Titel:
Bewilligung von Leistungen für ein Auslandssemester
Normenketten:
VwGO § 55a Abs. 3, § 60 Abs. 2, § 74 Abs. 1 S. 2, § 81 Abs. 1 S. 1
BAföG § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, § 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 3
Leitsatz:
Derjenige, der eine Bank anweist, einen Betrag aus seinem Vermögen einem bestimmten fremden Vermögen gutzuschreiben, verliert mit der Ausübung dieser Anweisung seine Rechte gegen die Bank in Bezug auf das Zugewendete. Gleichzeitig verschafft er dem Kontoinhaber ein entsprechendes Recht gegen die Bank aus der Gutschrift. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausbildungsförderungsrecht, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Elternunabhängige Förderung, Vermögen der Auszubildenden, Anweisung, Auszubildender, Förderung, Unterhaltsleistung, Guthaben, Hinterlegung, Kontoauszug, Notfallgeld
Fundstelle:
BeckRS 2021, 11699
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 14. November 2019 verpflichtet, der Klägerin Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe für den Bewilligungszeitraum 9/2019 bis 1/2020 unter Nichtanrechnung des „Notfallgeldes“ in Höhe von …,00 € beim Vermögen der Klägerin zu bewilligen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für ein Auslandssemester (…) vom 26. August 2019 bis 1. Februar 2020 an der Universität … (Niederlande) im Rahmen ihres Bachelorstudiums Tourismusmanagement an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in …
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Hierzu beantragte die Klägerin am 20. August 2019 beim Beklagten Förderung nach dem BAföG für die Zeit von August 2019 bis Januar 2020. Dabei gab sie an, im Bewilligungszeitraum 8/2019 bis 1/2020 voraussichtlich Brutto-Einnahmen aus bestehenden oder ruhenden Arbeitsverhältnissen, Ferien-, Gelegenheitsarbeiten, Mini-Jobs in Höhe von …,00 € zu erzielen und Barvermögen in Höhe von …,00 € sowie Bank- und Sparguthaben, einschließlich des Guthabens auf Girokonten, von insgesamt …,00 € zu besitzen. Es wurden Kontoauszüge vom 20. August 2019 über einen Kontostand in Höhe von insgesamt … € vorgelegt (C. E. Bank: … €; S. Bank … eG … €; Geschäftsguthaben … €). Hiervon würden … € nicht zu ihrem Vermögen gehören und seien nur für ca. einen Monat auf ihrem Konto, da es sich um Notfallgeld während des Urlaubs ihres Vaters handele. Auf eine beigefügte Umsatzanzeige über einen am 13. August 2019 erfolgten Zahlungseingang des Vaters der Klägerin auf das bei der S. Bank … eG geführte Konto mit dem Betreff „Notfallgeld“ in Höhe von … € wurde verwiesen. Es wurde eine (undatierte) Bestätigung der Hochschule … für angewandte Wissenschaften vorgelegt, wonach die Klägerin in der Zeit von 26. August 2019 bis 31. Januar 2020 Leistungen aus Studienförderprogrammen erhalte. Für 130 Tage werde ein Mobilitätszuschuss in Höhe von … € pro Tag ausgezahlt, für die restlichen 25 Tage erhalte die Studierende keinen Mobilitätszuschuss (Zero Grant).
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Mit Bescheid vom 14. November 2019 lehnte der Beklagte den Antrag auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum 9/2019 bis 1/2020 ab. …-Leistungen seien bis zu einer Höhe von … €/Monat anrechnungsfrei, wobei die darüber hinausgehenden Beträge angerechnet würden. Die Klägerin erhalte insgesamt … €, dies seien monatlich … €. Die Vorlesungen an den niederländischen Hochschulen würden in der Regel im September 2019 beginnen, sodass der Bewilligungszeitraum daher zunächst ab 9/2019 festgelegt werde. Das Einkommen der Eltern bleibe außer Betracht, da die Klägerin bei Beginn des Ausbildungsabschnitts - im Oktober 2017 - nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres fünf Jahre erwerbstätig gewesen sei und sich aus dem Ertrag selbst habe unterhalten können (vgl. § 11 Abs. 3 Nr. 3 und letzter Satz BAföG). Das Vermögen in Höhe von … € sei mit in die Berechnung einbezogen worden. Eine Freistellung des „Notfallgeldes“ könne nicht erfolgen.
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Hiergegen erhob die Klägerin am 29. November 2019 mit E-Mail vom gleichen Tage beim Bayerischen Verwaltungsgericht … Klage und beantragte zuletzt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14. November 2019 zu verpflichten, ihr Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe für den Bewilligungszeitraum 9/2019 bis 1/2020 unter Nichtanrechnung des Notfallgeldes in Höhe von … € beim Vermögen der Klägerin zu bewilligen.
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Der E-Mail war ein mit einer eingescannten Unterschrift abschließendes Schreiben im PDF-Format beigefügt, worin der Wortlaut der E-Mail wiederholt wurde.
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Die Klagepartei begründete ihre Klage im Wesentlichen damit, dass in dem Bescheid … € zu ihrem Vermögen gerechnet würden, welche nicht ihr Vermögen seien. Bei diesem Betrag handele es sich um „Notfallgeld“ ihres Vaters, sollte diesem in seinem Urlaub etwas zustoßen. Es wurden eine E-Mail der Klägerin vom 10. Dezember 2019 und ein Schreiben ihres Vaters vom gleichen Tage an den Beklagten vorgelegt. Darin teilte die Klägerseite unter anderem mit, dass der Vater der Klägerin ihr und ihrer Schwester jeweils diesen Betrag überwiesen habe, da er kurz darauf in den Urlaub geflogen sei. Da er seit einigen Jahren an Herzrhythmusstörungen leide und diese kurze Zeit vor seinem Urlaub aufgetreten seien, habe ihr Vater sichergehen wollen, dass, sollte dennoch irgendetwas während des Urlaubs vorfallen, ihre Schwester und die Klägerin im Notfall sofort zu ihm fliegen könnten. Das Geld habe sie nach seinem Urlaub, Anfang September, wieder an ihn zurücküberweisen sollen. Leider hätten sie darüber keinen kurzen Vertrag/Vereinbarung aufgeschrieben. Da sie nicht gewusst habe, wie lange die Bearbeitung ihres Antrags auf Auslands-BAföG dauere, habe sie ihren Vater gebeten, ihm das Geld ausnahmsweise erst später zurückgeben zu können. Sie habe sichergehen wollen, dass sie im Ausland keine Probleme bekomme und alle anfallenden Kosten (Miete, Universitäts-Exkursionen etc.) immer rechtzeitig bezahlen könne. Dies sei auch der Grund, warum es noch keine Überweisung zurück zu ihrem Vater von ihrem Konto gebe. Da sie seit mehr als neun Jahren finanziell auf eigenen Beinen stehe, sei es ihr mehr als unangenehm, derzeit Schulden bei ihrem Vater zu haben und sie werde ihm das Geld so bald als möglich zurückzahlen. Wie der Beklagte selber auch bereits in einem Telefonat erwähnt habe, sei es mehr als ungewöhnlich, dass sich kurz vor Antragstellung der Kontostand erhöhe. Es sei leider ein sehr unglückliches Timing gewesen. Der Vater der Klägerin führte ergänzend aus, dass seine beiden Töchter seit seiner Scheidung im Jahre 2012 seine Patienten- und Vorsorgebevollmächtigten seien und deshalb bei einer schweren Erkrankung oder einem Unfall von ihm schnell und problemlos an seiner Seite stehen können müssten, um ihm zu helfen und Entscheidungen in seinem Sinne zu treffen. Daher überweise er ihnen vor längeren Reisen bis zu … € mit dem Betreff „Notfallgeld“, damit sie z.B. adhoc zu ihm fliegen und eventuelle Kosten (Flug, Hotel, Visum, Ärzte, Anwalt) problemlos zahlen könnten. Nach seinen Auslandsaufenthalten würden seine Töchter dieses Geld sofort an ihn zurücküberweisen. Nach seiner diesjährigen Rückkunft aus Namibia Anfang September 2019 habe ihm die Klägerin mitgeteilt, dass sie in finanzielle Engpässe kommen würde, weshalb er ihr die Rückzahlung gestundet habe. Möglicherweise hätte er dies aus buchhalterischen Gründen klarer trennen sollen, um das Notfallgeld von einer Art Zwischenkredit zu unterscheiden. Trotzdem bleibe der Betrag „Notfallgeld“ in Höhe von … € sein Eigentum und er erwarte die Rückzahlung. Ein ähnlicher Fall sei 2014 gewesen, als er seiner ältesten Tochter einen „Zwischenkredit für Schweden“ habe gewähren müssen, bis ihr Stipendium überwiesen worden sei. Auch sie habe damals den Betrag zeitgerecht und vollständig zurückgezahlt, was sich anhand von Kontoauszügen nachweisen lasse. Diese Art der kurzfristigen, finanziellen Unterstützung habe er auch seiner Schwester oder engen Freunden gewährt und dabei noch niemals schlechte Erfahrungen machen müssen, auch ohne dies schriftlich, also in Vertragsform festzuhalten.
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Der Beklagte beantragte,
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Dem Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung sei mit Bescheid vom 14. November 2019 dem Grunde nach entsprochen worden. Der streitgegenständliche Vermögenswert in Höhe von … € sei zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin zuzurechnen. Nach § 26 BAföG werde Vermögen des Auszubildenden nach Maßgabe der §§ 27 bis 30 BAföG angerechnet, wobei gemäß § 28 Abs. 2 BAföG der Wert im Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend sei und nach § 28 Abs. 4 BAföG Veränderungen zwischen der Antragstellung und dem Ende des Bewilligungszeitraums unberücksichtigt blieben. Unter Berücksichtigung der Vorgaben bestehe der streitgegenständliche Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung nicht. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Antragstellung über Vermögen in Höhe von … € (S. Bank … eG: … € und … €; C. E. Bank: … €; Barvermögen: … €) verfügt. Hiervon ausgehend ergebe sich unter Berücksichtigung des Freibetrags aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG in Höhe von 7.500,00 € ein anzurechnendes Vermögen nach § 26 BAföG in Höhe von … €. Geteilt durch die Monate des Bewilligungszeitraums betrage der monatlich anzurechnende Vermögensbetrag … €. Zuzüglich des monatlich anzurechnenden …-Betrags in Höhe von … € belaufe sich das anzurechnende Einkommen mit dem anzurechnenden Vermögen auf … € bei einem monatlichen Bedarfssatz von … €. Die Differenz von … € werde nicht gezahlt, da der Förderungsbetrag unter … € liege. Die im Klageverfahren geltend gemachte temporäre Verfügung über das Notfallgeld könnte als Darlehensverhältnis angesehen werden, dieses sei ausbildungsförderungsrechtlich hier jedoch nicht anerkennungsfähig. Für das Bestehen eines zivilrechtlich wirksam abgeschlossenen Darlehensvertrages müssten mehrere Indizien (genaue Höhe des Darlehens, Zeitpunkt des Vertragsschlusses, Rückzahlungsmodalitäten, plausibler Grund für Abschluss Darlehensvertrag) vorliegen (BVerwG, U.v. 4.9.2008 - 5 C 30.07). Insbesondere seien die Rückzahlungsmodalitäten vorliegend nicht substantiiert dargelegt worden. Auch sei die „Darlehensverpflichtung“ von der Klägerin im Antrag nicht angegeben worden, was ebenfalls gegen einen wirksamen Darlehensvertrag spreche (BVerwG, U.v. 4.9.2008 - 5 C 30.07). Daneben liege ein Treuhandverhältnis in Bezug auf die Übertragung des Geldbetrages in Höhe von … € nicht vor. Gegen eine Treuhand spreche insbesondere, dass das Treugut nicht separiert worden sei, als auch, dass der Betrag der Klägerin aufgrund finanzieller Engpässe belassen worden sei, der Ausschluss der Verwertung durch den Auszubildenden, auch in Notlagen, aber gerade ein gewichtiges Beweisanzeichen für eine Treuhand sein könne (vgl. Stopp in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Auflage 2020, § 28 Rn. 15). Zur Vermeidung unbilliger Härten könne ein weiterer Teil des Vermögens anrechnungsfrei bleiben. Diese Ausnahmevorschrift sei eng auszulegen. Nach Aktenlage lägen keine Gründe vor, die eine unbillige Härte darstellten.
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Der Vater der Klägerin führte mit E-Mail vom 15. April 2020 ergänzend aus, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass für eine Überweisung als „Notfallgeld“ bereits ein Treuhandvertrag notwendig sei und er halte es auch aufgrund des innerfamiliären Vertrauensverhältnisses für sehr „juristisch“ gedacht. Dass er dieses Prozedere bereits in früheren Fällen eines längeren Auslandsaufenthalts in dieser Art und ohne vertragliche Fixierung praktiziert habe, könne er gerne nachweisen. Auch seiner anderen Tochter habe er letztes Jahr anlässlich seines Namibiaurlaubs denselben Betrag am 13. August 2019 als „Notfallgeld“ überwiesen, dieser sei am 17. September 2019 an ihn zurücküberwiesen worden. Selbiges gelte für das Notfallgeld in 2014: Überweisung von ihm am 21. Januar 2014, Rücküberweisung am 13. November 2014. Ein Zwischenkredit an seine älteste Tochter im Jahre 2014 sei ebenso korrekt abgewickelt worden. Anhand der beigefügten Unterlagen sei seines Erachtens vollständig klar erkennbar und nachgewiesen, dass das Notfallgeld im Jahre 2019 in Höhe von … € zu keinem Zeitpunkt zum Vermögen der Klägerin gezählt habe. Dass er diesen Betrag nicht umgehend von der Klägerin zurückgefordert habe, liege auch daran, dass ihr finanzieller Engpass nicht zuletzt aus dem noch nicht abgeschlossenen Verfahren bzgl. des BAföGs resultiert habe. Dass dieser Zwischenkredit ebenfalls nicht schriftlich fixiert worden sei, sei ebenfalls aufgrund des innerfamiliären Vertrauensverhältnisses begründet. Außerdem hätte es seines Erachtens nur zu weiteren, aus seiner bzw. ihrer Sicht völlig unnötigen Hin- und Herüberweisungen geführt, aber ansonsten zu keiner faktischen Änderung. Er sei gegenüber seinen Töchtern nicht mehr unterhaltsverpflichtet, was diese wüssten und konsequent von ihnen gehandhabt werde. Die Klägerin sei zurzeit in einem finanziellen Engpass, und da sei es für ihn als Vater selbstverständlich, dass er ihr dabei unter die Arme greife. Sie werde ihm sein Geld selbstverständlich, sobald wie es ihr möglich sei, zurückerstatten. Allerdings sei es ihr derzeit aufgrund der Corona-Krise und vor allem im Rahmen ihres Auslandssemesters nicht möglich gewesen, selbst eigenes Einkommen zu erarbeiten. Falls die Klägerin ihm das „Notfallgeld 2019“ nicht zurückzahlen könne, werde er den entsprechenden Betrag im Rahmen seines Testamentes als Vorerbe berücksichtigen, d.h. von ihrem Anteil abziehen. Dies sei zwischen der Klägerin, der ältesten Tochter und ihm so auch bereits besprochen, eine schriftliche Vereinbarung oder einen Vertrag gebe es bisher noch nicht. Es wurden einzelne Wertstellungen das Konto des Vaters der Klägerin betreffend über jeweils an die bzw. von der Schwester der Klägerin erfolgte Gutschriften/Überweisungen vorgelegt (21.1.2014: „Notfall-Geld“ in Höhe von … €; 13.11.2014: „Schweden-Notfallreserve“ in Höhe von … €; 13.8.2019: „Notfallgeld“ in Höhe von … € und am 17.9.2019 erfolgte Rücküberweisung in gleicher Höhe).
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Auf ein gerichtliches Schreiben vom 26. März 2021 hin legte die Klagepartei weitere Kontoauszüge vor (Kontostand S. Bank … eG zum 2.4.2021: … €; Einkünfte von September 2019 bis Januar 2020: … €; Zahlungen - nach Angaben der Klägerin Mietabzüge - vom 15.7.2019 bis 10.1.2020 in Höhe von … €). Weiter wurden eine Patientenverfügung vom 28. Januar 2013, zuletzt geändert am 10. Juni 2019, worin die Klägerin und ihre Schwester als Bevollmächtigte benannt wurden, eine Bestätigung vom 11. November 2018 über eine vom 25. August 2019 bis 8. September 2019 stattfindende Namibia-Rundreise des Vaters der Klägerin, Kontoauszüge der Schwester der Klägerin vom 23. August 2014, 30. November 2014 und 31. März 2017 über jeweils an den bzw. von dem Vater der Klägerin erfolgte Gutschriften/Überweisungen (21.1.14: „Notfallgeld“ … €, 27.1.14 und 5.3.14 „Zwischenkredit für Schweden“ in Höhe von insgesamt … €, 13.11.2014: Schweden Notfallreserve“ … €, 14.1.2015 und 17.2.2015: „Schweden“ in Höhe von insgesamt … €, 17.4.2015: „Notfall-Geld Barcelona-2014“ … €, 30.4.2015: „Notfall-Geld Barcelona“ … €) eingereicht. Überdies wurden Kontoauszüge des Vaters der Klägerin vom 4. September 2019 über die am 12. August 2019 jeweils an die Klägerin und ihre Schwester erfolgten Zahlungen mit dem Betreff „Notfallgeld“ in Höhe von … € und eine am 17. September 2019 durch die Schwester der Klägerin in gleicher Höhe erfolgte Gutschrift sowie eine von der Klägerin an ihren Vater am 4. Juni 2020 erfolgte Rückzahlung in Höhe von … € mit dem Betreff „Teil-Rücküberweisung Notfallgeld bzw. Zwischenkredit“ vorgelegt.
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Die Klägerin wurde mit Schreiben des Gerichts vom 29. März 2021, zugestellt am 31. März 2021, unter Verweis auf die Rechtsbehelfsbelehrung:im Bescheid vom 14. November 2019 darauf hingewiesen, dass die per E-Mail erhobene Klage nicht den Formerfordernissen einer Klageerhebung nach § 81 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entspreche und demnach bisher unzulässig sei. Allenfalls könne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den engen Voraussetzungen des § 60 VwGO gewährt werden.
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Daraufhin erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 3. April 2021, bei Gericht eingegangen am 9. April 2021, dass eine Fristversäumnis daher gehend zustande gekommen sei, als dass es sich in jeglichem Briefverkehr und Telefonaten mit dem Gericht um ihre „Klage“ gehandelt habe. Bei den Telefonaten und der Nachfrage, was die nächsten Schritte seien und sie noch etwas nachreichen müsse, sei ein Formfehler nicht aufgefallen oder erwähnt worden. Somit sei sie davon ausgegangen, dass sie die Klage zulässig eingereicht habe. Folglich werde in der Verwaltungsstreitsache wegen BAföG mit diesem Schreiben Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
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Der Beklagte brachte in seiner Stellungnahme vom 21. April 2021 im Wesentlichen ergänzend vor, dass er aufgrund der jüngsten Aktenlage an seiner Rechtsauffassung festhalte, dass das „Notfallgeld“ als Vermögen der Klägerin zu bewerten sei. Der Argumentation des Vaters der Klägerin, wonach er seiner Tochter aufgrund von finanziellen Engpässen die Rückzahlung des sogenannten Notfallgeldes gestundet habe, könne nicht gefolgt werden. Auf dem Girokonto der S. Bank … habe sich bei Antragstellung ein Gesamtbetrag in Höhe von … € befunden. Neben dem „Notfallgeld“ in Höhe von … € habe die Klägerin somit über einen weiteren Betrag in Höhe von … € verfügt. Das Konto bei der C. E. Bank habe ein weiteres Guthaben in Höhe von … € ausgewiesen. Ein finanzieller Engpass könne nicht erkannt werden, da die Klägerin über … € habe verfügen können. Darüber hinaus sei auch eine Beleihung des Geschäftsguthabens bei der S. Bank … möglich gewesen, sowie mittelfristig die Auflösung des Kontos. Es könne keine Kontinuität dahingehend erkannt werden, dass der Vater bei längeren Reisen regelmäßig einen Betrag von bis zu … € mit Betreff „Notfallgeld“ vor Reisebeginn an seine Töchter überweise und dieser dann nach Rückkehr wieder zurücküberwiesen werde. Im Jahr 2014 habe der Vater der Schwester der Klägerin einen Zwischenkredit gewährt. Von den als Zwischenkredit und einmal als Notfallgeld insgesamt zur Verfügung gestellten … € seien … € zurückgezahlt worden. Mitte April 2015 habe der Vater der Schwester der Klägerin … € Notfallgeld überwiesen, dieses sei Ende April 2015 zurückgezahlt worden. Weitere Belege für die anderen Zeiträume in der Zeit von 2012 bis 2021, die mit Verfügung des Gerichts vom 26. März 2021 angefordert worden seien, lägen nicht vor. Insbesondere seien keine Bankbelege der Klägerin selbst eingereicht worden, die eine für den hiesigen Fall relevante und seitens des Gerichts zum Nachweis eingeforderte Kontinuität belegten. Die seitens des Vaters geleisteten Notfallbeträge seien auch keinem separaten Konto gutgeschrieben worden, so dass eine klare Abgrenzung zum frei verfügbaren Geld nicht ersichtlich sei. Überdies habe die Klägerin keinen Verlauf ihrer relevanten Kontobewegungen bei der S. Bank … eingereicht, aus dem ein Verbrauch oder eine weitere Rückzahlung glaubhaft gemacht worden sei; lediglich eine gefilterte Auflistung sei vorgelegt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 22. April 2021, in der der Vater der Klägerin als Zeuge einvernommen wurde, sowie auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 22. April 2021 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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1. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Zwar wurde die am 29. November 2019 mittels E-Mail eingereichte Klage innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO zunächst nicht formwirksam erhoben (1.1), jedoch war der Klägerin auf ihren Antrag hin nach § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (1.2).
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1.1 Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Klage beim Gericht schriftlich zu erheben. Die Schriftform im prozessrechtlichen Sinn ist jedenfalls dann gewahrt, wenn das Schriftstück vom Kläger oder seinem Prozessbevollmächtigten eigenhändig unterschrieben ist. Die Klagerhebung durch eine den Anforderungen des § 55a VwGO nicht gerecht werdende E-Mail entspricht dem Schriftformerfordernis aus § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht (vgl. z.B. SächsOVG, B.v. 19.10.2015 - 5 D 55/14 - juris Rn. 8). Die Zulässigkeit der Einreichung elektronischer Dokumente ist in § 55a VwGO (i.V.m. Signaturgesetz - SigG) abschließend geregelt. Damit wird hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgegangen ist, dass eine einfache E-Mail dem Schriftformerfordernis aus § 81 Abs. 1 VwGO nicht genügt (vgl. auch Rechtsbehelfsbelehrung:des streitgegenständlichen Bescheids). Enthält eine E-Mail keine qualifizierte elektronische Signatur i.S.v. § 2 Nr. 3 SigG, kann nicht mit der durch § 81 Abs. 1 VwGO gebotenen Sicherheit festgestellt werden, ob die betreffende E-Mail vollständig und richtig ist, und ob sie tatsächlich von dem in ihr angegebenen Urheber stammt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 17.1.2005 - 2 PA 108/05 - juris Rn. 5). Etwas anderes gilt selbst dann nicht, wenn - wie hier - ein der nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur i.S.v. § 55a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 2 Nr. 3 SigG versehenen E-Mail als PDF-Datei angehängtes Schreiben mit eingescannter Unterschrift vom Gericht ausgedruckt und zur Akte genommen wird (vgl. z.B. HessVGH, B.v. 3.11.2005 - 1 TG 1668/05 - juris Rn. 4; VG Gera, B.v. 12.9.2018 - 2 E 1480/18 - juris Rn. 5; VG München, U.v. 30.4.2014 - M 18 K 14.1321 - juris Rn. 20; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 81 Rn. 11; a.A.: BGH, U.v. 8.5.2019 - XII ZB 8/19 - juris).
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1.2 Der Klägerin war jedoch auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren.
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Nach dieser Vorschrift ist bei Versäumung einer gesetzlichen Frist, wie sie die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO darstellt, auf rechtzeitigen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Verschuldet ist die Versäumung einer Frist immer dann, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und sachgemäß Prozessführenden geboten ist (objektive Voraussetzung) und die ihm (subjektiv) nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. Beruht eine Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben. Aus Fehlern des Gerichts dürfen daher keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 60 Rn. 9 f. m.w.N.). Die sich aus dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf ein faires gerichtliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende prozessuale Fürsorgepflicht verpflichtet die Gerichte, auf offenkundige Formmängel eines bestimmenden Schriftsatzes hinzuweisen. Prozessbeteiligte können deshalb erwarten, dass solche Mängel vom Gericht in angemessener Zeit bemerkt und im ordnungsgemäßen Geschäftsgang die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumung zu vermeiden. Zur sofortigen Prüfung solcher Formalien sind die Gerichte jedoch nicht generell verpflichtet, weil dies die Prozessbeteiligten von ihrer eigenen Verantwortung für deren Einhaltung entheben würde. Unterbleibt ein danach gebotener Hinweis, ist deshalb Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist nur zu gewähren, wenn der Hinweis bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen müssen, dass eine Fristwahrung noch möglich gewesen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2012 - 8 C 18.11 - juris Rn. 18; SächsOVG, U.v. 20.12.2019 - 5 A 1048/19.A - juris Rn. 16 m.w.N.; VG Augsburg, GB v. 25.10.2010 - Au 5 K 10.738 - juris Rn. 9 m.w.N.; a.A. noch BVerwG, U.v. 26.8.1983 - 8 C 28.83 - juris Rn. 17).
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin war gehindert, bis zum Ablauf der Klagefrist am 17. Dezember 2019 einen formwirksamen Klageschriftsatz einzureichen, weil sie annahm, dass die mittels E-Mail erhobene Klage, der zudem ein mit einer eingescannten Unterschrift versehenes Schreiben angehängt war, die Formvorschrift des § 81 Abs. 1 VwGO wahrte, was sie in ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 3. April 2021 auch glaubhaft (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO) gemacht hat. Die Klägerin konnte erwarten, dass der Berichterstatter der Verwaltungsstreitsache in angemessener Zeit nach dem Eingang der E-Mail bzw. des mit einer eingescannten Unterschrift versehenen Schreibens beim Bayerischen Verwaltungsgericht … am 29. November 2019 feststellt, dass diese entgegen § 55a Abs. 3 VwGO weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen noch auf einem sicheren Übermittlungsweg i.S.v. § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht wurde und damit nicht den Formerfordernissen des § 81 Abs. 1 VwGO entspricht. Dem Berichterstatter, der ausweislich des Formulars zur Verfügung der Erstzustellung erstmals am 3. Dezember 2019 von der Klage Kenntnis genommen hat, wäre es zu diesem Zeitpunkt auch möglich gewesen, im ordnungsgemäßen Geschäftsgang so rechtzeitig auf den Mangel hinzuweisen, dass die Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO noch gewahrt hätte werden können, da die Frist - wie bereits ausgeführt - erst am 17. Dezember 2019 abzulaufen drohte.
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Der mit Schreiben vom 3. April 2021, bei Gericht eingegangen am 9. April 2021, gestellte und eigenhändig unterschriebene Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist rechtzeitig erfolgt. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Das Hindernis war vorliegend der Irrtum, in dem die Klägerin sich hinsichtlich der Formwirksamkeit ihrer Klageschrift vom 29. November 2019 befand. Dieses Hindernis fiel mit dem richterlichen Hinweis vom 29. März 2021 - der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt am 31. März 2021 -, wonach die per E-Mail erhobene Klage nicht den Formerfordernissen einer Klageerhebung nach § 81 Abs. 1 VwGO entspricht, weg.
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Zwar wurde entgegen § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO bis zur Entscheidung über die Klage keine unterschriebene Klageschrift bei Gericht eingereicht. Da aus dem von der Klägerin unterschriebenen Wiedereinsetzungsantrag vom 3. April 2021, worin die Klägerin auf ihre „Klage“ Bezug nimmt, hervorgeht, dass die Klageschrift mit Wissen und Wollen der Klägerin in den Rechtsverkehr gebracht wurden, ist darin eine Klageerhebung zu sehen (vgl. VG Augsburg, U.v. 24.6.2003 - Au 3 K 03.30316 - juris Rn. 9; ausdrückliche Klageerhebung verlangend: HessVGH, U.v. 24.1.1989 - 9 UE 251/85 - juris Rn. 9).
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Die Gewährung der Wiedereinsetzung scheitert vorliegend auch nicht an der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO. Danach ist der Antrag nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Höherer Gewalt steht es gleich, wenn die Ursache des verspäteten Antrags in der Sphäre des Gerichts - wie hier - liegt (vgl. BVerwG, U.v. 25.4.2012 - 8 C 18.11 - juris Rn. 20; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 60 Rn. 41 m.w.N.).
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2. Die Klage ist auch begründet, da der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn sie hat einen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung unter Nichtanrechnung des „Notfallgeldes“ in Höhe von … € bei ihrem Vermögen (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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2.1 Grundlage für die Bewilligung von Ausbildungsförderung für die streitgegenständliche Ausbildung der Klägerin an einer Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union i.S.v. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG ist § 1 BAföG. Demnach besteht ein Anspruch nur insoweit, als dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen (Subsidiarität der staatlichen Ausbildungsförderung, vgl. OVG Sachsen, U.v. 26.11.2009 - 1 A 288/08 - juris Rn. 19). Nach § 11 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet (Bedarf). Auf den Bedarf sind grundsätzlich Einkommen und Vermögen des Auszubildenden sowie u.a. auch das Einkommen seiner Eltern anzurechnen (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BAföG), außer wenn - wie hier (unstreitig) - einer der in § 11 Abs. 2a oder Abs. 3 BAföG genannten Tatbestände erfüllt ist, sodass das Einkommen der Eltern hier außer Betracht bleibt.
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2.2 Das „Notfallgeld“ in Höhe von … € wurde vorliegend zu Unrecht bei dem Vermögen der Klägerin angerechnet.
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Zum Vermögen des Auszubildenden zählen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG Forderungen und sonstige Rechte - wie hier das Bankguthaben -, wobei nach § 28 Abs. 2 BAföG deren Wert im Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich ist. Für die anrechnungsfreien Vermögensbeträge aus § 29 Abs. 1 Satz 1 BAföG - in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. Dezember 2014, die für Vermögen des Auszubildenden einen Freibetrag i.H.v. 7.500,00 € vorsehen - sind nach § 29 Abs. 1 Satz 2 BAföG ebenfalls die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung maßgebend.
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Unstrittig bestand am Stichtag der Antragstellung (20.8.2019) ein den Freibetrag übersteigendes Guthaben auf dem auf den Namen der Klägerin lautenden Girokonto bei der S. Bank … eG. Die Klägerin war als Kontoinhaberin nach dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen, objektiv für die Bank erkennbaren Willen Gläubigerin des Guthabens (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2008 - 5 C 12.08 - juris Rn. 12 unter Hinweis auf BGH, U.v. 18.10.1994 - IX ZR 237/93 - BGHZ 127, 229). Insoweit ist ohne Belang, aus wessen Mitteln das eingezahlte Geld stammt. Derjenige, der eine Bank anweist, einen Betrag aus seinem Vermögen einem bestimmten fremden Vermögen gutzuschreiben, verliert mit der Ausübung dieser Anweisung seine Rechte gegen die Bank in Bezug auf das Zugewendete. Gleichzeitig verschafft er dem Kontoinhaber ein entsprechendes Recht gegen die Bank aus der Gutschrift (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2009 - 12 B 08.824 - BayVBl 2009, 404 unter Hinweis auf BGH, U.v. 2.2.1994 - IV ZR 51/93 - NJW 1994, 931).
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Jedoch ergibt sich vorliegend aus dem Vortrag der Klagepartei im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie der Zeugeneinvernahme des Vaters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass das Guthaben in Höhe von … € ausnahmsweise nicht als Vermögen der Klägerin im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG anzusehen ist, da es sich dabei weder um eine verdeckte Unterhaltsleistung noch um eine Schenkung des Vaters an die Klägerin handelt, wobei offen bleiben kann, ob es sich zivilrechtlich um ein Darlehens- oder ein Treuhandverhältnis handelt (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 4.9.2008 - 5 C 30.07 - juris; U.v. 4.9.2008 - 5 C 12.08 - juris). Für eine zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung bestehende Rückzahlungspflicht in Bezug auf das „Notfallgeld“ spricht bereits, dass die Vermögensverhältnisse und Hintergründe der Überweisung von Anfang an offengelegt wurden. Die für eine Schenkung oder verdeckte Unterhaltsleistung an die Klägerin sprechenden Indizien, so etwa die Tatsache, dass knapp neun Monate nach der Urlaubsrückkehr des Vaters lediglich … € an diesen zurückgezahlt worden sind (vgl. BVerwG, U.v. 4.9.2008 - 5 C 30.07 - juris Rn. 19 f., wonach es auf die Frage, ob mit der Geltendmachung der Darlehensrückzahlung innerhalb des Bewilligungszeitraums ernsthaft zu rechnen ist, für die Anerkennung einer Darlehensschuld nicht ankommt), der Verbrauch der … € durch die Klägerin, die Überweisung des Geldes kurz vor Antragstellung, die geplante Berücksichtigung im Rahmen eines „Vorerbes“, falls die Klägerin zur Rückzahlung an den Vater nicht imstande sei, haben die Klägerin und ihr als Zeuge einvernommener Vater in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft widerlegt.
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So schilderten die Parteien in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend, dass die … € zeitnah vor dem Antritt der Urlaubsreise durch den Vater der Klägerin an diese und ihre Schwester - seine Patienten- und Vorsorgebevollmächtigten - überwiesen worden seien und auch nach der Urlaubsrückkehr des Vaters zurückgezahlt hätten werden sollen. Dies wird durch die im Gerichtsverfahren vorgelegten Kontoauszüge, wonach die Überweisungen jeweils am 12. August 2019 bzw. die Rückzahlung durch die Schwester der Klägerin am 17. September 2019 erfolgten, belegt. Aus diesen Kontoauszügen ergibt sich zwar auch, dass in der Vergangenheit lediglich der Schwester der Klägerin „Notfallgelder“ oder „Zwischenkredite“ gewährt worden sind. Dies erklärten die Klägerin und ihr Vater in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend damit, dass ihr Verhältnis zueinander in den letzten Jahren besser geworden sei, weshalb die Klägerin nun auch erstmals ein „Notfallgeld“ erhalten habe. Aus dem widerspruchsfreien Vortrag der Klägerin und ihres Vaters ist zudem ein plausibler Grund für die Gewährung der „Notfallgelder“ genannt worden. So sollen damit in einem den Vater der Klägerin betreffenden Notfall im Ausland Kosten für Flug, Hotel, Visum, Ärzte und Anwalt abgedeckt sein. Dass zwischen den Parteien keine schriftliche Vereinbarung zu den Rückzahlungsmodalitäten getroffen wurde, ist aus innerfamiliären Gesichtspunkten nachvollziehbar, zumal eine Rückzahlung der der Schwester der Klägerin in den Jahren 2014, 2015 und 2019 überwiesenen „Notfallgelder“ bzw. „Zwischenkredite“ stets zeitnah nach Urlaubsrückkehr des Vaters bzw. der Schwester und auch vollständig (entgegen der Auffassung des Beklagten in seinem Schreiben vom 21.4.2021) erfolgte. Die Alternative - etwa die Hinterlegung einer Bankvollmacht, um den Zugriff der Klägerin und ihrer Schwester im den Vater betreffenden Notfall auf dessen Bankkonto sicherzustellen - sei für den Vater der Klägerin zu kompliziert gewesen, zumal der Vater nach den Angaben der Klägerin eher streng sei, wenn es um Geld ginge. Auch wurde plausibel und nachvollziehbar geschildert, warum die Klägerin die … € nicht - wie zunächst vereinbart - nach der Urlaubsrückkehr des Vaters im September 2019 zurückgezahlt hat. Zwar befanden sich zum Zeitpunkt der Antragstellung am 20. August 2019 neben den … € noch weitere … € auf den Girokonten der Klägerin bei der S. Bank … eG und C. E. Bank. Hierbei übersieht die Beklagtenpartei jedoch, dass das Geschäftsguthaben bei der S. Bank … eG in Höhe von … € die Geschäftsanteile der Klägerin abbildet, die erst bei Beendigung der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft ausgezahlt werden (vgl. § 4 der Satzung der S. Bank … eG, Stand: 10.12.2020). Eine Kündigung ist nach § 5 Nr. 1 der Satzung zum Schluss eines Geschäftsjahres möglich, wobei diese der Genossenschaft mindestens drei Monate vor Schluss eines Geschäftsjahres zugehen muss (vgl. § 5 Nr. 3 der Satzung). Dem Internetauftritt der S. Bank … eG (vgl. https://www...de/genossenschaftsbank-vorteile-einer-mitgliedschaft/) lässt sich entnehmen, dass die Auszahlung des Geschäftsguthabens nach der Vertreterversammlung im Folgejahr erfolgt. Eine Beleihung des Geschäftsguthabens, wie vom Beklagten vorgetragen, ist nach § 37 Nr. 5 der Satzung, wonach das Geschäftsguthaben im geschäftlichen Betrieb der Genossenschaft nicht als Sicherheit verwendet werden darf, nicht möglich. Demnach hätte die Klägerin, um über die … € zum Beginn ihres Auslandssemesters verfügen zu können, spätestens am 30. September 2018 ihre Mitgliedschaft bei der Genossenschaft kündigen müssen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin den Angaben in der mündlichen Verhandlung folgend, wonach sie sich erst im vorangegangenen Semester für das …-Studium entschieden und beworben habe, noch keinerlei Grund, das Guthaben aufzulösen. Demnach ist für das Gericht plausibel und nachvollziehbar durch die Klagepartei geschildert worden, dass sie sich bei Beginn des Auslandssemesters in einem finanziellen Engpass befunden habe, zumal die Klägerin von den im Zeitpunkt der Antragstellung verwertbaren … € bereits (nachgewiesene) Mietzahlungen im maßgeblichen Bewilligungszeitraum in Höhe von … € habe begleichen müssen. Vor diesem Hintergrund ist für das Gericht auch schlüssig dargelegt worden, warum bislang lediglich … € der … € durch die Klägerin an ihren Vater zurückgezahlt worden sind. Ausweislich des vorgelegten Kontoauszugs der Klägerin für das Konto bei der S. Bank … eG vom 2. April 2021 beträgt der Kontostand derzeit … €, wovon jedoch … € als Geschäftsguthaben hinterlegt sind. Hinzu kommt, dass die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Studenten, die typischerweise als Aushilfskräfte in Restaurants, Kinos oder Bekleidungsgeschäften tätig sind, aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie größtenteils weggefallen sind, sodass es mitunter schwierig sein dürfte, überhaupt seinen Lebensunterhalt sicherzustellen, zumal der Vater der Klägerin in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht hat, seiner Tochter gegenüber nicht mehr unterhaltsverpflichtet zu sein, was er auch so handhabe. Vielmehr habe die Rückzahlung nach dem Vorbringen der Klagepartei erfolgen sollen, sobald sie die BAföG-Mittel erhalten habe. Aus dem Vortrag der Klagepartei sowohl im Gerichtsverfahren als auch in der mündlichen Verhandlung wird deutlich, dass der Klägerin eine finanzielle Unabhängigkeit, was auch bedeute, keine Schulden zu haben, sehr wichtig sei und es ihr mehr als unangenehm sei, derzeit Schulden bei ihrem Vater zu haben. So gab sie in der mündlichen Verhandlung an, den BAföG-Antrag erst im August 2019 gestellt zu haben, da sie es alleine, d.h. ohne die Inanspruchnahme staatlicher Mittel, habe schaffen wollen. Erst als ihre Ersparnisse weniger geworden seien, habe sie sich zur Antragstellung entschieden. Nicht zuletzt ergibt sich aus dem in der mündlichen Verhandlung eingesehenen WhatsApp-Verlauf der Klägerin mit ihrem Vater vom 13. September 2019, worin dieser den Töchtern geschrieben hat, dass sie ihm das „Notfallgeld“ zurücküberweisen könnten, es aber nicht eile und er auf keinen Fall wolle, dass die Klägerin in Not komme, dass er auf jeden Fall mit einer Rückzahlung rechne.
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2.3 Ob das Geschäftsguthaben der Klägerin in Höhe von … € bei der S. Bank … eG zur Vermeidung unbilliger Härten gemäß § 29 Abs. 3 BAföG anrechnungsfrei bleiben kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da das anrechenbare Vermögen der Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung jedenfalls unter dem Freibetrag in Höhe von 7.500,00 € (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG) liegt (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.7.2006 - Au 3 K 05.1257 - juris Rn. 25, wonach ein rechtliches Verwertungshindernis bei Kündigungs- und Übertragungsmöglichkeit auf Dritte nicht vorliegt).
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3. Die Kostenfolge des gerichtskostenfreien Verfahrens (vgl. § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO) ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.