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VG Regensburg, Urteil v. 03.09.2020 – RN 11 K 20.30716
Titel:

Dublin-Verfahren (Bulgarien)

Normenketten:
VwGO § 84 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Schlagworte:
Rückführung, Abschiebungsverbot
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.02.2021 – 21 ZB 20.31978
Fundstelle:
BeckRS 2020, 42229

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, in dem u.a. sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihm die Abschiebung nach Bulgarien angedroht wurde.
2
Der Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit zu sein. Nach seinen Angaben verließ er Syrien im Jahr 2012 und reiste über den Irak, die Türkei und Bulgarien am 18.05.2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 24.05.2017 einen Asylantrag stellte.
3
Aufgrund eines EURODAC-Treffers ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) Bulgarien am 06.06.2017 um Übernahme des Klägers. Die bulgarischen Behörden verweigerten die Übernahme, da dem Kläger bereits am 17.02.2017 der Flüchtlingsstatus in Bulgarien zuerkannt wurde.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 19.06.2017 wurde der Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2). Der Kläger wurde aufgefordert, Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und es wurde ihm die Abschiebung nach Bulgarien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Ferner wurde festgestellt, dass er nicht nach Syrien abgeschoben werden darf (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, da dem Kläger in Bulgarien im Rahmen des Asylverfahrens bereits internationaler Schutz gewährt worden sei. Da der Asylantrag unzulässig sei, würde er auch nicht materiell geprüft werden. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Eine Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG sei unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergebe. Der Kläger habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, dass ihm in Bulgarien eine durch einen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Daher lägen die Voraussetzungen für eine im Sinne des Art. 3 EMRK verursachte Verletzung durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur nicht vor. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.
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Der Kläger ließ gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 04.07.2017, bei Gericht eingegangen am 05.07.2017, durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg erheben. Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die Abschiebungsandrohung nach Bulgarien rechtswidrig sei. In Bulgarien seien systemische Mängel des Asylverfahrens vorhanden. Die gegenwärtigen Bedingungen in Bulgarien würden gegen Art. 3 EMRK verstoßen. Es werde hierzu Bezug auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2018 Az. 1 B 25.18 genommen. Der Kläger könne im Fall seiner Rückkehr nach Bulgarien seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern. Die CoronaPandemie habe dazu geführt, dass in Bulgarien eine noch größere Armut und Not herrsche, als es bisher der Fall gewesen sei. Firmen müssten schließen, die Arbeitslosigkeit habe sich erhöht. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Bulgarien in Anbetracht der derzeitigen Situation die Möglichkeit habe, seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Aufgrund der im Jahr 2015 eintretenden Verschlechterungen im Verfahren bei der Unterbringung, verbunden mit einem erheblichen Anstieg der Asylanträge, bestünden in Bulgarien erneut systemische Mängel, von denen auch Dublin-Rückkehrer betroffen seien. Die anfängliche Verbesserung der Situation in Bulgarien habe sich ins Gegenteil verkehrt. Es sei zudem zu prüfen, ob die nach dem Bericht des UNHCR vom April 2014 zu erwartenden positiven Veränderungen nun auch tatsächlich eingetreten seien. Verschiedene Stellungnahmen würden allerdings belegen, dass keine positiven Veränderungen eingetreten seien, vielmehr sei die Situation von anerkannten Schutzberechtigten noch problematischer geworden als zuvor. Außerdem seien spezifische Probleme im Zusammenhang mit der Krankenversorgung, mit dem Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt und mit der allgemeinen Diskriminierung Schutzberechtigter beschrieben. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 08.05.2020 Bezug genommen.
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Der Kläger lässt beantragen,
1. Der Bescheid der Beklagten vom 19.06.2017, Gesch.-Z: 7130123-475, wird aufgehoben.
2. Hilfsweise wird beantragt festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.
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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
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Das Gericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12.05.2020 zunächst teilweise als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 15.05.2020 rechtzeitig die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
9
Ein Klageverfahren der Familie des Klägers (Eltern mit Bruder) ist am Verwaltungsgericht Regensburg unter dem Az. RN 11 K 20.30713 anhängig.
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Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten, die Angaben im Verwaltungs- und im Klageverfahren, den Gerichtsbescheid vom 12.05.2020 sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 02.09.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Da der Kläger rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt hat, gilt der Gerichtsbescheid vom 04.05.2020 als nicht ergangen, § 84 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Die Klage ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist auch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG. Ferner folgt das Gericht gemäß § 84 Abs. 4 VwGO in den Entscheidungsgründen der Begründung des Gerichtsbescheids vom 12.05.2020.
14
Im konkreten Fall des Klägers verstoßen die gegenwärtigen Bedingungen in Bulgarien nicht gegen Art. 3 EMRK i.V.m. § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Unzulässigkeitsentscheidung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Ziffer 1 des Bescheids) war daher rechtmäßig. Das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung bietet keine Veranlassung für eine hiervon abweichende Entscheidung, da der Kläger keine neuen, relevanten Aspekte diesbezüglich vorgebracht hat. Beim Kläger handelt es sich um einen 21-jährigen, körperlich und geistig gesunden Mann mit einem Berufsschulabschluss. Einer Sicherung des eigenen Lebensunterhalts und der eigenen elementaren Bedürfnisse in Bulgarien steht nichts entgegen. Eine Rückführung nach Bulgarien wäre für den Kläger zweifelsohne hart, käme aber keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK gleich. Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu, da der Kläger ausweislich der eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 02.09.2020 gesund ist.
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Der Bescheid ist insoweit auch in Ziffer 2 rechtmäßig. Erweist sich die Unzulässigkeitsentscheidung als rechtmäßig, gilt dies auch für die Verneinung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Im Rahmen der Abschiebungsverbote sind keine relevanten Aspekte zu berücksichtigen, die nicht bereits Gegenstand der Erörterung zur Unzulässigkeit des Asylantrags waren. Es ergeben sich auch keine anderen Wertungen.
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Die Anfechtungsklage gegen Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheids ist ebenfalls unbegründet. Das Bundesamt durfte eine schriftliche Abschiebungsandrohung erlassen, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorliegen. In dem Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer gemäß § 35 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt in Fällen des § 36 Abs. 1 AsylG grundsätzlich eine Woche. Zwar hat das Bundesamt im vorliegenden Fall bestimmt, dass die Ausreisefrist im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet. Jedoch verletzt das Setzen der objektiv rechtswidrigen längeren Ausreisefrist den Kläger nicht in seinen eigenen subjektiven Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da ihn diese nur begünstigt (vgl. BayVGH, B. v. 03.05.2019 Az. 20 ZB 18.32363). Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1, 2 AufenthG i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
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Die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage ist unbegründet, da Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
20
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
21
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).