Titel:
kein minder schwerer Fall bei Überschreiten der nicht geringen Menge um das 33-fache
Normenketten:
BtMG § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 33
StGB § 27, § 52, § 56 Abs. 1, § 74a
StPO § 464 Abs. 1, § 465 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Auch wenn es sich bei dem vom Angeklagten transportierten Marihuana um eine verhältnismäßig weniger gefährliche Droge handelt, das Betäubungsmittel sichergestellt werden konnte und trotz des Umstandes, dass der naive, leichtgläubige Angeklagte vom anderweitig Verfolgten für dessen Geschäfte kriminalisiert und ausgenutzt wurde, ist angesichts der erheblichen Überschreitung der nicht geringen Menge um das ca. 33-fache sowie angesichts des strafbaren Vorlebens des Angeklagten für die Annahme eines minderschweren Falls gem. § 29a Abs. 2 BtMG kein Raum. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Marihuana, THC, nicht geringe Menge, Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.12.2021 – 6 StR 593/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 41014
Tenor
1. Der Angeklagte … ist schuldig des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
2. Er wird deshalb zu einer Freiheitsstrafe von
3. Das unter den ÜL-Nummern 2876/21 und 2880/21 sichergestellte Betäubungsmittel wird eingezogen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
§ 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, 33 BtMG, §§ 27, 52, 74a StGB
Entscheidungsgründe
A. Persönliche Verhältnisse
B. Festgestellter Sachverhalt
1
Der gegenständlichen Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Am 21.03.2021 gegen 17:30 Uhr transportierte der Angeklagte in der … in … in seinem Pkw Renault Twingo, amtliches Kennzeichen … in einer Tüte hinter dem Beifahrersitz in einer Verpackungseinheit 478,75 Gramm netto Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 25,2 % THC, was einer Teilmenge an THC von 120,64 Gramm entspricht. In einer weiteren Verpackungseinheit befanden sich darüber hinaus weitere 982,58 Gramm netto Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 13,4 % THC, was einer Teilmenge an THC von 131,67 Gramm entspricht. In Addition beider Teilmengen entspricht dies damit einer Gesamtmenge an THC von 252,31 Gramm, was ca. dem 33,64-fachen der nicht geringen Menge entspricht.
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Der Angeklagte transportierte das Marihuana im Auftrag des anderweitig Verfolgten A. … von … aus Richtung … bei …, wobei der Angeklagte vom anderweitig Verfolgten A… für seine Fahrdienste eine Tankfüllung als Gegenleitung erhielt. Dem Angeklagten war zwar nicht bekannt, dass sich in der von ihm transportierten Tüte Betäubungsmittel befanden, er erkannte aber jedenfalls diese Möglichkeit und billigte sie aus Gleichgültigkeit. Insbesondere war dem Angeklagten bekannt, dass der anderweitig Verfolgte A. … mit Betäubungsmittel Handel treibt. Der Angeklagte erkannte daher die Möglichkeit und er billigte ebenfalls aus Gleichgültigkeit, dass er durch seine Kurierfahrt dem anderweitig Verfolgten A. … zu dessen unerlaubten Betäubungsmittelhandel Hilfe leistet.
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Wie der Angeklagte wusste, besaß er zu keinem Zeitpunkt die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.
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Zugleich führte der Angeklagte bei der beschriebenen Kurierfahrt in einem offenen Fach unter dem Lenkrad bewusst und jederzeit griffbereit ein Einhandmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm mit sich. Ferner bewahrte der Angeklagte im Kofferraum einen Baseballschläger auf, der vom Fahrersitz aus jedoch nicht unmittelbar griffbereit lag. Beide Gegenstände hätte der Angeklagte im Bedarfsfall als Verteidigungsmittel einsetzen können.
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1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten folgen aus dessen diesbezüglichen glaubhaften Erklärungen. Die Kammer hat keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt dieser Angaben des Angeklagten zu zweifeln.
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Die Feststellungen zum strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten beruhen auf der Verlesung des Bundeszentralregisterauszugs für den Angeklagten vom 10.08.2021 sowie auf der teilweisen Verlesung der Sachverhalte früherer gegen den Angeklagten ergangener Urteile.
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2. Der Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Einlassung des Angeklagten, welche die Kammer - sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht - als vollumfängliches Geständnis wertet, auch wenn der Angeklagte selbst diese rechtliche Bewertung im Hinblick auf ein vorsätzliches Verhalten nicht zu teilen gewillt ist bzw. einzusehen vermag.
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a) Der Angeklagte ließ zunächst über seinen Verteidiger eine Erklärung abgeben, die er im Anschluss als richtig bestätigte und sich zu Eigen machte. Im Anschluss beantwortete der Angeklagte zudem eigenständig weitere Rückfragen der Kammer und der Staatsanwaltschaft.
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Der Angeklagte ließ sich zusammenfassend im Wesentlichen wie folgt zur Sache ein:
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Er sei Eigentümer des gegenständlichen Pkw Renault Twingo. Mit diesem führe er private Fahrdienst aus. Man nenne ihn im Umkreis von … auch den „Uber-Fahrer von …“. Für seine Fahrdienste profitiere er dergestalt, dass ihm hin und wieder von seinen Kunden eine Tankfüllung bezahlt werde oder sie ihm einen „10er“ unter die Fußmatte legten.
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Den A. … habe er bereits vorher gekannt und bereits öfter mal zum McDonalds gefahren oder von der Arbeit abgeholt, da dieser noch minderjährig sei und daher keinen eigenen Führerschein habe. In seinem letzten Wort erklärte der Angeklagte, dass er von Freunden des anderweitig Verfolgten A. … bereits vor dem Tattag erfahren hatte, dass der A. … mit Betäubungsmitteln handle. Zudem habe der A. … ihm - dem Angeklagten - selbst zuvor mal erzählt, dass gegen ihn - den A. … - in der Vergangenheit bereits wegen Betäubungsmitteldelikten ermittelt worden sei.
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Am Tattag habe er für den anderweitig Verfolgten A. … eine Fahrt nach … durchgeführt. Dieser habe ihn gebeten, ihn nach … zu fahren, da er dort etwas abholen müsse. Irgendwo in … in der Nähe der … sei der A. … dann ausgestiegen und für einige Minuten verschwunden. Dann sei er mit einer Tasche zurückgekommen, die er von einer anderen Person übernommen habe. Diese Tasche habe er dem Angeklagten hinter die Beifahrertüre in den Fußraum des Fonds gestellt. Dazu habe er gesagt, in der Tüte befinde sich Dreckwäsche. Zudem habe der anderweitig Verfolgte A. … erklärt, er selbst fahre nicht im Fahrzeug des Angeklagten zurück Richtung …, vielmehr würde er mit der Person, von der er die Tüte übernommen habe, in dessen Fahrzeug (einem silbernen BMW) dem Angeklagten folgen. Der A. … habe gesagt, er habe mit dem Fahrer des silbernen BMW etwas zu besprechen.
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Diese Geschichte des A. … sei ihm zwar „Spanisch“ (Zitat des Angeklagten) vorgekommen, zudem habe er bei der Rückfahrt den Eindruck gehabt, vom A. … und der unbekannten Person im silbernen BMW beschattet zu werden. Im Endeffekt habe er sich aber nicht weiter an diesen Gesamtumständen gestört. Schließlich sei es die Privatsache des A. … gewesen, was sich in der Tüte befunden habe und das habe ihn - den Angeklagten - ja nicht zu interessieren. Außerdem habe er sowieso zurück nach … fahren müssen, sodass es ihm egal gewesen sei, hierbei auch die „Dreckwäsche“ des A. … zu transportieren.
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Das Einhandmesser und den Baseballschläger habe er dabeigehabt, das habe er auch gewusst. Es handle sich hierbei jedoch nicht um Gegenstände, die er bei irgendwelchen Betäubungsmittelgeschäften habe verwenden wollen, sondern um Gegenstände, die er sich bei seiner Arbeit bei Haushaltsauflösungen angeeignet habe und eben in seinem Auto aufbewahrt habe.
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Insgesamt fühle er sich in diesem Fall als Opfer, das vom anderweitig Verfolgten A. … „gelinkt“ worden sei. Er müsse nun für die Tat des A. … sein Gesicht hinhalten, was er als ungerecht empfinde und nicht einsehe, da der A. … der „wahre Täter“ sei.
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Die Kammer hält die Einlassung des Angeklagten für glaubhaft. Der Angeklagte zeigte dieses Einlassungsverhalten - lediglich mit geringen Abweichungen in Randbereichen - im gesamten Ermittlungsverfahren, sowohl im Rahmen der Haftvorführung beim Ermittlungsrichter als auch im Rahmen seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung. Die Einlassung ist daher als konsistent zu bewerten. Nachdem die Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren und nach Aktenlage noch wenig glaubhaft anmutete und es abwegig erschien, dass der bereits mehrfach, insbesondere einschlägig vorbestrafte und auch bereits hafterfahrene Angeklagte das „Opfer“ eines 17-jährigen Hintermanns und Strippenziehers und von diesem „gelinkt“ worden sein wollte, bestätigte sich genau dieser Sachverhalt im Rahmen der Hauptverhandlung. Der Angeklagte hinterließ bei der Kammer in der Hauptverhandlung durch seine oben beschriebenen Erklärungen einen bisweilen naiven und leichtgläubigen Eindruck. Nach Einschätzung der Kammer ist er zwar durchaus kognitiv dazu im Stande, die wahren Hintergründe des gegenständlichen Sachverhalts zu erfassen, jedoch zur Vermeidung weiterer Konflikte und weiteren Aufwands, letztlich aus Gründen der Gleichgültigkeit, nicht gewillt, aus seinen Erkenntnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen, die insbesondere die Rechtsordnung von ihm verlangt. So räumte auch der Angeklagte nach Vorhalt der Kammer nunmehr selbstkritisch ein, dass er aufgrund der höchst dubiosen Gesamtumstände noch in … den A. … hätte zu Rede stellen und seine Kurierdienste hätte verweigern müssen. Wegen dessen Naivität und Leichtgläubigkeit ist es nach Durchführung der Hauptverhandlung durchaus nachvollziehbar und nicht völlig fernliegend, dass der Angeklagte für den anderweitig Verfolgten A. … ein „leichtes Opfer“ war und es den A. … keine größeren Mühen kostete, den Angeklagten als Kurierfahrer, der keine großen Nachfragen stellt, für sich und seine Geschäfte zu gewinnen. Dieser Eindruck wurde auch durch das Auftreten des Zeugen A. … bestätigt. Der Zeuge, der sich bei allen Fragen des Gerichts auf sein Aussageverweigerungsrecht gem. § 55 StPO berief, machte einen ruhigen, besonnenen und abgebrühten Eindruck auf die Kammer. Er zeigte weder bei den Fragen der Kammer noch bei seinen Antworten eine Gefühlsregung. Sein starrer und durchdringender Blick ließ keinerlei Nervosität erkennen. Nach alledem ist für die Kammer die vom Angeklagten geschilderte Rollenverteilung nicht fernliegend, sondern glaubhaft und nachvollziehbar.
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Die Kammer legt daher der Verurteilung die Einlassung des Angeklagten vollumfänglich zugrunde. Lediglich in der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts erlaubt sich die Kammer, von derjenigen des Angeklagten abzuweichen.
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b) Der Sachverhalt wurde darüber hinaus in objektiver Hinsicht bestätigt durch die Einvernahme des Zeugen PHK E. … sowie durch die Inaugenscheinnahme von Lichtbildern, welche das sichergestellte Betäubungsmittel, das sichergestellte Messer und den Baseballschläger abbilden.
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Der Zeuge PHK E. … erklärte insbesondere, dass ihm im Rahmen der Kontrolle, als er sich zur Beifahrerseite des Pkw des Angeklagten hineingelehnt habe, sofort strengen Marihuanageruch wahrgenommen habe. Auch sein Kollege PHM S. … habe den Geruch im Rahmen der Kontrolle schnell wahrgenommen. Direkt im Anschluss habe man die Betäubungsmittel hinter dem Beifahrersitz aufgefunden, bei weiterer Durchsicht des insgesamt recht unordentlichen Fahrzeugs dann das Einhandmesser und den Baseballschläger. Die entsprechenden Lichtbilder, welche die Aussage des Zeugen PHK E. … stützen, wurden mit den Prozessbeteiligten in Augenschein genommen.
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Der Angeklagte erklärte auf entsprechende Nachfragen und Vorhalte der Kammer, dass er grundsätzlich einen normalen Geruchssinn habe, der seines Wissens nicht getrübt sei. Möglicherweise könnten Lebensmittel, die sich im Auto befunden hätten, für ihn den Marihuanageruch überlagert haben, ebenso eventuell im Handschuhfach aufbewahrtes Parfüm.
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Der Zeuge PHK E. … erklärte hieraufhin, dass sich im Auto des Angeklagten zwar tatsächlich Lebensmittel - wohl aus vorausgegangenen Einkäufen - befunden hätten, allerdings seien diese alle noch in ihrer Originalverpackung gewesen und hätten keinerlei Gerüche verursacht. Gleiches gelte für das im Handschuhfach aufbewahrte Parfüm. Dieses habe er selbst - im Gegensatz zu dem sichergestellten Marihuana - in keiner Weise olfaktorisch wahrgenommen.
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Die Einlassung des Zeugen PHK E. … ist schlüssig, ohne Widersprüche und steht in objektiver Hinsicht im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten. Der Zeuge machte seine Aussage ruhig, sachlich und ohne jeglichen Belastungseifer. So erklärte der Zeuge auf Frage des Verteidigers insbesondere, dass der Baseballschläger sicherlich nicht vom Fahrersitz aus unmittelbar zu erreichen gewesen ist, woran deutlich wird, dass der Zeuge auch durchaus für den Angeklagten günstige Aussagen traf. Auch teilte der Zeuge mit, dass der Angeklagte im Rahmen der Kontrolle kooperativ und keinesfalls aggressiv gewesen sei. Die Kammer hat daher keine Zweifel daran, dass die Aussagen des Zeugen PHK E. … insgesamt vollständig zutreffend sind.
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c) Der Wirkstoffgehalt der sichergestellten Betäubungsmittel wurde festgestellt durch Verlesung der toxikologischen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin … vom 27.07.2021 bzw. vom 02.08.2021. An der Richtigkeit der dort übermittelten Informationen zu zweifeln, hat die Kammer keinen Anlass.
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Der Angeklagte hat sich damit strafbar gemacht wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, §§ 27, 52 StGB.
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1. Der Angeklagte war sich zu jeder Zeit bewusst, dass er während der Fahrt die alleinige Verfügungsgewalt über die transportierte Tüte, die ihm zuvor vom anderweitig Verfolgten A. … ins Auto gestellt worden war, ausübte und er wies auch den für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln erforderlichen Besitzwillen auf. Dieser setzt voraus, dass die tatsächliche Sachherrschaft mit dem Willen ausgeübt wird, die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit über die Sache auszuüben und aufrecht zu erhalten. Diesbezüglich war der Angeklagte als unmittelbarer Fremdbesitzer für den anderweitig Verfolgten A. … ein typischer Drogenkurier.
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2. Einzig problematisch ist die Beurteilung der Frage, inwieweit der Angeklagte im Hinblick auf diesen unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln bzw. auf die Beihilfehandlung vorsätzlich gehandelt hat. Der Verteidigung ist zwar insoweit zuzustimmen, dass die Rollenverteilung zwischen dem zur Tatzeit 55-jährigen Angeklagten als Kurier und dessen Hintermann, dem zur Tatzeit 17-jährigen anderweitig Verfolgten A. …, durchaus untypisch anmutet. Diesem Umstand steht allerdings nach der Einlassung des Angeklagten und nach der durchgeführten Beweisaufnahme die Annahme eines bedingten Vorsatzes nicht entgegen, und zwar aus den folgenden Gründen:
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Bedingt vorsätzlich handelt, wer die Möglichkeit strafbaren Handelns erkennt und diese Möglichkeit billigt.
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Dies war beim Angeklagten vorliegend der Fall: Der Angeklagte wusste bereits vor dem Tattag, dass über den anderweitig Verfolgten A. … jedenfalls erzählt wird, dass dieser mit Betäubungsmitteln handelt. Zudem hatte ihm der A. … zuvor selbst berichtet, dass gegen ihn - den A. … - in der Vergangenheit bereits wegen Betäubungsmitteldelikten ermittelt worden war. Jedenfalls diese, dem Angeklagten bekannten, Vorabinformationen belegen, dass der Angeklagte angesichts der höchst dubiosen Gesamtumstände rund um die von ihm selbst geschilderte Kurierfahrt sehr wohl die Möglichkeit erkannt hatte, dass sich in der Tüte des A. … eben gerade keine Dreckwäsche befindet, sondern möglicherweise eine nicht näher bekannte Menge an Betäubungsmitteln. Hierfür spricht zudem, dass es keinerlei vernünftige Erklärung dafür gibt, weshalb der anderweitig Verfolgte A. … eine Tüte voller Dreckwäsche nicht selbst bei sich im Fahrzeug des unbekannten BMW-Fahrers, mit dem der A. … zurück Richtung … gefahren ist, transportieren sollte, sondern diese stattdessen den Angeklagten transportieren lässt, als diejenige, dass sich in der Tüte eben gerade keine Dreckwäsche befindet, sondern vielmehr ein weitaus sensiblerer Gegenstand, mit dem der A. … offensichtlich im Zweifel keiner polizeilichen Kontrolle unterzogen werden will, genauer gesagt: Betäubungsmittel. Diese Bewertung teilte auch der Angeklagte auf entsprechenden Vorhalt ausdrücklich. Zudem erkennt jeder durchschnittlich vernünftige Mensch diese Möglichkeit insbesondere dann, wenn ihm bekannt ist, dass der A. … offensichtlich eine gewisse Affinität zu Betäubungsmitteln hegt. Zwar attestiert die Kammer dem Angeklagten eine gewisse Leichtgläubigkeit und Naivität. Diese lassen die Kammer jedoch nicht daran zweifeln, dass auch der Angeklagte in seiner Person diese Möglichkeit erkannt hat. Denn davon, dass auch der Angeklagte, der immerhin das Gymnasium bis zur 13. Klasse besucht hat und dem eine gewisse, durchschnittliche Intelligenz daher nicht abzusprechen ist, diese Möglichkeit für sich erkannt hat. Dies wird insbesondere durch die Aussage des Angeklagten belegt, dass ihm das Ganze schon „Spanisch“ vorgekommen sei. Auch die Einschätzung des Angeklagten, er habe sich vom anderweitig Verfolgten A. … und dessen Fahrer beschattet gefühlt, ist schlüssig, nachvollziehbar und dürfte indes auch der Tatsache entsprochen haben. Auch diese Einschätzung des Angeklagten zeigt daher, dass er durchaus in der Lage ist, einen Sachverhalt rational und zutreffend zu bewerten. Die Frage der Kammer, weshalb aber der anderweitig Verfolgte A. … den Transport von Dreckwäsche hätte beschatten sollen, konnte der Angeklagte nur mit einem ratlosen Schulterzucken beantworten.
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Die Möglichkeit, dass der Angeklagte statt der Dreckwäsche eines ihm unbekannten Dritten tatsächlich Betäubungsmittel des A. … transportierte, hat der Angeklagte auch angesichts des deutlichen Marihuanageruchs, den er über eine längere Fahrtstrecke von … nach … wahrgenommen hat, erkannt. Soweit der Angeklagte pauschal behauptet, den Geruch gar nicht wahrgenommen zu haben, handelt es sich um eine widerlegte Schutzbehauptung. Nach den Schilderungen des Zeugen PHK E. … war der Marihuanageruch deutlich zu riechen und auch durch keine anderen Gegenstände im Fahrzeug überlagert. Nachdem auch der Angeklagte selbst erklärt hat, nicht an einem schlechten Geruchssinn zu leiden, liegen keine nachvollziehbaren und plausiblen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte den strengen Geruch tatsächlich nicht wahrgenommen haben könnte. Die Einlassung des Angeklagten, den Geruch nicht wahrgenommen zu haben, verdeutlicht nach Auffassung der Kammer vielmehr seinen Willen zu der geschilderten und von diesem selbst vorgetragenen Gleichgültigkeit. Der Umstand, dass er den Geruch möglicherweise schlicht nicht wahrnehmen wollte und zu diesem Zwecke Augen und insbesondere Nase zu schließen gewillt war, ändert jedoch nichts daran, dass er den Geruch tatsächlich wahrgenommen hat.
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Die vom Angeklagten erkannte Möglichkeit, dass er in Wahrheit keine Dreckwäsche, sondern vielmehr Betäubungsmittel des A. … transportierte, hat der Angeklagte auch aus Gleichgültigkeit gebilligt. Dies wird bereits deutlich durch die Einlassung des Angeklagten, dass er der Meinung gewesen sei, dass ihn die „Privatangelegenheit“ des A. … letztlich nichts angehe. Deutlicher kann ein Angeklagter seine Gleichgültigkeit, mithin die Billigung einer möglicherweise gegebenen strafbaren Handlung, nicht zum Ausdruck bringen. Dass es sich keinesfalls um eine Privatangelegenheit des A. … handelt, wenn dieser dem Angeklagten knapp 1,5 kg Marihuana zum Transport ins Auto stellt, ist selbst dem naiven und leichtgläubigen Angeklagten bewusst.
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Da der Angeklagte nach alledem die Möglichkeit erkannte, ein unbestimmtes Betäubungsmittel in unbestimmter Menge zu transportieren, diese Möglichkeit jedoch aus schlichter Gleichgültigkeit billigte, handelte er auch bedingt vorsätzlich im Hinblick auf das konkret sichergestellte Betäubungsmittel in der konkreten Menge.
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Da der Angeklagte darüber hinaus jedenfalls auch das Gerücht kannte, dass der anderweitig Verfolgte A. … mit Betäubungsmitteln handelt bzw. der A. … ihm selbst offenbart hatte, dass gegen ihn bereits wegen Betäubungsmitteldelikten ermittelt worden war, erkannte der Angeklagte auch die Möglichkeit und er billigte diese, dass er dem anderweitig Verfolgten A. … zu dessen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch seine Kurierfahrt Hilfe leistete.
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1. Für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sieht § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG die Verhängung einer Freiheitsstrafe zwischen 1 und 15 Jahren vor. Trotzdem es sich bei dem vom Angeklagten transportierten Marihuana um eine verhältnismäßig weniger gefährliche Droge handelt, das Betäubungsmittel sichergestellt werden konnte und trotz des Umstandes, dass der naive, leichtgläubige Angeklagte vom anderweitig Verfolgten A. … für dessen Geschäfte kriminalisiert und ein Stück weit ausgenutzt wurde, ist angesichts der erheblichen Überschreitung der nicht geringen Menge um das ca. 33-fache sowie angesichts des strafbaren Vorlebens des Angeklagten für die Annahme eines minderschweren Falls gem. § 29a Abs. 2 BtMG kein Raum. Die Kammer hat diese insoweit untypischen Gesamtumstände des Falls vielmehr im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn in gravierendem Maße zu gunsten des Angeklagten berücksichtigt.
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2. Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn hat die Kammer folgende Strafzumessungserwägungen zugunsten des Angeklagten berücksichtigt:
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a) Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass er sich vollumfänglich geständig eingelassen hat. Denn auch wenn dies dem Angeklagten selbst möglicherweise nicht bewusst ist oder es ihm schwer fällt, dies zu akzeptieren, hat er nicht nur sämtliche objektiven Umstände eingeräumt, sondern auch sämtliche Umstände dargetan, die für die Feststellung des bedingten Vorsatzes im Rahmen des subjektiven Tatbestandes erforderlich waren. Auch wenn der Angeklagte weiterhin der festen Überzeugung zu sein scheint, er selbst sei Opfer des anderweitig Verfolgten A. … geworden und von diesem instrumentalisiert worden, gestand er sich ein gewisses Fehlverhalten - jedenfalls rückblickend - ein, was zumindest für ein gewisses Maß an Schuldeinsicht und Reue spricht. Dies wurde ebenfalls strafmildernd berücksichtigt.
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b) Weiter hat die Kammer strafmildernd berücksichtigt, dass es sich bei dem transportierten Marihuana um eine verhältnismäßig weniger gefährliche Droge handelt und das Betäubungsmittel sichergestellt werden konnte und damit nicht in den Verkehr gelangt ist, wenngleich dies ohne das Zutun des Angeklagten erfolgte.
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c) Auch hat die Kammer strafmildernd gewürdigt, dass der Angeklagte sich mit der form- und entschädigungslosen Einziehung des sichergestellten Einhandmessers und des Baseballschlägers einverstanden erklärt hat.
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d) Erheblich strafmildernd hat die Kammer zugunsten des Angeklagten gewürdigt, dass dieser nicht mit einer besonders hohen kriminellen Energie gehandelt hat und er keinesfalls die Absicht hatte, sich gezielt an den Geschäften des anderweitig Verfolgten A. … zu beteiligen und sich hierfür strafbar zu machen. Die Kammer würdigt erheblich strafmildernd den Umstand, dass der Angeklagte vom anderweitig Verfolgten A. … ausgenutzt und von diesem für dessen strafbaren Zwecke instrumentalisiert wurde. Wenn der Angeklagte daher der Meinung ist, er sei „Opfer“ des anderweitig Verfolgten A. … geworden, stimmt auch die Kammer dieser Einschätzung zu. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Angeklagte seine Instrumentalisierung erkannte und sich dieser bewusst nicht widersetzte und sich damit strafbar machte. Dies ist es, was sich der Angeklagte trotz aller Umstände vorwerfen lassen muss.
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Die Kammer erlaubt sich daher, an dieser Stelle mit einem Missverständnis des Angeklagten aufzuräumen: Wenn der Angeklagte weiter der Meinung ist, er müsse für die Tat eines anderen (des A. …) „seinen Kopf hinhalten“, so irrt er. Der oben unter B. geschilderte Sachverhalt beschreibt unmissverständlich (neben den strafbaren Handlungen des anderweitig Verfolgten A. …) das eigene, strafbare Verhalten des Angeklagten. Nur für diese eigene Tat wird der Angeklagte bestraft. Seine Bestrafung bedeutet auch keinesfalls, dass damit der anderweitig Verfolgte A. … einer eigenen Bestrafung für die von ihm begangene Tat entgeht, mangels Zuständigkeit der 8. Strafkammer für Straftaten von Jugendlichen und Heranwachsenden richtete sich das hiesige Verfahren jedoch nicht gegen den minderjährigen A. …. Über etwaige Straftaten des anderweitig Verfolgten A. … wird daher bei gegebener Zeit die Jugendgerichtsbarkeit befinden.
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3. Zum Nachteil des Angeklagten hat die Kammer im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn die folgenden Strafzumessungsgesichtspunkte berücksichtigt:
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a) Strafschärfend hat die Kammer berücksichtigt, dass die nicht geringe Menge vorliegend um ein Vielfaches, nämlich um das ca. 33-fache überschritten wurde.
43
b) Weiter hat die Kammer geringfügig zulasten des Angeklagten gewichtet, dass er bei der Begehung der Tat zwei gefährliche Gegenstände bei sich geführt hat, nämlich das Einhandmesser und den Baseballschläger. Auch wenn der Angeklagte bei Fahrtantritt nach … weder vor hatte, Straftaten zu begehen, noch zu diesem Zwecke gefährliche Gegenstände bei sich führte, so steigerte das Mitsichführen des Messers und des Baseballschlägers jedenfalls die objektive und abstrakte Gefährlichkeit seines Handelns. Jede Person, die Betäubungsmittel transportiert und sich damit in den Wirkungskreis von am Betäubungsmittelhandel beteiligten Personen begibt, setzt sich einem erhöhten Risiko möglicher körperlicher Auseinandersetzungen aus. Im Rahmen solcher körperlichen Auseinandersetzungen wäre es dem Angeklagten möglich gewesen, die Gegenstände zu seiner Verteidigung einzusetzen, was insbesondere für das Messer gilt, welches vom Fahrersitz aus jederzeit zugriffsbereit in unmittelbarer Nähe aufbewahrt wurde. Damit lag jedenfalls eine erhöhte abstrakte Gefährdungslage vor.
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c) Zuletzt hat die Kammer ebenfalls zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits vielfach, u.a. auch einschlägig, vorbestraft und auch bereits hafterfahren ist. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass die letzte Verurteilung bereits ca. fünf Jahre zurückliegt und lediglich eine Geldstrafe zur Folge hatte.
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4. Nach einer Abwägung all der genannten Strafzumessungsgesichtspunkte hielt die Kammer daher eine Freiheitsstrafe von
für tat- und schuldangemessen, aber auch für erforderlich, um dem Angeklagten das Unrecht seiner Tat ausreichend vor Augen zu führen. Insbesondere aufgrund der mehrfachen Vorstrafen des Angeklagten schied zur Überzeugung der Kammer eine Strafe im bewährungsfähigen Bereich aus.
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5. Der Vollständigkeit halber weist die Kammer aber auch ausdrücklich darauf hin, dass selbst im Falle einer bewährungsfähigen Strafe die Kammer keinen Raum für die Strafaussetzung zur Bewährung gesehen hätte.
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Die Kammer geht nicht davon aus, dass der Angeklagte sich bereits eine Bewährungsstrafe ausreichend zur Warnung dienen lassen und zukünftig keine Straftaten mehr begehen werde. Die Kammer sieht keine positive Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB. Zwar handelt es sich nach dem Dafürhalten der Kammer beim Angeklagten nicht um einen Schwerverbrecher. Allerdings sieht die Kammer die erhebliche Gefahr, dass der Angeklagten insbesondere aufgrund seiner beschriebenen Naivität und Leichtgläubigkeit auch in Zukunft wieder vergleichbare Straftaten begehen wird. In dieser Einschätzung sieht sich die Kammer insbesondere durch das strafrechtliche Vorleben des Angeklagten bestätigt. Hierzu äußerte der Angeklagte bei Verlesen der den früheren Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalte, dass er insbesondere bei der Tat, welcher der Verurteilung durch das Amtsgericht … vom 15.11.2004 (Az. …, Ziffer … des BZR) zugrunde lag, irgendwie in die Sache reingeschlittert sei und von den anderen Tätern ausgenutzt und instrumentalisiert worden sei. Dieses Eindrucks kann man sich aufgrund des verlesenen (für die Kammer nicht gänzlich nachvollziehbaren) Sachverhalts nicht völlig verwehren, gleichwohl zeigt dieser Umstand doch im Ergebnis, dass der Angeklagte aus der damaligen Verurteilung offensichtlich nicht die richtigen Lehren ziehen konnte und sich nun erneut von einer anderen Person hat instrumentalisieren lassen und erneut eine vergleichbare Straftat begangen hat.
F. Einziehung des Betäubungsmittels
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Die Einziehung des sichergestellten Betäubungsmittels beruht auf § 33 BtMG i.V.m. § 74 a StGB.
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Dem Urteil ist keine Verständigung vorausgegangen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1 Satz 1 StPO.