Inhalt

VG München, Urteil v. 04.08.2020 – M 13 K 17.39323
Titel:

Kein internationaler Schutz und kein Abschiebungsverbot für Klägerin aus Nigeria

Normenketten:
AsylG § 3, § 3e Abs. 1, Abs. 2 S. 1, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Eine junge, ledige und arbeitsfähige Frau aus Nigeria kann befürchteten Repressalien privater Dritter grundsätzlich durch einen Umzug in einen anderen Teil des Landes entgehen. Sie kann dort auch unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie ihren Lebensunterhalt sichern. (Rn. 20 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylverfahren, Herkunftsland: Nigeria, Flucht vor Zwangsheirat, Inländische Fluchtalternative, Herkunftsland Nigeria, Zwangsheirat, Kinderlosigkeit, inländische Fluchtalternative, Sicherung des Lebensunterhalts, Covid-19-Pandemie, Erkrankung, qualifizierte ärztliche Bescheinigung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 31847

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die nicht ausgewiesene Klägerin ist nach eigenen Angaben am 01.01.1983 geboren, nigerianische Staatsbürgerin mit der Volkszugehörigkeit Edo und Angehörige der Pfingstbewegung. Sie reiste am 02.02.2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 18.05.2015 einen Asylantrag.
2
Bei der Befragung durch die Regierung von Oberbayern am 24.02.2015 gab die Klägerin unter anderem an, sie habe, seitdem sie aufgewachsen sei, mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und vielen anderen Familienmitgliedern zusammen in der E. Street Nr. ... in B. City gelebt. Ihre Eltern hätten getrennt gelebt. Mit ihren Eltern und ihren Geschwistern bestehe noch Kontakt.
3
Bei ihrer Anhörung gemäß § 25 AsylG am 23.08.2016 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab die Klägerin im Wesentlichen an, Nigeria im Oktober 2007 verlassen zu haben, da ihr Vater sie habe zwangsverheiraten wollen, als sie ca. 15 Jahre oder etwas älter gewesen sei. Ihr Vater habe von dem Mann, den sie habe heiraten sollen, Geld bekommen, dieses jedoch ausgegeben. Ihr Vater und der Mann hätten von ihr das Geld zurückgefordert und gedroht, sie anderenfalls zu töten. Der Mann und ihr Vater seien Muslime gewesen, ihre Mutter und sie Christinnen. Ihre Mutter sei gegen die Heirat gewesen, habe sich gegen den Vater jedoch nicht durchsetzen können. Die Klägerin habe sich entschlossen, auch auf den Rat ihrer Schwester hin, nach Europa zu gehen. Auf Nachfrage, was in der Zeit zwischen der drohenden Zwangsverheiratung, bei der sie 15 Jahre gewesen sei, und ihrer Ausreise, bei der sie 24 Jahre alt gewesen sei, geschehen sei und weshalb sie nicht zwangsverheiratet worden sei, trug die Klägerin vor, sie habe ihren Vater in der Zeit nicht mehr gesehen und mit ihrer Mutter auf der Farm gearbeitet. Wenn ihr Vater sie in dieser Zeit gesehen hätte, hätte er sie getötet. Im Falle ihrer Rückkehr fürchte sie, dass der Mann und ihr Vater sie töten würden, da sie das Geld noch nicht zurückbezahlt habe. Anderweitigen Schutz könne sie nicht bekommen, da die Leute schon vorher wüssten, dass sie käme. Sie kämen in der Nacht und brächten einen um.
4
Die Klägerin gab weiter an, sie sei von Nigeria mit dem Flugzeug nach Spanien gereist und habe sich dort von 2007 bis 2015 aufgehalten. Sie habe von einem Schlepper, den ihre Schwester gekannt habe, einen Reisepass bekommen, den sie aber wieder habe zurückgeben müssen. In Spanien habe sie fünf Jahre als Prosituierte gearbeitet, damit aber aufgehört, da sie das ganze Geld dem Schlepper zurückzahlen hätte müssen. Die Schwester habe den Reisepass bezahlt. Sie hätte deshalb zwar Probleme mit ihrer Zuhälterin gehabt, die Tätigkeit aber trotzdem beendet. Anschließend habe sie gebettelt. Zu ihrem persönlichen Hintergrund trug die Klägerin vor, in Nigeria keine Schule besucht und in der Landwirtschaft gearbeitet zu haben. Lesen und Schreiben könne sie nicht. In Nigeria lebten noch ihre Eltern, die jedoch getrennt seien, sowie drei Schwestern und ein Bruder.
5
Mit Bescheid vom 28.04.2017, zugestellt gegen Postzustellungsurkunde am 29.04.2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und subsidiären Schutz (Ziffer 3) ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4). Die Klägerin wurde unter Androhung der Abschiebung nach Nigeria aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziffer 5). In Ziffer 6 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
6
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Die vorgetragene Zwangsverheiratung sei aufgrund des langen Zeitraums zwischen dem fluchtauslösenden Ereignis und der tatsächlichen Ausreise nicht geeignet, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Die Klägerin habe in diesen neun Jahren offenbar unbehelligt bei ihrer Mutter leben können. Sie hätte sich an einem anderen Ort in Nigeria niederlassen und sich dort eine neue Existenz aufbauen können. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Die Klägerin hätte sich auch an einen staatlichen Schutzakteur wenden können. Es bestünde im Übrigen eine innerstaatliche Fluchtalternative. Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Die Klägerin sei jung und arbeitsfähig.
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Am 08.05.2017 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid erheben und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle Büdingen, vom 28.04.2017, zugestellt am 29.04.2017, zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 4 AsylVfG); hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Mit Schriftsatz vom 28.07.2017 wurde zur Begründung ausgeführt, es bestehe ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Fluchtgrund der Zwangsheirat und der späteren Flucht. Aufgrund der befürchteten Repressalien durch den Vater und den potenziellen Ehemann habe sich der Druck innerhalb des Zeitraums von neun Jahren so stark aufgebaut, dass die Klägerin keine andere Möglichkeit als eine Flucht gesehen habe. Ihre Schwester habe ihr ebenfalls dazu geraten und die Flucht und den Schlepper bezahlt. Es sei nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis der Vater herausgefunden hätte, wo sich die Klägerin aufgehalten habe. Der Akt der Zwangsverheiratung und die Aufrechterhaltung dieses Zwangs erfüllten den Tatbestand einer Verletzung des Art. 12 EMRK. Der Vater und der potenzielle Ehemann seien nichtstaatliche Akteure der Verfolgungshandlung. Zudem läge eine geschlechtsspezifische Verfolgung vor, da die Verfolgungshandlung der Zwangsheirat nur Frauen betreffe. Da die Klägerin angebe, ihr Vater würde sie im Falle einer Rückkehr aufgrund der Geldschulden töten, läge eine unmenschliche Behandlung durch nichtstaatliche Akteure vor. Weiterhin seien Abschiebungsverbote gegeben. Der Klägerin sei am 11.03.2017 wegen einer Dauerblutung die Gebärmutter entfernt worden. Da Kinderlosigkeit in Nigeria als Fluch angesehen werde, müsse die Klägerin, egal wo sie sich niederlasse, damit rechnen, Repressalien ausgesetzt zu werden. Zum Beweis werde die Einholung einer Auskunft von Amnesty International und der Gesellschaft für bedrohte Völker angeboten.
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Zudem habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass die Klägerin aufgrund einer Uterusdeformation unter schwerwiegenden Blutungen leide und dringend auf ärztliche Betreuung und regelmäßige Medikation, auch Bluttransfusionen, angewiesen sei. Ohne diese sei das Leben der Klägerin gefährdet. Es wurde die Einholung eines medizinischen Gutachtens sowie eine Anfrage an das Auswärtige Amt beantragt. Vorgelegt wurde ein Operationsbericht des Klinikums T. vom 13.03.2017, Prof. Dr. C. Sch., mit der Diagnose „Dauerblutung bei Uterus myomatosus und Adenomyosis uteri“, wonach am 11.03.2017 folgende Operation durchgeführt wurde: Pfannenstiellaparotomie, Versuch der Myomenukleation, abdominelle Hysterektomie mit Salpingektomie beidseits. Vorgelegt wurde zudem eine ärztliche Bescheinigung des praktischen Arztes R.-M. K. vom 04.05.2017 mit den Diagnosen „rez. Hypermenorrhoe bei Uterus myomatosus, art. Hypertonie, Anämie“. In der Bescheinigung wird ausgeführt, dass es bei der Klägerin aufgrund der Uterusdeformation regelmäßig zu schweren Blutverlusten komme, die mit Bluttransfusionen behandelt werden müssten, ansonsten sei die Klägerin vital gefährdet. Diese Behandlung sei noch nicht erfolgreich abgeschlossen, so dass eine Gefährdung der Klägerin bei Nichtfortführung der Behandlung nicht ausgeschlossen werden könne.
10
Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des bevollmächtigen Rechtsanwaltes wurde vom Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 17.02.2020 abgelehnt.
11
Die Beklagte hat die Behördenakte vorgelegt, sich zu dem Verfahren jedoch nicht geäußert.
12
Mit Beschluss vom 30.01.2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
13
Das Gericht hat am 04.08.2020 zur Sache mündlich verhandelt.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die öffentliche Sitzung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 28.04.2017 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzstatus oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung sowie der Befristungsentscheidung bestehen keine Zweifel.
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Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
18
1. Die Klage ist unbegründet, da die Klägerin jedenfalls auf das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative gem. § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG zu verweisen ist.
19
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der RL 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen.
20
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Klägerin in ganz Nigeria mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch ihren Vater oder den potentiellen Ehemann drohen könnte. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 16.01.2020, S. 16 (im Folgenden: Lagebericht Nigeria) besteht grundsätzlich in vielen Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung oder Repressionen Dritter durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias auszuweichen. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria, Stand: 12.04.2019, S. 47, m.w.N, im Folgenden: Länderinformationsblatt Nigeria). Die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie beim Aufbau einer neuen Existenz in den nigerianischen Millionenstädten oder in anderen Landesteilen weiterhin bedroht wird. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es der Klägerin bereits in der Vergangenheit offensichtlich gelungen ist, ihren Verfolgern in der Zeit zwischen der drohenden Zwangsheirat (mithin ca. 1998) bis zu ihrer Ausreise (2007) auszuweichen. Es ist nicht ersichtlich, wie sie dort aufgefunden werden könnte, sofern sie nicht selbst den Kontakt zu ihrem Vater aufnimmt. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, an einem anderen Ort wiedererkannt zu werden, mehr als gering, da sich die Klägerin seit mittlerweile dreizehn Jahren nicht mehr in Nigeria aufgehalten hat. Verhaftungen bei einer Rückkehr aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig ausgereisten Asylbewerbern aus der Bundesrepublik Deutschland sind nicht bekannt; abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft von der nigerianischen Immigrationsbehörde, manchmal auch der Drogenpolizei, befragt und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (Lagebericht Nigeria vom 16.01.2020, S. 23)
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Sofern die Klägerin vorträgt, im Falle ihrer Rückkehr aufgrund ihrer Kinderlosigkeit Repressalien durch die dortige Bevölkerung ausgesetzt zu sein, besteht für sie die Möglichkeit, in den liberaleren Südwesten des Landes und dort vor allem in die Städte auszuweichen, wo alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert werden (Lagebericht Nigeria vom 16.01.2020, S. 15). Im Allgemeinen ist eine interne Relokation alleinstehender und kinderloser Frauen nicht übermäßig hart (Länderinformationsblatt Nigeria vom 12.04.2019, S. 40 f.). Eine Beweiserhebung im Hinblick auf die Situation kinderloser Frauen, wie von der Klagepartei im Schriftsatz vom 28.07.2017 angeregt, war nicht veranlasst, da nicht ersichtlich ist, dass diese bessere Erkenntnisse bringen würden als die vom Gericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel.
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Es kann von der Klägerin vernünftigerweise erwartet werden und es ist ihr auch zumutbar, dass sie sich nach ihrer Rückkehr in einem anderen Teil Nigerias oder einer Großstadt niederlässt, in dem ihr keine Gefahr droht. Die Klägerin ist jung, ledig und hat nach eigenen Angaben in Nigeria bereits in der Landwirtschaft gearbeitet. Gründe für eine Erwerbsminderung wurden nicht glaubhaft gemacht. Es kann somit erwartet werden, dass sie - gegebenenfalls auch ohne familiären Rückhalt - ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit erwirtschaften kann. Im Übrigen ist es der Klägerin zumutbar, den Kontakt zu ihren in Nigeria lebenden Geschwistern wieder aufzunehmen und diese um Unterstützung zu bitten. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, den Kontakt abgebrochen zu haben, um ihre Geschwister nicht in Gefahr zu bringen, so besteht die Möglichkeit, diese darum zu bitten, ihre Rückkehr nicht publik zu machen. Da insbesondere die Schwester sie in der Vergangenheit bereits umfangreich unterstützt hat, ist es nach Auffassung des Gerichts ausreichend wahrscheinlich, dass die Klägerin auch künftig mit entsprechender Unterstützung und Verschwiegenheit rechnen kann. Eine andere Beurteilung ist auch nicht angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie veranlasst (siehe unten).
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2. Der auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Klageantrag hat keinen Erfolg.
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a) Im Hinblick auf das Nichtvorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685 - EMRK) wird auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes verwiesen. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht angesichts der aktuellen weltweiten COVID-19-Pandemie (hierzu siehe unten).
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b) Die Tatsache, dass die Lebensbedingungen in Nigeria allgemein hart sind, stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche Situation und Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dar. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Die Abschiebung wäre nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls auszusetzen, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, U. v. 12.07.2001 - 1 C 5.01 - juris Rn. 16 m.w.N), also im Falle einer schlechten Lebensmittelversorgung, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U. v. 12.07.2001 - 1 C 5.01 - juris Rn. 16). Hierfür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Die Klägerin ist, wie bereits festgestellt, arbeitsfähig.
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c) Eine andere Beurteilung hinsichtlich der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist auch nicht angesichts der weltweiten COVID-19-Pandemie veranlasst (vgl. hierzu (ebenso) VG Würzburg, U.v. 29.06.2020 - W 8 K 20.30256 - juris Rn. 36 ff.,41 ff; VG Würzburg, B.v. 25.06.2020 - W 8 S 20.307272 - juris Rn. 21 ff.; VG Würzburg, B.v. 17.06.2020 - W 8 S 20.30629 - juris Rn. 19 ff.). Das Gericht hält es zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und die humanitäre Lage in Nigeria trotz Gegensteuern des nigerianischen Staates und angesichts der bereits erfolgten Lockerungen der Ausgangssperren derart verschlechtert hätten oder alsbald verschlechtern werden, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage wäre, ihren Lebensunterhalt in Nigeria sicherzustellen, so dass ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahr drohen würde. Hierbei verkennt das Gericht nicht, dass sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.06.2020, S. 3 m.w.N., im Folgenden: COVID-19 - aktuelle Lage) und dass sich die gegen die Pandemie ergriffenen Maßnahmen insbesondere auf den informellen Sektor auswirken, in dem 80 Prozent der Menschen arbeiten und 65 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet werden (COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.06.2020, S. 8 m.w.N). Allerdings wurde der fünfwöchige Lockdown in Nigeria bereits Anfang Mai wieder entschärft. Zwar blieben Clubs, Hotels und Restaurants geschlossen, Gottesdienste waren nicht erlaubt und zwischen 20 Uhr und 6 Uhr bestand eine Ausgangssperre. Ansonsten ist jedoch wieder fast Normalität eingekehrt (COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.06.2020, S. 8). So durften die Menschen nach den Lockerungen in den Bundesstaaten Lagos, Ogun und FCT Abuja ihre Arbeit wieder aufnehmen und konnten wieder Geld zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes verdienen. Nach der zweiten Phase der Lockerungen ab dem 02.06.2020 für diese Bundesstaaten wurde die Ausgangssperre auf 22 Uhr bis 4 Uhr weiter verkürzt; der Transport von Gütern und Fahrten zum Zwecke der Erbringung von Dienstleistungen über die Grenzen der Bundesstaaten wurde unbeschränkt erlaubt, zudem wird ab dem 21.06.2020 das Verbot von Inlandsflügen aufgehoben (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f., im Folgenden: Länderinformation COVID-19-Pandemie). Es ist nicht bekannt, dass es bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung zu einem Mangel kommt, der über das übliche Ausmaß hinausgehen würde, wenngleich es in manchen Bereichen zu einem Preisanstieg von 100 Prozent gekommen ist (COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.06.2020). Im Übrigen bleiben die nigerianische Bundesregierung und die einzelnen Bundesstaaten nicht tatenlos und haben zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um eine Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern (Länderinformation COVID-19, Stand: 06/2020, S. 28). Schlussendlich handelt es sich bei den mit der COVID-19-Epidemie verbundenen Einschränkungen um ein temporäres Problem, so dass die Aussicht besteht, dass sich die wirtschaftliche Lage in Nigeria nach weiteren Aufhebungen weiter normalisiert. Daher geht das Gericht davon aus, dass der in Nigeria als Einnahmequelle bedeutende informelle Sektor nach dem Aufheben der vorübergehenden und bereits wieder gelockerten Ausgangsbeschränkungen auch der Klägerin wieder zur Verfügung stehen wird. Es bestehen somit für die Klägerin weiterhin ausreichende Möglichkeiten, sich ein Existenzminimum zu erwirtschaften, so dass ihr eine Rückkehr nach Nigeria zumutbar ist.
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d) Schließlich besteht auch kein von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasstes Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen. Eine hierfür erforderliche lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, wurde nicht glaubhaft gemacht.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Eine wesentliche Verschlechterung ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, mithin existentiellen Gesundheitsgefahren (OVG Münster, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 56). Die Gefahr ist konkret, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in den Heimatstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Behandlungsmöglichkeiten angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (BVerwG, U.v.25.11.1997 - 9 C 58/96 - juris Rn. 13; U.v. 22.03.2012 - 1 C 3/11 - juris Rn. 34; BayGVH B.v. 23.05.2017 - 9 ZB 13.30236 - juris Rn. 28; OVG Münster, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 61). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
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Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 bis 3 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, wobei die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind (BayVGH, B.v. 24.01.2018 - 10 ZB 18.30105 - juris Rn. 7; B.v. 31.7.2019 - 11 ZB 19.32690 - juris Rn. 4, jeweils m.w.N; siehe auch B.v. 10.01.2018 - 10 ZB 16.30735 - juris Rn. 8). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).
30
Nach diesen Maßstäben wurde die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht widerlegt. Die bezüglich der vorgetragenen gynäkologischen Erkrankungen Uterus myomatosus und Adenomyosis uteri vorgelegten Atteste vom 13.03.2017 und 04.05.2017 sind bereits aufgrund ihres Alters nicht geeignet, Aussagen zum aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin zu treffen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass diese Erkrankungen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) in einem die Abschiebung beeinträchtigen Schweregrad noch vorliegen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass ihr der Uterus entfernt worden und sie deshalb nicht mehr in Behandlung sei. Aus diesem Grund war eine Beweiserhebung hinsichtlich der Behandlungsmöglichkeiten für Uteruserkrankungen mit Bluttransfusionen, wie von der Klagepartei im Schriftsatz vom 28.07.2017 angeregt, nicht mehr veranlasst. Zwar hat die Klägerin ebenfalls vorgetragen, nach wie vor Unterleibsbeschwerden zu haben, die sie mit einer nicht näher bezeichneten Lösung sowie mit Ibuprofen behandele; das Bestehen einer schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, kann diesem Vorbringen jedoch weder entnommen werden, noch wurde es durch die Vorlage entsprechender aktueller Atteste substantiiert belegt. Im Übrigen ist die Klägerin auf die Inanspruchnahme der Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria zu verweisen. Auch wenn die Gesundheitsversorgung in Nigeria, vor allem auf dem Land, mangelhaft ist, so hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten Nigerias in den letzten Jahren deutlich verbessert. Eine gute medizinische Versorgung ist insbesondere für Privatzahler erhältlich. Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. In der Regel gibt es in Nigeria in Apotheken fast alle geläufigen Medikamente zu kaufen, so auch Ibuprofen (Lagebericht Nigeria, 16.01.2020, S. 22). Da die Klägerin, wie bereits festgestellt, arbeitsfähig ist und ihren Lebensunterhalt in Nigeria wird bestreiten können und es ihr auch zumutbar ist, gegebenenfalls ihre Verwandten um Unterstützung zu bitten, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie sich die Medikamente nicht wird leisten können. Zu der im Attest vom 04.05.2017 ebenfalls diagnostizierten Anämie und Hypertonie wurde nicht weiter vorgetragen.
31
Auch angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie ist eine andere Beurteilung nicht veranlasst.
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3. Die im Bescheid festgesetzte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate (§ 11 Abs. 2 Satz 1 § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden.
33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.