Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 19.10.2020 – W 6 S 20.1305
Titel:

Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen Drogenkonsums

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 3, Abs. 7, Abs. 8 S. 1, § 14 Abs. 1, Abs. 2, § 46 Abs. 1 S. 2, Abs. 3
BtMG § 13 Abs. 1
Leitsätze:
1. An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes auch formal strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktqualität nicht direkt, sondern lediglich im Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis anfechten kann. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Gutachtensaufforderung muss sich auf konkrete Tatsachen und Anhaltspunkte stützen können; eine Aufforderung "ins Blaue hinein“ ist rechtswidrig. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Einnahme von Medizinalcannabis im Rahmen einer ärztlichen Verordnung beurteilt sich die Frage der Fahreignung nach der Nr. 9.6 der Anlage 4 FeV. Das gilt auch im Fall des Beigebrauchs von Alkohol. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Entziehung der Fahrerlaubnis, Nichtvorlage des geforderten Gutachtens, Fahreignungszweifel bei Einnahme von Medizinal-Cannabis, Selbsttherapie einer schwerwiegenden Schmerzsymptomatik mit illegalem Cannabis, Fahreignungszweifel bei ärztlicher Behandlung mit Opiaten, Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit einer Begutachtungsanordnung, Anordnung einer MPU bei vorangegangener ärztlicher Begutachtung, Fahrerlaubnis, Schmerzsymptomatik, medizinisch-psychologisches Gutachten, Anlassbezogenheit, Fahreignungszweifel, Cannabis, Medizinal-Cannabis, Opiate, Amphetamin
Fundstellen:
BeckRS 2020, 28674
SVR 2020, 474
LSK 2020, 28674

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23. März 2020 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller (geb. …1958) wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Entzugs seiner Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).
2
1. Durch Mitteilung der Kriminalpolizeiinspektion Schweinfurt vom 26. Juli 2018 wurde dem Landratsamt B. K. (künftig: Landratsamt) bekannt, dass beim Antragsteller am 16. März 2018 im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung Marihuana (916 g), Haschisch (316 g), Kokain (3,4 g), sechs Marihuanapflanzen, eine Aufzuchtanlage und diverse Konsumutensilien sichergestellt wurden. Ausweislich der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Schweinfurt vom 13. August 2018 (Az. … … …*) habe der Antragsteller einen Handel mit Betäubungsmitteln (insbesondere Cannabisprodukte) betrieben. Er habe jeweils größere Mengen bezogen, die er anschließend teilweise zum Eigenkonsum verbraucht, den weit überwiegenden Teil aber zur Finanzierung seines Lebensunterhalts und zur Finanzierung seines eigenen Drogenkonsums weiterverkauft habe. Der Antragsteller habe die Tatvorwürfe im Wesentlichen eingeräumt. Der Sachverständige Dr. med. G. sei in einem schriftlichen Gutachten vom 13. Juli 2018 zur Einschätzung gelangt, dass beim Antragsteller aufgrund einer chronifizierten Schmerzstörung und der starken Ausrichtung des Cannabiskonsums zur Schmerzreduktion erhebliche Steuerungsmängel im Sinne des § 21 StGB vorgelegen hätten. Der Antragsteller erhalte ärztlich verordnetes Cannabis.
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Mit Schreiben an den Antragsteller vom 14. Mai 2019 ordnete das Landratsamt deshalb die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens an. Aufgrund des Besitzes von Betäubungsmitteln (Marihuana, Haschisch und Kokain) und Utensilien zum Konsum derer bestehe der Verdacht, dass der Kläger Betäubungsmittel konsumiere. Ein ärztliches Gutachten sei beizubringen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder eine missbräuchliche Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt (§ 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 FeV i.V.m. Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV). Folgende Fragestellung lag der Anordnung zugrunde:
„Nimmt bzw. nahm [der Antragsteller] Betäubungsmittel (hier Kokain) im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe im Sinne des StVG ein, die die Fahreignung nach Anlage 4 FeV in Frage stellen? Liegt eine missbräuchliche Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vor? Liegt eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß vor?“
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Der Antragsteller ließ sich daraufhin am 16. Juli 2019 bei der ... Thüringen Fahrzeug GmbH & Co KG in Schweinfurt (künftig: ... Thüringen) untersuchen und legte das geforderte Gutachten am 3. September 2019 beim Landratsamt vor. Dieses kam zu dem Ergebnis, dass mit Ausnahme von Cannabis keine Hinweise auf eine aktuelle Einnahme von Betäubungsmitteln (hier Kokain) zu finden waren. Zurzeit nehme der Antragsteller regelmäßig Cannabisblüten im Rahmen einer ärztlich verordneten Behandlung ein. Für eine missbräuchliche Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen hab man aktuell keine Hinweise gefunden. In Anbetracht des früheren illegalen Cannabis- und Kokainkonsums, der angegebenen Opiatabhängigkeit sowie des noch bestehenden Beikonsums von Alkohol werde jedoch eine medizinisch-psychologische Untersuchung empfohlen. Auf das Gutachten vom 16. Juli 2019 wird im Übrigen verwiesen.
5
Ebenfalls am 3. September 2019 legte der Antragsteller dem Landratsamt einen fachärztlichen Befundbericht des Facharztes für Psychotherapie Dr. W. (B. K.) vom 4. Juli 2019, einen ärztlichen Befundbericht des Arztes Dr. K. (Berlin-Zehlendorf) vom 4. Juli 2019 sowie ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK Bayern vom 26. Juli 2019 vor. Aus diesen Unterlagen ergibt sich im Wesentlichen, dass der Antragsteller seit den 1990er Jahren an einer komplexen Schmerzsymptomatik (u.a. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Fibromyalgie-Syndrom, Restless-Legs-Syndrom, Skoliose) leidet und deshalb von 2003 bis 2013 unter anderem mit verschiedenen Opiaten, Antidepressiva, Neuroleptika und Tranquilizer medikamentös behandelt wurde. Aufgrund fehlendem Erfolg sowie erheblicher Nebenwirkungen einschließlich Opiatabhängigkeit wurde die Medikation beendet. Im Jahr 2013 erfolgte ein stationärer Entzug des Antragstellers von Opiaten. Nach Angaben des Antragstellers führte dieser anschließend eine Selbstbehandlung mit illegalem Cannabis durch. Seit Juni 2018 erhält er Medizinal-Cannabisblüten ärztlich verordnet. Auf die oben aufgeführten Berichte wird im Übrigen verwiesen.
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Mit Schreiben an den Antragsteller vom 3. September 2019 ordnete das Landratsamt die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis zum 15. November 2019 an. Der Kläger habe im Rahmen der ärztlichen Begutachtung beim ... Thüringen einen moderaten Alkoholkonsum (2x im Monat je 1-2 Bier à 0,5 l) eingeräumt. In Anbetracht des früheren illegalen Cannabis- und Kokainkonsums, der angegebenen Opiatabhängigkeit sowie des noch bestehenden Beikonsums von Alkohol sei eine medizinisch-psychologische Untersuchung empfohlen worden. Die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens könne zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden, wenn dies nach Würdigung des ärztlichen Gutachtens erforderlich ist (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV). Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bestehe bei einem Konsum von THC/Cannabis und zusätzlichem Gebrauch von Alkohol keine Fahreignung. Aufgrund der Angaben des Antragstellers und dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung sei zu prüfen, ob dieser durch einen fahreignungsrelevanten Mischkonsum von Alkohol und Cannabis gegebenenfalls nicht mehr zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei. Des Weiteren sei zu prüfen, ob gegebenenfalls zu erwarten ist, dass der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis (med. Cannabis) und dessen Nachwirkungen und gleichzeitigem Gebrauch von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen im Sinne des StVG führen wird. Folgende Fragestellung lag der Anordnung zugrunde:
„Kann der Untersuchte trotz der Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum (med. Cannabis) sowie gleichzeitigem Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen im Sinne des StVG ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 und 2 sicher führen? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass der Untersuchte zukünftig Opiate, Amphetamin, Cannabis (zusätzlicher Beikonsum) und Kokain einnimmt? Kann bei dem Untersuchten zukünftig auch die Gefahr einer Suchtverlagerung ausgeschlossen werden?“
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Auf die Folgen der Nichtvorlage des Gutachtens wurde hingewiesen (§ 11 Abs. 8 FeV). Die Anordnung wurde dem Antragsteller am 7. September 2019 zugestellt.
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Mit Erklärung vom 20. September 2019 benannte der Antragsteller die p … GmbH … (künftig: p …) als Begutachtungsstelle und ließ sich dort am 21. Oktober 2019 untersuchen. Nachdem der Antragsteller das Gutachten nicht fristgerecht vorlegte, wurde er mit Schreiben des Landratsamts vom 18. Dezember 2019 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört und ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 8. Januar 2020 gewährt. Der Antragsteller erklärte daraufhin mit E-Mail vom 20. Dezember 2019, das Gutachten sei bei ihm eingetroffen. Es sei aber aufgrund erheblicher Missverständnisse bei der Gutachtenerhebung ein Nachgespräch bei der p … erforderlich. Mit Fax vom 8. Januar 2020 zeigte sich der Bevollmächtigte des Antragstellers an und bat um Fristverlängerung, die bis 15. Januar 2020 gewährt wurde. Mit Schreiben vom 28. Januar 2020 erklärte die p …, dass sie das Gutachten des Antragstellers ergänzen werde. Das Landratsamt verlängerte daraufhin die Anhörungsfrist bis 19. Februar 2020. Mit Schreiben vom 27. Februar 2020 wurde der Antragsteller erneut zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört und ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 12. März 2020 gegeben. Mit E-Mail vom 10. März 2020 erklärte der Antragsteller, dass das Gutachten nicht übermittelt werden könne, da es fehlerhaft sei.
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2. Mit Bescheid vom 23. März 2020 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse(n) 3 (Nr. 1). Die Rückgabe des Führerscheins (Nr. …) wurde unverzüglich, spätestens bis zum 9. April 2020 angeordnet (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 3). Für die Nichterfüllung der Rückgabepflicht wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht (Nr. 4). Dem Antragsteller wurden schließlich die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 5 und Nr. 6).
10
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht. Die Fahrerlaubnisbehörde habe deshalb nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen und die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG und § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. § 11 Abs. 1 FeV zu entziehen. Aufgrund der Nichtvorlage des geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens müsse davon ausgegangen werden, dass die Begutachtung negativ ausgefallen sei. Der Antragsteller habe am 17. Februar 2020 auch telefonisch eingeräumt, dass das Ergebnis der Begutachtung nicht positiv sei. Aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller regelmäßig Cannabisblüten im Rahmen einer ärztlich verordneten Behandlung einnehme sowie des früheren illegalen Cannabis- und Kokainkonsums, der Opiatabhängigkeit sowie des noch bestehenden Beikonsums von Alkohol sei die Fahrerlaubnisbehörde der Empfehlung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung gefolgt. Die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins beruhe auf § 47 Abs. 1 FeV. Die sofortige Vollziehung unter Nr. 3 des Bescheids werde angeordnet, um sicherzustellen, dass der Antragsteller ab Zustellung dieses Bescheids kein Kraftfahrzeug mehr führe. Das öffentliche Interesse an der Sicherheit im Straßenverkehr fordere den sofortigen Vollzug des Bescheides. Die Anordnung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 29 i.V.m. Art. 31 und Art. 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Der Bescheid vom 23. März 2020 wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 25. März 2020 zugestellt.
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Am 14. April 2020 gab der Antragsteller seinen Führerschein beim Landratsamt ab.
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3. Am 8. April 2020 ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 23. März 2020 erheben (W 6 K 20.520), über die noch nicht entschieden ist.
13
Am 14. September 2020 ließ der Antragsteller im zugrundeliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23. März 2020 wiederherzustellen und die sofortige Vollziehung aufzuheben.
14
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei unverhältnismäßig. Die Empfehlung, eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen, hätte der Antragsgegner nicht ungeprüft übernehmen dürfen. Ein Beikonsum von Alkohol läge nicht vor. Der Antragsteller habe im Rahmen der ärztlichen Begutachtung am 16. Juli 2019 Angaben gemacht, die so seltene und geringe Mengen beträfen, dass sie zu vernachlässigen seien. Von einem fahreignungsrelevanten Mischkonsum von Alkohol und Cannabis sei nicht auszugehen gewesen. Der Antragsteller habe zu keiner Zeit Anlass zu Bedenken gegeben, er würde jemals unter dem Einfluss eines Mischkonsums einen Pkw führen. Diesbezüglich könne dem ärztlichen Gutachten nichts entnommen werden. Auch für einen Beikonsum anderer psychoaktiv wirkender Stoffe habe es keinerlei Feststellungen gegeben. Dies gelte auch für einen zukünftigen Beikonsum, für den es im Gutachten keine Anhaltspunkte gebe. Für die vom Antragsteller aufgeworfene Fragestellung, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller zusätzliches illegales Cannabis einnehmen könnte, habe das ärztliche Gutachten keinen Anlass gegeben. Es werde fortwährend die für den Antragsteller ausreichende verordnete Dosis entsprechend den Bedürfnissen erhöht, sodass diese Gefahr ausgeräumt sei. Der Antragsgegner übersehe, dass laut Gutachten durch das qualitativ hochwertige Cannabis eine vollkommen hinreichende Dosis verordnet sei. Die vom Antragsgegner angeführte Besorgnis des früheren Cannabiskonsums könne damit an sich keine Rolle mehr spielen. Weitere Aufklärungsmaßnahmen seien deshalb nicht notwendig gewesen. Auch für die Einnahme anderer Betäubungsmittel habe aufgrund der optimalen medizinischen Einstellung keinerlei Gefahr und Bedarf bestanden. Ungeachtet dessen habe sich der Antragsteller einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterzogen. Dort habe es aber diverse Schwierigkeiten gegeben. Der Antragsteller habe in Nachbesprechungen Missverständnisse mit der Begutachtungsstelle nicht lösen und Zweifel nicht ausräumen können. Es sprächen hinreichende Gründe dafür, dass der Antragsteller nicht fahrungeeignet sei. Sein privates Interesse am Bestand der Fahrerlaubnis überwiege, da sein abgelegener Wohnort mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr spärlich angebunden und der Antragsteller aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes auf einen Pkw angewiesen sei. Es stehe die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes im Raum.
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Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
16
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung der Fahrerlaubnisentziehung sei rechtmäßig erfolgt. Der Antragsteller habe auf die Anordnung vom 3. September 2019 hin trotz mehrmaliger Verlängerung der Frist kein medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt. Der Kläger sei bereits im Rahmen der Anordnung des ärztlichen Gutachtens darauf hingewiesen worden, dass in Abhängigkeit vom Untersuchungsergebnis mit weiteren Maßnahmen zu rechnen sei, zum Beispiel der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung. Entsprechend der Empfehlung des ärztlichen Gutachtens sei eine medizinisch-psychologische Untersuchung angeordnet worden. Diese Empfehlung sei mit dem früheren illegalen Cannabisund Kokainkonsum, der angegebenen Opiatabhängigkeit sowie des noch bestehenden Beikonsums von Alkohol begründet gewesen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei dabei gewahrt worden. Das medizinisch-psychologische Gutachten biete der Fahrerlaubnisbehörde die psychologische und medizinische Grundlage für die Entscheidung, ob eine Person die Fahrerlaubnis (zurück) erhalten könne oder nicht. Im Gegensatz zur ärztlichen Begutachtung umfasse die medizinisch-psychologische Begutachtung den gesamten Eignungsbereich, nicht nur die körperliche Eignung. Im ärztlichen Gutachten des ... Thüringen sei lediglich eine verkehrsmedizinische Bewertung dahingehend erfolgt, ob anhand der erhobenen körperlichen und laborchemischen Befunde ein aktueller Drogenkonsum vorliege. Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bestehe bei einem Konsum von Cannabis und zusätzlichem Gebrauch von Alkohol keine Fahreignung. Durch die Fahrerlaubnisbehörde sei aufgrund der Angaben des Antragstellers und dem Ergebnis des ärztlichen Gutachtens zu prüfen gewesen, ob der Antragsteller durch einen fahreignungsrelevanten Mischkonsum von Alkohol und Cannabis gegebenenfalls nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Des Weiteren sei zu prüfen gewesen, ob gegebenenfalls zu erwarten sei, dass der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis (medizinisches Cannabis) und dessen Nachwirkungen und gleichzeitigem Gebrauch von anderen psychoaktivwirkenden Stoffen im Sinne des StVG führen werde. Aus diesen Gründen und der Empfehlung der amtlich anerkannten Begutachtungsstelle habe der Antragsgegner weitere Aufklärungsmaßnahmen für notwendig gehalten und die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung angeordnet. Es habe kein milderes Mittel zur Aufklärung zur Verfügung gestanden. Selbst der Konsum der ärztlich verordneten Cannabisblüten sei zweifelhaft. Gemäß Dosierungsanleitung des verschreibenden Arztes könne der Antragsteller nachts, bei Schmerzen und Steifheit in den Händen einen Joint drehen und rauchen, anstatt einen Vaporisator mit Verdampfungsfunktion einzuschalten und zu inhalieren. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft habe sich allerdings gegen die Einnahme von Cannabisblüten als „Joint“ (gemischt mit Tabak) ausgesprochen. Im Falle des Beigebrauchs von illegalem Cannabis oder fahreignungsrelevantem Mischkonsum mit Alkohol bestehe bei Cannabispatienten keine Fahreignung. Bei täglichem THCKonsum aufgrund der Medikation sei kein zusätzlicher Alkoholkonsum zulässig, unabhängig von Art, Menge und Trennvermögen (Ausschluss der Adhärenz). Trotz der Nachbesserungstermine und Überprüfungen durch die Begutachtungsstelle sei das MPU-Ergebnis negativ gewesen. Die Erforderlichkeit der Begutachtung werde hierdurch bestätigt.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Hauptsacheverfahren (W 6 K 20.520) sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
18
Der Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23. März 2020 ist zulässig und begründet.
19
1. Der Antrag ist in Anwendung des § 88 VwGO als Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23. März 2020 auszulegen.
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Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 8. April 2020 erhobenen Klage gegen die Nr. 1 und 2 des Bescheids vom 23. März 2020 ist statthaft und zulässig. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheides) sowie gegen die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheids) entfällt, weil die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Nr. 4 des Bescheids vom 23. März 2020 verfügte Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ist ebenfalls statthaft und zulässig. Die Zwangsgeldandrohung ist von Gesetzes wegen sofort vollziehbar (Art. 21a VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
21
2. Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit sich diese bereits übersehen lassen.
22
Die Anordnung des Sofortvollzugs genügt den formellen Anforderungen. Das Landratsamt hat die Anordnung insbesondere in ausreichender Weise begründet. Die Vorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt eine Darlegung der Gründe, die zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für ausnahmsweise geboten erachtet (Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 55). Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im Bescheid vom 23. März 2020 erfüllt diese formell-rechtlichen Anforderungen. Sie zeigt, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die er für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat.
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3. Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt vorliegend, dass die Klage des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Es spricht überwiegendes dafür, dass die im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Regelungen rechtswidrig sind und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
24
3.1 Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV).
25
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat damit die Möglichkeit, zur Aufklärung der Fahreignung eines Fahrerlaubnisinhabers die Beibringung eines medizinischen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.
26
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist indes nur dann gerechtfertigt, wenn die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtvorlage des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht.
27
An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes auch formal strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktsqualität nicht direkt, sondern lediglich im Zusammenhang mit der Entziehung der Fahrerlaubnis anfechten kann. Vor diesem Hintergrund verpflichtet § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV die Fahrerlaubnisbehörde, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 zur FeV bereits in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens festzulegen, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind und dem Betroffenen die Gründe für die Zweifel an seiner Eignung mitzuteilen. Die Aufforderung muss insoweit im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das dort Mitgeteilte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung rechtfertigt (BVerwG, U.v. 17.11.2016 - 3 C 20.15 - NJW 2017, 1765 Rn. 21). Der Betroffene soll durch die Mitteilung der zu begutachtenden Fragestellung sowie der Angabe der Gründe für die Fahreignungszweifel in der an ihn gerichteten Beibringungsanordnung in die Lage versetzt werden, sich innerhalb der nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV zu bestimmenden Frist zur Vorlage dieses Gutachtens ein Urteil zu bilden, ob die Aufforderung zu dessen Beibringung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, B.v. 5.2.2015 - 3 B 16/14 - NZV 2016, 196 Rn. 8). Davon hängt es ab, ob sich der Betroffene dieser Aufforderung verweigern kann, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnisbehörde bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens unter Berufung auf § 11 Abs. 8 FeV seine Fahrerlaubnis entziehen muss. Eine mangelhafte Aufforderung zur Gutachtensbeibringung kann deshalb auch nicht dadurch „geheilt“ werden kann, dass die Behörde nachträglich - etwa im Gerichtsverfahren - darlegt, objektiv hätten seinerzeit Umstände vorgelegen, die Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung hätten geben können.
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3.2 Nach diesen Maßstäben war die Gutachtensanordnung vom 3. September 2019 mit hoher Wahrscheinlichkeit schon deshalb rechtswidrig, weil die darin vom Antragsgegner gestellten Begutachtungsfragen teilweise mangels hinreichender Differenzierung den Rahmen der Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit überschritten.
29
Wie sich aus den Vorgaben des § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV und § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV ableiten lässt, sind Bedenken an der Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers nur insoweit näher aufzuklären, als der Fahrerlaubnisbehörde konkrete Tatsachen bekannt geworden sind, die nachvollziehbar den Verdacht rechtfertigen, bei dem Betroffenen könne eine Ungeeignetheit oder einschränkte Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs vorliegen (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 11 FeV Rn. 23 m.w.N.). Nicht erforderlich ist zwar, dass Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV bereits feststehen. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen und nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 - 3 C 13.01 - NJW 2002, 78; BayVGH, B.v. 3.9.2015 - 11 CS 15.1505 - SVR 2015, 472). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (BayVGH, B.v. 9.10.2018 - 11 CS 18.1897 - BeckRS 2018, 24987 Rn. 13).
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Soweit der Antragsgegner im Rahmen der Anordnung vom 3. September 2019 unter Bezugnahme auf das ärztliche Gutachten des ... Thüringen vom 16. Juli 2019 eine medizinisch-psychologische Begutachtung zur Klärung anordnete, ob zu erwarten ist, dass der Antragsteller zukünftig Amphetamin (dazu 3.2.1), Opiate (dazu 3.2.2) und Cannabis (zusätzlicher Beikonsum) (dazu 3.2.3) einnimmt, lagen zum Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung keine hinreichend belastbaren Tatsachen vor, die dahingehende Fahreignungszweifel gerechtfertigt hätten.
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3.2.1 Für die Annahme, dass der Antragsteller Amphetamin konsumieren und er deshalb gemäß Nr. 9.1. der Anlage 4 zur FeV ungeeignet sein könnte, gab es zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung weder objektiv Anhaltspunkte, noch wurden solche vom Antragsgegner in der Begutachtungsanordnung vom 3. September 2019 angeführt.
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Derartige Betäubungsmittel wurden bei der Wohnungsdurchsuchung am 16. März 2018 beim Antragsteller jedenfalls nicht aufgefunden. Während der Antragsteller im Rahmen der ärztlichen Untersuchung am 16. Juli 2019 einräumte, früher (70er bis Ende der 90er Jahre) gelegentlich bzw. selten Cannabis und Kokain konsumiert zu haben, machte er hingegen keine Angaben zu einer früheren oder aktuellen Einnahme von Amphetaminen. Solche konnten im Rahmen der entnommenen Urin- und Haarprobe für den Untersuchungszeitraum (Mitte April bis Juli 2019) auch nicht nachgewiesen werden. Auch die vom Antragsgegner angeführte Empfehlung des ... Thüringen im ärztlichen Gutachten vom 16. Juli 2019 zur Durchführung einer weiteren medizinisch-psychologischen Untersuchung nahm keinen Bezug auf Amphetaminkonsum. Soweit der Antragsgegner möglicherweise aus dem zugegebenen früheren Cannabis- und Kokainkonsum schlussfolgert, dass dies die Annahme begründen könnte, der Antragsteller könnte zukünftig auch Amphetamine einnehmen, handelt es sich um einen nicht hinreichend tatsachenbegründeten Verdacht „ins Blaue hinein“.
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3.2.2 Ebenfalls dürfte in der Beibringungsanordnung vom 3. September 2019 die Frage nach einer künftigen Einnahme von Opiaten den Rahmen der Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit überschreiten.
34
Die Anordnung vom 3. September 2019 bezieht sich insoweit auf die Empfehlung des ärztlichen Gutachtens des ... Thüringen vom 16. Juli 2019, wonach in Anbetracht der „angegebenen Opiatabhängigkeit“ eine medizinisch-psychologische Untersuchung empfohlen werde. Dies hätte der Antragsgegner indes nicht ohne nähere Würdigung - insbesondere auch unter Einbezug der vom Antragsteller vor der Anordnung vorgelegten ärztlichen Berichte - übernehmen dürfen. Denn aus den ärztlichen Unterlagen ging eindeutig hervor, dass beim Antragsteller in den Jahren 2003 bis 2013 wegen starker chronischer Schmerzen viele medikamentöse Behandlungsversuche unternommen wurden. Unter anderem wurden ihm unter ärztlicher Verordnung verschiedene Opiate verabreicht, die zu erheblichen Nebenwirkungen (kognitive Dämpfung, Obstipation, Entzugserscheinungen) führten (fachärztlicher Bericht Dr. W. vom 4.7.2019, S. 2, Bl. 22 der Behördenakte; ärztlicher Bericht Dr. K vom 4.7.2019, S. 6, Bl. 30 der Behördenakte). Im Jahr 2013 erfolgte eine stationäre Entgiftung von Opiaten (sozialmedizinisches Gutachten des MDK Bayern vom 26.7.2019, S. 3, Bl. 37 der Behördenakte). Hinweise für eine spätere Fortführung der Behandlung der Schmerzsymptomatik mit verordneten Opiaten gab es nicht. Es bestanden daher zum Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung keine Anhaltspunkte für Eignungszweifel nach Nr. 9.4 oder Nr. 9.6.2. der Anlage 4 zur FeV.
35
Im Übrigen bestanden auch keine Anknüpfungspunkte für Fahreignungszweifel nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV aufgrund eines illegalen Konsums von Betäubungsmitteln in Form von Opiaten. Alleine der Umstand, dass der Antragsteller offenbar eine Abhängigkeit von den ihm zur Behandlung seiner Schmerzsymptomatik ärztlich verordneten opiathaltigen Medikamente entwickelte, rechtfertigt eine solche Annahme nicht, zumal der Antragsteller diese Medikamente bereits im Jahr 2013 aufgrund Nebenwirkungen absetzen und eine stationäre Entgiftung durchführen ließ. Auch dass die im Rahmen der ärztlichen Untersuchung beim ... Thüringen im Juli 2019 entnommene Urin- und Haarprobe negativ auf Opiate ausfiel, spricht ebenso gegen den Konsum entsprechender illegaler Betäubungsmittel. Der Behördenakte sind auch im Übrigen keine Hinweise zu entnehmen, wonach der Antragsteller bereits in der Vergangenheit entsprechende illegale Betäubungsmittel eingenommen haben könnte.
36
Die Frage nach einem zu erwartenden Konsum von Opiaten ist deshalb - sowohl im Hinblick auf eine etwaige fehlende Fahreignung nach Nr. 9.1. der Anlage 4 zur FeV (illegale Opiate) als auch nach Nr. 9.4 bzw. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV (ärztlich verordnete Opiate) - mangels tatsachenbasierter Zweifel nicht anlassbezogen.
37
3.2.3. Ferner fehlt der Frage, ob vom Antragsteller zukünftig die Einnahme von „Cannabis (zusätzlicher Beikonsum)“ zu erwarten ist, die geforderte Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit.
38
Die Beibringungsanordnung vom 3. September 2019 bezieht sich insoweit auf die Empfehlung des ärztlichen Gutachtens des ... Thüringen vom 16. Juli 2019, wonach in Anbetracht des früheren illegalen Cannabiskonsums eine medizinisch-psychologische Untersuchung empfohlen werde. Doch dieser gutachterlichen Empfehlung hätte der Antragsgegner jedoch nicht ohne nähere Würdigung der konkreten Umstände des Falles folgen dürfen.
39
Nach Überzeugung des Gerichts war zum Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung nicht mehr zu befürchten, dass der Antragsteller aufgrund regelmäßiger Einnahme von illegalem Cannabis gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sein könnte. Zwar gab der Antragsteller selbst gegenüber dem ... Thüringen an, seit 2013 regelmäßig illegales Cannabis eingenommen zu haben, sodass der Antragsteller zum damaligen Zeitpunkt nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war. Aus den der Behörde vor der Anordnung zur Verfügung gestellten ärztlichen Stellungnahmen wird indes deutlich, dass Grund der regelmäßigen illegalen Einnahme von Cannabis des Antragstellers eine seit Jahren chronifizierte Schmerzstörung und die darauf bezogene sekundäre Cannabisabhängigkeit war. Sein Konsum war stark auf eine Schmerzreduktion im Rahmen des Versuchs einer Selbstheilung ausgerichtet (vgl. Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Schweinfurt vom 13.8.2018, S. 5, Bl. 8 der Behördenakte unter Bezugnahme auf ein eingeholtes psychiatrisches Gutachten von Dr. G. vom 13.7.2018). Der Antragsteller leidet seit den 1990er Jahren an einer schwerwiegenden und komplexen Schmerzsymptomatik (ärztlicher Bericht Dr. K vom 4.7.2019, S. 2 ff., Bl. 27 ff. der Behördenakte). Seinem illegalen Konsum von Cannabis ab dem Jahr 2013 gingen seit 2003 erfolglos zahlreiche medikamentöse Behandlungsversuche (u.a. Opiate, Antidepressiva, Neuroleptika, Tranquilizer) sowie stationäre Behandlungsversuche voraus. Der Antragsteller lehnte schließlich mangels Erfolg sowie wegen erheblicher Nebenwirkungen eine weitere medikamentöse Behandlung ab. Sie war ihm auch nach ärztlicher Einschätzung nicht weiter zuzumuten (fachärztlicher Bericht Dr. W. vom 4.7.2019, S. 3, Bl. 23 der Behördenakte). Der Antragsteller konnte - nach eigener Angabe - seine Beschwerden allerdings ab 2013 durch eine illegale Selbstbehandlung mit Cannabis erheblich verbessern. Der Auffassung seines behandelnden Facharztes Dr. K. zufolge sei diese illegale Selbstbehandlung mit Cannabis rückblickend ein aus medizinischer Sicht teileffektiver Versuch einer illegalen Selbstbehandlung gewesen (ärztlicher Bericht Dr. K vom 4.7.2019, S. 8, Bl. 32 der Behördenakte).
40
Erst mit dem am 10. März 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BGBl. I 2017, S. 403) wurde eine ärztliche Verschreibung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten und Extrakten zu medizinischen Zwecken erlaubt, die zuvor nur mit Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG möglich war. Die Verantwortung für die Verschreibung, Verabreichung oder Verbrauchsüberlassung von Medizinal-Cannabis liegt nunmehr beim behandelnden Arzt, der entsprechend handeln darf, wenn die Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist (§ 13 Abs. 1 BtMG). Seit Juni 2018 erhält der Antragsteller auf dieser rechtlichen Grundlage zur Behandlung seiner Schmerzsymptomatik Medizinal-Cannabisblüten verordnet. Nach Bewertung des MDK Bayern ist die Medizinal-Theraphie nachvollziehbar angesichts der Tatsache, dass keine anderen zugelassenen Therapieoptionen mehr zur Verfügung stehen (sozialmedizinisches Gutachten des MDK Bayern vom 26.7.2019, S. 5, Bl. 39 der Behördenakte). Die Krankenkasse übernimmt inzwischen die Kosten der Behandlung. Nach Aussage des den Antragsteller zunächst behandelnden Arztes Dr. K ist es bereits innerhalb weniger Wochen zu einer sehr guten Therapiewirkung gekommen. Die erfreulichen gesundheitlichen Veränderungen waren bzgl. der Schmerzsymptomatik stabil und der Antragsteller konnte aus der diesbezüglichen Illegalität geführt werden, was mit einer erheblich psychoemotionalen Entlastung einherging (ärztlicher Bericht Dr. K. vom 4. Juli 2019, S. 58, Bl. 29 der Behördenakte). Der Antragsteller hielt bzw. hält sich nach Aussage seiner behandelnden Ärzte Dr. K und Dr. W. auch an ihre Anweisungen bei der Einnahme. Es liege eine gute Therapietreue und Mitarbeit vor. Er habe die illegale Selbsttherapie mit illegalem Cannabis nach Beginn der Verschreibung von medizinischem Cannabis glaubhaft unmittelbar beendet (ärztlicher Bericht Dr. K. vom 4. Juli 2019, S. 58, Bl. 29 der Behördenakte).
41
Nachdem der Antragsteller demnach seit Juni 2018 eine legale und offenbar auch erfolgreiche Therapie zur Behandlung seiner schwerwiegenden Schmerzerkrankung erhält und den Übergang in eine legale Therapie nach Aussage seines Arztes psychoemotional als positiv wahrnimmt, bestanden aus Sicht des Gerichts keine tragfähigen Verdachtsmomente mehr, dass der Antragsteller neben oder anstatt der ihm verschriebenen Cannabis-Blüten regelmäßig illegales Cannabis konsumieren und deshalb gem. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV fahrungeeignet sein könnte. Entgegen der Behauptung des Antragsgegners wird die Dosis der Medikation des Antragstellers mit Cannabis bedarfsgerecht angepasst (ärztlicher Bericht Dr. W. vom 4.7.2019, S. 3, Bl. 23 der Behördenakte), sodass mit einer zusätzlichen Einnahme von illegalem Cannabis zur Schmerzbehandlung nicht zu rechnen war. Gegen einen Beikonsum von illegalem Cannabis spricht ferner auch, dass der Antragsteller in diesem Falle möglicherweise mit der Beendigung der ärztlichen Cannabis-Therapie rechnen müsste und wieder auf eine illegale Selbstbehandlung angewiesen wäre, welche er zuvor nur durch einen (inzwischen rechtskräftig mit zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung geahndeten) Betäubungsmittelhandel finanzieren konnte. Bereits zum Zeitpunkt der Anordnung erschien es daher nach den Gesamtumständen nicht überzeugend, dass der Antragsteller die ihm inzwischen legal ermöglichte Therapie seiner langjährigen und schweren chronischen Schmerzen mit Medizinal-Cannabis durch einen illegalen Beikonsum von Cannabis gefährden und sich so erneut der Gefahr strafrechtlicher Konsequenzen hätte aussetzen können.
42
3.2.4 Schließlich spricht überwiegendes dafür, dass auch die Frage nach dem Ausschluss der Gefahr einer Suchtverlagerung rechtswidrig ist. Aufgrund der nur pauschalen Frage nach einer Suchtverlagerung sowie mangels näherer Ausführungen hierzu in der Begründung der Begutachtungsanordnung vom 3. September 2019 wird für den Antragsteller, die Begutachtungsstelle sowie das Gericht nicht erkennbar, was insoweit Ziel und Gegenstand der Überprüfung der Kraftfahreignung sein sollen. Der Anordnung sind keine näheren Anhaltspunkte zu entnehmen, warum aus Sicht des Antragsgegners beim Antragsteller eine Suchtverlagerung zu befürchten ist und welche Art von Sucht die Behörde insoweit vor Augen hat. Dem in der Anordnung in Bezug genommenen ärztlichen Gutachten vom 16. Juli 2019 war diesbezüglich nur ein Hinweis auf eine zurückliegende, indes auf die Verschreibung von Medikamenten zurückgehende Opiatabhängigkeit zu entnehmen. Von der Gefahr einer Suchtverlagerung ist dort nicht die Rede und es sind auch sonst keine konkreten Gesichtspunkte erkennbar, die eine solche begründen könnten.
43
3.2.5 Demgegenüber bestanden zum Zeitpunkt der Beibringungsanordnung allerdings noch Eignungszweifel hinsichtlich eines künftigen Konsums von Kokain durch den Antragsteller.
44
Ausweislich der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Würzburg vom 13. August 2018 (Az. … … …) wurden im Rahmen einer Hausdurchsuchung beim Antragsteller am 16. März 2018 neben Haschisch und Marihuana auch 3,4 Gramm Kokain gefunden. Ferner wurde ein Spiegel mit Rasierklinge und Anhaftungen als typisches Konsumutensil für Kokain sichergestellt. Der Antragsteller habe laut Anklageschrift im Zuge seines Betäubungsmittelhandels Kokain erworben, das teilweise zum Eigenkonsum bestimmt gewesen sei. Der Antragsteller habe die Tatvorwürfe im Wesentlichen eingeräumt. Zurecht durfte der Antragsgegner deshalb mit Schreiben vom 14. Mai 2019 zunächst die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Klärung anfordern, ob der Antragsteller Kokain einnimmt oder einnahm. Wenngleich das vom Antragsteller daraufhin vorgelegte ärztliche Gutachten vom 16. Juli 2019 feststellte, dass keine Hinweise auf eine aktuelle Einnahme von Kokain gefunden wurden, ist es nachvollziehbar, wenn aus Sicht des Antragsgegners dennoch weitere Eignungszweifel im Hinblick auf eine Einnahme von Kokain fortbestanden und eine zusätzliche medizinisch-psychologische Untersuchung für notwendig erachtet wurde. Denn das ärztliche Gutachten weist anhand der Haarprobe des Antragstellers lediglich eine Abstinenz von drei Monaten nach, während die Wiedererlangung der Fahreignung nach einem Konsum von Betäubungsmitteln gemäß Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV regelmäßig den Nachweis einer einjährigen Abstinenz erfordert. Im Übrigen erneuerten sich die Eignungszweifel im Hinblick auf einen etwaigen Kokainkonsum ungeachtet der negativen Haarprobe, da der Antragsteller bei der ärztlichen Untersuchung auch einen gelegentlichen Kokainkonsum in den 70er, 80er und 90er Jahren zugab.
45
3.3 Nach der gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die Anordnung vom 3. September 2019 allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit auch deshalb als rechtswidrig, weil die angegebene Rechtsgrundlage die Anordnung nur teilweise trägt.
46
Die bereits dargestellten Anforderungen an eine formell und materiell rechtmäßige Aufforderung können nicht durch Überlegungen des Inhalts relativiert werden, der Betroffene werde schon wissen, worum es gehe (BVerwG, U.v. 17.11.2015 - 3 C 20.15 - BVerwGE 156, 293 Rn. 21, 30). Grundsätzlich muss deshalb, wenn die Behörde eine Rechtsgrundlage für die Beibringungsanordnung nennt, diese Angabe auch zutreffen, andernfalls eine Berufung auf § 11 Abs. 8 FeV ausscheidet (BayVGH, B.v. 25.6.2020 - 11 CS 20.791 - BeckRS 2020, 14562 Rn. 31). Auch eine nachträgliche Heilung eines solchen Begründungsmangels durch die Behörde oder das Gericht kommt nicht in Betracht. Denn dem Recht des Antragstellers, einer Gutachtensanforderung nicht Folge leisten zu müssen, von der er zutreffend erkannt hat, dass sie auf eine nicht einschlägige Befugnisnorm gestützt war, würde der Boden entzogen, sähe man die Behörde als berechtigt an, nach einem „Auswechseln der Gründe“ vom Eintritt der in § 11 Abs. 8 FeV bezeichneten Rechtsfolge auszugehen (BayVGH, B.v. 24.8.2010 - 11 CS 10.1139 - BeckRS 2010, 55410 Rn. 60).
47
Die vom Antragsgegner herangezogene Rechtsgrundlage des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV war aber vorliegend jedenfalls insoweit nicht einschlägig, als sich die Fragestellung hinsichtlich eines etwaigen Konsums von Opiaten, Amphetaminen, Kokain und Cannabis (zusätzlicher Beikonsum) auf Fahreignungsmängel nach Nr. 9.1 bzw. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV bezog. Die angeführte Vorschrift des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV verdeutlicht die Nachrangigkeit der medizinisch-psychologischen Untersuchung in den Fällen des § 11 Abs. 2 FeV (ärztliches Gutachten) oder § 11 Abs. 4 FeV (Gutachten eines Sachverständigen oder Prüfers). Es muss zuvor der in den genannten Absätzen vorgesehene Untersuchungsweg beschritten worden sein und die dort gewonnenen Erkenntnisse dürfen nicht ausreichen, so dass zusätzliche Untersuchungen durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung erforderlich sind (Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 11 FeV [Stand: 16.10.2020], Rn. 51).
48
Grundlage des vom Antragsgegner zunächst am 14. Mai 2019 angeordneten ärztlichen Gutachten waren allerdings Eignungszweifel im Hinblick auf einen etwaigen Konsum des Antragstellers von Betäubungsmitteln bzw. eine missbräuchliche Einnahme psychoaktiver Arzneimitteln oder anderer psychoaktiv wirkender Stoffen. Die Anordnung des ärztlichen Gutachtens wurde insoweit zutreffend auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 FeV und nicht auf § 11 Abs. 2 FeV gestützt. Denn die Vorschrift des § 14 FeV regelt in Betracht kommende Aufklärungsmaßnahmen bei Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel und Arzneimittel. Sie ist gegenüber § 11 FeV speziell, soweit die Bestimmung die Voraussetzungen für die Anordnung eines medizinischen (§ 14 Abs. 1 FeV) oder eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (§ 14 Abs. 2 FeV) trifft (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 14 Rn. 10 m.w.N).
49
Soweit sich der Antragsgegner mittels einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zur Aufklärung von Eignungszweifeln aufgrund Anhaltspunkten für einen Betäubungsmittelkonsum (insbesondere Kokain) veranlasst sah, wäre mit § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV eine gegenüber § 11 Abs. 3 FeV spezielle Grundlage mit spezifischen Voraussetzungen (dazu BVerwG, U.v. 9.6.2005 - 3 C 25/04 - NJW 2005, 3081) einschlägig gewesen.
50
3.4 Schließlich ging in der Anordnung vom 3. September 2019 nach Maßgabe der summarischen Prüfung die Zielrichtung der Fragestellung insoweit fehl, als der Antragsgegner eine Abklärung wünscht, ob der Antragsteller trotz der Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum (med. Cannabis) sowie gleichzeitigem Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen fahrgeeignet ist.
51
In der Begründung der Anordnung verweist das Landratsamt insoweit auf Nr. 9.2.2. der Anlage 4 zur FeV. Es sei aufgrund der Angaben des Antragstellers im ärztlichen Gutachten zu prüfen, ob ein fahreignungsrelevanter Mischkonsum von Alkohol und Cannabis vorliege. Es sei weiterhin zu prüfen, ob der Antragsteller zukünftig ein Fahrzeug unter Einfluss von Cannabis (med. Cannabis) und dessen Nachwirkungen und gleichzeitigem Gebrauch von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen führen werde. Übersehen wird insoweit, dass es hinsichtlich des dem Antragsteller verordneten Medizinal-Cannabis nicht gemäß Nr. 9.2.2. der Anlage 4 zur FeV darauf ankommt, ob dieser den Konsum von verschriebenem Medizinal-Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeuges trennen kann oder ob im Sinne dieser Vorschrift ein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt. Aus der Nr. 9 der Anlage 4 der FeV folgt, dass bei der Beurteilung der Fahreignung zu unterscheiden ist zwischen der Einnahme von Betäubungsmitteln, zu denen auch Cannabis zählt, und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und Arzneimitteln. Bei der Einnahme von Arzneimitteln, die Stoffe enthalten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, kann die fehlende Fahreignung nicht schon aus der Einnahme von Betäubungsmitteln nach den Nr. 9.1 oder 9.2.1 der Anlage 4 der FeV hergeleitet werden, da insoweit die in den Nr. 9.4 und 9.6.2 der Anlage 4 der FeV definierten Eignungsmängel speziellere Anforderungen normieren. Die Beurteilung der Fahreignung bei bestimmungsgemäßem Konsum von für einen bestimmten Krankheitsfall ärztlich verordnetem Cannabis ist als Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV) einzuordnen (zum Ganzen OVG NW, B.v. 5.7.2019 - 16 B 1544/18 - juris, Rn. 2; BayVGH, B.v. 29.4.2019 - 11 B 18.2482 - juris Rn. 23; VG Düsseldorf, U.v. 24.10.2019 - 6 K 4574/18 - juris Rn. 29; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45 Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 62a und 65). Denn nach der Einschätzung des Verordnungsgebers unterscheidet sich die Wirkung der Substanzen als Therapeutikum bei der Einnahme nach ärztlicher Verordnung deutlich von der Wirkung bei missbräuchlichem Konsum (BT-Drs. 18/11701, S. 6). Während ein Drogenkonsument eine Substanz zu sich nimmt, um berauscht zu sein, nimmt ein Patient eine Substanz zu sich, um seinem Leiden entgegenzuwirken. Patienten verfügen anders als Drogenkonsumenten über eine hohe Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit (Compliance), verhalten sich eher regelkonform und sind achtsam im Umgang mit der Medikation und den Nebenwirkungen. Bei Personen, die Cannabis außerhalb einer medizinischen Indikation konsumieren, werde durch die Einnahme die Fahrtüchtigkeit nicht hergestellt, sondern beeinträchtigt (BT-Drs. 18/11701, S. 6). Ansonsten gilt auch für einen mit Medizinal-Cannabis behandelten Fahrzeugführer, dass die Medikation seine Leistungsfähigkeit nicht unter das erforderliche Maß beeinträchtigen (Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV) und die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweisen darf, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt. Ferner darf nicht zu erwarten sein, dass er in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 440/443; BayVGH, B.v. 22.4.2020 - 11 CS 19.2434 - BeckRS 2020, 9476 Rn. 16; B.v. 16.1.2020 - 11 CS 19.1535 - Blutalkohol 57, 133 Rn. 22; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 65; OVG NW, B.v. 5.7.2019 - 16 B 1544/18 - juris Rn. 4 ff.; VGH BW, B.v. 31.1.2017 - 10 S 1503/16 - juris Rn. 8 f.).
52
Es erscheint vorliegend unter Berücksichtigung der vorgelegten ärztlichen Unterlagen auch tatsächlich so, dass die Einnahme des verordneten Medizinal-Cannabis als Ultima Ratio der Behandlung des Antragstellers medizinisch indiziert war (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 BtMG) und dass die Einnahme zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung erfolgte, sodass der Konsum des Medizinal-Cannabis durch den Antragsteller unter die privilegierte Einordnung als Arzneimittel fällt (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2020 - 11 CS 19.1535 - BeckRS 2020, 1237 Rn. 22 f.). Die Aufklärung von Fahreignungsbedenken im Zusammenhang mit der Einnahme des Medizinal-Cannabis wäre deshalb am Maßstab der Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV auszurichten gewesen. Die Fahreignung wäre insoweit durch eine ärztliche oder medizinisch-psychologische Begutachtung zu untersuchen gewesen, welche die Grunderkrankung, ihre Symptome, die medikamentenspezifischen Auswirkungen und die ärztliche Überwachung der Medikamenteneinnahme erfasst und die individuelle Leistungsfähigkeit des Patienten, seine Fähigkeit zur Kompensation von ggf. festgestellten Leistungseinschränkungen, seine Compliance, seine Fähigkeit zur Risikoeinschätzung und auch die Gefahr der missbräuchlichen Einnahme überprüft (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2020 - 11 CS 19.2434 - BeckRS 2020, 9476 Rn. 16). In einer darauf abzielenden Begutachtung hätten auch die vom Antragsgegner zurecht angeführten Bedenken aufgrund eines zusätzlichen Beikonsums von Alkohol sowie die begründeten Fahreignungszweifel aufgrund des früheren illegalen Cannabiskonsums Berücksichtigung finden können, da hieraus durchaus Zweifel an der notwendigen Adhärenz des Cannabis-Patienten, der Fähigkeit zur Risikoeinschätzung oder die Gefahr einer missbräuchlichen Einnahme der Arznei folgen können.
53
3.5 Die aufgezeigten Mängel machen die gesamte Gutachtensaufforderung vom 3. September 2019 rechtswidrig. Denn besteht eine Gutachtensanordnung wie hier aus mehreren Teilen, so infiziert die Fehlerhaftigkeit eines Teils regelmäßig auch den anderen Teil. Die Sanktion des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV setzt grundsätzlich eine vollständig rechtmäßige Gutachtensanordnung voraus (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2013 - 11 CS 13.22 - VD 2013, 128; VGH BW, B.v. 30.6.2011 - 10 S 2785/10 - NJW 2011, 3257). Insbesondere konnte nicht dem Gutachter oder gar dem Antragsteller überlassen bleiben, nach eigener Wahl nur einen Teil der Gutachtensfragen zu beantworten bzw. beantworten zu lassen. Weder dem Antragsteller noch der Begutachtungsstelle kann bei einer wie hier komplexen Fragestellung zugemutet werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen. Selbst angesichts der getrennten Fragenkomplexe der Gutachtensaufforderung ist aufgrund der Aufgabenverteilung zwischen Gutachter, Fahrerlaubnisbehörde und Fahrerlaubnisinhaber und angesichts der Einheit der Gutachtensanordnung eine andere Sichtweise nicht gerechtfertigt. Die Gutachtensanordnung ist unteilbar. Der Antragsgegner hat - ohne Abstriche zu machen oder zu differenzieren - den Antragsteller ausdrücklich gemäß § 11 Abs. 8 FeV darauf hingewiesen, dass er auf die Nichteignung schließen dürfe, wenn sich der Antragsteller nicht untersuchen lasse bzw. das geforderte (also auch vollständige) Gutachten nicht fristgerecht vorlegen sollte (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2013 - 11 CS 13.22 - VD 2013, 138). Hinzu kommt, dass die vorliegenden Fragenteile verwoben sind und aufeinander aufbauen (vgl. auch VG München, U.v. 21.5.2014 - M 6b K 14.878 - juris).
54
Nach alledem durfte der Antragsgegner mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens nicht auf die Nichteignung des Antragstellers schließen. Vielmehr sind die Gutachtensaufforderungen vom 3. September 2019 und damit auch der sich darauf stützende Entziehungsbescheid vom 23. März 2020 nach summarischer Prüfung - in einer während des laufenden Gerichtsverfahrens nicht heilbaren Weise - rechtswidrig und der Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Die Rechtswidrigkeitsfolge erstreckt sich auch auf die Anforderung, den Führerschein abzuliefern und die Zwangsmittelandrohung.
55
4. Da an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes regelmäßig kein öffentliches Interesse bestehen kann, ist die aufschiebende Wirkung der Klage auch nach einer Abwägung der Interessen des Antragstellers mit den öffentlichen Interessen wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
56
Zur Überzeugung des Gerichts überwiegt vorliegend auch nicht das im Hinblick auf den Rang der betroffenen Rechtsgüter gewichtige öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs, vor ungeeigneten Kraftfahrzeugführen geschützt zu werden. Denn eine Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen steht gerade noch nicht fest. Im Fall des Antragstellers kann angesichts der aktenkundigen Feststellungen weder von einem feststehenden Fall der Fahreignung noch von einem feststehenden Fall der Ungeeignetheit sicher ausgegangen werden. Für die Annahme der feststehenden Ungeeignetheit spricht hier in Anbetracht der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit der Begutachtungsanordnung auch nicht der Umstand, dass das vom Antragsteller auf Grundlage der Anordnung vom 3. September 2019 eingeholte, aber nicht vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten offenbar negativ ausgefallen ist. Es erscheint aufgrund der Mängel der Anordnung nachvollziehbar, dass es im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung bei der p … - wie vom Antragsteller vorgebracht - zu Missverständnissen und Zweifeln kam, die nicht ausgeräumt werden konnten.
57
Eine feststehende Nichteignung i.S.v. § 11 Abs. 7 FeV des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus der fachärztlichen Stellungnahme bzw. der Dosierungsanleitung des behandelnden Arztes Dr. W. vom 8. Januar 2020 (Bl. 87 f. der Behördenakte), wonach der Antragsteller zur Einnahme des verschriebenen Cannabis nachts anstatt eines Vaporisators auch einen Joint verwenden könne, wenn seine Hände wegen Schmerzen und Steifheit nicht in der Lage sind, den Vaporisator zu bedienen. Zwar triff es zu, dass vom Gebrauch von medizinisch verordneten Cannabisblüten als Joint (Rauchen gemischt mit Tabak) wegen der gesundheitsschädlichen Wirkungen des Tabaks abgeraten wird (vgl. Hoch/Friemel/Schneider, Cannabis - Potential und Risiko - Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, 1. Aufl. 2019, S. 29). Dass bei einer ausnahmsweisen und vom behandelnden Arzt ausdrücklich erlaubten Einnahme von Medizinal-Cannabis als Joint die Fahreignung zwingend entfällt, ist im vorliegenden Eilverfahren jedoch nicht erkennbar. Hierfür können vorliegend auch nicht die Ausführungen des BayVGH im Beschluss vom 29. April 2019 - 11 B 18.2482 - juris Rn. 29 herangezogen werden. In dieser Entscheidung wurde maßgeblich darauf abgestellt, dass eine Einnahme von Medizinal-Cannabis als Joint in der dortigen ärztlichen Verordnung nicht vorgesehen war, sodass sich die verordnungswidrige Einnahme des Cannabis als missbräuchliche Einnahme im Sinne der Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV darstellte. Vorliegend wurde dem Antragsteller vom behandelnden Facharzt die Einnahme als Joint in bestimmten Fällen dagegen ausnahmsweise erlaubt, was unter Verweis auf die vergleichbare pharmakologische Wirkung medizinisch gerechtfertigt wurde. Im Rahmen der Beurteilung der Fahreignung bei Einnahme von medizinischem Cannabis kommt dem Therapieregime durch den behandelnden Arzt grundsätzlich zentrale Bedeutung zu (Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 440/442). Unter den vom behandelnden Arzt Dr. W. genannten Voraussetzungen stellt sich die Einnahme des verschriebenen Cannabis als Joint seitens des Antragstellers daher nicht von vornherein als missbräuchliche Einnahme eines psychoaktiv wirkenden Arzneimittels dar, sodass deshalb die Fahreignung nicht zwingend entfällt. Nichtsdestotrotz verbleiben im Hinblick auf diese Verordnungsmodalität Zweifel.
58
Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass fortbestehende Bedenken an der Fahreignung des Antragstellers aufgrund seines zugegebenen früheren sowie des - der rechtskräftigen Verurteilung des Landgerichts Schweinfurt vom 25. Juli 2019 (Gz. …) zugrunde gelegten - aktuelleren Konsums von Kokain nach Maßgabe einer erneuten und rechtsfehlerfreien Begutachtungsanordnung aufzuklären wären. Entsprechendes gilt für Eignungszweifel im Zusammenhang mit der Einnahme von Medizinal-Cannabis im Hinblick auf den Beikonsum von Alkohol, den früheren illegalen Cannabiskonsum sowie die gelegentliche Einnahme als Joint.
59
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
60
6. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 sowie Nr. 46.3, Nr. 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der Antragsteller ist Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt). Streitwertrelevant sind vorliegend die Fahrerlaubnisklassen B und C1, die nach Nrn. 46.3 und 46.5. des Streitwertkatalogs jeweils mit dem Auffangstreitwert (5.000,00 EUR) zu bewerten sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2017 - 11 CS 13.2342 - juris Rn. 21 ff.). Der sich hieraus ergebende Streitwert von 10.000,00 EUR war im Eilverfahren auf 5.000,00 EUR zu halbieren.