Titel:
Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug
Normenketten:
EStG § 44a Abs. 5 S. 4, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 9
AO § 130, § 131, § 153
FGO § 44 Abs. 1
KStG § 8b
Leitsatz:
Nach der Rechtsprechung des BFH (u.a. Urteil vom 27. August 1997 - I R 22/97, BFHE 184, 334, BStBl II 1997, 817) ist das Tatbestandsmerkmal „aufgrund der Art seiner Geschäfte“ dann erfüllt, wenn die Überbesteuerungssituation der ausgeübten Geschäftstätigkeit derart wesensimmanent ist, dass ein wirtschaftlich besseres Ergebnis zwangsläufig nicht erzielt werden kann. Das Tatbestandsmerkmal soll jedoch nicht schon dann erfüllt sein, wenn die Überzahlung auf der jeweiligen Marktsituation (also beispielsweise auf Gewinnlosigkeit, auf Preisverfall, Konkurs, schlechter Marktlage) oder auf individuellen Gegebenheiten beruht und wenn sich hieraus zeitweise keine Einkommen- oder Körperschaftsteuer ergeben sollte (BFH-Urteil vom 27. August 1997 - I R 22/97, BFHE 184, 334, BStBl II 1997, 817, Rn. 9). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug, Dauerüberzahlerbescheinigung, Überzahlungssituation bei Führungs- und Funktionsholding, gerichtlicher Beurteilungszeitpunkt, Steuerbazug
Rechtsmittelinstanzen:
BFH München, Urteil vom 12.12.2023 – VIII R 31/21
BFH München vom -- – I R 18/21
Fundstellen:
EFG 2021, 1383
LSK 2021, 13948
BeckRS 2021, 13948
DStRE 2022, 471
Tenor
1. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG zu erteilen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin eine Bescheinigung für die Abstandnahme vom Kapitalertragsteuerabzug gemäß § 44a Abs. 5 Satz 4 Einkommensteuergesetz (EStG; (Dauerüberzahlerbescheinigung) auszustellen ist.
2
Die Klägerin ist eine GmbH und wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 25. Februar 2014 gegründet. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist laut Handelsregisterauszug die Beratung von Unternehmen mit Ausnahme der Rechts- und Steuerberatung sowie der Erwerb, die Veräußerung und Verwaltung von Beteiligungen und die Verwaltung eigenen Vermögens.
3
Die Klägerin ist Alleingesellschafterin der … GmbH (vormals … GmbH; Tochtergesellschaft), welche wiederum Alleingesellschafterin der … o.o.o. sowie der …GmbH ist. Nach Angaben der Klägerin ist sie als Führungs- und Funktionsholding tätig und verfolgt einen langfristigen Investitionseinsatz. Aus der Beteiligung an der Tochtergesellschaft bezog die Klägerin in der Vergangenheit jährlich Gewinnausschüttungen.
4
Die Klägerin erbringt gegenüber ihrer Tochtergesellschaft Beratungsleistungen. Sie beschäftigt hierfür keine Mitarbeiter. Für die Erbringung von Beratungsleistungen gegenüber der Tochtergesellschaft ist sie daher gezwungen, sich gegen Entgelt Dritt-Berater zu besorgen. In diesem Zusammenhang wurde ein Beratungsrahmenvertrag mit der S… GmbH, welche mit 54% an der Klägerin beteiligt ist, abgeschlossen. Die S… GmbH war von der Klägerin beauftragt worden, ein Restrukturierungs- und Beratungskonzept im Hinblick auf die Tochtergesellschaft zu erarbeiten. Hierzu stellte die S… GmbH umfangreiche Beratungsdienstleistungen zur Verfügung. Die Beratungsdienstleistungen sollten durch Mitarbeiter der S… GmbH, verbundene Unternehmer und/oder durch die Hinzuziehung externer Berater erfolgen (§ 1 des Beratungsrahmenvertrags …). Das Honorar für die Beratungsleistungen wurde nach dem Umsatz der Tochtergesellschaft des vorangegangenen Geschäftsjahres sowie einem Pauschalpreis pro Monat und Person in Höhe von 9.750 € berechnet (§ 3 des Beratungsrahmenvertrags …).
5
In der Vergangenheit stellte sich die steuerliche Situation der Klägerin wie folgt dar (in €):
6
Am 17. Mai 2018 erging ein Körperschaftsteuerbescheid für 2016, in dem Kapitalertragsteuer in Höhe von 400.000 € angerechnet wurde. Auch für die Folgejahre ergingen am 26. November 2018 (Körperschaftsteuer 2017), am 13. Dezember 2019 (Körperschaftsteuer 2018) und 6. Juli 2020 (Körperschaftsteuer 2019) Steuerbescheide, in denen ebenfalls Kapitalertragsteuer (2017: … €; 2018: … €; 2019: … €) angerechnet wurde.
7
Am 18. März 2015 wurde der Klägerin zunächst eine Dauerüberzahlerbescheinigung gemäß § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ausgestellt. Die Bescheinigung galt für Kapitalerträge, die in der Zeit vom 1.1.2015 bis 31.12.2015 zufließen.
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Mit Schreiben vom 11. Oktober 2016 beantragte die Klägerin eine weitere Dauerüberzahlerbescheinigung mit Gültigkeit ab 1. Januar 2016. Dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 16. November 2016 abgelehnt, da die Klägerin im Rahmen ihrer Unternehmenstätigkeit Umsätze zum Regelsteuersatz in nicht unbeträchtlicher Höhe erwirtschaftet habe. Die Klägerin stelle damit keine reine Beteiligungsfirma dar, da der steuerpflichtige Anteil der Umsätze nicht untergeordnete Bedeutung habe. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2018 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
9
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage. Dabei macht die Klägerseite geltend, es werde eine Dauerüberzahlerbescheinigung auf unbestimmte Zeit begehrt. Die Voraussetzungen des § 44a Abs. 5 EStG seien weiterhin erfüllt.
10
Eine Überzahlung sei seit Gründung der Klägerin gegeben. Der Klägerin sei die gesamte einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer in der Vergangenheit erstattet worden. Der ausgeübten Tätigkeit der Klägerin sei eine Überzahlungssituation auch wesensimmanent. Diese sei Führungs- und Funktionsholding, die die Beratung gegenüber ihrer Tochtergesellschaft nur nach vorherigem Einkauf von Beratungsleistungen erbringe. Dadurch scheide ein signifikant höheres wirtschaftliches Ergebnis aus Beratungsleistungen zwangsläufig aus. Die Überzahlungssituation sei auch dauerhaft gegeben.
11
Für das Tatbestandsmerkmal der Überzahlung aufgrund der Art des Geschäfts komme es nicht allein auf die zivilrechtliche Ausgestaltung der Satzung an. Es seien die Besonderheiten von Holdinggesellschaften zu berücksichtigen. Die Einkünfte aus Beratungsleistungen gegenüber der Tochtergesellschaft seien lediglich als geringfügige anderweitige steuerpflichtige Einkünfte zu qualifizieren. Dabei sei nicht auf die Umsätze abzustellen.
12
Im Übrigen seien Abgaben, deren Rückzahlung bereits bei deren Erhebung feststehe, keine Steuer, sondern eine Zwangsanleihe. Zwangsanleihen seien verfassungsrechtlich unzulässig (Art. 105 Grundgesetz). § 44 Abs. 5 EStG diene nicht nur der Verwaltungsvereinfachung, indem das Hin- und Herzahlen von Kapitalertragsteuer vermieden werde, sondern sei vorrangig als verfassungsrechtlich notwendiges Korrektiv einer sonst drohenden Übermaßbesteuerung zu qualifizieren. Hierdurch werde der Gläubiger von Kapitalerträgen vor einem zinslosen Zwangsdarlehen bewahrt.
13
Es stelle eine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung dar, sofern man allein anhand des in der Satzung vorgesehenen Unternehmensgegenstands differenziere. Darüber hinaus verstoße die Versagung der Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung gegen das Übermaßverbot. Der Kapitalertragsteuerabzug diene vorliegend lediglich der Sicherung eines potentiellen und nicht eines tatsächlich angefallenen Steuersubstrats.
14
Eine Versagung der Erteilung der begehrten Bescheinigung zur Sicherung von Steuersubstrat sei nicht erforderlich, da das Finanzamt durch die bestehenden Korrekturmöglichkeiten hierauf flexibel reagieren könne. Auch sei der Steuerpflichtige verpflichtet, Änderungen anzuzeigen. im Übrigen sei ein Widerruf der Dauerüberzahlerbescheinigung aufgrund des gesetzlich vorgesehenen Widerrufvorbehalts (§ 44 a Abs. 5 Satz 5 EStG) jederzeit möglich. Die Dauerüberzahlerbescheinigung sei grundsätzlich ein zukunftsgerichtetes Instrument des Steuererhebungsverfahrens. Es setzte den Steuerpflichtigen in die Lage, Kapitalerträge ohne den von Gesetzes wegen grundsätzlich vorgesehenen Abzug von Kapitalertragsteuer zu vereinnahmen. Die Kapitalertragsteuer habe für eine unbeschränkt steuerpflichtige Holdinggesellschaft keine abgeltende Wirkung, sondern wird als Vorauszahlung im Rahmen der Veranlagung auf die Körperschaftsteuer angerechnet. Hierdurch komme es zu Zins-/Liquidationsnachteilen bei der Holdinggesellschaft. Diese Nachteile könne der Steuerpflichtige durch Vorlage einer Dauerüberzahlerbescheinigung beim Abzugsverpflichteten vermeiden.
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Die Überzahlersituation sei auch dauerhaft. Insoweit sei eine bei Ausstellung der Bescheinigung durchzuführende Prognoseentscheidung vorzunehmen. Insoweit seien die aktuellen tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen. Allein die hypothetische Möglichkeit, anderweitige Geschäfte zu tätigen, genüge für eine Versagung der Bescheinigung nicht. Insoweit seien die für Steuervorauszahlungen geltenden Grundsätze anzuwenden. Das konkrete Geschäftsmodell der Klägerin schließe auch künftig erhebliche andere steuerpflichtige Erträge aus. Die Konzernstruktur sehe es nicht vor, dass die Klägerin selbst personelle Kapazitäten für Beratungsleistungen aufbaue. Denn eine Konzerngesellschaft, in der die Kapazitäten gebündelt seien, könne deutlich effizienter arbeiten. Deshalb werde die Klägerin auch weiterhin Beratungsleistungen extern erwerben.
16
Für die Beurteilung der Begründetheit einer Verpflichtungsklage sei grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entscheidend. Deshalb sei es unerheblich, dass das Finanzamt über das klägerische Begehren nicht auf der Grundlage des sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung stellenden Sach- und Rechtslage entschieden habe.
17
Die Klägerin beantragt,
das Finanzamt zu verpflichten, ihr eine Bescheinigung nach § 44 Abs. 5 Satz 4 EStG (Dauerüberzahlerbescheinigung) zu erteilen.
18
Das Finanzamt beantragt,
hilfsweise die Zulassung der Revision.
19
Das Finanzamt macht geltend, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 44 a Abs. 5 EStG lägen nicht vor. Der Unternehmensgegenstand der Klägerin umfasse neben steuerfreien Holdingtätigkeiten auch steuerpflichtige Beratungsleistungen. Allein durch die Eintragung dieses Unternehmensgegenstandes ins Handelsregister bestehe die Möglichkeit, steuerpflichtige Tätigkeiten auszuführen. Dies stehe der Anwendung von § 44a Abs. 5 EStG entgegen. Es komme nicht auf die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten, sondern auf die laut Unternehmensgegenstand möglichen Geschäfte an. Allein die abstrakte Möglichkeit der Ausübung einer über die Holdingtätigkeit hinausgehenden operativen Tätigkeit sei ein Ablehnungsgrund.
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Eine Dauerüberzahlerbescheinigung könne für die Zukunft nicht mittels einer Verpflichtungsklage begehrt werden, da das Gericht in seinen Entscheidungen nicht Verwaltungshandeln für die Zukunft ersetzen dürfe. Die Klägerin müsse eine Fortsetzungsfeststellungsklage erheben.
21
Die auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG (Dauerüberzahlerbescheinigung) gerichtete Klage ist zulässig und begründet.
22
1. Soweit die Klägerin zuletzt - ohne zeitliche Vorgaben - den Erlass einer Dauerüberzahlerbescheinigung begehrt, ist die Klage auf Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet und als Verpflichtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) statthaft. Die Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ist zwar ebenso wie die Nichtveranlagungsbescheinigungen gemäß § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG (hierzu Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 16. Oktober 1991 - I R 65/90, BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322) oder die Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 Satz 1 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 11. Oktober 2000 - I R 34/99, BFHE 193, 336, BStBl II 2001, 291) kein Freistellungsbescheid und damit auch kein Steuerbescheid (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 3 AO). Jedoch stellt sie einen sonstigen begünstigenden Verwaltungsakt i.S.d. § 130 Abs. 2 AO dar.
23
Auch wenn der ursprüngliche Antrag vom 11. Oktober 2016 auf Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung ab 1.1.2016 gerichtet war und auch im Einspruchsschreiben vom 18. November 2016 auf die Ablehnung dieses Antrags Bezug genommen wurde und damit das ursprüngliche Begehren auch im Einspruchsverfahren weiterverfolgt wurde (vgl. Bezeichnung des Gegenstands der Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2018), war im Streitfall nicht, soweit mittlerweile für Veranlagungszeiträume ab 2016 Körperschaftsteuerfestsetzungen mit Anrechnung von einbehaltener Kapitalertragsteuer ergingen, für diese Zeiträume auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO umzustellen (zur Anwendbarkeit der Vorschrift bei Verpflichtungsklagen u.a. BFH-Beschluss vom 04. November 2014 - I R 19/13, BFH/NV 2015, 333). Zwar ist davon auszugehen, dass sich das ursprüngliche Begehrens insoweit erledigt hat, als eine Anrechnung einbehaltener Kapitalertragssteuer im Rahmen einer Steuerfestsetzung erfolgte (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 2018 - VIII R 45/15, BFHE 263, 175, BStBl II 2019, 306). Da die Klägerin mittlerweile klargestellt hat, dass keine Dauerüberzahlerbescheinigung für zurückliegende Zeiträume begehrt wird und damit auch keine Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung für Zeiträume, für die Erledigung eingetreten ist, im Raum steht, ist eine Umstellung des Klagebegehrens für bestimmte zurückliegende Zeiträume nicht erforderlich.
24
Das in die Zukunft gerichtete Klagebegehren ist nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu beurteilen.
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2. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Ablehnung der Erteilung der Dauerüberzahlerbescheinigung durch das Finanzamt auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung vom 4. Juni 2018 erfolgte und damit nach diesem Zeitpunkt eingetretene Änderungen in der Sach- und Rechtslage durch die Behörde nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Dies führt nicht dazu, dass es für die Zeit nach Erlass der Einspruchsentscheidung an der Durchführung eines Vorverfahrens i.S.d. § 44 Abs. 1 FGO fehlt. Denn nach den Umständen des Streitfalls ist davon auszugehen, dass der Regelungsgegenstand der Ablehnung bzw. der bestätigenden Einspruchsentscheidung keine zeitliche Begrenzung auf den jeweiligen Entscheidungszeitpunkt enthielt, sondern auch in die Zukunft wirkt. Eine Beschränkung der Prüfung des Anspruchs auf Dauerüberzahlerbescheinigung auf die Zeit bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung (4. Juni 2018) besteht daher nicht.
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2.1. Die Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG entfaltet regelmäßig Wirksamkeit mit seiner Bekanntgabe (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 AO). Sofern kein Zeitpunkt in der Vergangenheit oder Zukunft bestimmt wird, wirkt die Dauerüberzahlerbescheinigung ab dem Tag der Bekanntgabe. Wird die Erteilung einer Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG abgelehnt und erfolgt keine zeitliche Begrenzung auf einen bestimmten Zeitraum oder wird die Ablehnung nicht erkennbar bis zu einem Zeitpunkt begrenzt, ist dieser Ablehnung im Hinblick auf § 44 Abs. 1 FGO auch regelnde Wirkung für die Zukunft beizumessen. Dieses Verständnis einer zeitlich nicht konkretisierten Ablehnung der Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten. Ansonsten liefe der Steuerpflichtige bei Annahme eines generell zeitlich auf den Zeitpunkt der Behördenentscheidung begrenzten Regelungsbereichs der Ablehnung vor dem Hintergrund des § 44 Abs. 1 FGO Gefahr, lediglich die gerichtliche Überprüfung abgelaufener Zeiträume erreichen zu können. Diese Auslegung einer ablehnenden Entscheidung im Zusammenhang mit der Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung benachteiligt die Behörde nicht, da diese jederzeit die Möglichkeit hat, dem Klagebegehren aufgrund Änderungen in der Sach- und Rechtslage nach Erlass der Einspruchsentscheidung für die Zukunft abzuhelfen.
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2.2. Soweit nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. u.a. Urteil vom 22. Dezember 2011 - III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681) zum Regelungsgehalt eines Steuerbescheids in Kindergeldsachen nach dem EStG (Steuervergütung: § 31 Satz 3 EStG i.V.m. § 155 Abs. 5 AO), die Auffassung vertreten wird, dass die Familienkasse im Falle eines zulässigen, in der Sache aber unbegründeten Einspruchs gegen einen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheid längstens eine Regelung des Kindergeldanspruchs bis zu dem Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung treffen kann, führt dies im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis.
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Zwar betont der BFH im Zusammenhang mit diesem Leistungsbegehren, dass der zeitliche Regelungsumfang eines Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheides in Kindergeldsachen nach dem EStG durch die Klageerhebung nicht verändert wird. Auch ist das gerichtliche Verfahren keine Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens. Ferner betont der BFH, dass es im Hinblick auf die von der Verfassung vorgegebene Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) die Aufgabe der Gerichte ist, das bisher Geschehene bzw. das Unterlassen auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht jedoch, grundsätzlich der Verwaltung zustehende Funktionen auszuüben. Danach fehlt es mangels Regelung für Monate nach Erlass der Einspruchsentscheidung in diesem Fall an der Klagebefugnis (so u.a. BFH-Urteil vom 22. Dezember 2011 - III R 41/07, BFHE 236, 144, BStBl II 2012, 681, Rn. 41; vgl. zur Sozialhilfe auch BVerwG-Urteil vom 16. Januar 1986 - 5 C 36/84, BayVBl 1986, 406).
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Diese zum Kindergeldrecht nach dem EStG ergangenen Rechtsprechungsgrundsätze sind im Streitfall nicht anzuwenden. Denn die Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG unterscheidet sich grundlegend von einer Kindergeldfestsetzung. Während ein Anspruch auf Kindergeld (§§ 62 ff EStG) nur für Monate besteht, in denen die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (Monatsprinzip: § 66 Abs. 2 EStG) und damit materiell-rechtlich eine zeitraumbezogene Prüfung durchzuführen ist, ist die Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung in die Zukunft gerichtet. Denn die Bescheinigung soll vorrangig berechtigen, zukünftige Kapitalerträge i.S.d. § 44a Abs. 5 Satz 1 vom Kapitalertragsteuerabzug ausnehmen zu dürfen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass der Regelungsgegenstand eines Ablehnungsbescheids im Zusammenhang mit § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG sich auf einen Zeitraum vor Erlass der Behördenentscheidung bezieht und damit § 44 Abs. 1 FGO die gerichtliche Prüfung einschränkt. Ohne erkennbare zeitliche Begrenzung der Ablehnung ist jedoch aufgrund von Sinn und Zweck der Dauerüberzahlerbescheinigung davon auszugehen, dass keine zeitliche Begrenzung der Ablehnung vorliegt.
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Dass sich hieraus möglicherweise ergibt, dass bei Vorliegen einer bestandskräftigen Ablehnung einer Dauerüberzahlerbescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ihre Erteilung im weiteren Verlauf eine Korrektur dieses Bescheids nach §§ 130, 131 AO erforderlich macht und damit eine Entscheidung sich nicht mehr allein an den Voraussetzungen des § 44a Abs. 5 EStG orientieren kann, führt dies zu keinen verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten. Insoweit stehen die einschlägigen Änderungsvorschriften (§§ 130, 131 AO) nach ihren Tatbestandsvoraussetzungen der Durchsetzung eines berechtigten Anspruchs auf Dauerüberzahlerbescheinigung nicht entgegen.
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3. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens einen Anspruch auf Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG.
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3.1. Gemäß § 44a Abs. 5 Satz 1 EStG in der derzeit geltenden Fassung (EStG) ist bei Kapitalerträgen im Sinne des § 43 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5 bis 7 und 8 bis 12 sowie Satz 2 EStG, die einem unbeschränkt oder beschränkt einkommensteuerpflichtigen Gläubiger zufließen, der Steuerabzug nicht vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragsteuer bei ihm auf Grund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher wäre als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer. Die Voraussetzung des § 44a Abs. 5 Satz 1 EStG ist durch eine Bescheinigung des für den Gläubiger zuständigen Finanzamts nachzuweisen (§ 44a Abs. 5 Satz 4 EStG). Die Bescheinigung ist unter dem Vorbehalt des Widerrufs auszustellen (§ 44a Abs. 5 Satz 5 EStG).
33
3.2. § 44a EStG dient im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs nach §§ 43 ff EStG der Verfahrensvereinfachung. Die Vorschriften zum Steuerabzug von Kapitalerträgen enthalten Regelungen für eine Quellenbesteuerung, die zur Beschleunigung der Steuererhebung beitragen sollen, vor allem aber Kontroll- und Sicherungsfunktion im Hinblick auf die Erhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer des Kapitalertragsgläubigers haben. Durch sie soll verhindert werden, dass steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen dem steuerlichen Zugriff entzogen werden, indem der Gläubiger der Kapitalerträge die Einkünfte z.B. nicht oder unvollständig erklärt (BFH-Urteil vom 15. Dezember 2004 - I R 42/04 -, BFH/NV 2005, 1073). Dabei sind die persönlichen Verhältnisse des Gläubigers der Kapitalerträge in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger grundsätzlich unbeachtlich (Jesse, FR 2015, 249, 252).
34
Durch die Abstandnahme vom Steuerabzug nach § 44a EStG soll u.a. verhindert werden, dass nur für Zwecke der Anrechnung von Kapitalertragsteuer ein Veranlagungsverfahren durchgeführt werden muss (Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 301. Lieferung 12.2020, § 44a EStG, Rn. 3). Denn wegen des Objektcharakters der Kapitalertragsteuer und der Erhebung im Zuflusszeitpunkt kann es durch den Kapitalertragsteuerabzug zu einer vorläufigen oder sogar endgültigen Überbesteuerungssituation beim Gläubiger der Kapitalerträge kommen (vgl. Jansen, FR 2012, 667). Dem soll § 44a EStG entgegenwirken. § 44a EStG ist in steuersystematischer Hinsicht Teil des Steuererhebungsverfahrens und stellt wie etwa die Regelungen des § 43b EStG oder § 50d EStG einen Ausnahmetatbestand zu dem der Sicherung des Steueraufkommens dienenden Steuerabzugsverfahren dar (vgl. Jesse, FR 2015, 249, 251).
35
3.3. § 44a Abs. 5 EStG wurde mit dem Zinsabschlaggesetz vom 9.11.1992 (BGBl. I 1992, 682; 1853) in das EStG eingefügt. Die Vorschrift war zunächst nicht auf Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (u.a. Dividenden i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) anzuwenden. Erst durch die Neufassung des § 44a Abs. 5 Satz 1 EStG durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz - AmtshilfeRLUmsG) vom 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1809) wurden inländische Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG mit Wirkung ab dem 1.1.2013 (vgl. § 52a Abs. 16c Satz 3 EStG i.d.F.d. AmtshilfeRLUmsG) in den Anwendungsbereich der Norm aufgenommen. Zugleich wurde das für diese Kapitalerträge in § 44b Abs. 1 EStG geregelte Erstattungsverfahren abgeschafft.
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3.4. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist im Streitfall die aus den Kapitalerträgen i.S.d. § 44a Abs. 5 Satz 1 EStG der Klägerin zu entrichtende Kapitalertragsteuer aufgrund der Art der Geschäfte der Klägerin höher als die festzusetzende Körperschaftsteuer (Kapitalertragsteuerüberhang).
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3.4.1. Die Klägerin verfügt seit dem Gründungsjahr 2014 lediglich über eine 100%-Beteiligung an der … GmbH. Aus dieser Beteiligung bezog die Klägerin in der Vergangenheit ab 2015 jährlich Kapitalerträge gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die als Betriebseinnahmen zu qualifizieren sind (vgl. § 8 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Die auf die Gewinnausschüttungen erhobene Kapitalertragsteuer wurde, nachdem nur für 2015 eine Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG erteilt worden war, ab dem Veranlagungszeitraum 2016 im Rahmen der Körperschaftsteuerveranlagung auf die festgesetzte Körperschaftsteuer angerechnet. Dies hatte in den Jahren ab 2016 eine vollumfängliche Erstattung des Steuerabzugs zur Folge. Der von § 44a Abs. 5 Satz 1 EStG geforderte Kapitalertragsteuerüberhang war in der Vergangenheit somit gegeben.
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3.4.2. Nach Auffassung des Gerichts beruhte dieser Kapitalertragsteuerüberhang in der Vergangenheit auch auf der „Art der Geschäfte“ der Klägerin. Anhaltspunkte, dass sich die ausgeübte Geschäftstätigkeit in absehbarer Zukunft ändern wird, liegen nicht vor.
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3.4.2.1. Nach der Rechtsprechung des BFH (u.a. Urteil vom 27. August 1997 - I R 22/97, BFHE 184, 334, BStBl II 1997, 817) ist das Tatbestandsmerkmal „aufgrund der Art seiner Geschäfte“ dann erfüllt, wenn die Überbesteuerungssituation der ausgeübten Geschäftstätigkeit derart wesensimmanent ist, dass ein wirtschaftlich besseres Ergebnis zwangsläufig nicht erzielt werden kann. Das Tatbestandsmerkmal soll jedoch nicht schon dann erfüllt sein, wenn die Überzahlung auf der jeweiligen Marktsituation (also beispielsweise auf Gewinnlosigkeit, auf Preisverfall, Konkurs, schlechter Marktlage) oder auf individuellen Gegebenheiten beruht und wenn sich hieraus zeitweise keine Einkommen- oder Körperschaftsteuer ergeben sollte (BFH-Urteil vom 27. August 1997 - I R 22/97, BFHE 184, 334, BStBl II 1997, 817, Rn. 9).
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3.4.2.2. Die wesentliche Aufgabe der Klägerin lag in der Vergangenheit im Halten der Beteiligung an der … GmbH. Die Beteiligung wurde alsbald nach der Gründung der Klägerin erworben und weiterhin gehalten. Insoweit tritt die Klägerin als Führungs- und Funktionsholding auf und verfolgt einen langfristigen Investitionsansatz („buy and built“). Dies wird durch die bisherige tatsächliche Geschäftsführung bestätigt. Die Klägerin erzielte aus der Beteiligung ab 2015 jährlich Gewinnausschüttungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die bei der Besteuerung außer Ansatz bleiben (§ 8b Abs. 1 KStG). Lediglich ein Betrag i.H.v. 5% der Bezüge war aufgrund § 8b Abs. 5 KStG gewinnwirksam. Aufgrund der 100%-Beteiligung der Klägerin greift § 8b Abs. 4 KStG (Streubesitzdividenden) nicht. Insoweit ist eine Überzahlung an Kapitalertragsteuer auf die kapitalertragsteuerpflichtigen Gewinnausschüttungen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) wesenimmanent, sofern der Unternehmensgegenstand allein im Halten von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften besteht.
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Soweit in der Vergangenheit bei Holdinggesellschaften die Anwendbarkeit des § 44a Abs. 5 EStG verneint wurde (so BFH-Urteil vom 27. August 1997 - I R 22/97, BFHE 184, 334, BStBl II 1997, 817) lag dem regelmäßig eine andere Rechtslage zugrunde. Mit der Einführung der Steuerbefreiung auf Beteiligungserträge und Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalbeteiligungen durch die Neufassung des § 8b KStG mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2002 ist bei Holdingunternehmen in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften eine Dauerüberzahlersituation zwangsläufig gegeben, wenn die Einkünfte fast ausschließlich aus steuerfreien, aber kapitalertragsteuerpflichtigen Beteiligungserträgen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) bzw. Veräußerungsgewinnen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 EStG) stammen (vgl. Beuchert/Friese, DB 2013, 2825, 2827).
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3.4.2.3. Da die Klägerin im Rahmen ihrer Holdingfunktion gegenüber der Tochtergesellschaft auch Beratungsleistungen erbrachte, kann sie nicht als reine Holdinggesellschaft angesehen werden, welche seit der Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 44a Abs. 5 EStG auf Kapitalerträge nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG durch das AmtshilfeRLUmsG i.d.R. von dieser Norm als erfasst angesehen wird (vgl. OFD München/Nürnberg - nun Bayerisches Landesamt für Steuern -, Schreiben vom 08.11.2001, FR 2001, 1308; Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Schreiben vom 21.09.2018, S 2404a-2018/0001-St 224, FMNR3d2380018, juris; Jesse, FR 2015, 249, 259). Jedoch sind die im Streitfall von der Klägerin erbrachten Beratungsleistungen nicht geeignet, das Vorliegen einer Dauerüberzahlersituation in Frage zu stellen.
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Zwar ist einer erwerbswirtschaftlichen Unternehmensberatung ein Kapitalertragsteuerüberhang nicht wesensimmanent, da diese Tätigkeit voll ertragsteuerpflichtig ist. Jedoch ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Beratungsleistungen nicht am Markt der Allgemeinheit anbot bzw. anbietet, sondern diese lediglich gegenüber einer Tochtergesellschaft erbringt, um Gewinnausschüttungen zu erzielen. Die Klägerin verfügt über kein eigenes Personal, um die Beratungsleistungen erbringen zu können. Dieses muss vielmehr extern beschafft werden. Die Klägerin ist daher organisatorisch nicht dafür ausgestattet, Beratungsleistungen erwerbswirtschaftlich zu erbringen und hieraus substantielle Gewinn zu erzielen.
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Tatsächlich wurde die Beratungstätigkeit weitgehend kostendeckend erbracht. Sie war primär darauf angelegt, (höhere) Gewinnausschüttungen zu erzielen. Die aus dieser Beratungstätigkeit erzielten Verluste (2017, 2018) bzw. geringen Gewinne haben somit keine exogenen Ursachen (Marktsituation). Soweit in der verbilligten Beratungsleistung eine individualrechtliche Gestaltung und Gegebenheit zu sehen ist, was der Annahme einer Überbesteuerungssituation i.S.d. § 44a Abs. 5 EStG entgegenstehen kann (vgl. BFH-Urteil vom 29. März 2000 - I R 32/99, BFHE 192, 59, BStBl II 2000, 496), ist dies aber nach den Umständen des Streitfalls nicht schädlich.
45
Denn auch wenn keine verbilligte Leistungserbringung der Klägerin als Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft erfolgt wäre, sondern die Beratungsleistungen gegenüber der Tochtergesellschaft unter Berücksichtigung eines angemessenen Gewinnaufschlags auf die anfallenden Beschaffungskosten abgerechnet worden wären, würde aufgrund der Höhe der jährlich Gewinnausschüttungen (in der Vergangenheit mindestens 1.300.000 €) eine auf die Beratungstätigkeit entfallende Körperschaftsteuer hinter dem Kapitalertragsteuerabzug zurückbleiben. So würde auch eine Verdoppelung der Umsatzerlöse aus Beratungsleistungen nach den vorliegenden Gewinnermittlungen eine Dauerüberzahlersituation nicht beseitigen. Denn eine solche Situation ist nicht nur dann gegeben, wenn die gesamte einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten ist. Ausreichend ist, dass die festgesetzte Körperschaftsteuer geringer als die anzurechnende Kapitalertragsteuer ist.
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Unter diesen Umständen könnte eine Dauerüberzahlersituation lediglich dadurch entfallen, dass zukünftig keine bzw. deutlich geringere Gewinnausschüttungen durch die Tochtergesellschaft erfolgen. Hierfür gibt es jedoch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte. Insbesondere wurde - nach dem unbestritten Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung - auch im Dezember 2020 für das Jahr 2020 ein Vorabausschüttung i.H.v. 1,5 Mio. € vorgenommen. Diese derzeit rein hypothetische Möglichkeit kann jedoch nach Auffassung des Gerichts nicht die Versagung einer Dauerüberzahlerbescheinigung rechtfertigen, sondern ist durch den gesetzlich zwingend vorgesehenen Widerrufsvorbehalt (§ 44a Abs. 5 Satz 5 EStG) abgedeckt. Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin gemäß § 153 Abs. 2 AO verpflichtet wäre, auf eine Änderung der Verhältnisse hinzuweisen (Seer in Tipke/Kruse, AO, § 153 Rz. 27).
47
3.4.2.4 Soweit das Finanzamt auf den im Handelsregister eingetragenen Gegenstand des Unternehmens der Klägerin verweist, kann sich nach Auffassung des Gerichts auch hieraus keine andere Beurteilung des Streitfalls ergeben.
48
Zwar erfasst der Unternehmensgegenstand lt. Handelsregister allgemein die Beratung von Unternehmen (mit Ausnahme der Rechts- und Steuerberatung), ohne diese auf Unternehmensbeteiligungen zu beschränken. Demzufolge wäre nach dem eingetragenen Unternehmensgegenstand auch eine Beratung von Unternehmen möglich, an denen keine Beteiligung besteht. Jedoch ist nach Auffassung des Gerichts zur Bestimmung der „Art der Geschäfte“ i.S.d. § 44a Abs. 5 EStG vorliegend nicht der satzungsmäßig bestimmte Unternehmensgegenstand maßgeblich, sondern die tatsächlich ausgeübte Unternehmenstätigkeit (vgl. auch BFH-Urteil vom 27. August 1997 - I R 22/97, BFHE 184, 334, BStBl II 1997, 817, Rn. 9, das auf die ausgeübte Geschäftstätigkeit abstellt). Dies liegt bereits deshalb nahe, da für die Ertragsbesteuerung nicht die mögliche, sondern die tatsächlich ausgeübte Unternehmenstätigkeit maßgeblich ist (a.A. wohl Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 09. Dezember 2011 - 4 K 2793/09, juris).
49
So bezeichnet der in den Gesellschaftsvertrag zwingend aufzunehmende Unternehmensgegenstand (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG) zunächst nur den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft, d.h. die Aktivitäten, mittels derer die Gesellschaft ihren erwerbswirtschaftlichen oder sonstigen Zweck verfolgen will (vgl. Cziupka in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018 ff., § 3 GmbHG, Rn. 9). Die Angabe des Unternehmenszwecks in der Satzung hat primär den Zweck, die Grenze der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands zu bestimmen und außenstehende Dritte über den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft zu informieren. Die Angaben zum Unternehmensgegenstand in der Satzung legen die Grenzen der unternehmerischen Tätigkeit der Gesellschaft fest. Nur ausnahmsweise kann der festgelegte Unternehmensgegenstand die Geschäftsführung zur Ausfüllung verpflichten bzw. die dauerhafte Aufgabe untersagen, wenn die Tätigkeitsfelder in der Satzung verbindlich und abschließend gefasst sind (so zu § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG OLG Köln, Urteil vom 15. Januar 2009 - 18 U 205/07 -, ZIP 2009, 1469; Cziupka in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2018 ff., § 3 GmbHG, Rn. 9).
50
Da im Streitfall der Formulierung des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands keine Verpflichtung zur erwerbswirtschaftlichen Unternehmensberatung gegenüber Dritten für die Geschäftsführung der Klägerin zu entnehmen ist, sondern der festgelegt Unternehmensgegenstand lediglich die Grenzen der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin festlegt, kann „die Art der Geschäfte“ i.S.d. § 44a Abs. 5 EStG nur unter Berücksichtigung der tatsächlich ausgeübten Unternehmenstätigkeit der Klägerin erfolgen. Diese jedoch ist nicht auf eine erwerbswirtschaftliche Unternehmensberatung angelegt, sondern lediglich auf die Beratung von Unternehmensbeteiligungen.
51
Im Übrigen spricht auch für ein Abstellen auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit, dass auch dann nicht der satzungsmäßige Unternehmensgegenstand maßgeblich sein kann, wenn die Gesellschaft Tätigkeiten ausübt, die nicht davon gedeckt sind.
52
3.4.2.5. Soweit die Klägerin lediglich Unternehmensberatung gegenüber ihrer Tochtergesellschaft erbringt, liegt hierin keine individuelle Gegebenheit vor, sondern dies stellt die „Art der Geschäfte“ i.S.d. § 44a Abs. 5 EStG dar, die die Klägerin betreibt. Hieraus ergibt sich nach den Umständen des Streitfalls - wie dargelegt - eine Dauerüberzahlersituation.
53
Die vorliegende Situation ist nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen bisher aufgrund von individualrechtlichen Gestaltungen und Gegebenheiten eine Überzahlersituation durch die „Art der Geschäfte“ verneint wurde (z.B. bei Gewinnlosigkeit oder Gewinnabführungsverträgen: BFH-Urteil vom 9. November 1994 I R 5/94, BFHE 176, 248, BStBl II 1995, 255; Verwaltung öffentlich geförderter Wohnungen, die der Mietpreisbindung unterlagen: BFH-Urteil vom 8. April 1997 I R 74/96, BFH/NV 1997, 747; bei satzungsrechtlich vorbehaltenen Rückvergütungen des Geschäftsüberschusses einer gemäß § 1 Abs. 1 des Genossenschaftsgesetzes nicht auf Gewinnerzielung gerichteten Genossenschaft an ihre Mitglieder: BFH-Urteil vom 10. Juli 1996 I R 84/95, BFHE 181, 152, BStBl II 1997, 38; öffentliche Abwasserentsorgung eines kommunalen Unternehmens nach dem Kostendeckungsprinzips: BFH-Urteil vom 29. März 2000 - I R 32/99, BFHE 192, 59, BStBl II 2000, 496).
54
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass vorliegend die Unternehmensberatung sowie die Unternehmensbeteiligung der Klägerin eng miteinander verknüpft sind, indem die Beratungstätigkeit die Höhe der Gewinnausschüttungen positiv beeinflussen soll. Im Gegensatz dazu waren in den zitierten, § 44a Abs. 5 EStG verneinenden Entscheidungen, die ertragsteuerpflichtigen Tätigkeiten mit den Kapitalertragsteuer auslösenden Erträgen nicht in vergleichbarer Weise verknüpft. Diese auf die Tochtergesellschaft beschränkte Beratertätigkeit stellt somit keine individuelle Gestaltung dar, sondern ist Teil des Unternehmenskonzepts.
55
Dem steht nicht entgegen, dass insoweit von einer individuellen Gestaltung auszugehen ist, als die gegenüber der Tochtergesellschaft erbrachte Beratertätigkeit lediglich auf Kostendeckungsbasis und nicht gewinnorientierte ausgeübte wurde (vgl. unter 3.4.2.3.). Denn dies betrifft allein die angemessene Vergütungshöhe der Beratungstätigkeit gegenüber der Tochtergesellschaft und nicht die Bestimmung des tatsächlich ausgeübten Unternehmensgegenstands, der als Vorfrage zu klären ist. Da auch bei einer gewinnorientierten Unternehmensberatung der Tochtergesellschaft derzeit von deutlich höheren jährlichen Gewinnausschüttungen auszugehen ist, ist eine Dauerüberzahlersituation gegeben.
56
3.5. Dieser Kapitalertragsteuerüberhang ist ausgehend von den Umständen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch als dauerhaft zu anzusehen. Darunter ist ein zum Zeitpunkt der Beurteilung noch nicht feststehender und nicht absehbarer Zeitraum zu verstehen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1995 - I R 118/94, BFHE 179, 396, BStBl II 1996, 199).
57
Vorliegend ist seit 2015 eine auf die gemäß § 8b KStG steuerfreien Gewinnausschüttungen der Tochtergesellschaft entfallende Kapitalertragsteuer höher als die festzusetzende Körperschaftsteuer der Klägerin. Es liegen weder konkrete Anhaltspunkte vor noch wurden Umstände von Seiten des Finanzamts geltend gemacht, dass sich an der bisherigen Situation eines Kapitalertragsteuerüberhangs in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Für die Erteilung der streitgegenständlichen Bescheinigung ist es nicht erforderlich, dass jede rein theoretische Möglichkeit des Wegfalls einer Überzahlersituation ausgeschlossen ist.
58
3.6. Die Erteilung einer Dauerüberzahlerbescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG widerspricht im Streitfall nach Auffassung des Gerichts nicht Sinn und Zweck des Kapitalertragsteuerabzugs. Die mit dem Quellensteuerabzug verfolgte Kontroll- und Sicherungsfunktion im Hinblick auf die Erhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer des Kapitalertragsgläubigers wird für zukünftige Veranlagungszeiträume durch den gesetzlichen Widerrufsvorbehalt § 44a Abs. 5 Satz 5 EStG sowie mit der Möglichkeit der zeitlichen Befristung der Bescheinigung gewährleistet. Ferner besteht die Möglichkeit Körperschaftsteuervorauszahlungen festzusetzen (§ 31 KStG i.V.m. § 37 EStG), wodurch trotz Abstandnahme vom Steuerabzug nach § 44a Abs. 5 EStG zeitnah die Erhebung voraussichtlich festzusetzender Körperschaftsteuer gesichert werden kann. Im Übrigen ist die Klägerin verpflichtet gemäß § 153 Abs. 2 AO Änderungen unverzüglich mitzuteilen.
59
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und den Vollstreckungsschutz folgt aus §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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5. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.