Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: VW Tiguan 2.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831
StGB § 263
VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; OLG Koblenz BeckRS 2020, 6348; OLG Bamberg BeckRS 2022, 18709 sowie BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1. (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus amtlichen Auskünften des KBA zum Motor EA 288 ist gerichtsbekannt, dass das KBA eine dem Vorgängermodell EA 189 vergleichbare Manipulationssoftware zum Erschleichen der Typgenehmigung für den Motor EA 288 nicht bestätigt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Entwicklung und der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) für sich genommen reichen nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu begründen, selbst wenn dies aus Gründen der Kostensenkung und Gewinnerzielung geschieht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, Abgasskandal, Volkswagen Tiguan, Thermofenster, Zykluserkennung, Diesel-Abgasskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, arglistige Täuschung, sittenwidrig, Fahrkurvenerkennung, amtliche Auskünfte des KBA
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 20.06.2022 – 1 U 565/21
OLG Bamberg, Beschluss vom 11.08.2022 – 1 U 565/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 55678
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 32.736,08 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht deliktische Ansprüche auf Schadensersatz durch Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags im Zusammenhang mit dem sogenannten V….Abgasskandal geltend.
2
Die in W. wohnhafte Klagepartei erwarb am 21.01.2017 den von der Beklagten hergestellten Pkw V. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … als Neuwagen von der M. in BB zum Kaufpreis von 45.600,00 €. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf Anlage K1 Bezug genommen. Das Fahrzeug ist ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 der Abgasnorm Euro 6. Das vom Kläger zur Finanzierung aufgenommene Darlehen wurde abgelöst und das zwischenzeitlich sicherungsübereignete Fahrzeug an den Kläger zurückübereignet.
3
Hersteller von Fahrzeugen müssen nach der VO (EG) Nr. 715/2007 nachweisen, dass die von ihnen produzierten Fahrzeuge über eine sog. Typengenehmigung verfügen. Zur Erlangung dieser Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten. Die hierfür maßgeblichen Abgaswerte werden ausschließlich unter Laborbedingungen gemessen. Hierbei durchlaufen die Testfahrzeuge einen gesetzlich vorgegebenen Testlauf, der aus fünf synthetischen Fahrkurven besteht (sog. Neuer Europäischer Fahrzyklus, NEFZ).
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Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) prüfte den streitgegenständlichen Motor des Typs EA 288 im Jahr 2016 eingehend. Ein Rückruf des Fahrzeugs wegen des Emissionsverhaltens wurde durch das KBA nicht angeordnet.
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Der Klägervertreter forderte die Beklagte außergerichtlich mit Schriftsatz vom 05.03.2021 zur Erfüllung der klägerischen Ansprüche auf. Die am 31.03.2021 eingereichte Klage wurde der Beklagten am 29.04.2021 zugestellt. Der Kilometerstand des Fahrzeuges betrug am 09.11.2021 99.545 km.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, einem Betrug der Beklagten zum Opfer gefallen zu sein. Sie behauptet, im Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut, zum einen eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung - sog. Thermofenster - und zum anderen eine Zykluserkennung, durch welche die Betriebssoftware des Fahrzeugs erkenne, wenn der NEFZ durchlaufen werde und in einen besonderen Modus mit optimierter Abgasaufbereitung schalte, bei der möglichst wenige Stickoxide entstünden. Im tatsächlichen Fahrbetrieb liege die Abgasrückführungsrate viel niedriger und die Schadstoffgrenzwerte würden nicht eingehalten. Der Kläger behauptet weiter, es sei beim Kauf des Fahrzeugs im Hinblick auf die Euro-Abgasnorm davon ausgegangen, das Fahrzeug könne im Alltag besonders umweltfreundlich betrieben werden. Er ist der Auffassung, er müsse sich vom Kaufpreis einen Nutzungsersatz abziehen lassen, welcher auf Basis einer Gesamtkilometerlaufleistung von 300.000 km zu berechnen sei. Er ist weiter der Meinung, er habe Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten.
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.736,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke V. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN)… nebst 2 Fahrzeugschlüsseln, KfZ-Schein, KfZ-Brief und Serviceheft.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Klageantrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.873,06 EUR freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor, dass das Fahrzeug über eine wirksame EG-Typgenehmigung verfüge. Der Motor EA 288 enthalte anders als der Motor EA 189 keine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer sog. Umschaltlogik. Die Fahrkurve in Fahrzeugen mit EA 288-Motor sei dem KBA bereits Ende 2015 vorgestellt worden. Das KBA habe bestätigt, dass es keine im Prüfstandsbetrieb die Abgasrückführung optimierende Funktion gebe. Ein betrügerisches Verhalten der Organe der Beklagten sei nicht schlüssig vorgetragen. Die Voraussetzungen der sekundären Beweislast seien nicht erfüllt. Die Verwendung des sog. Thermofensters sei technisch gerechtfertigt.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll vom 09.11.2021 Bezug genommen.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
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I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche zu.
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1. Der Kläger hat gegen die Beklagte zunächst keinen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.
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a) Die zum Dieselmotor des Typs EA 189 ergangene Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 2020, 1962), mit welcher die Beklagte zum Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Täuschung gemäß § 826 BGB verurteilt wurde, ist entgegen dem Vorbringen der Klagepartei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar.
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aa) Der Kläger hat nicht zur Überzeugung des Einzelrichters den Nachweis geführt, dass der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaute Motor EA 288 eine dem Vorgängermodell EA 189 vergleichbare Manipulationssoftware zum Erschleichen der Typgenehmigung enthält, § 286 I ZPO. Aus in anderen vergleichbaren Fällen eingeholten amtlichen Auskünften des KBA zum streitgegenständlichen Motor EA 288 ist gerichtsbekannt, dass das KBA die behauptete Manipulation nicht bestätigt (vgl. hierzu auch OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 19.10.2021, Az. 3 U 254/21, S. 3 ff. m.w.N.).
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Laut dieser Auskünfte hat das KBA insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des EA 288 durchgeführt, so zum Beispiel im Rahmen der „Untersuchungskommission V.“, der freizugebenden Software-Updates für das „Nationale Forum Diesel“ sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten. Hinsichtlich einer Prüfstanderkennung seien Prüfungen im KBA durchgeführt worden, die gezeigt hätten, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, so dass es sich bei der Prüfstanderkennung in der Motorsteuersoftware nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle. Die streitgegenständliche Motorbaureihe EA 288 weise nach Kenntnisstand des KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung hinsichtlich des Emissionsverhaltens auf.
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Die Einholung einer erneuten Auskunft des KBA oder eines Sachverständigengutachten ist angesichts der nachvollziehbaren und überzeugenden und auf den vorliegenden Fall übertragbaren Auskünfte des KBA nicht erforderlich.
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bb) Soweit der Kläger sinngemäß argumentiert, dass die Methoden der Hersteller raffiniert und auf Verdeckung angelegt seien und dass ohne Offenlegung und Überprüfung der gesamten Softwaresteuerung keine qualifizierte Möglichkeit einer Überprüfung bestehe, zielt das Verlangen weiterer Beweiserhebung auf eine unzulässige Ausforschung. Ziel des gerichtlichen Verfahrens kann es unter Berücksichtigung des Gebotes der Prozessökonomie und einer zügigen Behandlung von Rechtsstreitigkeiten nicht sein, eine Motorsteuerungssoftware in allen Einzelheiten auf mögliche unzulässige Programmierungen zu untersuchen und das auch noch bei jedem einzelnen Fahrzeug der zahlreich eingegangenen Verfahren zu Fahrzeugen mit dem Motor EA 288. Bei der Frage einer vorsätzlichen sittenwidrigen Täuschung durch Erschleichung einer Typgenehmigung durch unzulässige Abschalteinrichtungen geht es letztlich um das Interesse des Klägers an der Nutzbarkeit des ihm verkauften Fahrzeugs. Anders als bei dem Motor EA 189 steht bei dem Motor EA 288 für den streitgegenständlichen V. die Nutzung des Fahrzeugs ohne Überarbeitung der Motorsteuersoftware (sog. Softwareupdate) aber nicht in Frage. Der diesbezügliche pauschale klägerische Vortrag zu Softwareupdates bei den VW-Modellen - und … hat keine Relevanz für den hiesigen Rechtsstreit. Eine Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs droht nicht.
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cc) Das KBA hat anders als in den Fällen der Baureihe EA 189 für Fahrzeuge der Baureihe EA 288 auch keinen allgemeinen Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung angeordnet. Ob die Beklagte einen verbindlichen Rückruf des KBA für V.-Modelle der Baureihe - „noch vermeiden konnte“ (Bl. 14 d.A.) und weshalb dies bejahendenfalls der Fall war, ist für den vorliegenden Rechtsstreit völlig unerheblich. Unstreitig unterlag das streitgegenständliche Fahrzeug keinem verbindlichen Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
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b) Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sind auch nicht im Hinblick auf die unstreitig aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung der Beklagten im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems - sog. Thermofenster - begründet. Der Einbau des sog. Thermofensters in das Fahrzeug und dessen Inverkehrbringen ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt selbst dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat.
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aa) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. nur BGH, NJW 2020, 1962 (Rn. 15); NJW 2017, 250 (Rn. 16); NJW 2014, 1380 (Rn. 8); NJW 2014, 383 (Rn. 9); Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl. 2021, § 826 Rn. 4). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 15; NJW 2017, 250 (Rn. 16)). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, NJW 2020, 1962 (Rn. 15); NJW 2019, 2164 (Rn. 8)).
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bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert oder mitunter ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht ausreichend, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung im Ansatzpunkt als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 II 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (BGH, NJW 2021, 921 (Rn. 16); vgl. hierzu auch EuGH, NJW 2021, 1216 - CLCV u.a.). Der in der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung liegende Gesetzesverstoß ist nämlich auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagten handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, a.a.O.; OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 (Rn. 31 ff.)). Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände, die aber nicht vorliegen.
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cc) So unterscheidet auch nach dem Vortrag des Klägers die eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist demzufolge keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.
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dd) Weiterhin würde die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraussetzen, dass die für die Beklagte verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, a.a.O. (Rn. 19); OLG Stuttgart, NZV 2019, 579 (Rn. 75); OLG Koblenz, BeckRS 2020, 9935 (Rn. 20 f.); OLG Hamm, BeckRS 2020, 22322 (Rn. 70)). Fehlt es wie vorliegend hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
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(1) Hierzu hat der Kläger bereits nicht hinreichend vorgetragen. Insofern erschöpft sich der Vortrag der Klagepartei in Textbausteinen ohne konkreten Bezug zur den im streitgegenständlichen Fahrzeug aus Sicht der Klagepartei verbauten konkreten Abschalteinrichtungen. Dabei ersetzt der Verweis auf Rechtsprechung insgesamt keinen Sachvortrag, insbesondere nicht, wenn diese auf andere Motortypen bezogen ist.
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(2) Ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für vorsätzliches Verhalten kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein handelten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Anders als bei Einsatz einer Prüfstanderkennung (sog. Umschaltlogik), wie sie in der Baureihe EA 189 zum Einsatz kam und die bewusst das Abgasverhalten des Fahrzeugs auf dem Prüfstand vom Realbetrieb entkoppelt und deren Einsatz offensichtlich gesetzeswidrig ist, ist ein solcher Rückschluss beim Einsatz eines sog. Thermofensters nicht zwingend (OLG Hamm, a.a.O. (Rn. 60); OLG Stuttgart, a.a.O. (Rn. 86); OLG Koblenz, a.a.O. (Rn. 21); OLG Köln, ZVertriebsR 2019, 370 (Rn. 5); vgl. auch OLG Bamberg, BeckRS 2020, 39666). Dies gilt umso mehr, als der Einsatz eines sog. Thermofensters nach Art. 5 II 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ausnahmsweise zulässig sein kann, nämlich dann, wenn wie von der Beklagten angeführt Aspekte des Motor- oder Bauteilschutzes als Rechtfertigung angeführt werden können.
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(3) Gerade vor dem Hintergrund, dass Art. 5 II 2 VO (EG) Nr. 715/2007 Auslegungsspielräume eröffnet, ist zudem in Betracht zu ziehen, dass die für die Beklagte handelnden Personen möglicherweise aufgrund einer zwar objektiv falschen, aber doch vertretbaren Gesetzesauslegung handelten (OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2020, 476 (Rn. 33 f.); OLG Schleswig, BeckRS 2019, 23793 (Rn. 45 f.); OLG Stuttgart, a.a.O. (Rn. 76); OLG Hamm, a.a.O. (Rn. 63 f.); OLG Köln, a.a.O.). Eine Auslegung der besagten Ausnahmevorschrift in dem Sinne, dass die Verwendung eines „Thermofensters“ als zulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist, ist zumindest nicht unvertretbar (näher OLG Stuttgart, a.a.O. (Rn. 82); OLG Schleswig, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, a.a.O. (Rn. 33 f.); OLG Koblenz, a.a.O. (Rn. 24); OLG Hamm, a.a.O. (Rn. 70); weitergehend (Thermofenster grundsätzlich erlaubt): OLG Bamberg, a.a.O. (Rn. 18)). Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes stellt aber per se kein besonders verwerfliches Verhalten dar (OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.). Unabhängig vom Bestehen einer sekundären Darlegungslast (gegen die Anwendbarkeit der Grundsätze zur sekundären Darlegungslast in der vorliegenden Konstellation etwa OLG Köln, a.a.O. (Rn. 6); OLG Koblenz, BeckRS 2020, 9935 (Rn. 29); zumindest zweifelnd OLG Hamm, a.a.O. (Rn. 70)) verbleibt es daher auch bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrags allenfalls bei einer fahrlässigen Verkennung der Rechtslage.
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c) Auch wenn man unterstellt, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Zykluserkennung verbaut ist, folgt daraus kein anderes Ergebnis.
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aa) Dagegen, dass diese Einrichtung überhaupt eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 II VO (EG) Nr. 715/2007 darstellt, spricht zumindest indiziell der Umstand, dass die „Applikationsanweisung Diesel“, welche die vorgenannte Einrichtung beschreibt, im Jahr 2015 dem KBA vorgestellt wurde und letztlich zu keinem Rückruf der betroffenen Fahrzeuge führte. Dies legt den Schluss nahe, dass auch das KBA hierin keine das Emissionsverhalten beeinflussende unzulässige Abschalteinrichtung gesehen hat, die zum Widerruf der Typengenehmigung oder (ohne Rückruf) zur Stilllegung von betroffenen Fahrzeugs geführt hätte (OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 19.10.2021, Az. 3 U 254/21, S. 3).
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bb) Selbst wenn man jedoch unterstellt, es läge tatsächlich eine nach Art. 5 II VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung vor, so kann der Kläger gleichwohl den ihm obliegenden Beweis für eine bewusste Verwendung einer solchen unterstellt unzulässigen Abschalteinrichtung nicht führen. Der Kläger hat bereits keine für ein derartiges Vorstellungsbild sprechenden Anhaltspunkte aufgezeigt. Auch darüber hinaus fehlt es an belastbaren Anhaltspunkten dafür, dass die für die Beklagte verantwortlich Handelnden eine solche Abschalteinrichtung im Bewusstsein ihrer Unzulässigkeit verwendeten und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 19.10.2021, Az. 3 U 254/21, S. 5).
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2. Auch ein etwaiger Anspruch des Klägers aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB besteht mangels nachweisbar vorsätzlich täuschenden Handelns der Verantwortlichen der Beklagten nicht.
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3. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 II BGB i.V.m. §§ 6 I, 27 I EG-FGV bzw. i.V.m. Art. 5 II, 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 scheitert bereits am fehlenden Schutzgesetzcharakter der vorgenannten Vorschriften (BGH, NJW 2020, 2798 (Rn. 10 ff.); OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 19.10.2021, Az. 3 U 254/21, S. 5; OLG Braunschweig, BeckRS 2019, 2737 (Rn. 124 ff.); OLG München, NJW-RR 2019, 1497 (Rn. 46 ff.); OLG Frankfurt, a.a.O. (Rn. 35 ff.)).
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4. In Ermangelung eines deliktischen Handeln eines verantwortlichen Verrichtungsgehilfen kann der Kläger auch aus § 831 BGB keinen Schadensersatzanspruch ableiten.
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5. Die Nebenforderungen und der Feststellungsantrag teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 u. 2 ZPO.