Titel:
Hinsichtlich Nutzungsuntersagung erfolglose, hinsichtlich Zwangsgeldandrohung erfolgreiche Klage bzgl. Nutzung des Keller- und des Dachgeschosses zu Wohnzwecken
Normenketten:
BayBO Art. 47 Abs. 1 S. 2, Art. 55 Abs. 1, Art. 59 S. 1 Nr. 1 c, Art. 76 S. 2
VwZVG Art. 36, Art. 113 Abs. 1 S. 1,
VwGO § 114 S. 1
Leitsätze:
1. Die Androhung eines Zwangsgelds ist ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid, bei dem mit Ablauf der Frist das Zwangsgeld ohne weitere Festsetzung fällig wird, weswegen die Androhung des Zwangsgeldes voraussetzt, dass der Fälligkeitszeitpunkt rechtssicher bestimmt werden kann, was bei einer Fristsetzung „unverzüglich“ nicht der Fall ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei bloßen Unterlassungs- und Duldungsverpflichtungen bedarf es regelmäßig nicht der Setzung einer Vollstreckungsfrist, es sei denn die Erfüllung der Unterlassungs- oder Duldungspflicht erfordert noch Handlungen oder sonstige Vorkehrungen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung liegt vor, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die einer jeden Art von Nutzung eigene „Variationsbreite“ verlassen wird und wenn für die neue Nutzung andere bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Anforderungen in Betracht kommen als für die bisherige Nutzung. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung für Wohnnutzung, Nutzung des Kellergeschosses als Wohnung, Nutzung des Dachgeschosses mit drei Wohneinheiten, Adressat: Eigentümer/Vermieter, Rechtswidrige Zwangsgeldandrohung wegen unbestimmter Frist („unverzüglich“), Anfechtungsklage, Baurecht, Eigentümer, Nutzungsuntersagung, Wohnnutzung, formelle Illegalität, materielle Illegalität, Stellplatzbedarf, Störerauswahl, Ermessen, Zwangsgeldandrohung, Vollstreckungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2021, 36530
Tenor
I. Der Bescheid vom 11. Dezember 2019 wird in Ziffer 4 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Nutzungsuntersagung und Zwangsgeldandrohung im Hinblick auf die Nutzung des Kellergeschosses zu Wohnzwecken und des Dachgeschosses als drei Wohneinheiten im streitgegenständlichen Anwesen … …str. 171, FlNr. …, Gemarkung … Der Kläger ist Eigentümer dieses Grundstücks.
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Mit Bauantrag vom 18. September 2014 und 21. März 2016 beantragte der Kläger die Umnutzung des Anwesens in sechs Wohneinheiten. Beide Bauanträge erledigten sich durch Rücknahmefiktion bzw. das Zurückziehen des Bauantrags.
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Mit Schreiben vom 6. Dezember 2019 hörte die Beklagte den Kläger zur Nutzungsuntersagung an, nachdem das Sozialreferat der Beklagten im Rahmen eines Hausbesuchs prekäre Wohnverhältnisse festgestellt hatte und daraufhin ein Vertreter der Lokalbaukommission bei einer Ortskontrolle feststellte, dass das Kellergeschoss bewohnt und das Dachgeschoss in drei Wohneinheiten aufgeteilt war.
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Mit Bescheid vom 11. Dezember 2019 erließ die Beklagte folgende Verfügung:
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1. Die Nutzung des Kellergeschosses (gelb umrandet im Lageplan) im Anwesen … … straße 171 zu Wohnzwecken in Form der Überlassung an Dritte ist unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern zu unterlassen.
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2. Die Nutzung des Dachgeschosses im Anwesen … … straße 171 als drei Wohneinheiten (als W4, W5, W6 im Lageplan gelb umrandet und bezeichnet) zu Wohnzwecken in Form der Überlassung an Dritte ist unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern zu unterlassen.
3. [sofortige Vollziehung angeordnet]
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4. Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Verpflichtung unter Ziffer 1 dieser Verfügung wird ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- EUR/Schlafplatz angedroht.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Nutzung des Kellergeschosses sei formell rechtswidrig, da dieses nicht als Aufenthaltsraum genehmigt worden sei und einer Baugenehmigung bedürfe. Die Nutzung sei aufgrund von Verstößen gegen Art. 12, 45 und 47 BayBO nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Auch die Nutzung des Dachgeschosses als drei Wohneinheiten sei formell illegal, da bislang nur eine Wohneinheit genehmigt sei und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften gelten würden als für eine Wohneinheit. Die Nutzung sei aufgrund von brandschutztechnischen Mängeln und fehlendem Stellplatznachweis nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das Interesse der Beklagten an der Herstellung ordnungsgemäßer Zustände überwiege das private Interesse des Adressaten. Die Fristsetzung sei angemessen, da jederzeit ein Brand ausbrechen könne. Die Bewohner könnten in Notunterkünfte untergebracht werden. Als Vermieter sei der Kläger der richtige Adressat für die behördliche Anordnung.
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Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2019, am selben Tag bei Gericht eingegangen, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragt,
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Der Bescheid der Beklagten vom 11.12.2019 mit dem Aktenzeichen … wird aufgehoben.
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Zur Begründung trägt der Bevollmächtigte des Klägers vor, ausweislich des genehmigten Plans aus dem Jahr 1935 verfüge das Dachgeschoss über eine Küche und würde als Wohnung genutzt, sodass zumindest eine Wohneinheit genehmigt worden sei. Die Brandschutzmängel seien beseitigt worden, insbesondere seien Brandschutztüren eingebaut worden. Das Garagendach sei seit jeher stabil und betretbar, sodass ein Rettungsweg der Wohnung W4 über dieses Dach laufen dürfe. Nach Erhalt des Bescheids seien sämtliche Mietverhältnisse fristlos gekündigt worden. Weitere Möglichkeiten stünden dem Kläger nicht zur Verfügung. Die unverzügliche Unterlassung sei nicht möglich.
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Die Beklagte beantragt
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Sie führte ergänzend zu der Begründung des Bescheids aus, der Grundriss des Dachgeschosses entspreche nicht mehr dem genehmigten Plan von 1935. Mit dem Umbau sei die Nutzung in genehmigter Form aufgegeben worden und der Bestandsschutz ende. Die Nutzung in Form von drei Wohneinheiten sei jedenfalls nicht von der Genehmigung gedeckt. Die untersagte Nutzung sei nicht genehmigungsfähig. Der Einbau von Brandschutztüren ändere hieran nichts, da die Nutzung aus mehreren Gründen bauordnungsrechtlich unzulässig sei. Gegenüber den Mietern sei angeordnet worden, die Nutzung aufzugeben. Der Kläger habe nur die Neuvermietung zu unterlassen.
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Über die baulichen Verhältnisse auf dem streitgegenständlichen Grundstück sowie in dessen Umgebung hat das Gericht am 8. November 2021 Beweis durch Einnahme eines Augenscheins erhoben. Hinsichtlich der Feststellungen dieses Augenscheins sowie der anschließenden mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist hinsichtlich Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids bereits unzulässig. Gegen die Anordnung des Sofortvollzugs (Ziffer 3) kann Rechtsschutz nicht im Rahmen der Anfechtungsklage, sondern nur nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gewährt werden. Die im Übrigen zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids vom 11. Dezember 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Gem. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann. Im vorliegenden Fall wird dem Kläger die Nutzung des Kellergeschosses zu Wohnzwecken in Form der Überlassung an Dritte (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids) „unverzüglich“ untersagt. Hierbei handelt es sich nicht um eine bestimmte Frist i.S.d. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG (BayVGH, U. v. 24.9.1985 - 20 B 85 A.17 - BayVBl. 1986, S. 176 [178]). Die Androhung eines Zwangsgelds ist ein aufschiebend bedingter Leistungsbescheid. Mit Ablauf der Frist wird das Zwangsgeld ohne weitere Festsetzung fällig. Die Androhung des Zwangsgeldes setzt deshalb voraus, dass der Fälligkeitszeitpunkt rechtssicher bestimmt werden kann, was bei einer Fristsetzung „unverzüglich“ nicht der Fall ist.
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Kein anderes Ergebnis ergibt sich daraus, dass dem Kläger die Nutzung des Kellergeschosses zu Wohnzwecken in Form der Überlassung an Dritte untersagt wurde. Zwar bedarf es bei bloßen Unterlassungs- und Duldungsverpflichtungen regelmäßig nicht der Setzung einer Frist i.S.d. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG, sodass auch die Setzung einer nicht eindeutigen Frist wohl unschädlich wäre. Das gilt jedoch nur, wenn die Erfüllung der Unterlassungs- oder Duldungspflicht nicht noch Handlungen oder sonstige Vorkehrungen der Betroffenen erfordert (BayVGH, B.v. 24.4.2013 - 22 CS 13.590 - juris Rn. 14). Die Nutzungsuntersagung in Ziffer 1 setzt jedoch weitere Handlungen des Klägers voraus, da die Wohneinheit im Keller zum Zeitpunkt der Nutzungsuntersagung vermietet war. Um die Verpflichtung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids zu erfüllen, muss der Kläger den Mietern - falls diese der an sie gerichteten Nutzungsuntersagung nicht nachkommen - kündigen, um zivilrechtlich ein Räumungs- und Herausgabeverlangen durchsetzen zu können. Zumindest aber müssen diese, im Fall des freiwilligen Auszugs der Mieter, die Räumlichkeiten verlassen. Beides ist nicht ohne eine zumindest kurze Reaktionszeit durchführbar (vgl. ebenso: VG München, U.v. 30.5.2014 - M 9 S 14.1927 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 21.11.2006 - 24 CS 06.2627 - juris Rn. 41, B.v. 24.4.2013 - 22 CS 13.590 - juris Rn. 14). Der Hinweis im streitgegenständlichen Bescheid, dass die Vollstreckung aus der Verfügung nicht vor Ablauf von fünf Tagen ab Zustellung des Bescheids erfolgen wird, heilt nicht den Mangel einer rechtswidrigen Fristbestimmung gem. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2010 - 10 CS 09.2672 - juris Rn. 26).
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2. Die Nutzungsuntersagungen sind formell rechtmäßig. Dem Kläger wurde vor Erlass der ihn belastenden Nutzungsuntersagungen Gelegenheit zur Äußerung gegeben, Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Ob eine Frist angemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von Bedeutung, Umfang und Dringlichkeit, ab (Kallerhoff/Mayen in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 43). Die Frist zur Anhörung von fünf Tagen war angesichts der von der Nutzung ausgehenden Gefahren für die Bewohner angemessen.
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3. Die Nutzungsuntersagungen (Ziffer 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids) sind auch materiell rechtmäßig.
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Die Nutzungsuntersagungen sind auf Grundlage von Art. 76 Satz 2 Bayerische Bauordnung (BayBO) ergangen.
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Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde für den Fall, dass Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, diese Nutzung untersagen. Für die Rechtmäßigkeit einer Nutzungsuntersagung genügt dabei das Vorliegen einer formell illegalen Nutzung, wenn die illegal aufgenommene Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 29.5.2015 - 9 ZB 14.2580 - juris Rn. 10; B.v. 20.1.2016 - 9 CS 15.1973 - juris Rn. 12). Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor‚ muss im Regelfall nicht näher begründet werden‚ weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird (sog. intendiertes Ermessen; vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 - 15 CS 16.300 - juris Rn. 37 m.w.N.).
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3.1. Die Nutzung des Kellergeschosses zu Wohnzwecken ist formell illegal und auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
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3.1.1. Eine formell illegale Nutzung ist gegeben, da für die Nutzung zu Wohnzwecken keine Baugenehmigung vorliegt und die Nutzungsänderung eines Kellers in einen Aufenthaltsraum genehmigungspflichtig ist.
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Am 1. April 1935 wurde die Unterkellerung des Anwesens … …str. 171 genehmigt. Aus den dazugehörigen Plänen ergibt sich die bauaufsichtliche Genehmigung für eine Nutzung als „Keller“ und somit keine genehmigte Nutzung als Wohn- bzw. Aufenthaltsraum.
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Die Nutzungsänderung des Kellers in eine Wohneinheit bedarf einer Baugenehmigung, Art. 55 Abs. 1 BayBO. Eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung liegt vor, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die einer jeden Art von Nutzung eigene „Variationsbreite“ verlassen wird - nur dann handelt es sich um eine Nutzungsänderung im baurechtlichen Sinn - und wenn für die neue Nutzung andere bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Anforderungen in Betracht kommen als für die bisherige Nutzung (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.2011 - 2 B 11.353 - juris Rn. 31; B.v. 10.6.2010 - 1 ZB 09.1971 - juris Rn. 15). Von einer genehmigungsfreien Nutzungsänderung gem. Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO ist bereits dann schon nicht mehr auszugehen, wenn die Zulässigkeit des geänderten Vorhabens im Sinne von Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO anders beurteilt werden kann; ob das tatsächlich der Fall ist, ist erst im Genehmigungsverfahren zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 - 15 CS 16.300 - juris Rn. 32). Die Baugenehmigung vom 1. April 1936 erlaubt allein die Nutzung als Keller. Die bei der Ortskontrolle der Beklagten festgestellte Nutzung als Wohnung ist andersartig; an eine Wohnnutzung sind andere bauordnungsrechtliche Anforderungen zu stellen.
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3.1.2. Die Nutzung ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO prüft die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung mit den Regelungen der örtlichen Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO. Die Zahl der notwendigen Stellplätze wurde durch die Satzung der Landeshauptstadt München über die Ermittlung und den Nachweis von notwendigen Stellplätzen für Kraftfahrzeuge (Stellplatzsatzung - StPlS) i.d.F. d. Bek. Vom 2. Januar 2008 (GVBl. S. 796, BayRS 2020-1-1-I) festgelegt (Art. 81 Abs. 1 Nr. 4, 47 Abs. 2 Satz 2 BayBO). Für die Wohneinheit im Kellergeschoss ist ein Stellplatz herzustellen, vgl. §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 StPlS i.V.m. Anlage 1 zur StPlS. Ein solcher Stellplatznachweis fehlt.
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3.2. Die Nutzung des Dachgeschosses als drei Wohneinheiten ist formell illegal und auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
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3.2.1. Eine Baugenehmigung ist nicht vorhanden. Sowohl aus der Baugenehmigung vom 1. April 1935 (PlNr. …*) als auch dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ergibt sich, dass im Dachgeschoss nur eine Wohneinheit genehmigt worden ist. Die Nutzung des Dachgeschosses als drei Wohneinheiten und die in dessen Zuge vorgenommenen baulichen Veränderungen stellen ein genehmigungspflichtiges Vorhaben i.S.d. Art. 55 Abs. 1 BayBO dar. Insbesondere liegt keine Genehmigungsfreiheit nach Art. 57 Abs. 4 BayBO vor. An die neue kleinteiligere und wohnintensivere Nutzung sind neue bauordnungsrechtliche Anforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an den Brandschutz und den Stellplatznachweis zu stellen. Damit erweist sich die Nutzung, die weder durch eine Baugenehmigung noch durch Bestandsschutz abgedeckt ist, als formell illegal.
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3.2.2. Die Nutzung des Dachgeschosses für drei Wohneinheiten ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Gemäß Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO sind bei Änderungen oder Nutzungsänderungen von Anlagen Stellplätze in solcher Zahl und Größe herzustellen, dass die Stellplätze die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge aufnehmen können. Der durch eine Nutzungsänderung verursachte Mehrbedarf wird durch einen rechnerischen Vergleich zwischen dem Stellplatzbedarf der geänderten Anlage (sog. „Sollbedarf“) und des genehmigten Altbestandes ermittelt. Nach Art. 47 Abs. 2 Satz 2 BayBO i.V.m. §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 StPlS i.V.m. Anlage 1 zur StPlS sind drei Stellplätze erforderlich. Die streitgegenständliche Wohnnutzung ruft damit einen Mehrbedarf an zwei Stellplätzen aus, die allesamt nicht vorhanden und auch nicht abgelöst worden sind (vgl. Art. 47 Abs. 3 Nr. 3 BayBO).
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3.3. Die Beklagte hat auch im Übrigen das ihr durch Art. 76 Satz 2 BayBO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
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Die Ermessenserwägungen sind nachvollziehbar. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Satz 1 VwGO. Insbesondere ist die Anordnung, die Überlassung an Dritte unverzüglich zu unterlassen, nicht ermessensfehlerbehaftet. Die Beklagte hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Bewohner des Keller- und Dachgeschosses aufgrund der fehlenden brandschutztechnischen Anforderungen an Leib und Leben gefährdet waren und insbesondere im Kellergeschoss unzumutbare Wohnverhältnisse herrschten. Die Beklagte konnte durch die Zusammenarbeit mit dem Amt für Wohnen und Migration für die betroffenen Personen Notunterkünfte zur Verfügung stellen.
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Dass die Beklagte die Nutzungsuntersagung sowohl an den Kläger als auch die Mieter der jeweiligen Wohneinheiten gerichtet hat, ist nicht zu beanstanden. Die Behörde hat nach pflichtgemäßen Ermessen über die Inanspruchnahme eines Störers zu entscheiden. Hat die Behörde die Auswahl zwischen mehreren Störern, so kann sie nach pflichtgemäßem Ermessen einen Störer oder mehrere Störer heranziehen. Die Entscheidung für die Inanspruchnahme einer oder mehrerer bestimmter Personen aus dem Kreis der Verantwortlichen steht vor dem Hintergrund des Prinzips der Effektivität der Gefahrenabwehr im Ermessen der Sicherheitsbehörde (BayVGH, B.v. 24.1.2012 - 10 CS 11.1670 - juris Rn. 21). Der Handlungsstörer ist grundsätzlich vor dem Zustandsstörer heranzuziehen. Dies gilt grundsätzlich auch für eine Nutzungsuntersagung, mit der nicht nur (präventiv) die künftige Nutzung untersagt, sondern auch eine bereits ausgeübte Nutzung unterbunden werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 28.07.2014 - 2 CS 14.1326 - juris Rn. 4 m.w.N.). Der Kläger ist vorliegend als Eigentümer des Anwesens nicht nur Zustandsstörer, sondern als Vermieter von Wohneinheiten, die baurechtswidrig genutzt werden, auch Handlungsstörer. Die Inanspruchnahme des Klägers als Störer war zur effektiven Gefahrenabwehr und Unterbindung der beanstandeten Nutzung, auch für die Zukunft, erforderlich. Die Behörde durfte davon ausgehen, dass es bei Auszug der Mieter aus den streitgegenständlichen Räumlichkeiten innerhalb kurzer Zeit zu einem Einzug neuer Mieter kommen würde (vgl. hierzu vergleichbar BayVGH, B.v. 26.2.2007 - 1 ZB 06.2296 - juris Rn. 22). Um die widerrechtliche Nutzung auf Dauer zu unterbinden, war die Nutzungsuntersagung an den Kläger erforderlich.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Es handelt sich um ein geringfügiges Unterliegen der Beklagten, das bei der Kostenentscheidung nicht ins Gewicht fällt. Die Zwangsgeldandrohung hat als „unselbstständiges Anhängsel“ insbesondere für die Streitwertfestsetzung keine Bedeutung.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).