Inhalt

LG München I, Endurteil v. 17.11.2020 – 33 O 16274/19
Titel:

Internetauftritt verletzt das Gebot der Staatsferne

Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse durch Internetauftritt einer Stadt

Normenkette:
UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 3a, § 8 Abs. 1, Abs. 4
Leitsätze:
1. Ein Unterlassungsantrag, der hinsichtlich der konkreten Verletzungsform auf einen USB-Stick Bezug nimmt, kann hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sein. (Rn. 24 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verantwortet ein privatrechtlich organisierter Anbieter im Auftrag einer Stadt das offizielle Stadtportal, gilt das Gebot der Staatsferne der Presse auch für diesen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Maßstäbe, die der Bundesgerichtshof für die Beurteilung aufgestellt hat, ob ein Beitrag in einem Stadtblatt gegen das Gebot der Staatsferne der Presse verstößt, gelten auch für eine von der Stadt beauftragte Internetseite. (Rn. 39 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu der Frage, unter welchen Umständen im Rahmen einer Gesamtschau die Zulässigkeitsgrenzen einer pressemäßigen Aufmachung einer städtischen Internetseite überschritten sind. (Rn. 42 – 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Rechtsmissbrauch
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 30.09.2021 – 6 U 6754/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 13.07.2023 – I ZR 152/21
Fundstellen:
K & R 2021, 141
AfP 2021, 76
MMR 2021, 355
GRUR-RS 2020, 31225
LSK 2020, 31225

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Euro 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, das Telemedienangebot „muenchen.de“ zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots zwischen dem 16.08. bis 19.08.2019 auf dem „USB-Stick“ Anlage K1 wiedergegeben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen Euro 4.994,31 zu zahlen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist in Ziffer I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von Euro 250.000,- und ansonsten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
sowie folgenden
Beschluss
Der Streitwert wird auf Euro 500.000,- festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerinnen wenden sich aus Lauterkeitsrecht gegen das Angebot von www.muenchen.de.
2
Es klagen Münchner und überregionale Zeitungsverlage bzw. die für deren Online-Auftritt verantwortlichen Unternehmen gegen die Verantwortliche von www.muenchen.de.
3
Der Internetauftritt www.muenchen.de ist das im Jahr 2004 in der heute abrufbaren Form aufgeschaltete offizielle Stadtportal für die Landeshauptstadt München (vgl. „Wir über uns“ der Seite www.muenchen.de, K2). Er ist mit bis zu rund 2,9 Millionen Besuchen und 12 Millionen Seitenaufrufen im Monat nach der Selbstpräsentation das mit Abstand meistbesuchte Münchner Serviceportal und gleichzeitig eines der erfolgreichsten deutschen Stadtportale (vgl. „Wir über uns“ der Seite www.muenchen.de, K2). Das Portal umfasst mehr als 173.000 Seiten.
4
Der im Streit stehende Internetauftritt gliedert sich unter anderen in die Rubriken „Rathaus“, „Branchenbuch“, „Veranstaltungen“, „Kino“, „Freizeit“, „Sehenswertes“, „Restaurants“ und „Shopping“ (Screenshot K12). Zudem werden die Rubriken „Landkreis“ und „Umland“ annonciert (Screenshot K15). Unter der genannten Rubrik „Veranstaltungen“ kann zum Beispiel abgerufen werden die Ankündigung eines Konzerts der Musikgruppe „Metallica“ im Olympia-Stadion (K40) und eine Berichterstattung über den Fußballverein FC Bayern (K43). Unter „Kino“ findet sich eine Präsentation des Films „Once Upon a Time … in Hollywood“ (K46). Unter „Freizeit“ und „Sehenswertes“ steht ein Bericht über den Pferde-Erlebnis-Park „Cavalluna Park“ und die Stadtführung von „Segway Tour Munich“ zur Verfügung (K53). Verschiedene Berichte über diverse Restaurants (K57-K66) sind unter „Restaurants“ zu finden. So werden zum Beispiel unter dem Titel „10 Lokale mit echter Münchner Küche in der Innenstadt“ (K57) die Lokale „Spöckmeier“, „Ayinger am Platzl“ und „Hofbräuhaus“ beschrieben. Unter „Günstig Mittagessen an der Isar“ (K58) werden 7 Münchner Kantinen vorgestellt und beschrieben. In der Rubik „Shopping“ kann ein Bericht über „10 besondere Fahrradläden in München“ (K70) sowie ein Bericht über das Kaufhaus „Konen“ (K73) abgerufen werden (zur weiteren Ausgestaltung des im Streit stehenden Onlineportals vgl. im Übrigen den Klägervortrag Seiten 19/39 der Klageschrift vom 21.11.2019 samt Anlagen K36 bis K112 sowie die Dokumentation von muenchen.de zwischen dem 16. und dem 19.08.2019 auf dem als Anlage K1 vorgelegten USB Stick).
5
Mit Anwaltsschreiben vom 29.10.2019 (K4) mahnten die Klägerinnen die Beklagte wegen muenchen.de ab, hierfür sind ihr Kosten in Höhe von Euro 4.994,31 entstanden.
6
Die Klägerinnen tragen vor,
das Angebot von muenchen.de sei in der konkret beanstandeten Form mit dem aus Art. 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 GG abgeleiteten Gebot der Staatsferne der Presse unvereinbar und deshalb wettbewerbswidrig. Die Grenze zulässiger kommunaler Öffentlichkeitsarbeit sei nur gewahrt, wenn sich die redaktionelle Berichterstattung in kommunalen Medien unter Wahrung des Ortsbezugs auf die Vermittlung der eigenen Verwaltungstätigkeit, hier der Stadt München beschränke. Fremdmitteilungen, auch von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, seien in kommunalen Medienangeboten ebenso unzulässig wie von privater Seite. Eine pressetypische Aufmachung und Gestaltung redaktioneller Veröffentlichungen wie in muenchen.de sei in kommunalen Medienangeboten nicht statthaft. Auch dürften kommunale Medien nur insoweit durch Werbung finanziert werden, als dies lediglich eine untergeordnete Rolle spiele.
7
Zunächst haben die Klägerinnen hinsichtlich der geltend gemachten Abmahnkosten auch Verzugszinsen verlangt. Diesen Antrag haben sie im Termin vom 22.09.2020 (Seite 3 des Sitzungsprotokolls, Blatt 240) nicht mehr aufrechterhalten.
8
Die Klägerinnen beantragen zuletzt,
1.
es der Beklagten bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Euro 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu untersagen, das Telemedienangebot „muenchen.de“ zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots zwischen dem 16.08. bis 19.08.2019 auf dem „USB-Stick“ Anlage K1 wiedergegeben.
2.2.
Hilfsweise,
es der Beklagten bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Euro 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu untersagen, ein Telemedienangebot „muenchen.de“ zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, das aufgrund seiner inhaltlichen Ausrichtung, der optischen Gestaltung, der Präsentation von Fremdwerbung bei einer wertenden Gesamtbetrachtung mit dem Gebot der Staatsfreiheit der Presse unvereinbar ist, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots zwischen dem 16.08. bis 19.08.2019 auf dem „USB-Stick“ Anlage K1 wiedergegeben und/oder exemplarisch dokumentiert durch die vorgelegten Anlagen K36 bis K112.
3.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen Euro 4.994,31 zu zahlen.
9
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
10
Die Beklagte trägt vor,
die Klage sei rechtsmissbräuchlich, die Klägerinnen verfolgten damit nicht zu billigende Ziele. Außerdem seien jene Klägerinnen nicht aktivlegitimiert, die keinen Online-Auftritt verantworteten, insoweit fehle es an einem Wettbewerbsverhältnis.
11
Zudem stelle das im Streit stehende Stadtportal keinen unzulässigen Eingriff in die Pressefreiheit dar. Das Stadtportal habe weder den Anspruch noch erwecke es den Anschein, ein Presseprodukt zu sein. Vielmehr handele es sich dabei um ein Marketingprodukt. Allein der Umstand, dass das Portal professionell und nutzeraffin gestaltet sei, führe nicht dazu, dass es als presseähnlich oder pressetypisch zu qualifizieren sei. Auch sei der Markt der Internetkommunikation nicht vergleichbar mit dem Markt der Lokalzeitungen, zu dem die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung in diesem Bereich ergangen sei. Ein wesentlicher Unterschied bestehe schon darin, dass sich der Nutzer bei Angeboten im Internet die Inhalte aktiv abholen müsse, während sie dem Leser im Falle einer Zustellung eines Printprodukts unmittelbar frei Haus geliefert würden. Deshalb müsse ein Internetangebot wie muenchen.de in seiner Gestaltung den internettypischen Kriterien genügen, die jedoch weder pressähnlich noch pressetypisch seien. Das erkenne auch der Nutzer, dies schon an der Domain www.muenchen.de sowie dem Hinweis „das offizielle Stadtportal“.
12
Auch seien die eingeklagten Ansprüche verwirkt. Die Klägerinnen hätten muenchen.de über 15 Jahre hinweg hingenommen. Die Beklagte habe aufgrund der zum Teil über Konzerngesellschaften der Klägerinnen bestehenden Kooperationen darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerinnen das Stadtportal nicht infrage stellten. Das Stadtportal stelle einen wertvollen Besitzstand dar, schließlich enthalte es über 170.000 Beiträge und ein Branchenbuch.
13
Zudem seien die geltend gemachten Ansprüche verjährt. Den Klägerinnen sei seit Anfang der 2000er Jahre die Machart des Stadtportals bekannt gewesen.
14
Zu den geltend gemachten Abmahnkosten wendet die Beklagte ein, mit Blick auf die vorprozessualen Gespräche der Parteien habe es einer Abmahnung nicht bedurft. Außerdem enthalte das Abmahnschreiben ausschließlich bereits Bekanntes.
15
Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 02.10.2020 hat die Beklagte im wesentlichen in rechtlicher Hinsicht ergänzend dazu vorgetragen, dass nach ihrer Auffassung in muenchen.de kein unerlaubter Eingriff in die Pressefreiheit zu sehen sei (Blatt 241/255).
16
Mit weiterem nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 12.11.2020 hat die Beklagte der Kammer den Hinweisbeschluss des OLG Hamm vom 12.11.2020 (Az. I-4 U 1/20, Anlage B15) übermittelt und dazu Ausführungen gemacht. In diesem Beschluss aus dem Berufungsverfahren gegen das zusprechende Urteil des Landgerichts Dortmund vom 08.11.2019 (Az. 3 O 262/17, Anlage K8) gegen das Portal dortmund.de äußert das OLG Hamm Bedenken in Bezug auf die Bestimmtheit der dort gestellten Klageanträge sowie in Bezug auf die vom Landgericht bejahte Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse.
17
Die Kammer hat im Termin vom 22.09.2020 den als Anlage K1 vorgelegten USB Stick in Auszügen in Augenschein genommen (Seite 2 des Sitzungsprotokolls, Blatt 239).
18
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
Die Klage ist zulässig und begründet.
A.
20
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere bereits in Klageantrag 1 hinreichend bestimmt (unten Ziffer I.) und die Klageerhebung ist nicht rechtsmissbräuchlich, § 8 Abs. 4 UWG greift nicht (unten Ziffer II.).
I.
21
Die Klage ist in Klageantrag Ziffer 1 hinreichend bestimmt.
22
1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich die Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was der Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 2003, 958 - Paperboy; BGH GRUR 2005, 604, 605 - Fördermittelberatung; GRUR 2007, 607 Rdnr. 16 - Telefonwerbung für „Individualverträge“). Aus diesem Grund sind insbesondere Unterlassungsanträge, die lediglich den Wortlaut eines Gesetzes wiederholen, grundsätzlich als zu unbestimmt und damit unzulässig anzusehen (vgl. BGH GRUR 2000, 438, 440 - Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; GRUR 2002, 77, 78 - Rechenzentrum; GRUR 2007, 607 Rdnr. 16 - Telefonwerbung für „Individualverträge“).
23
Das ist hier aber nicht der Fall. Die Klägerinnen haben sich mit ihrem Unterlassungsbegehren an der konkreten Verletzungshandlung orientiert. Zudem ist die im Streit stehende tatsächliche Gestaltung von www.muenchen.de zwischen den Parteien nicht in Frage gestellt, der Streit beschränkt sich auf die rechtliche Qualifizierung der angegriffenen Verhaltensweise (BGH GRUR 2010, 749, Rn. 21 - Erinnerungswerbung im Internet).
24
2. Der in erster Linie verfolgte Klageantrag ist auch nicht deshalb unbestimmt, weil die Klägerinnen darin auf den als Anlage K1 vorgelegten USB-Stick Bezug nehmen.
25
Das Erfordernis der Bestimmtheit des Urteilsausspruchs soll umfassend der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen dienen. Dazu muss nicht nur sichergestellt werden, dass der Urteilsausspruch bei Erlass des Urteils inhaltlich bestimmt ist; es muss auch gewährleistet sein, dass der Urteilsinhalt äußerlich in einer Art und Weise festgelegt wird, dass er auch danach bestimmbar bleibt, da anderenfalls nach Rechtskraft der Entscheidung und insbesondere bei der Zwangsvollstreckung Unsicherheiten entstehen können (BGH NJW 2000, 2207, 2207, 2208 - Musical-Gala; BGH GRUR 2015, 672 Rz. 36 - Videospiel-Konsolen II).
26
Aus diesem Grund muss der Urteilsausspruch zwar in aller Regel aus sich heraus oder gegebenenfalls im Zusammenhang mit seiner Begründung bestimmbar sein, was zur Folge hat, dass der Urteilsinhalt grundsätzlich in einer einheitlichen Urkunde festzulegen ist. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. In besonders gelagerten Fällen können bei der Bemessung der Anforderungen, die zur Sicherung der Bestimmtheit des Urteilsausspruchs aufzustellen sind, die Erfordernisse der Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes oder der Vermeidung eines unangemessenen Aufwands mit abzuwägen sein. Dies gilt unter anderem in Fällen, in denen der Gegenstand, auf den sich der Unterlassungsausspruch bezieht, nach Art und Umfang nicht in das Urteil aufgenommen werden kann (BGH NJW 2000, 2207, 2207, 2208 - Musical-Gala).
27
So liegt der Fall hier. Die Klage richtet sich gegen die Gesamtgestaltung des Stadtportals www.muenchen.de. Nachdem der Internetauftritt über 170.000 Seiten umfasst, muss es den Klägerinnen erlaubt sein, auf den USB-Stick, der zu den Akten gegeben wurde, zu verwiesen. Dies gilt zumal der Inhalt des USB-Stick im Termin vom 22.09.2020 teilweise in Augenschein genommen wurde.
II.
28
Der Zulässigkeit der Klage steht auch § 8 Abs. 4 UWG nicht entgegen. Die Beklagte macht hierzu geltend, das Ziel der Klägerinnen sei es, dass das über Jahre hinweg aufgebaute Informations- und Serviceangebot von muenchen.de eingestellt werden müsse. Die Klägerinnen wollten erreichen, auf diesem Weg die Nutzer auf ihre Onlineangebote zu lenken. Das belege das bisherige Vorgehen der Klägerinnen: es handele sich um ein verbandspolitisch abgestimmtes Vorgehen, das hiesige Verfahren werde als Pilotverfahren geführt (Seite 2 der Klageerwiderung vom 29.04.2020, Blatt 71).
29
Missbrauch liegt aber nur vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Ein Indiz für einen Missbrauch ist es, wenn dem Anspruchsberechtigten schonendere Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung zu Gebote stehen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit), er sie aber nicht nutzt (ebenso KG WRP 2008, 511, 512). Das Vorliegen eines Missbrauchs ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu beurteilen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist auch zu fragen, ob Interessen der Allgemeinheit eine Rechtsverfolgung rechtfertigen (Köhler in: Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, UWG, 38. Auflage, Rn. 4.10 f zu § 8).
30
Vorliegend geht die Kammer mit den Klägerinnen davon aus, dass diese mit ihrer Klage das rechtlich zulässige Ziel verfolgen, die Verbreitung eines Telemedienangebotes zu unterbinden, das gegen das Gebot der Staatsfreiheit der Presse verstößt. Diesbezüglich ist auch ein Interesse der Allgemeinheit nicht von der Hand zu weisen.
B.
31
Die Klage ist in Klageantrag Ziffer 1 (unten Ziffer I.) und in Antrag Ziffer 3 begründet (unten Ziffer II.).
I.
32
Den Klägerinnen steht der mit Klageantrag Ziffer 1 geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit dem aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Gebot der Staatsferne der Presse, bei dem es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG handelt (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 17 ff. - Crailsheimer Stadtblatt II) zu. Die Klägerinnen sind aktivlegitimiert (unten Ziffer 1.). Das im Streit stehende Portal muenchen.de verstößt gegen das Gebot der Staatsferne der Presse (unten Ziffer 2.). Das Gratisangebot von muenchen.de stellt auch eine geschäftliche Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar (unten Ziffer 3.). Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist zudem weder verjährt noch verwirkt (unten Ziffer 4.).
33
1. Die Klägerinnen sind als Mitbewerberinnen der Beklagten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG aktivlegitimiert, zwischen ihnen und der Beklagten besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis. Mit der kostenlosen Bereitstellung des Portals muenchen.de, das neben amtlichen auch redaktionelle Inhalte aufweist, stellt sich die Beklagte in Wettbewerb zu den Klägerinnen, die ebenfalls Medien verantworten. Sofern die Beklagte einwendet, jedenfalls die Klägerin zu 1) und die Klägerin zu 5) sei nicht aktivlegitimiert, weil sie keinen Onlineauftritt verantworteten, zieht sie den Kreis der Mitbewerber zu eng. Denn online und offline angebotene Inhalte stehen in einem wettbewerblichen Bezug zueinander. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen den Vorteilen, die die eine Partei zu erreichen sucht und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch leidet. Diese Wechselwirkung besteht in dem Sinn, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. Außerdem ist davon auszugehen, dass beide Parteien um Anzeigenkunden werben (wie BGH GRUR 2019, 189 Rn. 59 - Crailsheimer Stadtblatt II).
34
2. Das unter www.muenchen.de abrufbare Stadtportal verstößt gegen das Gebot der Staatsferne der Presse. Dieses Gebot trifft auch die Beklagte (unten Lit. a)). Es hat unter anderem zur Folge, dass sich der Staat nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse betätigen darf (unten Lit. b)). Die höchstrichterlich zu einem zeitungsmäßig aufgemachten Druckwerk aufgestellten Zulässigkeitsmaßstäbe sind mit Modifikationen auf das hier streitgegenständliche Online-Stadtportal übertragbar (unten Lit. c)). Zumindest in der zur Entscheidung gestellten Form wahrt das im Streit stehende Portal diese Zulässigkeitsgrenzen nicht (unten Lit. d)).
35
a) Das Gebot der Staatsferne der Presse gilt auch für die Beklagte. Sie ist zwar selbst kein Hoheitsträger, sondern privatrechtlich organisiert. Die Beklagte verantwortet aber unstreitig das im Streit stehende offizielle Stadtportal für die Landeshauptstadt München. Bei derart privatrechtsförmigem Handeln des Staates bzw. in seinem Alleineigentum stehender juristischer Personen des Privatrechts ist von einer umfassenden Grundrechtsbindung für die staatliche Aufgabenwahrnehmung auszugehen (BVerfG NJW 2011, 1201, 120; BVerfG NZW 1999, 194, 197). Die Beklagte nimmt in diesem Sinne mit dem streitgegenständlichen Portal auch derartig staatliche Aufgaben wahr. Wie sie selbst vorträgt, dient www.muenchen.de der digitalen Daseinsvorsorge sowie der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit und des Stadtmarketings insbesondere der Wirtschafts- und Tourismusförderung (Seite 16 der Klageerwiderung vom 29.04.2020, Blatt 85).
36
b) Das Gebot der Staatsferne der Presse lässt eine pressemäßige Betätigung von Hoheitsträgern nur im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben und nur insoweit zu, als die Garantie des Instituts der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht gefährdet wird (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 23-34 - Crailsheimer Stadtblatt II). Es setzt der öffentlichen Hand zu Gunsten der anderen Marktteilnehmer damit enge Grenzen.
37
Mit Blick auf dieses Gebot sind Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge kommunaler Publikationen auf ihre Neutralität sowie Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde zu untersuchen und ist unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 35 - Crailsheimer Stadtblatt II).
38
Inhaltlich zu unterscheiden sind im Wesentlichen drei Bereiche:
Der erste „grüne“ Bereich eines „auf jeden Fall zulässigen Informationshandelns“ betrifft Informationen über die staatliche Tätigkeit, insbesondere über Politik und Recht im jeweiligen Aufgabenkreis, z.B. amtliche Mitteilungen, kommunale Wirtschaftsförderung, aktuelle Tätigkeit und künftige Vorhaben der Kommunalverwaltung und des Gemeinderats (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 37-Crailsheimer Stadtblatt II).
Der zweite „rote“ Bereich umfasst das in der Regel unzulässige Informationshandeln, etwa allgemeine Beiträge über ortsansässige Unternehmen, die Bewertung privater Initiativen, allgemeine Beratung der Leserinnen und Leser oder Informationen über rein gesellschaftliche Ereignisse etwa aus den Bereichen Sport, Kunst und Musik (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 38 - Crailsheimer Stadtblatt II).
Schließlich gibt es einen indifferenten dritten „grauen“ Bereich von Informationen, die je nach den Umständen entweder dem „roten“ oder dem „grünen“ Bereich zuzuordnen sind, da sie nur in bestimmten Situationen zulässig sind, wie insbesondere solche über (aktuelle) Gefahrensituationen oder Krisen (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 39 - Crailsheimer Stadtblatt II).
39
c) Die Beklagte wendet ein, diese Maßstäbe ließen sich nicht auf das hier im Streit stehende Internetportal übertragen, sie seien schließlich für ein zeitungsmäßig aufgemachtes Druckwerk aufgestellt worden. Dem folgt die Kammer nicht (anders als Köhler, Das Gebot der „Staatsferne der Presse“ als Schranke kommunaler Öffentlichkeitsarbeit, GRUR 2019, 265, 267). Denn auch ein Internetangebot wie das hier streitgegenständliche kann ein funktionales Äquivalent zu einem privaten - digitalen - Nachrichtenmedium werden und damit pressesubstituierenden Charakter aufweisen. Die Wertung, dass auch Telemedienangebote presseähnlich sein können, folgt auch aus § 11d Abs. 7 S. 1 des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien vom 18. Dezember 1991 (der erst am 06.11.2020 außer Kraft trat und damit sowohl zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Handlungen als auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 22.09.2020 noch galt), denn danach dürfen die dort geregelten Telemedienangebote nicht presseähnlich sein.
40
Gleichzeitig übersieht die Kammer aber nicht, dass im Internet andere Nutzergewohnheiten gelten als bei einem Printmedium. Im Internet ist der Nutzer daran gewöhnt und erwartet, dass Beiträge ansprechend aufbereitet sind und mit farbigen ästhetisch gestalteten Fotos untermalt werden. Vor diesem Hintergrund zieht die Kammer die Grenzen des Zulässigen etwas großzügiger, als dies bei einem klassischen Presseprodukt geboten wäre.
41
Diese etwas liberalere Bewertung des streitgegenständlichen Stadtportals ist mit der Entscheidung Crailsheimer Stadtblatt II auch vereinbar, schließlich ist danach eine wertende Betrachtung der Publikation insgesamt geboten (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 40 - Crailsheimer Stadtblatt II). Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikel allein begründen keine Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Notwendig ist eine wertende Betrachtung der Publikation insgesamt, bei der sich jede schematische Betrachtungsweise verbietet. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung ist entscheidend, ob der Gesamtcharakter des Presseerzeugnisses geeignet ist, die Institutsgarantie des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zu gefährden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, wie die Informationen den angesprochenen Gemeindemitgliedern präsentiert werden.
42
d) Nach diesen Maßstäben überschreitet das Stadtportal muenchen.de zumindest in der zur Entscheidung gestellten Form die Grenzen des Zulässigen. Die Auswertung der zwischen dem 16. und dem 19.08.2019 unter muenchen.de abrufbaren Beiträge führt im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis, dass dieser Auftritt in seinem Gesamtgepräge nicht mehr hingenommen werden kann. Dieses Bild ergibt sich vor allem aus den folgenden Beiträgen:
43
aa) Redaktionell aufgemacht ist die Ankündigung des Konzerts der Musikgruppe „Metallica“ im Olympiastadion. Dies folgt vor allem aus dem die Ankündigung begleitenden Text und dem eingefügten Foto (K40):
44
Dieser Beitrag könnte auch aus dem Feuilleton einer Tageszeitung stammen.
45
bb) Auch die Berichterstattung über den Fußballverein FC Bayern ist in Wort und Bild presseähnlich aufgemacht und wirkt wie typische Sportberichterstattung, wie sie in einer Tageszeitung zu finden ist (Auszug aus K43):
46
cc) In der Rubrik „Kino“ wird redaktionell über aktuelle Kinofilme berichtet. So ist etwa von dem Film „Once Upon a Time… in Hollywood“ eine „Filmbeschreibung“ zu finden, untermalt durch ein Farbfoto (Auszug aus K46):
47
Auch dieser Eintrag könnte ebenso aus dem Feuilleton einer Tageszeitung stammen.
48
dd) Ebenso könnte die Präsentation von Sehenswürdigkeiten außerhalb Münchens in dieser Form etwa im „Wochenende“-Teil einer Tageszeitung stehen (Auszüge aus Anlage K 49):
49
ee) Unter „Sehenswertes“ stellt muenchen.de unter anderem den Münchner Stadtteil „Schwabing“ vor. Auch dieser Beitrag könnte in Aufmachung und Inhalt im „Wochenende“-Teil einer Tageszeitung zu finden sein (Auszüge aus K50):
50
ff) In der Unterrubrik „Erlebniswelten“ zur Rubrik „Sehenswertes“ wird auf muenchen.de auf eine Art redaktionell über den Pferde-Erlebnis-Park „Cavalluna Park“ berichtet, wie dies auch etwa in einer Rubrik „Familie“ in einer Tageszeitung erfolgen könnte (Auszüge aus K53):
51
Weiter wird dort „Segway Tour Munich“ wie folgt präsentiert (Auszüge aus K53):
52
gg) In der Rubrik „Restaurants“ präsentiert muenchen.de diverse Restaurants presseähnlich. So oder so ähnlich würde auch im Lokalteil einer Tageszeitung berichtet. So ist auf muenchen.de unter der Überschrift „Typisch Münchnerisch Essen“ folgender Eintrag zu finden (Auszug aus K57):
53
Wie diese eingeblendete Berichterstattung kommen auch die übrigen Beiträge zu Münchner Restaurants redaktionell daher, so etwa die Beiträge zu den Unterrubriken „Die schönsten Cafés in der Innenstadt“ (K 56), „Lust auf Schmankerl? 10 Tipps mit echter Münchner Küche“ (K 57), „Mittagessen in München - gut und günstig: 7 Kantinen für den Lunch“ (K 58), „5 Locations für einen tollen Geburtstag“ (K 59), „6 gemütliche Lesecafés in München“ (K 60) und „In diesen 5 Restaurants bekommt Ihr feine Küche aus Indien“ (K 61).
54
hh) In der Rubrik „Shopping“ finden sich folgende presseähnliche Beiträge zu Fahrradgeschäften (Auszüge aus K70), die ebenfalls auch aus einer Tageszeitung bzw. Zeitschrift stammen könnten:
55
Auch wird unter dieser Rubrik „Shoppen“ wie folgt über das Münchner Modehaus Konen berichtet (Auszug aus K73):
56
Ein solcher Beitrag könnte sich auch in der Rubrik „Wochenende“ einer Tageszeitung finden. Gleiches gilt für den Bericht über „Quereinsteiger als Ladenbesitzer“ (K 74):
57
ii) In der Rubrik „Verkehr“ von muenchen.de wird wie folgt eine „Radlkarte Stadt und Landkreis Dachau“ mit redaktionellen Beiträgen angeboten (K 80):
58
jj) In der Rubrik „Leben“ hält die Beklagte in redaktioneller Weise zum Teil allgemeine Service-Informationen zu verschiedenen Lebenslagen vor. Folgende Beiträge könnten auch aus der Rubrik „Service“ einer Tageszeitung stammen (folgende Anlagen in Auszüge): K95
K97
K98
K99
K101
K103
59
kk) In der Gesamtschau liegt damit eine die Zulässigkeitsgrenzen überschreitende pressemäßige Aufmachung vor. Die aufgeführten zahlreichen redaktionellen Elemente sind sämtlich dem oben dargestellten „roten“ und damit unzulässigen Bereich zuzuordnen, denn sie betreffen allgemeine Beiträge über ortsansässige Unternehmen, die Bewertung privater Initiativen, allgemeine Beratung der Leserinnen und Leser oder Informationen über rein gesellschaftliche Ereignisse etwa aus den Bereichen Sport, Kunst und Musik (BGH GRUR 2019, 189 Rn. 38 - Crailsheimer Stadtblatt II).
60
Die Beklagte beschränkt sich auch nicht auf Sachinformationen. In den dargestellten Beiträgen wird über das gesellschaftliche Leben in München berichtet, sie betreffen sämtlich keine gemeindlichen Aufgaben oder zumindest Aktivitäten und bewegen sich nicht mehr innerhalb der zulässigen Themenbereiche. Auch im Layout bedient sich muenchen.de derart einer (boulevard-)pressemäßigen Illustration mit Überschriften, Zwischenüberschriften, Bildern, Zitaten und unterhaltsamem Text, dass die Zulässigkeitsgrenzen überschritten sind. Dies gilt auch dann, wenn die dargestellte großzügigere Bewertung eines Internetangebots wie muechen.de im Vergleich zu einem Presseerzeugnis zum Tragen kommt, die nach Überzeugung der Kammer angebracht ist. Es ist nicht mehr erkennbar, dass das Stadtportal eine staatliche Publikation darstellt.
61
Bei der gebotenen wertenden Betrachtung von muenchen.de ist die Kammer der Überzeugung, dass das Portal den Bereich der ohne Weiteres zulässigen Berichterstattung zu deutlich überschreitet. Muenchen.de bietet den Lesern eine Fülle von Informationen, die den Erwerb einer Zeitung oder Zeitschrift - jedenfalls subjektiv - entbehrlich macht. Es werden in Quantität und Qualität deutlich Themen besetzt, deretwegen Zeitungen und Zeitschriften gekauft werden. Dies ist nicht mehr hinnehmbar.
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3. Das Gratisangebot von muenchen.de stellt auch eine geschäftliche Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar. Hieran könnten allein deshalb Zweifel bestehen, weil die Beklagte mittelbar der öffentlichen Hand zuzurechnen ist, nachdem sie das im Streit stehende Portal für die Landeshauptstadt München verantwortet. Hält man vor diesem Hintergrund die Grundsätze für anwendbar, die für die Beurteilung von Handlungen der öffentlichen Hand als geschäftliche Handlung greifen, subsumiert die Kammer das hier streitgegenständliche Verhalten unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Bei der Einordnung von Handlungen der öffentlichen Hand als geschäftliche Handlung muss zwischen rein erwerbswirtschaftlichen und hoheitlichen Tätigkeiten unterschieden werden. Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist auch dann als geschäftliche Handlung anzusehen, wenn öffentliche Zwecke mitverfolgt werden (vgl. BGH GRUR 2018, 196 Rn. 23 - Eigenbetrieb Friedhöfe, m.w.N.). Dagegen ist bei einer Tätigkeit zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben weiter danach zu unterscheiden, ob die öffentliche Hand aufgrund gesetzlicher Ermächtigung hoheitlich tätig wird.
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Ausgehend von diesen Maßstäben stellt sich die Veranstaltung von muenchen.de als eine geschäftliche Handlung der Beklagten dar, denn die Beklagte verstößt mit muenchen.de in seiner derzeitigen Fassung gegen das Gebot der Staatsferne der Presse und bewegt sich damit außerhalb des der Landeshauptstadt München zugewiesenen Aufgabenbereichs. Verlässt die Beklagte aber mit der Veranstaltung von muenchen.de in erweiterter Form den öffentlich-rechtlichen Bereich, muss sie sich an den insoweit geltenden Regeln des Wettbewerbsrechts messen lassen.
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4. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist auch weder verjährt noch verwirkt.
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Auch wenn die Beklagte nicht klarstellt, ob sich ihre Verjährungseinrede auf den Unterlassungsanspruch beschränkt, folgt diese Beschränkung doch aus der Begründung der Einrede (Seite 50/52 der Duplik vom 14.09.2020, Blatt 228/230). Vorliegend hat die Verjährungsfrist betreffend den Unterlassungsanspruch noch nicht zu laufen begonnen. Denn die Verjährung von Unterlassungsansprüchen auf Grund einer Dauerhandlung kann nicht beginnen, solange der Eingriff noch fortdauert (BGH GRUR 2003, 448, 450 - Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 10, 12; OLG München WRP 2012, 579 Rn. 60). Bei der Abrufbarkeit von muenchen.de handelt es sich auch um eine Dauerhandlung in diesem Sinn. Denn von der Abrufbarkeit von muenchen.de geht eine fortwährende, vom Verletzer pflichtwidrig aufrecht erhaltene Störung aus. Diese Verletzungshandlung dauert noch an.
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Auch haben die Klägerinnen den Unterlassungsanspruch nicht verwirkt. Zwar kann es dazu kommen, dass der Verletzer in die Duldung berechtigt vertrauen darf. Hierfür gelten aber strenge Anforderungen. Auch beginnt die Frist für die Beurteilung des Zeitmoments der Verwirkung mit jeder Verletzungshandlung neu zu laufen (BGH GRUR 2012, 928, Rz. 26 - Honda-Grauimport). Kommt es wie hier zu immer neuen (wiederholten) Verletzungshandlungen kann auch eine längere Untätigkeit nicht ein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, dass der Rechtsinhaber auch zukünftig das Verhalten dulden wird (BGH GRUR 2013, 1161 Rn. 21 - Hard Rock Cafe). Vor diesem Hintergrund hat mit Blick auf die andauernde Abrufbarkeit von muenchen.de in der streitgegenständlichen Form die für das Zeitmoment maßgebliche Frist noch nicht zu laufen begonnen. Zudem ist der Vortrag der Beklagten zu einem wertvollen Besitzstand nur eingeschränkt aussagekräftig. Es ist fraglich, ob dafür der Umstand ausreicht, dass das streitgegenständliche Stadtportal über 170.000 Beiträge enthält und in der Rubrik „Branchenbuch“ zahlreiche Dienstleistungsunternehmen Münchens Anzeigen gebucht haben, die für die Finanzierung des Portals nach Beklagtenvortrag unverzichtbar seien (Seite 50 der Klageerwiderung vom 29.04.2020, Blatt 119).
II.
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Mit Klageantrag 3 verlangen die Klägerinnen Erstattung der ihnen für ihre Abmahnung vom 29.10.2019 (K49) entstandenen Kosten. Der Anspruch folgt aus § 12 Abs. 2 Satz 2 UWG, die Abmahnung war begründet und erforderlich.
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Begründet war die Abmahnung, weil den Klägerinnen der damit verfolgte Unterlassungsanspruch zusteht. Auch war die Abmahnung erforderlich, um der Beklagten einen Weg zu weisen, die Klägerinnen ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen (BGH GRUR 2010, 354 Rn. 8 - Kräutertee). Die Beklagte wendet ein, es habe mit Blick auf die Gespräche der Parteien kein Bedürfnis bestanden, die Beklagte außergerichtlich abzumahnen, der Geschäftsführer der Beklagten habe bei diesen Gesprächen deutlich gemacht, dass eine Einstellung des Stadtportals nicht in Betracht komme (Seite 74/75 der Klageerwiderung vom 29.04.2020, Blatt 143/144).
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Zwar ist eine Abmahnung dem Gläubiger nicht zuzumuten, wenn sie offensichtlich nutzlos ist, weil der Schuldner bereits zum Ausdruck gebracht hat, dass er sein Verhalten auch im Falle der Abmahnung fortsetzen werde. Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden. Denn die Entscheidung, ob sich ein Schuldner nach einer Abmahnung unterwirft, ist eine Frage, die von vielen Faktoren abhängt; häufig spricht die kaufmännische Vernunft für die Unterwerfung, auch wenn man die Rechtsansicht des Abmahnenden nicht teilt und das eigene Verhalten für rechtmäßig hält (Bornkamm in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Auflage, Rn. 1.64 zu § 12).
70
Sofern die Beklagte moniert, den Klägerinnen stehe nur ein Anspruch auf Freistellung von Abmahnkosten zu (Seite 75 der Klageerwiderung vom 29.04.2020, Blatt 144), folgt ihr die Kammer nicht. Ein zunächst nur bestehender Freistellungsanspruch hat sich nämlich durch die ernsthafte und endgültige Weigerung der Beklagten, sie zu ersetzen, in einen Zahlungsanspruch umgewandelt (Grüneberg in: Palandt, BGB, 70. Auflage, Rdnr. 2 zu § 250; BGH NJW 2004, 1868), wobei die beklagte Partei mit dem Klageabweisungsantrag die Erfüllung ernsthaft endgültig verweigert hat (BGH GRUR 2019, 82, Rz, 41 - Jogginghose).
C.
71
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO, weil der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache Euro 1.250,- übersteigt. Bei der Höhe der Sicherheit war in Bezug auf das Unterlassungsgebot zu bedenken, dass der Schuldner aus ungerechtfertigter Vollstreckung geschützt sein soll (Herget in: Zöller, ZPO, 30. Auflage, Rz. 3 zu § 709).
D.
72
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 51 Abs. 2, § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 1 S. 2 GKG.
E.
73
Soweit die nachgereichten Schriftsätze der Beklagten vom 02.10.2020 und vom 12.11.2020 anderes als bloße Rechtsausführungen enthalten, waren sie gemäß § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 32. Auflage, Rdnr. 4 zu § 132). Eine Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO war nicht geboten (vgl. auch BGH NJW 2000, 142 f. und Greger in: Zöller, ZPO, 32. Auflage, Rdnr. 4 und 5 zu § 156).