Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 09.09.2021 – B 1 K 21.571
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen regelmäßigem Cannabiskonsums

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 8 S. 1, § 14 Abs. 1 S. 3, § 46 Abs. 1 S. 1
BayVwZVG Art. 19 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2, Art. 31 Abs. 2
Leitsätze:
1. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war. Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar kann in entsprechender Anwendung der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung nach regelmäßigem Cannabiskonsum wiedererlangt werden, wenn der Betroffene einen einjährigen Abstinenzzeitraum absolviert und die Nachhaltigkeit des Einstellungswandels durch eine positive medizinisch-psychologische Untersuchung belegt hat. Die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung ist auch im Entziehungsverfahren zu prüfen, wenn eine Wiedererlangung in zeitlicher Hinsicht bereits möglich ist (sog. verfahrensrechtliche Einjahresfrist) und der Betreffende eine beachtliche Abstinenzbehauptung erhoben hat. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, zurecht gefordertes MPU-Gutachten nicht vorgelegt, Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung wegen Ermessenausfall, Fahreignungsgutachten, Cannabiskonsum, Zusatztatsachen, Abstinenzbehauptung, verfahrensrechtliche Einjahresfrist
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 28.10.2021 – 11 ZB 21.2646
VGH München, Beschluss vom 23.11.2021 – 11 ZB 21.2646
Fundstelle:
BeckRS 2021, 37446

Tenor

1. Die Ziffer III des Bescheids des Landratsamts ... vom 11.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 19.03.2021 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
2
1. In einer Mitteilung des Polizeipräsidiums … vom 30.07.2019 an das Landratsamt … (Landratsamt) wird ausgeführt, dass der Kläger am 22.06.2019 gegen 23:30 Uhr wegen eines Rotlichtverstoßes als Führer eines Kraftfahrzeugs einer Verkehrskontrolle unterzogen worden sei. Der Kläger sei taub und könne nicht sprechen. Daher habe die Kommunikation schriftlich erfolgen müssen.
3
Beim Kläger habe starker Cannabisgeruch wahrgenommen werden können. Zudem sei der Kläger sehr nervös gewesen und habe stark geschwitzt. Der Kläger habe schriftlich geäußert, jeden Freitag und jeden Samstag Cannabis zu konsumieren. Das letzte Mal habe er am Freitagabend um 23:00 Uhr, also vor 24 Stunden, Cannabis konsumiert. In der Fahrweise des Klägers seien keinerlei Ausfallerscheinungen ersichtlich gewesen.
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Der Kläger habe den Polizeibeamten Marihuana (0,2 g netto) ausgehändigt. Die Untersuchung einer dem Kläger um 01:00 Uhr entnommenen Blutprobe habe einen THC-Wert von 14,6 ng/ml und einen Wert von 144,0 ng/ml hinsichtlich THC-Carbonsäure ergeben.
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Mit Schreiben vom 23.10.2019 forderte das Landratsamt den Kläger zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bis zum 23.12.2019 auf. Die Fahrerlaubnisbehörde könne die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verlangen, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliege und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründeten (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV). Dies sei beim Kläger aufgrund des eingeräumten gelegentlichen Konsums von Cannabis und der Verkehrsteilnahme mit dem festgestellten THC-Wert von 14,6 ng/ml der Fall. Bei der Ermessensentscheidung sei berücksichtigt worden, dass von Betäubungsmittelkonsumenten erhebliche Gefahren für den Straßenverkehr ausgingen. Cannabiskonsum im Speziellen beeinträchtige Fähigkeiten, die zum Führen eines Kraftfahrzeugs notwendig seien. So komme es unter anderem zu einer Verlängerung der Reaktionszeit, Einschränkung der Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit, Verschlechterung der dynamischen Sehschärfe und des räumlichen Sehens, Beeinträchtigung der zeitlichen und räumlichen Orientierung sowie einem zeitlichen Auseinanderklaffen zwischen subjektiv empfundener Cannabisbeeinflussung und objektiver Leistungsminderung. Durch den Konsum verursachte Fehlreaktionen in komplexen Situationen führten zu einer messbaren, signifikanten Erhöhung der Zahl der Fahrfehler. Der Kläger habe die Verkehrssicherheit auch bereits konkret gefährdet, da er nachweislich bereits einmal unter Betäubungsmitteleinfluss am Straßenverkehr teilgenommen habe.
6
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde dabei gewahrt. Zweck der Anordnung sei es, zu klären, ob der Kläger zukünftig den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeuges sicher trennen könne. Die Aufforderung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Überprüfung seiner Fahreignung sei geeignet, um festzustellen, ob der Kläger aufgrund der aktenkundigen Fahrt unter Cannabiseinfluss zukünftig einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Cannabiskonsum und das Führen eines Kraftfahrzeuges sicher trennen könne. Nur durch das medizinisch-psychologische Gutachten könne geklärt werden, ob der Kläger weiterhin geeignet sei, am Straßenverkehr teilzunehmen. Anstatt den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis einzuleiten, stelle diese Anordnung das mildeste Mittel zur Aufklärung der Sachlage dar und sei damit auch erforderlich. Aufgrund des erwiesenermaßen hohen Gefährdungspotentials, das von Kraftfahrzeugführern ausgehe, die berauscht bzw. unter Betäubungsmitteleinfluss ein Kraftfahrzeug führten, müssten die persönlichen Interessen des Klägers vor der öffentlichen Verpflichtung zur Erhaltung der Sicherheit im Straßenverkehr zurückstehen. Die Anordnung sei daher auch angemessen.
7
Die Fragestellung wurde wie folgt gefasst:
„Ist nicht zu erwarten, dass Herr … zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme)?“
8
Weiter wies das Landratsamt darauf hin, dass der Kläger die Möglichkeit habe, die an die Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen bei der Führerscheinstelle einzusehen. Weigere sich der Kläger, sich untersuchen zu lassen, oder bringe er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, dürfe die Fahrerlaubnisbehörde auf dessen Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Sei ein Inhaber einer Fahrerlaubnis nicht geeignet, müsse ihm die Fahrerlaubnis entzogen werden.
9
Mit Bescheid vom 11.02.2020 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, CE79, C1, C1E, L und M. Der Führerschein sei umgehend abzuliefern (Ziffer I des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Ziffer I dieses Bescheides werde angeordnet (Ziffer II des Bescheids). Für den Fall, dass der Kläger seinen Führerschein nicht innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieses Bescheids abliefere, werde hiermit ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederhergestellt werden, so werde die Frist bis zum Ablauf von einer Woche nach Eintritt der Bestandskraft verlängert (Ziffer III des Bescheids). Der Kläger habe die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gebühr für diesen Bescheid werde auf 150,00 EUR festgesetzt. Die Auslagen betrügen 4,11 EUR (Ziffer IV des Bescheids).
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Zur Begründung der Ziffer I des Bescheids führte das Landratsamt im Wesentlichen aus, dass der Kläger trotz Aufforderung das erforderliche Fahrtauglichkeitsgutachten nicht fristgerecht vorgelegt habe. Weigere sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringe er der Fahrerlaubnisbehörde das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, dürfe die Fahrerlaubnisbehörde bei der Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV). Die Fahrerlaubnis sei deshalb aus den vorgenannten Gründen gemäß § 3 StVG i.V.m. § 46 FeV zu entziehen gewesen. Gemäß § 46 Abs. 5 FeV (gemeint wohl: Abs. 6) erlösche die Fahrerlaubnis mit der Entziehung und sei unverzüglich bei der Verwaltungsbehörde abzuliefern.
11
Zur Begründung der Ziffer III des Bescheids führte das Landratsamt aus, dass zur Durchsetzung der Ablieferungspflicht ein Zwangsgeld angedroht werde. Diese Anordnung stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG. Die Zwangsgeldandrohung sei ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid im Sinne des Art. 23 Abs. 1 VwZVG. Werde der Führerschein nicht bis zum Ablauf der gesetzten Frist abgeliefert, so werde die Zwangsgeldforderung fällig und könne beigetrieben werden, ohne dass es eines zusätzlichen Verwaltungsaktes bedürfe.
12
Mit Schreiben vom 25.02.2020 stellte das Landratsamt das mit Bescheid vom 11.02.2020 angedrohte Zwangsgeld von 500,00 EUR zur Zahlung fällig. Gleichzeitig erließ das Landratsamt unter dem Datum des 25.02.2020 einen Bescheid, mit dem es die Anwendung unmittelbaren Zwangs androhte, falls der Kläger seiner in Ziffer I des Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2020 auferlegten Pflicht zur Abgabe seines Führerscheins nicht innerhalb von zehn Tagen nachkomme.
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Der Kläger legte mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 13.03.2020 gegen den Bescheid des Landratsamts vom 11.02.2020 Widerspruch ein.
14
Mit Schreiben vom 29.05.2020 übersandte die Polizeiinspektion …-Land dem Landratsamt den an diesem Tag dort abgegebenen Führerschein des Klägers.
15
Die Regierung von Oberfranken wies mit Widerspruchsbescheid vom 19.03.2021, zugestellt am 13.04.2021, den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Landratsamts vom 11.02.2020 zurück.
16
2. Mit Schriftsatz vom 13.05.2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, erhob der Kläger Klage und stellte u.a. den Antrag,
die Entziehungsverfügung und den Widerspruchsbescheid vom 19.03.2021 aufzuheben.
17
Zur Begründung bringt der Kläger im Wesentlichen vor, dass ihm sein Führerschein trotz mehrfacher Aufforderung nicht (mehr) gewährt worden sei. Seit mehr als zwölf Monaten warte er auf seinen Führerschein. Es sei zu beachten, dass sich der Kläger als taube Person natürlich eingeschränkt gegenüber den Behörden äußern könne, so dass hier gewisse Missverständnisse nicht ausgeschlossen werden könnten.
18
Die Glaubwürdigkeit des Führerscheinentzugs sei in Frage zu stellen. Der Beklagte verarbeite Halbwahrheiten und unwissenschaftliche Zahlen. Es könne nicht in Abrede gestellt werden, dass der TÜV sehr schlecht sei.
19
Entscheidungserheblich sei die Gefährdungsprognose für den Führerscheinentzug. Der Kläger habe es endlich geschafft „mit dem Cannabis“ aufzuhören, so dass er nicht länger letztlich „der Freiheit beraubt“ werden könne.
20
Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz des Landratsamts vom 10.06.2021,
die Klage abzuweisen.
21
3. Mit Schriftsatz vom 18.06.2021 beantragte der Kläger beim Verwaltungsgericht Bayreuth die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage B 1 K 21.571. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 07.07.2021 (Az.: B 1 S 21.724) ab. Gegen letztgenannten Beschluss legte der Kläger kein Rechtsmittel ein.
22
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 03.08.2021 unter Darlegung seiner vorläufigen Rechtsauffassung darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid in Betracht gezogen werde und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten des vorliegenden Verfahrens sowie des beigezogenen Verfahrens B 1 S 21.724 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
25
Die gemäß § 88 VwGO erfolgte Auslegung des Klagebegehrens, insbesondere der im Schriftsatz vom 13.05.2021 enthaltenen Anträge, ergibt, dass der Kläger sich mittels einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts vom 11.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 19.03.2021 wenden will. Dies entspricht dem erkennbaren Klageziel des Klägers, die erfolgte Fahrerlaubnisentziehung aufzuheben, keine Kosten hierfür entrichten zu müssen, und seinen Führerschein wieder ausgehändigt zu erhalten.
26
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen geringen Teil Erfolg.
27
1. Der streitgegenständliche Bescheid des Landratsamts erweist sich nur hinsichtlich der vorgenommenen Zwangsgeldandrohung als rechtswidrig. Es ist daher die in Ziffer III des Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2021 erfolgte Zwangsgeldandrohung aufzuheben und die Klage im Übrigen abzuweisen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
28
a) Im Hinblick auf die Zwangsgeldandrohung steht dem Kläger für die vorliegende Klage nach wie vor ein Rechtsschutzbedürfnis zu, auch wenn das Landratsamt mit Bescheid vom 25.02.2020 bezüglich der Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht hat und der Führerschein sich auch nicht mehr im Besitz des Klägers befindet, sondern am 29.05.2020 bei der Polizeiinspektion …-Land abgegeben, und von dort dem Landratsamt übersandt wurde. Denn wegen nicht rechtzeitiger Erfüllung der Ablieferungspflicht des Führerscheins ist das angedrohte Zwangsgeld gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG mittlerweile fällig geworden. Dies hat das Landratsamt dem Kläger auch mit Schreiben vom 25.02.2020 mitgeteilt und den Kläger zur Zahlung des Zwangsgelds aufgefordert. Obwohl das Landratsamt das Zwangsgeld gemäß Art. 37 Abs. 4 VwZVG nicht mehr beitreiben darf, weil ihm der Führerschein inzwischen vorliegt, muss berücksichtigt werden, dass nunmehr eine Forderung gegen den Kläger im Raum steht. Es kann im Hinblick hierauf so lange nicht davon gesprochen werden, die Androhung entfalte keine Beschwer mehr, als die Zwangsgeldforderung nicht erloschen ist oder das Landratsamt nicht zugesichert hat, diesen Anspruch nicht mehr geltend zu machen (vgl. BayVGH, B.v. 14.09.2006 - 11 CS 06.1475, 11 C 06.1476 - juris, Rn. 31).
29
Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer III des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2020 erfolgte rechtswidrig. Eine Zwangsgeldandrohung steht als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (Art. 19 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1 VwZVG). Neben dem „ob“ der Androhung des Verwaltungszwangs kommt der Behörde dabei auch ein Auswahlermessen zu, welches der zur Verfügung stehenden Zwangsmittel (Art. 29 Abs. 2 VwZVG) sie bestimmt. Bei der Androhung eines Zwangsgelds (Art. 31 Abs. 1 VwZVG) steht dessen Höhe ebenfalls im Ermessen der Behörde (Art. 31 Abs. 2 VwZVG).
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Im Falle der Androhung eines Zwangsgelds als dem im Regelfall mildesten Zwangsmittels sind die Anforderungen an die Ermessensausübung bzw. deren Begründung nicht zu überspannen. Die Begründung der Zwangsgeldandrohung in Ziffer III des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2020 lässt aber überhaupt keine Ermessenserwägungen, insbesondere nicht zur Höhe des angedrohten Zwangsgelds (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 und 4 VwZVG), erkennen. Insofern ist hier von einem Ermessensausfall auszugehen, der auch nicht durch das Nachschieben weiterer Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO geheilt werden kann.
31
b) Im Übrigen erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als rechtmäßig.
32
Das Landratsamt hat als zuständige Fahrerlaubnisbehörde zu Recht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, und in der Folge nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV auch zu Recht dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht zunächst gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die Begründung des Bescheids des Landratsamts vom 11.02.2020 und des Widerspruchsbescheids vom 19.03.2021 und macht sich diese zu eigen. Ergänzend hierzu wird, insbesondere zum Vorbringen des Klägers, Folgendes ausgeführt:
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aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist jemand u.a. dann ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wenn er gelegentlich Cannabis konsumiert und den Konsum von Cannabis und das Fahren nicht trennt.
34
Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen (sog. Zusatztatsachen). Weigert sich der Betroffene sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - BVerwGE 156, 293 Rn. 19 m.w.N.). Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens (vgl. BayVGH, B.v. 26.05.2021 - 11 CS 21.730 - juris, Rn. 16).
35
bb) Vorliegend erweist sich die Begutachtungsaufforderung des Landratsamts vom 23.10.2019 in formeller und materieller Hinsicht als rechtmäßig.
36
Für das Gericht bestehen keine Zweifel daran, dass der Kläger am 22.06.2019 ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis geführt und im Zeitraum davor - zumindest gelegentlich - Cannabis konsumiert hat. Seine diesbezüglichen bisherigen Einlassungen hat der Kläger weder im gerichtlichen Eilverfahren (B 1 S 21.724) noch im hier vorliegenden Hauptsacheverfahren in Abrede gestellt, sondern vielmehr bestätigt. In seiner Antragsschrift vom 18.06.2021 im Eilverfahren (Az.: B 1 S 21.724) führt der Kläger aus, dass er es in der schwierigen Phase nun endlich geschafft habe mit dem Cannabis aufzuhören. Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Kläger vortragen will, erst nach der Verkehrskontrolle am 22.06.2019 und der damit beginnenden „schwierigen Phase“ für ihn, den Konsum von Cannabis eingestellt zu haben. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass er den - bisher eingeräumten - zuvor stattgefundenen Cannabis-Konsum erneut bestätigt.
37
Anhaltspunkte dafür, dass es sich bezüglich des vom Kläger eingeräumten Cannabis-Konsums um ein Missverständnis handeln könnte, weil sich die Kommunikation mit dem Kläger als gehörlosen Menschen als nicht so einfach gestaltet, sind nicht ersichtlich. Seitens des Klägers wird hierfür auch nichts näher vorgetragen, sondern nur pauschal auf diese Möglichkeit verwiesen.
38
Das Landratsamt hat den Kläger daher zurecht gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert. Der Tatbestand des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV war erfüllt, da beim Kläger sowohl gelegentlicher Cannabis-Konsum als auch mit der Fahrt unter Cannabis-Einfluss am 22.06.2019 eine sog. Zusatztatsache vorlag. Das der Behörde von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV eingeräumte Ermessen hat das Landratsamt pflichtgemäß ausgeübt und seine rechtskonformen Erwägungen in der Begutachtungsaufforderung vom 23.10.2019 ausführlich dargelegt.
39
cc) Die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen eine solche medizinisch-psychologische Begutachtung durch eine anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Prognostizierung seiner künftigen Fahreignung können nicht durchgreifen. Für eine generelle mangelnde Wissenschaftlichkeit dieser Untersuchungsmethode oder eine nicht ausreichende Qualität des TÜV als einer der möglichen Begutachtungsstellen für Fahreignung, bei der ein solches Gutachten in Auftrag gegeben werden kann, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Solche werden vom Kläger auch nicht vorgetragen. Die bloße nicht näher substantiierte Behauptung ist nicht ausreichend, um hier Zweifel hervorzurufen, zumal die vom Verordnungsgeber in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV in der vorliegenden Konstellation vorgesehene medizinisch-psychologische Untersuchung in einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FeV) auch höchstrichterlich als rechtens angesehen wird (vgl. BVerwG, U.v. 11.04.2019 - 3 C 9/18 - juris, Rn. 23 ff.).
40
dd) Auch der vom Kläger vorgelegte Abstinenzbeleg der ... S. L. Service GmbH vom 30.07.2020 kann vorliegend den zwingenden Schluss auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht hindern.
41
Zwar kann in entsprechender Anwendung der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung nach regelmäßigem Cannabiskonsum wiedererlangt werden, wenn der Betroffene einen einjährigen Abstinenzzeitraum absolviert und die Nachhaltigkeit des Einstellungswandels durch eine positive medizinisch-psychologische Untersuchung belegt hat. Die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung ist auch im Entziehungsverfahren zu prüfen, wenn eine Wiedererlangung in zeitlicher Hinsicht bereits möglich ist (sog. verfahrensrechtliche Einjahresfrist) und der Betreffende eine beachtliche Abstinenzbehauptung erhoben hat (VG München, B.v. 17.02.2020 - M 26 S 19.6322 - juris, Rn. 22; BayVGH, B.v. 05.12.2018 - 11 CS 18.2351 - juris, Rn. 12 f. m.w.N.)
42
Der vom Kläger vorgelegte Beleg umfasst nur einen Abstinenzzeitraum von zwei Monaten vor der ihm am 13.07.2020 entnommenen Haarprobe. Jedenfalls aber fehlt es hier an einem Nachweis über einen gefestigten Einstellungswandel, der künftig keine Fahrten mit einem Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis mehr erwarten lässt. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung dieser Frage, wie es bereits vom Landratsamt mit Schreiben vom 23.10.2019 gefordert wurde, hat der Kläger auch im Widerspruchsverfahren nicht vorgelegt. Von einer möglichen Wiedergewinnung der Fahreignung konnte damit auch im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 19.03.2021 nicht ausgegangen werden.
43
ee) Das Landratsamt wie auch die Widerspruchsbehörde konnten und mussten daher hier auf die Nichteignung des Klägers schließen, weil der Kläger das rechtmäßig geforderte medizinisch-psychologische Gutachten einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht fristgerecht vorgelegt hat (vgl. BVerwG, U.v. 05.07.2001 - 3 C 13.01 - NJW 2002, 78). Die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV räumt der Behörde kein Ermessen hinsichtlich der Frage ein, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2012 - 11 CS 12.2276 - juris, Rn. 13 m.w.N.). Die persönliche und berufliche Situation des Klägers musste daher außer Betracht bleiben.
44
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagte unterliegt nur zu einem geringen Teil, da sich lediglich die Zwangsgeldandrohung und damit eine - auch nicht streitwertrelevante - Nebenverfügung als rechtswidrig erweist.
45
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der - wenn überhaupt anfallenden - jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.