Inhalt

VG München, Urteil v. 22.01.2020 – M 9 K 18.2041
Titel:

Ausweisung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, § 53, § 54 Abs. 2 Nr. 3
BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Das Handeltreiben eines Ausländers mit Betäubingsmitteln stellt eine schwerwiegende Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, die seine Ausweisung rechtfertigt. (Rn. 14 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Asylberechtigter, Asylbewerber, Ausweisungsinteresse, Gefahrenabwehr, Schwerwiegendes Ausweisungsinteresse
Fundstelle:
BeckRS 2020, 522

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen seine bedingte Ausweisung und hilfsweise gegen die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
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Der Kläger ist nach eigenen Angaben am ... Mai 1997 in E./Nigeria geboren und ist nigerianischer Staatsangehöriger. Die Ersteinreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte im Dezember 2014. Sein Asylantrag vom 9. Februar 2015 wurde mit Bescheid vom 23. Februar 2017 abgelehnt. Die Klage dagegen wurde mit Urteil vom 6. November 2019 abgewiesen.
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Mit rechtskräftigen Strafbefehl vom 22. Dezember 2016 wurde gegen den Kläger wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen gemäß §§ 1 Abs. 1 i. V. m. Anlagen I - III, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt. Mit weiterem rechtskräftigem Strafbefehl vom 4. Dezember 2017 wurde gegen den Kläger wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei tatmehrheitlichen Fällen gemäß §§ 1 Abs. 1 i. V. m. Anlagen I - III, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt.
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Den Strafbefehlen lagen folgende Sachverhalte zugrunde:
5
Im August 2016 bewahrte der Kläger mindestens 10 g Marihuana, das für den gewinnbringenden Weiterverkauf an andere Asylbewerber bestimmt war und in Einzelverkaufsportionen zu je 10 ? abgepackt war, wissentlich und willentlich in der Asylbewerberunterkunft auf. Am 30. November 2016 bewahrte der Kläger am gleichen Ort 21,06 g Marihuana auf, welches ebenfalls für den gewinnbringenden Weiterverkauf an andere Asylbewerber bestimmt war und in 32 Einzelverkaufsportionen abgepackt war. Trotz des ersten rechtskräftigen Strafbefehls vom 22. Dezember 2016 verkaufte der Kläger bis zum 27. Oktober 2017 weiterhin Betäubungsmittel. So verkaufte er zu zwei Zeitpunkten im Mai 2017 jeweils 1 g Marihuana für 10 ? an eine andere Person. Und am 27. Oktober 2017 bewahrte der Kläger 5,11 g Marihuana in sieben Plomben verkaufsfertig abgepackt in seinem Zimmer in der Asylbewerberunterkunft auf.
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Mit Schreiben vom 20. Februar 2018 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört.
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Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 29. März 2018 wurde der Kläger unter der Bedingung ausgewiesen, dass sein Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) abgeschlossen wird (I.) Die Wirkungen der Ausweisung und einer eventuellen Abschiebung wurden gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf die Dauer von vier Jahren ab Ausreise/Abschiebung befristet (II.). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass wegen des noch nicht unanfechtbar abgeschlossenen Asylverfahrens die Ausweisung nur bedingt nach § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfolge. Es liege wegen des vorsätzlichem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Ein Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG liege nach Aktenlage nicht vor. Für die erfolgte Abwägung im Rahmen der Ausweisung und die Ermessensausübung im Rahmen der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Die Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 27. April 2018 Klage erhoben. Sie beantragt sinngemäß:
Der Beklagte wird verpflichtet, die Ausweisungsverfügung vom 29. März 2018 aufzuheben.
Hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung auf drei Monate nach Ausreise zu befristen.
9
Der Bescheid werde für rechtswidrig gehalten. Eine weitere Klagebegründung ist nicht erfolgt.
10
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
11
Zur Begründung werde auf die Aktenlage verwiesen. Neue Gesichtspunkte seien nicht vorgebracht worden.
12
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2019 an die Klägerbevollmächtigte ist der Kläger geladen worden. Das Schreiben ist mit Postzustellungsurkunde am 23. Dezember 2019 zugestellt worden. In der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2020 ist für den Kläger niemand erschienen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Januar 2020 entschieden werden, obwohl für den Kläger niemand - auch nachdem eine Viertelstunde zugewartet wurde (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2017 - 20 ZB 17.30303 - juris) und nach nochmaligem Aufruf der Sache - erschienen ist. In der per Postzustellungsurkunde an die Bevollmächtigte des Klägers zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung ist darauf hingewiesen worden, dass auch im Fall des Nichterscheinens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
15
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, da sie im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet ist.
16
1. Die Anfechtungsklage gegen die Ausweisung ist unbegründet, da der Bescheid vom 27. März 2018 den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG ist rechtmäßig.
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Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
18
Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 Satz 2 AufenthG müssen nicht erfüllt sein. Die Ausweisung erfolgte aufgrund des noch nicht unanfechtbar abgeschlossenen Asylverfahrens nach § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nur unter der Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird.
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a) Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung noch gegeben. Es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger weiterhin Straftaten aus dem Bereich der Drogendelikte begeht.
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Bei der vom Gericht eigenständig zu treffenden Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2016 - 10 ZB 15.1968 - juris Rn. 10 m.w.N.). Für die Feststellung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr gilt nach der Rechtsprechung ein differenzierender Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wonach an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v. 10.7.2012 - 1 C 1911 - juris Rn. 16 m.w.N.; U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18).
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Delikte im Bereich der Drogenkriminalität stellen schwerwiegende Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, die mit ganz erheblichen Gefährdungen der Gesundheit der Bevölkerung verbunden sind (HessVGH, B.v. 15.2.2016 - 3 A 1482/14.Z - juris Rn. 14). Aufgrund dessen sind an die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Schadenseintritte keine überzogenen Anforderungen zu stellen (VGH BW, B.v. 7.8.1995 - 1 S 173/95 - juris Rn. 7). Diese Anforderungen für die Wahrscheinlichkeit sind vorliegend erfüllt.
22
Der Kläger hat innerhalb eines beträchtlichen Zeitraums mit Betäubungsmitteln in der Asylbewerberunterkunft Handel getrieben. Der erste Strafbefehl vom 22. Dezember 2016, wenn auch nur mit einer niedrigeren Geldstrafe, hatte keine Wirkung auf den Kläger gezeigt. Entwicklungen des Klägers und seiner Lebensumstände, welche zukünftig gegen eine Wiederholung von Straftaten nach dem BtMG, sprechen sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat keine abgeschlossene Ausbildung und ist nicht erwerbstätig. Aufgrund der schnellen Rückfallgeschwindigkeit und fehlender Anhaltspunkte für eine Einsicht des Klägers in sein begangenes Unrecht, ist von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Drogendelikte auszugehen. Der vom Kläger bei den polizeilichen Ermittlungen vorgetragene Eigenkonsum spricht weiter dafür, dass der Kläger weiterhin zur Finanzierung des Eigenkonsums, auch Handel mit Betäubungsmitteln betreibt.
23
Neben diesen spezialpräventiven Erwägungen kann die Ausweisung auch auf generalpräventive Zwecke gestützt werden, da der Kläger nicht zu den in § 53 Abs. 3 AufenthG genannten Personengruppen gehört (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16/17 -, BVerwGE 162, 349, Rn. 16; VG München, U.v. 1.2.2017 - M 9 K 16.1028 - juris Rn. 25). Aus generalpräventiven Gründen stellt der weitere Aufenthalt des Klägers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar. Mit der Ausweisung soll auf das Verhalten anderer Ausländer eingewirkt werden und sie zur Einhaltung der Rechtsordnung bewogen werden. Drogendelikten in Asylbewerberunterkünften kann mit Ausweisungen im gewissen Maße gegengewirkt werden.
24
b) Nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse beim Kläger schwer. Er hat als Täter den Tatbestand des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht, da er unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben hat.
25
c) Ein besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG liegt nicht vor.
26
d) Bei der Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse überwiegt das Ausweisungsinteresse und die Ausweisung ist verhältnismäßig. Bei der Abwägung sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderem zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
27
Der Kläger hält sich inzwischen zwar für etwas mehr als r fünf Jahre im Bundesgebiet auf. Der Kläger verfügt aber über keine besonderen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet. Vielmehr lebt nach den Aussagen des Klägers seine Großfamilie in Nigeria. Der Kläger hat sich in Deutschland nicht integriert. Dies zeigen gerade seine Straftaten. Einer Erwerbstätigkeit geht der Kläger nicht nach. Dem Kläger, der nach eigenen Angaben mit 17 Jahren nach Deutschland gekommen ist, wird es nach der Rückkehr nach Nigeria möglich sein, sich dort wieder zu integrieren.
28
Dem schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehen deswegen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls keine gewichtigen Bleibeinteressen entgegen. Die Ausweisung ist auch nicht unverhältnismäßig. Die von der Ausweisung bezweckte Gefahrenabwehr steht nicht außer Verhältnis zu den Folgen der Ausweisung für den Kläger.
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2. Auch die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Frist für das Einreise - und Aufenthaltsverbot hat keinen Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfrei Entscheidung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Die Frist von vier Jahren hält die grundsätzliche Grenze von fünf Jahren nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ein.
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Das Ermessen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wurde ermessenfehlerfrei ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Bestimmung der Länge der Frist erfolgt in einem ersten Schritt anhand einer prognostischen Einschätzung, wie lange die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist anhand der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK zu überprüfen und ggf. zu verkürzen (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2014 - 10 B 13.715 - juris Rn. 56).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Befristung auf vier Jahre nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat die Frist mit der prognostischen Einschätzung begründet, dass in diesem Zeitraum die Gefahr der Begehung neuer Straftaten zu befürchten sei. Unter Berücksichtigung der fehlenden persönlichen Bindungen nach Deutschland sei deswegen die Frist von vier Jahren geeignet die mit der Ausweisung verfolgten Zwecke zu erreichen. Ermessensfehler sind bei den Ausführungen nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit fußt auf § 173 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO.