Inhalt

SG München, Beschluss v. 29.04.2020 – S 14 R 1318/18
Titel:

Erwerbsminderung, Leistungen, Rente, Behinderung, Lebensunterhalt, Krankheit, Wartezeit, Rentenversicherung, Erwerbsminderungsrente, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Gutachten, Gerichtsbescheid, Eingliederung, allgemeine Wartezeit, Rente wegen Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt

Schlagworte:
Erwerbsminderung, Leistungen, Rente, Behinderung, Lebensunterhalt, Krankheit, Wartezeit, Rentenversicherung, Erwerbsminderungsrente, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Gutachten, Gerichtsbescheid, Eingliederung, allgemeine Wartezeit, Rente wegen Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51750

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente durch die Beklagte.
2
Bei der 1985 geborenen Klägerin besteht seit Geburt eine spastische Cerebralparese mit kognitiver Minderleistung. Mit Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales vom 17.03.1992 wurde bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, H und RF festgestellt. Die Klägerin besaß seit 1995 die Pflegestufe II, seit Juli 2018 wurde ihr der Pflegegrad 4 zuerkannt.
3
Die Klägerin hat von 1993 bis 1997 die B-Schule für Körperbehinderte in M besucht, bis August 2002 die Hauptschule der Stiftung P und im Anschluss bis August 2004 wurde die Klägerin erneut in der B-Schule für Körperbehinderte in M gefördert und hat dort einen Hauptschulabschluss erreicht. Von September 2005 bis Januar 2009 hat die Klägerin eine Ausbildung zur Bürokauffrau im Berufsbildungswerk (BBW) Integrationszentrum für Cerebralparesen (ICP) in M erfolgreich absolviert. Das BBW Stiftung ICP M ist eine Spezialeinrichtung für Menschen mit infantiler Cerebralparese (ICP), orthopädischen und neurologischen Erkrankungen. Im Anschluss an die Ausbildung stand die Klägerin im n Leistungsbezug nach dem SGB II bis Januar 2017. Grundlage hierfür war ein Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 31.03.2009, wonach die Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt innehabe. Ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 09.12.2016 geht in der Folge jedoch von einem dauerhaften unter dreistündigen Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus und empfiehlt eine Eingliederung in eine WfbM. Die Klägerin erhielt zwischenzeitlich Leistungen nach dem SGB XII - Hilfe zum Lebensunterhalt bis einschließlich November 2017. Die Klägerin selbst lehnte Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum ab Dezember 2017 ab, da die Eltern der Klägerin für ihren Lebensunterhalt aufkämen.
4
Am 07.12.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung, welche die Beklagte mit Bescheid vom 06.03.2018 ablehnte. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin bereits seit Geburt dauerhaft voll erwerbsgemindert sei und daher die Mindestversicherungszeit nicht erfüllt sei. Die Anzahl von 240 Wartezeitmonaten gemäß § 43 Abs. 6 SGB VI sei nicht erfüllt, es seien lediglich 64 auf die Wartezeit anrechenbare Kalendermonate vorhanden.
5
Hiergegen ließ die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 05.04.2018 Widerspruch einlegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin nicht seit ihrer Geburt erwerbsgemindert sei. Sie leide seit ihrer Geburt überwiegend an einer körperlichen Behinderung. Sie habe eine dreijährige Ausbildung zur Bürofachkraft erfolgreich absolviert und auch verschiedene Praktika absolviert. Dies habe dazu geführt, dass sie sich auch in der Vergangenheit auf Stellenangebote des ersten Arbeitsmarktes beworben habe. Die volle Erwerbsunfähigkeit habe sich erst mit der Rentenantragstellung manifestiert. Insofern sei die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten anzuwenden, so dass ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bestünde. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2018 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
6
Hiergegen richtet sich die am 28.09.2018 eingereichte Klage vor dem Sozialgericht München. Die Klägerin leide zwar an einer spastischen Zerebralparese mit Mobilitätseinschränkung, Feinmotorikstörung, Dysarthrie und Strabismus, sie sei jedoch ausschließlich körperlich behindert. Sie habe erfolgreich eine Ausbildung zur Bürokraft absolviert. Ein Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 31.03.2009 bestätige ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Sie habe außerdem bis 2016 Arbeitslosengeld II bezogen, was ebenfalls eine Erwerbsminderung ausschließe.
7
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2018 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 05.09.2018 verurteilt, der Klägerin antragsgemäß Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verweist zur Klageerwiderung auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheids. Es wurde außerdem eine erneute Einschätzung des sozialmedizinischen Diensts der Beklagten vorgelegt, wonach weiterhin davon ausgegangen werde, dass ein aufgehobenes Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bereits ab Geburt bestanden habe.
10
Im Rahmen der Beweisaufnahme wurden die Akten der Beklagten sowie des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region Oberfranken - beigezogen und ärztliche Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt. Klägerischerseits wurden außerdem die vom MDK erstellten Pflegegutachten vom 26.09.2011 sowie 24.07.2018 übersandt. Es wurden außerdem ein Anlagenkonvolut über medizinische und psychologische Feststellungen der Klägerin im Kindesalter sowie die Schulzeugnisse und der Ausbildungsvertrag vorgelegt. Das Gericht zog in der Folge außerdem die Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin bei. Mit Beweisanordnung vom 25.06.2019 beauftragte das Gericht den Neurologen und Psychiater W mit der Erstellung eines Gutachtens.
11
In seinem Gutachten vom 14.10.2019 stellte W fest, dass bei der Klägerin seit Geburt eine spastische Cerebralparese mit kognitiver Minderleistung bestehe. Die kognitive Minderleistung habe sich bessern lassen dahingehend, dass eine Tätigkeit als Bürokraft als Assistenz eines Bürokaufmannes möglich gewesen sei, allerdings sei - bedingt durch die ausgeprägte Spastik - ein sehr weitreichender Hilfebedarf auch tagsüber notwendig gewesen (Ganztagsassistenz für den Weg zur Arbeit, auch bei Toilettengang, Nahrungsaufnahme und Anreichen von Akten). Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin von Anfang an unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen ist. Auch die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht vorhanden.
12
Auf Antrag der Klägerin holte das Gericht schließlich das nervenärztliche Gutachten der H vom 26.02.2020 ein. H diagnostizierte bei der Klägerin eine infantile Cerebralparese mit einer Spastik in sämtlichen Extremitäten sowie einer Muskeltonuserhöhung im Bereich des Gesichtes. Sie sah das Leistungsvermögen auf drei- bis unter sechsstündig täglich für leichte Arbeiten herabgesetzt, sah jedoch die Notwendigkeit einer ganztätig begleitenden Assistenz für Toilettengänge, Nahrungsaufnahme, Anreichen von Unterlagen, Aufstehen und Hinsetzen als gegeben an. Inwieweit diese Bedingungen den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprächen, könne durch die Gutachterin nicht beantwortet werden.
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Das Gericht hat die Beteiligten in der Folge über die Absicht, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, informiert. Sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die beigezogene Schwerbehindertenakte Bezug genommen.

Gründe

I.
15
Das Gericht hat den Rechtsstreit gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört. Eine Zustimmung ist nicht notwendig.
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Die ordnungsgemäß und fristgerecht erhobene Klage ist nicht begründet.
17
Der Bescheid vom 06.03.2018 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 05.09.2018 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
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Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Erwerbsminderungsrente zu Recht abgelehnt.
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Der Klägerin steht kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser, § 43 Abs. 1 SGB VI, oder wegen voller Erwerbsminderung, § 43 Abs. 2 SGB VI zu.
20
Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.
teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
21
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
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Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach den §§ 43 Abs. 1 und Abs. 2, 240 SGB VI haben demnach nur solche Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit frühestens ab dem Zeitpunkt der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3, Abs. 4, 240 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) unter das nach §§ 43 Abs. 1 bis 3, 240 SGB VI zu bestimmende Maß herabgesunken ist.
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Maßgeblich ist daher, ob spätestens im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles der Erwerbsminderung der Versicherte in den letzten davorliegenden fünf Jahren drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Dabei kommt es auf das Vorliegen von Pflichtbeitragszeiten im Umfang von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nach § 43 Abs. 5 SGB VI nicht an, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
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Insoweit setzt die Rentengewährung - entsprechend dem in § 43 SGB VI verwirklichten Versicherungsprinzip - voraus, dass zuerst Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden und der rentenberechtigende Versicherungsfall dann später eintritt.
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Versicherte, bei denen der Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung bereits zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, in dem die allgemeine Wartezeit des § 50 Abs. 1 SGB VI noch nicht erfüllt war, also die versicherungsrechtlichen Voraussetzung einer Rentengewährung nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI noch nicht erfüllt sind, haben nach § 43 Abs. 6 SGB VI - als Ausnahme zu dem in §§ 43 Abs. 1 und 2, 240 SGB VI verwirklichten Versicherungsprinzip - dann Anspruch auf eine volle Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben (§ 43 Abs. 6 SGB VI). Die Vorschrift ermöglicht es Versicherten - im Besonderen profitieren schwerbehinderte Menschen -, die bereits bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung oder vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, eine Rente zu erhalten, die auf Beiträgen beruht, die erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalles der vollen Erwerbsminderung entrichtet wurden (vgl. Ulrich Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., § 43 SGB VI, Rn. 304). Voraussetzung ist auch, dass die volle Erwerbsminderung seit ihrem Eintritt ununterbrochen vorgelegen hat (Ulrich Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., § 43 SGB VI, Rn. 309).
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Die Klägerin ist nach Überzeugung des Gerichts zu keinem Zeitpunkt erwerbsfähig gewesen, denn sie war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes selbst einen auf ihre Behinderung im Wege von Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 9 Abs. 1, 16 SGB VI eingerichteten Arbeitsplatz auch nur drei Stunden täglich wettbewerbsfähig zu verrichten. Diese volle Erwerbsminderung bestand durchgängig. Die steht für das Gericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme fest. Denn die Klägerin verkennt, dass die Erwerbsfähigkeit unter „den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes“ gegeben sein muss. Folglich müsste sie wettbewerbsfähig zu anderen Arbeitnehmern (ohne Behinderung) erwerbstätig sein können.
27
Die Klägerin leidet nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Gutachters W und auch nach den Feststellungen der H seit ihrer Geburt an einer spastischen Cerebralparese mit kognitiver Minderleistung. Die Klägerin ist mittlerweile vollständig auf den Rollstuhl mit Gurt angewiesen, um die nach vorne springenden Beine in ihrer Position zu belassen. Mit der linken Hand können nur ungeschickte Bewegungen ausgeführt werden, rechts ist teilweise eine Fingerbewegung möglich. Nach längeren Gesprächen wird die Sprache undeutlich. Diese Einschränkungen haben sich zum Teil in den letzten Jahren erst verschlimmert. Jedoch war die Klägerin auch in der Vergangenheit unter Zugrundelegung der entsprechenden Befundberichte und der eigenen Schilderung der Klägerin in ihrem Leben stark eingeschränkt. Wie W in seinem Gutachten vom 14.10.2019 zu Recht ausgeführt hat, ist die Klägerin für einen klassischen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts auch nur für leichte Tätigkeiten nicht geeignet, denn die Klägerin hat durchgängig -auch bei dem von ihr durchgeführten Praktikum und der Ausbildungeine Assistenz benötigt zur Nahrungsaufnahme, zum Toilettengang, für den Weg zur Arbeit aber auch für die Arbeit selbst (zB beim Anreichen von Akten, Telefonanreichung). Die Ausbildung zur Bürokraft ist entsprechend dem vorliegenden Ausbildungszeugnis auch in einer speziellen Firma im Integrationszentrum für Cerebralparesen absolviert worden. Es war ständig Assistenzpersonal vorhanden, auch für krankengymnastische Interventionen, logopädischen Behandlungen oder Ergotherapie während der Arbeitszeit sowie zur Berücksichtigung von besonderem Pausenbedarf. Es ist folglich nie zu einer konkreten Arbeitsbelastung unter üblichen Bedingungen eines berufsspezifischen Arbeitsplatzes gekommen. Auch wenn H in ihrem Gutachten von einem drei bis unter sechsstündigen Leistungsvermögen ausgeht, ist auch aus diesem Gutachten zu schließen, dass auch H die Klägerin nicht in der Lage gesehen hat, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes eine konkurrenzfähige Beschäftigung auszuüben. H führt -entsprechend gleichlautend mit der Einschätzung des Waus, dass es schon immer eines speziellen Arbeitsplatzzuschnittes bedurft hätte, da die Klägerin eine ganztätig begleitende Assistenz für Toilettengänge, Nahrungsaufnahme, Anreichen von Unterlagen, Aufstehen und Hinsetzen benötige. Ein stabiles Leistungsvermögen für eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts über einen längeren Zeitraum konnte daher zur Überzeugung des Gerichts nie angenommen werden. Auch aus der Zusammenschau der medizinischen Unterlagen, insbesondere aus den vorliegenden Gutachten des W und H, leitet das Gericht seine Überzeugung ab, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd in der Lage war, unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen wettbewerbsfähig - auch nur stundenweise - tätig sein zu können.
28
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin eine Ausbildung als Bürokraft -mit Abschlussprüfung bei der IHKabsolviert hat. Denn, wie oben bereits ausgeführt, war die Ausbildung speziell zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Klägerin. Dies ist bereits daraus ersichtlich, dass die Klägerin die Ausbildung im ICP M, einem Zentrum für Cerebralparesen durchgeführt hat und bei der sie nach eigenen Angaben eine ganztägliche Assistenz gehabt hat. Aus einer derartigen, angepassten Beschäftigung kann nicht abgeleitet werden, dass die Klägerin wettbewerbsfähig und unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes hatte tätig werden können. Insoweit ist das Gericht auch nicht an die Selbsteinschätzung der Klägerin, die sich ursprünglich als erwerbsfähig gesehen hat, gebunden. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass selbst aus einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit z.B. im Rahmen eines Behindertenprogramms auf einem angepassten Arbeitsplatz nicht abgeleitet werden kann, dass der Versicherte wettbewerbsfähig und unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes hatte tätig werden können (vgl. zB Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.08. 2011, L 13 R 5780/09). Dass mit dem Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur vom 31.03.2009 eine vollschichtige Erwerbsfähigkeit festgestellt wurde, ändert im Übrigen nichts an dieser Einschätzung. Eine Aussage zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes wurde hier gerade nicht getroffen.
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War die Klägerin also noch nie erwerbsfähig, kommt eine Rentengewährung nach §§ 43 Abs. 1 und 2, 240 SGB VI nicht in Betracht. Auch ist damit Erwerbsminderung nicht im Sinne des § 43 Abs. 5 SGB VI aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist, denn die Klägerin hat - bei nie vorhandener Erwerbsfähigkeit - auch keinen der Tatbestände des § 53 SGB VI (vorzeitige Wartezeiterfüllung) verwirklicht.
30
Eine Rentengewährung - insoweit beschränkt sich ein Rentenanspruch ausschließlich auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung - kommt daher nur unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 6 SGB VI in Betracht. Da die Klägerin derzeit die Wartezeit von 20 Jahren (§ 50 Abs. 2 SGB VI i.V.m. § 51 Abs. 1 und Abs. 4, § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, § 55) noch nicht erfüllt hat - sie verfügt derzeit nur über 64 anrechenbare Monate -, kommt eine Rentengewährung nach dieser Vorschrift derzeit noch nicht in Betracht.
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Die angegriffenen Bescheide sind somit rechtlich nicht zu beanstanden. Nach alledem war die Klage abzuweisen.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.