mit den Beklagten abgeschlossenen Versicherungsverträgen und aus der Nachtragsvereinbarung (Anlage B 10). Es liegt hier allenfalls der Versicherungsfall des „Rückrufs“ vor, dieser ist aber erst im März 2015, mithin nach Ablauf des bei den Beklagten versicherten Zeitraums (bis 01.01.2015, 12.00 Uhr MEZ) eingetreten. Zuständig für die Regulierung des streitgegenständlichen Versicherungsfalles ist daher der Nachversicherer der Klägerinnen (E.).
55
Ob aufgrund der Anordnung der Lebensdaueruntersuchung durch den APS von ... vom 01.10.2014 bereits im Jahr 2014 der Versicherungsfall der „innerbetrieblichen Weisung“ eingetreten ist, kann letztlich dahinstehen, denn hier sind weder die Regelungen in Ziffer 7. noch die in Ziffer 6. der T.-SHV, die den Versicherungsfall der innerbetrieblichen Weisung regeln, einschlägig.
56
Gemäß § 100 VVG ist der Haftpflichtversicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten aufgrund der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers für eine während der Versicherungszeit eingetretene Tatsache geltend gemacht werden, und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Diese während der Versicherungszeit eingetretene Tatsache ist der vertraglich vereinbarte Versicherungsfall. Der Gesetzgeber hat aber im VVG bewusst nicht geregelt, welcher Vorgang in der Haftpflichtversicherung den Versicherungsfall darstellt, sondern dies der Klärung durch das Vertragsrecht überlassen (vgl. Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., § 100 VVG Rdnr. 25).
57
Die einschlägigen Vertragsbedingungen sind in den T.-SHV, Teil F. (KFZ-Rückrufkostenversicherung) geregelt.
58
Für die Auslegung der Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die AVB aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs – würdigt, maßgeblich (vgl. Prölss/Martin VVG, 31. Aufl., Einl. Rdnr. 260 m.w.N.). Da es sich hier um AVB handelt, die ausschließlich im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Kunden verwendet werden, ist auf das Verständnis dieser Kreise, also eines geschäftserfahrenen Versicherungsnehmer abzustellen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 14.07.2021 -I-20 U 26/21, Juris).
59
Der (geschäftserfahrene) Versicherungsnehmer, der die Bedingungen aufmerksam liest und verständig würdigt, wird dabei zu dem Ergebnis kommen, dass für den hier geltend gemachten Schaden der Gegenstand der KFZ-Rückrufkostenversicherung eröffnet ist (hierzu unter a)).
60
Der Versicherungsnehmer wird bei weiterer Würdigung des Bedingungswerkes „T.-SHV“ Teil F. (KFZ-Rückrufkostenversicherung) zu dem Ergebnis kommen, dass hier der Versicherungsfall „Rückruf“ vorliegt und dass der Versicherungsfall „Rückruf“ im Sinne der Bedingungen im Jahr 2015 eingetreten ist (hierzu unter b)).
61
Der Versicherungsnehmer wird bei weiterer verständiger Betrachtung der Bedingungen zu dem Ergebnis kommen, dass hier letztlich weder die Regelung in Ziffer 7. der T.-SHV („Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr“) noch die in Ziffer 6. der T.-SHV („Maßnahmen und Kosten im Vorfeld der Gefahrenabwehr“) einschlägig ist.
62
Eine Einstandspflicht der Beklagten nach Ziffer 7. T.-SHV („Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr“) scheidet schon deshalb aus, weil Versicherungsschutz nach der ausdrücklichen Regelung in Ziffer 7.1 nur dann besteht, soweit kein Rückruf im Sinne von Ziffer 2. erfolgt, hier jedoch Rückrufe bzw. dem gleichstehende Werkstattaktionen erfolgt sind. Darüber hinaus handelte es sich bei den hier erfolgten Rückrufen bzw. Werkstattaktionen entgegen der Auffassung der Klägerinnen um Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, so dass Ziffer 7. bereits nach seinem Wortlaut („Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr“) hier nicht einschlägig ist (hierzu unter c)).
63
Eine Eintrittspflicht der Beklagten gemäß Ziffer 6. T. SHV („Maßnahmen und Kosten im Vorfeld der Gefahrenabwehr“) besteht ebenfalls nicht. Ziffer 6. der T.-SHV enthält eine Erweiterung des Versicherungsschutzes für den Fall, dass der Fehler des Produkts des Zulieferers vor der Auslieferung des Endprodukts (KFZ) aus dem Herstellerwerk entdeckt und behoben wurde. Diese Fallgestaltung liegt hier nicht vor, weil der Fehler des Produkts Nockenwellenversteller erst nach der Auslieferung der Kraftfahrzeuge aus dem Herstellerwerk an die Kunden entdeckt wurde (hierzu unter d)).
Im Einzelnen:
64
a) Der Gegenstand des Versicherungsschutzes in der KFZ-Rückrufkostenversicherung ist in den T.-SHV Ziffer 1.1 dahingehend geregelt, dass Versicherungsfall die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers für Vermögensschäden im Sinne von Ziffer 2.1 AHB ist, die dadurch entstehen, dass aufgrund festgestellter oder nach objektiven Tatsachen, insbesondere ausreichenden Stichprobenbefunden vermuteter Mängel von Erzeugnissen oder aufgrund behördlicher Anordnung zur Vermeidung von Personen- oder Sachschäden ein Rückruf von Kraftfahrzeugen im Sinne von Ziffer 2. durchgeführt wurde und der Versicherungsnehmer hierfür in Anspruch genommen wird. In Erweiterung der Musterbedingungen des GDV, die nach ihrem Wortlaut nur auf die „Vermeidung von Personenschäden“ abstellen, wird in den hier verwendeten Bedingungen auf die „Vermeidung von Personen- oder Sachschäden“ abgestellt.
65
Hieraus wird ein verständiger, geschäftserfahrener Versicherungsnehmer entnehmen, dass die KFZ-Rückrufkostenversicherung Deckung zur Vermeidung von Sach- oder Personenschäden bietet, wenn ein Rückruf von Kraftfahrzeugen erfolgt und der Versicherungsnehmer hierfür in Anspruch genommen wird. Der Versicherungsnehmer wird hieraus entnehmen, dass der Regelungsbereich der KFZ-Rückrufkostenversicherung hier grundsätzlich eröffnet ist.
66
b) Ein im versicherten Zeitraum erfolgter Rückruf liegt nicht vor. Der Versicherungsfall „Rückruf“ im Sinne von Ziffer 2. der T.-SHV ist im Jahr 2015, mithin nach Ablauf bei den Beklagten versicherten Zeitraums eingetreten. Der Versicherungsfall „Rückruf“ ist definiert in Ziffer 2. der T.-SHV:
„Rückruf ist die auf gesetzlicher Verpflichtung beruhende Aufforderung
1. des KFZ-Herstellers oder
2. zuständiger Behörden anstelle des KFZ-Herstellers oder
3. sonstiger Dritter an Kraftfahrzeug-Halter, ihre Fahrzeuge in das Herstellerwerk, eine Vertragswerkstätte oder sonstige Werkstätte zu bringen, um sie auf die angegebenen Mängel zu prüfen und die ggf. festgestellten Mängel beheben oder andere namentlich benannte Maßnahmen durchführen zu lassen.
Als Rückruf gilt auch die nicht unmittelbar an KFZ-Halter gerichtete Aufforderung von KFZ-Händlern, Vertrags- und sonstigen Werkstätten, die Kraftfahrzeuge auf die angegebenen Mängel zu überprüfen und diese ggf. zu beheben“.
67
Die Formulierung in den T.-SHV stellt für den verständigen Versicherungsnehmer erkennbar auf die Aufforderung an die KFZ Halter nach außen ab, nicht jedoch auf die dem vorangehenden internen Entscheidungsprozesse und die interne Beschlussfassung im Herstellerbetrieb. Zwar wurde die Aktionierung der Stufe 1 (Austausch von Nockenwellenverstellers bei 21.405 Fahrzeugen) bei ... unternehmensintern bereits am 24.09.2014 beschlossen. Der Beginn der Austauschaktion nach außen gegenüber den betroffenen Kunden erfolgte jedoch erst ab März 2015. Die Erweiterung der Austauschaktion auf die Stufen 2 und 3 begann in Asien im März 2015 und im Rahmen von Werkstattaktionen in Europa im Oktober 2015, mithin ebenfalls nach Ablauf des bei den Beklagten versicherten Zeitraums.
68
c) Es kann offenbleiben, ob in der Anordnung der Lebensdaueruntersuchung vom 01.10.2014 durch den APS von ... eine „innerbetriebliche Weisung“ im Sinne der Ziffer 6.3 bzw. 7.3 der T.-SHV liegt.
69
aa) Neben dem Versicherungsfall „Rückruf“ ist in den T.-SHV der Versicherungsfall der „innerbetrieblichen Weisung“ geregelt. Dieser wird zum einen in Ziffer 6.3 T.-SHV: „Maßnahmen und Kosten im Vorfeld der Gefahrenabwehr“ und zum anderen in Ziffer 7.2. der T.-SHV: „Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr“ gleichlautend definiert.
70
bb) Selbst wenn man unterstellt, dass es sich bei der im Haftungsvergleich mit ... (Anlage K 3) vereinbarten Vergleichssumme von 27.571.037,00 EUR um Aus- und Einbaukosten im Sinne der Ziffer 3.6 der T.-SHV handelt, kommt eine Eintrittspflicht der Beklagten nicht in Betracht.
71
(1) In Ziffer 7.1 der T.-SHV ist ausdrücklich geregelt, dass Versicherungsschutz nach dieser Bestimmung nur besteht, „soweit kein Rückruf von Kraftfahrzeugen im Sinne von Ziffer 2. erfolgt“. Hier sind aber Rückrufe bzw. dem gleichstehende Werkstattaktionen erfolgt.
72
Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Klauselwortlaut (vgl. Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., Einl. Rdnr. 260 m.w.N); dieser setzt der Auslegung zugleich eine Grenze. Versicherungsschutz besteht nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Ziffer 7.1 T.-SHV aber nur dann, wenn kein Rückruf (bzw. dem gleichstehende Werkstattaktion) erfolgt ist. Da im vorliegenden Fall aber Rückrufe bzw. Werkstattaktionen erfolgt sind, kommt eine Leistungspflicht der Beklagten nach Ziffer 7. der T.-SHV von vornherein nicht in Betracht. Diese Auslegung würde dem insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut der Ziffer 7.1 der T.-SHV zuwiderlaufen.
73
(2) Darüber hinaus kommt eine Eintrittspflicht der Beklagten nach Ziffer 7. T.-SHV auch deshalb nicht in Betracht, weil der Anwendungsbereich dieser Vertragsbestimmung hier nicht eröffnet ist.
74
Ausweislich des Wortlauts („Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr“) regelt Ziffer 7. der T.-SHV Sachverhalte, in denen es nicht um Gefahrenabwehr, sondern ausschließlich um Gewährleistungsfälle geht. Dies entspricht auch der Auffassung der einschlägigen Literatur. Danach erweitert Ziff. 8 der Musterbedingungen des GDV, der Ziffer 7 der hier verwendeten T.-SHV entspricht, die Deckung auf Sachverhalte, in denen mit der Lieferung mangelhafter Erzeugnisse eine Personenschadensgefahr (hier aufgrund der Einbeziehung von Sachschäden in Ziffer 1. der T.-SHV auch einer Sachschadensgefahr) nicht verbunden ist (vgl. Nickel/Nickel-Fiedler, Rückrufkostenversicherung KFZRückRM, 2018, Ziffer 8 Rdnr. 1).
75
Vorliegend handelte es sich nicht um „Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr“, wie dies in der Vertragsbestimmung vorgesehen ist, da nicht nur ein Gewährleistungsfall vorlag, bei dem die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers für Vermögensschäden infolge der Mangelhaftigkeit von Kraftfahrzeugen oder KFZ-Teilen versichert ist. Der hier erfolgte Rückruf (bzw. dem gleichstehende Werkstattaktionen) erfolgten vielmehr durchaus auch zur Gefahrenabwehr. Dies ergibt sich aus den Stellungnahmen der Sachverständigen D. (Anlage K 6) und des Sachverständigen F. (Anlagen K 4 und K 5). Danach besteht aufgrund der mangelhaften Nockenwellenversteller zumindest die Gefahr eines erheblichen Sachschadens in Form eines kapitalen Motorschadens am Fahrzeug. Auch ein Personenschaden ist ausweislich der Stellungnahme des Sachverständigen F., z.B. bei hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn, nicht ausgeschlossen. Dem Bericht des Sachverständigen D. zufolge (Anlage K 6) hat der APS-Ausschuss von ... den Sachverhalt in Stufe A, also höchste Priorität in Sachen Liegenbleiber und Sicherheitsrelevanz, eingestuft, weil der schadhafte Nockenwellenversteller im Extremfall zu schlagartigem Ölaustritt und Liegenbleibern führe.
76
d) Der Auffassung der Klägerinnen, es bestehe jedenfalls Versicherungsschutz aufgrund der Bestimmung in Ziffer 6. der T.-SHV, kann nicht gefolgt werden.
77
Ziffer 6. der T.-SHV regelt ausweislich ihres Wortlauts die Eintrittspflicht des Versicherers für Maßnahmen und Kosten im Vorfeld der Gefahrenabwehr (sog. Vorfeldschäden). Nach Ziffer 6.1 T.-SHV werden die Kosten gemäß Ziffer 3.3 bis 3.9 T.-SHV, ohne dass es eines Rückrufs bedarf, auch dann ersetzt, wenn die Erzeugnisse aus dem Werk des Zulieferers bereits ausgeliefert und in für Kraftfahrzeuge bestimmte Teile oder in noch nicht ausgelieferte Kraftfahrzeuge eingebaut wurden, sofern die Kraftfahrzeuge den Hof des Herstellers noch nicht verlassen haben. Voraussetzung ist, dass bei einer Auslieferung der Kraftfahrzeuge ein Rückruf erforderlich geworden wäre.
78
Aus der Überschrift („Maßnahmen und Kosten im Vorfeld der Gefahrenabwehr“ und „Vorfeldschäden“) sowie aus dem Wortlaut der Bestimmung in Ziffer 6.1 wird ein verständiger, geschäftserfahrener Versicherungsnehmer bei aufmerksamer Durchsicht der Bestimmung entnehmen, dass auch dann Deckung besteht, wenn der Fehler des Produktes des Zulieferers entdeckt wird, nachdem es das Werk des Zulieferers verlassen hat und bevor das Endprodukt (Fahrzeug) das Herstellerwerk verlässt, so dass ein Rückruf nicht notwendig wird, aber, wenn die Fahrzeuge das Herstellerwerk bereits verlassen hätten, notwendig geworden wäre. Dies ergibt sich insbesondere aus der Formulierung: „Voraussetzung ist, dass bei einer Auslieferung ein Rückruf erforderlich geworden wäre“.
79
Der Versicherungsnehmer, der die Bedingungen unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs mit den weiteren Bedingungen, insbesondere den Ziffern 2. und 7. der T.-SHV Teil F. würdigt, wird daraus entnehmen, dass es sich hierbei um eine Deckungserweiterung handelt und zwar für den Fall, dass der Fehler des Produktes des Zulieferers noch vor Auslieferung des Endprodukts (KFZ) aus dem Werk des KFZHerstellers bemerkt wird. Ohne die Bestimmung der Ziffer 6. T.-SHV bestünde mangels Rückrufs in diesen Fällen kein Versicherungsschutz.
80
Der Deckungsbaustein der Ziffer 6. T.-SHV ist auf den Fall begrenzt, dass die Fahrzeuge den Betrieb des Herstellers noch nicht verlassen haben. Er bietet Deckung für die Kosten, die durch den Austausch der fehlerhaften Teile im Werk des Herstellers entstehen (sog. Hofaustauschkosten). Diese Fallgestaltung liegt hier nicht vor, denn der Fehler wurde unstreitig zu einem Zeitpunkt bemerkt, als die Fahrzeuge den Hof des Herstellers bereits verlassen hatten und an die Endkunden ausgeliefert worden waren.
81
e) Zusammenfassend ist festzuhalten: Ziffer 6. der T.-SHV regelt Sachverhalte im Vorfeld eines Rückrufs (sog. „Noch-nicht-Rückruf“). Ziffer 7. der T.-SHV regelt reine Gewährleistungsfälle, in denen keine Personen- oder Sachschadensgefahr besteht. In beiden Fällen wird deshalb versicherungsrechtlich an den Begriff der sog. „innerbetrieblichen Weisung“ angeknüpft. Ob in dem Beschluss des APS von ... vom 01.10.2014, eine Lebensdaueruntersuchung der Nockenwellenversteller durchzuführen, eine innerbetriebliche Weisung im Sinne der Ziffer 6.3 bzw. 7.2 der T.-SHV liegt, kann allerdings dahinstehen, denn hier liegen schon die durch Ziffer 6. und 7. T.-SHV geregelten Sachverhalte nicht vor.
82
Dass der Versicherungsfall der Ziffer 6. auf sog. „Hofaustauschkosten“ beschränkt ist und eine Erweiterung des Versicherungsschutzes ausschließlich für den Fall beinhaltet, dass der Mangel des Produktes des Zulieferers nach Auslieferung an den Hersteller und vor der Auslieferung des Endprodukts (KFZ) an den Endkunden bemerkt wird, entspricht auch der einhelligen Auffassung in der Literatur (vgl. Nickel/Nickel-Fiedler, Rückrufkostenversicherung, 2018, KFZRückRM, Ziffer 7 Rdnr. 1 und Rdnr. 12; Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. 2015, Besondere Bedingungen für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für KFZ-Teile-Zulieferer, Rdnrn. 18-20; Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Aufl. 2016, Rdnr. 440 zu Vorfeldschäden).
83
Der gegenteiligen Auffassung der Klägerinnen, nach der die Bestimmung in Ziffer 6. der T.-SHV auch auf Sachverhalte anzuwenden sein soll, in denen die Fahrzeuge den Hof des Herstellers bereits verlassen haben, kann nicht gefolgt werden. Diese Auffassung steht mit dem Wortlaut und mit dem Sinn und Zweck der Bestimmung in Ziffer 7. T.-SHV, den Versicherungsschutz auf Sachverhalte im Vorfeld eines Rückrufs zu erweitern, nicht im Einklang.
84
aa) Die von der Berufung (Berufungsbegründung, Seiten 23 ff.) ins Feld geführten Fundstellen aus der versicherungsrechtlichen Literatur stützen die Auffassung der Berufung nicht, im Gegenteil. Die Ausführungen auf Seite 201, 202 des AXA-Handbuches bestätigen die hier vertretene Auffassung, wonach es sich bei den Kosten im Vorfeld der Gefahrenabwehr (Vorfeldschäden) im Sinne der Ziffer 6. T.-SHV um solche Kosten handelt, die nach Auslieferung des fehlerhaften Produkts des Zulieferers an den KFZ-Hersteller und vor Auslieferung des Endprodukts des Herstellers (KFZ) an den Endkunden entstanden sind.
85
bb) Aus den von der Berufung (Berufungsbegründung, Seite 25) als Anlage K 47 vorgelegten Erläuterungen zu den Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Rückrufkosten-Haftpflichtversicherung für KFZ-Teile-Zulieferer, herausgegeben vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), folgt nichts anderes. Die in der Berufungsbegründung zitierten Ausführungen befassen sich mit dem Begriff der innerbetrieblichen Weisung. Darauf, ob es sich bei der Anordnung der Lebensdaueruntersuchung des APS von ... vom 01.10.2014 um eine innerbetriebliche Weisung im Sinne von Ziffer 6. 3 bzw. 7.2 der T.-SHV Teil F. handelt, kommt es aber im Ergebnis nicht an, da hier – wie oben ausgeführt – Ziffer 6. und Ziffer 7. der T. SHV Teil F. bereits aus anderen Gründen nicht einschlägig sind. Einschlägig ist Ziffer 2. der T.-SHV, da hier Rückrufe bzw. dem gleichstehende Werkstattaktionen erfolgten, dies jedoch außerhalb des bei den Beklagten versicherten Zeitraums.
86
cc) Auch die Ausführungen in dem Schriftsatz der Klägervertreter vom 22.04.2021 (Seite 943 ff. d. A.) führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Der im zitierten Privatgutachten des Prof. Dr. R. vom 19.04.2021 (Anlage KB 31) enthaltenen rechtliche Beurteilung des Falles vermag sich der Senat nur teilweise anzuschließen.
87
(1) Der Privatsachverständige führt auf Seite 4 seines Gutachtens zutreffend aus, dass Fahrzeuge, die noch nicht ausgeliefert sind, im Falle einer nötigen Gefahrenabwehr durch Teil F. Ziffer 6. T.-SHV in den Versicherungsschutz einbezogen werden. Er führt weiter zutreffend aus, dass Teil F. Ziffer 7. T.-SHV Versicherungsschutz für Gewährleistungsfälle außerhalb der Gefahrenabwehr gewährt und insoweit einen ergänzenden Versicherungsschutz bietet. Auch dem auf Seite 9 unten/10 oben des Gutachtens dargestellten Ergebnis von Prof. Dr. R. ist zuzustimmen.
88
(2) Nicht gefolgt werden kann dem Gutachter jedoch insoweit, als er auf Seite 10, 11 seines Gutachtens unter dem Punkt „Hoftheorie“ die Ansicht vertritt, dass sich der Versicherungsfall in Ziffer 6. der T.-SHV auch auf bereits ausgelieferte Fahrzeuge erstreckt. Dies widerspricht, wie ausgeführt, dem erkennbaren Sinn und Zweck dieser Bestimmung, den Versicherungsschutz zu ergänzen und auf solche Fälle zu erstrecken, in denen kein Rückruf erfolgt, weil der Fehler bereits im Werk des Herstellers entdeckt wird.
89
dd) Die mit Schriftsatz vom 22.04.2021 vorgelegten Stellungnahmen aus der Versicherungswirtschaft (Anlagen KB 28 ff.) führen ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung.
90
Sämtliche vorgelegten Stellungnahmen befassen sich mit der Frage, ob sich der Versicherungsschutz im Rahmen der Deckung für Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr auch auf bereits an den Endverbraucher ausgelieferte KFZ erstreckt, die mangelhafte Erzeugnisse des Versicherungsnehmers enthalten. Dies betrifft ersichtlich den Fall der Ziffer 7. der T.-SHV. Zu der hier entscheidenden Frage, ob die Ziffer 6. T.-SHV auch Fahrzeuge umfasst, die das Werk des Herstellers bereits verlassen haben, enthalten die Stellungnahmen aus der Versicherungswirtschaft indes keine Aussage. Soweit die Vertreter aus der Versicherungswirtschaft die Auffassung vertreten, dass Ziffer 7. T.-SHV auch bereits ausgelieferte Fahrzeuge zum Gegenstand hat, ist dem zuzustimmen. Der Anwendungsbereich der Ziffer 7. T.-SHV ist hier jedoch aus zwei Gründen nicht eröffnet: Zum einen handelt es sich hier nicht um Aus- und Einbaukosten außerhalb der Gefahrenabwehr und zum anderen ist hier ein Rückruf erfolgt, so dass Ziffer 7. T.-SHV hier nicht einschlägig ist. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
91
f) Nach alledem kommt es auf die weiteren Fragen, insbesondere darauf, ob hier der Versicherungsschutz wegen nicht ausreichender Erprobung der Nockenwellenversteller ausgeschlossen ist (Ziffer 5.1 T.-SHV) nicht mehr an.
92
3. Die von der Berufung erhobenen Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
93
a) Die Besetzungsrüge, die Handelskammer des Landgerichts sei mit dem Handelsrichter G. nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, greift nicht durch. Die Berufungserwiderung weist zu Recht darauf hin, dass die Berufung insoweit die gerichtsinterne Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan rügt. Von der Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO wird auch die Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan erfasst, denn die innergerichtliche Zuständigkeitsverteilung hat kein größeres Gewicht als die Zuständigkeitsverteilung zwischen verschiedenen erstinstanzlichen Gerichten (MünchKomm, ZPO, 5. Aufl., § 513 Rdnr. 15).
94
Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist zwar grundsätzlich eine Rechtsverletzung, auf welche die Berufung gestützt werden könnte. Jedoch ist nach herrschender Meinung nicht jede fehlerhafte Anwendung von Zuständigkeitsnormen gleichzeitig ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Entscheidung über die Zuständigkeit als willkürlich anzusehen ist, wobei der Begriff der Willkür in einem rein objektiven Sinn verstanden wird. Nach herrschender Meinung begründet z.B. eine irrige Auslegung des Geschäftsverteilungsplans und sonstige Verfahrensirrtümer nicht den Revisionsgrund einer Besetzungsrüge. Gemessen hieran sind die Ausführungen der Klägerinnen nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters zu begründen. Eine willkürliche Annahme der Zuständigkeit des Handelsrichters G. wird von der Berufung nicht aufgezeigt, sondern allenfalls Auslegungsmöglichkeiten des Geschäftsverteilungsplanes.
95
b) Die Klägerinnen haben auch mit ihrer Rüge tatbestandlicher Mängel keinen Erfolg. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtzuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dazu enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Nach § 529 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Es reicht daher nicht aus, vermeintliche Beispiele zu benennen, sondern es müssen konkrete Verletzungen vorgetragen werden.
96
Die Berufungsbegründung zeigt aber keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auf. Die Klägerinnen verkennen das Wesen des Tatbestands als gedrungene Zusammenfassung des Sach- und Streitstandes. Die Rückrufanordnungen wurden z.B. im Vortrag der Beklagten erwähnt, so dass die Kammer diese bei den rechtlichen Erwägungen zugrunde legen durfte.
97
c) Die Berufung rügt einen Verstoß gegen Denkgesetze, weil das Landgericht aus Rückruf und Werkstattaktion gefolgert habe, dass ... im Jahr 2015 Maßnahmen zur Gefahrenabwehr durchgeführt habe. Hierin liegt aber kein Verfahrensfehler, vielmehr rügt die Berufung hier eine ihrer Ansicht nach unrichtige Subsumtion des Sachverhalts unter die Versicherungsbedingungen T.-SHV, mithin eine aus ihrer Sicht unrichtige Rechtsanwendung, deren Überprüfung, soweit entscheidungserheblich, dem Senat selbst überlassen bleibt.
98
d) Ein Verstoß gegen § 293 ZPO liegt nicht vor. Das Landgericht musste kein Gutachten zu ausländischem Recht erholen, da die Versicherungsverträge, aus denen die Klägerinnen ihre Ansprüche auf Versicherungsleistungen herleiten, nach ihren Bedingungen deutschem Recht unterliegen. Auf die Ausführungen unter II. 1. wird verwiesen.
99
e) Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör im Termin vor dem Landgericht vom 08.11.2019 ist nicht erkennbar. Das Gericht hat im Termin vom 08.11.2019 seine Rechtsauffassung dargelegt und eine Anlage übergeben, in der diese dargestellt wird (Seite 2 des Protokolls = Blatt 374 d.A. und Anlage Blatt 376 d.A.). Die Parteivertreter erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu (Seite 3 des Protokolls = Blatt 375 d.A.). Vor diesem Hintergrund ist ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör nicht erkennbar. Die Berufungserwiderung der Beklagten zu 2) weist von der Klägerseite unwidersprochen darauf hin, dass es unzutreffend sei, dass die Verfügung vom 11.11.2018 den Parteien nach der mündlichen Verhandlung übergeben worden sei. Vielmehr sei der Inhalt der Verfügung vom 11.11.2018 Gegenstand der im Termin erteilten Hinweise und der daran anschließenden Erörterungen zwischen den Parteien gewesen. Das Landgericht habe vor allem zur Transparenz und zur Gewährung rechtlichen Gehörs die verschriftlichten Hinweise den Parteien rechtzeitig innerhalb der Stellungnahmefrist zur Verfügung gestellt.
100
4. Über die in der Berufung mit Schriftsatz vom 21.12.2020 (Blatt 727 ff. d.A.) gestellten Hilfsanträge (Blatt 729 ff.) war nicht zu entscheiden, weil die hierfür in den Anträgen formulierten Voraussetzungen für eine Entscheidung nicht vorliegen.
101
a) Der Hilfsantrag unter Ziffer 6. wurde für den Fall gestellt, dass der Senat zu dem Ergebnis kommt, dass der Einwand der Beklagten zu 1) bezüglich der Erschöpfung der Versicherungssumme aus dem Y. I-Vertrag begründet sei. Für diesen Fall stellt die Berufung eine Berechnung der ihrer Ansicht nach begründeten Zahlungsansprüche auf (Berufungsbegründung vom 08.05.2020, Seite 97 f.). Dieser Fall liegt jedoch nicht vor, da der Senat eine Zahlungspflicht bereits mangels Vorliegens eines im Versicherungszeitraum liegenden Versicherungsfalles verneint und die Frage der Erschöpfung der Versicherungssumme offenbleiben konnte.
102
b) Der Hilfsantrag unter Ziffer 7. wurde für den Fall gestellt, dass nicht von einer Erschöpfung der Versicherungssumme des Y. I-Vertrages im Zuge des P.-Schadensfalles ausgegangen werden kann und deshalb hypothetisch die Möglichkeit bestünde, dass der Senat zu der Auffassung gelangt, dass die im Nachtrag versprochenen Versicherungssumme in Höhe von 10 Mio Euro nicht zutrifft, und stellt für diesen Fall eine abweichende Berechnung der vermeintlichen Ansprüche der Klägerin zu 1) auf (Berufungsbegründung vom 08.05.2020, Seite 99 f). Auch dieser Fall liegt hier aus den unter a) dargelegten Gründen nicht vor.
103
c) Der Hilfsantrag unter Ziffer 8. wurde für den Fall gestellt, das der Senat die Versicherungssumme aus dem Y. I-Vertrag für erschöpft erklärt und feststellt, dass der mit den Beklagten zu 1) abgeschlossenen Nachtrag für den hier streitgegenständlichen Schadensfall nicht einschlägig ist (Berufungsbegründung vom 08.05.2020, Seite 100). Auch dieser Fall liegt aus den unter a) dargelegten Gründen nicht vor.
104
Der Berufung der Klägerinnen muss daher der Erfolg insgesamt versagt bleiben.
III.
105
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 ZPO.
106
Die Feststellungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
107
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Der Senat weicht nicht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts ab. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Streitentscheidend ist allein die vom Senat im vorliegenden Einzelfall vorzunehmende Auslegung der hier vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Streitsache allein gebietet nicht die Zulassung der Revision.