Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 23.12.2021 – B 1 S 21.1289
Titel:

erkennungsdienstliche Behandlung, wiederholte Anordnung, Gefahrenprognose, Notwendigkeit, Beschuldigteneigenschaft

Normenketten:
StPO § 81b Alt. 2
PAG Art. 54
Schlagworte:
erkennungsdienstliche Behandlung, wiederholte Anordnung, Gefahrenprognose, Notwendigkeit, Beschuldigteneigenschaft
Fundstelle:
BeckRS 2021, 56441

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
4. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung seiner Person.
2
Gegen den Antragsteller wird von der Polizeiinspektion K. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung nach § 223 StGB am 23. August 2021 geführt (Az.: …). Der Zeugenvernehmung des O. (Bl. 7 der Behördenakte) ist unter anderem folgendes zu entnehmen:
3
Der Zeuge habe am 23. August 2021 gegen 18: 45 Uhr den Lidl verlassen, als der Antragsteller ihm entgegengekommen sei. Dieser sei ihm als Gast seiner Pizzeria bekannt. Da der Antragsteller noch mindestens eine unbeglichene Rechnung bei ihnen habe, habe der Zeuge zu ihm gesagt: „Zahl deine Zeche und hör auf mit der ganzen Lügerei“. Diese Äußerung habe den Antragsteller scheinbar wütend gemacht. Er habe ihn zunächst verbal angegangen und anschließend sei er auf ihn zugekommen. Er habe ihn erst mit der rechten Faust auf seine linke Brust geschlagen und als er sich dann weggedreht habe, habe er ihm nochmal mit der Faust von hinten auf die linke Schulter geschlagen. Durch den Schlag auf den Brustkorb habe der Zeuge starke Schmerzen gehabt und die Stelle sei auch leicht gerötet gewesen. Einen Arzt habe er nicht benötigt. Der Antragsteller sei dann in den Lidl und als er wieder herausgekommen sei, habe der Antragsteller gesagt, dass er die Polizei rufen werde. Der Zeuge habe ihm gesagt, dass er gleich da bleiben könnte, da er sie schon gerufen habe. Daraufhin sei der Antragsteller erneut aggressiv auf ihn zugegangen. Der Zeuge habe ihn mit seinem rechten Arm auf Abstand gehalten und zu ihm gesagt, dass er ihn in Ruhe lassen solle. Dabei habe er eine leichte Fahne gerochen.
4
Die Zeugin H. (Bl. 10 der Behördenakte) bestätigte, dass es zwischen den beiden Männern zu einer Auseinandersetzung gekommen sei. Sie habe aber nicht hören können, worum es gegangen sei. Sie habe sehen können, wie der ältere Mann dem Jüngeren auf die Schulter geboxt habe. Sie würde es als sehr starkes Schubsen definieren.
5
Die Polizeiinspektion K. bat den Antragsteller mit Schreiben vom 5. September 2021 wegen des Vorfalls für eine Beschuldigtenvernehmung vorzusprechen und darüber hinaus mit Schreiben vom 8. September 2021 zur Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung am 16. September 2021 zu erscheinen. Der Antragsteller äußerte sich in der Beschuldigtenvernehmung zur Sache nicht. Mit Schreiben vom 15. September 2021 ließ der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten mitteilen, dass er zumindest derzeit an einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht mitwirken werde.
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Die Polizeiinspektion K. erließ unter dem 11. November 2021, zugestellt am 17. November 2021, einen Bescheid, wonach die erkennungsdienstliche Behandlung der Person des Antragstellers angeordnet werde. Sie erstrecke sich in seinem Fall auf die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, die Fertigung von Lichtbildern, Messungen und Personenbeschreibungen (Ziffer 1). Hierzu werde er zur Polizeiinspektion K. an folgenden Terminen vorgeladen: Montag, 29. November 2021, 10 Uhr oder Dienstag, 30. November 2021, 14 Uhr (Ziffer 2). Falls der Antragsteller der Anordnung unter Ziffer 1 oder Ziffer 2 bis zum 30. November 2021 ohne hinreichenden Grund keine Folge leiste, werde ein Zwangsgeld zur Zahlung fällig, welches wie folgt angedroht und festgesetzt werde:
a) ein Zwangsgeld von 300,00 Euro, wenn er zu keinem der alternativ benannten Vorladungstermine unter Ziffer 2 erscheine oder
b) ein Zwangsgeld von 300,00 Euro, wenn er zwar zu einem der Vorladungstermine unter Ziffer 2 erscheine, aber der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung unter Ziffer 1 keine Folge leiste.
7
Im Falle der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs werde das Zwangsgeld zur Zahlung fällig, wenn er der angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlung unter Ziffer 1 und der Vorladung unter Ziffer 2 nicht innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheides bzw. eines Monats nach Aufhebung eines stattgebenden gerichtlichen Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO Folge leiste (Ziffer 3). Falls er der Vorladung unter Ziffer 2 keine Folge leiste, werde er hiermit erneut zur erkennungsdienstlichen Behandlung zur Polizeiinspektion K. an folgenden Terminen vorgeladen: Mittwoch, 13. Dezember 2021, 10 Uhr oder Donnerstag, 14. Dezember 2021, 14 Uhr (Ziffer 4). Falls er auch weiterhin der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung unter Ziffer 1 sowie der erneuten Vorladung unter Ziffer 4 keine Folge leiste, würden diese durch Anwendung unmittelbaren Zwangs vollzogen (Ziffer 5). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 2 und 4 werde angeordnet (Ziffer 6).
8
Gegen den Antragsteller würde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung nach § 223 StGB am 23. August 2021 geführt (Az.: …*) Es bestehe der hinreichende Tatverdacht, dass er an diesem Tag gegen 18:45 Uhr den Zeugen O. aufgrund einer zunächst verbalen Auseinandersetzung auf dem Parkplatz des Discounters Lidl erst mit der rechten Faust auf die linke Brust und anschließend von hinten auf die linke Schulter geschlagen hätte. Der Zeuge O. habe dadurch starke Schmerzen in der Brust erlitten. Die Tat sei von einer unbeteiligten Kundin beobachtet worden. Nach Angaben des Zeugen O. hätte er nach Alkohol gerochen.
9
Rechtsgrundlage sei § 81 b 2. Alternative StPO. Die PI K. habe die erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet, um mit den gewonnenen Informationen durch den Antragsteller möglicherweise bereits begangene oder zukünftige Straftaten, insbesondere mögliche weitere Körperverletzungen, Diebstähle oder Sachbeschädigungen aufklären oder diese Informationen zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut verwenden zu können. Der Antragsteller sei Beschuldigter, da ein Straf- oder Ermittlungsverfahren im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses gegen ihn schwebe.
10
Die Anordnung sei auch notwendig (BVerwG, 19.10.1982 - NJW 1983, 772). Es sei eine Abwägung zu treffen zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Interesse des Betroffenen. Es sei aber nicht erforderlich, dass es zu einer Verurteilung komme, es reiche ein begründeter Restverdacht (BVerwG, 6.7.1988 - 1 B 61/88 - NJW 1989, 2640). Hiervon ausgehend sei dies aufgrund der Tat, derer er verdächtig sei sowie des bisherigen polizeilichen in-Erscheinung-Tretens notwendig. Dies ergebe sich bereits aus der geringen Hemmschwelle der dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegenden Anlasstat. Die Art und Weise der Tatbegehung, das Schlagen eines Menschen mit der Faust aufgrund einer kurzen verbalen Auseinandersetzung, lasse darauf schließen, dass er in der Lage sei, plötzlich und ohne Rücksicht auf Leib und Leben andere zu verletzen. Besonders dann, wenn er vorher Alkohol konsumiert habe. Es bestehe aufgrund der Zeugenbeobachtung ein hinreichender Tatverdacht. Aufgrund des enthemmten Verhaltens sei die Gefahr gegeben, dass er auch in Zukunft in weiteren Fällen durch körperliche Misshandlung oder Gesundheitsgefährdung anderer den Straftatbestand der (gefährlichen) Körperverletzung verwirklichen werde. Dies ergebe sich auch aus vorhergehenden Vorfällen. Am 1. Februar 2020 sei er verdächtigt worden, zwei Personen im alkoholisierten Zustand mit einem abgebrochenen Flaschenhals angegriffen zu haben (Verdacht der gefährlichen Körperverletzung, Einstellung am 19. Mai 2020 nach § 170 Abs. 2 StPO). Trotz Einstellung ergebe sich ein hinreichender Restverdacht, da er als Täter nicht ausgeschlossen werden habe können. Am 21. April 2017 sei er verdächtigt worden, in der Diskothek „…“ eine Person mit der Faust auf die Rippen geschlagen zu haben, nachdem diese ihm aufgrund seiner starken Alkoholisierung ein Hausverbot ausgesprochen habe. Hierbei habe er einen Atemalkoholwert von 1,15 mg/l gehabt (Verdacht der Körperverletzung i.V.m. Sachbeschädigung, Strafurteil vom 31. Januar 2018: 3 Monate Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung). Am 21. Juni 2013 sei er verdächtigt worden, im Verlauf eines massiven Streites mit seiner damaligen Lebensgefährtin dieser zunächst einen Kinnhaken verpasst und anschließend eine Scheibe der Badtür eingeschlagen zu haben. Anschließend sei er unberechtigt, alkoholisiert und ohne Fahrerlaubnis mit dem Pkw der Geschädigten davon gefahren. Bei Eintreffen der Polizei habe er Widerstand geleistet. Eine Blutuntersuchung habe 0,86 Promille und 0,74 Promille ergeben (Verdacht der Körperverletzung i.V.m. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Strafurteil vom 13. Oktober 2014: 5 Monate Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung). Zwischen dem 12. September 2014 und dem 23. Juli 2015 sei er verdächtigt worden mehrfach den Pkw der Geschädigten (Anm.: wohl der damaligen Lebensgefährtin s.o.) beschädigt zu haben (Verdacht der Sachbeschädigungen, Strafurteil vom 19. Juli 2016: 6 Monate Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung).
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Er sei zwar bereits am 19. März 2015 erkennungsdienstlich behandelt worden. Inzwischen sei aber ein Zeitraum von sechs Jahren vergangen. In dieser Zeit verändere sich das Aussehen sowohl durch die Veränderung der Frisur, der Barttracht, des Gewichts und des natürlichen Alterungsprozesses als auch durch sonstige hinzukommende Merkmale wie beispielsweise Narben oder Tätowierungen. Darüber hinaus könnten sich auch Finger- und Handflächenabdrücke m Laufe der Jahre durch Verletzungen verändern. Fingerspuren am Tatort seien zumeist nur teilweise vorhanden. Eine erneute Aufnahme der Fingerabdrücke erhöhe die Wahrscheinlichkeit, eine solche Spur zu identifizieren. Die Lichtbilder sollten die Wiedererkennung durch Zeugen oder Geschädigte ermöglichen. Insbesondere handele es sich bei den Taten, derer er sich verdächtig gemacht habe, nicht um Bagatelldelikte. Die Anordnung sei verhältnismäßig (wird näher ausgeführt). Der Erlass der Anordnung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (wird näher ausgeführt).
12
Die sofortige weitere Vorladung unter Ziffer 4 stelle ein milderes Mittel im Vergleich zur sofortigen Anwendung unmittelbaren Zwangs dar (VG Ansbach, 20.10.2016 - AN 5 K 15.00266).
13
Die Androhung des Zwangsgelds und des unmittelbaren Zwangs wurde näher begründet. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1, 2 und 4 werde angeordnet, da das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Wiederholungsgefahr in naher Zukunft realisiere, sodass bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit der Durchführung der erkennungsdienstlichen Maßnahme nicht zugewartet werden könne. Nach kriminalistischen Erwägungen sei er aufgrund des vorangegangenen Verhaltens bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und habe sich trotz entsprechender Verurteilungen von der weiteren Begehung von Straftaten nicht abhalten lassen. Das Erfordernis ergebe sich auch aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Straffälligkeit und dem Alkoholkonsum, welcher erfahrungsgemäß zu einem erhöhten Aggressionspotenzial bei ihm führe. Desweiteren sei er bereits mehrfach von der jeweiligen Tatörtlichkeit geflohen, sodass eine erkennungsdienstliche Behandlung zur Identifizierung und Aufklärung unerlässlich sei.
14
Unter dem 26. November 2021 beantragte der Antragsteller die Vollziehung des Bescheids auszusetzen, was die Polizeiinspektion K. mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 ablehnte.
15
Der Antragsteller erschien nicht zu den im Bescheid genannten Terminen.
16
Mit am 15. Dezember 2021 eingegangenen Schriftsatz seines Bevollmächtigten ließ der Antragsteller Klage erheben und beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Polizeiinspektion … wird wiederhergestellt.
17
Gleichzeitig ließ er einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellen.
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Zur Begründung lässt er ausführen, dass der im Bescheid dargestellte Sachverhalt den Antrag nicht bzw. nicht ausreichend begründen könne. Hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens aufgrund des Vorfalls vom 23. August 2021 sei dem Bevollmächtigten als Verteidiger noch nicht einmal Akteneinsicht gewährt worden. Eine konkrete Stellungnahme sei daher noch gar nicht möglich. Der Zeuge O. sei offensichtlich nicht einmal beim Arzt gewesen. Es sei auch völlig offen, ob bzw. inwieweit der Antragsteller Alkohol getrunken haben solle, was sich dem Sachverhalt gar nicht entnehmen lasse. Auch die Angaben der angeblich vorhandenen Zeugen würden diesseits noch nicht vorliegen. Bei der Würdigung unter Ziffer II 2 b würde auf einen Vorfall vom 1. Februar 2020 abgestellt, hinsichtlich dem das Ermittlungsverfahren offensichtlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, da sich herausgestellt habe, dass der Antragsteller zu Unrecht belastet worden sei. Inwieweit hier ein hinreichender Restverdacht vorhanden sein solle, lasse sich dem Bescheid nicht entnehmen. Die Anordnung sei unverhältnismäßig. Es möge sein, dass der Antragsteller vorbestraft sei. Die Taten würden zum Teil viele Jahre zurückliegen (letzter Vorfall 21. April 2017). Die Daten des Antragstellers seien offensichtlich schon einmal vor einiger Zeit erhoben worden. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben und lasse sich auch nicht aus irgendwelchen Akten und dem Bescheid entnehmen.
19
Der Antragsgegner beantragt,
1.
den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.
2.
den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen.
20
Es werde zugesichert, bis zur Entscheidung des Gerichts auf die zwangsweise Durchsetzung des Bescheids zu verzichten.
21
Im Übrigen wurde im Wesentlichen der Inhalt des Bescheids wiederholt. Es werde zugegeben, dass es sich bei der Anlasstat um ein Körperverletzungsdelikt handele, bei welchem keine größeren körperlichen Einschränkungen eingetreten seien. Dennoch sei es kein Bagatelldelikt bei zwei Schlägen gegen den Oberkörper des Geschädigten. Darüber hinaus sei er bereits zuvor in ähnlicher Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten (2017, 2020 jeweils in alkoholisiertem Zustand). Es sei davon auszugehen, dass es sich beim Antragsteller um einen gewohnheitsmäßig agierenden Täter handele, welcher im alkoholisierten Zustand zu Gewaltdelikten neige. Die Notwendigkeit entfalle nicht dadurch, dass eine in Bezug genommene Straftat nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Die Einstellung räume die Wiederholungsgefahr nicht aus, wenn ein erheblicher Tatverdacht fortbestehe (BVerfG NJW 2002, 3231). Die das eingestellte Verfahren betreffende Tat sei nicht die Anlasstat, sondern nur eine einbezogene Vortat, sie könne erst recht lediglich zur Unterstreichung der Notwendigkeit herangezogen werden.
22
Die Maßnahme werde durch eine noch nicht erfolgte Akteneinsicht nicht rechtswidrig. Es handele sich um eine präventiv-polizeiliche Maßnahme, bei welcher die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien. Es liege in der Rechtsnatur dieser Befugnis, dass eine hinreichend schwere Straftat zwar vorliegen und gegen den betroffenen ein ausreichender Tatverdacht bestehen müsse. Es sei aber nicht erforderlich, dass die Tatbegehung in ihren Einzelheiten feststehe und eine Anklage dieser Straftat noch erfolgen werde. Die letzte erkennungsdienstliche Behandlung sei am 19. März 2015, mithin vor fast sieben Jahren erfolgt.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
24
1. Das Gericht legt den Antrag so aus (§ 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO), dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids vom 11. November 2021 und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsmittelandrohung in Ziffern 3 und 5 des streitgegenständlichen Bescheids begehrt, da gemäß Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO Rechtsbehelfe gegen die Androhung von Zwangsmitteln keine aufschiebende Wirkung haben.
25
2. Der in obiger Weise auszulegende Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
26
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
27
Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
28
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Antrag abzulehnen, da die Sofortvollzugsanordnung formell rechtmäßig ist (hierzu a.), die erhobene Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung keine Aussicht auf Erfolg hat (hierzu b.) und auch im Übrigen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids deutlich schwerer wiegt als das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung/Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (hierzu c.).
29
In der Sache selbst schließt sich das Gericht zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen im Wesentlichen zunächst den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer gesonderten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Ergänzend ist zur Sache sowie zum Antragsvorbringen noch Folgendes auszuführen:
30
a. Die Begründung der sofortigen Vollziehung entspricht den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Dies erfordert in formaler Hinsicht, dass klar ist, dass sich die Behörde grundsätzlich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehbarkeit bewusst war, so dass der Zweck der Signalwirkung der besonderen Begründung greifen konnte. Sie muss mit einer auf den konkreten Fall abstellenden und nicht lediglich formelhaften schriftlichen Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts versehen werden (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 84). Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid (zu Ziffn. 1, 2 und 4) genügen den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner legt im Bescheid vom 12. Oktober 2020 dar, dass er den Sofortvollzug auf Grund der Gefahr einer Wiederholung von strafbaren Handlungen des Antragstellers auch im Hinblick auf die zahlreichen früheren Strafverfahren des Antragstellers für erforderlich hält und dass mit der erkennungsdienstlichen Maßnahme nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zugewartet werden könne. Dies zeigt, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die er für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat. Im Übrigen trägt im Falle erkennungsdienstlicher Maßnahmen die Erforderlichkeit der Maßnahme bereits die Gründe für deren eilbedürftige Durchführung in sich (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2009 - 10 CS 09.1854 - juris Rn. 17).
31
b. Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ergibt, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
32
Rechtsgrundlage der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist § 81b 2. Alt. StPO, wonach, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden dürfen.
33
Zutreffend ist die PI K. zunächst davon ausgegangen, dass der Antragsteller im (insoweit) maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung Beschuldigter eines Strafverfahrens war (und derzeit auch noch ist).
34
Die Beschuldigteneigenschaft wird durch die erste Ermittlungshandlung begründet, die sich gegen eine bestimmte Person richtet. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass deren Anordnung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit (dazu unten) der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss (vgl. nur BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2/05 - juris Rn. 20). Im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Anordnung war diese Voraussetzung gegeben, nachdem der Antragsteller insbesondere unter dem 5. September 2021 zur Beschuldigtenvernehmung zur Polizei gebeten wurde.
35
Selbst die spätere Beendigung eines Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt die Rechtmäßigkeit bezogen auf das Tatbestandsmerkmal der Beschuldigteneigenschaft nicht rückwirkend entfallen (BayVGH, B.v. 2.4.2015 - 10 C 15.304 - juris Rn. 6 ff. m.w.N.).
36
Die Anlasstat, nämlich der Vorfall vom 23. August 2021, erweist sich als geeignete Grundlage für die Anordnung. Für die präventiven Zwecken dienende Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung sowie der ihrer Durchführung dienende Hilfsmaßnahme der Vorladung ist von der Behörde keine vollumfängliche und zu absoluter Sicherheit führende Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich einer tatsächlichen Verwirklichung des in Rede stehenden Straftatbestandes erforderlich. Vielmehr genügt hier der sich aus dem Ermittlungsverfahren ergebende erhebliche Tatverdacht (VG Würzburg, B.v. 11.2.2011 - W 5 S 11.53 - juris Rn. 40).
37
Ein derartiger Tatverdacht im Hinblick auf ein Körperverletzungsdelikt ist hier gegeben. Das Gericht ist jedenfalls der Auffassung, dass im maßgeblichen Zeitpunkt die bis dahin im Ermittlungsverfahren getroffenen Feststellungen für die Anordnung ausreichend sind, da die Verwirklichung dieses Straftatbestandes möglich erscheint. Aus den Angaben des Geschädigten und der Zeugin kann der Schluss gezogen werden, dass der Antragsteller den Zeugen O. durch mindestens einen Schlag wissentlich und willentlich körperlich misshandelt bzw. an der Gesundheit geschädigt hat. Insbesondere erscheinen die sich aus der Behördenakte ergebenden Aussagen dieser Personen nach summarischer Prüfung als glaubhaft und übereinstimmend. Dass der Geschädigte nicht beim Arzt war, ändert nichts daran, dass die Verwirklichung dieses Straftatbestandes möglich erscheint. Gleiches gilt für die Frage, ob der Antragsteller alkoholisiert war. Der Antragsteller hat sich - wohl auch aufgrund seines bestehenden Schweigerechts im Strafverfahren - bislang nicht geäußert. Hier könnten sich Zweifel nämlich allenfalls aus der eigenen, von der bisher dokumentierten Schilderung abweichenden Sachverhaltsdarstellung des Antragsstellers ergeben.
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Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung erweist sich auch als notwendig i.S.v. § 81b Alt. 2 StPO. Die Notwendigkeit bestimmt sich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend - fördern könnten (BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2/05 - juris Rn. 22). Bei der Prüfung der Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Behandlung nach der 2. Alt. ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, wonach die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein muss und der mit ihr verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des Tatverdachts stehen darf. Keinen genügenden Anlass bieten daher häufig Bagatelldelikte, insbesondere Antragsdelikte oder Privatklagedelikte, sofern nicht das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht werden kann (MüKo/Trück, StPO, 1. Aufl. 2014, § 81b Rn. 8). Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Notwendigkeit“ unterliegt dabei der vollen gerichtlichen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte, während das der polizeilichen Prognose über das künftige Verhalten des Betroffenen zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsurteil einer solchen Kontrolle nur begrenzt zugänglich ist. Für die Prognose der Wiederholungsgefahr sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit und der Zeitraum, während dem er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, als Anhaltspunkte heranzuziehen (BayVGH, B.v. 2.4.2015 - 10 C 15.304 - juris Rn. 8).
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Zwar hat der mutmaßliche Geschädigte am 23. August 2021 bei Wahrunterstellung keine gravierenden Beeinträchtigungen davon getragen und bei der einfachen Körperverletzung handelt es sich um ein Antragsdelikt (§ 230 StGB). Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist zweifelsohne erheblich. Der Tatverdacht (dazu schon oben) ist aufgrund der Angaben des Geschädigten und der Zeugin nichtsdestotrotz stark. Bei Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls ist ein sich wiederholendes Verhalten des Antragstellers erkennbar. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die getroffene Prognose, der Antragsteller werde auch in Zukunft mit guten Gründen in den Kreis verdächtiger Personen einbezogen werden, nicht zu beanstanden. Der Antragsteller ist in der Vergangenheit in vielfacher Hinsicht - auch im einschlägigen Bereich der Körperverletzungsdelikte - strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ob eine Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO hinsichtlich einer Tat dazu führt, dass sie bei der Beurteilung einer Wiederholungsgefahr außer Acht zu lassen wäre, wenn die Verfahrenseinstellung wegen erwiesener Unschuld nach § 170 Abs. 2 StPO erfolgt ist, was hier nicht bekannt ist, kann dahinstehen. Jedenfalls der Vorfall vom 21. April 2017, bei dem er mit Strafurteil vom 31. Januar 2018 zu 3 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ist verwertbar.
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Sicher wäre die Heranziehung singulärer, lange zurückliegender Sachverhalte an sich wohl schon problematisch - worauf der Antragsteller unter anderem hinaus will -, zumal bei einem hinreichend langen straffreien Zeitraum bzw. bei Taten von geringerer Bedeutung auch die Löschungsvorschriften des Art. 54 Abs. 2 PAG zum Tragen kommen würden. Ein Zeitraum der Straffreiheit, der zu einer Löschung der gespeicherten Daten nach Art. 54 PAG geführt hätte, liegt nicht vor. Die Aufbewahrungsfristen betragen in der Regel bei Erwachsenen zehn Jahre, wobei in Fällen von geringerer Bedeutung kürzere Fristen festzusetzen sind, Art. 54 Abs. 2 Sätze 3 und 4 PAG. Die Frist beginnt regelmäßig mit dem Ende des Jahres, in dem das letzte Ereignis erfasst worden ist, das zur Speicherung der Daten geführt hat, Art. 54 Abs. 2 Satz 5 PAG. Werden innerhalb der Frist der Sätze 3 bis 5 weitere personenbezogene Daten über dieselbe Person gespeichert, so gilt für alle Speicherungen gemeinsam die Aufbewahrungsfrist, die als letzte endet, Art. 54 Abs. 2 Satz 6 PAG. Die Frist ist von keinem der Vorfälle zum jeweils nachfolgenden Ereignis eingehalten. Hier runden die in regelmäßigen Abständen begangenen Straftaten bzw. straftatverdachtsbegründenden Verhaltensweisen das Gesamtbild ab, das für die Prognose zu erstellen ist.
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Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung handelt es sich um eine vorbeugende sicherheitsrechtliche Maßnahme, die gerade dazu dient, tatsächliche Hilfsmittel für künftige Strafverfahren vorsorglich bereit zu stellen. Bei möglicherweise künftigen Körperverletzungsdelikten könnten die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern. Dass der Antragsteller aufgrund welcher Umstände auch immer in Zukunft nicht mehr einschlägig strafrechtlich auffallen wird, wird nicht einmal vorgetragen.
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Nicht zu beanstandend hat der Antragsgegner folglich darauf abgestellt, dass aufgrund der in der Vergangenheit gegen den Antragsteller geführten Strafverfahren auch in Zukunft nach kriminalistischer Erfahrung damit zu rechnen ist, dass der Antragsteller prognostisch in den Kreis potentieller Beteiligter insbesondere von Körperverletzungsdelikten einzubeziehen sein wird. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass sich der Antragsteller nun gerade durch die gegen ihn zu treffenden Maßnahmen von der Begehung weiterer Taten abhalten lässt. In der Gesamtschau ist daher der Schluss des Antragsgegners auf eine Wiederholungsgefahr nicht zu beanstanden.
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Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, obwohl der Antragsteller bereits 2015 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hat in seinem Urteil vom 18. August 2010 - 3 L 372/09 - (BeckRS 2010, 55869) zu einem Sachverhalt ausgeführt, in dem der dortige Kläger im Jahr 2002 zweimal, sowie darüber hinaus im August 2007 und Juli 2008 erkennungsdienstlich behandelt wurde und sich nun gegen eine erneute Anordnung vom Juni 2009 wendete: Es sei nicht von dem eingeräumten Ermessen in der § 40 VwVfG erforderlichen Weise Gebrauch gemacht worden. Es sei sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt worden, ob die erkennungsdienstliche Maßnahme veranlasst ist, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits mehrfach erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Im Ansatz zutreffend sei zwar ausgeführt worden, dass sich die Wiederholung einer ED-Maßnahme deshalb rechtfertigen könne, weil sich die menschlichen Merkmale verändert haben können und der Körper im Verlauf der Zeit mehreren physiologischen und optischen Veränderungen unterliege. Die Entscheidung lasse aber nicht erkennen, dass im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme vernünftige und greifbare Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass sich das Aussehen des Klägers oder sonstige Merkmale, die der Feststellung seiner Identität dienen, im Verhältnis zu den Ergebnissen der vorherigen erkennungsdienstlichen Behandlungen tatsächlich signifikant verändert haben. D. h. nach dem Vorbringen der Beklagten werde nicht ersichtlich, ob und ggf. welche Veränderungen beim Kläger die erneute erkennungsdienstliche Behandlung geboten erscheinen ließen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die erneute erkennungsdienstliche Behandlung allein schon wegen Zeitablauf veranlasst gewesen sei und das Ermessen sich deshalb in der Weise verdichtet hätte, dass sich allein die erneute Anordnung als rechtmäßig erweisen würde (“Ermessensreduzierung auf Null“). Zwar möge unter Verweis auf die Urteile des OVG Lüneburg vom 21. Februar 2008 - 11 LB 417/07 - (NJOZ 2008, 2211) und vom 28. Juni 2007 - 11 LC 372/06 - (BeckRS 2007, 27486) sowie die erkennungsdienstliche Richtlinie des Bundeskriminalamtes im Einzelfall bereits im Hinblick auf den bloßen Zeitablauf eine erneute erkennungsdienstliche Behandlung erforderlich sein, etwa weil die vorhandenen Unterlagen den Anforderungen für eine Identifizierung nicht (mehr) genügten und sie damit für Zwecke der Strafverfolgungsvorsorge nicht mehr geeignet seien. Ein solcher Fall habe aber bei den Zeitabständen im dortigen Verfahren nicht vorgelegen.
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Die Kammer vertritt die Auffassung, dass der Antragsteller im vorliegenden Fall angesichts der verstrichenen 6,5 Jahre nicht mit Erfolg einwenden kann, er sei bereits erkennungsdienstlich behandelt worden, weshalb die Maßnahme nicht notwendig gewesen sei. Der Zeitabstand zur letzten erkennungsdienstlichen Behandlung unterscheidet sich enorm vom Fall des OVG Magdeburg. Finger- und Handflächenabdrücke eines Menschen sind zwar von Natur aus unveränderlich. Jedoch können insbesondere Verletzungen mit späterer Narbenbildung, mechanische oder chemische Beanspruchung, vor allem bei Personen, die viel mit den Händen arbeiten, Krankheiten und nicht zuletzt der natürliche Alterungsprozess Veränderungen der Haut bewirken, die zumindest den Abgleich von Tatortspuren mit älteren Finger- und Handflächenabdrücken erschweren oder sogar unmöglich machen können. Liegt die zuletzt erfolgte erkennungsdienstliche Behandlung - wie hier - schon längere Zeit zurück, steht der mit der Aktualisierung der vorhandenen Daten durch die Abnahme neuer Finger- und Handflächenabdrücken einhergehende Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zu den mit der Maßnahme verfolgten gewichtigem öffentlichen Interessen an der Aufklärung künftiger Straftaten (VG Augsburg, U.v. 27.11.2008 - Au 5 K 08.547 - BeckRS 2008, 44787). Die Einschätzung des Antragsgegners, das aus dem März 2015 stammende Datenmaterial sei wegen des seitdem verstrichenen Zeitraums und im Hinblick auf mögliche äußere Veränderungen als nicht mehr hinreichend aktuell anzusehen, ist nachvollziehbar und vertretbar. Datenmaterial, das möglicherweise nicht mehr hinreichend aktuell ist, ist für eine wirksame Ermittlungstätigkeit der Polizeibehörden ungeeignet. Die Polizei muss auf möglichst verlässliche Daten zurückgreifen können, um effektiv zu ermitteln. Insbesondere ältere Lichtbilder sind häufig nicht mehr für Identifizierungsmaßnahmen geeignet, zumal sie ungeschulten Zeugen und Geschädigten gezeigt werden, die die Identifizierung aus der Erinnerung heraus vornehmen, weswegen nachvollziehbar ist, dass Zeugen oder Geschädigten möglichst aktuelle Lichtbilder vorzulegen sind (VG Saarlouis, U.v. 5.3.2010 - 6 K 691/09 - LKRZ 2010, 257).
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In ermessensfehlerfreier Weise hat der Antragsgegner auch die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken sowie die Fertigung von Lichtbildern und die Durchführung von Messungen und Personenbeschreibungen angeordnet. Diese Maßnahmen sind geeignet und erforderlich, vom Antragsteller möglicherweise in Zukunft begangene Straftaten aufzuklären. Durch Lichtbilder und Personenbeschreibung kann er zukünftig von Zeugen identifiziert werden. Andererseits können die so gewonnenen Erkenntnisse aber auch dazu führen, den Antragsteller möglicherweise bei aufzuklärenden Straftaten zu entlasten.
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Da sich die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist, sind auch die weiteren vom Antragsgegner im angegriffenen Bescheid vom 11. November 2021 getroffenen Nebenentscheidungen nicht zu beanstanden.
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Die Vorladung ist als Vorbereitungshandlung zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung notwendig, insbesondere auch verhältnismäßig und geeignet, bevor die Maßnahme mit Zwangsmitteln durchgesetzt wird (vgl. z.B. Trück in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2014, Rn. 9, 11 zu § 81b).
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Die Androhung der Zwangsmaßnahmen erfolgte nach Art. 71 ff. PAG für den Fall, dass der Antragsteller der Vorladung nicht Folge leistet. Die gesetzten Fristen erscheinen ausreichend bemessen und begegnen ebenso wenig Bedenken wie die angedrohte Höhe des Zwangsgeldes. Nicht zu beanstanden ist außerdem, dass im Bescheid bereits eine weitere Vorladung vorgenommen wurde, sowie dass für den Fall, dass der Antragsteller auch dieser nicht Folge leistet, die Vollstreckung mittels unmittelbaren Zwangs nach Art. 81 PAG angedroht wird. Die Zwangsmittel wurden nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 PAG schriftlich angedroht und nach Art. 76 Abs. 2 Satz 2 PAG mit dem Verwaltungsakt verbunden. Die Androhung mehrerer Zwangsmittel in einem Bescheid ist in Art. 76 Abs. 3 Satz 2 PAG ausdrücklich vorgesehen, die Reihenfolge der Anwendung wurde angegeben und entspricht dem Gebot verhältnismäßigen Vorgehens.
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c. Die vom Gericht zu treffende eigene Abwägungsentscheidung zwischen den Supensivinteressen des Antragstellers und den Vollzugsinteressen des Antragsgegners geht aufgrund obiger Ausführungen zugunsten des Antragsgegners aus. Da die Anordnungen im streitgegenständlichen Bescheid rechtmäßig sind, überwiegt das Vollzugsinteresse (vgl. OVG NRW, B.v. 13.9.1996 - 11 B 1083/96 - NWVBl 1997, 106). Im vorliegenden Fall bestehen auch keine so gewichtigen Suspensivinteressen des Antragstellers, die das durch die höchstwahrscheinliche Erfolglosigkeit der Anfechtungsklage in der Hauptsache begründete Vollzugsinteresse übersteigen würden. Aufgrund der angenommenen Wiederholungsgefahr überwiegen die öffentlichen Interessen an der Durchführung, ein Zuwarten bis zur Rechtskraft einer Entscheidung würde dem zuwiderlaufen. Es sind keine mit dem Sofortvollzug verbundenen unwiederbringlichen Nachteile für den Antragsteller ersichtlich. Sollte sich die Anordnung im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen, wären die Daten zu löschen. Gründe, von dem kraft Gesetzes vorgesehenen Sofortvollzug der Zwangsmittel abzusehen, liegen damit erst recht nicht vor.
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3. Der Antragsteller hat nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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4. Die Höhe des Streitwerts richtet sich nach § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 1.5 und 35.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).
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5. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung ist ebenfalls abzulehnen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO voraus, dass die betreffende Partei außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, kann der Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht zugesprochen werden. Auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers kommt es damit nicht mehr an.