Inhalt

VGH München, Urteil v. 28.10.2020 – 16a D 18.2661
Titel:

Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wegen endgültiger Zerstörung des Vertrauens

Normenketten:
BayDG Art. 11, Art. 14 Abs. 1, Abs. 2
BeamtStG § 34 S. 1, S. 3, § 35 S. 2, § 47 Abs. 1 S. 1
StGB § 20, § 21, § 277
Leitsätze:
1. Im Fall der Fälschung von Gesundheitszeugnissen auf dem privaten Computer ist die materielle Dienstbezogenheit zu bejahen, wenn die Fälschungen dazu bestimmt waren, über die Erfüllung der Dienstpflicht, bei Dienstunfähigkeit ab dem dritten Tag ein ärztliches Attest vorzulegen, zu täuschen (Rn. 34). (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der Variationsbreite ist bei der Fälschung von Gesundheitszeugnissen - einhergehend mit weiteren Verstößen gegen die Krankmeldepflicht und gegen die Pflicht zum ordnungsgemäßen Nachweis einer Erkrankung - eine generelle deliktsgruppenbezogene Bestimmung der als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen regelmäßig erforderlichen Disziplinarmaßnahme (Regeleinstufung) nicht möglich, so dass bei der Ahndung der Dienstpflichtverletzungen der gesamte Katalog möglicher Disziplinarmaßnahmen in den Blick zu nehmen und die Entscheidung aus den Umständen des Einzelfalles zu treffen ist (Rn. 45). (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit der Fälschung von Gesundheitszeugnissen, der mangelhaften Dienstverrichtung über einen Zeitraum von vier Jahren und den zahlreichen Weisungsverstößen hat der Beklagte ein schweres Dienstvergehen begangen, für das aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis den Ausgangspunkt der disziplinarischen Bewertung bildet (Rn. 46). (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Rechtsfrage, ob die festgestellte Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und dem Abhängigkeitssyndrom von Alkohol erheblich war, ist durch das Gericht ohne Bindung an Wertungen durch Sachverständige zu beantworten (Rn. 47 – 48). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, Fälschung von Gesundheitszeugnissen, Mangelhafte Dienstverrichtung, Weisungsverstöße, Erheblich verminderte Schuldfähigkeit (verneint), Berufung, Disziplinarverfahren, innerdienstliches Dienstvergehen, materielle Dienstbezogenheit, endgültiger Vertrauensverlust
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 15.10.2018 – M 19L DK 18.837
Fundstelle:
BeckRS 2020, 44530

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Tatbestand

1
Der 1983 geborene Beklagte begann am 3. März 2003 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Polizeimeisteranwärter seinen Dienst bei der Bayerischen Polizei. Im Jahr 2005 bestand er die Anstellungsprüfung für den mittleren Polizeivollzugsdienst mit der Gesamtnote befriedigend (3,88). Zuletzt wurde er mit Wirkung vom 1. September 2007 zum Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A 8) befördert. Die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit erfolgte mit Wirkung vom 1. April 2009.
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Vom 1. März 2009 bis zum Ausspruch des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte am 12. Dezember 2014 war der Beklagte bei der Verkehrspolizeiinspektion Verkehrsanzeigen (VPI VA) tätig. In den Beurteilungen 2011 und 2014 erhielt er 7 und 5 Punkte. Mit Bescheid vom 4. Juni 2016 (2014 lt. Disziplinarklage) stellte das Polizeipräsidium München die Polizeidienstunfähigkeit des Beklagten fest.
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Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 21. Mai 2015 wurde der Beklagte wegen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen in 15 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 35 Euro (insgesamt 6300 Euro) verurteilt. In 14 Fällen habe er an seinem Wohnort in C. und in einem Fall an seinem Dienstort in M. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, angeblich von dem Zahnarzt B. in Ma. ausgestellt, auf dessen Namen gefälscht und diese jeweils unterschrieben, um den Eindruck zu erwecken, sie seien tatsächlich von dem Zahnarzt ausgestellt worden. Bei den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe es sich jeweils um Totalfälschungen gehandelt. Diese habe er sodann aufgrund eines jeweils neuen Tatentschlusses bei seiner Dienststelle eingereicht. Dabei habe er in der Absicht gehandelt, den zuständigen Mitarbeiter darüber zu täuschen, dass er diese von dem Zahnarzt erhalten habe und folglich im genannten Zeitraum arbeitsunfähig gewesen sei. Insgesamt habe er aufgrund der gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an 65 Tagen keinen Dienst geleistet.
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In der am 22. Februar 2018 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Disziplinarklage erhebt der Kläger den Tatvorwurf aus dem Strafbefehl (1) sowie folgende Vorwürfe:
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(2) Der Beklagte habe seit 2010 eine erhebliche Zahl krankheitsbedingter Fehlzeiten aufgewiesen, insbesondere aufgrund von Kurzzeiterkrankungen. In den Zeiträumen vom 29. Oktober bis 7. Dezember 2012 und vom 19. März bis 7. Mai 2014 habe sich der Beklagte bei der Dienststelle krankgemeldet und trotz Aufforderung und Hinweis auf mögliche disziplinarrechtliche Konsequenzen wegen unentschuldigtem Fernbleiben vom Dienst Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils nicht vorgelegt. In weiteren Fällen längerer Krankmeldung seien solche erst verspätet eingereicht worden.
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(3) Ab dem 8. Mai 2014 habe sich der Beklagte bis auf Weiteres dienstunfähig krankgemeldet. Mit Bescheid vom 4. Juni 2014 habe der Beklagte die mittlerweile rechtskräftige Anordnung erhalten, ab dem ersten Krankheitstag amts-/polizeiärztliche Atteste vorzulegen. Da sich der Beklagte zu diesem Zeitpunkt in C. aufgehalten und sich nicht in der Lage gesehen habe, der Anordnung - verbunden mit einer Reise nach M. - Folge zu leisten, sei zunächst auf die Vorlage verzichtet worden. Seit dem 10. September 2014 habe der Beklagte seinem Dienstvorgesetzten jedoch auch kein privatärztliches Attest mehr vorgelegt. Um zumindest eine Begutachtung nach Aktenlage zu ermöglichen, sei der Beklagte mit Schreiben vom 18. September 2014 aufgefordert worden, dem Ärztlichen Dienst der Polizei bis spätestens 6. Oktober 2014 aussagekräftige aktuelle Befundberichte seiner behandelnden Privatärzte zu übermitteln, den Sozialbericht und eine entsprechende Schweigepflichtentbindungserklärung vorzulegen. Darauf habe die Ehefrau des Beklagten, an deren E-Mail-Postfach die Aufforderung versandt worden sei, nur mitgeteilt, dass sich die Schweigepflichtentbindungserklärung auf dem Postweg befinde. Diese sei am 14. Oktober 2014 verspätet eingegangen. Die Befundberichte habe der Beklagte erst im Rahmen der polizeiärztlichen Untersuchung vom 2. Dezember 2014 vorgelegt.
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(4) Der Beklagte habe am 17. Februar 2014 seinen Hauptwohnsitz in C. an- und seine bisherige Wohnung in G. abgemeldet. Eine entsprechende Änderungsanzeige an den Dienstvorgesetzten sei nicht erfolgt. Gegenüber der Dienststelle habe er stattdessen mit Änderungsanzeige vom 11. März 2014 angegeben, seinen bisherigen Hauptwohnsitz in G. am 10. März 2014 aufgegeben und ab diesem Tag in E. begründet zu haben, womit er seiner Residenzpflicht genügt hätte. Mit einer am 3. September 2014 eingegangenen Änderungsanzeige habe er angegeben, seinen Zweitwohnsitz seit 1. Februar 2014 in E. zu haben. Die Anmeldung dieser Wohnung bei der Meldebehörde sei jedoch erst am 1. Dezember 2014 und mit Einzugsdatum 1. März 2014 erfolgt. Er sei daher seiner Pflicht zur Anzeige seines Wohnungswechsels nicht ordnungsgemäß bzw. verspätet und für die Dauer von drei Wochen der Residenzpflicht nicht nachgekommen. Außerdem habe er im Zeitraum Februar bis Juli 2014 die Ballungsraumzulage in Höhe von insgesamt 332,14 Euro zu Unrecht erhalten. Die Staatsanwaltschaft habe das diesbezügliche Ermittlungsverfahren wegen Betrugs mit Verfügung vom 27. März 2015 nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.
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(5) Seit 2010 sei es trotz zahlreicher Kritikgespräche zu andauernder mangelhafter Dienstverrichtung des Beklagten bei der VPI VA gekommen. Er habe einfachste Bearbeitungsstandards nicht eingehalten, Termine verstreichen lassen und sei nur nach mehrmaliger Aufforderung tätig geworden. Akten seien unauffindbar gewesen und Ersuchen von Versicherungen und Rechtsanwälten um Akteneinsicht teilweise erst fünf Wochen nach Einlauf an die Korrespondenz gegeben worden. Zudem habe der Beklagte Vorgänge über längere Zeiträume unbearbeitet liegen gelassen. Im Jahr 2013 sei ein Vorgang aufgrund unterlassener Sachbearbeitung vor Abgabe an die Staatsanwaltschaft verjährt. In der 46. Kalenderwoche 2013 sei keine Zuteilung neuer Vorgänge erfolgt, um dem Beklagten die Gelegenheit zu geben, Rückstände abzuarbeiten. Kritikgespräche mit seinem Vorgesetzten am 1. Februar 2010, 16. August 2011 und 19. April 2012 hätten keine nachhaltige Wirkung gezeigt. Während der Erkrankung im November 2013 sei in der Ablage eine Mappe mit 54 unbearbeiteten Schreiben gefunden worden, die sich auf Unfälle aus dem Zeitraum August bis November 2013 bezogen hätten. Wegen der mangelhaften Diensterfüllung sei der Beklagte ab 9. Dezember 2013 zur VPI VA 3 umgesetzt worden. Nachdem er sich seit 5. Dezember 2013 im Krankenstand befunden habe, sei ein offenbar als Reißwolfkiste dienender Korb entdeckt worden, in dem sich Schreiben zu 97 Vorgängen ab Sommer 2013 befunden hätten. Die Staatsanwaltschaft habe mit Verfügung vom 10. August 2015 ein Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen Strafvereitelung im Amt nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
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(6) Der Beklagte sei im Rahmen des Ausspruchs des Verbots der Führung der Dienstgeschäfte am 12. Dezember 2014 zur Abgabe aller in seinem Besitz befindlichen dienstlichen Gegenstände aufgefordert worden. Bereits gegenüber der Ermittlungsführerin habe der Beklagte erklärt, seinen Dienstschlüssel inklusive Arbeitszeitchip (BayZeit), Polizeiführerschein, Dienstausweis und MVV-Netzkarte verloren zu haben. Obwohl er als Verlustzeitraum den 1. März bis 12. Dezember 2014 angegeben habe, habe er erst im Anschluss an das mündlich erteilte Verbot der Führung der Dienstgeschäfte auf Anraten seines Dienststellenleiters eine Verlustanzeige gemacht.
10
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. Oktober 2018 auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt. Der Vorwurf der Fälschung von Gesundheitszeugnissen ergebe sich aus dem Strafbefehl, die übrigen Vorwürfe ergäben sich aus den Ermittlungen der Disziplinarbehörde, insbesondere aus Meldungen der Dienststelle, Aktenvermerken und Auszügen aus den strafrechtlichen Ermittlungsakten. Der Beklagte gestehe die Vorwürfe auch ein. Wie die Vertreterinnen des Klägers in der mündlichen Verhandlung klargestellt hätten, werde dem Beklagten ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst für die 65 Tage, für die er gefälschte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe, nicht vorgeworfen.
11
Durch die Fälschung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe der Beklagte gegen seine Pflicht, die Gesetze zu beachten, sich dem Beruf entsprechend achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten sowie dienstliche Anordnungen auszuführen und allgemeine Richtlinien zu befolgen, verstoßen. Dabei wiege die Stellung des Beklagten als Polizist erschwerend. Denn Polizeibeamte genössen in der Öffentlichkeit eine besondere Vertrauens- und Garantenstellung, die beeinträchtigt werde, wenn sie selbst erhebliche Vorsatzstraftaten begingen.
12
Durch die jahrelange mangelhafte Diensterfüllung habe er gegen die Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf verstoßen. Zwar stelle nicht jeder Mangel in der konkreten Sachbearbeitung eine schuldhafte Pflichtverletzung dar. Um ein nachlässiges Gesamtverhalten als pflichtwidrig zu kennzeichnen, bedürfe es des Nachweises mehrerer einigermaßen gewichtiger Mängel der Arbeitsweise, die insgesamt über das normale Versagen eines durchschnittlichen Beamten eindeutig hinausgingen und sich als echte Schuld von bloßem Unvermögen abgrenzen ließen. Dies sei hier im Hinblick auf die jahrelange dienstliche Schlechtleistung des Beklagten zu bejahen, der hinsichtlich inhaltlicher Sorgfalt und zeitnaher Bearbeitung jedem einleuchtende Standards außer Acht gelassen habe und im zweiten Halbjahr 2013 schließlich 97 Schriftstücke gar nicht mehr bearbeiten, sondern der Vernichtung habe zuführen wollen.
13
In den übrigen Vorwürfen lägen ebenfalls Verstöße gegen die Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen und allgemeine Richtlinien zu befolgen.
14
Dem Beklagten sei hinsichtlich aller Vorwürfe Vorsatz anzulasten. Schuldunfähigkeit liege nicht vor. Die missverständliche Aussage auf S. 47 des psychiatrischen Gutachtens vom 9. Dezember 2016 habe Frau Dr. H. in der mündlichen Verhandlung klargestellt.
15
Zur Zumessung der Disziplinarmaßnahme führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung bestimme. Diese bestehe hier zum einen in der strafrechtlich relevanten Fälschung von Gesundheitszeugnissen, zum anderen in der mangelhaften Diensterfüllung über einen Zeitraum von vier Jahren. Damit habe er ein schweres Dienstvergehen begangen, so dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Bewertung bilde. Bezüglich der Fälschung von Gesundheitszeugnissen (Strafdrohung bis ein Jahr Freiheitsstrafe) stelle die Rechtsprechung für dieses innerdienstlich begangene Dienstvergehen keinen Orientierungsrahmen zur Verfügung. Das Gericht ziehe deshalb als Maßstab den Orientierungsrahmen für ein - im Hinblick auf die Vorwerfbarkeit vergleichbar schwerwiegendes - außerdienstlich begangenes Dienstvergehen heran, für das die Strafgesetze eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vorsähen. Weise ein solches Dienstvergehen hinreichenden Bezug zum Amt des Beamten auf, reiche der Orientierungsrahmen auch für mittelschwere Straftaten mit einer Strafdrohung bis zu zwei Jahren bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Hinzu komme die mangelhafte Diensterfüllung über einen Zeitraum von vier Jahren, in denen seine Vorgesetzten ihm in mehreren Kritikgesprächen die Schlechtleistung aufgezeigt und ihn zur Besserung ermahnt hätten, ohne dass dies zu einer Verbesserung seines Arbeitseinsatzes oder seiner Arbeitsqualität geführt hätte. Die Höchstmaßnahme erscheine auch deshalb gerechtfertigt, weil dem Beklagten hinsichtlich der Fälschung von Arbeitszeugnissen und der mangelhaften Aufgabenerfüllung viele einzelne Pflichtverstöße anzulasten seien, die sich über den langen Zeitraum von vier Jahren hinzögen und insoweit die leicht einsehbaren Kernpflichten des Verbots der Begehung von Straftaten und der Arbeitserfüllung betroffen seien.
16
Es bestünden keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen aufgrund einer seelischen Störung nach § 20 StGB im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB begangen habe. Die im Rahmen des Disziplinarverfahrens vom Kläger beauftragten Sachverständigen Frau Dr. H. und Prof. Dr. Sch. hätten in ihrem psychiatrischen Gutachten vom 9. Dezember 2016 festgestellt, dass bei dem Beklagten im Zeitraum von 2010 bis 2014 eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F32.20) und ein Abhängigkeitssyndrom von Alkohol (ICD-10 F10.2) vorgelegen habe. In der Ergänzung vom 31. Juli 2017 hätten sie ausgeführt, dass eine depressive Störung, eine akute Berauschung durch Alkohol und eine Alkoholabhängigkeit, die zu organischen Folgeschäden geführt habe, dem Merkmal der krankhaften seelischen Störung, ein Abhängigkeitssyndrom von Alkohol dem Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit zugeordnet würden. Diese Diagnosen habe die in der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2018 gehörte sachverständige Zeugin Frau Dr. H. bestätigt. Sie habe weiter dargelegt, dass aufgrund der Alkoholerkrankung bei Fälschung der Gesundheitszeugnisse nicht ausschließbar - aber auch nicht sicher - eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen habe. Zur Erheblichkeit der Verminderung der Steuerungsfähigkeit könne sie keine Aussage treffen. Zum einen lägen hierfür zu wenig Unterlagen vor, zum anderen bedürfte es insoweit einer Betrachtung jeder einzelnen Tat.
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Diese medizinische Einschätzung legte das Verwaltungsgericht zugrunde, sah indes die Minderung der Schuldfähigkeit hier nicht als erheblich an. Zum einen erachte es die Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten (keine Begehung von Straftaten, ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung) für den Beklagten als Polizeibeamten mit einschlägiger Ausbildung als sehr hoch. Zum anderen sei der Beklagte im fraglichen Zeitraum zu überlegtem und koordiniertem Handeln in der Lage gewesen, wie die Fälschung der Gesundheitszeugnisse über einen langen Zeitraum, der Hauskauf Mitte 2012 und die Heirat im Juni 2013 zeigten.
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Auch der mildernde Umstand der negativen Lebensphase liege nicht vor. Zwar möge der Beklagte seine Abhängigkeit von der Ehefrau und vom Alkohol überwunden haben, nicht aber die negative Einstellung zum Polizeiberuf, die seit seiner Einstellung währe und sich seither kontinuierlich zeige.
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Als Milderungsgrund komme hier demnach allein die fehlende straf- und disziplinarrechtliche Vorbelastung des Beklagten in Betracht.
20
Zu Lasten des Beklagten fließe ein, dass mit der unterbliebenen und verspäteten Vorlage von Attesten, der Nicht- oder verspäteten Vorlage von Unterlagen an den Dienstherrn trotz Aufforderung, dem Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis und die Meldepflicht hinsichtlich des Wohnsitzes und der verspäteten Verlustanzeige hinsichtlich dienstlicher Gegenstände weitere Pflichtverletzungen vorlägen. Das Persönlichkeitsbild vom 6. August 2015 sei negativ und zeichne das Bild eines unmotivierten und unzuverlässigen Beamten, der keine zufriedenstellenden Arbeitsergebnisse erreiche.
21
Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Das Verwaltungsgericht habe unzutreffend den Orientierungsrahmen für ein außerdienstlich begangenes Dienstvergehen, bei dem ein hinreichender Bezug zum Amt des Beamten vorliege und für das die Strafgesetze eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorsähen, herangezogen. Der Gebrauch von gefälschten Gesundheitszeugnissen gegenüber dem Dienstherrn mache das Vergehen des Beklagten zu einem innerdienstlichen, wobei zu berücksichtigen sei, dass dieser an den fraglichen Tagen jeweils dienstunfähig gewesen sei und sich ohne weiteres ein jeweils reguläres ärztliches Attest hätte beschaffen können. Auch der Kläger habe ausdrücklich bestätigt, dass dem Beklagten ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst nicht vorgeworfen werde. Die Vorlage der gefälschten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe dazu gedient, seine Dienstpflicht aus § 21 Abs. 2 UrlV zu erfüllen (ärztliches Attest bei länger als dreitägiger AU).
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Das Dienstvergehen, für das ein Orientierungsrahmen nicht zur Verfügung stehe, rechtfertige nicht die Verhängung der Höchstmaßnahme. Die mangelhafte Diensterfüllung des Beklagten habe sich in der Intensität, wie sie ab Sommer 2013 mit dem Nichtbearbeiten einer Vielzahl von Schreiben zu Tage getreten sei, nicht über den gesamten vierjährigen Zeitraum von 2010 bis 2014 hingezogen. Auch im Persönlichkeitsbild vom 6. August 2018 werde geschildert, dass sich das Fehlverhalten des Beklagten über die Jahre immer weiter verstärkt habe. Die vor dem Sommer 2013 liegenden Leistungsmängel des Beklagten seien zwar sicherlich kritikwürdig, gingen aber noch nicht eindeutig über ein normales Versagen eines durchschnittlichen Beamten hinaus. Zudem sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ - davon auszugehen, dass der Beklagte die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen aufgrund einer seelischen Störung nach § 20 StGB in einem Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB begangen habe. Die im Rahmen des Disziplinarverfahrens beauftragten Sachverständigen hätten in ihrem psychiatrischen Gutachten festgestellt, dass beim Beklagten im Zeitraum von 2010 bis 2014 eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome und eine Abhängigkeit von Alkohol vorgelegen hätten, und eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit jedenfalls nicht ausgeschlossen. Das Verwaltungsgericht könne sich nicht ohne weiteres über die Einschätzung der medizinischen Sachverständigen hinwegsetzen. Diesen seien die in Rede stehenden, leicht einsehbaren Dienstpflichten bekannt gewesen; gleichwohl habe die medizinische Sachverständige die Schwelle zur „Erheblichkeit“ im Sinne des § 21 StGB jedenfalls nicht ausschließbar als überschritten angesehen. Soweit das Verwaltungsgericht auf ein koordiniertes Handeln durch die Fälschung der Gesundheitszeugnisse über einen langen Zeitraum abstelle, stehe dies im Gegensatz zur sachverständigen Einschätzung, dass jede einzelne Tat gesondert betrachtet werden müsse. Bezüglich des vom Verwaltungsgericht erwähnten Hauskaufs Mitte 2012 sei davon auszugehen, dass dieser nicht vom Beklagten organisiert worden sei. Weshalb eine Heirat im Juli 2013 gegen eine Erheblichkeit der Verminderung der Schuldfähigkeit sprechen solle, erschließe sich nicht.
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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liege auch der mildernde Umstand der negativen Lebensphase vor. Die Sachverständigen führten in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 31. Juli 2017 aus, dass der Beklagte die zur Rede stehende schwierige Lebensphase nunmehr vollständig überwunden habe. Dem sei zuzustimmen. Der Beklagte habe sein Alkoholproblem erfolgreich bekämpft und sich durch Trennung von seiner früheren Ehefrau erfolgreich aus dem diesbezüglichen Abhängigkeitsverhältnis gelöst. Wenn das Verwaltungsgericht dem Beklagten seine negative Einstellung zum Polizeiberuf vorhalte, übergehe es, dass beim Beklagten mit bestandskräftigen Bescheid vom 4. Juni 2016 Polizeidienstunfähigkeit festgestellt worden sei, sodass nicht angenommen werden könne, dass es zu Belastungen am Arbeitsplatz wegen des Widerwillens und mithin zur Destabilisierung des Beklagten und gegebenenfalls erneuten Pflichtverstößen kommen werde. Als weiterer Milderungsgrund sei ferner zu berücksichtigen, dass der Beklagte bislang disziplinarrechtlich nicht vorbelastet sei, auch wenn dies ein normales Verhalten zur Erfüllung von Dienstpflichten darstelle.
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Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 15. Oktober 2018 auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
26
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
28
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Abzustellen sei auf den endgültigen Vertrauensverlust, der im vorliegenden Fall eingetreten sei. Der geringe Strafrahmen des § 277 StGB führe nicht dazu, dass die Höchstmaßnahme von vornherein ausgeschlossen sei. In Einzelfällen könne eine Disziplinarmaßnahme über den Orientierungsrahmen hinaus angemessen sein, wenn die vorgeworfene Tat im Rahmen der disziplinarrechtlichen Würdigung schwerer wiege als im Rahmen der strafrechtlichen Würdigung. Da auch nicht strafrechtlich relevante Verhaltensweisen zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen könnten, wäre es widersinnig, wenn allein ein niedriger Strafrahmen dazu führe, dass die Höchstmaßnahme ausgeschlossen sei. Im vorliegenden Fall handele es sich um Verletzungen der Kernpflicht, welche zur Entfernung führten. Die Fälschung sei in einer Vielzahl von Fällen erfolgt. Die Schlechtleistung habe sich über einen Zeitraum von vier Jahren gezogen. Die Dienstpflichtverletzungen hätten für den Dienstbetrieb erhebliche Auswirkungen gehabt. Bei der Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei eine lückenlose Kontrolle eines jeden Beamten nicht möglich. Daher sei bei der Fälschung von Gesundheitszeugnissen die unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört.
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Bezüglich der Schlechtleistung sei der gesamte Zeitraum zu berücksichtigen, da es dem Beklagten mehrfach ermöglicht worden sei, sich zu verbessern und Hilfestellungen anzunehmen. Dass erst am Ende dieses Zeitraums ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß erreicht worden sei, sei umso gravierender zu werten. Die Beurteilung 2014 bringe keine durchschnittliche Erfüllung der Anforderungen zum Ausdruck, wenn von circa 1000 Polizeiobermeistern nur zwei ein Gesamturteil von 4 Punkten erhalten hätten. Vorsatz des Beklagten könne bereits nach ersten Kritikgesprächen angenommen werden.
30
Zu Recht habe das Verwaltungsgericht jedenfalls die Erheblichkeit der Verminderung der Schuldfähigkeit verneint. Die Einschätzung der Sachverständigen beruhe allein auf den Schilderungen des Beklagten. Die Sachverständige habe klargestellt, dass sie mangels weiterer Unterlagen die Erheblichkeit der Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht einschätzen könne. Da sich der Beklagte damals nicht in ärztlicher Behandlung befunden habe, könne insoweit auch keine weitere Aufklärung erfolgen. Entgegen der Ansicht des Beklagten könne zur negativen Lebensphase nicht auf die eingetretene Polizeidienstunfähigkeit abgestellt werden. Polizeidienstfähigkeit könne bei einer Veränderung der gesundheitlichen Aspekte möglicherweise wieder vorliegen. Dies sei vor einem Dienstantritt zu überprüfen. Da der Beklagte seinen Lebensmittelpunkt seit einiger Zeit außerhalb Bayerns habe, könne bei einem Umzug auch eine erneute negative Lebensphase nicht ausgeschlossen werden.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) verhängt.
33
1. Der vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt, wonach dem Beklagten sämtliche in der Disziplinarklage aufgeführten Handlungen zur Last gelegt werden, ist zur Überzeugung des Senats erwiesen. In Bezug auf die gefälschten Gesundheitszeugnisse sind die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 21. Mai 2015 (Az.: 843 Ds 123 Js 214449/14) zwar nicht bindend, der Senat kann sie jedoch gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1, Art. 55 Halbs. 1, Art. 25 Abs. 2 BayDG seinem Urteil ohne nochmalige Prüfung zugrunde legen. Der Beklagte hat den Sachverhalt auch bezüglich der übrigen Disziplinarklagepunkte vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Senat eingeräumt, sodass weitere Ermittlungen nicht veranlasst waren. Seinen Einwand in der mündlichen Verhandlung zu Disziplinarklagepunkt (5), in der sog. Reißwolfkiste hätten sich nur Duplikate befunden, die nicht zu den Akten hätten gelangen sollen, hat er nach dem substantiierten Widerspruch des Klägervertreters nicht aufrechterhalten.
34
2. Der Beklagte hat durch sein Verhalten ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt des Beamten und in die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden war (BVerwG, B.v. 5.7. 2016 - 2 B 24.16 - juris Rn. 14; U.v. 19.8.2010 - 2 C 5.10 - juris Rn. 9). Die Unterscheidung zwischen inner- und außerdienstlichen Verfehlungen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BeamtStG richtet sich nicht nach der (mehr oder weniger) formalen Dienstbezogenheit, d.h. nach der (mehr oder weniger) engen räumlichen oder zeitlichen Beziehung einer Verfehlung zum Dienst. Vielmehr kommt es auf die materielle Dienstbezogenheit, mithin darauf an, ob durch das Verhalten innerdienstliche Pflichten verletzt worden sind. Dies ist auch für die Fälschung der 14 Gesundheitszeugnisse auf dem privaten Computer zu bejahen, weil diese dazu bestimmt waren, über die Erfüllung der Dienstpflicht, bei Dienstunfähigkeit ab dem dritten Tag ein ärztliches Attest vorzulegen, zu täuschen.
35
3. Durch sein Verhalten hat der Beklagte vielfach gegen beamtenrechtliche Pflichten verstoßen.
36
In der Fälschung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen liegt eine Verletzung der Pflicht, die Gesetze zu achten (§ 277 StGB) und sich dem Beruf entsprechend achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG). Zudem hat der Beklagte damit der Pflicht zuwidergehandelt, dienstliche Anordnungen auszuführen und allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG).
37
Letztere Pflicht hat der Beklagte auch mit den Handlungen verletzt, die Gegenstand der Disziplinarklagepunkte (2), (3), (4) und (6) sind.
38
Mit der jahrelang mangelhaften Diensterfüllung hat der Beklagte des Weiteren gegen die Pflicht verstoßen, sich mit vollem persönlichen Einsatz seinem Beruf zu widmen (§ 34 Satz 1 BeamtStG). Auch insoweit hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten zu Recht Vorsatz angelastet. Dem Einwand des Beklagten, seine mangelhafte Diensterfüllung habe sich in der Intensität, in der sie ab Sommer 2013 mit dem Nichtbearbeiten einer Vielzahl von Schreiben zu Tage getreten sei, nicht über den gesamten vierjährigen Zeitraum von 2010 bis 2014 hingezogen, die vor dem Sommer 2013 liegenden Leistungsmängel gingen noch nicht eindeutig über ein normales Versagen eines durchschnittlichen Beamten hinaus, folgt der Senat nicht. Wie auch der Verlauf der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, liegt der Grund für die mangelhafte Diensterfüllung, die auch einfachste Bearbeitungsstandards nicht einhielt, darin, dass der Beklagte den Polizeiberuf - wie er selbst angegeben hat - nicht aus eigenem Antrieb gewählt hat. Nur dies erklärt die bewusste Gleichgültigkeit gegenüber dienstlichen Anweisungen und die bewusste Nachlässigkeit bei der Dienstverrichtung.
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4. Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG. Es hat zur Folge, dass der Beklagte das Vertrauen seines Dienstherrn sowie der Allgemeinheit endgültig verloren hat, so dass gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) zu erkennen ist. Aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände muss der Schluss gezogen werden, dass der Beamte auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen wird. Entgegen der Auffassung des Beklagten spielt es dabei auch keine Rolle, dass der Beklagte für polizeidienstunfähig erklärt wurde. Denn die kritisierte mangelhafte Diensterfüllung bezieht sich gerade auf reine Verwaltungstätigkeiten. Mit seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung, es gehe ihm um das Beamtenverhältnis als solches, lässt der Beklagte keinen Grund erkennen, der auf ein künftiges Bemühen um ordnungsgemäße Diensterfüllung hindeuten würde.
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4.1 Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG und der dieser Vorschrift inhaltlich entsprechenden Bemessungsregelung des Disziplinargesetzes des Bundes ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - ZBR 2016, 254 - juris Rn. 12 m.w.N.).
41
Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, B.v. 10.12.2015 - 2 C 6.14 - juris Rn. 16; B.v. 11.2.2014 - 2 B 37.12 - juris Rn. 20; B.v. 25.5.2012 - 2 B 133.11 - juris Rn. 9 mit weiteren Nachweisen).
42
Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Dies erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder es - etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder gar einer psychischen Ausnahmesituation - davon abweicht (BVerwG, U.v. 29.5.2008 - 2 C 59.07 - juris Rn. 14).
43
Der Gesichtspunkt der „Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ verlangt eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und ihre konkret ausgeübte Funktion (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 15).
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Bei der Anwendung des Bemessungskriteriums „Schwere des Dienstvergehens“ ist das festgestellte Dienstvergehen nach seinem Gewicht einer der im Gesetz aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Hierbei können die in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung für bestimmte Fallgruppen herausgearbeitete Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 20).
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Fallen einem Beamten - wie hier - mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 13.7.2011 - 16a D 09.3127 - juris). Es würde indes hier zu kurz greifen, mit dem Hinweis auf den Strafrahmen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen (§ 277 StGB), der Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vorsieht, den Orientierungsrahmen für die disziplinarische Ahndung auf Maßnahmen unterhalb der Höchstmaßnahme zu begrenzen. Dabei stellt der Senat nicht darauf ab, dass es sich bei § 277 StGB um eine unverständliche Privilegierung von Fällen handelt, die in ihrer Mehrzahl (soweit - wie auch hier - nicht nur schriftliche Lügen vorliegen) unter den Tatbestand der Urkundenfälschung des § 267 StGB, mit einer Strafdrohung bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, fallen würden (Heine/Schuster in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 277 Rn. 1 m.w.N.). Vielmehr sind die Fälle der Fälschung von Gesundheitszeugnissen hier neben weiteren Verstößen gegen die Krankmeldepflicht und gegen die Pflicht zum ordnungsgemäßen Nachweis einer Erkrankung zu betrachten. Insoweit ist aufgrund der Variationsbreite der in Frage kommenden Verstöße eine generelle deliktsgruppenbezogene Bestimmung der als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen regelmäßig erforderlichen Disziplinarmaßnahme (Regeleinstufung) nicht möglich, so dass bei der Ahndung der Dienstpflichtverletzungen der gesamte Katalog möglicher Disziplinarmaßnahmen in den Blick zu nehmen und die Entscheidung aus den Umständen des Einzelfalles zu treffen ist (Baunack in Köhler/Baunack, BDG, 6. Aufl. 2016, S. 195). Auch für den Verstoß gegen die Pflicht zu vollem Einsatz und qualifizierter Arbeit gibt es keine Regeleinstufung (Köhler in Köhler/Baunack, a.a.O., S. 220).
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4.2 Mit der Fälschung von Gesundheitszeugnissen, der mangelhaften Dienstverrichtung über einen Zeitraum von vier Jahren und den zahlreichen Weisungsverstößen hat der Beklagte ein schweres Dienstvergehen begangen, für das aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis den Ausgangspunkt der disziplinarischen Bewertung bildet. Insoweit sind leicht einsehbare Kernpflichten des Beamtenverhältnisses betroffen, und es ist nicht ersichtlich, aus welchem Umstand sich noch ein Restvertrauen des Dienstherrn in den Beklagten ergeben soll. Innerdienstliche Regelungen werden von diesem schlichtweg negiert, wenn sie ihm lästig sind und Mühe bedeuten. Die Funktionsfähigkeit der Verwaltung verlangt aber eine reibungslose und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten, besonders auch zwischen den Beamten und ihren Vorgesetzten. Wesentliche Voraussetzung dafür ist Offenheit und Wahrhaftigkeit im dienstlichen Umgang. Daran hat es der Beklagte jedoch in zahlreichen Fällen fehlen lassen, ohne dass Gründe hierfür ansatzweise nachvollzogen werden könnten. Die Fälschung von Gesundheitszeugnissen, die als Straftat die Verletzung der Wahrheitspflicht konsumiert, ist insoweit nur besonderer Ausdruck der Persönlichkeit des Beklagten. Die Nichtvorlage von Attesten für weitere wochenlange Abwesenheiten vom Dienst und in weiteren Fällen deren verspätete Vorlage zeigen auf, dass der Beklagten Dienstpflichten keine Bedeutung beimisst, die ihn zur Information über persönliche Umstände verpflichten. Angaben zu seinen Wohnverhältnissen, die für die Einhaltung der Residenzpflicht und für die Bewilligung der Ballungsraumzulage nötig sind, machte er nur sporadisch und teils unzutreffend; dafür suchte er die Schuld bei den Meldebehörden. Die erforderliche Verlustanzeige bezüglich dienstlicher Gegenstände unterließ er ebenfalls so lange wie irgend möglich und machte sich keinerlei Gedanken darüber, welche Folgen ein Missbrauch dieser Gegenstände nach sich ziehen könnte. Eine weitere Zusammenarbeit, die eine vollständige Überwachung des Beklagten im Dienst auch bei einfacher Tätigkeiten erforderte, weil andernfalls die Vernichtung von Aktenbestandteilen zu befürchten stünde, ist dem Dienstherrn aufgrund des eingetretenen vollständigen Vertrauensverlusts nicht zuzumuten.
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4.3 Von der danach auszusprechenden Höchstmaßnahme kann - wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - nicht abgesehen werden. Seine Feststellung, dass der Beklagte die ihm vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen nicht im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB begangen hat, macht sich der Senat zu eigen und verweist auf dessen Begründung. Die Einwände des Beklagten im Berufungsverfahren greifen nicht durch. Die erforderliche Sachaufklärung durch Sachverständigengutachten und Befragung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat stattgefunden. Die Rechtsfrage, ob die festgestellte Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und dem Abhängigkeitssyndrom von Alkohol erheblich war, verneint auch der Senat.
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Insoweit kann der Grundsatz „in dubio pro reo“ - entgegen dem Berufungsvorbringen - nicht zur Anwendung kommen (vgl. BGH, U.v. 30.8.2006 - 2 StR 198/06 - NStZ-RR 2007, 43/45; BGH, U.v. 2.9.2010 - 3 StR 273/10 - NStZ-RR 2011, 106/107; Eschelbach in BeckOK StGB/ § 21 Rn. 11). Die genannte Rechtsfrage ist ohne Bindung an Wertungen durch Sachverständige zu beantworten (Eschelbach a.a.O. mit zahlreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung des BGH). Deshalb geht es auch fehl, wenn der Beklagte meint, das Verwaltungsgericht könne sich nicht ohne weiteres über die Einschätzung der medizinischen Sachverständigen hinwegsetzen. Der Beklagte räumt selbst ein, dass er („gegebenenfalls“) gegen leicht einsehbare Pflichten verstoßen hat. Sein Persönlichkeitsgefüge war bei der Begehung der Pflichtverstöße nicht erschüttert. Die Sachverständige, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt hat, sie könne keine Aussage zur Erheblichkeit der Verminderung der Steuerungsfähigkeit treffen, weil hierfür zu wenige Unterlagen vorlägen und zum anderen es einer Betrachtung jeder einzelnen Tat bedürfe, sieht im Gutachten (S.47) eine Mischung aus sich einstellender depressiver Verfassung, erhöhtem und regelmäßigem Alkoholkonsum sowie spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen als Erklärung für die Pflichtverstöße. Dabei waren zur Überzeugung des Senats die krankhaften Symptome in der Persönlichkeit des Beklagten nicht führend. In Bezug auf den Alkoholmissbrauch liegen mit den Eigenangaben zum Konsum schon keine Hinweise darauf vor, dass der Beklagte bei der Fälschung der Gesundheitszeugnisse eine relevante Blutalkoholkonzentration erreicht hat. Die vom Alkoholrausch zu unterscheidende chronische Alkoholabhängigkeit kann forensisch relevant werden, wenn sie zu nachhaltigen Wesensveränderungen und hirnorganischem Abbau der Gedächtnisleistungen führt (Eschelbach, a.a.O., § 20 Rn. 22). Dafür ist nichts ersichtlich. Die überlegte und koordinierte Tatbegehung mit der auf Verschleierung zielenden Ablage der Dokumentvorlagen im privaten PC (LKA-Gutachten vom 12.1.2015, S. 12; Disziplinarakte Bl. 256) zeigt, dass auch die schwere depressive Episode nicht im Vordergrund steht, denn diese führt zu einer massiven Antriebsschwäche, die strafbaren Handlungen eher entgegensteht und vor allem bei Unterlassungsdelikten von Bedeutung sein kann (Eschelbach, a.a.O., § 20 Rn. 53). Vielmehr beruht die Tatbegehung überwiegend auf den (nicht krankhaften) akzentuierten ängstlich-vermeidenden, abhängigen und narzisstischen Persönlichkeitszügen des Beklagten. Für die vorsätzlich schlechte Dienstleistung gilt nichts Anderes. Denn auch bei dieser agierte der Beklagte in Abhängigkeit davon, ob er der Überwachung durch anwesende Kollegen ausgesetzt war.
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4.4 Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind auch dann zu berücksichtigen, wenn ihr Ausmaß nicht den Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit erreicht. Gleichwohl hat der Beklagte die negative Lebensphase nicht überwunden. Der Senat ist aus eigener Anschauung in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass die negative Einstellung des Beklagten zum Beamtenberuf keine Veränderung erfahren hat. Darauf, dass es insoweit nicht auf die Frage der Polizeidienstfähigkeit ankommt, wurde bereits oben hingewiesen. Es wurde keinerlei guter Vorsatz des Beklagten für die Zukunft erkennbar und nur der vagen Hoffnung Ausdruck gegeben, womöglich nach Sachsen-Anhalt versetzt werden zu können. Zutreffend hat schon das Verwaltungsgericht auf das ergänzende psychiatrische Gutachten vom 31. Juli 2017 hingewiesen, in dem ausgeführt wurde, dass im Falle erneuter psychosozialer, beruflicher oder persönlicher Belastungen eine depressive Episode oder ein erhöhter Alkoholkonsum nicht ausgeschlossen werden können. Solche Belastungen sind angesichts der Persönlichkeitsakzentuierung, der fehlenden Identifikation mit dem Beruf und der Fixierung auf ein Wohnen im Heimatort absehbar.
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5. In der erforderlichen Gesamtschau aller be- und entlastenden Umstände sind zugunsten des Beklagten noch zu berücksichtigen, dass er bislang disziplinarrechtlich nicht vorbelastet ist, sowie zu Lasten des Beklagten, dass der strafrechtliche Verstoß bei einem Polizeibeamten besonders schwer wiegt, weil er als solcher für die Verhütung und Unterbindung strafbarer Handlungen zuständig ist. Nach Ansicht des Senats ist die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis angemessen und geboten. Auch die Dauer des Disziplinarverfahrens ist nicht geeignet, das von dem Beklagten zerstörte Vertrauensverhältnis wiederherzustellen (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2014 - 2 B 66.14 - juris Rn. 7).
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Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifenden Milderungsgründen das Vertrauen endgültig zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde dem Gebot, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, zukünftig Rechnung tragen, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als erforderliche und geeignete Maßnahme, dem Zweck des Disziplinarrechts Geltung zu verschaffen. Abzuwägen sind dabei das Gewicht des begangenen Dienstvergehens und des dadurch eingetretenen Vertrauensschadens einerseits und die mit der Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist - wie hier - das Vertrauensverhältnis gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse eintretende Rechtsfolge für solche Pflichtverletzungen zuzurechnen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG.
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Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).