Titel:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für einen Biergarten
Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
BImSchG § 3 Abs. 1, Abs. 2
BiergV § 2 Abs. 1
Leitsatz:
Für Biergärten in der Nachbarschaft einer Wohnbebauung gilt die Bayerische Biergartenverordnung vom 20. April 1999, welche teils von der TA Lärm abweichende Grenzwerte regelt und die Tagzeit auf 7:00 bis 23:00 Uhr festsetzt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Schädliche Umwelteinwirkungen, Lärmimmissionen, Biergarten, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Stellplätze
Fundstelle:
BeckRS 2020, 41744
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 25. April 2013.
2
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …der Gemarkung … An der westlichen Grundstücksgrenze schließt sich das streitbefangene, im Eigentum des Beigeladenen stehende Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … an. Das Klägergrundstück ist sowohl im Flächennutzungsplan als auch im Bebauungsplan „… Nr. ...“ vom 16. Mai 1984 als reines Wohngebiet ausgewiesen und entsprechend einer Baugenehmigung aus dem Jahr 1984 mit einem Einfamilienhaus bebaut.
3
Das Beigeladenengrundstück befindet sich im unbeplanten Außenbereich. Im Jahr 1987 wurde eine Baugenehmigung für einen Bierkeller auf dem Beigeladenengrundstück erteilt. Der Beigeladene betreibt auf dem streitbefangenen Grundstück entsprechend einer gaststättenrechtlichen Genehmigung vom 28. April 1989 den „…“. Der Flächennutzungsplan vom 10. November 1978 setzte für das gesamte Gebiet der Gemeinde … ausschließlich land- und forstwirtschaftliche Nutzfläche sowie reine Wohngebiete fest; im Flächennutzungsplan vom 5. Dezember 2002 wurde für das Beigeladenengrundstück schließlich eine Sonderfläche für Bierkeller ausgewiesen. Die umliegenden Grundstücke Fl.Nr. …und … sind ebenso wie das klägerische Grundstück (Fl.Nr. …...) mit Wohnhäusern bebaut. Die Grundstücke Fl.Nr. … und … werden für den Biergarten als Parkplatz genutzt.
4
Im Hinblick auf die Absicht des Beigeladenen, den Biergartenbetrieb aufzustocken, gab die Brauerei … im September 2012 eine schalltechnische Untersuchung und Lärmprognoseberechnung bei der Handwerkskammer … in Auftrag. Das Gutachten ging von einem lauten Biergarten mit maximal 200 Gästen aus und kam zu dem Ergebnis, dass der nach der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 i.V.m. der TA Lärm vom 26. August 1998 zulässige Immissionsrichtwert von 55 dB(A) tagsüber an allen betrachteten Immissionsorten eingehalten wird. Am klägerischen Wohnhaus („Immissionsort 1“) beträgt der Beurteilungspegel ausweislich des Gutachtens 52,6 dB(A) im Erdgeschoss und 52,8 dB(A) im 1. Obergeschoss.
5
Der Beigeladene stellte am 1. März 2013 einen Bauantrag für das Vorhaben „Neubau eines Gastraumes zur Bewirtung bei schlechtem Wetter sowie Platzierung der Biertischgarnituren“. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25. April 2013 erteilte das Landratsamt … dem Beigeladenen antragsgemäß eine Baugenehmigung für den Neubau eines Gastraumes und die Erweiterung des Bierkellers auf 200 Sitzplätze und traf Nebenbestimmungen insbesondere immissionsschutzrechtlicher Art, wonach unter anderem die der vorgenannten schalltechnischen Untersuchung der Handwerkskammer für Mittelfranken vom 4. Februar 2013 zugrundeliegenden Berechnungsvoraussetzungen (Beschreibung des Vorhabens, Öffnungszeiten, Zugangssituation, Parksituation) bei der Errichtung und beim Betrieb zwingend zu beachten sind, soweit im Genehmigungsbescheid keine abweichenden Festsetzungen getroffen sind. Des Weiteren wird unter Nr. 8 festgelegt: „Der Betrieb der Freisitzfläche des Bierkellers muss stets im Vordergrund sein. Eine Nutzung des geplanten Gastraumgebäudes ist darauf zu beschränken, dass er als Ausweichmöglichkeit bei schlechtem Wetter genutzt wird. Ein zusätzlicher Betrieb zur Freisitzfläche oder gar eine eigenständige Betriebsweise ist nicht zulässig. Die Bewirtschaftungstage des Bierkellers dürfen durch die Nutzung des Gastraumgebäudes nicht erhöht werden.“
6
In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, dass sich das Landratsamt die schalltechnische Untersuchung der Handwerkskammer … zu eigen mache, und dass es sich beim … … gemäß LfU-Veröffentlichung von 1999 um einen sogenannten leisen Biergarten handle, für die Berechnung seitens des Landratsamtes jedoch sicherheitshalber die Werte eines lauten Biergartens herangezogen worden seien. Auf den Wortlaut des Bescheides wird Bezug genommen.
7
Der Kläger ließ am 27. Mai 2013 Klage gegen die Baugenehmigung erheben und strengte zugleich ein - zwischenzeitlich unstreitig erledigtes - Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes an (AN 3 S 13.00982). Der Klägervertreter begründete die Klage dahingehend, dass das Lärmgutachten fehlerhaft sei: Ihm läge eine Gesamtzahl der Sitzplätze von 200 zugrunde, obwohl die gaststättenrechtliche Erlaubnis nur 80 Sitzplätze vorsehe. Darüber hinaus berücksichtige das Gutachten in unzutreffender Weise nicht, dass der geplante künftige Betrieb neben den 200 Sitzplätzen im Biergarten noch ein Kellerhäuschen mit 35 Sitzplätzen vorsehe. Es könne keineswegs davon ausgegangen werden und werde auch durch die Nebenbestimmungen der Baugenehmigung nicht sichergestellt, dass das Kellerhäuschen nicht von 35 zusätzlichen Gästen genutzt werde, wenn der Biergarten bereits mit 200 Gästen besetzt ist. Eine Streuung der Gäste mit der Folge einer Erhöhung der Gesamtanzahl sei schon deshalb zu erwarten, weil die Wetterempfindlichkeit der Biergartenbesucher variiere. Das Gutachten gehe zudem von 50 Stellplätzen aus, obwohl der Biergarten nur über 10 Stellplätze verfüge. Das Landratsamt habe im streitgegenständlichen Bescheid zwar bestimmt, dass weitere 30 Stellplätze vom Beigeladenen herzustellen sind, jedoch seien diese bei einer Gästeanzahl von 235 nicht ausreichend und der Zu- und Abfahrtsverkehr sei nicht zu bewältigen. Das Bauvorhaben sei aus brandschutztechnischen Gesichtspunkten bedenklich. Es sei auch nicht geprüft worden, ob für eine Erhöhung der Sitzplatzzahl eine gaststättenrechtliche Erlaubnis erteilt werden kann.
Der Bescheid des Landratsamtes … vom 25. April 2013 wird aufgehoben.
Klageabweisung und erwiderte am 4. Juni 2013 auf die Klage, dass im vereinfachten Genehmigungsverfahren brandschutzrechtiche Regelungen nicht zu prüfen gewesen seien, jedenfalls aber der Mindestabstand von 2,50 Metern zur gemeinsamen Grundstücksgrenze zweifelsfrei eingehalten sei.
10
Da eine zusätzliche Nutzung des neu zu errichtenden Gastraumes bei gutem Wetter gemäß der unter Nr. 8 getroffenen Bestimmung nicht zulässig sei, sei das einbezogene Gutachten zu Recht davon ausgegangen, dass die Gesamtanzahl der Gäste 200 zu keinem Zeitpunkt übersteigen wird. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg auf einen Gebietsbewahrungsanspruch berufen, da sich Kläger- und Beigeladenengrundstück nicht im selben Gebiet befänden.
11
Ausweislich des Gutachtens seien selbst die für ein reines Wohngebiet geltenden Grenzwerte eingehalten, sodass eine immissionsschutzrechtliche Beeinträchtigung nachbarlicher Belange nicht festgestellt werden könne. Das Gaststättenrecht (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG) entfalte hier keine drittschützende Wirkung, da es im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nur im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BayBO Beachtung finde und dort einen Fall fehlenden Sachbescheidungsinteresses darstelle, der keine drittschützende Funktion habe. Im Übrigen sei dem Beigeladenen die entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis zwischenzeitlich erteilt worden.
12
Der Beigeladene trug mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14. Juni 2013 vor, dass der Bierkeller im Jahr 1863 errichtet worden sei. In den 1970er Jahren sei die Wohnbebauung mit dem Ausbau der …straße herangerückt, so auch die des Klägers. Der Vater des Beigeladenen habe sich hiergegen nicht gewehrt, da die Heranrückenden sämtlich Einheimische gewesen seien, die vom Bierkeller seit jeher profitiert hätten. Es handle sich um einen Biergarten im herkömmlichen Sinne, in welchem im Freien auch mitgebrachte Speisen verzehrt werden können. Indem die Behörde unter Nr. 2 der Nebenbestimmungen des streitgegenständlichen Bescheids festlegte, dass die dem besagten Gutachten zugrundeliegenden Voraussetzungen (Beschreibung des Vorhabens, Öffnungszeiten, Zugangssituation, Parksituation) zwingend zu beachten seien, habe sie sichergestellt, dass der Biergarten nur an vier Tagen pro Woche von 13:00 Uhr bis 22:30 Uhr geöffnet ist und der Abfahrtsverkehr bis 23:00 Uhr abzuwickeln ist. Der Betrieb sei zudem - wie auch in der zwischenzeitlich erteilten Gaststättenerlaubnis vom 3. Mai 2013 - auf die Monate März bis Oktober beschränkt.
13
Durch weitere Nebenbestimmungen habe die Behörde zudem sichergestellt, dass der Kläger keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt wird, insbesondere seien unter Nr. 5 hinreichende Schallschutzmaßnahmen gefordert. Die Befürchtung, es könnten sich durch eine zusätzliche Nutzung des Kellerhäuschens insgesamt 235 Gäste zeitgleich auf dem Grundstück aufhalten, sei schon deshalb unbegründet, weil Nr. 8 dies ausdrücklich untersage. Eine erhöhte Brandgefahr sei nicht ersichtlich.
14
Der Klägervertreter replizierte mit Schriftsatz vom 1. Juli 2013, dass aufgrund des fehlenden Nachweises zum baulichen Brandschutz ein offensichtlicher Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften vorliege, der nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Fassung: 1. Januar 2013) die Versagung der streitgegenständlichen Baugenehmigung nach sich ziehen könne. Bei der Vielzahl von Gästen müsse jederzeit mit einer Brandsituation gerechnet werden. Der Kläger selbst habe bereits bei einem Brandereignis auf dem Beigeladenengrundstück einschreiten müssen. Er sei in seinem subjektiv-öffentlichen Recht aus Art. 12 BayBO verletzt.
15
Die Baugenehmigung sei auch aus formellen Gründen rechtswidrig: Dass der Beigeladene das Lärmgutachten beigebracht habe entspreche zwar seinen Vorlagepflichten nach Art. 64 Abs. 2 BayBO i.V.m. § 1 Abs. 1 BauVorlV, der Beklagte habe jedoch keine ordnungsgemäße, abschließende Prüfung vorgenommen, da er die Rechtmäßigkeit des Gutachtens nicht überprüft habe. Dass sich insgesamt bis zu 235 Gäste auf dem Beigeladenengrundstück aufhalten, werde auch nicht durch die entsprechenden Regelungen zur Nutzung des Kellerhäuschens verhindert: Diese seien zu unbestimmt in Bezug auf die Formulierungen „gutes Wetter“ und „schlechtes Wetter“, zudem könne das Wetter jederzeit kurzfristig umschlagen. Es entspreche nicht dem regelmäßigen tatsächlichen Vorgehen eines Gastwirtes, einen zusätzlichen vorhandenen Gastraum nicht auszulasten. Der Betrieb eines Bierkellers entspreche nicht der im reinen Wohngebiet zulässigen Nutzung und sei wegen schädlicher Umwelteinwirkungen auch nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB unzulässig. Der Beklagte habe im Rahmen der ursprünglichen Baugenehmigung vom 28. April 1989 das Gaststättenrecht geprüft, sodass auch für die nunmehr geplante Erweiterung des Biergartens kein anderer Maßstab gelten dürfe. § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG entfalte zugunsten des Klägers eine drittschützende Wirkung unabhängig davon, ob er zum Prüfungsmaßstab gehöre oder nicht.
16
Das Landratsamt … wiederholte mit Schriftsatz vom 11. Juli 2013 die Ausführungen zum Brand- und Immissionsschutz.
17
Der Klägervertreter wiederholte mit Schriftsatz vom 12. September 2013 seine Ausführungen zur Fehlerhaftigkeit des Schallschutzgutachtens, zum Gebietserhaltungsanspruch und zur Brandgefahr.
18
Das Landratsamt … nahm mit Schriftsatz vom 25. September 2013 zur baurechtlichen Historie des streitgegenständlichen Grundstücks Stellung.
19
Der Bevollmächtigte des Beigeladenen ergänzte unter dem 18. Oktober 2013, dass im Lärmgutachten das Kellerhäuschen zwar noch nicht berücksichtigt worden sei, gleichwohl seien die zulässigen Immissionsrichtwerte aus der Biergartenverordnung demnach unterschritten. Zur Historie des Beigeladenengrundstücks wurde ausgeführt, dass das Bierkellergrundstück seit jeher von Vorfahren des Beigeladenen bewirtschaftet worden sei, worauf auch die Flurbezeichnung „…“ hinweise. Ein Lichtbild aus dem Jahr 1960, welches den Betrieb des Bierkellers zeigen soll, wurde zur Gerichtsakte gereicht.
20
In seinem Schriftsatz vom 25. November 2013 nahm der Klägervertreter Bezug auf die Augenscheinseinnahme im Verfahren AN 3 S 13.00982 vom 19. September 2013. Die dabei angesprochene und vom Landratsamt …im Schriftsatz vom 25. September 2013 aufgezeigte historische Entwicklung des Beigeladenengrundstücks zeige, dass der Bierkeller des Beigeladenen erst seit 1987 existiere; Schankgenehmigungen o.ä. vor dieser Zeit könnten nicht vorgelegt werden. Das klägerische Wohnhaus existiere somit länger als der Bierkeller des Beigeladenen.
21
Am 15. September 2020 nahm das Landratsamt …eine Lärmimmissionsmessung am … vor. Bei der Messung wurden die Geräuschemissionen, die vom Betrieb des Geschirrhäuschens ausgehen, schalltechnisch erfasst. Gemessen wurde an drei Immissionspunkten, wobei sich Messpunkt 3 vom Geschirrhäuschen so weit entfernt befindet wie das nächstgelegene Fenster des klägerischen Gebäudes. Am Messpunkt 3 wurde zusätzlich das Herausräumen des Geschirrs aus dem Geschirrhäuschen erfasst („Messung 3.2“), wobei sich hier eine gemittelte Dauerschalleistung von 41,1 db(A) ergab. Wegen der übrigen Werte und der exakten Position der Messpunkte wird auf den Messbericht des Landratsamtes Bezug genommen (Bl. 324 ff. der Gerichtsakte).
22
Die Beteiligten verzichteten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
23
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten, auch in den Verfahren AN 3 S 13.00982, AN 3 K 13.00983, AN 3 S 16.01263 und AN 90 ME 16.90008.
Entscheidungsgründe
24
Die Entscheidung konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen.
25
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger kann das streitgegenständliche Vorhaben für den Neubau eines Gastraumes und die Erweiterung des Bierkellers auf 200 Sitzplätze nicht abwehren. Er wird durch die angefochtene Baugenehmigung vom 25. April 2013 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
26
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 - 4 C 40.87 - juris).
27
Eine solche Rechtsverletzung des Klägers ist nicht gegeben. Auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs kann sich der Kläger nicht berufen (1.). Das geplante Bauvorhaben ist ihm gegenüber auch nicht rücksichtslos (2.). Der Kläger wird durch die Baugenehmigung auch nicht in anderen drittschützenden Rechten verletzt (3.).
28
Der Kläger kann keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruches geltend machen, da sich das Kläger- und Beigeladenengrundstück in unterschiedlichen Baugebieten befinden.
29
Der Gebietsbewahrungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet - vorliegend ein reines Wohngebiet nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, 3 BauNVO, § 1 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO - das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch ist eine Folge davon, dass Baugebietsfestsetzungen kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. Die weit reichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer das Recht, sich gegen eine schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (BVerwG, U.v. 16.9.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151).
30
Da der Gebietsbewahrungsanspruch auf der durch eine Baugebietsfestsetzung wechselseitigen Eigentumsbindung beruht, kann er nur Grundstückseigentümern innerhalb desselben Baugebiets zustehen (BVerwG, B.v. 18.12.2007 - 4 B 55/07 - juris; BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - BeckRS 2009, 43190; B.v. 31.3.2008 - 1 ZB 07.1062 - juris; B.v. 23.10.2003 - 2 ZB 03.1673 - juris).
31
Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Gebietserhaltungsanspruch des Klägers, dessen Grundstück als reines Wohngebiet festgesetzt wurde, durch das Vorhaben auf dem vom Geltungsbereich dieses Bebauungsplans nicht erfassten, im Außenbereich (§ 35 BauGB) liegenden Klägergrundstücks nicht verletzt sein kann.
32
Ferner verletzt das streitgegenständliche Bauvorhaben weder durch die vom Bierkeller auf das klägerische Wohnhaus einwirkenden Immissionen - nachfolgend a) und b) - noch durch die Anzahl und Situierung der dazugehörigen Stellplätze (c) das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme.
33
Das streitgegenständliche Bauvorhaben befindet sich unstrittig im Außenbereich und ist dort nicht privilegiert, sodass sich seine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB beurteilt. Das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme gilt nicht nur für Außenbereichsvorhaben untereinander, sondern wirkt - wie hier - auch über Gebietsgrenzen hinweg und kommt auch Nachbarn wie dem Kläger zugute, deren Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich liegen (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.1983 - 4 C 59.79 - NVwZ 1983, 609 m.w.N.). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Maßgebend ist u.a. Art und Ausmaß der schutzwürdigen Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten. Dessen Schutzbedürfnis ist gegen die ihrerseits schutzwürdigen Interessen des Bauherrn mit der Fragestellung abzuwägen, was dem einen und dem anderen nach Lage der Dinge - billigerweise - zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.1983, a.a.O.). Sind von dem in Rede stehenden Vorhaben Immissionen zu erwarten, so kann bezüglich der Zumutbarkeit auf Grundsätze und Begriffe des BImSchG zurückgegriffen werden (BayVGH, B.v. 12.9.2017 - 1 ZB 15.126 - BeckRS 2017, 126512). Stoßen Gebiete von unterschiedlicher Qualität aneinander, so sind auch sie mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet. In derartigen Fällen hat die störende Nutzung die von ihr ausgehenden Belästigungen in Grenzen zu halten und die benachbarte Wohnnutzung zu respektieren, während die Wohnnutzung die Tatsache, dass sie in der Nähe einer Belästigungsquelle angesiedelt ist, ebenfalls respektieren muss. Als Grenze der zumutbaren Belastung ist in solchen Fällen ein Zwischenwert zu bilden (vgl. auch Nr. 6.7 TA Lärm), der bei Lärmimmissionen zwischen den Richtwerten liegt, welche bei isolierter Betrachtung für die benachbarten Gebiete unterschiedlicher Nutzung und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit gegeben sind (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2019 - 8 B 36.18 - BeckRS 2019, 14124). Dass hierbei auch der Gesichtspunkt von Bedeutung ist, welche der beiden miteinander unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde, ergibt sich ebenfalls aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.1975 - IV C 71.73 - BVerwGE 50, 49; B.v. 28.9.1993 - 4 B 151.93 - juris Rn. 12).
34
Schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ruft das geplante Bauvorhaben nicht hervor, da es die maßgeblichen Lärmgrenzwerte einhält.
35
Schädliche Umwelteinwirkungen sind gem. § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
36
Die im Streit stehenden Lärmimmissionen (§ 3 Abs. 2 BImSchG) halten die hier maßgeblichen von der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (BiergV, GVBl. S. 142, BayRS 2129-1-8-U) festgesetzten Grenzen sogar für ein reines Wohngebiet ein und sind daher eindeutig als nicht schädlich i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG zu qualifizieren, ohne dass es einer Mittelwertbildung im Hinblick auf die aneinandergrenzenden Gebiete unterschiedlicher Schutzwürdigkeit (reines Wohngebiet und Außenbereich) bedarf.
37
Für Biergärten in der Nachbarschaft einer Wohnbebauung gilt die Bayerische Biergartenverordnung vom 20. April 1999, welche teils von der TA Lärm (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm vom 26. August 1998) abweichende Grenzwerte regelt und die Tagzeit auf 7:00 bis 23:00 Uhr festsetzt, § 2 Abs. 1 Satz 1 BiergV.
38
Der …erfüllt unstreitig die Voraussetzungen eines Biergartens im Sinne des § 1 BiergV, was in der streitgegenständlichen Baugenehmigung insbesondere durch Bestimmungen zu den saisonalen Betriebszeiten sichergestellt wird (vgl. zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Bayerischen Biergartenverordnung: BayVGH, B.v. 27.11.2019 - 15 CS 19.1906 - juris; B.v. 7.10.2020 - 9 CS 20.976 - juris). Im reinen Wohngebiet ist daher in Abweichung zu Nr. 6.1 lit. f) TA Lärm zur Tagzeit ein Grenzwert von 55 db(A) einzuhalten, wie sich § 2 Abs. 1 Satz 4 BiergV entnehmen lässt.
39
Als Grundlage für die Ermittlung der vom Biergarten ausgehenden Geräusche ist dabei die TA Lärm sinngemäß heranzuziehen, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 5 BiergV. Maßgeblich ist die Gesamtbelastung, die durch den Betrieb des - entsprechend der streitgegenständlichen Baugenehmigung erweiterten - Biergartens inklusive Kellerhäuschen und Geschirrrückgabe auf das Wohnhaus des Klägers einwirkt (vgl. Nr. 3.2.1 und 2.4 sowie 2.3 der TA Lärm).
40
Ausweislich des vom Landratsamt zum Gegenstand der Baugenehmigung gemachten Gutachtens beträgt der Immissionspegel während der festgesetzten Betriebszeiten des Biergartens 52,6 dB(A) am Erdgeschoss und 52,8 dB(A) am 1. Obergeschoss des klägerischen Wohnhauses und hält den Grenzwert von 55 db(A) folglich ein.
41
Die Bewirtschaftung des Geschirrhäuschens kann ebenfalls nicht zu einer Grenzwertüberschreitung des gesamten Betriebes führen. Zwar ist nach Nr. 2.4 der TA Lärm, wie bereits festgestellt, grundsätzlich die Gesamtbelastung aller vom Betrieb des Bierkellers verursachter Geräuschimmissionen ausschlaggebend. Der für die Bewirtschaftung des Geschirrhäuschens ermittelte Wert am maßgeblichen Immissionsort 3 (vgl. Nr. 2.3 der TA Lärm) beträgt jedoch lediglich 40,4 bzw. 41,1 db(A) und unterschreitet für sich genommen den Grenzwert von 55 db(A) so deutlich, dass er nach der in Nr. 3.2.1 der TA Lärm zum Ausdruck kommenden Wertung für den Gesamtbetrieb als nicht relevant anzusehen ist.
42
Dass bei der Ermittlung dieser Werte von einer maximalen Besucheranzahl von 200 Personen ausgegangen wurde, ist nicht zu beanstanden: Die streitgegenständliche Baugenehmigung genehmigt den Betrieb des Kellerhäuschens entsprechend der getroffenen Nebenbestimmungen nur derart, dass hierdurch keine zusätzlichen 35 Personen aufgenommen werden dürfen. Eine Bewirtung im Gastraum darf nur bei schlechtem Wetter und nur als Alternative zur Nutzung der Außenbestuhlung erfolgen. Soweit der Kläger zum Ausdruck bringt, dass der Beigeladene dies womöglich nicht einhalten werde, ist er darauf zu verweisen, gegen diese dann baurechtswidrige Nutzung gegebenenfalls im Wege eines bauaufsichtlichen Einschreitens vorzugehen.
43
Auch war es entsprechend Nr. 4.2 der TA Lärm zulässig, das Gutachten statt auf eine reale Messung auf eine Lärmprognose zu stützen.
44
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass im Falle einer Mittelwertbildung unter anderem die Prägungen des Einwirkungsgebietes, die Ortsüblichkeit der Geräusche und die Priorität der jeweiligen Nutzungen zu berücksichtigen gewesen wäre. Obgleich die Historie durch die Beteiligten nicht vollständig aufgeklärt werden konnte, spricht vieles dafür, dass der Bierkeller bereits vor der Wohnbebauung bestand, was die konkrete Schutzwürdigkeit der herangerückten Wohnbebauung auf dem klägerischen Grundstück mindern würde.
45
Das Rücksichtnahmegebot ist auch nicht auf Grund der vom Kläger befürchteten Lärmimmissionen durch die herzustellenden Stellplätze verletzt.
46
Der Beigeladene ist gesetzlich verpflichtet, eine entsprechende Anzahl an Stellplätzen im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens nachzuweisen. Diese sind in allen Baugebieten generell zulässig (vgl. § 12 Abs. 1 BauNVO). Entstehen durch neu zu schaffende Stellplätze und deren Benutzung bislang nicht vorhandene Lärmimmissionen, ist im Regelfall von einer Vermutung der Nachbarverträglichkeit auszugehen. Der Grundstücksnachbar hat die Errichtung notwendiger Stellplätze für ein Bauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 18.09.2008 - 1 ZB 06 2294 - juris).
47
Bei einer zulässigen Bebauung ist es daher auch hinzunehmen, dass eine entsprechende Anzahl an Parkplätzen vorhanden ist. Allerdings können es besondere Umstände des Einzelfalls erforderlich machen, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu mindern. Hierfür kommen beispielsweise die bauliche Gestaltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet und der Verzicht von Stellplätzen zu Gunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an einer Grundstücksgrenze in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 - 4 B 59/02 - juris).
48
Dass die Situierung der Stellplätze auf den Grundstücken Fl.Nr. … und … nach den Umständen des Einzelfalls das Gebot der Rücksichtnahme durch übermäßige Lärmimmissionen verletzt, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die als Parkplatz genutzten Grundstücke grenzen insbesondere nicht an das Klägergrundstück an und sind von diesem etwa 150 Meter entfernt.
49
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt den Kläger auch im Übrigen nicht in drittschützenden Rechten.
50
Weder Vorschriften des Brandschutzes noch des Abstandsflächenrechts wurden im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO geprüft, sodass die Baugenehmigung den Kläger insoweit auch nicht in seinen Rechten verletzen kann (vgl. auch BayVGH, B.v. 14.10.2008 - 2 CS 08.2132 - juris; Simon/Busse, BayBO, Stand: September 2020, Art. 65 Rn. 99).
51
Ebenso trifft die Baugenehmigung keine Feststellung zur gaststättenrechtlichen Zulässigkeit des Kellerbetriebes und kann den Kläger daher auch nicht in ggf. drittschützenden Rechten aus dem GastG verletzen: Gegenstand der Baugenehmigung ist das streitgegenständliche Bauvorhaben, während der Betrieb der Gaststätte „… …“ Gegenstand einer in diesem Verfahren nicht zu behandelnden Gaststättenerlaubnis ist. Die Baugenehmigung entfaltet weder formelle noch materielle Konzentrationswirkung in Bezug auf eine Gaststättenerlaubnis (vgl. zum Verhältnis des öffentlichen Baurechts zum Gaststättenrecht: BayVGH, B.v. 8.9.2016 - 9 CE 16.1397 - BeckRS 2016, 51762).
52
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene sich nicht durch eigene Antragstellung am Prozessrisiko beteiligte, entspricht es billigem Ermessen, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, § 162 Abs. 3 VwGO.