Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 15.07.2020 – B 4 K 18.1280
Titel:

Ansatz eines Artzuschlages (bejaht), ambulant betreute Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Patienten, typisierende Betrachtung

Normenketten:
BauGB § 131 Abs. 3
BV Art. 11 Abs. 2
PfleWoqG Art. 2 Abs. 3
Schlagworte:
Ansatz eines Artzuschlages (bejaht), ambulant betreute Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Patienten, typisierende Betrachtung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53617

Tenor

1.Der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes ... vom 21. November 2018 wird aufgehoben.
2.Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.   

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Artzuschlages bei der Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag.
2
Der Beigeladene ist Eigentümer des bebauten Grundstücks Fl.-Nr. aaa/4 der Gemarkung … (Anwesen …, …), das eine Buchgrundstücksfläche von 1.182 m² aufweist. Der bebaute Teil des Grundstücks ist seit dem 1. Februar 2012 an die Firma … vermietet, während der Gartenabschnitt privat genutzt wird.
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Mit Bescheid vom 4. März 2016 setzte der Kläger für das Grundstück des Beigeladenen einen Erschließungsbeitrag zur Anlage … Straße (Verlängerung zwischen … und ...) in Höhe von 15.680,59 € fest. Der Beitragserhebung lag - nach Abzug des gemeindlichen Eigenanteils von 10% - ein umlagefähiger Erschließungsaufwand in Höhe von 87.031,87 € zugrunde. Nach Ermittlung der Beizugsflächen in Höhe von insgesamt 9.840,64 m² ergab sich ein Beitragssatz von 8,8441 €/m². Das klägerische Grundstück wurde mit einer Buchgrundstücksfläche von 1.182 m² und einem Nutzungsfaktor von 1,5 angesetzt, der sich aus der eingeschossigen Bebauung sowie einem Gewerbezuschlag von 0,5 ergab. Die beitragspflichtige Grundstücksfläche belief sich demnach auf 1.772 m².
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Unter Berücksichtigung bereits erhobener und vom Beigeladenen bezahlter Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag von insgesamt 15.816,82 € ergab sich ein Guthaben des Beigeladenen in Höhe von 136,23 €, das an ihn erstattet wurde.
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Mit Schreiben vom 2. April 2016 legte der Beigeladene Widerspruch gegen den Erschließungsbeitragsbescheid ein. Er wandte sich gegen den Ansatz des Gewerbezuschlags sowie gegen die angesetzte Grundstücksfläche und verwies auf bereits bezahlte Erschließungsbeiträge für das Grundstück Fl.-Nr. bbb/5. Begründend gab er im Hinblick auf den Gewerbezuschlag an, dass das Objekt von einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft gemäß Art. 2 Abs. 3 PfleWoqG genutzt werde, die weder als eine stationäre Pflegeeinrichtung noch als eine gewerbliche Einrichtung einzustufen sei. Es handele sich um eine private Wohnform, in der ältere und/oder pflegebedürftige Menschen in eigener Bestimmung und Verwaltung ihre persönliche Wohn- und Lebenssituation regeln und bestimmen würden. Einbezogene Dienstleister seien von der Wohngemeinschaft beauftragt, deren Dienstleistungsverträge jederzeit kündbar und die Beauftragung erfolge unabhängig von einem vereinbarten Mietvertrag.
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Mit Schreiben vom 20. April 2016 erwiderte der Kläger, dass das Differenzierungsgebot nach § 131 Abs. 3 BauGB dazu führe, dass auch solche Grundstücke mit einem Artzuschlag heranzuziehen seien, deren Nutzung der gewerblichen Nutzung ähnlich sei, weil eine im Vergleich zur Wohnnutzung deutlich intensivere Inanspruchnahme der Erschließungsanlage ausgelöst werde. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof lege den Gewerbebegriff in der Verteilungsregelung daher weit aus. Entscheidendes Kriterium sei demnach der erhöhte Ziel- und Quellverkehr. Alten- und Pflegeheime seien artzuschlagspflichtig, weil die Möglichkeit eines Heranfahrens für eine bestimmungsgemäße Nutzung nicht ausreichend sei und deshalb die Möglichkeit des Hinauffahrens bestehen müsse. Dem stehe nicht entgegen, dass sich die Nutzung aus der Perspektive der Bewohner als Wohnnutzung darstelle. Der Betreiber müsse das Grundstück mit Kraftfahrzeugen befahren können, um die vertragsgerechte Versorgung der Bewohner sicherzustellen. Den Bewohnern werde nicht nur der erforderliche Wohnraum zur Verfügung gestellt, in dem sie wie in einer Miets- oder Eigentumswohnung leben könnten. Die Ihnen zu erbringenden Leistungen würden über die bloße Bereitstellung von Wohnraum hinausgehen. Angesichts der Alters- und Pflegestruktur der Bewohner sei im Vergleich zu einem nur dem reinen Wohnen dienendem Grundstück damit zu rechnen, dass dieses häufiger durch Notärzte und Krankenwagen angefahren werden müsse. Des Weiteren müsse auch der Transport von Rollstuhlfahrern gewährleistet sein. Diesen Erreichbarkeitsanforderungen werde eine bloße fußläufige Erreichbarkeit nicht gerecht. Die Einrichtung auf dem klägerischen Grundstück entspreche von der Systematik her einem Pflegeheim und sei somit artzuschlagspflichtig. Abschließend wurde dem Beigeladenen Gelegenheit zur Widerspruchsrücknahme eingeräumt.
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Nachdem diese ausblieb, half der Kläger dem Widerspruch nicht ab und legte ihn dem Landratsamt … zur Entscheidung vor.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2018 änderte das Landratsamt … den Erschließungsbeitragsbescheid des Klägers vom 4. März 2016 insoweit ab, als es den Erschließungsbeitrag auf 11.121,67 € reduzierte. Im Übrigen nahm der Beigeladene seinen Widerspruch zuvor mit Schreiben vom 15. November 2018 zurück.
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Im Bescheid wurde näher ausgeführt, dass die Abläufe in einer Intensivpflegeeinrichtung durchaus denen in einem vollstationären Pflegebereich eines Seniorenheimes entsprechen würden. Nach Einschätzung des Landratsamtes führe der Pflegebetrieb aber zu keinem im Vergleich zu einer Wohnnutzung deutlich höheren Ziel- und Quellverkehr. Der Pflegedienst arbeite im Schichtbetrieb, sodass sich etwa drei An- und Abfahrvorgänge pro Tag ergäben. Für die Versorgung der Bewohner seien keine besonders häufigen Anlieferungen erforderlich. Einkäufe oder andere Erledigungen erfolgten durch bzw. mithilfe von Unterstützungspersonen oder Angehörigen. Die Bewohner selbst seien nicht mobil. Arztbesuche fänden nicht regelmäßig bzw. nicht häufiger statt, Notarzteinsätze seien Ausnahmefälle. Entsprechende Verkehrsvorgänge könnten z.T. auch bei Wohnhäusern vorkommen, in denen pflegebedürftige Menschen lebten. Hingegen würden sicher öfter Besuche von Angehörigen oder Bekannten stattfinden. Bei einem Einfamilienhaus ergebe sich aber in der Regel keine wesentlich geringere Zahl von An- und Abfahrvorgängen. Die möglicherweise höhere Besucherzahl werde bei einem Einfamilienhaus durch Fahrten zu Verpflichtungen, Terminen und Freizeitaktivitäten aufgewogen. Auch dort könne es zu Kontakten mehrerer Hausbewohner zu Freunden und Bekannten kommen. Die Situation sei mit Wohngemeinschaften von Behinderten, Senioren oder Studenten oder mit einem Wohngebäude mit mehreren vermieteten Zimmern oder Single-Wohnungen vergleichbar. Im Übrigen finde kein Hinauffahren auf das Grundstück statt. Es gebe keine gesonderte Zufahrt, um beispielsweise Rollstuhltransporte oder Anlieferungen durchführen zu können, sondern nur den Zugang zur Eingangstür und den Garagenvorplatz. Aus diesen Gründen sei der Ansatz eines Artzuschlags nicht gerechtfertigt.
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Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2018 erhob der Kläger Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth und beantragte mit weiterem Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 21. Februar 2019, den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes … vom 21. November 2018 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 8. März 2019 vorgetragen, dass die Firma … auf dem Grundstück des Beigeladenen eine ambulant betreute Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Menschen betreibe. Dem Internetauftritt des Unternehmens zufolge werde dort intensivpflegebedürftigen Menschen und ihren Familien individueller Wohnraum und professionelle medizinische Versorgung geboten. Das Haus werde zudem mit den pflegerischen Schwerpunkten „beatmungspflichtige Patienten, Wachkomapatienten, Seniorenwohngemeinschaft“ beworben. Demnach erbringe das Unternehmen gewerbliche Pflegeleistungen, sodass nicht darauf abgestellt werden könne, dass das Wohnen im Vordergrund stehe. Der Gewerbebegriff sei in diesem Zusammenhang weiter zu verstehen als der Begriff des Gewerberechts oder des Gewerbesteuerrechts. Es liege eine qualifizierte Nutzung, vergleichbar der eines Altenpflegeheims vor, die über den normalen Besucherverkehr hinaus zu umfangreichem und intensivem Ziel- und Quellverkehr durch das Pflegepersonal und entsprechendem Anlieferverkehr führe. Dies sei bei einem klassischen Altenwohnheim häufig anders. Die hier gegebene qualifizierte Nutzung reiche weit über die eines Altenwohnheims hinaus. Dies vor allem deshalb, weil intensivpflegebedürftige Menschen professionell medizinisch versorgt werden müssten. Außerklinische Intensivpflege sei eine besondere Nutzung, die weit über den Aspekt des Wohnens hinausreiche. Vor diesem Hintergrund sei der Ansatz eines Artzuschlags gerechtfertigt.
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Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2019 beantragte der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
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Inhaltlich nahm er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 21. November 2018 Bezug.
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Mit Beschluss vom 11. März 2019 wurde der Grundstückseigentümer zum Verfahren beigeladen.
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Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15. Juli 2020 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Klage ist begründet. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes … vom 21. November 2018 aufzuheben, weil die Herabsetzung des Erschließungsbeitrags rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.
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1. Die Klage ist zunächst zulässig.
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Insbesondere kann sich der Kläger aus seinem Recht auf Selbstverwaltung gem. Art. 11 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung (BV) bzw. Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) auf eine mögliche Rechtsverletzung berufen. Dieses Recht umfasst die Finanzhoheit des Klägers nach Art. 22 Abs. 2 S. 1 der Gemeindeordnung (GO) im eigenen Wirkungskreis. Durch die Herabsetzung des festgesetzten Erschließungsbeitrags könnte der Kläger daher in seinem Recht zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach Art. 5a des Kommunalabgabengesetzes (KAG) als Teil der gemeindlichen Finanzhoheit verletzt sein.
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2. Die Klage ist auch begründet.
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Gemäß Art. 5a Abs. 1 KAG i.d. bis 31. März 2016 geltenden Fassung i.V.m. § 127 Abs. 1 des Baugesetzbuches (BauGB) erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag.
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Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand für eine Erschließungsanlage ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen. Gemäß § 131 Abs. 3 BauGB sind die Verteilungsmaßstäbe des § 131 Abs. 2 BauGB (Art und Maß der baulichen und sonstigen Nutzung, Grundstücksfläche, Grundstücksbreite an der Erschließungsanlage), wenn im Abrechnungsgebiet eine unterschiedliche bauliche oder sonstige Nutzung zulässig ist, in der Weise anzuwenden, dass der Verschiedenheit dieser Nutzung nach Art und Maß entsprochen wird. In Anknüpfung an diese Vorschrift sieht § 6 Abs. 10 der Erschließungsbeitragssatzung des Klägers vom 15. Dezember 2014 (EBS) einen Artzuschlag vor. Werden demnach in einem Abrechnungsgebiet außer Grundstücken, welche zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt werden, auch andere Grundstücke erschlossen, so sind für die Grundstücke, die zu mehr als einem Drittel gewerblich genutzt werden, die Nutzungsfaktoren um 50 v.H. zu erhöhen. Als gewerblich genutzt oder nutzbar gelten auch Grundstücke, wenn sie zu mehr als einem Drittel Geschäfts-, Büro-, Praxis-, Unterrichts-, Heilbehandlungs- oder ähnlich genutzte Räume beherbergen oder in zulässiger Weise beherbergen dürfen.
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Hieran gemessen hat der Kläger das Grundstück des Beigeladenen zu Recht mit einem Artzuschlag nach § 6 Abs. 10 EBS belegt, da es zu mehr als einem Drittel in gewerbeähnlicher Weise genutzt wird.
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Das Differenzierungsgebot des § 131 Abs. 3 BauGB verlangt eine Berücksichtigung der Art der Grundstücknutzung und fordert damit eine stärkere Belastung der Grundstücke, die im Vergleich zu Grundstücken, die der Wohnnutzung vorbehalten sind, erfahrungsgemäß eine intensivere Inanspruchnahme der Anbaustraße auslösen. Davon ausgehend ist auch der Begriff Gewerbe im Sinne einer grundstücksbezogenen Artzuschlagsbestimmung weit auszulegen, sodass unter gewerblich genutzt auch solche Grundstücke fallen, auf denen eine Tätigkeit ausgeübt wird, die typischerweise auf einen Besucherverkehr abstellt und deshalb eine intensivere Inanspruchnahme einer Anbaustraße verursacht (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Auflage, § 18, Rn. 64). Der Kläger hat diesem erschließungsbeitragsrechtlich weit zu verstehenden Begriff des Gewerbes in § 6 Abs. 10 EBS dergestalt Rechnung getragen, dass auch gewerbeähnlich genutzte Grundstücke mit einem Artzuschlag zu belegen sind. Beispielhaft sind hierbei Grundstücke mit Geschäfts-, BüroPraxis-, Unterrichts-, Heilbehandlungsräumen genannt, für die ein Artzuschlag auch anerkannt ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Auflage, § 18, Rn. 65).
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Unter eine solche gewerbeähnliche Nutzung ist auch eine ambulant betreute Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Menschen zu fassen, auch wenn diese Nutzung in der maßgeblichen Satzungsbestimmung nicht ausdrücklich aufgeführt ist. Da § 6 Abs. 10 EBS nur eine beispielhafte Aufzählung beinhaltet, ist die Regelung nicht abschließend. Die Behandlung als gewerbeähnlich gebietet sich im Hinblick auf das Differenzierungsgebot des § 131 Abs. 3 BauGB, da ein mit einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Menschen genutztes Grundstück typischerweise im Gegensatz zur reinen Wohnnutzung einen erhöhten Ziel- und Quellverkehr auslöst, sodass eine im Vergleich zur reinen Wohnbebauung qualifizierte Nutzung vorliegt. Dies ergibt sich daraus, dass neben dem Besucherverkehr durch Angehörige und Bekannte auch der durch das Pflegepersonal (tagsüber zwei Pfleger, nachts eine Person) und Ärzte zusätzlich ausgelöste Verkehr in Rechnung zu stellen ist. Des Weiteren fallen weitere An- und Abfahrvorgänge durch die erforderliche Anlieferung von Lebensmitteln (vorliegend für die künstliche Ernährung) und Pflegeartikeln ebenso wie für ein gegebenenfalls beauftragtes Reinigungs- und Haushaltspersonal an (vgl. VG München, U.v. 28.3.2000 - M 2 K 99.5527 - beckonline; VG Schwerin, U.v. 21.7.2016 - 4 A 21/13 - juris). Auch wenn dies nicht notwendig für die Standardform der ambulant betreuten Wohngemeinschaft gelten mag, so handelt es sich bei der vorliegenden Sonderform der ambulant betreuten Wohngemeinschaft für intensivpflegebedürftige Menschen bzw. Wachkomapatienten um eine Nutzung, bei der das Pflegeelement deutlich im Vordergrund steht. Eine derartige Einrichtung ist von vornherein oder voraussehbar zur Aufnahme von auf Dauer pflegebedürftigen älteren Menschen ausgelegt, die regelmäßig weder zur eigenständigen Haushaltsführung noch sonst zu der dem Wohnen wesenseigenen freien Disposition und Tagesplanung in der Lage sind. Folglich tritt das Wohnelement stark hinter den Versorgungs-, Pflege- und Betreuungscharakter zurück. Daran ändert auch die grundsätzlich freie Wahlmöglichkeit über die Inanspruchnahme der Betreuungs- und Pflegeleistungen durch die Bewohner bzw. deren Angehörige sowie über deren Art und Umfang nichts, da die intensivpflegebedürftigen Bewohner zwangsläufig auf eine umfangreiche Pflege angewiesen sind. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der von der Rechtsprechung bislang vorgenommenen Einordnung der verschiedenen Heimtypen im Heimgesetz. Demnach sind sowohl Altenheime als auch Altenpflegeheime als gewerbeähnlich einzustufen (vgl. OVG LSA, B.v. 19.11.2004 - 2 M 337/04 - juris Rn. 9 ff.; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Auflage, § 18, Rn. 67), da das erforderliche Pflegepersonal bei diesen Heimtypen eine mit einer Wohnnutzung nicht mehr zu vergleichende Inanspruchnahme der Anbaustraße auslöst.
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Bei dieser Einordnung als gewerbeähnlich ist zudem von einer typisierenden Betrachtung für die Beurteilung des den Artzuschlag auslösenden zusätzlichen Ziel- und Quellverkehrs auszugehen. Abzustellen ist daher auf den typischerweise zusätzlich ausgelösten Verkehr und nicht etwa auf den Ziel- und Quellverkehr im jeweiligen Einzelfall, sodass auch etwa eine schlecht gehende Arztpraxis zu Recht als „gewerbeähnlich“ einzustufen ist (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 19.11.2004 - 2 M 337/04 - juris Rn. 8). Es mag gegebenenfalls zutreffend sein, dass im vorliegenden konkreten Fall aufgrund des Wohnungszuschnitts und der begrenzten Bewohnerzahl auf vier Personen keine erhöhte Nutzung der Anbaustraße im Gegensatz zu einer Wohnbebauung vorliegt, letztlich ist dies aufgrund der typisierenden Betrachtungsweise jedoch nicht maßgeblich. Dabei ist zu beachten, dass das Erschließungsbeitragsrecht keine Einzelfallgerechtigkeit vorsieht. Eine solche wäre auch unpraktikabel, da auch Gewerbebetriebe, die unstreitig mit einem Artzuschlag zu belegen sind, einen unterschiedlichen Verkehr auslösen können, der im Einzelfall möglicherweise ebenfalls auch nicht den durch eine reine Wohnbebauung verursachten Verkehr übersteigt. Der Kläger hat daher im Hinblick auf die anzustellende typisierende Betrachtungsweise zu Recht einen Artzuschlag erhoben.
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Ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankäme, bestehen überdies auch Zweifel daran, ob die ansässige Einrichtung die gesetzlichen Voraussetzungen der ambulant betreuten Wohngemeinschaft erfüllt, die in Art. 2 Abs. 3 Satz 1 des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (PfleWoqG) normiert sind. Dabei ist insbesondere fragwürdig, ob bei intensivpflegebedürftigen Patienten bzw. Patienten im Wachkoma ein „Leben im gemeinsamen Haushalt“ gegeben ist, da diesen Patienten weder eine wechselseitige Kommunikation untereinander möglich ist noch ein Minimum an gemeinsamen Veranstaltungen stattfinden kann (dies verneinend: BayVGH, B.v. 21.1.2020 - 12 ZB 16.268 - juris Rn. 41 f.). Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen; sofern die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 3 PfleWoqG nicht vorlägen, würde es sich jedenfalls um eine stationäre Einrichtung i.S.d. Art. 2 Abs. 1 PfleWoqG handeln, die ebenfalls als gewerblich einzustufen wäre.
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Schließlich nimmt die gewerbliche Nutzung auf dem Grundstück des Beigeladenen auch mehr als ein Drittel der Nutzung ein. Die Vermietung des Gebäudes an die ambulant betreute Wohngemeinschaft erfolgt zwar nur auf einem Teilbereich des Grundstücks, während die übrige Grundstücksfläche weiterhin als Gartenfläche vom Eigentümer genutzt wird. Bei einem mit einem Gebäude bebauten, gemischt genutzten Grundstück ist für den Vergleich der jeweiligen Nutzungsanteile aber maßgebend allein auf die Geschossflächen abzustellen, also auf die Flächen, die den in dem Gebäude ausgeübten Nutzungen zuzurechnen sind; die Freiflächen bleiben grundsätzlich außer Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2010 - 6 ZB 08.2719 - juris Rn. 7). Daran gemessen ist bei der Abgrenzung allein auf die Nutzung im Gebäude abzustellen, die - wie ausgeführt - als insgesamt gewerblich einzustufen ist. Demgemäß wird das Grundstück ausschließlich gewerblich genutzt.
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Auch die Berücksichtigung der gewerblichen Nutzung durch die Erhöhung des Nutzungsfaktors um 0,5 begegnet der Höhe nach keinen Bedenken.
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Aus diesen Gründen war der Widerspruchsbescheid aufzuheben.
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II. Die Kostenentscheidung, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kostenentscheidung bezüglich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht auf § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten selbst tragen zu lassen, da er keinen Antrag gestellt und damit selbst gemäß § 154 Abs. 3 VwGO kein Kostenrisiko übernommen hat.
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III. Die Vollstreckungsentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO).