Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 27.09.2021 – Au 9 K 21.1092
Titel:

Kostenforderung für einen rechtswidrig eine Testpflicht auf das Corona-Virus anordnenden Bescheid

Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4
IfSG § 2 Nr. 7, § 25, § 28
12. BayIfSMV § 18 Abs. 4
BayKostG Art. 16 Abs. 5
Leitsätze:
1. Mit der Rechtschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wäre es nicht zu vereinbaren, selbst bei unanfechtbarer oder erledigter Grundverfügung den insoweit betroffenen Rechtmäßigkeitszusammenhang zwischen dieser Grundverfügung und der hierzu ergangenen Kostenentscheidung auszublenden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Aufnahme von Krankheitserregern iSv § 2 Nr. 7 IfSG ist anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte, wobei die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, naheliegen muss; eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anordnung einer Corona-Testpflicht kann nicht allein mit der beruflichen Tätigkeit als Lehrer und einem hiermit einhergehenden Ansteckungsrisiko begründet werden. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
(isolierte) Anfechtungsklage gegen Gebührenforderung, keine Testpflicht bei unterbliebener Quarantäne, Maßnahme, Testpflicht von Lehrkräften an Schulen, Selbsttest, Rechtswidrigkeit der Kostenerhebung, Gebührenforderung, Anfechtungsklage, Testpflicht, Quarantäne, Coronainfektion, Infizierung, Ansteckungsrisiko, Lehrer
Fundstelle:
BeckRS 2021, 33358

Tenor

I. Nr. 3 des Bescheids des Landratsamts … vom 28. April 2021 (Nr. …, Az.: …) wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage zuletzt gegen eine Kostenforderung in Höhe von 100,00 EUR für einen eine Testpflicht auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 anordnenden Bescheid des Beklagten.
2
Der Kläger ist Lehrer an einer Realschule im Landkreis … In der von ihm unterrichteten Schulklasse wurden zwei Schüler positiv auf das Virus (SARS-CoV-2) getestet. Der Kläger ist vom Beklagten nicht als enge Kontaktperson eingestuft worden.
3
§ 18 Abs. 4 Satz 1 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) vom 5. März 2021 (BayMBl. Nr. 171, BayRS 2126-1-16-G) zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung vom 27. April 2021 (BayMBl. Nr. 290) bestimmt, dass die Teilnahme am Präsenzunterricht und an Präsenzphasen des Wechselunterrichts sowie an der Notbetreuung und Mittagsbetreuung Schülerinnen und Schülern nur erlaubt ist, wenn sie sich zweimal wöchentlich, im Fall des Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 mindestens zweimal wöchentlich, nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5 einem Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 unterziehen. Nach § 18 Abs. 4 Satz 7 der 12. BayIfSMV gelten für die Lehrkräfte und das Schulverwaltungspersonal hinsichtlich ihrer Tätigkeit in den Schulräumen die Sätze 1 bis 5 mit der Maßgabe entsprechend, dass ein Selbsttest auch außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vorgenommen werden kann, wenn die Person versichert, dass das Testergebnis negativ ausgefallen ist.
4
Mit Bescheid des Landratsamts … vom 28. April 2021 (Nr., Az.: …) wurde der Kläger verpflichtet, am 30. April 2021 um 10.15 Uhr in der, … zu erscheinen und dort die Testung mittels eines Nasen-Rachen-Abstrichs auf das neuartige Corona-Virus (SARS-CoV-2) durch einen Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden (Nr. 1.1 des Bescheids). Nr. 1.2 des Bescheids bestimmt, dass die Verpflichtung zur Wahrnehmung des Termins und zur Duldung der ärztlichen Untersuchung entfalle, wenn der Kläger die Testung (PCR-Test oder Antigentest), durchgeführt durch medizinische Fachkräfte oder vergleichbare hierfür geschulte Personen bei einem Arzt seiner Wahl (z.B. Hausarzt) durchführen lasse. Dem Landratsamt … sei bis zum 30. April 2021 (24:00 Uhr) ein Nachweis über die Durchführung der Testung vorzulegen. Für den Fall, dass der Kläger der Verpflichtung in Nr. 1.1 des Bescheids nicht nachkomme und auch keine anderweitige Testung nach Nr. 1.2 des Bescheids erfolge, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR angedroht. Für den Bescheid wurde in Nr. 3 eine Gebühr in Höhe von 100,00 EUR erhoben.
5
Zur Begründung wird ausgeführt, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass beim Kläger eine Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 vorliege und er eine Gefährdung für die Allgemeinheit und insbesondere seiner Schüler darstelle. Die Verpflichtung zur Durchführung eines Nasen-Rachen-Abstrichs stütze sich auf § 25 Abs. 1 und 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) sowie § 28 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 und 2 IfSG. Aufgrund der Kontaktsituation in der Schule sei der Kläger nicht als enge Kontaktperson eingestuft worden. Jedoch sei unklar, inwieweit ein Infektionsgeschehen in der Schulklasse stattgefunden habe. Außerdem seien die Infektionsketten bei beiden positiven Fällen nicht nachvollziehbar. Der Kläger sei aufgrund des Kontakts zu zwei mit dem Virus SARS-CoV-2 infizierten Personen als ansteckungsverdächtig anzusehen, da er auch unter Berücksichtigung des Kontakttages und der Inkubationszeit noch ansteckungsfähig sein könnte. Bei dem Virus SARS-CoV-2 handle es sich um einen Krankheitserreger im Sinne des § 2 Nr. 1 IfSG, der sich in kurzer Zeit weltweit verbreite. Das pandemische Geschehen dauere weltweit an. § 25 Abs. 3 IfSG sei bei einer nach § 28 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 und 2 IfSG bestehenden Beobachtung anwendbar (§ 29 Abs. 2 Satz 2 IfSG). Nachdem sich der Kläger der Durchführung eines Abstrichs am 24. April 2021 widersetzt habe, erscheine die erneute Anordnung der Testung unter Zwangsgeldandrohung geboten. Die angeordnete Verpflichtung zur Durchführung eines PCR-Tests auf das Virus SARS-CoV-2 sei notwendig, um festzustellen, ob sich das Ansteckungsrisiko realisiert habe. Eine molekularbiologische Testung auf das Virus SARS-CoV-2 im Wege eines Rachen- und Nasenabstrichs sei geeignet, mögliche Infektionsketten aufzudecken und zu unterbrechen. Die Anordnung der Testung sei auch erforderlich, da der Kläger nicht zu den vom Gesundheitsamt … erbetenen Testungen erschienen sei. Die Maßnahme sei schließlich auch verhältnismäßig. Die Zwangsgeldandrohung stütze sich auf Art. 18 Abs. 1, 20 Nr. 1, 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Die Höhe des Zwangsgeldes sei im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers festgesetzt worden. Die Kostenlastentscheidung stütze sich auf Art. 1, 2 Abs. 1 Kostengersetz (KG). Die Höhe der Gebühr bemesse sich nach Art. 5, 6 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 2 KG. Die Gebühr sei innerhalb des vorgeschriebenen Rahmens (5 bis 25.000 EUR) nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des Verwaltungsaufwands und der Bedeutung der Angelegenheit ermittelt worden.
6
Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Landratsamts … vom 28. April 2021 wird ergänzend verwiesen.
7
Zu der mit Bescheid angeordneten Testung am 30. April 2021 ist der Kläger nicht erschienen.
8
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 5. Mai 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und zunächst beantragt,
9
Der Bescheid vom 28. April 2021 wird aufgehoben.
10
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Bescheid des Landratsamts … vom 28. April 2021 rechtswidrig sei. Am 14. April 2021 sei der letzte Kontakt des Klägers mit einer angeblich positiv auf das Corona-Virus getesteten Schülerin gewesen. Der Unterricht am 14. April 2021 habe mit dem gesetzlich geforderten Abstand und dem Tragen von Masken stattgefunden. Der Kläger habe aufgrund des angeblich positiven Testergebnisses einer Schülerin seiner Klasse nicht in Quarantäne gemusst. Der Kläger müsse seit dem 12. April 2021 zweimal pro Woche Selbsttests durchführen. Er habe diese jedoch mindestens dreimal pro Woche durchgeführt. Die Testergebnisse seien ab dem 12. April 2021 durchgehend negativ gewesen. Zudem habe der Kläger keinerlei Symptome gezeigt. Die angeordneten Testungen seien bereits verstrichen und eine Testung sei aufgrund des Umstandes, dass alle Selbsttests des Klägers seit dem 12. April 2021 negativ gewesen seien, nicht gerechtfertigt. Zudem seien die Selbsttests nach § 18 Abs. 4 Satz 7 der 12. BayIfSMV anerkannt. Dass der Kläger eine Gefährdung für die Allgemeinheit darstellen könne, sei eine reine Spekulation des Gesundheitsamts. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Anordnung der Testung vom 30. April 2021 weder krank noch krankheitsverdächtigt gewesen. Auch ein Ansteckungsverdacht habe nicht vorgelegen. Aufgrund der mehrfach durchgeführten Selbsttests sei nachgewiesen, dass der Kläger negativ im Hinblick auf das Vorliegen des Virus SARS-CoV-2 gewesen sei. Wäre der Kläger tatsächlich ansteckungsverdächtig gewesen, so hätte eine Quarantäne angeordnet werden müssen. Da die Testanordnung rechtswidrig sei, sei auch die Zwangsgeldandrohung rechtswidrig. Der Bescheid sei antragsgemäß aufzuheben.
11
Auf den weiteren Vortrag im Klageschriftsatz vom 5. Mai 2021 wird ergänzend verwiesen.
12
Das Landratsamt ist der Klage für den Beklagten mit Schriftsatz vom 20. Mai 2021 entgegengetreten und beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung ist ausgeführt, nachdem der Kläger die Testung am 24. April 2021 wissentlich nicht wahrgenommen habe, sei die weitere Testung am 30. April 2021 mittels Bescheid angeordnet worden. Die Ausführung des Klägers, dass die Testung am 30. April 2021 nicht mehr in der Inkubationszeit von 14 Tagen liege, sei schlichtweg falsch. Gemäß § 2 Nr. 7 IfSG gelte eine Person als ansteckungsverdächtig, von der anzunehmen sei, dass sie Krankheitserreger aufgenommen habe, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Der Kläger habe jeweils in zwei Gruppen der Klasse 10A unterrichtet, in der jeweils eine Schülerin positiv auf das SARS-CoV-2-Virus getestet worden sei. Bei Schulklassen handele es sich um eine schwer zu überblickende Kontaktsituation. Der Kläger habe mit beiden Schülerinnen mehr als zehn Minuten in einem geschlossenen Raum verbracht. Nach Einschätzung des Gesundheitsamts habe hier ein Ansteckungsrisiko vorgelegen. Da dies jedoch aufgrund der getroffenen Schutzmaßnahmen als niedrig eingestuft werden konnte, sei keine Quarantäne angeordnet worden, sondern lediglich die Testungen am 24. April 2021 bzw. am 30. April 2021. Dies sei im Rahmen ordnungsgemäßer Ermessensausübung geschehen. Die Anordnung der Testungen sei rechtmäßig.
15
Auf den weiteren Inhalt des Klageerwiderungsschriftsatzes des Beklagten vom 20. Mai 2021 wird ergänzend verwiesen.
16
Unter dem 20. Mai 2021 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass von einer Fälligstellung des Zwangsgelds in Höhe von 1.000,00 EUR abgesehen werde. An der Begleichung der Verfahrensgebühr in Höhe von 100,00 EUR werde hingegen weiterhin festgehalten.
17
Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2021 hat der Kläger das Klageverfahren bezüglich der Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 28. April 2021 für erledigt erklärt und nunmehr beantragt,
18
Der Bescheid vom 28. April 2021 wird hinsichtlich der Nr. 3 (Kostenentscheidung) aufgehoben.
19
Der Kläger ergänzte sein Vorbringen mit Schriftsatz vom 24. Juni 2021, auf den verwiesen wird.
20
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. August 2021 wurde von dem Verfahren Au 9 K 21.1092 der Verfahrensteil betreffend Nrn. 1 und 2 des Bescheids des Landratsamts … vom 28. April 2021 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen Au 9 K 21.1718 eingestellt. Auf die Gründe des vorbezeichneten Beschlusses wird verwiesen.
21
Mit Schriftsatz vom 25. August 2021 hat der Kläger erklärt, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten.
22
Das Landratsamt … hat für den Beklagten mit Schriftsatz vom 26. August 2021 erklärt, ebenfalls mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden zu sein.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24
Über die Klage konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten übereinstimmend auf eine solche verzichtet und sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
25
Die zulässige Klage ist begründet, da die Kostenerhebung in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids vom 28. April 2021 als allein verbliebener Gegenstand des Verfahrens Au 9 K 21.1092 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
26
1. Die Kostenentscheidung in Nr. 3 des mit der Klage angegriffenen Bescheids des Landratsamts … ist rechtswidrig, da die Grundverfügung in der Sache zu beanstanden ist.
27
Nach Art. 1 Abs. 1 KG erheben die Behörden des Staates für ihre Tätigkeit, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (Amtshandlungen), Kosten (Gebühren und Auslagen). Zur Zahlung der Kosten ist verpflichtet, wer die Amtshandlung veranlasst hat, im Übrigen diejenige Person, in deren Interesse die Amtshandlung vorgenommen wird (Art. 2 KG). Die Höhe der Gebühren bemisst sich nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 KG nach dem Kostenverzeichnis (KVz).
28
Zwar ist vorliegend die Gebührenhöhe von 100,00 EUR nicht zu beanstanden, da sie im durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2 KG eröffneten Rahmen von fünf bis 25.000,00 EUR liegt. Jedoch dürfen die geforderten Kosten nach Art. 16 Abs. 5 KG nicht erhoben werden, weil die Grundverfügung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
29
Der Grundsatz, Kosten nur für rechtmäßig erfolgte Maßnahmen zu erheben, wurzelt im allgemeinen Rechtsstaatsprinzip und hat seine konkrete Ausgestaltung in Art. 16 Abs. 5 KG gefunden. Nach Art. 16 Abs. 5 KG werden Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung durch die Behörde nicht entstanden wären, nicht erhoben. Mit der Rechtschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) wäre es nicht zu vereinbaren, selbst bei unanfechtbarer oder erledigter Grundverfügung den insoweit betroffenen Rechtmäßigkeitszusammenhang zwischen dieser Grundverfügung und der hierzu ergangenen Kostenentscheidung auszublenden. Denn dann bliebe in diesen Fällen insbesondere bei erkennbar rechtswidriger Grundverfügung ungeprüft, ob eine Kostenbelastung überhaupt veranlasst war (vgl. VG Würzburg, U.v. 7.10.2020 - W 6 K 19.1327 - juris Rn. 30).
30
2. Die gegenüber dem Kläger für den 30. April 2021 angeordnete Testungsverpflichtung (Nrn. 1.1 und 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids) ist rechtswidrig, weil die vom Beklagter für die Testungsverpflichtung des Klägers herangezogene Rechtsgrundlage aus § 25 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 und § 29 Abs. 1 IfSG die Anordnung nicht rechtfertigen kann. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 IfSG beim Kläger vorliegen.
31
a) Nach § 25 Abs. 1 IfSG stellt das Gesundheitsamt die erforderlichen Ermittlungen an, sofern sich ergibt oder anzunehmen ist, dass jemand krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider ist oder dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Nur die in § 25 Abs. 1 IfSG genannten Personen können nach § 25 Abs. 3 Satz 1 IfSG durch das Gesundheitsamt vorgeladen und zur Duldung von Untersuchungen verpflichtet werden (§ 25 Abs. 3 Satz 2 IfSG). § 29 Abs. 1 IfSG bestimmt weiter, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider einer Beobachtung unterworfen werden können.
32
Die maßgeblichen Personengruppen sind in § 2 Nr. 4 bis Nr. 7 IfSG legal definiert. Danach ist ein „Krankheitsverdächtiger“ eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen; ein „Ausscheider“ ist eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein. „Ansteckungsverdächtiger“ ist schließlich eine Person von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.
33
Die Aufnahme von Krankheitserregern im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Annahme eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist. Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme geradezu aufdrängt. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist, als das Gegenteil (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 3 C 16.11 - juris Rn. 31 ff.; VGH BW, B.v. 15.1.2021 - 1 S 4180/20 - BeckRS 2021, 394; Kießling, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Auflage 2021, § 2 Rn. 29 ff.; Gabriel in BeckOK, Infektionsschutzrecht, Eckart/Winkelmüller, Stand: 1.7.2021, § 2 Rn. 36 bis 39).
34
b) Nach diesen Maßstäben liegt beim Kläger keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr vor, so dass er nicht als Krankheits- bzw. Ansteckungsverdächtiger im Sinne der §§ 25 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG betrachtet werden kann. In Bezug auf sämtliche vom Beklagten angeführten Quellfälle wurde der Kläger bereits nicht als enge Kontaktperson im Sinn der Allgemeinverfügung über die Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation für die positiv auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation) vom 14. April 2021 (Az.: G51s-G8000-2021/505-38) eingestuft. Auch die eher als statisch zu beurteilende Kontaktsituation aufgrund der Tätigkeit als Lehrkraft und der damit verbundenen vergleichsweise kurzzeitigen Kontaktsituation rechtfertigt nicht die Annahme eines Ansteckungsverdachts im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG. Überwiegen - wie hier - Faktoren, die für ein geringes Infektionsrisiko sprechen, so kann das Gesundheitsamt gezielte Quarantänemaßnahmen für die umliegenden Sitznachbar/innen anordnen (vgl. VG Schleswig, B.v. 19.8.2021 - 1 B 106/21 - BeckRS 2021, 22865 Rn. 14), nicht aber den gesamten Klassenverband einschließlich der Lehrkräfte einer abklärenden Reihentestung unterziehen. Selbst wenn man eine Testpflicht als milderes Mittel gegenüber der Anordnung einer 14-tätigen Quarantäne betrachten würde, wäre zumindest Voraussetzung, dass der Kläger als enge Kontakteperson im Sinne der AV-Isolation eingestuft worden ist, was hier offensichtlich nicht der Fall ist.
35
Die angeordnete Testpflicht kann auch nicht allein mit der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Lehrer und einem hiermit einhergehenden Ansteckungsrisiko begründet werden. Nach § 18 Abs. 4 Satz 1 der insoweit maßgeblichen 12. BayIfSMV vom 5. März 2021 ist Schülerinnen und Schülern die Teilnahme am Präsenzunterricht oder an Präsenzphasen des Wechselunterrichts sowie an der Notbetreuung und Mittagsbetreuung nur erlaubt, wenn sie sich zweimal wöchentlich nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5 einem Test in Bezug auf eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 unterziehen. Nach § 18 Abs. 4 Satz 2 der 12. BayIfSMV haben die Schülerinnen und Schüler hierfür zu Beginn des Schultages über ein schriftliches oder elektronisches negatives Ergebnis eines PCR- oder POC-Antigentest zu verfügen und dieses auf Anforderung vorzuweisen oder müssen in der Schule unter Aufsicht einen Selbsttest mit negativem Ergebnis vorgenommen haben. Für Lehrkräfte und Schulverwaltungspersonal bestimmt insoweit § 18 Abs. 4 Satz 7 der 12. BayIfSMV hinsichtlich der Tätigkeit in den Schulräumen die entsprechende Anwendung der Sätze 1 bis 5 mit der Maßgabe, dass bei Lehrkräften auch ein Selbsttest außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vorgenommen werden kann, wenn die jeweilige Person versichert, dass das Testergebnis negativ ausgefallen ist. Dass der Kläger dieser für ihn geltenden Verpflichtung aus § 18 Abs. 4 Satz 7 der 12. BayIfSMV bislang nicht nachgekommen ist, ist nicht erkennbar. Sollten Zweifel hinsichtlich der vom Kläger vorgenommenen zweimal wöchentlichen Selbsttestungen bestehen, wäre diesen mit dienstrechtlichen Mitteln zu begegnen. Eine fortdauernde Behandlung des Klägers als Krankheitsverdächtigem bzw. Ansteckungsverdächtigem im Sinne des § 25 Abs. 1 IfSG kann daraus nicht abgeleitet werden.
36
Da die der Kostenforderung zugrunde liegende Grundverfügung in Nrn. 1.1 und 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist bzw. war, durften hierfür gemäß Art. 16 Abs. 5 KG keine Kosten erhoben werden. Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids war daher antragsgemäß aufzuheben.
37
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).