Titel:
Ausweisung eines Staatenlosen – erfolgloser Berufungszulassungsantrag
Normenketten:
AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
GG Art 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Art. 103 Abs. 1 GG normiert keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts; vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einer förmlichen Einbeziehung eines Strafurteils oder strafrechtlicher Ermittlungsakten in das Verfahren bedarf es nicht, wenn die gegen den Kläger ergangenen Strafurteile und strafrechtlichen Erkenntnisse bereits Bestandteil der Ausländerakte sind. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ist indiziert, wenn dabei gleichzeitig die Bindungen im Bundesgebiet wie ein Beschäftigungsverhältnis oder eine eigene Wohnung nicht fortbestehen; die Verlagerung des Lebensmittelpunkts ins Ausland stellt eine Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund dar. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erlöschen Niederlassungserlaubnis, Ausweisung eines Staatenlosen wegen mehrfacher Vermögensdelikte, Reiseausweis für Staatenlose, Gehörs- und Aufklärungsrüge, Niederlassungserlaubnis, Übersiedelung, Lebensmittelpunkt, Ausweisungsinteresse, Staatenloser, rechtliches Gehör, Freiheitsstrafe, Bleibeinteresse, Verfahrensmangel, ernstliche Zweifel
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 28.07.2021 – AN 5 K 18.1576
Fundstelle:
BeckRS 2021, 43058
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsantragsverfahren wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Kläger, ein am ... 1955 geborener, ehemals rumänischer Staatsangehöriger, der am 20. Januar 1983 erstmals in das Bundesgebiet eingereist ist, vom 14. Juli 1993 bis 8. Februar 2011 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war (ein 1996 geborener Sohn des Klägers entstammt dieser Ehe, zwei weitere 1979 und 1981 geborene Söhne leben nach Angaben des Klägers ebenfalls in Deutschland), der sich nach eigenen Angaben freiwillig aus der rumänischen Staatsangehörigkeit hat entlassen lassen (Ausstellung Reiseausweis für Staatenlose gültig vom 19.11.1998 bis 18.11.2008 und vom 27.12.2007 bis 26.12.2017) und dessen unbefristete Aufenthaltserlaubnis laut Ausländerzentralregister am 28. Januar 2008 als Niederlassungserlaubnis als Familienangehöriger von Deutschen nach § 28 Abs. 2 AufenthG übertragen wurde, der sich mehrfach in Strafhaft befand, Anfang 2009 nach unbekannt verzogen ist, nach eigenen Angaben vor dem Amtsgericht N. am 19. Mai 2011 von Juni 2009 bis November 2010 in der Schweiz als Krankenpfleger gearbeitet hat, der sich vom 17. Februar 2011 bis zum 12. November 2012 in der Bundesrepublik Deutschland in Strafhaft befand, am 21. Januar 2013 an die Schweizer Behörden ausgeliefert und nach einer Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Betruges am 21. November 2013 durch die Schweizer Behörden wieder nach Deutschland überstellt wurde, begehrt (unter Beantragung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung) die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Juli 2021, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 2018 abgewiesen worden ist. Durch diesen Bescheid stellte die Beklagte fest, dass die dem Kläger am 28. Januar 2008 erteilte Niederlassungserlaubnis spätestens zum 21. Juli 2013 erloschen ist (Nr. l), wies den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. II), befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 5 Jahren ab Abschiebung bzw. Ausreise (Nr. III) und lehnte die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer (lt. Begründung: für Staatenlose) ab (Nr. IV). Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten (Verurteilung vom 21.09.1989 wegen Betrugs in Tatmehrheit mit Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen in Tatmehrheit mit Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten <Bewährungszeit 3 Jahre>; Verurteilung vom 15.03.1993 wegen Betrugs in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren; Verurteilung vom 20.01.2003 wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall in 2 Fällen und Betrugs in 6 Fällen, nach Berufung durch das Landgericht N.-F. mit Urteil vom 25.03.2003 zu 2 Jahren Gesamtfreiheitsstrafe; Verurteilung vom 21.03.2005 wegen Betrugs zu 4 Monaten Freiheitsstrafe; Verurteilung vom 19.05.2011 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrugs in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten; Verurteilung vom 02.12.2015 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht <Wohnungsaufgabe und Kontaktabbruch zur Bewährungshilfe> und Betrugs in 3 Fällen <Nichtrückgabe eines entliehenen Fahrzeugs im Wert von 3.500 € sowie von darlehensweise überlassenem Bargeld in Höhe von 700 €; Verkauf des Fahrzeugs zu 900 € ohne Übergabe; Nichtbegleichung von Mobilfunkgebühren für ein entliehenes Mobiltelefon in Höhe von 500 € und fehlende Tilgung eines erhaltenen Darlehens in Höhe von 720 €> zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren). Vom 16. Juni 2015 bis 25. Juli 2017 befand sich der Kläger erneut in der Bundesrepublik in Haft.
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Das Verwaltungsgericht hat im Urteil vom 28. Juli 2021 den angefochtenen Bescheid mit der Begründung für rechtmäßig erachtet, die Niederlassungserlaubnis sei mit der Übersiedelung des Klägers in die Schweiz im Juni 2009 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen. Für die Verlagerung des Lebensmittelpunktes spreche nicht nur die Aufnahme der Erwerbstätigkeit an einem mehrere hundert Kilometer entfernten Ort, sondern sie ergebe sich auch daraus, dass der Kläger zwischen Januar 2009 und April 2009 fast alle Bezüge zur Bundesrepublik aufgegeben habe. Besuchsaufenthalte im Bundesgebiet alle 14 Tage sprächen nicht gegen die Annahme einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG seien mangels einer Sicherung des Lebensunterhalts bei Ausreise im Jahr 2009 (seit 31. August 2008 sei der Kläger keiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen, der Wegzug in die Schweiz habe einen Verstoß gegen die Führungsaufsicht mit drohender Inhaftierung bei Rückkehr dargestellt) nicht gegeben. Auch die Ausweisung sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei aufgrund der Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht N. vom 19. Mai 2015 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrugs in 3 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zutreffend von einem vertypten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausgegangen. Entgegen der Ansicht des Bevollmächtigten des Klägers komme es schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht auf das Mindestmaß der angewandten Strafvorschriften, sondern auf das tatsächlich verhängte Strafmaß an. Die vom Bevollmächtigten des Klägers angesprochene Zeitspanne zwischen der Verurteilung und dem Erlass des Ausweisungsbescheides von knapp drei Jahren sei unschädlich. Der weitere Aufenthalt des Klägers gefährde die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d § 53 Abs. 1 AufenthG sowohl in spezialpräventiver als auch in generalpräventiver Hinsicht. Zwar handle es sich bei den vom Kläger bisher begangenen Delikten überwiegend um reine Vermögensdelikte. Allerdings spreche insbesondere die wiederholte Straffälligkeit über einen langen Zeitraum ab 1989, trotz zwischenzeitlicher mehrjähriger Pausen zwischen den strafgerichtlichen Verurteilungen, für eine hohe Wiederholungsgefahr auch in Zukunft. Die bagatellisierenden Äußerungen des Klägers sprächen gegen eine Schuldeinsicht und seien ein weiterer Anhaltspunkt für die Prognose einer Wiederholungsgefahr. Die Straffreiheit nach der Verurteilung im Jahr 2015 bzw. der Haftentlassung im Juli 2017 habe nur geringe Aussagekraft und sei angesichts der übrigen Umstände nicht geeignet, die Prognose der Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen; gleiches gelte für die Einschätzung der Bewährungshelferin in ihren Berichten vom 9. Juni 2020 und vom 26. Juli 2021. Auch die generalpräventiven Erwägungen der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe wegen Erlöschens der Niederlassungserlaubnis kein vertyptes (besonders) schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG entgegen. Die Beklagte habe in die Abwägung nach § 53 Abs. 2 AufenthG zutreffend eingestellt, dass sich der Kläger seit 1983 überwiegend im Bundesgebiet aufgehalten habe und dass erwachsene Kinder des Klägers im Bundesgebiet lebten. Auch dass die Lebensgefährtin des Klägers in Deutschland lebe, sei grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn auch am Gewicht der Bindung einige Zweifel bestünden, da der Kläger in N. in einer Obdachlosenunterkunft und die Lebensgefährtin, wie u.a. vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, in C. einige hundert Kilometer entfernt lebe. Die Beklagte habe zu Recht gewürdigt, dass der Kläger in einer Obdachlosenunterkunft lebe und eine wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik offensichtlich nicht erkennbar sei. Auch die Unmöglichkeit der Abschiebung des Klägers aufgrund seiner Staaten- und Passlosigkeit insbesondere im Hinblick auf die freiwillige Entlassung aus der rumänischen Staatsangehörigkeit führe nicht zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägungsentscheidung. Das von der Beklagten auf die Dauer von 5 Jahren ab Verlassen des Bundesgebiets befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot begegne keinen Bedenken. Der Kläger habe schließlich auch keinen Anspruch auf die Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose gemäß § 1 Abs. 4, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthV, da der Aufenthalt des Klägers nicht rechtmäßig i.S.v. Art. 28 Satz 1 StlÜbk sei und er auch keinen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 Satz 2 StlÜbk aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null habe (dem stehe schon die Ausweisung aufgrund von Straftaten entgegen).
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Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 - 10 ZB 15.1804 - juris Rn. 7), liegen nicht vor.
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1. Die Berufung ist nicht wegen eines geltend gemachten Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzulassen.
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Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) dadurch verletzt, dass das Verwaltungsgericht seine Ausführungen in den Entscheidungsgründen offensichtlich auf Inhalte der strafrechtlichen Ermittlungsakten, insbesondere auf die Verurteilung durch das Amtsgericht N. vom 2. Dezember 2015 gestützt habe, ohne dass eine Einführung der Ermittlungsakte in das Verfahren stattgefunden hätte. Eine Beiziehung der Strafakten sei durch das Verwaltungsgericht nicht verfügt worden. Ferner beruhe das Urteil auch hierauf, da das Verwaltungsgericht mit dieser Argumentation eine Ausnahme nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AufenthG versagt habe. In den Entscheidungsgründen fänden sich Details, die offenbar den Urteilsgründen des Urteils des Amtsgerichts N. vom 2. Dezember 2015 entstammten. Diese Passagen fänden sich weder im Bescheid der Beklagten noch in den jeweiligen Schriftsätzen im gerichtlichen Verfahren (betr. Auszug aus der gemeinsamen Ehewohnung im Januar 2009; nach Rückkehr in die Bundesrepublik Wohnen in zwei verschiedenen Hotels; Ehescheidung am 08.02.2011). Auch diesbezüglich sei im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keine Einführung in das Verfahren erfolgt. Es handele sich um Details aus der strafrechtlichen Ermittlungsakte, welche insoweit für den Kläger im Urteil überraschend und ohne jegliche Möglichkeit der vorherigen Stellungnahme aufgetaucht seien. Insoweit werde die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2021 vertieft der Kläger sein Vorbringen und ergänzt, dass dem Kläger entgegen dem Vortrag der Beklagten keine Akteneinsicht in die Verwaltungsakten gewährt worden sei.
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Ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel ergibt sich nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht das strafgerichtliche Urteil vom 2. Dezember 2015 sowie weitere Unterlagen aus der Strafverfahrensakte nicht ausdrücklich in das Verfahren einbezogen hat; eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt darin nicht begründet.
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Ziel einer Verfahrensrüge ist die Sicherung einer ordnungsgemäßen Entscheidungsfindung. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs. 1 GG) will den Beteiligten im Rahmen der Verfahrensordnung ermöglichen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Verfügung stehenden prozessualen Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen. Hierdurch soll effektiver Rechtsschutz gewährleistet und sichergestellt werden, dass die zu treffende Entscheidung möglichst frei von Verfahrensfehlern und auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts ergeht (vgl. Stuhlfauth in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 7. Aufl. 2018, § 124 Rn. 59 und § 138 Rn. 27).
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn die angefochtene Entscheidung auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), oder wenn das erkennende Gericht das (entscheidungserhebliche) tatsächliche oder rechtliche Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat. Indessen besteht eine Vermutung dafür, dass sich das Gericht den aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Pflichten bewusst gewesen und ihnen nachgekommen ist, namentlich das entscheidungserhebliche Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Zur Widerlegung dieser Vermutung bedarf es der Darlegung und des Vorliegens besonderer Umstände des Einzelfalls. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden, vielmehr ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nur verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen ergibt, dass ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfG, B.v. 25.3.2010 - 1 BvR 2446/09 - juris; NdsOVG, B.v. vom 22.3.2010 - 5 LA 32/09 - juris, jeweils m.w.N.; SächsOVG, B.v. 18.2.2010 - 2 B 586/09 - juris; BayVGH, B.v. 10.3.2010 - 2 CS 10.222 - juris).
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Von einem Gehörsverstoß ist weiter auszugehen, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten („Überraschungsentscheidung“, vgl. BVerwG, B.v. 31.7.2018 - 4 BN 41.17 - juris Rn. 19 m.w.N.). Jedoch normiert Art. 103 Abs. 1 GG keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts; vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen (BVerwG, B.v. 23.7.2019 - 2 B 4/19 - juris Rn. 15 m.w.N.). Das Gericht ist auch regelmäßig nicht verpflichtet, auf den Inhalt der beabsichtigten Entscheidung, auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts vorab hinzuweisen (BVerwG, B.v. 15.10.2018 - 6 A 8/18 - juris).
11
Soweit eine Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus einem früheren Verfahren für den zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit in Betracht kommt, unterliegen solche Feststellungen nicht anders als andere tatsächliche Feststellungen dem Gebot des rechtlichen Gehörs (BVerwG, B.v. 26.8.1992 - 2 B 36/92 - juris Rn. 6). Wird eine Verletzung rechtlichen Gehörs wegen nicht ordnungsgemäßer bzw. nicht hinreichender Einführung von Erkenntnismitteln geltend gemacht, ist neben der Bezeichnung, welches Erkenntnismittel welchen Inhalts nicht eingeführt worden sein soll, darzulegen, in welchem Zusammenhang das Verwaltungsgericht dieses Erkenntnismittel herangezogen hat und was - bei ordnungsgemäßer Einführung - in Bezug auf die in diesem Erkenntnismittel enthaltenen Tatsachen vorgetragen worden wäre; dabei ist der allgemeine Hinweis auf die Gelegenheit von Stellungnahmen und Anträgen nicht ausreichend, um eine Zulassung der Berufung unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs erreichen zu können (vgl. NdsOVG, B.v. 1.3.2005 - 9 LA 46/05 - juris Rn. 7 m.w.N.). Von einem im Rahmen der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs entscheidungserheblichen Vortrag ist nur auszugehen, wenn das Gericht unter Berücksichtigung dieses Vortrags zu einem anderen, dem Rechtsmittelführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre (vgl. OVG NRW, B.v. 21.7.2021 - 1 A 1555/20.A - juris Rn. 6). Eine Notwendigkeit zur - zusätzlichen - Einführung von Schriftstücken in das gerichtliche Verfahren, die bereits Inhalt der dem Verfahren zugrundeliegenden Verwaltungsakten sind (§ 99 Abs. 1 VwGO), besteht nicht (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2012 - 19 ZB 11.2039 - juris Rn. 31).
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Nach diesen Maßgaben ist eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör durch die Verwertung von Erkenntnissen aus den Strafverfahren des Klägers nicht ersichtlich. Im Hinblick darauf, dass die (neuerliche) Verurteilung des Klägers vom 2. Dezember 2015 bereits in der behördlichen Anhörung vom 13. Dezember 2017 genannt und erkennbar als Ausweisungsanlass herangezogen wurde, kann sich die Verwertung der Feststellungen des Strafgerichts durch das Verwaltungsgericht für den Kläger schwerlich als überraschend dargestellt haben. Im streitgegenständlichen Bescheid wurde der strafrechtliche Werdegang des Klägers ausführlich dargestellt und unter anderem auch auf das Urteil des Amtsgerichts N. vom 19. Mai 2011 und die dort genannte Einmietung des Klägers in zwei Gasthöfen eingegangen.
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Abgesehen davon, bedurfte es einer förmlichen Einbeziehung des Strafurteils oder der strafrechtlichen Ermittlungsakten in das Verfahren insofern nicht, als die gegen den Kläger ergangenen Strafurteile und strafrechtlichen Erkenntnisse bereits Bestandteil der Ausländerakte sind, da sie seitens der Ausländerbehörde beigezogen bzw. diese entsprechend der Mitteilungspflicht in Strafsachen (Nr. 42 MiStra) der Behörde übermittelt und in die Ausländerakte aufgenommen wurden. Nach behördlicher Einsichtnahme in die Strafakte vom 11. Juli 2016 wurden der Ausländerakte relevante Auszüge aus der Strafakte beigefügt. Die Ausländerakte ist als Dokumentation des streitbefangenen Verwaltungsverfahrens Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (vgl. § 99 Abs. 1 VwGO). Darüber hinaus wurde dem Bevollmächtigten des Klägers entgegen seinem Vorbringen am 4. Januar 2018 Akteneinsicht in die Ausländerakte gewährt (der Prozessbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 18.12.2017 Akteneinsicht beantragt und mit Schreiben vom 4.1.2018 auf die gewährte Akteneinsicht Bezug genommen), so dass er hinreichend Gelegenheit hatte, sich umfassend Kenntnis vom Inhalt der Ausländerakte zu verschaffen und hierzu vorzutragen. Ein darüber hinaus gehender Anspruch darauf, auf bestimmte Schriftstücke in den Behördenakten hingewiesen zu werden, besteht nicht (vgl. BayVGH, B. v. 29.08.2012 - 19 ZB 11.2039 - juris Rn. 31).
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Die vom Kläger gerügten Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach gemäß Mitteilung der damaligen Ehefrau des Klägers dieser seit Januar 2009 nicht mehr bei ihr wohnhaft sei, ihm die weitere Nebenwohnung gekündigt worden und er ohne festen Wohnsitz sei, ergibt sich aus dem Bericht der Bewährungshilfe vom 17. April 2009, der Bestandteil der Ausländerakte ist. Dass der Kläger nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik in zwei verschiedenen Hotels wohnte, lässt sich dem in der Ausländerakte enthaltenen Strafurteil vom 19. Mai 2011 entnehmen, auf das schon im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen wurde. Ebenso ergibt sich das Datum der Ehescheidung bereits aus dem streitgegenständlichen Bescheid. Es handelt sich somit um aktenkundige Informationen, zu denen der Kläger - insbesondere nach gewährter Einsicht in die Behördenakte - hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.
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Abgesehen davon erfordert die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs die Darlegung eines entscheidungserheblichen Vortrags, bei dessen Berücksichtigung das Gericht zu einem anderen, dem Rechtsmittelführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre. An einem solchen Vortrag fehlt es vorliegend; der Kläger legt nicht dar, was er bei einer expliziten Einbeziehung der strafrechtlichen Erkenntnisse in das Verwaltungsverfahren vorgetragen hätte und inwiefern dies zu einem anderen Ergebnis des Rechtsstreits hätte führen können.
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2. Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Der Kläger rügt, er habe sich im Jahr 2009 mit seinem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufgehalten und seinen wirtschaftlichen wie familiären Lebensmittelpunkt in Deutschland gehabt, wobei er über einen längeren Zeitraum einer Arbeitstätigkeit in der Schweiz nachgegangen sei, ohne hierbei seinen Lebensmittelpunkt zu verlagern. Der Kläger unterhalte regelmäßigen Kontakt zu seinen Kindern sowie zu den Enkelkindern. Er befinde sich ferner in einer seit drei Jahren andauernden Beziehung. Der Kläger leide aktuell insbesondere unter Diabetes mellitus Typ 2 mit einem extrem hohen Zuckerwert; zudem seien aufgrund mehrerer Herzinfarkte auch schon sechs Stentoperationen bei dem Kläger durchgeführt worden, er habe auch schon zwei Schlaganfälle erlitten. Aufgrund der hohen Zuckerwerte des Klägers seien operative Maßnahmen derzeit nicht möglich.
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Das Verwaltungsgericht stelle an mehreren Stellen Sachverhaltsdarstellungen unstreitig, obgleich der Sachverhalt durch die Parteien uneinheitlich vorgetragen werde. Das Gericht habe es insoweit unterlassen, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären bzw. der Klagepartei keine ausreichende Möglichkeit gegeben, ein entsprechendes Beweisangebot vorzubereiten. Hierzu gehöre insbesondere die Krankengeschichte des Klägers. Das Gericht verweise auf Seite 11 seines Urteils hinsichtlich weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand auf die Behörden- und Gerichtsakten sowie das Sitzungsprotokoll. Ein Hinweis auf weitere Schriftsätze, insbesondere den klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021, in dem umfangreich zur Krankengeschichte des Klägers unter Vorlage eines Anlagekonvolutes vorgetragen werde, sei nicht erfolgt. So leide der Kläger unter Diabetes mellitus Typ 2 mit einem extrem hohen Zuckerwert. Die hohen Zuckerwerte seien auch der Grund dafür, dass anstehende Operationen nicht durchgeführt werden könnten und insbesondere eine operative Maßnahme der Lymphknoten im Bauchraum sowie eine weitere Stentoperation nicht vorgenommen werden könnten. Aufgrund mehrerer Herzinfarkte seien bereits sechs Stents beim Kläger eingesetzt. Der Kläger habe auch zwei Schlaganfälle erlitten. Ferner leide der Kläger auch beidseitig an arthritischen Hüfteinschränkungen, welche operativ behandelt werden müssten. Es sei angeboten worden, sämtliche Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden und weitere Krankenunterlagen beizubringen. Unter keinem Gesichtspunkt finde sich in den Entscheidungsgründen eine Bezugnahme auf die Krankengeschichte des Klägers. Insoweit müsse davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Urteilsfindung die gesundheitlichen Umstände des Klägers nicht berücksichtigt habe. Bei einer umfassenden Beurteilung des Einzelfalles wäre es jedoch zwingend erforderlich gewesen, auch die gesundheitlichen Aspekte für ein überwiegendes Bleibeinteresse zu prüfen und in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Die Nichteinbeziehung der Krankengeschichte des Klägers stelle einen erheblichen Rechtsfehler dar, auf welchem das Urteil auch beruhe. Es sei nicht auszuschließen, dass bei einer ordnungsgemäßen Würdigung und Aufarbeitung der gesundheitlichen Lage des Klägers das Verwaltungsgericht zu einer anderen Einschätzung bei der Beurteilung des Bleibeinteresses gekommen wäre. Es erscheine offensichtlich, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung die Anlagen aus dem in der mündlichen Verhandlung übergebenen Schriftsatz vom 27. Juli 2021 der Gänze nach nicht gewürdigt habe. Dies ergebe sich insbesondere auch aus dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss vom 30. Juli 2021, in dem vorgetragen werde, dass die Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und insbesondere die Belege hierzu nicht vorgelegt worden seien. Inhalt der Anlagen zum Schriftsatz vom 27. Juli 2021 seien jedoch neben den Unterlagen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch die Unterlagen der Krankengeschichte des Klägers gewesen. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht, wenn es die Unterlagen zu der Prozesskostenhilfe nicht gewürdigt habe, ebenso auch die Unterlagen zum Gesundheitszustand des Klägers nicht gewürdigt habe.
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Ferner lasse das Gericht in seinen Erwägungen auch mehrfach widersprüchliche Argumente erkennen, die gegen die Denkgesetze der Logik verstießen. Das Gericht äußere hinsichtlich des Berichtes der Bewährungshilfe vom 9. Juni 2020, der den Anlagen zum klägerischen Schriftsatz vom 27. Juli 2021 beigelegen habe, insofern Bedenken bezüglich der Gefährdungseinschätzung seitens der Bewährungshilfe, als das Alter der Einschätzung mit über einem Jahr als makelhaft gesehen werde. Gleichwohl sei dem Gericht offensichtlich auch die aktuelle Gefährdungseinschätzung durch die Bewährungshilfe vom 26. Juli 2021 bekannt. Dies bedeute, dass die Gefährdungseinschätzung durch die Bewährungshilfe auch über ein Jahr später immer noch positiv für den Kläger ausfalle. Weswegen das Gericht nunmehr das Alter des Berichtes der Bewährungshilfe aus dem Jahr 2020 als makelhaft erkenne, sei nicht erkennbar, zumal durch den neueren Bericht die Lücke zwischen 2020 und 2021 derart geschlossen werde, als dass auch in dem vergangenen Jahr keine negativen Aspekte gegen die positive Prognose des Klägers sprächen. Wenn das Gericht beanstande, dass der alte Bericht nicht geeignet sei hinsichtlich einer Prognose zur Wiederholungsgefahr Aufschluss zu geben, so sei gerade das Gegenteil richtig. Gerade durch den Vergleich des alten und neuen Bewährungshilfeberichts sei ein Kontinuitätsverlauf dokumentierbar. Gerade durch die Vorlage beider Berichte werde erkennbar, dass gerade der Kläger auch im vorangegangenen Jahr beanstandungsfrei und mit positiver Prognose ausgestattet gewesen sei. Das Gericht begehe einen Logikfehler, wenn es unterstelle, dass der Bericht aus dem Jahr 2020 keine Aussagekraft hätte.
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Die Entscheidung des Gerichts in Bezug auf den Lebensmittelpunkt des Klägers für das Jahr 2009 sei auf einer strittigen Sachverhaltsdarstellung erfolgt. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2021 habe der Kläger vorgetragen, dass gerade im Jahr 2009 keine Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland erfolgt sei. Für die Erforschung des Lebensmittelpunktes, im Rahmen der Feststellung eines Erlöschenstatbestandes nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 AufenthG habe das Verwaltungsgericht eine umfassende Aufklärungspflicht. Laut klägerischem Vortrag aus dessen Schriftsatz vom 27. Juli 2021 habe ein Wohnsitz in der Bundesrepublik bestanden. Das Verwaltungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2021 die Thematik eines womöglich fehlenden Wohnsitzes des Klägers im Bundesgebiet nicht erörtert. In seiner Urteilsbegründung führe das Verwaltungsgericht dahingehend jedoch aus, dass eine Wohnung im deutschen Bundesgebiet nicht beibehalten worden sei. Dies sei ein widersprüchlicher Sachvortrag, der dem Beweis zugänglich sei. Bis zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung sei dem Kläger nicht bekannt gewesen, dass das Gericht der Auffassung sei, dass es für das Jahr 2009 von keinem festen Wohnsitz des Klägers im Bundesgebiet ausgehe. Dem Kläger sei insoweit die Möglichkeit genommen worden, für das Jahr 2009 weitere Anhaltspunkte zu liefern, welche den Lebensmittelpunkt in Deutschland belegten. Es sei insoweit nicht auszuschließen, dass unter Aufklärung des Sachverhaltes die Frage des Lebensmittelpunktes zu Gunsten des Klägers hätte festgestellt werden können. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2021 führt der Kläger insoweit ergänzend aus, die Beklagte habe keine objektiven Beweise für eine Verlagerung des Lebensmittelpunkts erbracht.
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Das Gericht mache durch seine Argumentation auf Blatt 19 des Urteils einen Zirkelschluss, wenn es argumentiere, dass der Kläger in einer Obdachlosenunterkunft lebe und eine wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik offensichtlich nicht erkennbar sei. Zu Unrecht qualifiziere das Gericht an dieser Stelle die Argumentation der Beklagten als zutreffend, zumal der Umstand der Unterbringung in einer Obdachlosenunterbringung nicht zu Lasten des Klägers gewertet werden dürfe. Grundsätzlich sei die Wohnsituation und eine fehlende wirtschaftliche Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik geeignet, das Gewicht der Bindung an die Bundesrepublik in Zweifel zu ziehen. Jedoch hätte an dieser Stelle durch das Gericht erkannt werden müssen, dass die Unterbringung in der Obdachlosenunterkunft einzig und allein der fehlenden Möglichkeit geschuldet sei, ein Konto zu eröffnen, einen Mietvertrag abzuschließen oder ein Arbeitsverhältnis einzugehen, zumal für all dies eine Legitimierung durch ein Ausweisdokument erforderlich sei. Da der Kläger insoweit seit über drei Jahren ohne legales Identitätsdokument in Deutschland lebe, sei eine anderweitige Entwicklung außerhalb der Obdachlosenunterkunft für ihn unmöglich. Insoweit habe die Beklagte die Ursache für die derzeitige Unterbringung in der Obdachlosenunterkunft sowie seine fehlende wirtschaftliche Integration gesetzt, was nunmehr als Argument gegen eine Bindung an die Bundesrepublik darstellen solle. Dies sei ein unzulässiger Zirkelschluss. Diesen Umstand könne man dem Kläger nicht vorhalten, zumal die Beklagte selbst für diese Situation gesorgt habe.
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Es lägen gute Gründe dafür vor, dass die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts augenscheinlich unzutreffend und wegen gedanklicher Lücken bzw. Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft seien. Das Urteil leide auch an Fehlern, welche eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellten. So sei die Bezugnahme auf Aktenteile, die nicht Gegenstand der Verfahrensakte seien und nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden seien, ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör und das faire Verfahren. In der Folge kläre das Gericht den Sachverhalt nicht ausreichend auf und komme insoweit zu teils überraschenden Erkenntnissen in den Entscheidungsgründen, welche bei einer umfassenden Aufklärung des Sachverhaltes im Ergebnis anders festgestellt worden wären. Insbesondere sei der vermeintlich verlagerte Lebensmittelpunkt des Klägers eine zentrale Aufhängung für das Urteil des Verwaltungsgerichtes, welche auf Schlussfolgerungen aus einem nicht erforschten Sachverhalt gründeten. Insbesondere würden streitige Sachverhaltsdarstellungen ohne Beweiserhebung zu Ungunsten des Klägers unterstellt. Ferner zeige das erkennende Gericht mehrfach Verstöße gegen die Denkgesetze der Logik.
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2.1. Das Zulassungsvorbringen vermag ernstliche Zweifel an der verwaltungsgerichtlichen Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Klägers mit der Übersiedelung des Klägers in die Schweiz im Juni 2009 gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen ist, nicht zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise aus der Gesamtschau der Umstände, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Rentenversicherungsverlaufs des Klägers, seiner Erwerbstätigkeit in der Schweiz ab Juni 2009, der Aufgabe von Wohnsitz(-en) im Bundesgebiet (Auszug aus der Ehewohnung Januar 2009, Verlust eines weiteren Wohnsitzes durch Kündigung), dem Abbruch des Kontaktes zur Bewährungshilfe ab April 2009, seiner Rückkehr (Einmietung in Gasthöfen ab Dezember 2010) ins Bundesgebiet, um sich strafrechtlicher Verfolgung in der Schweiz zu entziehen, die Schlussfolgerung gezogen, dass spätestens im Juni 2009 die Niederlassungserlaubnis erloschen ist und die Privilegierung nach § 51 Abs. 2 AufenthG mangels Unterhaltssicherung ausscheidet. Ernstliche Zweifel ergeben sich auch nicht aus den insoweit geltend gemachten Aufklärungs- und Gehörsrügen.
24
2.1.1. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt der Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist. Unschädlich im Hinblick auf diese Vorschrift sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen (BVerwG, U.v. 11.12.2012 - 1 C 15.11 - juris). Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, liegt ein seiner Natur nach nicht vorübergehender Grund vor. Neben der Dauer und dem Zweck des Auslandsaufenthalts sind alle objektiven Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers - insbesondere auf eine etwaige Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland - nicht allein ankommen kann. Als ihrer Natur nach vorübergehende Gründe für Auslandsaufenthalte können danach etwa Urlaubsreisen oder beruflich veranlasste Aufenthalte von ähnlicher Dauer anzusehen sein, ebenso Aufenthalte zur vorübergehenden Pflege von Angehörigen, zur Ableistung der Wehrpflicht oder Aufenthalte während der Schul- oder Berufsausbildung, die nur zeitlich begrenzte Ausbildungsabschnitte umfassen, nicht aber die Ausbildung insgesamt ins Ausland verlagern. Demgegenüber lässt sich eine feste Zeitspanne, bei deren Überschreitung stets von einem nicht mehr vorübergehenden Grund auszugehen wäre, nicht abstrakt benennen. Je weiter sich die Aufenthaltsdauer im Ausland über die Zeiten hinaus ausdehnt, die mit den o.g. begrenzten Aufenthaltszwecken typischerweise verbunden sind, desto eher liegt die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Grundes i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG nahe. Jedenfalls erlischt der Aufenthaltstitel nach dieser Vorschrift, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Betreffende seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.12.2012 - 1 C 15.11 - juris Rn. 16). Eine Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ist indiziert, wenn dabei gleichzeitig die Bindungen im Bundesgebiet wie ein Beschäftigungsverhältnis oder eine eigene Wohnung nicht fortbestehen (vgl. ThürOVG, B.v. 23.2.2021 - 3 EO 788/20 - juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 3.12.2015 - 10 ZB 13.2438 - juris). Die Verlagerung des Lebensmittelpunkts ins Ausland stellt eine Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund dar (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 - 1 C 14/16 - juris Rn. 14).
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Die Umstände, die zum Erlöschen des Aufenthaltstitels führen, müssen zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) feststehen. Die Beweislast trägt insoweit zwar die Ausländerbehörde, den Ausländer trifft jedoch dabei eine Mitwirkungspflicht nach § 82 Abs. 1 AufenthG sowie § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO, weshalb er die Umstände des Auslandsaufenthalts substantiiert darzulegen und eventuelle Beweismittel vorzulegen hat (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2017 - 10 CE 16.1398 - juris Rn. 8).
26
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ergibt sich aus einer Gesamtschau der Einzelumstände, dass der Kläger spätestens mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz im Juni 2009 unter Aufgabe eines Wohnsitzes im Bundesgebiet und nach Abbruch der Beziehungen zur Bewährungshilfe (unter Inkaufnahme einer erneuten Inhaftierung) aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausgereist ist. Soweit der Kläger im Zulassungsvorbringen (ebenso wie schon im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 27.7.2021) behauptet, der Lebensmittelpunkt des Klägers habe trotz der Erwerbstätigkeit in der Schweiz im Bundesgebiet fortbestanden, hat er hierzu weder substantiiert vorgetragen noch etwaige Beweismittel (wie beispielsweise einen Mietvertrag über einen im Bundesgebiet bestehenden Wohnsitz diesen Zeitraum betreffend) vorgelegt. Demgegenüber sprechen die Einzelumstände für eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die Schweiz mit Aufnahme einer dortigen Erwerbstätigkeit zum Juni 2009. Gemäß dem Schreiben der Bewährungshilfe vom 17. April 2009, wonach der Kläger letztmals im Dezember 2008 zur Bewährungshilfe persönlichen Kontakt und seither lediglich telefonischen Kontakt gehabt habe, sei von der Ehefrau des Klägers mitgeteilt worden, dass er seit Januar 2009 nicht mehr bei ihr wohnhaft sei und die Nebenwohnung in N. ebenfalls gekündigt worden sei, so dass der Kläger derzeit ohne festen Wohnsitz sei.
27
Entgegen der Auffassung im Zulassungsvorbringen war das Verwaltungsgericht nicht gehindert, Aussagen der ehemaligen Ehefrau zur damaligen Wohnsituation des Klägers, die im Bericht der Bewährungshilfe vom 17. April 2009 wiedergegeben wurden, zu verwerten. Eine Verletzung des Anspruches auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist darin ebenso wenig zu erkennen (vgl. Nr. 1) wie eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO.
28
Der Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO findet seine Grenzen, wenn es um die Erforschung von Umständen geht, die ausschließlich oder überwiegend in der Sphäre eines Beteiligten liegen und deren Aufklärung notwendigerweise dessen Mitwirkung voraussetzt. Die Amtsermittlung endet dort, wo die Mitwirkungslast der Prozessbeteiligten beginnt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 45 m.w.N.).
29
Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat (§ 86 Abs. 2 VwGO). Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse Beteiligter, insbesondere das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG, B.v. 29.7.2015 - 5 B 36.14 - juris Rn. 7; B.v. 18.12.2006 - 4 BN 30.06 - NVwZ-RR 2007, 285 = juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 1.3.2018 - 8 ZB 17.1486 - juris Rn. 9; B.v. 18.10.2013 - 10 ZB 11.618 - juris Rn. 25). Dass ein Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist dabei nur dann erfolgreich, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem muss der Kläger darlegen, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte (BVerwG, B.v. 16.3.2011 - 6 B 47.10 - juris Rn. 12; B.v. 8.7.2009 - 4 BN 12.09 - juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 21.3.2012 - 10 ZB 10.100 - juris Rn. 22).
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Nach diesen Maßgaben ist nicht ersichtlich, dass das Gericht zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen zur - ausschließlich in der persönlichen Sphäre des Klägers liegenden - Frage der Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die Schweiz verpflichtet gewesen wäre, zumal der Kläger die Vorlage von Beweisen hinsichtlich seiner Behauptung, trotz einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz und der Aufgabe eines Wohnsitzes habe der Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet fortbestanden, schuldig geblieben ist und keine weiteren Beweisangebote unterbreitet oder Beweisanträge gestellt hat. Mit dem Zulassungsvorbringen wird pauschal die Aufklärungsrüge erhoben ohne darzulegen, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären.
31
Des Weiteren ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht als weitere Umstände, die für eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes des Klägers sprechen, berücksichtigt hat, dass der Kläger ab April 2009 den Kontakt zur Bewährungshilfe abgebrochen hat und dabei wegen Missachtung der strafgerichtlichen Weisungen weitere strafrechtliche Konsequenzen in Kauf nahm. Auch hat das Verwaltungsgericht weiter den klägerischen Vortrag im Schriftsatz vom 27. Juli 2021 berücksichtigt und die geltend gemachten Besuchsaufenthalte des Klägers im Bundesgebiet zutreffend dahingehend gewürdigt, dass Besuchsaufenthalte nicht gegen eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes sprechen. Nach eigenem klägerischem Vortrag habe er sich bei den Besuchen im jeweiligen Abstand von vierzehn Tagen bei einem Sohn, seiner Ehefrau oder einem Bekannten aufgehalten. Ausweislich des in der Ausländerakte enthaltenen strafgerichtlichen Urteils vom 19. Mai 2011 hat der Kläger von Juni 2009 bis November 2010 in der Schweiz als Krankenpfleger gearbeitet. Die Rückkehr des Klägers in das Bundesgebiet Ende 2010 bzw. Anfang 2011 war nach zutreffender Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts auch der Tatsache geschuldet, dass er sich einer strafrechtlichen Verfolgung in der Schweiz entziehen wollte. Die (betrügerische) Einmietung des Klägers in verschiedenen Gasthöfen nach Rückkehr in das Bundesgebiet zwischen dem 17. Dezember 2010 und dem 21. Januar 2011 sowie zwischen dem 20. Januar 2011 und dem 17. Februar 2011 ergibt sich wiederum aus dem strafrechtlichen Urteil vom 19. Mai 2011 und spricht ebenfalls nicht für einen aufrechterhaltenen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet.
32
Soweit der Kläger hinsichtlich dieser Feststellungen wiederum eine Gehörsrüge dergestalt geltend macht, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag aus dem Schriftsatz vom 27. Juli 2021 unberücksichtigt gelassen, ist eine Verletzung rechtlichen Gehörs in Anbetracht der expliziten Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit dem klägerischen Vortrag vom 27. Juli 2021 in den Entscheidungsgründen nicht ersichtlich.
33
Der Anspruch auf Wahrung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, sich mit jedem Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Es ist daher verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Begründungsteile des Vorbringens in den Entscheidungsgründen zu schließen, das Gericht habe sich nicht mit den darin enthaltenen Argumenten befasst. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist erst dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände erkennen lassen, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat. Besondere Umstände in diesem Sinne liegen etwa dann vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich ist (BVerfG, B.v. 31.1.2020 - 2 BvR 2592/18 - juris Rn. 11; B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 = juris Rn. 39; BVerwG, B.v. 28.3.2014 - 1 WB 10.14 u.a. - juris Rn. 11). Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, die Beteiligten auf jeden denkbaren Gesichtspunkt hinzuweisen, auf den es für die Entscheidung ankommen kann, sondern grundsätzlich nur auf Gesichtspunkte, die nicht schon früher im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erörtert wurden oder auf der Hand liegen oder mit deren Erheblichkeit die Beteiligten aus welchen Gründen auch immer, insbesondere auch nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen konnten und mussten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 86 Rn. 23 m.w.N.). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor, wenn das Gericht dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsauffassung eines Verfahrensbeteiligten in der Sache nicht folgt (vgl. BVerwG, B.v. 8.2.2010 - 8 B 126/09, 8 B 76/09 - juris m.w.N.). Im Übrigen verpflichtet der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs das Gericht nicht, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen und diese zur Erörterung zu stellen. Eine anwaltlich vertretene Partei braucht nicht in „allen möglichen, denkbaren materiellen Richtungen“ beraten zu werden (BVerwG, B.v. 31.7.2007 - 5 C 3/07 - juris Rn. 3).
34
Es ist in Anbetracht der ausdrücklichen Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit dem klägerischen Vortrag vom 27. Juli 2021 nicht ersichtlich, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hätte; es ist nicht erforderlich, dass das Gericht explizit auf jedes Vorbringen ausdrücklich eingeht. Abgesehen davon ergeben sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Auslandsaufenthalts des Klägers aus dem Akteninhalt (vgl. Nr. 1); sie entsprechen insoweit den eigenen Angaben des Klägers im Strafverfahren, und es stimmt die Feststellung der Aufgabe eines Wohnsitzes im Bundesgebiet mit den klägerischen Angaben überein, wonach der Kläger bei Besuchsaufenthalten bei einem Sohn, der (ehemaligen) Ehefrau oder Bekannten untergekommen sei. Für den anwaltlich vertretenen Kläger war es bereits anhand des streitgegenständlichen Bescheides ersichtlich, dass es hinsichtlich des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis auf eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes ankommt. Der Kläger musste daher mit Feststellungen des Gerichts zur Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet rechnen; eine Hinweispflicht auf eine (vorläufige) Rechtsauffassung des Gerichts besteht nicht.
35
2.1.2. Trotz seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet kann sich der Kläger - wie vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt - nicht auf die Privilegierung nach § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG berufen, da es insoweit an der notwendigen Sicherung des Lebensunterhalts fehlt.
36
Der Zweck des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, der eine Ausnahme von den Erlöschenstatbeständen des Absatz 1 für den Fall vorsieht, dass sich der Ausländer mindestens 15 Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und sein Lebensunterhalt gesichert ist, besteht darin, Ausländern, die hier durch einen langen rechtmäßigen Aufenthalt sozial und wirtschaftlich integriert sind, ihr Daueraufenthaltsrecht trotz eines längeren Auslandaufenthalts zu erhalten, weil ihre Rückkehr im Regelfall keine Reintegrationsprobleme aufwirft (vgl. HessVGH, B.v. 2.3.2016 - 9 B 1756/15 - juris Rn. 7). Mit dem Gesetzeswortlaut „mindestens 15 Jahre“ macht der Gesetzgeber deutlich, dass eine entsprechende Erwartung erst ab einem Mindestaufenthalt von 15 Jahren gerechtfertigt ist.
37
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßgeblich für die Prognoseentscheidung, ob der Lebensunterhalt eines Ausländers im Fall seiner Wiedereinreise gesichert ist (§ 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), auf den Zeitpunkt des Eintritts der Erlöschensvoraussetzungen und nicht auf den der Wiedereinreise abzustellen; Zweifel gehen dabei zu Lasten des Ausländers (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017 - 1 C 14/16 juris m.w.N.). Den Gesetzeszweck, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 - 10 C 10.12 - BVerwGE 146, 198 Rn. 17), sieht der Gesetzgeber in der spezifischen Situation von Inhabern einer Niederlassungserlaubnis, die sich mindestens 15 Jahre lang rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben, als gewährleistet an, wenn ihr Lebensunterhalt zu dem Zeitpunkt, zu dem ihr Aufenthaltstitel andernfalls nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 oder 7 AufenthG erlöschen würde, prognostisch als gesichert angesehen werden kann. Nur für diesen Personenkreis soll Rechtsklarheit bestehen, dass sie ihr einmal erworbenes Aufenthaltsrecht in Deutschland auch bei längeren Auslandsaufenthalten auf Dauer behalten. Nach der gesetzlichen Konzeption wird durch § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis kraft Gesetzes verhindert. Es ist hingegen nicht ihr „Wiederaufleben“ vorgesehen. Darüber hinaus spricht der Gedanke der Rechtssicherheit dafür, dass sich zu jedem Zeitpunkt eindeutig feststellen lassen muss, ob der Aufenthaltstitel fortbesteht oder erloschen ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.2017, a.a.O., juris Rn. 19).
38
Unter welchen Voraussetzungen der Lebensunterhalt in diesem Sinn als gesichert angesehen werden kann, bestimmt sich nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, auf die § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG Bezug nimmt (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 15/420 S. 89; BayVGH, U.v. 5.4.2016 - 10 B 16.165 - juris Rn. 26; B.v. 10.7.2013 - 10 ZB 13.457 - Rn. 7). Danach ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Erforderlich ist insoweit eine aufgrund belegbarer Umstände anzustellende Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer bzw. zumindest auf absehbare Zeit für einen erneuten Aufenthalt in Deutschland gesichert ist (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, Beck-OK Ausländerrecht, Stand: 7/2021, § 51 AufenthG Rn. 66; BayVGH, U.v. 5.4.2016, a.a.O. Rn. 26; VGH BW, U.v. 9.11.2015 - 11 S 714/15 - juris Rn. 58). Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Die Feststellung der Sicherung des Lebensunterhalts erfordert demnach einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln, wobei der Unterhaltsbedarf durch die für die jeweilige Bedarfsgemeinschaft anzusetzenden Regelsätze nach SGB II bzw. SGB XII konkretisiert wird. Dies gilt grundsätzlich auch für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens, das nach den Regelungen in §§ 11 ff. SGB II zu ermitteln ist (BVerwG, U.v. 26.8.2008 - 1 C 32/07 - BVerwGE 131, 370-383, juris Rn. 19).
39
Nach diesen Maßgaben hat das Verwaltungsgericht zutreffend die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG verneint, da der Lebensunterhalt des Klägers zum Zeitpunkt der Ausreise nicht gesichert war und eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr bestand. Den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach schon der Rentenversicherungsverlauf des Klägers eine Lebensunterhaltssicherung nicht belegt, da der Kläger seit 31. August 2008 keiner versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen ist, eine den Lebensunterhalt sichernde selbständige Erwerbstätigkeit nicht nachgewiesen wurde und die drohende Inhaftierung wegen Verstoßes gegen die Führungsaufsicht bei Rückkehr einer positiven Prognose einer Lebensunterhaltssicherung bei Rückkehr entgegenstand, hat das Zulassungsvorbringen nichts entgegen gesetzt.
40
2.2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht als rechtmäßig erachtete Ausweisung.
41
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 22.02.2017 - 1 C 3/16 - juris Rn. 18; U.v. 30.7.2013 - 1 C 9.12 - juris Rn. 8 m.w.N.).
42
2.2.1. Der Kläger stellt mit seinem Zulassungsvorbringen nicht erfolgreich in Frage, dass von ihm nach wie vor eine konkrete Gefahr der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten i.S.v. § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht.
43
Der Senat lässt offen, ob der Kläger schon deshalb dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genügt, weil er sich nicht mit dem weiteren vom Verwaltungsgericht selbständig tragend herangezogenen Entscheidungsgrund der nichtbeanstandeten generalpräventiven Erwägungen der Beklagten auseinandersetzt (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2015 - 22 ZB 15.1584 - juris Rn. 11 m.w.N.).
44
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18).
45
Nach diesen Maßgaben ist unter Berücksichtigung der vielfachen Delinquenz des Klägers über einen langen Zeitraum seit 1989 hinweg sowie aufgrund der Einzelumstände weiterhin von einer fortbestehenden Bedrohung der öffentlichen Sicherheit auszugehen. Der Kläger ist seit 1989 vielfach wegen Vermögensdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat mehrfach Haftstrafen verbüßt. Hinzu kommt - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist - die Bagatellisierung der Delinquenz seitens des Klägers, indem er im Schriftsatz vom 27. Juli 2021 durch seinen Bevollmächtigten vortragen lässt, er sei lediglich wirtschaftlich tätig gewesen. Dies lässt eine mangelnde Schuldeinsicht erkennen und zeugt nicht von einem inneren Wandel in Abkehr von betrügerischem Verhalten.
46
Dass der Kläger - unter den geschützten Bedingungen von Haft und dem Legalbewährungsdruck von Führungsaufsicht und dem noch offenen Ausweisungsverfahren - seit der letzten Verurteilung vom 2. Dezember 2015 und seit seiner Haftentlassung am 25. Juli 2017 (soweit bekannt) keine weiteren Straftaten begangen hat, ist zwar als positives Prognoseindiz zu werten. Diesem kommt jedoch kein die Wiederholungsgefahr widerlegendes Gewicht zu.
47
Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen die Denkgesetze der Logik den Bericht der Bewährungshilfe vom 9. Juni 2020 wegen seiner Datierung als nicht aussagekräftig zur aktuellen Beurteilung der Wiederholungsgefahr erachtet und dem Bericht vom 26.Juli 2021 lediglich die Aussage entnommen, dass keine Straftaten bekannt geworden seien und die Führungsaufsicht regulär beendet werde, und dabei außer Acht gelassen, dass durch die Vorlage beider Berichte die kontinuierlich gute Führung und daraus resultierend positive Prognose erkennbar werde, ist weder ein Verstoß gegen die Denkgesetze der Logik ersichtlich noch ergibt sich aus der Zusammenschau beider Bewährungsberichte, dass von dem jahrelang delinquenten Kläger nunmehr allein durch den Ablauf der Führungsaufsicht keine Begehung von Straftaten mehr droht. Die bislang beanstandungslose Absolvierung der Führungsaufsicht ist zwar ebenso wie die Straffreiheit seit Haftentlassung als positiver Prognoseanhalt zu werten, ihm ist jedoch nicht das Gewicht beizumessen, dass vom Kläger künftig ein rechtstreues Verhalten erwartet werden kann, zumal derlei Aussagen sich in den Stellungnahmen der Bewährungshilfe gerade nicht finden. Darüber hinaus trifft die Einschätzung der Bewährungshilfe betreffend die Einstufung zum Risikoprobanden keine unmittelbar verwertbare oder verbindliche Aussage zur ausweisungsrechtlichen Frage, ob der Ausländer (auch) in Zukunft eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellt.
48
Auch lässt die Würdigung der Bewährungsberichte durch das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht erkennen. Das Gericht darf nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn es nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (vgl. BVerwG, B.v. 9.6.2015 - 6 B 59.14 - juris Rn. 53).
49
Dass das Verwaltungsgericht dem Bewährungshilfebericht vom 9. Juni 2020 mangels Aktualität eine geringere Aussagekraft für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr beigemessen hat, ist nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Denkgesetze der Logik hat der Kläger mit der Zulassungsbegründung nicht aufgezeigt.
50
Schließlich vermag auch die Stellungnahme der Heilsarmee Sozialwerk N. vom 26. Juli 2021 keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine nachhaltig positive Legalprognose zu begründen. Nach dieser Stellungnahme habe sich der Kläger, der in dieser Einrichtung nach § 67 SGB XII zur Überwindung einer besonderen sozialen Problemlage seit der Haftentlassung im Juli 2017 untergebracht ist, nach anfänglichen Schwierigkeiten („oft sehr ungehalten und aufgebracht, konnte sich schwer an Absprachen halten, war sehr ungeduldig und schnell verbal erregt“) positiv entwickelt („viel ruhiger, abgeklärter und sachlicher geworden“). Hervorgehoben wird sein zuverlässiger Einsatz beim Dolmetschen für Rumänisch nebst Begleitung von Behördengängen u.ä., wofür er eine Arbeitsprämie von 10 Euro pro Woche erhalte. Aus Sicht der Heilsarmee habe sich der Kläger während seines Aufenthalts in der Einrichtung „nichts zu Schulden kommen lassen.“
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Dem Wohlverhalten des Klägers unter den ordnenden und schützenden Bedingungen einer bereits seit vier Jahren währenden Unterbringung im Rahmen der Obdachlosenhilfe kommt jedoch nicht das Gewicht zu, die aus der mehrfachen und jahrelangen Delinquenz des Klägers resultierende Wiederholungsgefahr zu widerlegen.
52
2.2.2. Mit seinem Zulassungsvorbringen hat der Kläger die Gesamtabwägung des Verwaltungsgerichts gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG ebenfalls nicht ernstlich i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.
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Ein Ausländer kann - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur dann ausgewiesen werden, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung und Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (§ 53 Abs. 1 AufenthG). In die Abwägung sind somit die in § 54 AufenthG und § 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung mit einzubeziehen (BT-Drs. 18/4097, S. 49); durch diese Begriffe wird die Abwägung strukturiert. Neben diesen ausdrücklich bezeichneten Bleibeinteressen sind in die Interessenabwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG auch sonstige, nicht gesondert normierte Bleibeinteressen einzustellen (vgl. Fleuß in Kluth/Heusch, Beck-OK AuslR, Stand: 7/2021, § 55 Rn. 6 mit Verweis auf BT-Drs. 18/4097, 49 und 52 f).
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Nach diesen Maßgaben wurde vorliegend aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht N. vom 19. Mai 2015 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht und Betrugs in 3 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Das Verwaltungsgericht und die Beklagte sind zutreffend davon ausgegangen, dass dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse wegen Erlöschens der Niederlassungserlaubnis (vgl. Nr. 2.1) und mangels Anspruchs auf einen Aufenthaltstitel kein vertyptes (besonders) schwerwiegendes Bleibeinteresse gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gegenüber steht. In die Abwägung nach § 53 Abs. 2 AufenthG wurde zutreffend eingestellt, dass sich der Kläger seit 1983 überwiegend im Bundesgebiet aufgehalten hat und dass erwachsene Kinder des Klägers im Bundesgebiet leben (auf die Häufigkeit der Kontakte zu den erwachsenen Kindern kommt es insoweit nicht maßgeblich an). Auch wurde die geltend gemachte Beziehung zu der mehrere hundert Kilometer entfernt wohnenden Lebensgefährtin des Klägers berücksichtigt. Trotz seiner langen Aufenthaltsdauer hat sich der Kläger weder rechtlich noch wirtschaftlich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert. Der Kläger hat seit dem Jahr 1988 vielfache Straftaten unterschiedlicher Art, insbesondere Vermögensstraftaten, begangen und war aufgrund dessen immer wieder längere Zeit inhaftiert. Dem Rentenversicherungsverlauf zufolge ist der Kläger kaum einer versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Bereits nach seiner Überstellung durch die Schweizer Behörden im November 2013 hat der Kläger an unterschiedlichen Adressen u.a. in Obdachlosenunterkünften gewohnt. Sowohl die Beklagte als auch das Verwaltungsgericht sind zu Recht davon ausgegangen, dass eine wirtschaftliche Integration des Klägers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nicht gelungen ist. Im Rahmen der Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK überwiegen die Belange des Klägers das öffentliche Interesse an der Ausweisung nicht.
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Entgegen dem Zulassungsvorbringen vermögen die Erkrankungen des Klägers, deren Vortrag das Verwaltungsgericht ersichtlich berücksichtigt hat, nicht eine besondere Integration des Klägers zu belegen oder besondere Bleibeinteressen zu begründen. Da die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers aufgrund seiner Staatenlosigkeit nicht mit einer Abschiebungsandrohung verbunden wurde, mithin eine Abschiebung nicht im Raum steht, kommt es im Weiteren auch nicht darauf an, ob sich aus den Erkrankungen des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen Reiseunfähigkeit ergeben könnte. Das Zulassungsvorbringen des Klägers, wonach es nicht auszuschließen sei, dass bei einer ordnungsgemäßen Würdigung und Aufarbeitung der gesundheitlichen Lage des Klägers das Verwaltungsgericht zu einer anderen Einschätzung bei der Beurteilung des Bleibeinteresses gekommen wäre, vermag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zu begründen.
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Soweit der Kläger rügt, die Ursache für die Integrationsdefizite des Klägers (Obdachlosigkeit, fehlende Lebensunterhaltssicherung) liege auf Seiten der Beklagten, da diese die Ausstellung eines Ausweisdokumentes verweigere, und es sei „zirkelschlüssig“, die somit von Beklagtenseite verursachten Integrationsdefizite zu Lasten des Klägers zu würdigen, vermag er damit nicht durchzudringen: Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat sich der Kläger nach eigenen Angaben freiwillig aus der rumänischen Staatsangehörigkeit entlassen lassen und war bis Dezember 2017 im Besitz eines Reiseausweises für Staatenlose. Da aufgrund der selbst geschaffenen Staatenlosigkeit eine Abschiebung auf unabsehbare Zeit nicht möglich ist, wurde bereits im streitgegenständlichen Bescheid darauf hingewiesen, dass diesem Umstand durch die Ausstellung einer Duldung Rechnung getragen werde. Die Ausstellung einer Duldung wurde nach Angaben der Beklagten jedoch trotz dieses Hinweises bis heute nicht beantragt. Mit einer Duldung wäre es dem Kläger möglich, wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen und eine eigene Wohnung anzumieten. Die Integrationsdefizite des Klägers lassen sich somit keinesfalls der Beklagten zuschreiben.
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Das Zulassungsvorbringen verhält sich zu der Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von fünf Jahren nicht; insoweit wurden keine Zulassungsgründe geltend gemacht.
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2.3. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ergeben sich auch nicht im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht bestätigte Versagung eines Reiseausweises für Staatenlose nach §§ 1 Abs. 4, 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AufenthV i.V.m. Art. 28 Satz 1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (StlÜbk).
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Nach Art. 28 Satz 1 StlÜbk stellen die Vertragsstaaten Staatenlosen, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, Reiseausweise aus, die ihnen Reisen außerhalb dieses Hoheitsgebiets gestatten, es sei denn, dass zwingende Gründe der Staatssicherheit oder der öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Nach Satz 2 der Vorschrift können die Vertragsstaaten auch jedem anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen solchen Reiseausweis ausstellen; sie werden insbesondere wohlwollend die Möglichkeit prüfen, solche Reiseausweise denjenigen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen auszustellen, die von dem Land, in dem sie ihren rechtmäßigen Aufenthalt haben, keinen Reiseausweis erhalten können.
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Der Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises setzt nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift voraus, dass der Staatenlose sich rechtmäßig in dem Vertragsstaat aufhält, was nach der zutreffenden Feststellung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts vorliegend nicht der Fall ist.
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Einem Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Reiseausweises für Staatenlose nach der Ermessensnorm Art. 28 Satz 2 StlÜbk im Wege der Ermessensreduzierung auf Null steht die verfügte Ausweisung des Klägers wegen langjähriger Delinquenz entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2007 - 19 ZB 06.2317 - juris Rn. 14).
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3. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war wegen nicht hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung gemäß §§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).