Inhalt

ArbG Würzburg, Teilurteil v. 23.02.2021 – 12 Ca 987/19
Titel:

Betriebsbedingte Kündigung eines Wahlinitiators

Normenkette:
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, § 15 Abs. 3a
Leitsatz:
Sind bei einer betriebsbedingten Kündigung die betreffende Organisationsentscheidung und der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers praktisch deckungsgleich, weil der Arbeitnehmer dem neuen Anforderungsprofil nicht entspricht, kann die generelle Vermutung, dass eine unternehmerische Entscheidung auf sachlichen Gründen beruht, nicht in jedem Fall von vornherein greifen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber konkret darlegen, wie sich seine Entscheidung auf die tatsächlichen Möglichkeiten, den Arbeitnehmer einzusetzen, auswirkt und in welchem Umfang durch sie ein konkreter Änderungsbedarf entsteht. Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers sind insbesondere dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind (unter Hinweis auf BAG BeckRS 2005, 43867). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
betriebsbedingte Kündigung, Kündigungsschutz, Zusammenhang mit Organisationsentscheidung, Anforderungsprofil
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 25.02.2022 – 3 Sa 109/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57092

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23.06.2020 zum 30.09.2020 nicht aufgelöst wird.
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23.10.2020 zum 31.03.2021 nicht aufgelöst wird.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Oktober 2020 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2020 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für November 2020 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.12.2020 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Dezember 2020 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2021 zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Januar 2021 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2021 zu zahlen.
7. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
8. Der Streitwert wird festgesetzt auf 63.701,37 €.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um zwei dem Kläger gegenüber ausgesprochene betriebsbedingte Kündigungen.
2
Der im Jahr 1963 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 15.01.2017 als … im Industrievertrieb beschäftigt.
3
Die Stellenbeschreibung sieht hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs des Klägers folgendes vor:
Verantwortlich für das Managen des gesamten Vertriebsaufwands für einen zugewiesenen Kundenstamm in ….
Kundenrepräsentation an wichtige Entscheidungsträger und andere relevante Funktionsbereiche von bestehenden und potenziellen Kunden innerhalb des jeweiligen Kundenstamms.
Erfüllen der festgelegten vierteljährlichen Vertriebsziele für die EMEA-Region.
Koordinieren von Kundenbesuche, einschließlich der Gesamtverantwortung für Agenda, Betriebsbesichtigungen und Unterhaltung.
Besuch von Fachausstellungen.
4
In der Vergangenheit war der Kläger vor allem für den japanischen Kunden … und … u.ä. tätig. Daneben war er tätig für Kunden in Deutschland, Belgien, Frankreich Norwegen. Außerhalb von Deutschland wurden die Verhandlungen auf Englisch geführt.
5
Seine monatliche Bruttovergütung beträgt 9.721,25 €. Die Parteien haben arbeitsvertraglich vereinbart, dass der Dienstsitz des Klägers das Homeoffice ist.
6
Die Beklagte beschäftigt ständig mehr als zehn Arbeitnehmer ohne die Auszubildenden.
7
Mit Schreiben vom 25.07.2019 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine betriebsbedingte Änderungskündigung zum 31.12.2019 aus, wonach der Kläger ab dem 01.01.2020 seine Tätigkeit, soweit er sich nicht auf Dienstreise befindet, am Sitz des Unternehmens in Nürnberg und nicht mehr im Homeoffice erbringen sollte. Der Kläger nahm diese Änderungskündigung unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und stellte sie mit Klage vom 02.08.2019 zur Überprüfung durch das Arbeitsgericht.
8
Mit Schreiben vom 12.03.2020 hat der Kläger zur Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes zum Zweck der Neugründung eines Betriebsrates eingeladen. Die Betriebsversammlung fand am 27.05.2020 statt. Der Kläger, der sich auch als Wahlvorstand zur Wahl gestellt hatte, wurde nicht gewählt. Die neu gewählte Wahlvorstandsvorsitzende gab mit Schreiben vom 19.06.2020 der Belegschaft das Wahlergebnis bekannt. Die erste Sitzung des Wahlvorstandes war zunächst für den 23.06.2020 geplant, musste jedoch auf den 30.06.2020 verschoben werden. Die konstituierende Sitzung des inzwischen gewählten Betriebsrates fand am 06.10.2020 statt.
9
Mit Schreiben vom 23.06.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen zum 30.09.2020. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 09.07.2020 bei Gericht eingegangenen Klage vom 08.07.2020.
10
Mit Schreiben vom 23.10.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut aus betriebsbedingten Gründen zum 31.03.2021. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 02.11.2020 bei Gericht eingegangenen Klage vom selben Tag.
11
Der Kläger ist der Auffassung, die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung vom 23.06.2020 sei bereits nach § 15 Abs. 3a Satz 1, 1. Alt. KSchG unzulässig. Bis zum Zugang der streitgegenständlichen Kündigung sei das Wahlergebnis zur Wahl des Betriebsrats nicht bekannt gegeben worden.
12
Der Bedarf für einen Sales Manager für den deutschsprachigen Raum sei nicht entfallen. Hier fielen nach wie vor Tätigkeiten für Bosch, Miele und Gaggenau an. Er könne auch im Bereich Automotive und Key Accounts eingesetzt werden, da er früher bei … im Bereich Automotive tätig gewesen sei.
13
Der Kläger hat beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung mit Schreiben vom 25.07.2019 rechtsunwirksam ist.
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23.06.2020 zum 30.09.2020 nicht aufgelöst wird.
3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23.10.2020 zum 31.03.2021 nicht aufgelöst wird.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
14
Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 2.:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Oktober 2020 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für November 2020 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.12.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Dezember 2020 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2021 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Januar 2021 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.02.2021 zu zahlen.
15
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
16
Die Beklagte trägt vor, Ende 2019 habe sie die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Bereich Sales Europa umzustrukturieren. Es sei beschlossen worden, den Fokus auf das internationale Geschäft und eine weitere Internationalisierung der Beklagten zu legen, wobei insbesondere der Automotive-Bereich und Key Accounts ausgebaut und das Unternehmen darauf ausgerichtet werden sollte. Der deutschsprachige Raum (D-A-CH-Region) sei an die Data Image als dortiger Distributor und Repräsentant abgegeben worden. Der Bedarf für einen Sales Manager nur für den deutschsprachigen Raum sei dadurch entfallen.
17
Vor dem Hintergrund der weiteren Internationalisierung und dem Wegfall der D-A-CH-Region habe man entschieden, dass für die Tätigkeit als Sales Manager zwingend ein sehr gutes Englisch in Wort und Schrift sowie nach Möglichkeit noch weitere Fremdsprachenkenntnisse erforderlich seien. Sehr gutes Englisch in Wort und Schrift sei unentbehrlich, um Verkaufsgespräche und Vertragsverhandlungen auf internationaler Ebene, worauf die Geschäftstätigkeit der Beklagten nun ausgerichtet sei, führen zu können. Dem entsprechend seien Neueinstellungen im Bereich Sales Europa auch nur noch unter Berücksichtigung des geänderten Anforderungsprofils erfolgt.
18
Die Gestaltung des Anforderungsprofils für einen Arbeitsplatz unterliege grundsätzlich der freien unternehmerischen Disposition. Das Bestreben des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nach Möglichkeit von Arbeitnehmern mit einer bestimmten Qualifikation ausführen zu lassen, sei grundsätzlich zu akzeptieren. Diese Vorgabe könne von den Arbeitsgerichten nur auf Willkür und offenbare Unrichtigkeit hin überprüft werden.
19
Der Kläger sei der einzige Mitarbeiter im Bereich Sales Management Europa, der nicht über die zwingend erforderlichen Sprachkenntnisse verfüge. Mangels ausreichender Englischkenntnisse könne der Kläger die Gespräche und Verhandlungen mit den internationalen Kunden nicht übernehmen. Dies habe sich insbesondere bei den Projekten Gaggenau, Frankreich und Jabbla, Belgien gezeigt, bei denen der Vorgesetzte des Klägers aufgrund der sprachlichen Defizite des Klägers habe eingreifen und ihn unterstützen müssen. Sowohl externe als auch interne englische Präsentationen des Klägers enthielten immer zahlreiche Fehler. Seine Englischkenntnisse reichten nur für Smalltalk, nicht jedoch für den professionellen Umgang mit internationalen Kunden. Die deutschsprachige Region, für die der Kläger in erster Linie zuständig gewesen sei, sei fremdvergeben worden, sodass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht mehr bestehe.
20
Soweit bestimmte Bereiche nicht an Data Image fremdvergeben worden seien, würden die verbliebenen deutschsprachigen Kunden als exklusive Kunden vom Vertriebsleiter selbst betreut.
21
Der Kläger genieße auch keinen besonderen Kündigungsschutz als Wahlinitiator gemäß § 15 Abs. 3a KSchG. Der besondere Kündigungsschutz eines Wahlinitiators ende mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses zum Wahlvorstand. Somit habe der besondere Kündigungsschutz für den Kläger mit Bekanntgabe des Ergebnisses zum Wahlvorstand mit Schreiben vom 19.06.2020 geendet.
22
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird verwiesen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe

I.
23
Die Klage ist zulässig.
24
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a, b ArbGG.
25
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Würzburg folgt aus § 48 Abs. 1a Satz 2 ArbGG.
26
Das erforderliche Feststellungsinteresse an den vom Kläger begehrten Feststellungen folgt bereits aus §§ 4, 7 KSchG, wonach eine Kündigung bereits dann wirksam ist, wenn sie nicht innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang vor dem Arbeitsgericht angegriffen wird.
II.
27
1. Die Klage ist hinsichtlich der dem Kläger gegenüber ausgesprochenen Beendigungskündigungen begründet. Die Beendigungskündigungen der Beklagten vom 23.06.2020 und vom 23.10.2020 sind nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.
28
Die Kündigungen sind nicht durch betriebsbedingte Gründe gerechtfertigt.
29
a) Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung unter anderem dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Eine Kündigung ist unter anderem dann durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist.
30
b) Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich dabei daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Trifft ein Arbeitgeber eine unternehmerische Entscheidung, ist diese selbst zwar nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist. Vom Gericht voll nachprüfbar ist jedoch, ob durch die innerbetriebliche Umsetzung dieser Unternehmerentscheidung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entfallen ist.
31
c) Dabei unterliegt auch die Gestaltung des Anforderungsprofils an den jeweiligen Arbeitsplatz der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden unternehmerischen Disposition des Arbeitgebers. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten grundsätzlich jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben, BAG vom 22.10.2015 - 2 AZR 582/14, zit. nach juris.
32
d) Sind allerdings die betreffende Organisationsentscheidung und der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers praktisch deckungsgleich, weil der Arbeitnehmer dem neuen Anforderungsprofil nicht entspricht, kann die generelle Vermutung, dass eine unternehmerische Entscheidung auf sachlichen Gründen beruht, nicht in jedem Fall von vornherein greifen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber konkret darlegen, wie sich seine Entscheidung auf die tatsächlichen Möglichkeiten, den Arbeitnehmer einzusetzen, auswirkt und in welchem Umfang durch sie ein konkreter Änderungsbedarf entsteht. Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers sind insbesondere dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber durch eine unternehmerische Entscheidung das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändert, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt sind, BAG vom 07.07.2005 - 2 AZR 399/04, zit. nach juris.
33
Soweit sich der Arbeitgeber zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung auf ein geändertes Anforderungsprofil beruft, muss er deshalb den zugrunde liegenden betrieblichen Anlass im Einzelnen darlegen. Dabei muss die Entscheidung zur Änderung des Anforderungsprofils im Zusammenhang mit einer organisatorischen Maßnahme, gegebenenfalls im Zusammenhang mit einer Neuausrichtung der Geschäftstätigkeit stehen. Bei der geänderten Anforderung an das Stellenprofil muss es sich darüber hinaus nicht nur um eine wünschenswerte Voraussetzung, sondern um ein nachvollziehbares, arbeitsplatzgezogenes Kriterium handeln, LAG Köln vom 14.03.2019 - 6 Sa 489/18, zit. nach juris.
34
e) Darüber hinaus hat der Arbeitgeber konkret darzulegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere eine Fortbildung des Arbeitnehmers zu vermeiden war, BAG vom 07.07.2005 - 2 AZR 399/04, zit. nach juris.
35
aa) Im hier zu beurteilenden Fall trägt die Beklagte vor, sie habe Ende 2019 den Entschluss gefasst, ihre Vertriebstätigkeit internationaler auszurichten. Der Vertrieb für deutschsprachige Kunden sei fremdvergeben worden, die verbliebenen Kunden aus dem deutschsprachigen Raum würden zukünftig exklusiv vom Vorgesetzten des Klägers betreut. Infolgedessen seien für die Vertriebstätigkeit im internationalen Raum sehr gute Englischkenntnisse in Wort und Schrift erforderlich. In der mündlichen Verhandlung vom 23.02.2021 hat die Beklagtenvertreterin darüber hinaus vorgetragen, man habe sich entschlossen, das Anforderungsprofil im Vertrieb dahingehend zu ändern, dass zukünftig ausschließlich englische Muttersprachler eingesetzt würden. Diesem Anforderungsprofil entspreche der Kläger nicht.
36
(1) Dass das geänderte Anforderungsprofil vorsehe, dass im Vertrieb nur noch englische Muttersprachler eingesetzt werden, hat die Beklagtenvertreterin erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Schriftsätzlich erklärte sie zuvor hingegen, man habe sich entschieden, dass für die Tätigkeit als Sales Manager zwingend ein sehr gutes Englisch in Wort und Schrift erforderlich sei. Zur Erläuterung der Umsetzung des neuen Profils wies die Beklagte schriftsätzlich darauf hin, dass zum 01.01.2020 ein Arbeitnehmer mit muttersprachlichen Englischkenntnissen sowie zum 01.04.2020 ein Arbeitnehmer mit sehr guten Englischkenntnissen eingestellt worden seien. Letzterer spreche als Inder darüber hinaus auch Hindi. Hinsichtlich des Vorgesetzten des Klägers behauptet die Beklagte nicht, dass dieser englischer Muttersprachler sei.
37
(2) Soweit die Beklagte - wie die Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung behauptete - das Anforderungsprofil an die Stellen im Vertrieb tatsächlich dahingehend geändert haben sollte, dass die Stelleninhaber englische Muttersprachler sein müssen, so ist der Kammer nicht ersichtlich, inwiefern diese Anforderung im Zusammenhang mit der Neuausrichtung auf das internationale Geschäft steht. Auch jemand, der eine Fremdsprache erst später erlernt, kann darin auf ein sehr gutes, verhandlungssicheres Niveau kommen. Es ist weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen, weshalb es ihre Vertriebstätigkeit erfordern sollte, nur mit Muttersprachlern zu arbeiten.
38
(3) Auch an der Umsetzung dieser Unternehmerentscheidung bestehen angesichts der Tatsache, dass der Vorgesetzte des Klägers kein englischer Muttersprachler ist, Zweifel.
39
bb) Auch nicht nachvollziehbar ist für die Kammer, wie sich die Unternehmerentscheidung, die Vertriebstätigkeit zukünftig internationaler auszurichten und sehr gute Kenntnisse in englischer Wort und Schrift zu verlangen, konkret auf die Einsatzmöglichkeit des Klägers auswirkt.
40
(1) Der Kläger hat diesbezüglich vorgetragen, der Bedarf an einem Sales Manager für den deutschsprachigen Raum sei nicht entfallen. Diese Aussage bestreitet die Beklagte mit dem Vorbringen, diese Kunden würden als exklusive Kunden von ihrem Vertriebsleiter betreut, soweit die Tätigkeit nicht durch Data Image erfolge. Ob die Betreuung der verbliebenen deutschsprachigen Kunden exklusiv durch den Vertriebsleiter einem wie auch immer gearteten unternehmerischen Konzept folgt, lässt sich dem Vorbringen der Beklagten nicht entnehmen. Damit kann die Kammer nicht feststellen, ob eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger - soweit er dem Anforderungsprofil hinsichtlich der sehr guten englischen Sprachkenntnisse nicht entsprechen sollte - tatsächlich entfallen oder nicht wenigstens in reduziertem Umfang weiterhin vorhanden ist.
41
(2) Der Kläger wurde im Januar 2017 Sales Manager EMEA eingestellt, somit für den Bereich Europa, Arabien und Afrika. Unstreitig war er für die Beklagte in der Vergangenheit auch im Bereich Frankreich, Belgien und Norwegen tätig, was auch Verhandlungen auf Englisch erforderte. Hinsichtlich seiner mangelhaften Englischkenntnisse trägt die Beklagte lediglich vor, diese reichten nicht aus, um auf internationalem Niveau tätig zu sein. So habe sein Vorgesetzter insbesondere bei den Projekten Gaggenau in Frankreich und Jabbla in Belgien eingreifen und ihn unterstützen müssen. Dieses Vorbringen bleibt vage, es lässt sich insbesondere nicht erkennen, welches Sprachniveau der Kläger tatsächlich hat und ob dies für Vertragsabschlüsse im internationalen Bereich tatsächlich nicht ausreicht. Die Beklagte greift diesbezüglich lediglich zwei Projekte heraus, ohne nähere Einzelheiten zu nennen.
42
cc) Schließlich kann eine Beendigungskündigung immer nur Ultima Ratio sein. Vor Ausspruch einer Beendigungskündigung muss der Arbeitgeber alle möglichen milderen Mittel ausschöpfen, um die Kündigung zu vermeiden. Im vorliegenden Fall hätte es nahegelegen, den Kläger auf seine nach Ansicht der Beklagten nicht ausreichenden Sprachkenntnisse zunächst hinzuweisen und ihn aufzufordern, diese zu verbessern. Dass der Kläger auf das geänderte Anforderungsprofil und die Tatsache, dass er diesem nach Ansicht der Beklagten nicht entspricht, hingewiesen worden wäre, konnte die Beklagte auch auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung nicht bestätigen.
43
Gerade angesichts der Tatsache, dass die Beklagte nach ihrem Vorbringen bereits Ende 2019 beschlossen hat, das Anforderungsprofil der Stellen im Vertrieb hinsichtlich der sprachlichen Fähigkeiten zu ändern und dem Kläger erst am 26.06.2020 eine Beendigungskündigung zum 30.09.2020 zuging, hätte es nahegelegen, den Kläger auf die geänderten Anforderungen hinzuweisen und ihn aufzufordern, seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Gerade angesichts der Tatsache, dass der Kläger seit Januar 2017 für die Beklagte auch im internationalen Bereich tätig war und hinsichtlich seiner Englischkenntnisse somit nicht bei Null anfangen musste, erscheint es nicht fernliegend, dass es ihm möglich gewesen wäre, seine Englischkenntnisse innerhalb eines Dreivierteljahres erheblich zu verbessern. Gegenteilige Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich.
44
dd) Auch das Vorbringen der Beklagten, der Kläger verfüge über keine Kenntnisse im Automotive-Bereich, ist nicht geeignet, die Kündigung zu rechtfertigen. Insofern hat die Beklagte vorgetragen, die unternehmerische Entscheidung sei Ende 2019 dahingehend getroffen worden, den Fokus auf das internationale Geschäft und einer weiteren Internationalisierung der Beklagten zu legen, wobei insbesondere der Automotive-Bereich und die Key Accounts ausgebaut und das Unternehmen darauf ausgerichtet werden solle. Dass und vor allem zu welchem Zeitpunkt die bisherige Vertriebstätigkeit der Beklagten zu Gunsten des Automotive-Bereichs aufgegeben würde, erschließt sich aus diesem Vorbringen nicht. Darüber hinaus hat die Beklagte selbst eingeräumt, dass noch Kunden aus dem deutschsprachigen Raum verblieben, die vom Vertriebsleiter exklusiv betreut würden. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die bisherige Tätigkeit des Klägers vollumfänglich entfallen ist.
45
Der Beklagten ist es somit nach Ansicht der Kammer nicht gelungen, in ausreichendem Maße darzulegen, dass das Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger über den 30.09.2020, bzw. 31.03.2021 hinaus entfallen ist und dass ihr auch kein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte als die Beendigungskündigung. Auf die Frage, ob der Kläger bei Zugang der Kündigung vom 23.06.2020 noch dem besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3a Satz 1 KSchG unterfiel, kommt daher nicht an.
46
2. Da der Kläger mit seinem Klageantrag zu 2) obsiegt hat, war auch über die Hilfsanträge zu entscheiden. Auch insoweit war der Klage stattzugeben. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung seiner Vergütung für die Monate Oktober 2020 bis Januar 2021 in unstreitiger Höhe abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes zu, §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1, 293 ff. BGB.
47
Da die Beklagte für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist ihrer kalendermäßig bestimmten Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist und dem Kläger keinen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt hat, geriet sie ausnahmsweise auch ohne ein tatsächliches oder wörtliches Angebot des Klägers in Annahmeverzug, § 296 Satz 1 BGB.
III.
48
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
49
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, §§ 3 ff. ZPO.
50
Der Zinsentscheidung liegt § 288 Abs. 1 BGB zugrunde. Da für die Vergütungszahlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, war eine Mahnung nach § 286 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht erforderlich.