Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.04.2021 – 20 NE 21.989
Titel:

Normenkontroll-Eilantrag gegen Corona-Testpflicht an Schulen durch § 18 12. BayIfSMV

Normenketten:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28b Abs. 3 S. 3
12. BayIfSMV § 18
Leitsatz:
Für einen Normenkontroll-Eilantrag gegen die mit § 18 12. BayIfSMV angeordnete Testpflicht fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Mit Inkrafttreten der bundesgesetzlichen Regelung in § 28 Abs. 3 S. 3 durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 entfaltet diese verordnungsrechtliche Regelung keine eigenständige Wirkung mehr. Mit deren vorläufiger Außervollzugsetzung würde sich die Rechtsposition der Antragsteller nicht verbessern. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Bundesgesetzliche Regelung, Rechtsschutzbedürfnis, Präsenzunterricht, Testobliegenheit, Maskenpflicht in der Schule
Fundstelle:
BeckRS 2021, 10025

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin zu 3) besucht im Landkreis Ostallgäu die 2. Klasse einer Grundschule. Die 7-Tage-Inzidenz liegt am 29. April 2021 im Landkreis Ostallgäu bei 191,2. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern der Antragstellerin zu 3). Mit dem Antrag, der am 7. April 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einging, wenden sie sich gegen § 18 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 5. März 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 171) in der Fassung vom 27. April 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 290).
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Sie sind der Auffassung, es bestehe ein Anspruch auf die Beschulung der Antragstellerin zu 3) in Präsenz. Die Schüler seien nicht Treiber der Pandemie. Die in § 18 Abs. 4 Satz 1 12. BayIfSMV angeordnete Testpflicht verletze die Antragsteller in Art. 3 Abs. 1 GG, weil Schulpersonal keiner entsprechenden Verpflichtung unterliege. Außerdem verstoße die Norm gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Ausdrücklich wendet sich der Antrag auch gegen die in § 18 Abs. 2 12. BayIfSMV angeordnete Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung auf dem Schulgelände.
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Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen.
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Mit Schreiben vom 16. April 2021 wies der Senat auf den Beschluss vom 12. April 2021 - 20 NE 21.926 - sowie mit Schreiben vom 26. April 2021 auf die Änderung des Infektionsschutzgesetzes und darauf hin, dass möglicherweise infolge der gesetzlichen Änderung nicht vom Bestehen einer Antragsbefugnis auszugehen sei. Daraufhin teilte der Antragsteller mit, dass sich der Rechtsstreit wohl tatsächlich insoweit erledigt habe, als überhaupt von einer „Testpflicht an Schulen“ auszugehen sei. Allerdings sei die streitgegenständliche Regelung strenger, da sie wöchentlich einen Test mehr vorschreibe als die bundesgesetzliche Regelung. Insoweit werde der Antrag aufrechterhalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den umfassenden Sachvortrag der Antragsteller, letztmals mit Schriftsatz vom 28. April 2021 und auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung des § 18 12. BayIfSMV bleibt ohne Erfolg. Er ist bereits unzulässig.
7
Den Antragstellern fehlt gegenwärtig das Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO, da die angegriffene Verordnungsbestimmung mit Inkrafttreten der bundesgesetzlichen Regelung in § 28 Abs. 3 Satz 3 durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl. I Seite 802) zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine eigenständige Wirkung entfaltet und sich mit einer vorläufigen Außervollzugsetzung des § 18 12. BayIfSMV eine Verbesserung der Rechtsposition der Antragsteller nicht erreichen ließe. Nach § 28b Abs. 3 Satz 3 IfSG ist ab einer Sieben-Tage-Inzidenz über einem Schwellenwert von 165 für allgemeinbildende Schulen die Durchführung von Präsenzunterricht untersagt. Da der Landkreis Ostallgäu mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 191,2 über diesem Wert liegt, kann die Antragstellerin aufgrund der bundesgesetzlichen Regelung die Schule derzeit nicht besuchen. Schon deshalb besteht für sie im Zeitpunkt dieser Entscheidung weder eine Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Schulgelände nach § 18 Abs. 2 12. BayIfSM noch eine Obliegenheit zur Vorlage eines negativen Testnachweises nach § 18 Abs. 4 Satz 1 12. BayIfSMV. Sie wird von der streitgegenständlichen Regelung des § 18 12. BayIfSMV nicht belastet.
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Ausreichend für die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses ist insbesondere nicht, dass die Sieben-Tage-Inzidenz innerhalb eines überschaubaren Zeitraums mit der Folge zurückgehen könnte, dass die streitgegenständliche Regelung die geltend gemachte Belastung der Antragstellerin zu 1) wieder entfaltet, da die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes im Rahmen des § 47 Abs. 6 VwGO mit dem Mittel der vorläufigen Außervollzugsetzung einer Norm der Abwehr schwerer Nachteile dient, deren Eintritt jedenfalls unmittelbar bevorstehen muss (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 47 Rn. 107). Nur dann kann die vorläufige Außervollzugsetzung einer Norm dringend geboten sein. Dies wäre erst bei einer zumindest unmittelbar bevorstehenden Unterschreitung des bundesgesetzlich geregelten Schwellenwertes im Landkreis Ostallgäu denkbar. Angesichts des aktuellen Werts von 191,2 ist davon allerdings derzeit nicht auszugehen.
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Ob den Antragstellern zu 1) und 2) überhaupt eine Antragsbefugnis zusteht, insbesondere weil sie in ihrem Antrag eine Verletzung eigener Rechte nicht geltend machen, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
10
Im Übrigen wird zur Frage, ob § 18 Abs. 1 12. BayIfSMV in Einklang mit höherrangigem Recht steht, auf den Beschluss des Senats vom 15. Februar 2021 (20 NE 21.411 - juris) hingewiesen. In weiteren Beschlüssen vom 10. November 2020 (20 NE 20.2349 - juris) hat sich der Senat zur Frage der Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an Grundschulen und vom 12. April 2021 (20 NE 21.926 - juris; vgl. auch BayVerfGH, E.v. 22.4.2021 . Vf. 26-VII-21) zur Frage der Rechtmäßigkeit der Testobliegenheit zur Teilnahme am Präsenzunterricht geäußert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 9. Mai 2021 außer Kraft tritt (§ 30 12. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).