Titel:
Fahrzeug, Anspruch, Betriebserlaubnis, Kostenentscheidung, Zinsen, Verordnung, Form, Voraussetzungen, Klage, sittenwidrig, Verwendung, Verkehr, Verschweigen, Risiko, Zug um Zug, nicht ausreichend, ins Blaue hinein
Schlagworte:
Fahrzeug, Anspruch, Betriebserlaubnis, Kostenentscheidung, Zinsen, Verordnung, Form, Voraussetzungen, Klage, sittenwidrig, Verwendung, Verkehr, Verschweigen, Risiko, Zug um Zug, nicht ausreichend, ins Blaue hinein
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 08.10.2020 – 9 U 2344/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 60805
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 100 % der zu vollstreckenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klagepartei macht Ansprüche wegen des Kaufs eines vom Abgas-Skandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
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Die Klägerin erwarb am … vom Unternehmen … in … das streitgegenständliche Fahrzeug der Marke …, Typ … als Neufahrzeug für … €.
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Das Fahrzeug ist der Schadstoffklasse … zuzuordnen. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Beklagten mit der Bezeichnung … verbaut. Der Motor verfügt über eine temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung der Abgasrückführungsanlage (sogenanntes Thermofenster). In bestimmten Temperaturbereichen wird die Abgasrückführung reduziert mit der Folge, dass ein höherer NOx-Ausstoß als Abgas erfolgt. Einen SCR-Katalysator für die Abgasreinigung hat das Fahrzeug nicht.
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Die Klägerin behauptet, es liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Die verbaute Abschalteinrichtung arbeitet länger, als dies i.S.v. Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. b) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zum Anlassen des Motors erforderlich sei.
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Folge der Abschaltvorrichtung sei auch, dass das Abgasrückführungssystem lediglich in einem eng begrenzten Temperaturbereich zu 100 % seiner Effektivität arbeite.
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Es bestehe das Risiko des Entzugs der Betriebserlaubnis.
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Die Klagepartei ist der Meinung, ihr stehe ein Anspruch aus § 826 BGB zu, weil die Beklagte sie sittenwidrig vorsätzlich schädigte, indem diese im Motor und im AGR-System des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaute und das Fahrzeug trotzdem und unter Verschweigen deren Funktionsweise in Verkehr brachte.
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Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei … sowie Zinsen i.H.v. … € nebst weiterer Zinsen aus … € i.H.v. 4 % pro Jahr seit dem … zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeugs zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte trägt vor, Thermofenster würden bereits nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 erfüllen. Aus Gründen des Motorschutzes und des sicheren Betreibens des Fahrzeugs würden die Zulässigkeitstatbestände des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit a) alt. 1 u. alt. 2 der Verordnung greifen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands darf auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen werden.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB (oder aus anderen Anspruchsgrundlagen), weil im vorliegenden Fall ein sittenwidriges Handeln der verantwortlichen Personen der Beklagten nicht vorliegt bzw. nicht substantiiert dargelegt ist.
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Ein Anspruch wäre nur dann denkbar, wenn in dem Motor eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wäre und die maßgeblichen Personen bei der Beklagten die Fahrzeuge mit der unzulässigen Abschalteinrichtung in schädigender Weise und vorsätzlich in den Verkehr gebracht hätten. Nur dann würde das Risiko eines Entzugs der Betriebserlaubnis auch für das streitgegenständliche Fahrzeug bestehen.
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1. Richtig ist, dass eine Abschalteinrichtung vorliegt.
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Es bestehen aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass in dem Motor … eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist. Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 lautet in den Absätzen 1 u. 2 wie folgt:
„Der Hersteller rüstet das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.“
„Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) Die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
b) die Einrichtung nicht länger arbeite, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
c) die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
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Es ist darauf hinzuweisen, dass eine Abschalteinrichtung grundsätzlich verboten ist. Allerdings sind die drei Ausnahmen in der Verordnung recht weit gefasst.
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Nähere Ausführungsbestimmungen zu Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) – c) finden sich nicht. Deshalb muss den Herstellern im Rahmen des Art. 5 ein relativ weites Ermessen eingeräumt werden, wann eine Abschalteinrichtung den Motor vor Beschädigung oder Unfall schützt bzw. eine Abschalteinrichtung den sicheren Betrieb des Fahrzeugs gewährleisten soll.
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Die Klageseite erhebt zwei Einwände:
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a) Zum einen wird bemängelt, dass die verbaute Abschalteinrichtung länger arbeite, als dies zum Anlassen des Motors erforderlich sei. Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. b).
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Der unbestimmte Begriff „länger als erforderlich“ wird jedoch hier nicht näher ausgeführt.
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Das Gericht ist nicht gehalten, diesem Vorwurf im Einzelnen nachzugehen. Auch wenn dem Gericht bewusst ist, dass der Klägerin grundsätzlich die Möglichkeiten, die Wirkungsweise der Abschalteinrichtung beim Starten des Motors zu überprüfen, nur rudimentär bewerten kann, reicht doch der äußerst pauschale Vortrag nicht aus, um eine schlüssige Behauptung anzunehmen. Zwar sind für den Beweisantritt durch Sachverständigengutachten gem. § 403 ZPO schlüssig vorgetragene und wirksam bestrittene Tatsachen ausreichend, um einen entsprechenden Beweis zu erheben.
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Schlüssiger Vortrag findet sich zur Überzeugung des Gerichts jedoch nicht. Vielmehr zeigt die unbestimmte Form des Komperativs „länger als“ nur eine Behauptung ins Blaue hinein. Schlüssige Anknüpfungstatbestände finden sich nicht.
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b) Zutreffend sind die Ausführungen der Klageseite, dass infolge der temperaturgesteuerten Abschalteinrichtung (sogenanntes Thermofenster) letztlich in der Bundesrepublik Deutschland nur eine geringe Breite für die Anwendung des vollen Funktionierens der Abgasrückführung bleibt. Die Klageseite teilt jedoch nicht mit, warum auch eine derartige Abschalteinrichtung nicht unter die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) fallen solle. Der Hinweis auf vereinzelt gebliebene Entscheidung anderer Gerichte reicht hierfür mit Sicherheit nicht aus. Das Gericht geht davon aus, dass dem europäischen Verordnungsgeber die klimatischen Bedingungen in den Mitgliedsstaaten bekannt waren. Somit ging der Verordnungsgeber davon aus, dass die Abgasrückführung in mehreren Ländern stark reduziert wird, bis hin zu einer vollständigen Abschaltung bei entsprechenden Außentemperaturen.
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2. Die Klageseite hat durch Einfügen eines Schaubildes der Deutschen Umwelthilfe (Schriftsatz vom 06.02.2020, Seite 4 oben) die Wirkungsweise der Abschalteinrichtung übersichtlich dargestellt. Mit steigender Außentemperatur sinkt der NOx-Ausstoß eines Dieselmotors. Dies ist eben auch auf die Abschalteinrichtung zurückzuführen. Dass diese Abschalteinrichtung unzulässig wäre, ist damit nicht gesagt.
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Maßgeblich für die Entscheidung im vorliegenden Fall ist jedoch die unstreitige Tatsache, dass das Kraftfahrtbundesamt – im Gegensatz zu dem Motor … – für den streitgegenständlichen Motor keine Rückrufaktion angeordnet hat. Dies bedeutet, dass das Kraftfahrtbundesamt nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Motor ausgeht.
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Der Vortrag der Klageseite ist nicht ausreichend, um das Gericht von der Möglichkeit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu überzeugen. Ein Sachverständigengutachten kann bei dieser Sachlage nicht erholt werden.
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3. Dem Kläger ist es zwar nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die er aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (Bundesgerichtshof vom 28.11.2019, VIII ZR 57/19, Rn 8 m.w.N.). Erforderlich ist jedoch die Angabe greifbarer Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Hieran fehlt es im Vortrag des Klägers. Im höchstrichterlich entschiedenen Fall waren die greifbaren Anhaltspunkte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zum dortigen streitgegenständlichen Motor und eine Rückrufaktion des Herstellers des Fahrzeugs. Derartige Anhaltspunkte werden hier nicht vorgetragen.
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4. Selbst wenn im vorliegenden Fall gleichwohl eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Durchführung einer Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt werden könnte, führt dies gleichwohl nicht zu einem Anspruch der Klägerin.
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Neben einer unzulässigen Abschalteinrichtung wäre Tatbestandsmerkmal auch ein vorsätzlich sittenwidriges Handeln der maßgeblichen Personen der Beklagten (vgl. OLG Frankfurt/Main vom 07.11.2019 in BeckRS 2019, 30856).
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Dieses könnte nicht nachgewiesen werden, auch wenn die wissenschaftlichen Untersuchungen etwa ergäben, dass die temperaturgesteuerten Abschaltvorrichtungen etwas zurückgefahren werden könnten, das Zeitintervall der Abschaltung beim Starten des Motors verkürzt werden könnte oder überhaupt Abschalten der Abgasrückführung zum Schutze des Motors gar nicht erforderlich wäre. Den maßgeblichen Personen bei der Beklagten könnte eine Einlassung, sie seien von der Zulässigkeit des verbauten Thermofensters ausgegangen, nicht widerlegt werden. Die oben zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs betraf einen Gewährleistungsfall, keinen Deliktsfall auf der Grundlage einer sittenwidrigen Schädigung.
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Es darf mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass im Falle des Motortyps … eine unzulässige Umschalteinrichtung deshalb vorlag, weil der Motor auf dem Prüfstand in einen gesonderten Modus gebracht wurde, der dann auf der Straße nicht mehr zur Anwendung kam. Eine derartige Umschalt-/Abschalteinrichtung gerade für den Prüfstand behauptet nicht einmal die Klageseite für das vorliegende Fahrzeug.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.