Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen Bauvorhaben
Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 2
BauNVO § 3, § 15 Abs. 1, § 17 Abs. 1
BayBO Art. 71
Leitsätze:
1. Der Nachbar kann einen Bauvorbescheid nur angreifen, wenn er sich auf Verletzung von Normen beruft, die seinem Schutz dienen, und er in individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch setzt die Rechtsverletzung des Nachbarn durch einen Bauvorbescheid voraus, dass die geprüfte Vorschrift überhaupt zum Prüfungsumfang des späteren Baugenehmigungsverfahrens gehört. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zulassung von Doppelhaushälften statt Einzelhäusern widerspricht nicht dem Gebietscharakter eines reinen Wohngebiets. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid mit Befreiungen, kein Verstoß gegen Eigenart des Baugebiets, Gebot der Rücksichtnahme, Doppelhäuser, Einzelhaus, unbebautes Baugrundstück, Bebauungsplan, bauliche Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 6490
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen einen dem Beigeladenen erteilten Vorbescheid über die Errichtung von vier Doppelhäusern und einem Einzelhaus.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung …, ... in … Dieses Grundstück grenzt im Osten an die … und im Norden an das unbebaute, als Wegegrundstück vorgesehene Grundstück FlNr. … an und ist mit einem Wohnhaus mit ausgebautem Dachgeschoss sowie einer Doppelgarage an der nördlichen Grundstücksgrenze bebaut. Der Ausbau des Dachgeschosses war zuletzt mit Bescheid vom 16. Mai 2008 (…) genehmigt worden.
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Westlich davon liegt das bisher unbebaute Baugrundstück, bestehend aus jeweils dem nördlichen Teil der Buchgrundstücke FlNrn. … und …, Gemarkung …, welches auf einer Länge von ca. 13 m an das Grundstück der Klägerin südlich des bebauten Bereichs angrenzt.
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Die genannten Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. …, der 1971 von der damals eigenständigen Gemeinde … beschlossen und vom damals zuständigen Landratsamt ... genehmigt worden war. Dieser Bebauungsplan setzt für das Grundstück der Klägerin sowie das Baugrundstück als Art der Nutzung WR nach § 3 BauNVO fest, weiterhin drei jeweils durchgehend von West nach Ost über die Grundstücksgrenzen sich erstreckende Baufenster durch Festsetzung von entsprechenden Baugrenzen, sowie zwingend ein Vollgeschoss fest. In § 2 der textlichen Festsetzungen werden die Höchstwerte des § 17 Abs. 1 BauNVO als Obergrenze des Maßes der baulichen Nutzung festgesetzt, in § 3 die offene Bauweise mit freistehenden Einzelhäusern. In § 4 Abs. 2 werden als Dachform Satteldächer mit einer Neigung von 15° bis 30° zugelassen sowie Flachdächer für Garagen.
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Mit Bauantrag vom 20. Juli 2018 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Erteilung eines Vorbescheids für das Vorhaben „Neubau von vier Doppelhäusern, einem freistehenden Wohnhaus und dazugehörige Garagen“. Die zugehörigen Fragen zum Antrag auf Vorbescheid lauten:
1. Wird für die nördlich vom Leitungsrecht liegenden Grundstücke einer Grundstücksteilung auf neun Grundstücke gemäß Planung zugestimmt?
2. Wird einer Bebauung mit Doppelhäusern (KG und DG kein Vollgeschoss) zugestimmt?
3. Wird einer Überschreitung der Baugrenzen im Rahmen des Abstandsrechts gemäß BayBO zugestimmt?
4. Kann die Fläche „A-2“ mit ca. 65 qm an die Stadt übertragen werden und diese dann die Herstellung des Straßenabschnittes übernehmen?
5. Wann ist ein Ausbau der Straße „A-*“ auf der FlNr. … durch die Stadt möglich?
6. Werden Flachdächer zugelassen? Mit der planungsrechtlichen Stellungnahme vom 25. Oktober 2018 erteilte die Beklagte ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben und nahm zu den einzelnen Fragen Stellung.
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Mit Bescheid vom 30. Januar 2019 erteilte die Beklagte den beantragten Vorbescheid und verfügte in Nr. 1, das Vorhaben sei im Rahmen der gestellten Fragen zulässig, wenn in dem zu stellenden Bauantrag die angegebenen Punkte beachtet bzw. erledigt würden, in Ziffer 2 wird Befreiung erteilt gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Norden und Süden, wegen Nichteinhaltung der Festsetzung nur Einzelhäuser durch die Errichtung von Doppelhäusern und wegen Nichteinhaltung der Festsetzung Satteldach durch die Errichtung von Flachdächern.
Zu den einzelnen Fragen wird im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
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Zu Frage 1 wird der Teilung in neun Grundstücke zugestimmt.
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Zu Frage 2 wird ausgeführt, die erforderliche Befreiung für die Errichtung von Doppelhäusern könne zugelassen werden, da der Gebietscharakter nicht wesentlich verändert werde und die Maßstäblichkeit der Gebäude der Festsetzung entspreche, ein Grundzug der Planung werde nicht berührt, nachbarliche Belange seien, soweit erkennbar, gewahrt, die offene Bauweise sei gewahrt.
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Zu Frage 3 wird ausgeführt, für die Errichtung der Hauptgebäude sei eine Befreiung von den Baugrenzen erforderlich. Diese könne zugelassen werden, da die beantragte Bebauung im Wesentlichen eine Verschiebung des Bauraumes darstelle. Für die Errichtung der Garagen und Stellplätze sei eine Befreiung erforderlich. Diese könne nicht wie beantragt zugelassen werden, da die baulichen Anlagen überwiegend außerhalb der dafür festgesetzten Flächen lägen und die Anordnung der Stellplätze städtebaulich nicht vertretbar sei. Eine Überarbeitung des Stellplatznachweises sei erforderlich.
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Zu Frage 4 und 5 wird ausgeführt, das Grundstück FlNr. … sei in städtischem Eigentum und gemäß dem Bebauungsplan als Straßenverkehrsfläche festgesetzt, die Zufahrt müsse rechtlich gesichert sein. Zur Sicherung der Erschließung müsse diese Straße entweder durch die Stadt ausgebaut werden, wobei darauf hingewiesen werde, dass der Ausbau derzeit in keinem Bauprogramm aufgenommen und damit kurz und mittelfristig nicht vorgesehen sei. Andernfalls könne der Bauherr dieses Grundstück erwerben und alle Erschließungsflächen nach eigenem Standard ausbauen.
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Zu Frage 6 wird ausgeführt, für die Errichtung von Flachdächern sei eine Befreiung von der entsprechenden Festsetzung erforderlich; diese könne zugelassen werden, da die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB vorlägen.
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Die den Genehmigungsstempel tragenden Planvorlagen zum Vorbescheid zeigen eine Bebauung des nördlichen Bereichs der Grundstücke FlNrn. … und …, Gemarkung …, durch vier Doppelhäuser und ein Einzelhaus, die Parzellierung in neun Grundstücke, die Errichtung von 14 bzw. 15 Stellplätzen bzw. Garagen sowie als Zufahrt die westliche Teilfläche des Grundstücks FlNr. … Mit am 15. März 2019 beim Gericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag ließ die Klägerin Klage gegen den Vorbescheid erheben mit dem Antrag:
Der Bescheid der Stadt … (…) vom 30. Januar 2019 wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in den ihr zustehenden subjektiven öffentlichen Rechten. Die Klägerin wende sich gegen den Bauvorbescheid, soweit mit diesem Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans Nr. … erteilt worden sei. Der Vorbescheid verstoße gegen nachbarschützende Vorschriften, Drittschutz ergebe sich zunächst aus § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 1 Abs. 3, 6 Abs. 2 BauNVO. Festsetzungen über die Art der Bebauung gewährten Drittschutz gegenüber artfremder Bebauung. Die genehmigte Bebauung sei artfremd und stelle eine untypisch hohe Verdichtung in dem Wohngebiet und damit einen Fremdkörper in dem aufgelockerten Siedlungsgebiet dar. Weiterhin sei das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Eine Teilung der Grundstücke führe zu einer intensiven Nutzung mit intensivem Verkehr und einer intensiveren Lärmbelästigung, die im Widerspruch zum Bebauungsplan stehe. Auch sei der Bauvorbescheid im Hinblick auf die Teilung völlig unbestimmt, weil er sich mit dem Maß der baulichen Nutzung nicht befasse. Intensive Nutzung führe zu einer unzumutbaren Belästigung für das Anwesen der Klägerin wie für die übrigen Anwesen. Die geplante Befreiung von der Festsetzung freistehende Einzelhäuser verändere den Gebietscharakter wesentlich, da hier nicht nur insgesamt neun Grundstücke gemacht würden, sondern auf diesen auch noch Doppelhäuser errichtet werden sollten. Auch die Zulassung von Flachdach anstatt Satteldach sei nachteilig für den Charakter des Wohngebiets, da eine Art Ghetto geschaffen werde und das Grundstück der Klägerin einen Wertverlust erleide. Flachdächer stellten regelmäßig einen Fremdkörper in der ortsüblichen Bebauung dar. Der Gebietscharakter werde auch dadurch geändert, dass hier die Überschreitung der festgesetzten Grundflächenzahl erforderlich würde und insofern Befreiungen zu erteilen wären. Hier lasse der qualifizierte Bebauungsplan die Zweckbestimmung, eine aufgelockerte Bauweise mit freistehenden Häusern auf größeren Grundstücken, hinreichend deutlich erkennen, was sich auch aus den Baugrenzen und dem Umstand ergebe, dass lediglich freistehende Einzelhäuser zulässig sein sollten. Es könne damit von einer nachbarschützenden Wirkung ausgegangen werden. Im Übrigen führe das Überschreiten der festgesetzten Geschossflächenzahl auch dazu, dass die gesamte bauliche Nutzungsstruktur des Gebiets zugunsten einer erheblich intensiveren Nutzung verändert werde, was eine schleichende schwerwiegende Änderung des gesamten Gebietscharakters bedeute. Die nach dem Bebauungsplan zulässige GRZ und GFZ würden insbesondere auch nach Teilung der Grundstücke deutlich überschritten. Dies verstoße auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die nachbarlichen Interessen der Klägerin seien nicht berücksichtigt worden, das Grundstück der Klägerin werde durch Beschattung, durch die Nutzung, durch die Errichtung eines derart hohen Gebäudes und durch die zusätzliche Einsehbarkeit in ihr Grundstück beeinträchtigt. Das Heranrücken des Gebäudes an die gemeinsame Grundstücksgrenze führe zudem zu einer Einmauerung der Klägerin und damit zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Auch die Zulassung eines Flachdachs verstoße gegen das Rücksichtnahmegebot. Ein Abwehranspruch der Klägerin ergebe sich daraus, dass auf einem Nachbargrundstück nicht artfremd im Sinne der architektonischen Gestaltung gebaut werden dürfe, auch wenn das Vorhaben als Wohnnutzung grundsätzlich im vorliegenden allgemeinen Wohngebiet zulässig sei. Die hier genehmigte umfangreiche und größere Nutzung sei nicht mehr gebietstypisch und gebietsverträglich. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche seien zwar grundsätzlich nicht nachbarschützend, dies ergebe sich auch aus der neuen Rechtsprechung, so dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2018 - 4 C 7/17. Allerdings habe die bisherige Rechtsprechung schon bei einem entsprechenden planerischen Willen der Gemeinde Nachbarschutz für die Festsetzungen eines Bebauungsplans zum Maß der baulichen Nutzung der überbaubaren Grundstücksfläche ausnahmsweise angenommen. Zudem werde der Anspruch der Klägerin auf Wahrung des Gebietscharakters verletzt. Als Streitwert seien hier 5.000,00 EUR in Form des Auffangstreitwertes anzunehmen.
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Der zugleich gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde mit Schriftsatz vom 8. April 2019 zurückgenommen und das Verfahren (AN 9 S 19.00579) eingestellt.
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Mit Beschluss vom 18. März 2019 wurde der Bauherr zum Verfahren beigeladen, er äußerte sich bis zur Entscheidung nicht.
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Mit Schreiben vom 27. März 2019 beantragte die Beklagte,
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne eine Verletzung drittschützender Normen nicht geltend machen. Die Frage 1 zum Vorbescheid betreffe die Grundstücksteilung, diese könne, selbst wenn sie dem Bebauungsplan widerspräche, an sich keine Abwehransprüche vermitteln, sondern allenfalls eine entsprechende Bebauung und Nutzung. Hier vermittelten aber die Festsetzungen des Bebauungsplans nur in eingeschränktem Umfang Drittschutz, so dass ein solcher über § 19 Abs. 2 BauGB nicht darüber hinausreichen könne. Keinen Drittschutz vermittle § 3 der Bebauungsplansatzung, wonach die in § 17 Abs. 1 BauNVO genannten Obergrenzen für die GFZ und GRZ nicht überschritten werden dürften. Im Übrigen sei eine Überschreitung der Obergrenzen weder belegt noch offensichtlich. Schließlich sei bei der Prüfung auf die Gesamtgrundstücke FlNr. … und FlNr. … abzustellen, nicht aber auf die Buchgrundstücke nach den Grundstücksteilungen. Die entsprechenden Festsetzungen im Bebauungsplan seien für die ursprünglichen Grundstücke getroffen worden, durch eine Grundstücksteilung könne öffentlich-rechtlich weder ein zusätzliches Baurecht geschaffen noch das bestehende eingeschränkt werden (VG München, Urteil vom 14.7.2008 - M 8 K 07.5350). Die Nachbarrechte würden bei einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nur dann verletzt, wenn die entsprechenden Festsetzungen nachbarschützenden Inhalt besäßen, ansonsten könne sich die Klägerin allein auf das Rücksichtnahmegebot stützen. Der Vorbescheid treffe hier keine Aussage zur GRZ und zur GFZ, weil eine Befreiung davon nicht beantragt worden sei. Wenn wie hier für ein Vorhaben ein Vorbescheid erteilt werde ohne eine Befreiung, könnten Rechte des Nachbarn nur durch die Baugenehmigung oder den Vorbescheid selbst, nicht jedoch durch die fehlende Befreiung bzw. das Unterbleiben einer Ermessensbetätigung verletzt sein. Die Festsetzung „Einzelhäuser“ sei nicht nachbarschützend als Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung, es sei hier auch nicht zu befürchten, dass die Zulassung von Doppelhäusern anstelle von Einzelhäusern sich so auswirke, dass Quantität in Qualität umschlage und der Sache nach die Art der baulichen Nutzung betroffen wäre. Die Doppelhäuser unterschieden sich hinsichtlich der überbauten Fläche nicht wesentlich von den bereits vorhandenen Gebäuden entlang der … Von der geforderten offenen Bauweise sei gerade nicht befreit worden. Ein nachbarliches Austauschverhältnis in Form einer Schicksalsgemeinschaft in Bezug auf eine Errichtung nur von Einzelhäusern sei hier nicht erkennbar, ebenso wenig werde ein Gebietserhaltungsanspruch tangiert. Der Bebauungsplan sehe Wohnbebauung vor, die der Beigeladene auch umsetzen wolle. Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Gebietsprägung aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO komme nicht zum Tragen, da dieser nur auf Umstände anwendbar sei, die sich auf die Art der Nutzung bezögen. Im Hinblick auf Frage 3 handle es sich bei der Befreiung hinsichtlich der festgesetzten Baugrenzen im Wesentlichen um eine Bauraumverschiebung, auch böten die Baugrenzen hier keinen Nachbarschutz. Die Fragen 4 und 5 befassten sich mit der inneren Erschließung des Baugebiets durch den vorgesehenen Stichweg, die Erschließung des Vorhabens sei regelmäßig nicht drittschützend, auch sei hier nicht mit einer wesentlichen Verschlechterung der eigenen Erschließungssituation der Klägerin durch das Vorhaben des Beigeladenen zu rechnen. Umso weniger sei die Vorgabe des Bebauungsplans zur Dachgestaltung (Frage 6) drittschützend. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt, das Grundstück der Klägerin werde nicht eingemauert, sie habe vielmehr nach Westen weiterhin einen freien, unverbauten Blick.
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In der mündlichen Verhandlung am 11. März 2020 war die Klägerin mit ihrem Prozessbevollmächtigten erschienen, nicht aber der Beigeladene.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten, hinsichtlich der mündlichen Verhandlung auf die Niederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Der mit der Klage angegriffene Vorbescheid der Beklagten vom 30. Januar 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22
Gemäß Art. 71 BayBO hat der Bauherr bereits vor Einreichung des Bauantrags die Möglichkeit, zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens einen Vorbescheid zu beantragen. Dieser darf nach Art. 71 Satz 4 in Verbindung mit Art. 68 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. BayBO nur versagt werden, wenn das Vorhaben gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Der Nachbar hingegen kann den Vorbescheid mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn er rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen sind, sondern gerade dem Schutz eines von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises, namentlich des betroffenen Nachbarn zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ist der Fall, wenn er in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (st. Rspr. zur Baugenehmigung, vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 - 4 C 5.87; BVerwGE 89, 69; BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017, m.w.N. - juris). Hinzu kommt, dass ein Verstoß nur gegen solche Vorschriften in Betracht kommt, zu denen der Vorbescheid rechtliche Aussagen bzw. Feststellungen trifft, weil nur insoweit eine Bindungswirkung für das spätere Baugenehmigungsverfahren eintritt (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl., 2012 Art. 71, Rn. 17). Dies bestimmt letztlich der Bauherr durch die seinem Vorbescheidsantrag zugrunde gelegte Fragestellung. Auch setzt eine Rechtsverletzung des Nachbarn voraus, dass die geprüfte Vorschrift überhaupt zum Prüfungsumfang des späteren Baugenehmigungsverfahrens gehören würde (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris, Rn. 22).
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Ein solcher Verstoß ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, da zum einen die in dem Vorbescheid getroffenen verbindlichen Feststellungen keine nachbarschützenden Rechte, auf die sich die Klägerin berufen könnte, verletzen, und zum anderen der Vorbescheid zu den übrigen von der Klägerin vorgetragenen Problemfeldern gar keine rechtlichen Feststellungen trifft; insoweit kann die Klägerin eventuell ihr zustehende Abwehrrechte im Baugenehmigungsverfahren geltend machen.
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1.1 Die Feststellungen des Vorbescheids zu Frage 1 können von der Klägerin nicht mit Erfolg angegriffen werden, da sie durch die Zulassung der Teilung der das Baugrundstück bisher bildenden zwei Buchgrundstücke in neun neue Buchgrundstücke nicht in ihren Rechten verletzt wird. Durch die von der Beklagten zugelassene Aufteilung des Baugrundstücks in zukünftig neun Einzelgrundstücke wird weder die Bebaubarkeit des Baugrundstücks zu Lasten der Klägerin verändert noch in sonstiger Weise in ihre Rechte eingegriffen. Durch die Zulassung der Grundstücksteilung wird keine Verdichtung der Bebauung ermöglicht oder bewirkt, da sich die Festsetzungen des hier geltenden Bebauungsplans Nr. … der Beklagten zum Maß der baulichen Nutzung und zu den überbaubaren Grundstücksflächen nicht verändern, insbesondere nicht aufgrund der Grundstücksteilung eine vorher nicht zulässige umfangreichere Bebauung des Baugrundstücks ermöglicht würde. Die hier von der Beklagten zugelassene Aufteilung des Baugrundstücks in zukünftig neun Buchgrundstücke würde im Übrigen eher eine Beschränkung der aufgrund der Festsetzungen des Bebauungsplans zulässigen Gebäude bewirken, weil eine nach Vollzug der Teilung beantragte Baugenehmigung die Einhaltung der Abstandsflächen zu den jeweiligen Nachbargrundstücken mit beachten müsste. Im Übrigen ist die hier zugelassene Grundstücksteilung nicht Voraussetzung für die angestrebte Bebauung, da die Zulässigkeit der geplanten Baukörper und deren Situierung hier von den Regelungen des Bebauungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche und den weiteren Festsetzungen zu Art und Maß der baulichen Nutzung abhängt, nicht aber von den neu zu schaffenden Grenzen der Buchgrundstücke.
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Dass aufgrund der Grundstücksteilung eine Überschreitung der Grundflächen- und Geschossflächenzahl sich zwangsläufig ergeben muss, die wiederum zur Erteilung entsprechender Befreiungen führen würde, ist hier nicht ersichtlich; solche Befreiungen wurden weder mit dem Vorbescheidsantrag bei der Beklagten beantragt noch von dieser mit dem Vorbescheid ausgesprochen oder in Aussicht gestellt.
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Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ergibt sich aus dem Vorbescheid auch keine Befreiung hinsichtlich der Festsetzung des Bebauungsplans über nur ein zulässiges Vollgeschoss, da weder der Vorbescheidsantrag dies beantragt noch der Vorbescheid eine entsprechende Regelung enthält.
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1.2 Soweit sich die Klage gegen die im Vorbescheid ausgesprochenen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans wegen der Überschreitung der Baugrenzen nach Norden und nach Süden, wegen Nichteinhaltung der Festsetzung „Einzelhäuser“ durch die Errichtung von Doppelhäusern sowie wegen Nichteinhaltung der Festsetzung „Satteldach“ durch die Errichtung von Flachdächern wendet, so ist zunächst festzuhalten, dass keine dieser Festsetzungen nachbarschützenden Charakter besitzt. Eine solche Wirkung wird nach der Rechtsprechung der Kammer, die sich mit der obergerichtlichen Rechtsprechung deckt, bei Festsetzungen eines Bebauungsplans zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche dann angenommen, wenn sich ein entsprechender Wille des Satzungsgebers ermitteln lässt. Anhaltspunkte für einen solchen Planungswillen des Satzungsgebers im Jahr 1971 lassen sich aber weder aus den Akten noch aus den Festsetzungen des Bebauungsplans selbst erkennen.
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Aus der Begründung des Bebauungsplans ist ein Wille des Satzungsgebers, des damaligen Gemeinderats der damaligen Gemeinde …, den hier einschlägigen Festsetzungen nachbarschützenden Charakter zu verleihen, nicht zu entnehmen, Anhaltspunkte für einen solchen planerischen Willen ergeben sich auch sonst nicht aus der Akte. Die durch Baugrenzen festgesetzten, von Ost nach West verlaufenden, Baufelder deuten gerade nicht darauf hin, dass hier einzelnen Grundstückseigentümern ein Abwehrrecht im Hinblick auf Befreiungen von dieser Festsetzung zugestanden werden sollte, entsprechendes gilt auch für die Festsetzung von Satteldächern mit einer Neigung von 15° bis 30° sowie von Einzelhäusern. Insbesondere lässt sich aus der Festsetzung von relativ flach geneigten Satteldächern auch bei dem hier nach Süden bzw. Südwesten abfallenden Gelände im Bereich des Bebauungsplans kein Planungswille des Satzungsgebers dahingehend erkennen, dass anstelle von Satteldächern im Wege der Befreiung ermöglichte Flachdächer ein Abwehrrecht der Nachbarn auslösen könnten.
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Damit ist die Klägerin im Hinblick auf die hier erteilten Befreiungen auf das sich im beplanten Bereich aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergebende Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme beschränkt.
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1.3 Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die aufgrund des Vorbescheids zulässige Bebauung des Baugrundstücks, soweit dieser Regelungen dazu enthält, ist nicht erkennbar. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Vorbescheid keine Regelung über die Baukörper, also insbesondere über die Lage und Höhe der Außenwände zum Grundstück der Klägerin hin enthält, so dass sich die Auswirkungen des tatsächlich später geplanten Gebäudes, welches auf dem westlich an das Grundstück der Klägerin anschließenden Teil des Baugrundstücks einmal errichtet werden soll, auf das Grundstück der Klägerin nicht endgültig abschätzen lassen. Allerdings zeigen hier die Lage des geplanten Doppelhauses, insbesondere die danach maximal zulässige Breite der östlichen Außenwand von 10 m bei einem Abstand von der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks der Klägerin von mindestens 4 m, die trotz der Überschreitung des Baufelds nach Norden immer noch südlich und damit tendenziell hangabwärts vom Wohngebäude der Klägerin festgelegte Situierung sowie die weiterhin geltende Beschränkung auf ein Vollgeschoss sowie, bei Ausnutzung der erteilten Befreiung, Errichtung eines Flachdachs auf dem Gebäude bzw., ohne die Befreiung, eines maximal 30° steilen Satteldachs, dass von einer übermäßigen Beeinträchtigung des Grundstücks der Klägerin, insbesondere ihres Wohnhauses, durch die geplante Bebauung keinesfalls die Rede sein kann. Eine Beschattung oder Einschränkung der Belichtung durch die übrigen Baukörper ist hier ohnehin praktisch nicht gegeben.
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Soweit die Klägerin auf den aus der von ihr behaupteten Verdichtung resultierenden zusätzlichen Verkehr abstellt, so ist angesichts der Feststellung im Vorbescheid, dass die geplante Lage der Garagen und der Stellplätze nicht zugelassen und entsprechende Befreiungen abgelehnt würden, eine mögliche Immissionsbelastung des Grundstücks der Klägerin durch den Zu- und Abfahrtsverkehr auf den geplanten Baugrundstücken nicht abschätzbar. Allerdings lässt sich aus dem Umfang der geplanten Bebauung in Verbindung mit der bereits durch den Bebauungsplan festgelegten Zufahrt über den Weg auf dem Grundstück FlNr. … kein Anhaltspunkt dafür erkennen, dass das Grundstück der Klägerin einer unzumutbaren Lärm- oder Abgasbelästigung ausgesetzt werden könnte. Im Übrigen sind Gegenstand des Vorbescheides Wohnhäuser, die im Hinblick auf das vorhandene Wohnhaus der Klägerin im Hinblick auf etwaige Immissionen keine unzumutbaren Belästigungen des Grundstücks der Klägerin erkennen lassen.
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1.4 Soweit sich die Klägerin darauf beruft, die geplante Bebauung, soweit sie aufgrund des Vorbescheids geregelt und ermöglicht werde, verstoße gegen die zulässige Art der Nutzung und den Charakter des hier vorliegenden Baugebiets, so folgt die Kammer dem nicht. Bei dem Bauvorhaben, das Gegenstand des Vorbescheids ist, handelt es sich um die Errichtung von vier Doppelhäusern sowie eines Einzelhauses, wobei ausschließlich Wohnnutzung ersichtlich ist. Dies deckt sich mit der von der Klägerin auf ihrem Grundstück ausgeübten Wohnnutzung und hält sich im Rahmen der nach § 3 BauNVO im hier festgesetzten reinen Wohngebiet zulässigen Hauptnutzung.
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Soweit die Klägerin eine Verletzung eines ihr angeblich zustehenden Gebietsprägungserhaltungsanspruchs durch das Bauvorhaben behauptet, so liegen dafür, ungeachtet der Frage, die hier offenbleiben kann, ob die Existenz eines solchen Anspruchs insbesondere mit dem von der Klägerin behaupteten Inhalt überhaupt angenommen werden kann, keine Anhaltspunkte vor. Weder die Zahl der geplanten Wohneinheiten noch die zur Bebauung vorgesehene Grundstücksfläche überschreiten den Rahmen, den der Bebauungsplan mit den festgesetzten Baugrenzen und den weiteren Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und der Bauweise trifft. Durch die zugelassene Befreiung von den Baugrenzen werden die Baufenster nicht vergrößert und eine verdichtete Bebauung ermöglicht, sondern der zugelassene Bauraum verschiebt sich etwas nach Norden. Die geplanten Baukörper, deren Kubatur bisher nicht feststeht, können anhand der zugelassenen Grundfläche in Verbindung mit der Zulässigkeit von nur einem Vollgeschoss und einem Flachdach bzw. flach geneigten Satteldach zu keiner Veränderung eines angeblich hier vorhandenen Gebietscharakters führen, der zu einem Abwehrrecht der Klägerin gegen die Bebauung führen könnte. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … sind derzeit soweit ersichtlich fünf Grundstücke entlang der … mit Wohnhäusern bebaut, deren Grundfläche sich deutlich voneinander unterscheidet. Die Grundfläche der jetzt zugelassenen Bebauung hält sich, ohne dass es darauf ankäme, im Rahmen der Bebauung auf den drei nördlichen Grundstücken entlang der … Auch sonst lässt sich aus den zugelassenen Befreiungen und dem Inhalt des Vorbescheids nichts erkennen, was den Gebietscharakter des hier festgesetzten reinen Wohngebiets in irgendeiner Weise negativ beeinträchtigen könnte. Dass die Beklagte hier statt Einzelhäuser Doppelhaushälften zugelassen hat, widerspricht dem nicht, da die hier vorgesehenen Doppelwohnhäuser keinen relevanten Unterschied zu entsprechend großen Einzelwohnhäusern aufweisen, weder was die Zahl der dort zu erwartenden Personen noch den Umfang der von diesen eventuell ausgelösten Immissionen durch Zu- und Abfahrtsverkehr oder ähnliches angeht. Weder die Festsetzung „Einzelhaus“ im Bebauungsplan noch eine sonstige Regelung dort verhindert oder verbietet auch eine dichte Belegung eines Wohngebäudes. Aufgrund des hier geplanten Vorhabens und der vorhandenen Bebauung kann nach Auffassung der Kammer ausgeschlossen werden, dass sich hier die Qualität des Baugebiets in irgendeiner relevanten Weise verändern könnte, und insbesondere bei einer geplanten Bebauung mit vier Doppelhäusern nicht von einer derartigen Verdichtung ausgegangen werden könnte, die ein Umschlagen von Quantität in Qualität im Hinblick auf die im Baugebiet zulässige Nutzung bedeuten könnte. Die geplante Bebauung widerspricht bei typisierender Betrachtungsweise keinesfalls der Eigenart des Baugebiets und ist demgemäß auch nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zulässig. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in der vom Klägervertreter zitierten Entscheidung vom 15. Oktober 2019 (Nr. 15 ZB 19.1221) ausführt, handelt es sich bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO um eine Ausnahmevorschrift zur Art der baulichen Nutzung, so dass ein Widerspruch einer an sich zulässigen Nutzung zur Eigenart des Baugebiets nur unter strengen Voraussetzungen anzunehmen ist. Auch ist für die Kammer nicht ersichtlich, inwiefern ein Gebäude mit einem Flachdach im Vergleich zu einem Gebäude mit einem flachgeneigten Satteldach zu einer Beeinträchtigung des Gebiets führen könnte. Im Übrigen kann die Klägerin weder dem Beigeladenen noch der Beklagten vorschreiben, dass die zukünftige Bebauung im hier gegenständlichen Baugebiet vollständig der bisher vorhandenen Bebauung gleicht, was schon im Hinblick auf die unterschiedlichen Wohngebäude auf den bisher bebauten Grundstücken auch gar nicht möglich wäre.
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2. Damit war die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.