Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 12.05.2021 – 203 StObWS 84/21
Titel:

Strafvollstreckungskammer, Rechtsbeschwerde, Strafvollzug, Gefahr, Versagung, Genehmigung, Erlaubnis, Allergie, Sicherheit, Besitz, Hilfsantrag, Gegenstand, Risiko, rechtsfehlerhaft, gerichtliche Entscheidung, Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Schlagworte:
Strafvollstreckungskammer, Rechtsbeschwerde, Strafvollzug, Gefahr, Versagung, Genehmigung, Erlaubnis, Allergie, Sicherheit, Besitz, Hilfsantrag, Gegenstand, Risiko, rechtsfehlerhaft, gerichtliche Entscheidung, Antrag auf gerichtliche Entscheidung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 11.01.2021 – SR StVK 654/19
Rechtsmittelinstanzen:
LG Regensburg, Beschluss vom 15.02.2022 – SR StVK 654/19
BayObLG, Beschluss vom 27.06.2022 – 203 StObWs 113/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 46438

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt St. wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 11.1.2021 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing zurückverwiesen. Im übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
2. Der Geschäftswert wird auf Euro 100,- festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der 194… geborene Beschwerdegegner ist in der Justizvollzugsanstalt St. - Einrichtung für Sicherungsverwahrung - untergebracht. Er beantragte am 22.5.2019 und 19.6.2019, ihm die Haltung eines Wellensittichs in seinem ca. 15 Quadratmeter großen Zimmer zu gestatten. Diese Anträge lehnte die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 25.7.2019 ab. Die Entscheidung wird auf Art. 17 Abs. 2 Nr. 1 BaySvVollzG gestützt, wonach die Erlaubnis zum Besitz von Gegenständen dann versagt werden darf, wenn der Besitz die Sicherheit oder in schwerwiegender Weise die Ordnung der Anstalt gefährden würde. Die Beschwerdeführerin geht davon aus, dass von dem Wellensittich Gefahren für die Gesundheit der Mitverwahrten und der Bediensteten der Anstalt ausgehen. Das Tier, dessen Käfig und das zur Versorgung des Tieres erforderliche Futter eigneten sich ferner als Versteckmöglichkeit, schließlich stünden Hygienegesichtspunkte und tierschutzrechtliche Gründe der Haltung eines Wellensittichs entgegen. Am 30.7.2019 beantragte der Beschwerdegegner gerichtliche Entscheidung gegen den Beschluss vom 25.7.2019. Nach Erholung eines arbeitsmedizinischen und veterinärmedizinischen Sachverständigengutachtens und Anhörung der Sachverständigen verpflichtete die Strafvollstreckungskammer die Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 11.1.2021, dem Beschwerdegegner die Haltung eines auf Chlamydien, Psittakose und Salmonellen negativ getesteten Wellensittichs sowie den Besitz des dafür notwendigen Käfigs nebst Ausstattung zu gestatten. Gegen diese ihr am 13.1.2021 zugestellte Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt St. - Einrichtung für Sicherungsverwahrung - vom 3.2.2021, mit der die Aufhebung des Beschlusses vom 11.1.2021 und die Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 30.7.2019, hilfsweise die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer beantragt wird. Auf die Gründe des Beschlusses vom 11.1.2021, die Begründung der Rechtsbeschwerde, die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft sowie die Stellungnahme des Beschwerdegegners wird Bezug genommen.
II.
2
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht gem. § 118 StVollzG i.V. Art. 103 BaySvVollzG eingelegt. Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG i.V. Art. 103 BaySvVollzG sind gegeben.
3
2. Die Rechtsbeschwerde hat im Hilfsantrag Erfolg.
4
Gemäß Art. 17 Abs. 2 Nr. 1 BaySvVollzG darf dem Sicherungsverwahrten die Erlaubnis zum Besitz eines Gegenstandes, welcher der Ausstattung seines Zimmers in angemessenen Umfang dient, versagt werden, wenn der Besitz die Sicherheit oder in schwerwiegender Weise die Ordnung der Anstalt beeinträchtigen würde. Gegenstände im Sinne des Art. 17 Abs. 1 BaySvVollzG sind auch Tiere (Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., 2017, § 19 StVollzG, Rn. 9 m.w.N.).
5
Für die Versagung der Erlaubnis zum Besitz wegen Gefährdung der Anstaltssicherheit reicht dabei grundsätzlich eine dem begehrten Gegenstand innewohnende, vom Verhalten des einzelnen Sicherungsverwahrten unabhängig zu beurteilende abstrakte Gefährdung der Sicherheit der Anstalt aus, sofern konkrete Verwendungen nur mit einem von der Anstalt nicht erwartbaren zusätzlichen zeitlichen Kontrollaufwand ausgeschlossen werden können (LG Regensburg, Beschl. v. 2.4.2019 - SR StVK 653/18, 4; BeckOK Strafvollzug Bayern/Krä/Nitsche, 14. Edition, 1.2.2021, BaySvVollzG Art. 17 Rn. 3).
6
Die von der Strafvollstreckungskammer getroffenen Feststellungen sind nicht geeignet, eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt abzulehnen, weil die Strafvollstreckungskammer den hohen Rang der Rechtsgüter Leben und Gesundheit unter den besonderen Bedingungen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung unzureichend gewürdigt hat (a) und die Gesundheitsgefährdung des Beschwerdegegners als unerheblich ansieht (b).
7
a) Die Strafvollstreckungskammer hat festgestellt, dass die - hypothetische - Gefahr von Allergien keine Gefährdung für die Sicherheit der Anstalt darstelle, weil es sich um eine eher fernliegende Gefahr geringfügiger Gesundheitsbeeinträchtigung handele, die dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos zuzurechnen sei (Seite 7, 8 des Beschlusses vom 11.1.2021). Dabei lässt die Strafvollstreckungskammer rechtsfehlerhaft unberücksichtigt, dass Sicherungsverwahrte unterschiedlichen Alters und Gesundheitszustandes typischerweise langfristig auf - trotz der Mindestgröße der einzelnen Zimmer von 15 Quadratmetern - engem Raum zusammenleben müssen und sie - anders als dies in anderen Einrichtungen wie Seniorenheimen der Fall ist - keine Möglichkeit haben, der Gefahr, an einer Allergie zu erkranken, auszuweichen. Unberücksichtigt bleibt bei den Überlegungen der Strafvollstreckungskammer weiter, dass auch die Bediensteten der Beschwerdeführerin bei den ihnen nach Art. 70 BaySvVollzG obliegenden Kontrollen des Zimmers dem Risiko, an einer Allergie zu erkranken, ausgesetzt sind, und die Beschwerdeführerin durch die Genehmigung des Besitzes eines Wellensittichs ihre den Bediensteten gegenüber bestehende Fürsorgepflicht verletzen würde (OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.4.83, NStZ 1984, S. 239 zur Vogelhaltung im Strafvollzug).
8
b) Die Strafvollstreckungskammer stellt fest, dass der Beschwerdegegner, der sich dauerhaft in der unmittelbaren Nähe des Wellensittichs aufhalten wird, der Gefahr ausgesetzt ist, schwerwiegend an einer „Vogelhalterlunge“ zu erkranken. Die damit verbundene Eigengefährdung des Beschwerdegegners habe die Beschwerdeführerin aber hinzunehmen (Seite 8 des Beschlusses vom 11.1.2021). Dabei übersieht die Strafvollstreckungskammer, dass der Beschwerdegegner als Sicherungsverwahrter gem. Art. 50 Abs. 1 BaySvVolllzG i.V. Art. 58 Abs. 2 BayStVollzG verpflichtet ist, an seinem Gesundheitsschutz mitzuwirken (BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth 14. Ed, 1.2.2021, BayStVollzG Art. 58, Rn. 10). Wie wahrscheinlich die Erkrankung an einer „Vogelhalterlunge“ ist, ist angesichts der von der Strafvollstreckungskammer festgestellten Schwere dieser Erkrankung nicht von entscheidender Bedeutung.
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3. Aufgrund der von der Strafvollstreckungskammer getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist somit davon auszugehen, dass der Besitz eines Wellensittichs eine Gefahr für die Sicherheit der Anstalt darstellt. Der angefochtene Beschluss vom 11.1.2021 war deshalb aufzuheben. Die von der Beschwerdeführerin im Hauptantrag beantragte eigene Entscheidung des Senats über den Antrag des Beschwerdegegners auf gerichtliche Entscheidung ist nicht möglich, da die Sache nicht spruchreif ist. Insoweit war die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
10
Die Strafvollstreckungskammer, an die die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - zurückzuverweisen war, wird vielmehr überprüfen, ob die Beschwerdeführerin im Bescheid vom 25.7.2019 das ihr zustehende Ermessen nach Art. 17 Abs. 2 Nr. 1 BaySvVollzG rechtsfehlerfrei ausgeübt und begründet hat, wobei bei der Ermessensausübung sowohl das Alter des Beschwerdegegners, sein Vollzugsverhalten, die im Vordergrund stehende Eigengefährdung sowie tierschutzrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden können. Dass der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 20, Art. 72 Abs. 2 GG abschließend Gebrauch gemacht hat, schließt nicht aus, dass die bundesrechtlichen Regelungsinhalte als Maßstab bei der Ausfüllung von Generalklauseln Berücksichtigung auch in landesrechtlich geregelten Sachbereichen - hier dem Strafvollzug - finden.
III.
11
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf den §§ 60, 65, 52 GKG.