Titel:
Rechtmäßige Änderung von Einkommensteuerbescheiden wegen Steuerhinterziehung
Normenketten:
AO § 169 Abs. 2 S. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7
Leitsätze:
1. Ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht im Besteuerungsverfahren nicht. Es gibt daher auch kein allgemeines steuerrechtliches Verwertungsverbot aufgrund einer „Verletzung der steuerrechtlichen Pflichten bei der Informationsgewinnung“. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren stehen grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander. (Rn. 76) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass der Vater der Klägerin in den Streitjahren höhere Zinsen erhalten hat, als in den Steuererklärungen angegeben, war das Finanzamt nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zur Änderung berechtigt. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Steuerhinterziehung, Zinsen, Kapitalerträge, Festsetzungsverjährung, Steuerstrafverfahren, Verwertungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2021, 32723
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1
Streitig ist Höhe der in den Streitjahren von dem verstorbenen Vater der Klägerin bezogenen Zinsen aus der Ausreichung von Darlehen an die X GmbH & Co. KG (im folgenden X KG).
2
Die Eltern der Klägerin wurden beim beklagten Finanzamt für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Vater der Klägerin (geb. 1927, verst. 2018) bezog im Wesentlichen Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Kapitalvermögen sowie Renteneinkünfte. Die Mutter der Klägerin bezog teilweise ebenfalls Einkünfte aus Kapitalvermögen.
3
Die Eltern der Klägerin gaben ihre unter Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten erstellten Steuererklärungen für die Streitjahre jeweils im Jahr nach Ablauf des Veranlagungszeitraums ab. In allen Steuererklärungen erklärte der Vater der Klägerin 15.000 € an Kapitalerträgen, die nicht dem Steuerabzug unterlegen hätten. In den Anlagen/Aufstellungen ist zu diesen Erträgen vermerkt: „Darlehen D“ bzw. „Privatdarlehen D“.
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Das Finanzamt folgte den Steuererklärungen und setzte die Steuern wie folgt fest:
Jahr
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Bescheid vom
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Festgesetzte Steuer
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2009
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23.08.2010
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6.635 €
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Teilweise vorläufig, § 165 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO)
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2009
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27.09.2010
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5.052 €
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Antragsgemäße Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, weiterhin vorläufig
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2010
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26.07.2011
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3.641 €
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Teilweise vorläufig, § 165 Abs. 1 Satz 2 AO
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2011
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13.07.2012
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3.712 €
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Teilweise vorläufig, § 165 Abs. 1 Satz 2 AO
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2012
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17.06.2013
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4.763 €
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Teilweise vorläufig, § 165 Abs. 1 Satz 2 AO
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5
Aufgrund Feststellungen der Fahndungsprüfung im Zusammenhang mit ausgereichten Darlehen an die X KG kam der zuständige Prüfer hinsichtlich der Eltern der Klägerin zu dem Ergebnis, dass die Zinseinkünfte nicht vollständig erklärt worden seien, sondern u. a. in den Streitjahren die Kapitaleinkünfte um jeweils 5.000 € zu erhöhen seien.
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Das Finanzamt folgte dieser Auffassung und erließ am 31.08.2018 jeweils nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen die Steuer für 2009 auf 6.418 €, für 2010 auf 4.967 €, für 2011 auf 5.040 € und für 2012 auf 6.113 € heraufgesetzt wurde. Die Bescheide wurden gegenüber der Mutter der Klägerin gleichzeitig als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Mannes bekanntgegeben und enthielten den Erläuterungstext: „Die Änderungen ergeben sich aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung bezüglich ihrer Zinseinnahmen von der X GmbH & Co. KG. Auf die Schreiben der Steuerfahndung vom 20.12.2017 wird insoweit verwiesen.“
7
Gegen diese Änderungsbescheide ebenso wie gegen die geänderten Bescheide für 2006, 2013 und 2015 legte die Mutter der Klägerin, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, Einsprüche ein, die wie folgt begründet wurden:
8
Die geänderten Bescheide seien nichtig, da die auf den Vertreter lautende Empfangsvollmacht nicht beachtet worden sei. Es handele sich um eine rechtswidrige Schätzung von Einkünften. Es gebe zu den Darlehensverträgen mehrere Entwürfe; welcher zum Tragen gekommen sei, sei offen; vermutlich habe es mündliche Absprachen zwischen dem Vater der Klägerin und der X KG gegeben. Die „wertlosen“ Entwürfe der Darlehensverträge seien als Nachweis ungeeignet. Welche Konditionen vereinbart worden seien, könne offenbleiben, da nur tatsächliche Einnahmen zu versteuern seien. Aufzeichnungen zu den Einnahmen auf Klägerseite gäbe es nicht. Eine Anmahnung von rückständigen Zinsen habe es mangels Rückstand nicht gegeben. Die Fragestellung des Finanzamts lasse möglicherweise auf Befangenheit schließen. Der Ansatz von höheren Zinseinnahmen entspringe dem Wunschdenken der Steuerfahndung, die sich nicht scheue, vorsätzlich falsche Angaben zu machen, um die Nachversteuerung auszulösen. Man verunglimpfe das Ansehen des Vaters der Klägerin und habe dessen Gesundheit gefährdet. Die Klägerseite halte das Vorgehen der Finanzverwaltung für willkürlich und im Ergebnis rechtsbeugend. Die vorliegenden Unterlagen würden einen Zahlungsfluss nicht belegen; der Vater der Klägerin habe die „vermuteten“ Einnahmen nicht erzielt. Die vom Finanzamt in Aussicht gestellte Teilabhilfe durch Verminderung der Zinsen auf 18.000 € sei zur Erledigung des Verfahren nicht geeignet.
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Das Finanzamt wies im Laufe des Verwaltungsverfahrens darauf hin, dass die Empfangsvollmacht nur für das Strafverfahren gegolten habe. Die Bescheide seien dementsprechend zutreffend der Mutter der Klägerin bekanntgegeben worden. Der Vater der Klägerin habe mit der Firma X KG am 23.06.2006 und am 18.03.2008 Darlehensverträge abgeschlossen, in denen eine Verzinsung von 10% jährlich bei vierteljährlicher Auszahlung vereinbart gewesen sei. Bei den aufgefundenen Darlehensverträgen handele es sich nicht um Entwürfe, sondern um die jeweiligen Ausfertigungen des X bzw. des Vaters der Klägerin. Zinsen seien in den Streitjahren bar ausgezahlt und nicht in voller Höhe versteuert worden. Entsprechend der Feststellungen der Fahndungsprüfung ergebe sich aus bei der X KG aufgefundenen Notizen die Höhe der erhaltenen Zinsen und auch, dass 25% der Zinsen „schwarz“ ausbezahlt worden seien. Bestätigt würden die Zinszahlungen auch durch das Vernehmungsprotokoll des Vaters der Klägerin vom 21.06.2016 durch die Kriminalpolizei, der diese im Wesentlichen so angegeben habe. Ein Verwertungsverbot hinsichtlich dieser Aussage bestehe nicht. Die Ermittlungsakte habe sowohl dem Prozessbevollmächtigten als auch dem Verteidiger zur Verfügung gestanden.
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Nachdem der Vater der Klägerin im Rahmen der Vernehmung angegeben habe, auf den Vertrag vom 18.03.2008 nur 8.000 € jährlich an Zinsen erhalten zu haben, werde man jedoch die jährlichen Zinseinnahmen aus den Darlehen auf 18.000 € reduzieren und entsprechend die Steuern herabsetzen.
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Mit Bescheiden vom 26.08.2019 setzte das Finanzamt die Steuer für 2009 auf 5.864 € für 2010 auf 4.413 €, für 2011 auf 4.486 € und für 2012 auf 5.565 € herab. Anschließend bat es die Klägerseite erfolglos um Rücknahme der Einsprüche und wies mit zusammengefasster Einspruchsentscheidung vom 26.09.2019 die Einsprüche dann als unbegründet zurück. Die Vorläufigkeiten wurden an den aktuellen Vorläufigkeitskatalog angepasst (§ 165 Abs. 1 Satz 2 AO).
12
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Änderungsbescheide vom 31.08.2018 wirksam bekanntgegeben worden seien, da eine Empfangsvollmacht des Prozessbevollmächtigten nur beschränkt auf das Strafverfahren vorgelegen habe.
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Bei den Darlehensverträgen handele es sich nicht um „Entwürfe“. Ein Exemplar des Vertrages vom 23.06.2006 sei bei der Durchsuchung der X KG aufgefunden worden und ein weiteres Exemplar vom Vater der Klägerin im Rahmen der Vernehmung am 21.06.2016 eingereicht worden. Dabei habe er auch erklärt, die Zinszahlungen für diesen Vertrag pünktlich erhalten zu haben. Den Vertrag vom 18.03.2008 habe man ebenfalls bei der Durchsuchung der Firma X KG aufgefunden; der Vater der Klägerin habe die Richtigkeit des Vertrages bei der Vernehmung bestätigt. Allerdings habe er angegeben, hier stets nur 2.000 € an Zinsen erhalten zu haben. Daher habe das Finanzamt die Änderungsbescheide erlassen, in denen die Zinseinkünfte nur noch mit 18.000 € pro Jahr angesetzt worden seien.
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Ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Aussage von C sehe das Finanzamt nicht. So führe nach der BFH-Rechtsprechung selbst eine Verletzung von Belehrungspflichten nicht zu einem Beweisverwertungsverbot im Besteuerungsverfahren. Im Übrigen sei der Vater der Klägerin bei der Vernehmung ordnungsgemäß belehrt worden.
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Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Mutter der Klägerin im eigenen Namen und als Gesamtrechtsnachfolgerin nach C, vertreten durch die Generalbevollmächtigte A, diese wiederum vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, am 28.10.2019 Klage erhoben.
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Frau B ist am 07.09.2020 verstorben. Ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (§ 115 Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 246 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)) wurde nicht gestellt. Laut vom Finanzamt übermittelter Auskunft des Nachlassgerichts vom 23.11.2020 ist Frau A Alleinerbin ihrer Mutter B geworden.
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Zur Begründung der Klage ist im Wesentlichen vorgetragen, dass das Finanzamt die Zinseinnahmen rechtswidrig auf 18.000 € jährlich geschätzt habe. Tatsächlich hätten die Zinseinnahmen in den Streitjahren 2009 bis 2011 jedoch nur 15.000 € bzw. im Jahr 2012 nur 10.000 € betragen. Das Finanzamt begründe seine Schätzung damit, dass der damals eher verwirrte, knapp 90-Jährige und zwischenzeitlich Verstorbene in einer (rechtwidrigen) polizeilichen Vernehmung ausgesagt habe, er habe von D vierteljährlich 2.000 € in bar, in Form von jeweils vier fünfhundert Euroscheinen erhalten. Diese Aussage des verwirrten Verstorbenen sei frei erfunden gewesen. Nach Kenntnisstand der Klägerseite habe der Vater der Klägerin ein einziges Mal einen Betrag in Höhe von 2.000 € zusammen mit einem weiteren Betrag in Höhe von 3.000 € erhalten. Die Aussage des Vaters der Klägerin sei vermutlich deswegen erfolgt, um seinen Freund und Jagdkollegen D zu decken, gegen den eine Strafverfahren wegen Betruges (Darlehensversprechen gegen hohe Zinsen, im Schneeballverfahren), obwohl er selbst auch geschädigt worden sei. Nachdem der Verstorbene die behaupteten Mehreinnahmen mangels Einnahme nicht habe widerlegen können, sei es dem beklagten Finanzamt zuzumuten gewesen, bei dem Schuldner die tatsachlich geleisteten Zinszahlungen anzufragen. Auch habe das Finanzamt es unterlassen, den Insolvenzverwalter um Auskunft zu den tatsächlichen Zinszahlungen aufzufordern. Obwohl die gegen die Kläger eingeleiteten Strafverfahren hätten eingestellt werden müssen, habe das Finanzamt eine Strafschätzung vorgenommen, um einen finanziellen Erfolg zu erzielen. Vor dem Hintergrund, dass die Mutter der Klägerin zwischenzeitlich im Pflegeheim untergebracht sei, habe man nicht mit einem Rechtsmittel gerechnet. Zum Nachweis der Zinszahlungen an den Kläger sei auf die Akten des ehemaligen Insolvenzverwalters Rechtsanwalt E zu verweisen, der nach Kenntnisstand der Klägerseite über Daten der Zinszahlungen in 2012 bis 2015 verfüge. Allerdings sei E inzwischen wegen „Unstimmigkeiten“ als Insolvenzverwalter abberufen worden.
18
Dem Klägervertreter liege die Kopie einer undatierten Seite aus einem Schreiben des E an die Rechtsnachfolger von C im Zusammenhang mit einer insolvenzrechtlichen Rückforderung der gezahlten Zinsen vor; dort seien Zinszahlungen für 2012 wie folgt aufgelistet:
„5000,00 EUR am 09.02.2012
5000,00 EUR am 28.09.2012
3000,00 EUR am 14.01.2013
2000,00 EUR am 14.01.2013“
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Hierbei sei auch auf den verminderten Betrag in Höhe von ca. 170.000 € hinzuweisen, der zur Insolvenztabelle festgestellt worden sei.
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Der Klägervertreter beantrage die Zeugeneinvernahme des Rechtsanwalts E zum Beweis der Tatsache, dass C im Jahr 2012 nur 10.000 € an Zinsen erhalten habe.
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Die vom Finanzamt behaupteten Darlehensverträge seien als Beweis völlig untauglich, weil sie nie wirksam geworden seien. So sei die Mutter der Klägerin weder über die Verträge informiert worden noch habe sie diese unterzeichnet, obwohl sie als Darlehensgeberin mit aufgeführt sei.
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Naheliegender sei, dass die tatsächlichen Darlehensabsprachen nachfolgend zwischen C und D an dessen finanzielle Verhältnisse angepasst worden seien.
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Weiter beantrage der Klägervertreter, die Mitarbeiter der Finanzbehörden Steuerfahnder F, G sowie den/die Rechtsbehelfstellenbearbeiter/in als Zeugen zu vernehmen, um zu klären, auf welcher Basis diese jeweils ihre Überzeugung zur Höhe der von C bezogenen Zinsen gebildet hätten. So sei anhand der Formulierung der Angaben des F zu vermuten, dass der Fahndung weitere Unterlagen über die Ermittlungsakte hinaus vorlägen, aus der sich die Höhe der ausgezahlten Zinsen ergäbe.
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Der Klägervertreter schlage zur Erledigung des Verfahrens letztlich vor, dass das Finanzamt die Zinsen aus Darlehen für die Jahre 2009 bis 2011 mit jeweils 15.000 € und für 2012 mit 10.000 € ansetze und die Kosten des Verfahrens übernehme.
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Der Prozessbevollmächtigte beantragt, den F aufzufordern, sich dazu zu erklären, welche sichergestellten Unterlagen über die Höhe der ausgezahlten Zinsen vorliegen und die Belege vorzulegen. Weiter beantragt er, G zu befragen, auf welcher Grundlage er die Zuweisung von 20.000 € Zinsen nur als Schlussfolgerung bezeichnet (Schreiben vom 05.10.2018).
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Der Klägervertreter beantragt, die Aufhebung der geänderten Bescheide vom 31.08.2018, vom 26.08.2019 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 26.09.2019. Weiterhin beantragt er für den Fall des Unterliegens die Zulassung der Revision.
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Der Vertreter des beklagten Finanzamtes beantragt, die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung hat es zunächst vorgebracht, dass es sich bei dem Zinsbetrag in Höhe von 10.000 € für 2012 wohl um einen Schreibfehler handele, da für dieses Streitjahr ebenfalls ein Betrag in Höhe von 15.000 erklärt worden sei. Weiter hat das Finanzamt ausgeführt, dass den Ehegatten B und C mit Schreiben vom 20.12.2017 mitgeteilt worden sei, dass im Rahmen der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. §§ 90 ff. AO) und eines am 20.12.2017 eingeleiteten Strafverfahrens festgestellt worden sei, dass die Ehegatten höhere Zinseinkünfte als erklärt aus den Darlehensverträgen mit der X KG bezogen hätten. Aufgrund der vorliegenden Darlehensverträge vom 23.03.2006 und 18.03.2008 über jeweils 100.000 € seien entsprechend dem abschließenden Aktenvermerk der Steuerfahndung vom 17.07.2018 am 31.08.2018 Änderungsbescheide erlassen worden, in denen die Kapitalerträge der Eltern der Klägerin in den Streitjahren um jeweils 5.000 € erhöht worden seien. Aufgrund der Angaben des Vaters der Klägerin im Vernehmungsprotokoll vom 21.06.2016, dass dieser nur 2.000 € vierteljährlich erhalten habe, seien im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens geänderte Bescheide erlassen worden, in denen dann nur noch ein Ansatz der strittigen Zinseinkünfte mit 18.000 € erfolgt sei. Es bestehe nach Auffassung des Finanzamts im Besteuerungsverfahren kein Verwertungsverbot für diese Zeugenaussage.
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Die Klägerseite sei bereits im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens ergebnislos aufgefordert worden, die Unterlagen und Aufzeichnungen vorzulegen, die den Erklärungsangaben zugrunde gelegt worden seien. Ebenso seien die Insolvenzverwalter erfolglos um nähere Auskunft gebeten worden.
30
In Hinblick auf die im Klageverfahren nach Auskunftsersuchen des Gerichts vorgelegten bzw. durch das Gericht überlassenen Unterlagen (Aktenvermerk mit Anlagen) des Insolvenzverwalters H hat das Finanzamt darauf hingewiesen, dass die Darlehensverträge Grundlage der Forderungsanmeldung gewesen und die Zahlung der Darlehensbeträge per Kontoauszug nachgewiesen seien. Mit Bekanntwerden der Insolvenz seien die Verträge gekündigt worden. Nach Auffassung des Finanzamts zeige dies, dass die Verträge ernsthaft gewollt und tatsächlich durchgeführt worden seien. Mit der Forderungsanmeldung vom 14.12.2015 seien die vertraglich vereinbarten Zinsen in Höhe von 5.000 € ab dem 01.10.2015 mit angemeldet worden. Zinsbeträge aus vorangegangenen Zinsperioden seien nicht geltend gemacht worden.
31
Aus den vorgelegten Kassenaufzeichnungen ließen sich nur einzelne Zinszahlungen entnehmen; die vom Klägervertreter genannte Zinszahlung vom 28.09.2012 lasse sich den Unterlagen nicht entnehmen.
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Aus diesen Gründen sei es aus Sicht des Beklagten nicht auszuschließen, dass die Zinszahlungen in den Streitjahren sogar vertragsgemäß erfolgt seien.
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Neben B und C ist D ebenfalls verstorben.
34
Mit Schreiben vom 13.10.2020 hat die zuständige Berichterstatterin nach Anhörung der Beteiligten den Insolvenzverwalter des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der X KG, Rechtsanwalt H, um umfassende Auskunft zu den Darlehensverhältnissen zwischen den Eheleuten B und C und der X KG und den Zinszahlungen im Streitzeitraum gebeten. Auf die Einzelheiten des Auskunftsersuchens wird insoweit verwiesen. Der Insolvenzverwalter hat zunächst lediglich die Unterlagen im Zusammenhang mit der Forderungsanmeldung der Eheleute B und C vorgelegt. Danach meldete C am 14.12.2015 eine Forderung in Höhe von 200.000 € zuzüglich 5.000 € Zinsen (ab 01.10.2015) an. Dem damaligen Insolvenzverwalter E wurden die Darlehensverträge und Zahlungsnachweise über die Darlehenssummen sowie die Kündigungen der Verträge vom 24.11.2015 vorgelegt. Mit Schreiben vom 09.01.2020 teilte der Insolvenzverwalter H dem Insolvenzgericht mit, dass die Forderung des C in Höhe von 170.304,16 € anerkannt werde. Bestritten blieben 34.695,94 €.
35
Auf erneute Anforderung hat H dem Gericht Buchführungsunterlagen der X KG für die Zeiträume 2011 und 2012 bzw. 2011 - 2015 zur Verfügung gestellt, die von der Berichterstatterin auf die Verzeichnung von Zahlungen an C geprüft worden sind. Soweit Zahlungen an C aufgezeichnet bzw. Zahlungen ohne Zuordnungsmöglichkeit festgestellt worden sind, sind die Unterlagen und der von Berichterstatterin gefertigte Aktenvermerk zur Aktensichtung den Beteiligten zugänglich gemacht worden.
36
Wegen der Einzelheiten wird auf den den Beteiligten am 01.04.2021 übersandten Aktenvermerk verwiesen, wobei es zur Kopie Nr. 4 (Kassenbuch vom 05.10.2011 mit Ausgabebuchung mit Namen C) im Aktenvermerk richtig „5.000,00“ heißen muss.
37
Mit Beweisbeschluss vom 19.07.2021 hat der Senat beschlossen, Herrn Rechtsanwalt E zum Thema „Vereinnahmung eines Betrages in Höhe von 10.000 € als Zinsen aus den Darlehen X im Jahr 2012 durch C“ als Zeugen zu vernehmen. Der Zeuge wurde in der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz vernommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
38
Aus den Akten ist noch ersichtlich, dass in 2006 keine Zinseinkünfte aus Privatdarlehen erklärt wurden. Im Jahr 2007 wurden Zinsen aus Privatdarlehen (i. S. „D“ lt. Aufstellungen) in Höhe von 10.000 € und im Jahr 2008 in Höhe von 15.000 erklärt. Weitere Unterlagen zu diesen Zinseinkünften befinden sich nicht bei den Akten.
39
In der vom Finanzamt überlassenen Ermittlungsakte, die dem Klägervertreter (Blätter 1-66) bereits zur Verfügung stand, befinden sich u. a. verschiedene Kopien der Darlehensverträge vom 23.06.2006 und 18.03.2008. Eine Kopie („Kopie aus Ordner 1.23“) ist versehen mit einem handschriftlichen Notizzettel „Zinsen in bar für C“. Zwei weitere Kopien („Kopien aus Ordner 2.18“) liegen über handschriftliche Notizen vor, die folgenden Inhalt haben:
„C u. B Vertrag vom 23.6.06
100.000,- € Zinsen pro Quartal 2.500,- €
„C + B Vertrag vom 18.3.08
100.000,- € Zinsen pro Quartal 2.500,-
C möchte nur noch 50.000,- offiziell
50.000,- will er Geld schwarz Deshalb Scheinvertrag mit Frau ? (Anmerkung des Gerichts: schlecht lesbar ev. auch „Tom“) oder mir machen. Wie Zinszahlung?“
40
In der Ermittlungsakte befindet sich auch eine von E stammende Auflistung über Namen, ausgereichte Darlehenssummen und wohl Vertragsdaten. Bis auf ein (das älteste) Darlehen ist bei allen anderen ein Zinssatz von 10% vermerkt.
41
Weiter enthält die Ermittlungsakte das vom Finanzamt bereits im Klageverfahren vorgelegte Vernehmungsprotokoll vom 21.06.2016 über die Vernehmung der Eheleute B und C durch Kriminalpolizei als Zeugen im Ermittlungsverfahren gegen die ehemaligen Geschäftsführer der X KG. C gab hier u. a. an, die Familie D bereits langjährig zu kennen. Mit Unternehmensaufgabe im Alter von 75 Jahren habe C seine leerstehenden Firmenräumlichkeiten an D vermietet. Die Eheleute seien mit D per „Du“ gewesen und auch gemeinsam in Urlaub gefahren. Nachdem die Mietzahlungen seit März 2014 ausgeblieben seien, habe D den C stets vertröstet. Im November 2015 habe man dann einen Anwalt eingeschaltet.
42
Zu den Darlehensverträgen sei es gekommen, weil D von dieser Anlagemöglichkeit erzählt habe. So habe man zunächst den Vertrag vom 23.06.2006 abgeschlossen. Laut Protokoll wurde der Vertrag in der Vernehmung von C vorgelegt. Der Darlehensbetrag sei überwiesen und die Zinsen (Anmerkung des Gerichts: bezogen auf den Streitzeitraum) in Höhe von 10% jährlich vierteljährlich an C von D ausgezahlt worden.
43
Nachdem die Bedingungen eingehalten worden seien, habe sich C entschlossen, den Darlehensvertrag vom 18.03.2008 zu den gleichen Bedingungen wie den vorherigen Vertrag abzuschließen. Auch dieser Darlehensbetrag sei von C überwiesen worden und auch diese Zinsen habe er von D in bar erhalten.
44
Auf konkrete Frage der vernehmenden Person, dass sich aus sichergestellten Unterlagen ergäbe, dass die sich aus dem Vertrag vom 18.03.2008 ergebenden Zinsen in Höhe von 2.500 € in bar ausbezahlt worden seien, antwortete C, dass D vierteljährlich 2.000 € in bar gegeben hätte. Es seien immer vier 500-€-Scheine gewesen.
45
Die letzte Zinszahlung habe er im Jahr 2015 bekommen. Er habe den Eindruck, dass er im Gegensatz zu anderen Gläubigern noch verhältnismäßig lange Zinsen bekommen habe.
46
In der Vernehmung wurde C (nach Belehrung, dass er sich in Hinblick auf einen möglichen Tatverdacht der Steuerhinterziehung als Beschuldigter nicht äußern müsse) auf die handschriftliche Notiz zur „Schwarzanlage“ in Höhe von 50.000 € angesprochen. Er machte hierzu keine Angaben und erklärte auch, ziemlich erschöpft zu sein. Die Vernehmung wurde daraufhin beendet.
47
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, die dem Gericht überlassenen Akten (Einkommensteuerakten 2006 bis 2008, 2009 bis 2012, Rechtsbehelfsakten zum Einspruchs- und AdV-Verfahren, Ermittlungsakte) sowie die Sitzungsniederschrift vom 28.07.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
48
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
49
1. Der Senat hat in zulässiger Weise den Zeugen E im Rahmen der mündlichen Verhandlung per Videokonferenz vernommen.
50
a) Das Gericht kann nach § 91a Abs. 2 Satz 1 FGO auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder ein Beteiligter während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen (§ 91a Abs. 2 Satz 2 FGO).
51
Die Gestattung einer Beweiserhebung durch Videokonferenz liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BT-Drucksache 17/1224 Seiten 7 und 10; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 5; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 91a FGO Rz. 53; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 32). Maßstab für die Ermessensentscheidung ist, der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 76. Abs. 1 Satz 1 FGO) Genüge zu tun. Daher steht mit Blick auf die materielle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme die Frage nach der Wahl des sachnächsten, unmittelbarsten und mithin bestmöglichen Beweismittels im Zentrum der Ermessensbildung; vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass trotz guter technischer Ausstattung mit einer „Fernvernehmung“ stets auch ein gewisser Verlust an Authentizität der Aussage - insbesondere hinsichtlich des persönlichen Eindrucks des Zeugen - verbunden sein kann (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 53; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, § 91a Rz. 33f). Im Rahmen der Ermessensausübung sind daher Aspekte der Verfahrensökonomie gegen solche, die die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gewährleisten, abzuwägen.
52
b) Im Streitfall teilte der Zeuge im Rahmen eines Telefongesprächs am Tag vor der mündlichen Verhandlung am 27.07.2021 mit, dass er schwer erkältet, jedoch ein Corona-Schnelltest negativ geblieben sei. Er beantragte die Vernehmung per Videoübertragung und wies darauf hin, dass ihm dies auch bei seinem gesundheitlichen Zustand möglich sein werde. Zudem habe er darin bereits Erfahrung. Mit Schreiben vom 28.07.2021 wurde dann der schriftliche Antrag nachgeholt.
53
Nach Beratung der drei Berufsrichter entschied der Senat am 27.07.2021, den Termin nicht zu verlegen und den Zeugen im Rahmen einer Videokonferenz zu vernehmen. Wegen der anhaltenden Covid 19 Lage bestand nach Auffassung des Senats bei einem persönlichen Erscheinen des Zeugen das Risiko einer Gesundheitsgefährdung der Teilnehmer an der mündlichen Verhandlung und von Gerichtsbediensteten. Im Streitfall hat der Senat im Rahmen der Ermessensausübung weiter berücksichtigt, dass der Zeuge wegen der gesundheitlichen Probleme nur schwer an der mündlichen Verhandlung in Nürnberg mit einer zu erwartenden Fahrtzeit von einfach 2 ½ Stunden teilnehmen werde können. Der Zeuge ist Rechtsanwalt und nimmt am Übermittlungssystem BEA teil. Schriftstücke können dem Zeugen daher auf sicherem Weg vorgelegt werden. Weiter war für die Entscheidung von Bedeutung, dass nach Einschätzung des Senats die vom Zeugen als ehemaligem Insolvenzverwalter zu erwartende Aussage nach seinen bereits vorliegenden schriftlichen Angaben nicht von überragenden Gewicht für das Verfahren erschien. Der unmittelbare persönliche Eindruck des Zeugen war nach Einschätzung des Senats auch aufgrund der Tatsache, dass der Zeuge nur beruflich in seiner Funktion als Insolvenzverwalter mit der Angelegenheit befasst war, daher von nicht so hohem Stellenwert.
54
Die Entscheidung des Senats vom 27.07.2021 wurde den Beteiligten mit Schreiben der Geschäftsstelle am gleichen Tag mitgeteilt.
55
c) Der vom Gericht angeordneten Vernehmung per Videoübertragung stand auch nicht das fehlende Einverständnis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen. Die Beweiserhebung bedarf nicht des Einverständnisses aller Beteiligten. Anders als § 93a Abs. 1 Satz 1 FGO a. F. setzt § 91a Abs. 2 Satz 1 FGO das Einverständnis aller Beteiligten nicht voraus (so auch Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 53; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91a FGO Rz. 5; Niewerth in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 91a FGO Rn. 9). Zwar hat der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung gerügt, dass er den Zeugen nicht bei persönlicher Anwesenheit habe befragen und seine Aufzeichnungen vorlegen können. Andererseits hat er aber den Zeugen ausführlich befragt und bestätigt, dass er alles gut verstanden habe. Zudem hat er nicht dargelegt, welche Aufzeichnungen er dem Zeugen - über die diesem bereits mit Fax vom 27.07.2021 vorab übermittelten Unterlagen hinaus - bei dessen persönlicher Anwesenheit vorgelegt hätte.
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2. Der Senat konnte ohne Einvernahme der vom Prozessbevollmächtigten benannten weiteren Zeugen entscheiden.
57
a) Der Senat hat dadurch weder die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht noch die Grundsätze zur Beweiserhebung nach § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO verletzt. Die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO erfordert, dass das Gericht Tatsachen und Beweismitteln nachgeht, die sich ihm in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls hätten aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 27.07.2016 V B 4/16, BFH/NV 2016, 1740). Es darf substantiierte Beweisanträge, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt betreffen, grundsätzlich weder ablehnen noch übergehen (BFH-Beschluss vom 15.12.2016 VI B 50/16, BFH/NV 2017, 598). Demgegenüber muss es unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachgehen; eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist darin nicht zu sehen. Ein Beweisantrag ist unsubstantiiert, wenn er nicht angibt, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll (BFH-Beschluss vom 15.11.2017 I B 27/17, BFH/NV 2018, 542; Gräber/Herbert, FGO 9. Aufl., § 76 Rn 32).
58
b) Nach diesen Grundsätzen musste das Gericht den Beweisanträgen des Klägervertreters nicht entsprechen. Denn auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Beurteilung des Senats war die Frage, auf welcher Grundlage G im Schreiben vom 05.10.2018 die Zuweisung von 20.000 € Zinsen nur als Schlussfolgerung bezeichnet hat und welche Unterlagen F sichergestellt oder vorliegen hatte, nicht entscheidungserheblich. Grundlage der Entscheidung sind die im Verfahren vorliegenden (und in der Ermittlungsakte enthaltenen) Unterlagen. Der Prozessbevollmächtigte hat nicht geltend gemacht, welche konkrete Tatsache durch welches Beweismittel nachgewiesen werden soll.
59
3. Klägerin im Verfahren ist nunmehr Frau A.
60
a) Mit dem Tod einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über (§ 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO gehen bei der Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Nach ständiger Rechtsprechung tritt danach der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in einem umfassenden Sinne sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein. Ausgenommen davon sind lediglich höchstpersönliche Verhältnisse und unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verknüpfte Umstände (z.B. BFH-Urteil vom 15.06.2011 XI R 10/11, BFH/NV 2011, 1722 m. w. N.). Zur Fortführung des vom Erblassers angestrengten Klageverfahrens ist nur der Rechtsnachfolger befugt; er besitzt die notwendige Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis.
61
b) Im Streitfall hatte in zutreffender Weise die Mutter der Klägerin in eigenem Namen geklagt, da die Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2012 als zusammengefasste Bescheide auch ihr gegenüber ergangen sind, und zugleich als Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Mann. Die Klägerin wiederum ist als Alleinerbin und Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer während des Klageverfahrens verstorbenen Mutter in deren verfahrensrechtliche Position nachgerückt.
62
Das Verfahren musste im Streitfall nicht unterbrochen (und gegebenenfalls von A wieder aufgenommen) werden, da die verstorbene Klägerin durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war. Nach § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 239 Abs. 1 ZPO tritt im Falle des Todes einer Partei eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu Aufnahme des Prozesses durch Rechtsnachfolger ein. Dies gilt allerdings nicht, wenn im Todesfall eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfindet (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. § 246 Abs. 1 ZPO). Der Prozess ist dann lediglich bei entsprechendem Antrag des Prozessbevollmächtigten auszusetzen. Im Streitfall war die verstorbene Mutter der Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten. Dieser hat trotz Hinweises des Gerichts eine Aussetzung des Verfahrens nicht beantragt, so dass das Verfahren ohne weiteres fortgeführt werden konnte.
63
4. Die Klage ist unbegründet, da das Finanzamt die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2012 zu Recht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert hat. Nach Überzeugung des Senats hat der Vater der Klägerin in den Streitjahren 2009 bis 2012 aus den Darlehensverträgen mit der X KG jedenfalls Zinsen in Höhe von 18.000 € jährlich erhalten. Ebenso überzeugt ist der Senat davon, dass dem Kläger in Bezug auf die unvollständig erklärten Zinseinnahmen Steuerhinterziehung vorzuwerfen ist und damit der Änderung Festsetzungsverjährung nicht entgegenstand.
64
a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
65
Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Dabei kann es sich um einzelne Tatsachen aber auch um eine Summe von Tatsachen handeln, die ihrerseits den Sachverhalt ausmachen, der unter das Gesetz subsumiert wird (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 2 m. w. N.). Keine Tatsachen sind dagegen rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen oder eine geänderte Rechtsauffassung. Vermutungen, Verdachtsmomente und Wahrscheinlichkeiten sind keine Tatsachen. Eine Tatsache besteht erst, wenn über einen Lebensvorgang Gewissheit herrscht (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 3 m. w. N.).
66
Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen (BFH-Urteil vom 20.12.1988 VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585). Nachträglich entstandene Beweismittel fallen weder unter § 173 AO noch unter § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO und ermöglichen keine Korrektur (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, zu § 173 AO Rz. 24, 27).
67
Die neue Tatsache bzw. das Beweismittel müssen zu einer höheren bzw. niedrigeren Steuer bzw. Steuervergütung führen, also rechtserheblich sein. Rechtserheblich sind nachträglich bekannt gewordene Tatsachen und Beweismittel, wenn die Finanzbehörde bei rechtzeitiger Kenntnis einer ihr unbekannt gebliebenen Tatsache schon bei der ursprünglichen Festsetzung zu einem höheren oder niedrigeren steuerlichen Ergebnis gelangt wäre (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 55 m. w. N.).
68
Weiterhin ist erforderlich, dass die zur Änderung führenden Tatsachen dem Amt nachträglich bekannt werden. Neu ist eine Tatsache gemäß § 173 Abs. 1 AO dann, wenn sie dem zuständigen Bediensteten der Behörde beim Abschluss der Willensbildung in Bezug auf den zu ändernden Verwaltungsakt nicht bekannt war.
69
Zwar kann einer Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen der allgemeine Rechtssatz von Treu und Glauben entgegenstehen. Dies gilt aber nur, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann. In Fällen beiderseitiger Pflichtverletzungen scheidet eine Änderungsmöglichkeit nur aus, wenn der Verstoß des Finanzamts deutlich überwiegt(vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 06.02.2013 X B 164/12, BFH/NV 2013, 694 m. w. N.). Die Finanzbehörde braucht eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sie kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen. Sie braucht nicht jeder denkbaren Möglichkeit nachzugehen, sondern nur sich aufdrängenden Zweifeln. Dies gilt insbesondere bei einer unter Mitwirkung eines Steuerberaters angefertigten Steuererklärung (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 65 m. Hinweisen auf die BFH-Rechtsprechung).
70
Im Falle der Unaufklärbarkeit eines Sachverhaltes trägt die Beweislast (objektive Feststellungslast) für eine Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen die Finanzbehörde (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 53 m. w. N.).
71
b) Im Streitfall hat der Senat aufgrund der vorliegenden Unterlagen (insbesondere Darlehensverträge vom 23.06.2006 und 18.03.2008, Vernehmungsprotokoll vom 21.06.2016) und des Gesamtergebnisses des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass der Vater der Klägerin die vertraglich vereinbarten Zinsen auch erhalten hat.
72
(1) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz (EStG) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder das Entgelt von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.
73
Auch wenn Kapital zum Aufbau oder Erhalt eines „Schneeballsystems“ verwendet wird und dem Anleger aus dem Kapital anderer getäuschter Anleger (oder gar aus dem eigenen Kapital des Anlegers) eine „Scheinrendite“ gezahlt wird, liegen Einkünfte aus Kapitalvermögen vor (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 14.12.2004 VIII R 25/02, BStBl II 2005, 739; vom 11.02.2014 VIII R 25/12, BStBl II 2014, 461 m. w. N.).
74
Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) sind i.S. von § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann, was insbesondere bei Barzahlung der Fall ist.
75
(2) Im Streitfall haben der verstorbene Vater der Klägerin und die X KG (vertreten durch D) wirksame Darlehensverträge abgeschlossen und vollzogen. Dass es sich hierbei nur um „Entwürfe“ handeln soll, wie der Prozessbevollmächtigte angibt, überzeugt den Senat nicht. Wie üblich, haben beide Parteien jeweils ein (unterschriebenes) Exemplar der Verträge für ihre Unterlagen erhalten. Der verstorbene Vater der Klägerin selbst hat die Vertragsschlüsse, deren Inhalt und Richtigkeit in seiner Vernehmung bei der Kriminalpolizei am 21.06.2016 bestätigt.
76
Hinsichtlich dieser Aussage besteht kein Beweisverwertungsverbot. Ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht im Besteuerungsverfahren nicht. Es gibt daher auch kein allgemeines steuerrechtliches Verwertungsverbot aufgrund einer „Verletzung der steuerrechtlichen Pflichten bei der Informationsgewinnung“. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren stehen grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander. Die Frage nach einem Verwertungsverbot ist folglich im Steuerstrafverfahren nach strafprozessualen und im Besteuerungsverfahren nach abgabenrechtlichen Vorschriften, ggf. unter Einbeziehung vorrangiger Verfassungsgrundsätze, zu beantworten. Im Besteuerungsverfahren bleibt der (möglicherweise) einer Straftat Verdächtigte sogar nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens rechtlich zur (wahrheitsgemäßen) Mitwirkung verpflichtet (BFH-Urteil vom 23.01.2002 - XI R 10, 11/01, BStBl II 2002, 328). Selbst das Unterlassen einer Belehrung nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO führt nicht zu einem Verwertungsverbot (Beschluss des BFH vom 30.05.2008 V B 76/07, BFH/NV 2008, 1441).
77
Im Steuerrecht können daher nur eklatante Grundrechtsverstöße ein Verwertungsverbot bewirken, vgl. zutreffend Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 24.11.2020 1 K 395/18, juris - m. w. N). Auch eine Fernwirkung von Verwertungsverboten kommt allenfalls bei qualifizierten, grundrechtsrelevanten Verfahrensverstößen in Betracht (vgl. dazu ausführlich Urteil des BFH vom 04.10.2006 VIII R 53/04, BStBl II 2007, 227 m. w. N.).
78
Im Streitfall wurde der Vater der Klägerin als Zeuge im Strafverfahren eines anderen ordnungsgemäß dahingehend belehrt, dass er die Auskunft auf solche Fragen verweigern könne, die ihn selbst oder einen nahen Angehörigen in die Gefahr bringen könnten, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§§ 52 Abs. 2, 55 Abs. 1 StPO). Er wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass ein Rechtsbeistand anwesend sein könne. Als er zu der Notiz zur möglichen „Schwarzanlage“ befragt werden sollte, die den Verdacht einer Steuerhinterziehung in seiner Person hätte mit sich bringen können, wurde er nochmals als Beschuldigter (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) über seine Rechte belehrt und konnte daraufhin auch die Vernehmung beenden. Der Vater der Klägerin wurde dementsprechend seiner jeweiligen Verfahrensstellung entsprechend ordnungsgemäß belehrt. Jedenfalls sieht der Senat keinen eklatanten Grundrechtsverstoß, der einer Verwertung der Zeugenaussage vom 21.06.2016 entgegenstünde. Ausweislich der Ermittlungsakte wurde das Ermittlungsverfahren der Steuerfahndung gegen die Eheleute B und C erst am 20.12.2017 eingeleitet. Der Kriminalpolizei konnte ohnehin der Inhalt der Steuererklärungen der Eheleute B und C nicht bekannt sein.
79
Der Senat sieht auch keinen Anlass, den wesentlichen Angaben des C im Vernehmungsprotokoll aus anderen Gründen die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Soweit der Klägervertreter anspricht, dass C aufgrund seines Alters „verwirrt“ gewesen sei, ist dies aus dem Protokoll nicht ersichtlich. Die Angaben sind dort im Wesentlichen schlüssig, verhältnismäßig präzise und decken sich mit dem Inhalt der Darlehensverträge. Der Klägervertreter schrieb am 31.08.2018 an den Vorsteher des Finanzamts, dass sich das Ehepaar B und C bis zum Tätigwerden der Finanzverwaltung „bester Gesundheit“ erfreut habe. Die Zeugenvernehmung vom 21.06.2016 fand rund 1 1/2 Jahre vor Aufnahme der Ermittlungen der Steuerfahndung statt.
80
Für die Wirksamkeit und den Vollzug der Darlehensverträge spricht aus Sicht des Senats weiter, dass die Verträge Grundlage der Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren waren. In diesem Zusammenhang wurde auch der Nachweis für die Zahlung der Darlehenssummen geführt. Die Verträge waren daher grundsätzlich ernsthaft gewollt und wurden durchgeführt. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass neue Verträge geschlossen wurden oder die Verträge in irgendeiner Form modifiziert worden wären.
81
(3) Vereinbart war zwischen den Vertragsparteien ein Zinssatz von 10%; die Zinsen sollten vierteljährlich ausgezahlt werden und dies (jedenfalls in den Streitjahren) in bar, wie der Vater der Klägerin selbst in der Vernehmung angegeben hat. Gestützt wird dies zusätzlich noch durch die in der Ermittlungsakte befindlichen Notizen, die zur Überzeugung des Senats im Wesentlichen von D stammen. Die Unterlagen wurden offensichtlich von der Kriminalpolizei bei der X KG sichergestellt und von der bzw. für die Steuerfahndung kopiert. C hat die Tatsache der Barauszahlung in seiner Vernehmung ausdrücklich bestätigt. Auch in den teilweise vorliegenden Buchführungsunterlagen sind nur Barauszahlungen für C verzeichnet.
82
(4) Der Senat hat auch keine Zweifel daran, dass die Zinsen vertragsgemäß gezahlt worden sind. Dies gründet sich zum einen auf die Aussage des C, dass er die Zinsen von D in bar erhalten habe; genauer bestätigt er sogar, dass D die Zinsen pünktlich zum Fälligkeitstermin gebracht habe. Die einzige Ungenauigkeit ist, dass C auf den Vertrag vom 18.03.2008 angesprochen, angab, er habe 2.000 € vierteljährlich erhalten. Unterstellt, dies wäre richtig, müsste C regelmäßig nur 4.500 vierteljährlich an Zinsen erhalten haben (2.500 € aus dem ersten Vertrag und 2.000 € aus dem zweiten Vertrag). Dies wiederspricht aber den teilweise vorhandenen Buchungsunterlagen, die, soweit sie C konkret zuzuordnen sind, regelmäßig Auszahlungen über 5.000 € belegen. Allerdings ergibt sich aus der letzten Zahlung für 2012 lt. Auflistung Klägervertreter und dem auszugsweise vorgelegten Schreiben zur Insolvenzanfechtung vom 11.04.2017, dass diese Zinsen offensichtlich in zwei Beträgen über 3.000 und 2.000 im Januar 2013 ausgezahlt wurden. Eine so - möglicherweise mehrfach vorgenommene - Staffelung könnte die Erinnerung des Vaters der Klägerin erklären. Letztlich kann dies aber offenbleiben, da das Finanzamt vor dem Hintergrund der Angabe des Vaters der Klägerin im Einspruchsverfahren die zugerechneten Zinsen aus dem zweiten Vertrag auf 2.000 € vierteljährlich reduziert hat.
83
Aus der Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle ergibt sich ergänzend, dass insoweit von C selbst rückständige Zinsen für ein Quartal („10% aus 200.000,- seit dem 01.10.2015“) in Höhe von 5.000- € angemeldet wurden; dies spricht nach Auffassung des Senats ebenfalls dafür, dass die vertragsgemäßen Zinsen in Höhe von 10% geschuldet (und bis dahin) gezahlt wurden.
84
Die Hypothese des Klägervertreters, dass C regelmäßig geringere Zinsen als vereinbart erhalten haben soll bzw. dass ein geringerer Zinssatz vereinbart gewesen sein sollte, überzeugt den Senat nicht. Wie sich insbesondere aus der vorliegenden Auflistung des damaligen Insolvenzverwalters der X KG, E, über die erhaltenen Darlehen in der Ermittlungsakte ergibt, wurden fast alle Darlehen regelmäßig mit 10% Zinsen jährlich, fällig jeweils zum Quartal, verzinst. Das ausgerechnet C, der laut eigenen Angaben und den Äußerungen des Klägervertreters mit D gut befreundet war, weniger als alle anderen Gläubiger erhalten haben sollte, ist nicht schlüssig. Auch gibt C in der Vernehmung an, dass er bis ins Jahr 2015 „noch verhältnismäßig lange Zinsen erhalten habe, im Gegensatz zu anderen Gläubigern.“ Demgegenüber konnte er genau berichten, dass die Miete für an D überlassene Räume seit März 2014 rückständig gewesen und deswegen schließlich ein Anwalt eingeschaltet worden sei. Für den Senat ergibt sich daraus, dass an Darlehenszinsen eben keine Rückstände bestanden, was der Klägervertreter ebenfalls so angegeben hat. Wenn es zur Unregelmäßigkeiten bei der Zinszahlung gekommen wäre, hätte C in der Vernehmung dies ebenso offen angegeben, wie die Unregelmäßigkeiten bei den Mietzahlungen. Dass C insoweit bei der Vernehmung gelogen haben sollte, um seinen Freund zu schützen, wie der Klägervertreter vorträgt, überzeugt daher den Senat nicht. Der Vater der Klägerin wurde bei der Vernehmung auf seine Wahrheitspflicht und die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage hingewiesen.
85
Wie sich aus den abschließenden Aktenvermerk der Fahndungsprüfung vom 17.07.2018 ergibt, wurden die Zinsen an die Darlehensgeber bis ins Jahr 2015 weitgehend gezahlt. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen des Senats aus anderen Verfahren im Zusammenhang mit Zinserträgen aus Darlehensverträgen mit der X KG und den den Beteiligten mitgeteilten Erkenntnissen aus den dem Gericht teilweise vorgelegten Buchführungsunterlagen über erfolgte Zinszahlungen auch an Dritte.
86
Soweit der Klägervertreter seine Ansicht auf die Erkenntnisse des Zeugen E als ehemaligem Insolvenzverwalter lt. (auszugsweisen) Schreiben zur Insolvenzanfechtung vom 11.04.2017 stützt, hält der Senat dies nicht für stichhaltig, da dieser angibt, sich auf die Buchhaltungsunterlagen gestützt zu haben. Der Zeuge hat dazu ausgeführt, dass die Buchhaltung, die von einer Firma, die ebenfalls unter dem Einfluss des D stand (“I und D“), erledigt wurde, sehr unübersichtlich gewesen sei. Zur Feststellung der (anfechtbaren) Zinszahlungen sei nur ein von der “I und D“ überlassener Datensatz ausgewertet worden. Die dem Gericht überlassenen Buchführungsunterlagen (Grundaufzeichnungen) für 2011 und 2012 vermitteln ebenfalls kein vollständiges Bild, da z. B. Zinszahlungen nicht namentlich gekennzeichnet wurden, wie den Beteiligten anhand der überlassenen Unterlagen aufgezeigt wurde. So ist z. B. auch die vom Insolvenzverwalter im Anfechtungsschreiben vom 17.04.2012 angegebene Zahlung vom 28.09.2012 über 5.000 € an den Vater der Klägerin aus den vorliegenden Buchungsbelegen und dem Berichtsbuch nicht ersichtlich. Andererseits ergibt sich aus den Buchungsbelegen und dem Berichtsbuch eine Zinszahlung an ihn in Höhe von 5.000 € am 02.04.2012, die offensichtlich im ausgewerteten Datensatz nicht enthalten war. Weiter ergibt sich aus dem - in der Ermittlungsakte enthaltenen - Auszug aus dem Bericht des ehemaligen Insolvenzverwalters, E, dass Darlehensgeschäfte über Privatkonten abgewickelt wurden und „Veruntreuungen buchhalterisch“ kaschiert wurden. Nach seiner damaligen Einschätzung war die Buchführung des X somit nicht ordnungsgemäß. Der Senat hält vor diesem Hintergrund die Feststellungen des ehemaligen Insolvenzverwalters über Zinszahlungen an C im Jahr 2012 anhand der Auswertung eines Datensatzes der “I und D“ nicht für ausreichend aussagekräftig, sondern ist vielmehr aufgrund der weiter vorliegenden Unterlagen davon überzeugt, dass C die vertragsmäßig vereinbarten Zinsen in den Streitjahren auch erhalten hat.
87
c) Da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass der Vater der Klägerin in den Streitjahren, höhere Zinsen erhalten hat, als in den Steuererklärungen angegeben, war das Finanzamt nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zur Änderung berechtigt. Die Tatsache, dass der Vater der Klägerin aus den Darlehensverträgen vom 23.06.2006 und 18.03.2008, jeweils über 100.000 € jeweils 10% jährlich und damit 20.000 € an Zinsen bezogen hatte, war dem Finanzamt neu. Angegeben waren in den Steuererklärungen jeweils nur 15.000 €, so, wie der Vater der Klägerin dies seinem Steuerberater und Prozessbevollmächtigten nach dessen Angaben stets nur mündlich mitgeteilt haben soll. Nach Aktenlage wurden hierzu keine Abrechnungen vorgelegt oder verlangt; auch die Darlehensverträge lagen dem Finanzamt nicht vor und wurden von diesem auch nicht verlangt. Ein Ermittlungsverschulden des Finanzamts sieht der Senat nach den in oben aufgeführten Grundsätzen (Ziffer 4. a) der Urteilsgründe) nicht. Das Amt durfte den Angaben in den Steuererklärungen, die unter Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten und damit eines Steuerberaters erstellt wurden, vertrauen und sie den Veranlagungen zugrunde legen. Gründe für sich aufdrängende Zweifel oder die Erweckung von Misstrauen sind nicht ersichtlich. Da keine Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen geltend gemacht wurde, sondern ausdrücklich angegeben war, dass kein Steuerabzug vorgenommen wurde, bedurfte es auch keiner besonderen Bescheinigungen.
88
d) Der Änderung der Ausgangsbescheide stand auch nicht ein Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen.
89
(1) Nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer grundsätzlich vier Jahre. Soweit eine Steuer hinterzogen worden ist, verlängert sich allerdings die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre und auf fünf Jahre, wenn sie leichtfertig verkürzt worden ist. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres, in dem der Steuerpflichtige die jeweilige Einkommensteuererklärung abgegeben hat. In den Fällen, in denen z. B. die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen beginnen, läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO). Dies gilt entsprechend, wenn dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 2 AO).
90
(2) Eine Steuer ist u.a. dann hinterzogen, wenn der Steuerpflichtige den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Voraussetzung ist, dass die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen. Wie sich aus der Gesetzesüberschrift ergibt, handelt es sich bei § 370 AO um eine Strafvorschrift. Hängt die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides von der Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre und somit vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung ab, müssen die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt sein. Dabei sind die im Steuerrecht vorkommenden Begriffe des Strafrechts materiell-rechtlich wie im Strafrecht zu beurteilen. Dagegen ist die Frage, ob diese Tatbestandsmerkmale tatsächlich erfüllt sind, nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, sondern nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu prüfen, da es sich lediglich um eine strafrechtliche Vorfrage im Rahmen einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids handelt (BFH-Urteil vom 29.10.2013 VIII R 27/10, BStBl II 2014, 295).
91
§ 370 AO ist ein Vorsatzdelikt, wobei sich der erforderliche Tatbestandsvorsatz sich auf die Kurzformel „Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller objektiven Umstände“ bzw. „Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung“ bringen lässt. Vorsätzlich handelt jedenfalls, wer absichtlich handelt (dolus directus ersten Grades) (Krumm, in Tipke/Kruse AO/FGO Kommentar, Lfg. 156, § 370 AO Rz. 123 m. w. N.).
92
Ob die Tat strafrechtlich verfolgt und bestraft worden ist, ist für die Frage des Eintritts der Festsetzungsverjährung ohne Belang, daher können Steuerhinterziehung und leichtfertige Steuerhinterziehung auch nach dem Tod des Täters noch festgestellt werden (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 169 Rz. 25 mit Hinweisen auf die BFH-Rechtsprechung).
93
(3) Nach diesen Grundsätzen ergibt sich, dass für das Jahr 2012 die Änderung des Steuerbescheides uneingeschränkt möglich war. Die Steuererklärung für 2012 wurde im Jahr 2013 abgegeben, damit begann die reguläre Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2013 und endete mit Ablauf des 31.12.2017 (§§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Nach § 171 Abs. 5 AO war der Ablauf der regulären Festsetzungsfrist durch die Maßnahmen der Steuerfahndung (Maßnahmen zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, Einleitung des Strafverfahrens am 20.12.2017) gehemmt. Der Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides am 31.08.2018 war daher uneingeschränkt möglich.
94
Für die Jahre 2009 bis 2011 wären im Jahr 2018 zwar bei Beginn der Fahndungsprüfung die regulären Festsetzungsfristen nach §§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bereits abgelaufen gewesen (für 2009 mit Ablauf des 31.12.2014, für 2010 mit Ablauf des 31.12.2015 und für 2011 mit Ablauf des 31.12.2016). Hinsichtlich dieser Jahre ist der Senat jedoch davon überzeugt, dass der Vater der Klägerin eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen hat und daher die auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gilt. Da der Vater der Klägerin nach Überzeugung des Senats in den Streitjahren tatsächlich jährlich 20.000 € an Zinsen bezogen hat, jedoch in den Steuererklärungen nur den Teilbetrag von 15.000 € erklärt hat, sind die Steuern vom Finanzamt zu niedrig festgesetzt worden. Nach Überzeugung des Senats hat der Vater auch bewusst und gewollt in seinen Steuererklärungen falsche Angaben zur Höhe der tatsächlich erhaltenen Zinsen gemacht, um zu erreichen, dass die Steuer zu niedrig festgesetzt wird. Ihm war die Steuerpflicht und tatsächliche Höhe der Einkünfte bekannt, trotzdem hat er seinem Berater einen niedrigeren Wert genannt und die von diesem gefertigte (unzutreffende) Steuererklärung unterzeichnet. Damit hat er dem gegenüber dem Finanzamt über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO); damit liegen die objektiven und subjektiven Merkmale der Steuerhinterziehung vor. Dass wegen des Todes des C keine strafrechtliche Verurteilung erfolgte, sondern das Verfahren eingestellt wurde, ist für den Eintritt der Rechtsfolge der verlängerten Festsetzungsfrist nach den oben genannten Grundsätzen ohne Belang.
95
Gestützt wird diese - sich schon aus der Tatsache der falschen Angaben in der Steuererklärung ergebende - Überzeugung des Senats auch durch die bei den Darlehensunterlagen zum Vertrag vom 18.03.2008 aufgefundenen Notizen, die sinngemäß ebenfalls Überlegungen dokumentieren, Erträge aus einem Viertel des Gesamtdarlehensbetrags (also 10% von 50.000 €) „schwarz“ zu erhalten. Dies ergibt genau den Betrag in Höhe von 5.000 € jährlich, der in den Steuererklärungen fehlte. Auch die Reaktion des Vaters der Klägerin in der Vernehmung auf die Konfrontation mit der Problematik Steuerhinterziehung wertet der Senat als weiteres Indiz dafür, dass ihm bekannt und bewusst war, was er tat. Nach der erneuten Belehrung hat er die Vernehmung sofort abgebrochen und wollte sich erst mit seinem Anwalt beraten. Wenn an einem solchen Vorwurf aus seiner Sicht „nichts dran“ gewesen wäre, hätte er dies freimütig äußern können.
96
Da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass der Vater der Klägerin in den Streitjahren mindestens die in den Bescheiden vom 26.08.2019 angesetzten Zinseinkünfte aus den Darlehensverträgen mit der X KG in Höhe von 18.000 € erhalten hat und über die tatsächliche Höhe der Zinseinkünfte bewusst und gewollt, falsche Angaben in den Steuererklärungen gemacht hat, war die Klage („nur“) abzuweisen. Eine Verschlechterung der Position des Klägers im Vergleich zum Zustand vor Klageerhebung (reformatio in peius) scheidet im finanzgerichtlichen Verfahren regelmäßig aus.
97
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 Nrn. 1, und 2, FGO genannten Zulassungsgründe gegeben ist.
98
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.