Titel:
Flüchtlingseigenschaft (bejaht) aufgrund Konversion zum Christentum - Iran
Normenketten:
AsylG § 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Für die Frage einer Verfolgungsgefahr im Iran wegen Konversion kommt es maßgeblich darauf an, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - aktiv im Iran ausübt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Iran, Flüchtlingseigenschaft (bejaht) aufgrund Konfession zum Christentum, ernsthafte innere Glaubensüberzeugung, Glaubhaftmachung im Asylverfahren, innere Glaubensüberzeugung, Ermessensentscheidung, Flüchtlingseigenschaft, Konversion, Christentum, Konvertit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 28325
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. Februar 2020 (Az: …*) wird in Ziffern 1) und 3) bis 6) aufgehoben.
2. Das Bundesamt wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Die Klägerin, eine iranische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 28. Oktober 2018 auf dem Luftwege aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27. November 2018 einen Asylerstantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
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Im Rahmen ihrer Anhörungen gemäß § 25 AsylG am 28. Januar 2019 und am 28. November 2019 machte die Klägerin zu den Gründen für Ihre Ausreise folgende Angaben:
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Vor ihrer Ausreise aus dem Iran sei sie bereits mehrfach mit einem Reisepass durch Europa gereist. Sie sei auch in China und Indien gewesen. Sie habe mit Ihrem Reisepass mehrmals Visa beantragt. Allein mit dem letzten Visum sei sie dreimal in Deutschland gewesen. Ihre letzte Reise habe sie nach … geführt, anschließend nach …, von dort aus sei sie zurück in den Iran geflogen.
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Bei ihrer Einreise am 31. August 2018 sei sie im Iran am Flughafen festgehalten worden, man habe ihr den Reisepass abgenommen. Man habe sie einer Befragung unterzogen und wissen wollen, woher sie das Geld für die vielen Reisen gehabt habe und weshalb sie so viele Reisen unternehme. Die Klägerin gab an, dass man sie verdächtigt habe, weil durch ihr Unternehmen, bei dem sie beschäftigt gewesen sei, unter ihrem Namen viele Dollar gekauft worden seien. Im Iran sei seit einiger Zeit der Verkauf von Devisen beschränkt. Mit den von ihr beschafften Devisen seien verschiedene Luxusartikel gekauft worden. Man habe von ihr wissen wollen, wie sie es geschafft habe, so viele staatliche Dollar zu erhalten, ob sie Bekannte in der Zentralbank habe und wie sie die Erlaubnis für den Kauf der Dollar erhalten habe. Die Klägerin führte insoweit aus, dass die Geschäftskarte ihrer Firma auf ihren Namen registriert gewesen sei. Sie sei auch mit einem Anteil von 3% an der Firma beteiligt gewesen. Normalerweise importiere diese Firma Waren, die für bestimmte Projekte im Iran bestimmt gewesen seien. In der letzten Zeit habe der Chef der Firma aber viele Waren importiert, mit denen er nur Profit habe machen wollen.
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Nach ihrer Freilassung auf Kaution sei sie dann nach Hause gekommen, wo es ihr sehr schlecht gegangen sei. Am nächsten Tag habe es an der Tür geklingelt, es sei der Chef ihrer Firma gewesen. Sie habe ihn aber nicht sehen wollen. Die Klägerin trug vor, dass sie eine Liebesbeziehung mit ihrem Chef gehabt habe; 6 Jahre lang habe er sie ausgenutzt, ihr jeden Tag Versprechungen gemacht und gesagt, dass er sie liebe, aber er habe seine Versprechungen nicht gehalten. Der Chef habe ihr gute Chancen in der Firma gegeben, deswegen habe sie auch auf nicht alles verzichten wollen. Tausendmal habe sie sich gefragt, warum sie bei diesem Spiel mitgemacht habe. So sei sie die Freundin eines verheirateten Mannes geworden und habe ihm erlaubt, über sie zu bestimmen. Zuletzt habe er unter ihrem Namen sogar illegale Dinge gemacht. Als er in ihre Wohnung gekommen sei, habe die Klägerin ihm gesagt, er solle verschwinden, denn er habe nur mit ihr gespielt und die Jahre ihrer Jugend kaputt gemacht. Die einzige schlimme Erfahrung, die sie noch nicht mit ihm gemacht habe, sei ins Gefängnis zu kommen. Anschließend sei er gegangen.
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Ein oder zwei Tage seien vergangen, während dieser Zeit sei sie zuhause geblieben. An einem Mittwoch sei die Klägerin mit dem Auto zum Einkaufen gefahren. Als sie zurückgekommen sei, habe sie ein Polizeiauto vor ihrem Haus gesehen. Sie habe in ihrer Wohnung Licht gesehen und ein paar Leute. Die Klägerin führte aus, dass sie sich nicht getraut habe, in ihre Wohnung zurückzukehren, und sei dann weitergefahren. Sie habe sich sodann zu einem alten armenischen Freund begeben. Sie habe ihm erzählt, in welches Unglück sie hineingeraten sei. Sie habe nämlich in ihrer Wohnung auch eine Ausgabe des Heiligen Buches gehabt, das ihr die Freundin aus … geschenkt habe. Außerdem habe sie einige Bilder von ihrer Taufzeremonie und von der Taufurkunde in ihrer Wohnung. All dies habe sie ihrem Freund erzählt. Er habe gesagt, auch wenn die Geschichte beim Gericht erfolgreich für sie ausgehe, könne sie trotzdem nicht bleiben. Schließlich habe sie eine Beziehung zu einem verheirateten Mann und sei Christin geworden. Der Freund habe sie getröstet und ihr gesagt, er würde ihr helfen. Er habe sie am nächsten Tag in einem Garten in … untergebracht. Der Freund habe sich um ihre Angelegenheit gekümmert, alle 1 bis 2 Tage sei er zu ihr gekommen und nach ein paar Tagen habe er ihr mitgeteilt, dass er einen Schlepper gefunden habe. Während dieser Zeit habe sie keinen Kontakt mit ihrer Familie gehabt. Wenn ihr Vater und ihr Bruder von alldem erfahren hätten, hätten sie sie hundertprozentig getötet. Nach 20 oder 21 Tagen in … sei sie nach Teheran gefahren und von dort nach … Auf Nachfrage berichtete die Klägerin, dass sie von ihrem Verfahren wegen des Korruptionsvorwurfes nichts mehr gehört habe, aber der Chef ihrer Firma jetzt im Gefängnis wegen der Korruption und seiner Beziehung zu ihr sitze. Sie habe nicht gewusst, dass ihr Chef sie dazu missbraucht habe, um illegal Devisen zu beschaffen und Luxusartikel zu importieren. Sie wisse nicht genau, wann der Chef mit der illegalen Devisenbeschaffung begonnen habe. Seit Frühjahr 2018 seien Dollar im Iran sehr wertvoll, weil der Unterschied zwischen staatlichem Tauschkurs und dem auf dem freien Markt gehandelten Kurs sehr groß gewesen sei. Die Beziehung zu ihrem Chef habe seit 2012/2013 bestanden. Die Klägerin gab an, dass sie davon ausgehe, dass die Mitarbeiter der Firma von der Beziehung etwas mitbekommen hätten. Vor August 2018 habe sie keine Probleme bei der Rückkehr aus dem Ausland gehabt. Sie glaube, dass man bei ihrer letzten Rückreise darauf gekommen sei, dass in ihrem Namen illegale Geschäfte gemacht worden seien, weil man erst seit dieser Zeit genauer kontrolliere, wer und zu welchem Zweck die Devisen bekomme. Sie glaube, dass es sich bei den importierten Luxuswaren um teure Handys gehandelt habe. Das illegale Geschäftsmodell habe so ausgesehen, dass ihr Chef mit den günstig erstanden staatlichen Devisen Waren eingekauft und teuer wieder verkauft habe. Ihr Chef habe die Dollar und die Luxusartikel nicht unter seinem eigenen Namen einkaufen können, weil nur eine Person in der Firma die Geschäftskarte innegehabt habe, nämlich sie selbst. Sie habe auch dem „Betriebsrat“ angehört, was Voraussetzung für die Inhaberschaft der Geschäftskarte gewesen sei.
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Auf Nachfrage gab die Klägerin an, dass sie wegen der Korruptionsaffäre ins Gefängnis kommen würde, obwohl sie davon gar nichts gewusst habe, weil die Unterlagen auf ihren Namen ausgestellt gewesen seien. Man hätte ihr vorgeworfen, dass sie davon hätte wissen müssen. Die Klägerin führte aus, dass es im Iran so sei, wenn man selbst unterschrieben habe und dort arbeite, dass man von allem hätte wissen müssen. Das Problem, dass sie mit einem verheirateten Mann eine Beziehung gehabt habe, sei noch hinzugekommen.
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Die Klägerin führte auf Nachfrage aus, dass im Iran eine Beziehung zwischen einer nichtverheirateten Frau und einem verheirateten Mann unter Strafe gestellt sei. Diejenigen die von ihrer Beziehung gewusst hätten, seien die Mitarbeiter der Firma gewesen. Diese hätten Angst gehabt, entlassen zu werden, wenn sie davon erzählt hätten. Wenn man sie und ihren Chef zusammen erwischt hätte, hätte man sie jedoch bestrafen können. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen. Die Firma habe 15 bis 16 Mitarbeiter gehabt.
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Zu ihrer Hinwendung zum Christentum befragt, gab die Klägerin folgendes zu Protokoll: Ihrer Freundin in … habe sie anlässlich eines Besuches von ihrem Problem erzählt und dann mit ihr über Jesus gesprochen. Die Freundin sagte, Jesus würde alle Sünder lieben und ihnen vergeben. Sie sagte, es genüge, wenn sie an Jesus glaube, dann werde er ihr helfen und sie von ihren Problemen befreien. Die Freundin habe ihr die Geschichte von der „Predigt am Hügel“ vorgelesen. Darin stehe, dass glücklich diejenigen seien, die leiden und schikaniert würden, das Himmelreich gehöre ihnen. Die Freundin sagte, sie solle Gott vertrauen, dann werde ein Wunder geschehen. Die Klägerin gab an, dass sie gedacht habe, sie habe ja keine Alternative. Sie seien dann gemeinsam in die Kirche gegangen, und die Freundin habe für sie gebetet, damit Gott ihr helfe. Gott habe der Klägerin seine Hand ausgestreckt. Die Klägerin habe sich wegen ihrer Probleme geschämt und sich von ihrer Liebe befreien wollen. Sie habe dann eine Wärme in ihrem Herzen gespürt und den Eindruck bekommen, dass sie mit Gottes Hilfe ihre Probleme lösen könne. Immer, wenn sie nach Deutschland gekommen sei, habe sie auch ihre Freundin im … besucht. Ihre Freundin habe ihr eine Bibel gegeben, die sie in den Iran mitgenommen habe. Als sie in den Iran zurückgekommen sei, habe sie die Kraft gefunden, ihrem Freund zu sagen, dass sie nicht mehr die zweite Person in seinem Leben sein und nicht mehr sündigen wolle. Dies habe sie ihm schon vor der letzten Rückkehr gesagt, nämlich im Juni 2018, als sie zusammen auf einer Messe in … und anschließend in … gewesen seien. Da habe sie ihrem Chef mitgeteilt, dass sie eine Entscheidung getroffen habe und jetzt rein sein wolle. Bei einer weiteren Reise nach … habe sie auch ihre Freundin in … besucht. Diese sage immer, dass Gott seinen Kindern helfen werde, er werde seine Kinder nie alleine lassen. Die Klägerin habe dann ihrer Freundin mitgeteilt, dass sie getauft werden wolle, damit sie rein werden würde. Diese habe dann mit dem Pfarrer gesprochen, der sie anschließend getauft habe. Die darüber ausgestellte Taufurkunde vom 28. Juni 2018 hat die Klägerin zu den Bundesamtsakten übergeben (Blatt 172 ff. der Bundesamtsakte).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Protokollniederschriften des Bundesamtes Bezug genommen (Blatt 94 ff. und Blatt 152 ff.).
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Die Klägerin gab weiterhin zu Protokoll, dass nach Auskunft ihrer Mutter, mit der sie telefonisch in regelmäßigem Kontakt stehe, zweimal Leute vom Ministerium bei ihren Eltern gewesen seien und diese nach ihrem Verbleib gefragt hätten. Die Ministeriumsleute hätten gesagt, dass sie die Klägerin verfolgen würden. Diese hätte von einem wirtschaftlichen Korruptionsfall gesprochen, an dem die Klägerin angeblich beteiligt sei. Sie wüssten außerdem darüber Bescheid, dass die Klägerin Christin sei. Außerdem wüssten sie über die Wohnung der Klägerin Bescheid und, dass in der Wohnung etwas passiert sei. Es gehe um eine unerlaubte Beziehung.
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Zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen befragt, gab die Klägerin an, dass es ihr im Iran wirtschaftlich gut gegangen sei. Sie habe eine Eigentumswohnung mit einer Größe von 55 m² besessen, diese habe sie als Kaution für ihre Freilassung aus der Haft abgegeben. Außerdem habe sie ein Auto, welches auf den Namen ihrer Mutter zugelassen sei, besessen. Sie habe Arbeit und Lohn gehabt und sich in ihrem Leben wohl gefühlt.
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Mit Bescheid des Bundesamtes vom 6. Februar 2020 wurden die Anträge der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), auf Asylanerkennung (Ziff. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziff. 3) abgelehnt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4).
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Darüber hinaus wurde die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe bzw. Unanfechtbarkeit des Bescheids zu verlassen (Ziff. 5). Gleichzeitig wurde die Abschiebung in den Iran angedroht und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6).
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Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf diese Bezug genommen (Blatt 196 ff. der Bundesamtsakte).
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Mit bei Gericht am 17. Februar 2020 eingegangenem Telefax ließ die Klägerin Klage erheben.
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Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am 2. März 2020 eingegangen, beantragte die Beklagte,
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Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am 28. Februar 2020 eingegangen, ließ die Klägerin zur Begründung ihrer Klage ausführen, dass im Fall der Klägerin jedenfalls § 60 Abs. 5 AufenthG Anwendung finden müsse. Denn eine voreheliche Beziehung, wie sie die Klägerin geführt habe, sei im Iran in einer Form strafbar, welche dazu führen müsse, dass zumindest bei Bekanntwerden und Einleiten eines Ermittlungsverfahrens/Strafverfahrens ein Abschiebungsverbot bzw. gegebenenfalls ein subsidiärer Schutzstatus zugesprochen werden müsse. Die Tatsache, dass die Klägerin bereits während eines früheren Aufenthalts in Deutschland einen Religionswechsel vorgenommen habe, lasse durchaus den Rückschluss offen, dass hier überlegt ein Glaubenswechsel durch Empfang der Taufe, ohne von einem Asylverfahren beeinflusst gewesen zu sein, erfolgt sei. Da ein kausaler Zusammenhang zwischen Taufe und Asylverfahren nicht behauptet werden könne, könne der erfolgte Glaubenswechsel der Klägerin nur einer persönlichen Entscheidung zugrunde gelegen haben.
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Hinsichtlich des Strafverfahrens führte der Bevollmächtigte aus, dass die Klägerin wegen einer von ihr nicht zur verantworteten Straftat für mehrere Jahre inhaftiert worden wäre. Im Iran könne speziell ein für eine Tat nicht verantwortliche Täter nicht mit einem fairen Verfahren rechnen, insbesondere auch nicht mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung. Im Iran werde im Übrigen erst einmal inhaftiert und dann untersucht und gegebenenfalls zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt wieder freigelassen. Dies erfülle in jedem Fall sowohl die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes, sofern gegebenenfalls eine Todessstrafe an das Wirtschaftsvergehen anknüpfe, jedoch zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
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Mit Beschluss der 19. Kammer vom 6. März 2020 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zu Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
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In der am 1. Oktober 2020 fortgeführten mündlichen Verhandlung beantragt die Klägerin,
die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 6. Februar 2020 (Az: …) verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, der Klägerin subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf den Iran bestehen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen am 4. August 2020 und am 1. Oktober 2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist vollumfänglich zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 6. Februar 2020 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig, da die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG hat, § 113 Abs. 5 VwGO. Der in der Folge auch in den Ziffern 3 bis 6 zu Unrecht ergangene Bescheid war dementsprechend aufzuheben. Der in Ziffer 2 enthaltene Ausspruch zur Asylberechtigung gemäß Art. 16a GG ist nicht Gegenstand der Klage.
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1. Der Klägerin steht in dem hier gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ein Anspruch dahingehend zu, ihr unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in den Ziffern 1 und 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Denn die Klägerin ist Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, ohne dass Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 und 3 AsylG bzw. des § 60 Abs. 8 AufenthG bestehen.
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Über das Vorliegen der Zuerkennungsvoraussetzungen hat das Gericht selbst zu befinden. Eine Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Entscheidung durch das Bundesamt - etwa unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts - kommt nicht in Betracht, da es sich bei der Flüchtlingsanerkennung nicht um eine Ermessensentscheidung handelt. Vielmehr hat das erkennende Gericht die Spruchreife herzustellen und über den etwaigen Anspruch der Klägerin zu entscheiden, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO (vgl. für die vorliegende Konstellation im Asylverfahren z.B. BVerwG, B.v. 9.3.1982, 9 B 360/82, juris).
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2. Die Klägerin ist Flüchtling im Sinne von § 3 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
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Die für § 3 Abs. 1 AsylG maßgebliche Gefährdung der Klägerin ergibt sich aus ihrer - zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts feststehenden - auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruhenden Konversion zum Christentum und der daraus folgenden, nachhaltig geprägten religiösen Identität der Klägerin, die bei Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung führen würde.
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2.1 Nach den Erkenntnissen über die aktuelle Situation von Konvertiten im Iran, die das Gericht unter anderem dem „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: Februar 2020)“ des Auswärtigen Amtes vom 26. Februar 2020 (Gz.: 508-516.80/3 IRN) entnimmt und welche den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt wurden, stellt sich die Lage muslimischer Konvertiten (Lagebericht, aaO, 1.1.4.) wie folgt dar: „Muslimen ist es ebenso verboten zu konvertieren (‚Abfall vom Glauben‘) wie an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Die Konversion eines schiitischen Iraners zum sunnitischen Islam oder einer anderen Religion sowie Missionstätigkeit unter Muslimen können eine Anklage wegen Apostasie und schwerste Sanktionen bis hin zur Todesstrafe nach sich ziehen. Oftmals lautet die Anklage jedoch auf ‚Gefährdung der nationalen Sicherheit‘, ‚Organisation von Hauskirchen‘ und Beleidigung des Heiligen‘, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden.“
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Die Klägerin darf indes nicht darauf verwiesen werden, von etwaigen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um einer Verfolgung zu entgehen. (EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - NVwZ 2012, 1612 zur bis dahin praktizierten Unterscheidung zwischen „forum internum“ und „forum externum“). Es „ist geklärt, dass es für die Frage einer Verfolgungsgefahr im Iran wegen Konversion maßgeblich darauf ankommt, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - aktiv im Iran ausüben (BayVGH, B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris Rn. 6 m.w.N.; B.v. 7.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - juris Rn. 7) oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - BayVBl 2016, 104 Rn. 11 m.w.N.).“ (BayVGH, B.v. 9.7.2018 - 14 ZB 17.30670 -, Rn. 21, juris)
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2.2 Das Gericht ist davon überzeugt, dass die bereits vor der endgültigen Ausreise der Klägerin aus dem Iran vollzogene Hinwendung zum Christentum auf einer ernsthaften inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche ihre religiöse Identität nachhaltig prägt und nicht lediglich aus Opportunität oder aus asyltaktischen Gründen erfolgt ist.
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Die ernsthafte und nachhaltige Hinwendung zum Christentum hat die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht.
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Allgemein ist zur Glaubhaftmachung folgendes auszuführen: Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Das Gleiche gilt für Fluchtgründe, welche im Wesentlichen auf einer inneren Überzeugung beruhen und daher objektiv ebenfalls nur schwer nachprüfbar sind. Gleichwohl müssen die Verwaltungsgerichte „selbst zu der vollen Überzeugung gelangen“ (…), „dass einem Asylbewerber wegen Konversion zum Christentum in seinem Heimatland eine Verfolgung wegen seiner Religion droht und dass die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für die religiöse Identität des Betroffenen zentrale Bedeutung hat“ (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 3.4.2020, 2 BVR 1838/15, juris).
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Von zentraler Bedeutung sind daher die aus der ausführlichen Befragung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020 gewonnenen Erkenntnisse über den glaubhaft gemachten Religionswechsel der Klägerin.
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Die Besonderheit im Falle der Klägerin liegt darin, dass sie bereits vor ihrer endgültigen Ausreise in Deutschland getauft wurde, nämlich im Rahmen eines früheren, vorübergehenden Aufenthalts in … Dieser Umstand wurde vom Bundesamt nicht in Abrede gestellt, allerdings wurde bezweifelt, dass die Taufe am 28.Juni 2018 Ausdruck und Folge einer bereits vollzogenen ernsthaften und nachhaltig prägenden Hinwendung zum Christentum war. Etwa bestehende Zweifel konnte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020 jedoch vollständig ausräumen. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und auch im Kontext ihrer Aussagen gegenüber dem Bundesamt vielmehr davon überzeugt, dass die Klägerin ihren neuen Glauben derart in ihre Gesamtpersönlichkeit integriert hat, dass von einer fortgesetzten Religionsausübung im Iran auszugehen ist, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch iranische Behörden nach sich ziehen wird.
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So hat die Klägerin sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch gegenüber dem Gericht ausführlich und schlüssig den Wandel in ihrer Persönlichkeit dargestellt, den sie vollzogen hat und der nach ihrer nachvollziehbaren Darstellung eng mit ihrer Konversion verknüpft ist.
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In diesem Zusammenhang sind auch die beiden anderen von ihr geltend gemachten Fluchtgründe zu berücksichtigen: Die Beziehung zu einem verheirateten Mann und die deswegen und wegen eines Wirtschaftsdelikts drohende Strafverfolgung mögen zwar für sich genommen nicht für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft genügen. Allerdings verdeutlichen sie den Kontext bzw. den - mit den Worten der Klägerin - „Lebenswandel“, aus dem sie, wie sie es in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020 noch einmal glaubhaft geschildert hat, einen Ausweg gesucht hat.
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Die in Deutschland empfangene Taufe erfolgte zudem nicht derart „spontan“, dass man eine asyltaktische Motivation unterstellen könnte, zumal die Klägerin ihr Heimatland noch nicht endgültig verlassen und ein Asylverfahren noch nicht einmal eingeleitet hatte. Dass die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt geplant hatte, ihr Heimatland zu verlassen und einen auf der Konversion begründeten Asylantrag zu stellen, ist in Anbetracht der Gesamtumstände nicht naheliegend und wird wohl auch vom Bundesamt nicht angenommen.
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Vielmehr hat die Klägerin nachvollziehbar geschildert, wie sie mit dem Christentum erstmals in Berührung gekommen ist. Nach ihrer glaubhaften Darstellung hat sie sich nach ihrem ersten Besuch in einer Kirche über mehrere Monate in ihrem Heimatland mit dem Christentum beschäftigt und über ihre … Freundin Kontakt zu einem evangelischen Pastor gehalten und auf diese Weise die Taufe vorbereitet. Der gewählte Taufspruch „Alles, was ihr tut, das tut im Namen des Herrn Jesus“ (Kol. 3,17) passt zu den Ausführungen der Klägerin über ihren vollzogenen Glaubenswechsel, den sie mit ihrem Persönlichkeitswandel begründet hat.
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Hinzu kommt, dass die Klägerin ihren neuen Glauben auch in Deutschland lebt und versucht, andere dafür zu gewinnen. Sie ist demnach auch missionarisch tätig und sieht das als ihre „christliche Pflicht“ an. Insofern nimmt das Gericht Bezug auf die vorgelegte Bescheinigung der Freien Evangelischen Gemeinde … vom 9. Juli 2020 und auf die Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020.
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Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Klägerin - nach der Überzeugungsgewissheit des Gerichts - das Christentum in derart identitätsprägender Weise in ihre Gesamtpersönlichkeit integriert hat, dass eine Rückkehr in den Iran eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung mit hier beachtlicher Wahrscheinlichkeit nach sich ziehen würde, weil eine christliche Glaubensbetätigung für sie aufgrund ihrer religiösen Identität nunmehr unentbehrlich ist (vgl. Bl. 4 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 1. Oktober 2020.
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Nach alledem ist der Klägerin unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in dessen Ziffer 1 und in der Folge die Ziffern 3 bis 6 die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.