Titel:
Keine Unterbrechung der Dublin-Überstellungsfrist durch Erlass einer einstweiligen Anordnung
Normenketten:
Dublin III-VO Art. 27 Abs. 3, Art. 29
VwGO § 80 Abs. 5, § 123 Abs. 1
Leitsatz:
Ein Beschluss nach § 123 VwGO, mit dem Inhalt, nachdem der zuständigen Ausländerbehörde aufzugeben ist, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen unterbricht nicht die Überstellungsfrist nach der Dublin III-VO. (Rn. 32 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Ablauf der Überstellungsfrist, keine Unterbrechung der Überstellungsfrist durch erfolgreichen Antrag nach § 123 VwGO, Ausgang des Vorlageverfahrens des BVerwG 1 C 52/20 (Az. EuGH C-248/21) kann dahingestellt bleiben, Überstellungsfrist, Unterbrechung, einstweilige Anordnung, VO (EU) 604/2013
Fundstelle:
BeckRS 2021, 29289
Tenor
Es wird festgestellt, dass im Verfahren des Klägers nach der Dublin III-VO die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abgelaufen ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO in seinem Fall abgelaufen ist.
2
Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Die slowakische Botschaft in … erteilte ihm am 23. September 2018 ein Schengen-Visum mit Gültigkeit vom 4. Oktober 2018 bis 31. Oktober 2018. Mit diesem reiste er per Flugzeug über … am 13. Oktober 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 5. November 2018 stellte er dort ein Asylgesuch und am 26. November 2018 einen förmlichen Asylantrag.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) richtete am 30. November 2018 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO an die Slowakei. Die slowakischen Behörden erklärten sich mit Schreiben vom 28. Januar 2019 zur Übernahme des Klägers bereit.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 28. Januar 2019, dem Kläger am 4. Februar 2019 zugstellt, wurde sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2) und seine Abschiebung in die Slowakische Republik angeordnet (Ziffer 3). Unter Ziffer 4 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf drei Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 7. Februar 2019, bei Gericht eingegangen per Fax am selben Tage, Klage gegen diesen Bescheid erheben (AN 14 K 19.50139) und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO (AN 14 S 19.50138) stellen lassen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss vom 20. März 2019 ab.
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Mit Email vom 27. Mai 2019 teilte die Zentrale Ausländerbehörde Schwaben dem Verwaltungsgericht mit, dass der Kläger seit 1. April 2019 unbekannten Aufenthalts sei und am 27. Mai 2019 zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben worden sei. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 27. Mai 2019 mit, dass die 18-monatige Überstellungsfrist gelte, da der Kläger flüchtig sei. Die Überstellungsfrist ende nunmehr mit Ablauf des 20. September 2020.
7
Die damaligen Bevollmächtigten des Klägers teilten dem Verwaltungsgericht mit, dass der Kläger sich in der katholischen Pfarrei … befinde. Die ordnungsgemäße Meldung beim Einwohnermeldeamt sei erfolgt. Ebenso seien das Ausländeramt der Stadt … und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom Kirchenasyl ordnungsgemäß informiert worden. Es könne nicht die Rede davon sein, dass der Kläger unbekannten Aufenthalts sei. Kirchenasyl sei kein Grund für die Verlängerung der Überstellungsfrist.
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Mit Schreiben vom 14. April 2020 teilte das Bundesamt dem Verwaltungsgericht mit, dass es gegenüber dem Kläger die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO ausgesetzt habe. Grund dafür seien die aktuellen Entwicklungen aufgrund der Corona-Krise.
9
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 2. Juni 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Asylantrag des Klägers aufgrund des von der Slowakischen Republik ausgestellten Kurzzeitvisums nach der Dublin-III-VO unzulässig sei. Die Überstellungsfrist sei auch noch nicht abgelaufen, sondern rechtmäßiger Weise auf 18 Monate verlängert worden, da der Kläger flüchtig gewesen sei. Dies sei in dem Zeitpunkt, als das Bundesamt der Slowakischen Republik die Verlängerung der Überstellungsfrist mitgeteilt habe, der Fall gewesen. Die Mitteilung des Kirchenasyls des Klägers sei erst später erfolgt. Es bestehe auch kein Abschiebungsverbot hinsichtlich der Slowakischen Republik.
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Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 23. Juli 2020 an die Bevollmächtigte des Klägers die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung widerrufen, da Dublin-Überstellungen wieder vertretbar seien.
11
Mit am gleichen Tag beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenen Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 27. Oktober 2020 ließ der Kläger die vorliegende Klage erheben und zeitgleich einen Antrag gemäß § 123 VwGO (AN 14 E 20.50352) stellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Überstellungsfrist am 20. September 2020 abgelaufen sei und die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig sei. Das fristauslösende Ereignis für die 18-monatige Überstellungsfrist sei hier die ablehnende Entscheidung vom 20. März 2019 über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und die spätere Meldung des Untertauchens vom 27. Mai 2019. Daher habe die Frist mit Ablauf des 20. September 2020 geendet. Die Aussetzungsentscheidung der Beklagten gemäß § 80 Abs. 4 VwGO habe keine Unterbrechung des Fristlaufs bewirkt.
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Die Beklagte entgegnete hierauf, dass die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung die Überstellungsfrist unterbrochen habe. Durch den Widerruf der Aussetzungsentscheidung sei die Überstellungsfrist von 6 Monaten neu in Lauf gesetzt worden. Sie ende vorliegend daher am 15. Januar 2021.
13
Mit Beschluss vom 30. November 2020 (AN 14 E 20.50352) verpflichtete das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, die zuständige Ausländerbehörde anzuweisen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens AN 14 K 20.50353 zu unterlassen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Überstellungsfrist mit Ablauf des 27. September 2020 abgelaufen sei. Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO sei insoweit unbeachtlich, da sie rechtswidrig erfolgt sei.
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Das Verwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 29. Januar 2021 darauf hingewiesen, dass die Beklagte sich bislang immer auf den Standpunkt gestellt habe, dass die Überstellungsfrist im Falle des Klägers am 15. Januar 2021 ende. Nachdem dieser Zeitpunkt verstrichen sei werde angeregt, dass das Bundesamt den Bescheid vom 28. Januar 2019 aufhebe und die Beteiligten das Klageverfahren übereinstimmend für erledigt erklärten.
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Das Bundesamt teilte daraufhin mit Schreiben vom 1. Februar 2021 mit, dass aufgrund des positiven Eilbeschlusses vom 30. November 2020 erneut ein Hemmnis eingetreten sei, wovon der Mitgliedstaat mit beigefügtem Schreiben unterrichtet worden sei. Die 6-monatige Rückführungsfrist beginne bei negativem Ausgang nun erst wieder mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu laufen.
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Die Bevollmächtigte des Klägers nahm hierzu mit Schriftsatz vom 27. Mai 2021 dahingehend Stellung, dass mit dem positiven Eilbeschluss nach § 123 VwGO keine Hemmnis im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eingetreten sei. Dieser habe die Aussetzung der Durchführung einer Überstellungsentscheidung, gegen die sich der Rechtsbehelf richte, zum Gegenstand. Im vorliegenden Verfahren sei die Überstellungsentscheidung, hier der Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2019, jedoch gar nicht angegriffen worden. Dieser sei mit Gerichtsbescheid vom 2. Juni 2020 in Rechtskraft erwachsen. Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebung aus einem Dublin-Bescheid könne ein Betroffener grundsätzlich durch einen (fristgebundenen) Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die dem Bescheid beigefügte und sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 2, § 75 AsylG) erreichen. Weder das Stellen des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO, noch das Stellen eines Antrags nach § 123 VwGO führe zu einer Vollzugsaussetzung. Nur rechtzeitig gestellte Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO entfalteten eine aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung des § 34a Abs. 1 AsylG. Bei diesem Antrag handele es sich um einen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c) Dublin III-VO. Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO sei demnach hier nicht einschlägig, es liege damit kein Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung und damit auch keine Hemmung der Frist (jedenfalls) am 15. Januar 2021 vor.
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Die Beklagte äußerte sich mit Schreiben vom 30. Juni 2021 hierzu dahingehend, dass der Kläger mit seinem Eilantrag gemäß § 123 VwGO gerade die Feststellung begehrt habe, dass die Überstellungsfrist bereits abgelaufen sei und damit die Überprüfung einer Überstellungsentscheidung entsprechend dem Wortlaut von Art. 27 Dublin III-VO. Damit habe die Einlegung des Rechtsbehelfs die Aussetzung der Überstellung zur Folge gehabt, wenn auch erst im Zeitpunkt des Beschlusses und nicht wie bei Anträgen nach § 80 Abs. 5 VwGO bereits bei der Antragstellung. Aufgrund des Beschlusstenors dürfe die Abschiebungsanordnung gegebenenfalls erst mit rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vollzogen werden. Das Datum des Beschlusses gemäß § 123 VwGO habe zeitlich vor dem Ende der Rückführungsfrist gelegen, sodass es zu einem weiteren Hemmnis gekommen sei.
Es wird festgestellt, dass im Verfahren des Klägers nach der Dublin III-VO die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abgelaufen ist.
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Die Beklagte beantragt,
20
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Bundesamtsakten und die Gerichtsakten der Verfahren AN 14 K 19.50139, AN 14 S 19.50138 und AN 14 E 20.50352 sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 21. September 2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig (hierzu 1.) und begründet (hierzu 2.).
22
1. Die vorliegende allgemeine Feststellungsklage nach § 43 VwGO ist statthaft.
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Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO ist im vorliegenden Falle der Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO. Ob diese inzwischen abgelaufen ist oder nicht ist zwischen den Beteiligten auch streitig.
24
Die allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 VwGO steht der Zulässigkeit der Klage vorliegend nicht entgegen, da der Kläger seine Rechte vorliegend nicht der Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, mit dem der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt wurde, ist inzwischen bestandskräftig. Eine Anfechtung scheidet also aus. Eine Verpflichtungsklage ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht statthaft, da das Bundesamt keinen Bescheid erlassen hat, mit dem es einem zuvor gestellten Antrag auf Entscheidung im nationalen Verfahren abgelehnt hat (insofern anders als VG Ansbach, U.v. 23.9.2020 - AN 17 K 20.50258 - juris).
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2. Die Feststellungsklage ist auch begründet, da die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) abgelaufen ist.
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a) Die Überstellungsfrist begann im vorliegenden Fall mit der Ablehnung des vom Kläger gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. März 2019 nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 Dublin III-VO zu laufen.
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Diese Frist wurde nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert, da der Kläger zwischenzeitlich „flüchtig“ im Sinne dieser Bestimmung war. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im rechtskräftigen Gerichtsbescheid der Kammer (AN 14 K 19. 50139) verwiesen.
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b) Ob diese 18-monatige Frist durch die Aussetzung der Vollziehung der Überstellung nach § 80 Abs. 4 VwGO in Verbindung mit Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie erneut unterbrochen wurde, ist offen. Die Kammer hat zwar in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass diese Aussetzungen nicht die Überstellungsfrist unterbrechen konnten, da sie unionsrechtlich rechtswidrig erfolgt sind (VG Ansbach, U.v. 13.11.2020 - AN 14 K 19.50319 - juris). Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Januar 2021 (1 C 52.20 - juris) in diesem Zusammenhang verschiedene Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt.
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Je nachdem, wie der Europäische Gerichtshof auf die Vorlagefragen antwortet, könnte (entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Kammer) die Aussetzung der Vollziehung im Schreiben vom 14. April 2020 die Überstellungsfrist unterbrochen haben mit der Folge, dass nach dem Widerruf der Aussetzung mit Schreiben vom 23. Juli 2020 die Überstellungsfrist erneut zu laufen begann. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn im Sinne der Vorlagefrage 3 eine (erneute) Unterbrechung der Überstellungsfrist erfolgen könnte, wenn wie vorliegend bereits einmal nach Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c Dublin III-VO das Verwaltungsgericht einen Antrag, die Durchführung der Überstellung Entscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahren auszusetzen, abgelehnt hatte. Außerdem müssten auch die Fragen 1 und 2 dahingehend beantwortet werden, dass eine widerrufliche Aussetzung der Vollziehung der Überstellungsentscheidung wegen der Corona-Pandemie eine Unterbrechung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO auslöst.
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Dies kann im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben, da im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in jedem Fall die Überstellungsfrist bereits abgelaufen ist.
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c) Denn auch wenn die Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts in der dargestellten Art und Weise beantwortet werden begann im vorliegenden Fall die Überstellungsfrist jedenfalls wieder mit dem Widerruf der Aussetzung der Vollziehung bzw. dessen Mitteilung an die Bevollmächtigte des Klägers erneut zu laufen. Sie endete damit 6 Monate später, also am 15. bzw. 23.Januar 2021.
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Durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 123 VwGO vom 30. November 2020 (AN 14 E 20.50352) wurde die Überstellungsfrist jedenfalls nicht erneut unterbrochen.
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Nach Art. 29 Abs. 1 UA 1, 2. Var. Dublin III-VO endet die Überstellungsfrist 6 Monate nach der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat. Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO eröffnet den Mitgliedstaaten drei verschiedene, in den Buchstaben a), b) und c) aufgeführte Möglichkeiten, wie sie den Rechtsschutz gegen eine Überstellungsentscheidung gestalten können. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich dabei für die in Buchstabe c) dargestellte Variante entschieden (BVerwG, B.v. 27.4.2016 - 1 C 22.15 - juris Rn. 20). Demnach hat der Betroffene die Möglichkeit, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen. Die Mitgliedstaaten sorgen für einen wirksamen Rechtsbehelf in der Form, dass die Bestellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist. Nach § 36 Abs. 3 AsylG kann der Asylantragsteller innerhalb einer Woche einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen; bereits die fristgerechte Stellung dieses Antrags verhindert, dass die Überstellung durchführbar ist und unterbricht die Überstellungsfrist.
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Der Tenor des im vorliegenden Fall ergangenen Beschlusses nach § 123 VwGO war aber nicht auf die „Aussetzung der Überstellungsentscheidung“ im Sinne von Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c) Dublin III-VO gerichtet, sondern vielmehr darauf, der zuständigen Ausländerbehörde aufzugeben, bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Klageverfahrens von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen. Dies ist sowohl vom Wortlaut als auch vom Regelungsgehalt her etwas anderes als die Formulierung in Art. 27 Absatz 3 Buchstabe c) Dublin III-VO.
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Daher führte der Beschluss nach § 123 VwGO nicht zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass aus der Sicht der Behörde die Wirkungen des Beschlusses nach § 123 VwGO mit der eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO identisch sind. Dies ändert aber nichts daran, dass in Art. 27 Abs. 3 Buchstabe c) Dublin III-VO allein die Entscheidung über den „ersten“ Antrag auf Aussetzung genannt sind. Ein später ergehender Beschluss nach § 123 VwGO ist von den Rechtswirkungen nach der Dublin III-VO eben nicht mit einem Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO vergleichbar.
36
Hinzu kommt, dass, wie der vorliegende Fall anschaulich zeigt, eine andere Auslegung dem Zweck der Dublin III-VO, eine zügige Entscheidung über den zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylverfahrens zu ermöglichen (vgl. insb. den Erwägungsgrund 5), nicht Rechnung tragen würde. Dies hätte zur Folge, dass inzwischen die vierte Unterbrechung bzw. Verlängerung der Überstellungsfrist vorliegen würde. Nachdem die Zustimmung der Behörden der Slowakischen Republik zur Übernahme des Klägers vom 28. Januar 2019 datiert dauert das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats inzwischen über 2 ½ Jahre. Auch wenn diese Verzögerung zum größten Teil auf dem Verhalten des Klägers beruht ist sie mit dem Zweck der Dublin III-VO, eine schnelle Entscheidung darüber, in welchem Mitgliedsstaat das Schutzbegehren zu prüfen ist, zu erreichen, nicht mehr vereinbar.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.