Inhalt

VG München, Urteil v. 01.07.2021 – M 27 K 19.3629
Titel:

Anrechnung von Bestandteilen einer Prüfung zur Handelsfachwirtin

Normenketten:
BBiG § 47 Abs. 2, § 56 Abs.2 S. 1
HFwPrüfVO § 3 Abs. 1, Abs. 2
FPO (IHK-Fortbildungsprüfungsordnung für die geprüfte Handelsfachwirte) § 9
Leitsatz:
Die Anrechnung von Bestandteilen einer vor einer IHK abgelegten Prüfung zur Handelsfachwirtin im Rahmen einer Fortbildungsprüfung einer anderen IHK setzt nicht voraus, dass es sich um eine gleichartige "Gesamtprüfung" gehandelt hat. (Rn. 27 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prüfungsrecht, Geprüfter Handelsfachwirt, Anspruch auf Befreiung von Prüfungsbestandteil (bejaht), Mündliche Teilprüfung vor anderer IHK abgelegt, Begriff der anderen vergleichbaren „Prüfung“, Fachprüfung, geprüfte Handelsfachwirtin, Teilprüfung, Prüfungsbestandteil, vergleichbare Prüfung, Anrechnung, IHK, Chancengleichheit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 27731

Tenor

I.Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Juni 2019 verpflichtet, die Klägerin gemäß § 9 Abs. 1 der Prüfungsordnung für die Durchführung von Fortbildungsprüfungen der Industrie- und Handelskammer für ******* und Oberbayern von der dritten Teilprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin zu befreien.  
II.Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Befreiung von der mündlichen Teilprüfung im Rahmen der Fortbildungsprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin.
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Die im Jahr 1993 im Kosovo geborene Klägerin legte im Jahr 2013 in … die Fachhochschulreife ab und absolvierte in der Folge eine Ausbildung zur Drogistin.
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Mit Schreiben vom 25. Juli 2018 beantragte sie bei der Beklagten die Zulassung zur Fortbildungsprüfung „geprüfte/r Handelsfachwirt/in“, zu welcher sie mit Schreiben der Beklagten vom 2. August 2018 zugelassen wurde.
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Die Fortbildungsprüfung „geprüfte/r Handelsfachwirt/in“ setzt sich aus drei Prüfungsteilen in Form von zwei schriftlichen Teilprüfungen und einer mündlichen Teilprüfung zusammen (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 der Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Fortbildungsabschluss Geprüfter Handelsfachwirt und Geprüfte Handelsfachwirtin - HdlFachwPrV), wovon die Klägerin die beiden schriftlichen Teile 1 und 2 erfolgreich bei der Beklagten abgelegt hatte.
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Mit Schreiben vom 20. Dezember 2018 hat sich die Klägerin bei der Beklagten zum dritten Prüfungsteil, der mündlichen Teilprüfung, angemeldet, woraufhin die Beklagte die Anmeldung mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 bestätigte und die Klägerin mit Schreiben vom 22. Februar 2019 zur Themenstellung ihrer Präsentation aufforderte. Mit Schreiben der Beklagten vom 18. April 2019 wurde die Klägerin schließlich zur mündlichen Teilprüfung am 5. Juni 2019 geladen.
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Mit E-Mail vom 29. Mai 2019 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Rücktritt von der mündlichen Teilprüfung. Mit Schreiben vom selben Tage bestätigte die Beklagte den Rücktritt von der „oben genannten Prüfung“, womit „die Prüfung“ als nicht abgelegt gelte. Wenn die Klägerin „die Prüfung“ zum nächstmöglichen Termin ablegen wolle, sei eine erneute Anmeldung erforderlich.
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Mit Schreiben vom 7. Juni 2019 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf „Anrechnung“ einer mündlichen Teilprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin, welche sie bereits bei der Industrie- und Handelskammer … abgelegt habe. Dem Schreiben war ein Ergebnisbescheid der Industrie- und Handelskammer … über das Bestehen der dritten Teilprüfung (mündliche Prüfung) im Rahmen der Fortbildungsprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin vom 13. Dezember 2017 sowie eine vorläufige Prüfungsbescheinigung der Industrie- und Handelskammer … vom 8. Dezember 2017, wonach der „Prüfungsteil 3“ bestanden sei, beigefügt.
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Mit Bescheid vom 27. Juni 2019 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf eine Befreiung von der dritten Teilprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin ab. Dabei führte sie zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen einer Befreiung nach § 56 Abs. 2 Berufsbildungsgesetz (BBiG) bzw. § 9 Abs. 1 der Prüfungsordnung für die Durchführung von Fortbildungsprüfungen der Industrie- und Handelskammer für … und Oberbayern (im Folgenden: FPO) vom 15. November 2018 nicht vorlägen. Zwar handele es sich bei der vor der Industrie- und Handelskammer … abgelegten mündlichen Prüfung um eine identische Teilprüfung, eine Befreiung nach den genannten Vorschriften komme jedoch nur in Betracht, wenn eine vergleichbare „Gesamtprüfung“ erfolgreich bestanden worden sei. Nur so könne der Begriff „Prüfung“ in den genannten Vorschriften verstanden werden, was sich sowohl aus Sinn und Zweck der Vorschrift als auch aus dem Wortlaut ergebe. Denn die Vorschrift differenziere zwischen den Begriffen „Prüfungsbestandteil“, von welchen befreit werden könne, sowie „Prüfung“, aufgrund welcher befreit werden könne. Außerdem sei zu berücksichtigten, dass es eine Ungleichbehandlung der Prüfungsteilnehmer darstelle, wenn einzelne Teilnehmer sich aufgrund einer solchen Befreiung nur auf einzelne Teilprüfungen vorbereiten müssten, wohingegen sich die übrigen Prüflinge vollumfänglich auf alle Prüfungsteile vorzubereiten hätten. Aus diesem Grunde würden für eine Befreiung hohe Hürden gelten. Da die Klägerin jedoch die Prüfung zur geprüften Handelsfachwirtin bei der Industrie- und Handelskammer … insgesamt nicht bestanden habe, erfülle sie die Voraussetzungen einer Befreiung nicht. Auch eine Anrechnung gemäß § 27 Abs. 2 FPO scheide aus, weil eine Anrechnung nur im Falle einer Wiederholungsprüfung in Frage komme.
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Gegen diesen ablehnenden Bescheid hat die Klägerin am 29. Juli 2019 Klage zum Verwaltungsgericht München erheben lassen. Sie beantragt zuletzt,
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1. Den Bescheid der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern vom 27. Juni 2019 aufzuheben.
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2. Die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin gemäß § 9 Abs. 1 der Prüfungsordnung für die Durchführung von Fortbildungsprüfungen der Industrie- und Handelskammer für … und Oberbayern vom 15. November 2018 von der dritten Teilprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin zu befreien.
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3. Hilfsweise: Die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin gemäß § 27 Abs. 2 FPO die dritte Teilprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin im Rahmen der Ablegung der Prüfung zur geprüften Handelsfachwirtin anzurechnen.
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Zur Begründung der Klage lässt sie durch ihren Bevollmächtigten im Wesentlichen vortragen, dass es sich bei der von ihr bei der Industrie- und Handelskammer … abgelegten mündlichen Prüfung um eine identische Teilprüfung handele, was auch die Beklagte zuvor eingeräumt habe. Daher habe die Klägerin einen Anspruch aus § 9 Abs. 1 FPO, von dieser Teilprüfung befreit zu werden. Der Einwand der Beklagten, eine Befreiung komme nur dann in Betracht, wenn eine vollständige andere vergleichbare Prüfung abgelegt worden sei, finde im Gesetz keine Stütze. Für eine Differenzierung zwischen „Prüfungsbestandteil“ und „Prüfung“ sei zudem auch kein sachlicher Grund ersichtlich. Zwar träfe es zu, dass es sich bei § 9 Abs. 1 FPO um eine Ausnahmevorschrift handele, jedoch habe es die Beklagte nicht in der Hand, die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift nachträglich an weitere Voraussetzungen als die in der Prüfungsordnung festgelegten zu knüpfen. Hilfsweise werde aber auch ein Anspruch auf Anrechnung der Prüfungsleistung aus der mündlichen Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer … nach § 27 Abs. 2 FPO geltend gemacht, weil es sich zum Teil um eine Wiederholungsprüfung handele.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft sie die Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid, wobei sie ergänzend ausführt, dass der Beklagten über die bei der Industrie- und Handelskammer … von der Klägerin erzielten Ergebnisse keinerlei Erkenntnisse vorlägen. Allerdings sei schon zweifelhaft, ob die Zulassung der Klägerin zur Fortbildungsprüfung bei der Beklagten überhaupt rechtmäßig gewesen sei, weil zu diesem Zeitpunkt noch ein Prüfungsrechtsverhältnis mit der Industrie- und Handelskammer … bestanden habe. Es könnten aber keine zwei Prüfungsrechtsverhältnisse für denselben Fortbildungsabschluss gleichzeitig nebeneinander bestehen; eine Rücknahme der Zulassung zur Prüfung sei in Erwägung zu ziehen. Außerdem sei der Antrag auf Befreiung auch verspätet, weil er nach § 9 Abs. 2 FPO spätestens mit der jeweiligen Anmeldung schriftlich zu beantragen sei. Entgegen der Auffassung der Klagepartei differenziere § 9 Abs. 1 FPO durchaus deutlich zwischen „Prüfung“ und „Prüfungsbestandteil“. Schließlich habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf eine hilfsweise Anrechnung nach § 27 Abs. 2 FPO, weil es sich nicht um eine Wiederholungsprüfung im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe.
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Am 1. Juli 2021 fand in dieser Sache die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
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Der Ablehnungsbescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten, weil die Klägerin einen Anspruch gegenüber der Beklagten auf Befreiung von der mündlichen Teilprüfung im Rahmen der Fortbildungsprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Da es sich bei der hiesigen Klage um eine Verpflichtungsklage handelt, bestimmt sich die für die Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.1992 - 22 B 92.1253 - juris Rn. 10). Maßgeblich ist somit die zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 1. Juli 2021 geltende Prüfungsordnung der Beklagten für die Durchführung von Fortbildungsprüfungen in der Fassung vom 10. August 2020 und nicht mehr die Fassung vom 15. November 2018.
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Danach lautet die maßgebliche Regelung des § 9 FPO [2020] wie folgt:
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Befreiung von vergleichbaren Prüfungsbestandteilen
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(1) Die zu prüfende Person ist auf Antrag von der Ablegung einzelner Prüfungsbestandteile durch die zuständige Stelle zu befreien, wenn sie eine andere vergleichbare Prüfung vor einer öffentlichen oder staatlich anerkannten Bildungseinrichtung oder vor einem staatlichen Prüfungsausschuss erfolgreich abgelegt hat, die den Anforderungen der betreffenden Prüfungsbestandteile entspricht und die Anmeldung zur Fortbildungsprüfung innerhalb von zehn Jahren nach Bekanntgabe des Bestehens der anderen Prüfung erfolgt (§ 56 Absatz 2 BBiG).“
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(2) Anträge auf Befreiung von Prüfungsbestandteilen sind zusammen mit der Anmeldung schriftlich bei der zuständigen Stelle zu stellen. Die Nachweise über Befreiungsgründe im Sinne von Absatz 1 sind beizufügen.
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2. Die Klägerin hat eine „andere vergleichbare Prüfung“ im Sinne des § 9 Abs. 1 FPO erfolgreich abgelegt, indem sie am 8. Dezember 2017 die mündliche Teilprüfung im Rahmen der Fortbildungsprüfung zur geprüften Handelsfachwirtin bei der Industrie- und Handelskammer … bestanden hat. Dies hat sie durch Vorlage des entsprechenden Ergebnisbescheids vom 13. Dezember 2017 sowie der vorläufigen Prüfungsbescheinigung vom 8. Dezember 2017 nachgewiesen. Zweifel hieran ergeben sich auch nicht aufgrund des Vortrags der Beklagten, es sei zweifelhaft, ob die Zulassung der Klägerin zur Prüfung bei dieser anderen Industrie- und Handelskammer rechtmäßig gewesen sei, da eine solche Zulassung offensichtlich jedenfalls bestandskräftig erfolgt war.
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Denn entgegen der Auffassung der Beklagten setzt der Begriff der „anderen vergleichbaren Prüfung“ des § 9 Abs. 1 FPO, wie auch die entsprechende bundesrechtliche Regelung des § 56 Abs. 2 Nr. 1 BBiG, nicht voraus, dass es sich dabei um eine andere vergleichbare „Gesamtprüfung“ handeln muss.
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Ein derartiges Verständnis der Regelung ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Wortlaut der Norm, ferner auch nicht - wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen - aus §§ 47 Abs. 2, 53 Abs. 2 BBiG. In § 9 Abs. 1 FPO werden vielmehr die Begrifflichkeiten „Prüfungsbestandteil“, „Prüfung“ sowie „Fortbildungsprüfung“ verwendet. Dabei handelt es sich bei der mündlichen Teilprüfung unstreitig um einen „Prüfungsbestandteil“. Von einem solchen begehrt die Klägerin befreit zu werden. Zu einer solchen Befreiung berechtigt das erfolgreiche Ablegen einer anderen vergleichbaren „Prüfung“. Diese Formulierung schließt es aber nicht aus, auch einen anderen vergleichbaren Prüfungsbestandteil, etwa wie hier eine identische mündliche Teilprüfung, als eine andere vergleichbare Prüfung im Sinne des § 9 Abs. 1 FPO anzusehen. Denn aus der Verwendung des dritten Begriff „Fortbildungsprüfung“ in § 9 Abs. 1 FPO wird deutlich, dass mit diesem Begriff die Gesamtprüfung gemeint ist, womit im Umkehrschluss der Begriff „Prüfung“ nicht ebenfalls als Gesamtprüfung zu verstehen ist, wie die Beklagte meint. Dies gilt umso mehr, als die Begrifflichkeiten „Fortbildungsprüfung“ und „Prüfung“ am Ende des § 9 Abs. 1 FPO sogar hintereinander verwendet werden und daher ausgeschlossen werden kann, dass diesen beiden Begriffen jeweils die Bedeutung der Gesamtprüfung zukommen soll. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Begrifflichkeit der „Prüfung“ sowohl andere vergleichbare „Prüfungsbestandteile“ als auch andere vergleichbare „Gesamtprüfungen“ umfasst und demnach eine Art Überbegriff darstellt. Demnach fällt auch die von der Klägerin erfolgreich abgeschlossene mündliche Teilprüfung als ein anderer vergleichbarer Prüfungsbestandteil unter den Begriff der „Prüfung“ i.S.d. § 9 Abs. 1 FPO. Im Übrigen ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die sowohl vor der Industrie- und Handelskammer … als auch die vor der Beklagten abzulegenden mündlichen Teilprüfungen jeweils identisch sind, sodass die notwendige Vergleichbarkeit der Prüfung bzw. die entsprechenden Anforderungen an den betreffenden Prüfungsbestandteil gegeben sind. Abgesehen davon erschließt sich der Kammer nicht, warum einem Prüfling erst dann ein Teilprüfungs-Befreiungsanspruch zustehen soll, wenn er bereits die Prüfung insgesamt bestanden hat. Eine solche Sichtweise wäre wohl auch nicht mit der in Art. 12 Abs. 1 GG verankerten Berufsfreiheit, die auch und gerade im Prüfungsrecht zu beachten ist, vereinbar.
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Schließlich ist auch nicht zu befürchten, dass die Klägerin im vorliegenden Fall durch das Abschichten von Teilprüfungen einen die Chancengleichheit verletzenden Vorteil gegenüber anderen Prüfungsteilnehmern erhielte. Denn nach § 3 Abs. 7 HdlFachwPrV wird die mündliche Teilprüfung innerhalb eines Jahres nach Ablegen der schriftlichen Teilprüfungen durchgeführt, sodass alle Teilnehmer ein Jahr Vorbereitungszeit für die mündliche Teilprüfung in Anspruch nehmen können. Eine durch die Befreiung bedingte längere Zeitspanne ist aber nicht per se geeignet, die Chancengleichheit zu verletzen, weil nach Auffassung des Gerichts die Vorbereitungszeit von bis zu einem Jahr derart großzügig bemessen ist, dass es keinen prüfungsrelevanten Unterschied macht, ob für die Vorbereitung auf die mündliche Teilprüfung nunmehr ein Jahr oder im Einzelfall ein längerer Zeitraum zur Verfügung steht. Schließlich sehen auch § 9 Abs. 1 FPO bzw. § 56 Abs. 2 Nr. 2 BBiG eine Höchstfrist von 10 Jahren für einen Befreiungsanspruch vor. Die Existenz der normativen Bestimmung einer solchen Höchstfrist dürfte es vielmehr sogar ausschließen, der Klägerin gerade im Hinblick auf das Argument der zeitlichen Chancengleichheit einen Befreiungsanspruch zu versagen.
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3. Auch soweit sich die Beklagte darauf beruft, die Klägerin habe die Befreiung nicht rechtzeitig zusammen mit der Prüfungsanmeldung beantragt hat, kann sie damit nicht durchdringen. Zwar sind nach § 9 Abs. 2 Satz 1 FPO [2020] die Anträge auf Befreiung von Prüfungsbestandteilen zusammen mit der Anmeldung schriftlich bei der zuständigen Stelle zu stellen, während nach § 9 Abs. 2 Satz 1 FPO [2018] solche Anträge „spätestens mit der jeweiligen Anmeldung“ zu stellen waren, doch ist die Klägerin gleichwohl wirksam von der mündlichen Teilprüfung zurückgetreten. Damit kann sie sich theoretisch erneut für die mündliche Teilprüfung anmelden und dabei zugleich eine Befreiung beantragen; dies schließt es somit erst recht nicht aus, dass sie nach erfolgtem Rücktritt von der Teilprüfung (nur) einen isolierten Antrag auf Befreiung stellt.
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4. Aufgrund des Obsiegens der Klagepartei im Hauptantrag war über den Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.
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5. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.