Inhalt

VG München, Urteil v. 13.10.2020 – M 10 K 18.6116
Titel:

Erfolgreiche Klage eines Grundstückseigentümers auf Duldung der Beseitigung eines Abwasserkanals

Normenketten:
GG Art. 14 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1
WHG § 93
Leitsätze:
1. Die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB hat lediglich zur Folge, dass der Grundstückseigentümer die Störung nur auf eigene Kosten beseitigen kann; das Recht zur Beseitigung bleibt bestehen (Anschluss an BGH BeckRS 2011, 5426). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verpflichtung zur Duldung einer Eigentumsbeeinträchtigung durch die öffentliche Hand kann sich einer dinglichen Sicherung, einer vertraglichen Vereinbarung oder nach privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen eines Ausschließungsinteresses des Eigentümers im Sinne von § 905 S. 2 BGB liegt beim Einwirkenden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Einem Abwehranspruch kann der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegengehalten werden, wenn eine Legalisierung des rechtswidrigen Zustands unmittelbar – im Sinne einer sicheren Erwartung – bevorsteht. (Rn. 33 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigung, Abwasserkanal, Anspruch auf Duldung der Beseitigung durch die Eigentümerin, Keine dingliche Sicherung, Keine Duldungsverpflichtung aus Vereinbarung mit Voreigentümer, Vertrag zu Lasten Dritter, Keine unzulässige Rechtsausübung wegen bevorstehender Duldungsanordnung nach § 93 WHG, Eigentumsbeeinträchtigung, Abwehranspruch, Verjährung, Duldungsverpflichtung, unzulässige Rechtsausübung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30689

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Der Beklagte wird verurteilt, es zu dulden, dass die Klägerin den auf den Grundstücken mit den Flurnummern … und … der Gemarkung … … verlaufenden Abwasserkanal beseitigt.
III. Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens, im Übrigen der Beklagte.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Beseitigung eines in ihren Grundstücken liegenden Abwasserkanals.
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Die Klägerin ist Eigentümerin der unbebauten Grundstücke mit den Fl.Nrn. … und … der Gemarkung … … im Verbandsgebiet des Beklagten. Über die beiden Grundstücke verläuft unterirdisch mit einer Sohltiefe von etwa 3,82 m ein 1,5 m hoher Abwasserkanal des Beklagten (sog. Hauptsammler). Zudem befindet sich auf jedem der Grundstücke jeweils ein Revisionsschacht des Hauptsammlers, der bis an die Oberfläche reicht.
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Die genannten Grundstücke hat die Klägerin mit Kaufvertrag vom … April 2018 erworben. Dieser enthält keine vertragliche Duldungsverpflichtung der Klägerin hinsichtlich des Abwasserkanals. Am 23. Juli 2018 wurde die Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch der Gemarkung … … eingetragen. Eine dingliche Sicherung für die genannte Leitung ist nicht im Grundbuch eingetragen. Die Grundstücke werden landwirtschaftlich genutzt.
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Der Beklagte ist ein Zweckverband und wurde im Jahr 1973 gegründet. Aufgrund seiner Verbandssatzung vom 27. Januar 1988, zuletzt geändert durch die 4. Änderungssatzung vom 28. November 2008 (Verbandssatzung), betreibt er eine gemeinsame Abwasserbeseitigungsanlage in seinen Mitgliedsgemeinden, zu denen auch der Markt … … zählt. Nach § 4 Abs. 1 Verbandssatzung hat der Zweckverband die Aufgabe, für seinen räumlichen Wirkungsbereich eine gemeinsame Abwasserbeseitigungsanlage, ausgenommen die jeweiligen Ortsnetze, zu planen, zu errichten, zu betreiben und zu unterhalten. Nach § 4 Abs. 3 Verbandssatzung sind die vom Zweckverband zu schaffenden Einrichtungen insbesondere ein Klärwerk, Hauptsammelleitungen, Pumpstationen und sonstige Nebenanlagen.
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Der Markt … … betreibt auf Grundlage seiner Satzung über die öffentliche Entwässerungseinrichtung des Marktes … … vom 16. Dezember 2011 (Entwässerungssatzung - EWS) eine eigene Entwässerungseinrichtung als öffentliche Einrichtung. Gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 EWS hat der Grundstückseigentümer das Anbringen und Verlegen von Leitungen einschließlich Zubehör zur Ableitung von Abwasser über sein im Entsorgungsgebiet liegendes Grundstück sowie sonstige Schutzmaßnahmen unentgeltlich zuzulassen, wenn und soweit diese Maßnahmen für die öffentliche Abwasserbeseitigung erforderlich sind. Diese Pflicht betrifft nur Grundstücke, die an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen oder anzuschließen sind, die vom Eigentümer im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem angeschlossenen oder zum Anschluss vorgesehenen Grundstück genutzt werden oder für die die Möglichkeit der örtlichen Abwasserbeseitigung sonst wirtschaftlich vorteilhaft ist, § 19 Abs. 1 Satz 2 EWS.
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Mit Schreiben vom 27. August 2018 forderte der Bevollmächtigte der Klägerin den Beklagten dazu auf, den Abwasserkanal zu beseitigen, soweit er über ihre Grundstücke verlaufe. In der Folge verweigerte der Beklagte die Beseitigung unter Berufung auf Vereinbarungen aus dem Jahr 1977 mit den damaligen Eigentümern. Unter dem 12. Juli 1977 hatte der damalige Verbandsvorsitzende mit den damaligen Eigentümern der streitgegenständlichen Grundstücke jeweils eine Vereinbarung über die Verlegung des Abwasserkanals geschlossen. In § 2 der Vereinbarungen wurde festgelegt, dass der Grundeigentümer dem Zweckverband u.a. das Recht einräumt, den Kanal in das Grundstück verlegen zu dürfen und die Anlage darauf dauernd zu belassen. Für die Inanspruchnahme des Grundstücks wurde dem jeweiligen Eigentümer in § 3 der Vereinbarungen eine Entschädigung gewährt. Nach § 4 der Vereinbarungen sollten die Verträge auch für eventuelle Rechtsnachfolger gelten.
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Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2018 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragte, den Beklagten zu verurteilen, den auf ihren Grundstücken befindlichen Abwasserkanal sowie eine ebenfalls vorhandene Hausanschlussleitung eines benachbarten Grundstücks zu beseitigen, hilfsweise deren Beseitigung zu dulden. In der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2020 nahm die Klägerin die Klage teilweise zurück und beantragt zuletzt,
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Der Beklagte wird verurteilt, es zu dulden, dass die Klägerin den auf den Grundstücken mit den Flurnummern … und … der Gemarkung … … verlaufenden Abwasserkanal beseitigt.
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Zur Begründung trägt die Klägerin vor, der Kanal sei rechtswidrig, weil sie diesen nicht zu dulden habe. Sie habe gegenüber dem Beklagten deutlich gemacht, dass sie sich durch die Vereinbarungen mit den Voreigentümern nicht gebunden fühle. Tatsächliche oder rechtliche Hindernisse stünden der Beseitigung nicht entgegen. Der Kanal könne in den danebenliegenden Straßengrund verlegt werden.
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Mit Schriftsatz vom 13. März 2019 beantragt der Beklagte:
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Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung führte die Bevollmächtigte zusammengefasst aus, dass sich die damaligen Eigentümer im Vertrag vom 12. Juli 1977 vertraglich zur Duldung der Kanalleitung verpflichtet hätten und eine Geltung für ihre Rechtsnachfolger erklärt hätten (§ 4 der Vereinbarungen). Die Kanaltrasse verlaufe im Grundstück der Klägerin mit 3,82 m Überdeckung. Zudem werde die Klägerin durch den Kanal nicht unzumutbar beeinträchtigt oder in der Nutzung ihrer Grundstücke beschränkt. Bei einer Überdeckung der Kanalleitungen von mehr als 3,80 m sei die klägerische Nutzung als Grünfläche nicht beeinträchtigt, § 905 S. 2 BGB.
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Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2020 trug die Klägerin vor, dass der Markt … … mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 4. März 2019 (M 2 K 18.4842) dazu verurteilt worden sei, die Beseitigung einer Gemeindeverbindungs straße von den streitgegenständlichen Grundstücken insoweit zu dulden, als sie die Grenzen des gewidmeten Grundstücks Fl.Nr. … überschreite. Das Grundstück Fl.Nr. …, auf dem sich die Straße befinde, sei dennoch breit genug, den streitgegenständlichen Kanal aufzunehmen. Unabhängig von der jeweiligen Verlegungstiefe des Kanals störe dieser die (landwirtschaftliche) Nutzung der beiden Grundstücke deshalb, weil der Kanal zwei Revisionsschächte besitze, die bis an die Oberfläche der Grundstücke reichten.
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Am 7. Oktober 2020 legte der Beklagte die Kostenschätzung eines Ingenieurbüros hinsichtlich der Verlegungskosten des Abwasserkanals vor. Darin wird eine Verlegung des Abwasserkanals im Straßengrund als technisch möglich eingeschätzt.
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In der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2020 gab der Ehemann der Klägerin an, dass er selbst die streitgegenständlichen Grundstücke im Jahr 1990 von seinem Vater erworben habe und im Kaufvertrag keine Duldungsverpflichtung hinsichtlich des Kanals weitergegeben worden sei.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
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Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde, war das Verfahren gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
II.
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Im Übrigen hat die zulässige Klage Erfolg.
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Über das Bestehen eines ursprünglich mit der Klage verfolgten Beseitigungsanspruchs der Klägerin gegenüber dem Beklagten ist nach der insoweit erfolgten Klagerücknahme nicht mehr zu entscheiden. Wie die Klägerin durch ihre Klagerücknahme zugestanden hat, ist ein Beseitigungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 BGB verjährt. Soweit die Klägerin den ursprünglich als Hilfsantrag angekündigten Antrag auf Verurteilung des Beklagten zur Duldung der Beseitigung des Abwasserkanals durch die Klägerin als unbedingten Klageantrag aufrechterhalten hat, hat die Klage Erfolg.
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1. Der Beklagte ist für den geltend gemachten Duldungsanspruch passivlegitimiert.
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Der Beklagte ist Anspruchsgegner des klägerischen Anspruchs auf Duldung der Beseitigung des auf den klägerischen Grundstücken befindlichen Abwasserkanals. Auch wenn der Markt … … auf Grundlage seiner Entwässerungssatzung vom 16. Dezember 2011 eine eigene Anlage zur Abwasserbeseitigung als öffentliche Einrichtung betreibt, macht die Klägerin vorliegend richtigerweise einen Anspruch gegenüber dem Beklagten geltend. Zum einen tritt bzw. trat der Beklagte im Zusammenhang mit der ihm nach § 4 Abs. 1 Verbandssatzung übertragenen Aufgabe der Planung, Errichtung, Unterhaltung und des Betriebs seiner Anlagen - wozu auch der streitgegenständliche Abwasserkanal zählt - klar als selbständiger Rechtsträger nach außen auf. Ein sog. „Innenverband“, der ausschließlich im Innenverhältnis zu seinen Mitgliedsgemeinden auftritt, während im Außenverhältnis ausschließlich die jeweilige Mitgliedsgemeinde handelt, liegt nicht vor. Dies zeigt gerade der Umstand, dass der Beklagte im Zuge der Verlegung des Abwasserkanals selbst Vereinbarungen mit den damaligen Eigentümern der streitgegenständlichen Grundstücke abgeschlossen hat. Als sogenannter „actus contrarius“ zur damaligen Verlegung des Abwasserkanals ist nun die Entfernung desselben einzuordnen, weshalb davon auszugehen ist, dass aus § 4 Abs. 1 Verbandssatzung sowohl die Befugnis des Beklagten folgt, überhaupt tätig zu werden, als auch insoweit selbständig im Rechtsverkehr aufzutreten.
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2. Die Klägerin hat aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. § 1004 BGB analog einen Anspruch gegen den Beklagten darauf, dass dieser die Beseitigung des Abwasserkanals durch die Klägerin duldet.
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Sind auf einem Grundstück fremde Leitungen verlegt, deren Beseitigung der Eigentümer nach § 1004 BGB verlangen konnte, entsteht auch nach Verjährung des Anspruchs nach § 1004 BGB nicht etwa ein Recht des Störers, die Leitungen auf dem Grundstück zu belassen. Der Eigentümer ist vielmehr berechtigt, die verlegten Leitungen von seinem Grundstück zu entfernen; einen damit verbundenen Eingriff in seine Sachen muss der Störer dulden. Die Verjährung des Anspruchs aus § 1004 BGB hat lediglich zur Folge, dass der Grundstückseigentümer die Störung nur auf eigene Kosten beseitigen kann. Die Gefahr, dass das eingetragene Recht infolge der Verjährung des Beseitigungsanspruchs „inhaltslos“ wird, besteht nicht; ebenso wenig wird das Grundstückseigentum faktisch mit einer aus dem Grundbuch nicht ersichtlichen Duldungsdienstbarkeit belastet (BGH, U.v. 28.1.2011 - V ZR 141/10 - juris Rn. 9). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 12.7.2013 - 9 B 12.13 - juris Rn. 4) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 10.1.2013 - 8 B 12.305 - juris Rn.17) ist der Grundstückseigentümer befugt, rechtswidrige Störungen seines Eigentums nach entsprechender Ankündigung (BayVGH, U.v. 8.2.2012 - 4 B 11.175 - juris Rn. 29) auf eigene Kosten zu beseitigen. Dieses Recht folgt bei Eigentumsverletzungen durch hoheitliche Maßnahmen im öffentlichen Recht unmittelbar aus dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrecht (BayVGH, B.v. 8.3.2019 - 4 CE 18.2597 - juris Rn. 11). Das öffentliche Recht schützt den Eigentümer nicht weniger als das Zivilrecht und gewährt ebenso Abwehransprüche (BVerwG, U.v. 21.9.1984 - 4 C 51.80 - BayVBl 1985, 154).
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3. Im Vorhandensein des Abwasserkanals auf den klägerischen Grundstücken ohne Einverständnis der Klägerin liegt eine Eigentumsbeeinträchtigung i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB (BayVGH, U.v. 15.7.2013 - 4 B 12.77 - juris Rn. 17; VG München, U.v. 16.7.2015 - M 10 K 14.4227 - juris Rn. 22; BGH, U.v. 1.2.1994 - VI ZR 229/92 - juris Rn. 19).
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4. Die Klägerin ist nicht zur Duldung des Abwasserkanals auf ihren Grundstücken verpflichtet.
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Eine Verpflichtung zur Duldung des Abwasserkanals könnte sich aufgrund einer dinglichen Sicherung, einer vertraglichen Vereinbarung oder nach privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 8.3.2019 - 4 CE 18.2597 - juris Rn. 12 ff.; U.v. 5.10.2009 - 4 B 08.2877 - juris Rn. 20). Vorliegend ergibt sich aus keinem der genannten Gründe eine Verpflichtung der Klägerin, den streitgegenständlichen Abwasserkanal einschließlich seiner bis an die Oberfläche reichenden Revisionsschächte auf ihren Grundstücken zu dulden.
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a) Eine dingliche Sicherung des Abwasserkanals ist im Grundbuch der Gemarkung … … nicht eingetragen, sodass sich aus einer solchen keine Duldungsverpflichtung ergeben kann.
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b) Ebenfalls abzulehnen ist eine vertragliche Verpflichtung der Klägerin zur Duldung des Abwasserkanals auf ihren Grundstücken. Die Klägerin hat sich selbst nicht vertraglich zur Duldung verpflichtet. Zudem ergibt sich eine Duldungspflicht nicht aus den Vereinbarungen zwischen dem Beklagten und den damaligen Eigentümern der Grundstücke aus dem Jahr 1977. An die dort durch die Eigentümer erklärten Gestattungen ist die Klägerin nicht gebunden, denn schuldrechtliche Vereinbarungen begründen Rechte und Pflichten grundsätzlich nur für die Vertragsschließenden, nicht für ihre Rechtsnachfolger (BGH, U.v. 10.3.2006 - V ZR 48/05 - juris Rn. 18). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt zu Lasten der Klägerin nicht etwa deshalb, weil in § 4 der Vereinbarungen aus dem Jahr 1977 festgelegt wurde, dass die getroffenen Regelungen auch für eventuelle Rechtsnachfolger gelten würden. Diese Regelungen stellen nach ständiger Rechtsprechung einen unwirksamen Vertrag zu Lasten Dritter dar und begründen keine Pflicht für die Klägerin als damals nicht am Vertrag Beteiligte (ebenfalls zur Verlegung eines Abwasserkanals BGH, a.a.O; U.v. 29.6.2004 - VI ZR 211/03 - juris Rn. 11; U.v. 12.11.1980 - VIII ZR 293/79 - BGHZ 78, 369 - 375; vgl. hierzu auch Art. 58 Abs. 1 BayVwVfG, wonach ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in die Rechte eines Dritten eingreift, zu seiner Wirksamkeit der schriftlichen Zustimmung des Dritten bedarf).
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c) Auch aus § 905 Satz 2 BGB ergibt sich keine Duldungspflicht der Klägerin hinsichtlich des Abwasserkanals. Nach § 905 Satz 2 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks Einwirkungen nicht verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat. Zum einen ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits davon auszugehen, dass die Vorschrift im vorliegenden wasserrechtlichen Zusammenhang nicht anwendbar ist (so BayVGH, U.v. 29.11.2010 - 4 B 09.2835 - juris Rn. 25). Zum anderen steht, hielte man die Vorschrift für anwendbar, nach der aktuellen Sachlage nicht fest, dass ein Interesse der Klägerin an der Ausschließung der Einwirkung nicht vorliegt. Die Darlegungs- und Beweislast für den Mangel eines Ausschließungsinteresses liegt beim Einwirkenden, also dem Beklagten (Thimet in Wuttig/dies., Gemeindliches Satzungsrecht und Unternehmensrecht, 58. AL, Stand: November 2013, Teil II, Frage 9 Nr. 6.2). Dass hinsichtlich des Abwasserkanals einschließlich der beiden Revisionsschächte kein Ausschließungsinteresse der Klägerin besteht, konnte der Beklagte jedoch nicht nachweisen. Die beiden zum Abwasserkanal gehörenden Revisionsschächte auf den Grundstücken der Klägerin reichen bis an die Oberfläche. Ihre freiliegende Abdeckung behindert nach unbestrittenem und plausiblem Vortrag der Klägerin die landwirtschaftliche Nutzung der Grundstücke. Zwar hat der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußert, dass unter Umständen eine Umgestaltung der Abdeckung der Revisionsschächte möglich wäre, sodass diese für die landwirtschaftliche Nutzung weniger störend sein könnten. Allerdings hat der Beklagte bislang nicht abschließend geklärt, ob eine derartige Umgestaltung technisch möglich wäre. Zudem spricht viel dafür, dass selbst bei einer Umgestaltung noch nicht von einem Entfallen des Ausschließungsinteresses auszugehen wäre, da die Oberseite der Revisionsschächte weiterhin jedenfalls knapp unter der Erdoberfläche verbleiben würde. In jedem Fall besteht aufgrund der derzeitigen Gestaltung aktuell ein Ausschließungsinteresse der Klägerin hinsichtlich der Revisionsschächte. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang eine abweichende Beurteilung hinsichtlich des Abwasserkanals (vgl. zur Möglichkeit einer getrennten Beurteilung von Anlagenteilen VG München, U.v. 16.12.2004 - M 10 K 03.3527 - juris Rn. 45; Thimet, a.a.O.). Die Sohle des Abwasserkanals befindet sich in einer Tiefe von über 3,82 m und er selbst weist eine Höhe von 1,5 m auf, sodass sich eine Überdeckung mit Erdmaterial von über 2,3 m ergibt und es daher jedenfalls möglich erscheint, dass der Abwasserkanal für sich betrachtet die landwirtschaftliche Nutzung der Grundstücke nicht stört. Allerdings sind der Abwasserkanal und seine Revisionsschächte nach Auffassung des Gerichts als Einheit zu betrachten. Die Ausführungen des Beklagten hinsichtlich einer Umgestaltung der Schächte zeigt, dass er auf diese nicht verzichten kann bzw. möchte. Wenn mit dem Vorhandensein des Abwasserkanals aber zwingend das Vorhandensein der Revisionsschächte miteinhergeht, kann der Klägerin ein Interesse an der Entfernung der gesamten Anlage nicht abgesprochen werden.
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d) Eine Duldungspflicht der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 19 EWS des Marktes … …
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Ob sich aus einer Regelung des Marktes … … überhaupt eine Duldungspflicht hinsichtlich des Abwasserkanals, der vom Beklagten betrieben wird, ergeben kann, kann vorliegend offenbleiben, da jedenfalls die tatbestandlichen Voraussetzungen der Duldungspflicht nicht gegeben sind. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 EWS betrifft die Duldungspflicht nach § 19 Abs. 1 Satz 1 EWS nur Grundstücke, die an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen oder anzuschließen sind, die vom Eigentümer im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem angeschlossenen oder zum Anschluss vorgesehenen Grundstück genutzt werden oder für die die Möglichkeit der örtlichen Abwasserbeseitigung sonst wirtschaftlich vorteilhaft ist. Auf die Grundstücke der Klägerin trifft keine der genannten Konstellationen zu. Die Grundstücke sind weder selbst an die Entwässerungsanlage angeschlossen, noch besteht aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Nutzung ein Anschlussbedarf. Außerdem werden sie nach den glaubhaften und unbestrittenen Angaben der Klägerin nicht in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem angeschlossenen oder anzuschließenden Grundstück genutzt. Dafür, dass die Möglichkeit der örtlichen Abwasserbeseitigung für die Grundstücke sonst wirtschaftlich vorteilhaft wäre, ist nichts ersichtlich.
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5. Die Beseitigung des Abwasserkanals durch die Klägerin ist auch nicht als unzulässige Rechtsausübung einzuordnen.
33
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann einem Folgenbeseitigungsanspruch der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegengehalten werden, wenn eine Legalisierung des rechtswidrigen Zustands unmittelbar bevorsteht (BayVGH, U.v. 29.11.2010 - 4 B 09.2835 - juris m.w.N.). Dies muss auch für den vorliegend geltend gemachten Anspruch auf Duldung der Beseitigung gelten. In Bezug auf die Beseitigung von Wasserver- oder -entsorgungsleitungen wäre eine unzulässige Rechtsausübung etwa dann anzunehmen, wenn der Eigentümer nach der Beseitigung wiederum durch den Erlass einer Duldungsverpflichtung der zuständigen Behörde nach § 93 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz - WHG) die erneute Verlegung der Leitung zu dulden hätte. Nach § 93 Satz 1 WHG kann die zuständige Behörde Eigentümer und Nutzungsberechtigte von Grundstücken und oberirdischen Gewässern verpflichten, das Durchleiten von Wasser und Abwasser sowie die Errichtung und Unterhaltung der dazu dienenden Anlagen zu dulden, soweit dies zur Entwässerung oder Bewässerung von Grundstücken, zur Wasserversorgung, zur Abwasserbeseitigung, zum Betrieb einer Stauanlage oder zum Schutz vor oder zum Ausgleich von Beeinträchtigungen des Natur- oder Wasserhaushalts durch Wassermangel erforderlich ist. Nach § 93 Satz 2, § 92 Satz 2 WHG gilt dies nur, wenn das Vorhaben anders nicht ebenso zweckmäßig oder nur mit erheblichem Mehraufwand durchgeführt werden kann und der von dem Vorhaben zu erwartende Nutzen erheblich größer als der Nachteil des Betroffenen ist.
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Voraussetzung für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung ist jedoch, dass der Erlass der Duldungsverfügung unmittelbar bevorsteht. Es genügt bereits nicht, dass die Behörde die Möglichkeit hat, rechtmäßige Zustände herbeizuführen. Vielmehr bedarf es der sicheren Erwartung, dass dem geltend gemachten Anspruch der Einwand der Legalisierung entgegengesetzt wird (BayVGH, a.a.O.).
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Dies ist vorliegen nicht der Fall. Auf eine unmittelbar bevorstehende Verpflichtung der Klägerin kann noch nicht geschlossen werden. Zum einen wurde bislang kein entsprechender Antrag des Beklagten bei dem zuständigen Landratsamt gestellt. Ein behördliches Verfahren zum Erlass der Duldungsanordnung wurde also noch nicht eingeleitet. Zum anderen hat der Beklagte im Vorfeld der mündlichen Verhandlung selbst vorgetragen, dass das zuständige Landratsamt, sollte sich ein Unterliegen des Beklagten im vorliegenden Verfahren abzeichnen, gegebenenfalls eine entsprechende wasserrechtliche Duldungsanordnung erlassen würde. Daraus ergibt sich jedoch ebenfalls nicht, dass die zuständige Behörde den vorliegenden Fall eingehend geprüft hätte, eine entsprechende Anordnung für rechtmäßig erachten würde und deren Erlass unmittelbar bevorstünde.
36
Im Übrigen bestehen nach aktueller Sach- und Rechtslage erhebliche Zweifel daran, dass eine Anordnung nach § 93 WHG einer rechtlichen Prüfung standhalten würde. Dass der über die Grundstücke der Klägerin verlaufende Abwasserkanal als erforderlich i.S.v. § 93 Satz 1 WHG einzuordnen ist, erscheint derzeit unwahrscheinlich. Auch bei ursprünglich rechtmäßig verlegten Leitungen ist für die Frage der Erforderlichkeit der jeweiligen Leitung darauf abzustellen, ob aktuell bei einer fingierten erstmaligen Verlegung die Duldung der von der Behörde bevorzugten Leitungsführung erforderlich ist (vgl. Riedel in Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, 55. Edition, Stand: 1.7.2020, § 93 WHG Rn. 8; VG Gießen zum hessischen Landesrecht vor Einführung des § 93 WHG, U.v. 20.06.1997 - 10 E 1236/94 - juris Rn. 24; vgl. OVG LSA, B.v. 27.8.2014 - 2 L 118/13 - juris Rn. 12). Dabei sind auch die Kosten der in Frage kommenden Leitungstrassen bei einer fiktiven Neuverlegung in Relation zu setzen, wobei die Kosten der bereits erfolgten Verlegung der vorhandenen Leitung nicht miteinzubeziehen sind (OVG LSA, a.a.O). Bei einer fingierten erstmaligen Verlegung des Abwasserkanals scheint eine Verlegung in den neben den klägerischen Grundstücken liegenden Straßengrund derzeit klar vorzugswürdig. Zum einen ist nicht davon auszugehen, dass eine fiktive Neuverlegung der Leitung in die klägerischen Grundstücke geringere Kosten verursachen würde, als eine Verlegung im Straßengrund. Zum anderen erscheint eine Verlegung im Straßengrund nach den Angaben des kontaktierten Ingenieurbüros möglich.
III.
37
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des aufrechterhaltenen Klageantrags folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage sind die Kosten nach § 155 Abs. 2 VwGO der Klägerin aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.